Title: Tyll Ulenspiegel und Lamm Goedzak: Legende von ihren heroischen, lustigen und ruhmreichen Abenteuern im Lande Flandern und andern Orts
Author: Charles de Coster
Translator: Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Release date: August 29, 2022 [eBook #68862]
Language: German
Original publication: Germany: Eugen Diederichs
Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Charles de Coster
Legende von ihren heroischen /lustigen und ruhmreichen Abenteuern im Lande Flandern und andern Orts/
Deutsch von
Friedrich von Oppeln-Bronikowski
Mit Nachwort des Übersetzers
Verlegt bei Eugen Diederichs/
Jena 1911
Dritte Auflage
Sechstes bis zehntes Tausend
Ihr Herren Künstler, gnädige Herren Herausgeber und Herr Poet, ich möchte mir in Bezug auf Ihre erste Ausgabe einige Bemerkungen erlauben. Wie! In diesem dicken Buche, diesem Elefanten, den Sie, achtzehn an der Zahl, versuchen zum Ruhme zu führen, haben Sie nicht den kleinsten Platz für den Vogel Minervas, die weise, die verständige Eule gefunden! In Deutschland und in Flandern, das Sie so sehr lieben, reise ich beständig auf Ulenspiegels Schulter, der nur darum so heißt, weil sein Name Eule und Spiegel bedeutet, Weisheit und Gaukelspiel, Uyl en Spiegel. Die von Damm, wo er geboren, sprechen den Namen der Kürze halber „Ulenspiegel“ aus, und weil sie die Angewohnheit haben „U“ statt „Uy“ auszusprechen. Das ist ihre Sache.
Ihr habt eine andere Auslegung ersonnen: Ulen für Ulieden Spiegel / Euer Spiegel / für Euch, Bauern und Herren, Regierte und Regierende, der Spiegel der Narrheiten, Lächerlichkeiten und Verbrechen eines Zeitalters. Das war scharfsinnig, aber unbillig. Man muß nie mit der Tradition brechen.
Vielleicht fandet Ihr den Gedanken seltsam, die Weisheit durch einen traurigen, possierlichen Vogel zu symbolisieren, / Eures Bedünkens durch einen bebrillten Schulfuchs, einen Possenreißer vom Jahrmarkt, einen Freund der Finsternis, der unhörbar fliegt und tötet, ohne daß man ihn kommen hört, gleichwie der Tod? Aber Ihr gleichet mir, falsche Biedermänner, die Ihr über mich lacht. In mancher Eurer Nächte strömte Blut unter den Streichen des Mordes, der auf Filzsohlen geschlichen kam, damit man ihn ebenfalls nicht kommen hörte. Gibt es nicht in Eurer Geschichte gewisse Tage, an denen die bleiche Morgendämmerung mit ihrem fahlen Scheine die Straßen, die mit den Leichen von Männern, Weibern und Kindern besäet waren, beleuchtete? Wovon lebt Eure Politik, seitdem Ihr die Welt regiert? Vom Erwürgen und Morden.
Ich, die Eule, die häßliche Eule, ich töte, um mich zu ernähren, um meine Jungen zu ernähren; ich töte nicht, um zu töten. Wenn Ihr mir vorwerft, daß ich ein Nest mit jungen Vögeln verschlinge, könnte ich Euch nicht ebenso vorwerfen, daß Ihr alles, was Odem hat, niedermetzelt? Ihr habt Bücher geschrieben, in denen Ihr gerührten Tones von der Anmut des Vogels, seinen Liebesfreuden, seiner Schönheit, vom kunstvollen Bau des Nestes und den Ängsten der Mutterschaft sprecht. Hiernach sagt Ihr, in welcher Brühe er angerichtet werden muß und in welchem Monat des Jahres man die saftigsten Gerichte daraus macht. Ich, ich schreibe keine Bücher, Gott bewahre mich, anderenfalls würde ich schreiben, daß, wenn Ihr den Vogel nicht essen könnt, Ihr das Nest verspeist, aus Furcht, um einen Bissen zu kurz zu kommen.
Was Dich betrifft, leichtsinniger Poet, so war es Dein eigner Vorteil, mir in Deinem Werke meinen rechtmäßigen Platz zu geben; denn zwanzig Kapitel darin gehören zum mindesten mir; die andern laß ich dir ganz zu eigen.[1] Das ist wahrlich das Wenigste, daß man uneingeschränkt Herr der Dummheiten sei, die man drucken läßt. Zeternder Poet, Du schlägst blindlings auf die los, die Du die Henker des Vaterlandes nennst; Du stellst Karl V. und Philipp II. an den Schandpfahl der Geschichte. Du bist keine Eule, Du bist nicht fürsichtig. Weißt Du, ob in dieser Welt nicht noch ein Karl V. und ein Philipp II. existiren? Fürchtest Du nicht, daß eine wachsame Censur im Bauche Deines Elefanten nach Anspielungen auf erlauchte Zeitgenossen suchen werde? Warum ließest Du nicht diesen Kaiser und diesen König in ihrem Grabe schlummern? Weshalb kläffst Du so viel Majestäten an? Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Es gibt Leute, die Dir nicht verzeihen werden; ich verzeihe Dir auch nicht, Du störst mir meine spießbürgerliche Verdauung.
Was soll dieser ständige Zwist zwischen einem verabscheuten König, der von Kindheit an grausam ist / dafür ist er ein Mensch / und diesem vlämischen Volke, das Du uns als heldenmütig, fröhlich, rechtschaffen und arbeitsam darstellen willst? Wer sagt Dir, daß dieses Volk gut und der König schlecht war? Ich könnte Dir klüglich das Gegenteil beweisen. Deine Hauptpersonen sind Dummköpfe und Narren, ohne einen einzigen auszunehmen. Dein Gassenjunge Ulenspiegel ergreift die Waffen für die Gewissensfreiheit; sein Vater Klas läßt sich lebendigen Leibes verbrennen, um seine religiösen Überzeugungen zu behaupten; seine Mutter Soetkin verzehrt sich in Gram und stirbt an den Folgen der Tortur, weil sie ihrem Sohn ein Vermögen erhalten wollte. Dein Lamm Goedzak geht im Leben geradeaus, als ob man in dieser Welt nur gut und ehrlich zu sein brauchte; die kleine Nele; die nicht übel ist, liebt nur einen Mann in ihrem Leben.. Wo sieht man noch solche Dinge? Ich würde dich beklagen, wenn ich nicht über Dich lachen müßte.
Jedoch muß ich gestehen, neben diesen lächerlichen befinden sich etliche Persönlichkeiten, die ich gern zu meinen Busenfreunden machte: deine spanischen Soldaten, deine Mönche, die das Volk verbrennen, deine Gilline, die Spionin der Inquisition, deinen geizigen Fischhändler, den Angeber und Wärwolf, deinen Edelmann, der nachts den Teufel spielt, um irgend eine einfältige Person zu verführen, in Sonderheit aber den verständigen Philipp II., der, da er Geld braucht, die heiligen Bilder in den Kirchen zerstören läßt, um einen Aufstand zu bestrafen, dessen weiser Anstifter er selber war. Das ist wahrlich das wenigste, was man tun kann, wenn man berufen ist, von denen zu erben, die man mordet.
Aber ich glaube, ich spreche ins Leere. Du weißt vielleicht nicht einmal, was eine Eule ist. Ich will es dir zu wissen tun.
Eule ist, wer heimlich auf die Leute, die ihm im Wege sind, Verläumdung herabträufelt, und wenn man ihn auffordert, die Verantwortung für seine Worte zu übernehmen, klüglich ausruft: „Ich behaupte nichts, Man hat es mir gesagt“. Er weiß wohl, daß Man unangreifbar ist.
Eule ist, wer in den Kreis einer ehrbaren Familie eintritt, sich als Freier ankündigt, ein junges Mädchen ins Gerede bringt, Geld borgt, manchmal seine Schuld bezahlt und davon geht, wenn es nichts mehr zu nehmen gibt.
Eule ist der Politiker, der eine Maske der Freiheit, Aufrichtigkeit und Menschenliebe anlegt und Euch im gegebenen Augenblick ohne Warnung einen Menschen oder eine Nation erwürgt.
Eule ist der Handelsmann, der seine Weine panscht und seine Lebensmittel fälscht, der verdorbenen Magen anstatt Ernährung und Wut anstatt Heiterkeit verursacht.
Eule ist, wer geschickt fliegt, ohne daß man ihn beim Kragen packen kann, der das Falsche gegen das Wahre verteidigt, die Witwe zu Grunde richtet, die Waise beraubt und im Fett triumphirt wie andere im Blut.
Eule, die mit ihren Reizen Handel treibt, den besten Herzen junger Männer die Unschuld nimmt und das „sie bilden“ heißt, und sie ohne einen Heller im Schlamme läßt, in den sie sie gezogen hat.
Wenn sie manchmal traurig ist, sich besinnt, daß sie Frau ist und Mutter sein könnte, verleugne ich sie. Wenn sie, dieses Daseins müde, sich ins Wasser stürzt, so ist sie eine Närrin, und unwürdig zu leben.
Blick um Dich, Dichter aus der Provinz, und zähle die Eulen dieser Welt, wenn Du kannst. Bedenke, ob es klug ist, so wie Du es tust, die Kraft und die List, diese Königinnen unter den Eulen, anzugreifen. Geh in Dich, lege Deine Beichte ab, und flehe auf den Knien um Vergebung.
Dennoch nehme ich Anteil an Dir wegen Deiner vertrauensseligen Unbesonnenheit. Deshalb warne ich Dich, trotz meiner bekannten Gewohnheiten: ich werde stehenden Fußes die Derbheit und die Keckheiten Deines Stils meinen literarischen Vettern anzeigen. Sie haben starke Federn, Schnäbel und Brillen, sind fürsichtige, superkluge Leute, die auf die liebenswürdigste, schicklichste Art mit sehr viel Gaze und Manschetten den jungen Frauenzimmern Liebesgeschichten erzählen, die nicht allein von Cythere kommen und die Euch in einer Stunde, ohne daß man etwas sieht, die widerspänstigste Agnes erziehen. O tollkühner Poet, der Du Rabelais und die alten Meister so sehr liebst, jene Leute haben das vor Dir voraus, daß sie die französische Sprache am Ende durch vieles Schleifen abnutzen werden.
Bubulus Bubb
Zu Damm in Flandern, da der Maimond des Hagedorns Blüten erschloß, ward Ulenspiegel, des Klas Sohn, geboren.
Eine Wehemutter, Katheline genannt, wickelte ihn in Windeln, und da sie seinen Kopf beschaute, wies sie auf ein Häutlein daran. „Glückshäutlein, unter gutem Stern geboren“, sprach sie fröhlich. Doch alsbald jammerte sie und deutete auf ein schwarzes Pünktlein an des Kindes Schulter.
„Wehe,“ weinte sie, „das ist das schwarze Mal vom Teufelsfinger“.
„Meister Satan“, erwiderte Klas, „muß gar früh aufgestanden sein, wenn er schon Zeit hatte, meinen Sohn zu zeichnen“.
„Er hat garnicht geschlafen,“ antwortete Katheline, „denn horch! da weckt erst Kreyant die Hennen“.
Sie legte das Kind in Klasens Hände und ging hinaus.
Da zerriß die Morgenröte das Nachtgewölk; die Schwalben strichen zwitschernd über die Wiesen und die Sonne zeigte ihr blendendes Antlitz purpurn am Himmel.
Klas öffnete das Fenster und sprach zu Ulenspiegel:
„Du Glückskind, schau, da kommt Ihro Gnaden, die Frau Sonne, das Land Flandern zu grüßen. Betrachte Sie, wenn immer Du kannst, und so Du dermaleinst in Zweifel verstrickt bist und nicht weißt, was Du tun sollst, um recht zu handeln, so frage sie um Rat. Sie ist licht und warm. Sei aufrichtig wie sie licht ist, und gut wie sie warm ist“.
„Klas, Mann,“ sagte Soetkin, „Du predigst einem Tauben. Komm und trinke, mein Sohn“.
Und die Mutter bot dem Neugeborenen ihre schönen Naturflaschen.
Dieweil Ulenspiegel mit Lust daran trank, erwachten alle Vöglein auf der Flur. Klas band Reisigbündel zusammen und sah zu, wie sein Gespons Ulenspiegel die Brust gab.
„Weib,“ fragte er, „hast Du Vorrat von dieser guten Milch angeschafft?“
„Die Krüge sind voll,“ sagte sie, „doch das ist nicht genug, mich froh zu machen“.
„Gar kläglich sprichst Du von einem so großen Glück“.
„Ich gedenke,“ sprach sie, „daß sich auch nicht ein elender Heller in der Geldkatze findet, die dort an der Wand hängt“.
Klas nahm den Beutel zur Hand; doch er mochte ihn schütteln, wie er wollte, er hörte kein Geld darin klingen. Da ward er betrübt. Doch er wollte sein Weib trösten und sprach:
„Was sorgst Du Dich? Haben wir nicht den Kuchen im Kasten, den Katheline uns gestern geschenkt hat? Sehe ich nicht ein großes Stück Rindfleisch, welches zum mindesten drei Tage gute Milch für das Kind machen wird? Prophezeit der Sack mit Bohnen, der dorten so hübsch in der Ecke hockt, eine Hungersnot? Ist dies Fäßlein mit Butter ein Hirngespinnst? Sind die Fähnlein und Kompanien von Äpfeln, die in kriegerischen Reihen zu Elfen auf dem Boden aufmarschiert sind, Gespenster? Und hält nicht das brave dicke Fäßlein mit Brügger Kuytbier in seinem Wanst unsere Labung und kündet uns frischen Trunk?“
„Wenn das Kind zur Taufe getragen wird,“ sagte Soetkin, „so müssen wir dem Priester zwei Heller und für den Schmaus einen Gulden geben“.
Indessen trat Katheline mit einem großen Strauß Pflanzen ein.
„Ich bringe dem Glückskind Engelwurz, der bewahrt den Menschen vor Wollust, und Fenchel, der vertreibt den Teufel“.
„Hast Du nicht auch das Kraut, das die Gülden herbeizieht?“ fragte Klas.
„Nein“, sagte sie.
„So will ich sehen, ob es im Kanal keine gibt“.
Er ging mit Netz und Angel von dannen und war sicher, daß er niemanden begegnete, denn es war noch eine Stunde vor Oosterzon: so heißt in Flandern die Sonne um sechs Uhr früh.
Klas ging nach dem Kanal von Brügge, nicht weit vom Meere. Da tat er den Köder an die Angel, warf sie aus und ließ das Netz hinab. Ein wohlgekleideter Bursche saß am anderen Ufer und schlief wie ein Klotz auf einem Haufen Muscheln.
Bei dem Lärm, welchen Klas machte, erwachte er und wollte davonlaufen, denn er fürchtete, es möchte ein Gemeinbüttel sein, der ihn von seinem Lager forttreiben und zum Steen bringen wollte, wegen unerlaubten Vagierens.
Doch seine Furcht schwand, da er Klas erblickte und dieser ihm zuschrie:
„Willst Du sechs Deut verdienen, so treibe den Fisch hierher.“
Der Bursche, der schon ein aufgeblähtes Bäuchlein hatte, ging ins Wasser, nahm einen Büschel großen Schilfrohrs und trieb die Fische zu Klas.
Nach vollbrachtem Fischfang zog Klas Netze und Angelschnur heraus, ging über die Schleuse und kam zu dem Buben.
„Du bist der,“ sprach er, „welcher Lamm getauft ist und ob seiner Sanftmut Goedzak genannt wird, und wohnst in der Reiherstraße hinter der Frauenkirche. Wie geschah es, daß Du so jung und so wohlgekleidet bei Mutter Grün Obdach suchest?“
„Ach, Herr Kohlenträger“, antwortete das Büblein, „ich habe daheim eine Schwester, die ist ein Jahr jünger denn ich und prügelt mich weidlich beim kleinsten Anlaß. Ich aber wage nicht, es ihr auf dem Rücken heimzuzahlen, denn ich würde ihr wehe tun, Herr. Gestern beim Nachtmahl war ich sehr hungrig und wischte mit den Fingern den Boden einer Schüssel aus, darin Rindfleisch mit Bohnen gewesen. Sie aber wollte auch ihr Teil haben, und es war doch nicht mal genug für mich, Herr. Da sie nun sah, wie ich mir den Mund leckte, weil die Tunke so wohl schmeckte, ward sie schier rasend und gab mir aus Leibeskräften so gewaltige Maulschellen, daß ich ganz zerschlagen von dannen lief.“
Klas fragte ihn, was seine Eltern während der Prügelei getan hätten. Da antwortete Lamm Goedzak:
„Mein Vater schlug mich auf die eine Schulter und die Mutter auf die andere und sagten dabei: Räche Dich, Du Memme! Doch ich mochte kein Mägdlein schlagen und lief davon“.
Plötzlich ward Lamm bleich und erbebte am ganzen Leibe. Und Klas sah eine große Frau des Weges kommen, und ihr zur Seite ging ein mageres Dirnlein von bösem Aussehen.
„Ach!“ sagte Lamm und hielt Klas bei den Hosen fest, „da kommt meine Mutter und meine Schwester, mich zu holen. Beschirme mich, Meister Kohlenträger!“
„Warte“, sprach Klas. „Nimm zuvor diese sieben Heller zum Lohn und laß uns sonder Furcht zu ihnen gehen“.
Da die beiden Weiber Lamm sahen, liefen sie auf ihn zu und wollten ihn beide schlagen, die Mutter, weil sie sich geängstigt hatte, und die Schwester, weil sie es gewohnt war.
Lamm verbarg sich hinter Klas und schrie:
„Ich habe sieben Heller verdient, schlagt mich nicht!“
Doch die Mutter umhalste ihn schon, dieweil das Mägdlein mit Gewalt Lamms Hände öffnen wollte, sein Geld zu bekommen. Er aber schrie:
„Es ist mein, Du sollst es nicht haben!“
Und er hielt die Fäuste fest zu.
Klas aber schüttelte das Mägdlein derb bei den Ohren und sprach zu ihr:
„Wenn es noch einmal geschieht, daß Du Händel mit Deinem Bruder suchst, welcher gut und sanft ist wie ein Lamm, so werde ich Dich in ein schwarzes Kohlenloch stecken, und da werde nicht ich Dich bei den Ohren zupfen, sondern der rote Teufel aus der Höllen, der wird Dich mit seinen großen Klauen und seinen Zähnen wie Heugabeln in Stücke reißen“.
Bei dieser Rede wagte das Mägdlein Klas nicht mehr anzublicken noch Lamm zu nahen, und suchte Schutz hinter dem Rücken der Mutter. Als sie aber in die Stadt kamen, schrie sie allerorten:
„Der Kohlenträger hat mich geschlagen; er hat den Teufel in seinem Keller“.
Fortan schlug sie Lamm nicht mehr; doch als sie groß war, ließ sie ihn ihre Arbeit verrichten und der gute Tropf tat es gern.
Klas hatte seinen Fang unterwegs an einen Pächter verkauft, der ihn ihm abzunehmen pflegte. Als er heimkehrte, sprach er zu Soetkin:
„Dieses fand ich im Bauche von vier Hechten, neun Karpfen und einen Korb voll Aale“. Und er warf zwei Gulden und einen Heller auf den Tisch.
„Was gehst du nicht täglich auf den Fischzug, Mann?“ fragte Soetkin.
Klas gab zur Antwort: „Damit ich nicht selber zum Fisch werde für die Netze des Gemeinbüttels“.
Ulenspiegels Vater ward in Damm Klas der Kohlenträger genannt. Er hatte schwarzes Haar, feurige Augen, und seine Haut war von der Farbe seiner Ware, außer an Sonn- und Feiertagen, allwo es reichlich Seife in der Hütte gab. Er war klein, vierschrötig und stark und hatte ein lustiges Antlitz. Wenn er nach dem Tagewerk bei sinkender Nacht in einer Schänke am Wege nach Brügge einkehrte, um sich die schwarze Kohle mit Kuyt aus der Kehle zu spülen, riefen alle Frauen, die auf den Türschwellen frische Luft schöpften, ihm freundwillig zu:
„Guten Abend und klares Bier, Kohlenträger“.
„Guten Abend und einen wachsamen Mann“, gab Klas zum Bescheid.
Die Mägdlein, die zuhauf von den Feldern heimkehrten, stellten sich alle vor ihn hin und sprachen zu ihm:
„Was zahlst Du als Wegzoll: ein scharlachnes Band, einen Goldring, Sammetschuhe oder einen Gülden in die Gürteltasche?“
Doch Klas faßte sie um die Hüften und küßte sie auf Wangen und Hals, oder was sonst seinem Munde am nächsten war. Dann sprach er:
„Den Rest, ihr Schätzchen, den Rest fordert von Eurem Liebsten“.
Und sie gingen laut lachend von dannen.
Die Kinder kannten Klas an seiner derben Stimme und am Klappern seiner Schuhe. Sie liefen ihm entgegen und sprachen:
„Guten Abend, Kohlenträger!“
„Gott gebe Euch ein gleiches, Ihr Engelein“, sprach Klas. „Doch kommt mir nicht nahe, auf daß ich Euch nicht zu Mohrenkindern mache“.
Doch die Kleinen waren keck und kamen heran. Da griff er eines am Wams, rieb das rosige Mäulchen mit seinen Händen ein und ließ das Kind, welches trotzdem lachte, zur großen Freude aller andern entlaufen.
Soetkin, Klasens Frau, war ein braves Weib, früh auf wie das Morgenrot und emsig wie eine Ameise.
Klas und sie bestellten zu zweit ihre Felder und spannten sich gleich Ochsen vor den Pflug. Gar mühevoll war das Ziehen, doch noch schwerer die Egge, wenn das ländliche Werkzeug mit seinen hölzernen Zähnen die harten Schollen zerreißen sollte. Sie taten es gleichwohl fröhlichen Mutes und sangen ein altes Liedchen dabei.
Und es half der Erde nichts hart zu sein; umsonst warf die Sonne ihre heißesten Strahlen auf sie. Und ob sie auch ihre Lenden grausam anstrengen mußten, wenn sie mit gebogenen Knien die Egge schleppten: sobald sie stillhielten und Soetkin ihr sanftes Antlitz zu Klas wandte, und Klas küßte diesen Spiegel einer zärtlichen Seele, so vergaßen sie der großen Mühsal.
Tags zuvor war an den Fenstergittern des Stadthauses ausgerufen, es solle gebetet werden für Ihre Majestät, Kaiser Karls Gemahlin, die schwanger war, daß sie bald niederkäme.
Am ganzen Leibe zitternd, trat Katheline bei Klas ein.
„Was ficht Dich an, Gevatterin?“ fragte der Biedermann.
„Wehe!“ antwortete sie in abgerissenen Worten. „Diese Nacht / Geister, die Menschen mähten wie Schnitter das Gras / Mägdlein lebendig begraben; auf ihrem Leib tanzte der Henker! Der Stein, der seit neun Monden Blut geschwitzt hat, diese Nacht geborsten.“
„Erbarm Dich unser! Erbarm Dich unser, Herr Gott!“ stöhnte Soetkin, „das ist eine üble Vorbedeutung für das Land Flandern.“
„Sahest Du das mit Deinen Augen oder im Traume?“ fragte Klas.
„Mit meinen Augen“, erwiderte Katheline.
Bleich wie der Tod und mit Thränen hub sie wieder an:
„Zwei Kindlein sind geboren, eins in Hispanien, das ist das Kind Philipp, das andre im Lande Flandern, das ist des Klas Sohn, so dereinst Ulenspiegel genannt wird. Philipp wird ein Henker werden, denn er ist erzeugt von Kaiser Karl, dem Mörder unsres Landes. Ulenspiegel wird ein großer Meister in lustigen Reden und Bubenstreichen sein, aber er wird ein gutes Herz haben, denn er hat Klas zum Vater gehabt, einen wackeren Arbeitsmann, der in Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Leutseligkeit sein Brot zu verdienen weiß. Karl der Kaiser und Philipp der König werden hoch zu Roß durchs Leben reiten und mit Schlachten, Erpressungen und andrem Verbrechen Unheil stiften. Klas, der die ganze Woche arbeitet, nach Recht und Gesetz lebt und lacht, statt bei seiner harten Arbeit zu weinen, wird das Vorbild der guten Flandrischen Arbeiter sein.
„Ulenspiegel wird den Tod nicht sehen und allzeit jung sein; er wird die Welt durchwandern und an keinem Orte sich festsetzen. Er wird Bauer, Edelmann, Maler und Bildhauer sein / alles mit einander. Und also wird er die Welt durchwandern, gute und schöne Dinge loben, und der Dummheit aus voller Kehle spotten. Klas ist Dein Mut, edles flämisches Volk, Soetkin Deine tapfre Mutter, Ulenspiegel Dein Witz, ein artig und lieblich Mägdlein, des Ulenspiegel Genossin und gleich ihm unsterblich, wird Dein Herz sein, und ein dicker Bauch, Lamm Goedzak, Dein Magen. Oben werden die Menschenvertilger sein, unten die Opfer; oben diebische Drohnen, unten emsige Bienen, und im Himmel werden Christi Wunden bluten.“
Nach solchen Worten entschlief Katheline, die gute Zauberin.
Ulenspiegel ward zur Taufe getragen; plötzlich fiel ein Platzregen, der ihn schier durchnäßte. Also ward er zum ersten Male getauft.
Da er in die Kirche kam, hieß der Küster und Schulmeister Eltern und Paten sich um das Taufbecken stellen, welches geschah.
Doch im Gewölbe über dem Taufbecken hatte ein Maurer ein Loch gemacht, um allda eine Lampe an einem Stern von vergüldetem Holz aufzuhängen. Da er von oben die Paten stocksteif um das Taufbecken stehen sah, auf welchem der Deckel noch ruhte, goß er durch das Loch in der Wölbung voller Tücke einen Kübel Wassers, also daß dieses auf den Deckel stürzte und ein gewaltig Spritzen geschah. Ulenspiegel bekam das größte Teil davon. Und also ward er zum andern Male getauft.
Der Dechant kam und sie führten Klage bei ihm; er aber sagte, sie sollten sich sputen und es wäre ein Zufall. Ulenspiegel zappelte wegen des Wassers, das auf ihn gefallen war. Der Dechant gab ihm Salz und Wasser und nannte ihn Thylbert, das heißt „reich an Bewegungen.“ So ward er zum dritten Male getauft.
Da sie die Frauenkirche verlassen, gingen sie in die Lange Gasse und kehrten gegenüber der Kirche in den „Rosenkranz der Flaschen“ ein, an welchem ein Krug das Credo bildete. Dort tranken sie siebzehn Kannen Doppelbier und noch mehr. Denn solches ist der rechte Brauch in Flandern, daß man im Bauche ein Feuer anzündet, um durchnäßte Leute zu trocknen. So ward Ulenspiegel zum vierten Male getauft.
Da sie nun heim taumelten und ihr Kopf schwerer war denn ihr Körper, kamen sie an einen Steg, der über ein Wasser gelegt war. Katheline, die Pathin war und das Kind trug, tat einen Fehltritt und fiel mit Ulenspiegel in die Lache. Also ward er zum fünften Male getauft.
Doch man zog ihn aus dem Pfuhle, um ihn in Klasens Hause mit warmem Wasser zu waschen; und das war seine sechste Taufe.
Am selbigen Tage beschloß seine Heilige Majestät, Kaiser Karl, glänzende Feste zu geben, um die Geburt seines Sohnes fürstlich zu feiern. Er beschloß gleich Klas auf den Fischzug zu gehen, doch nicht in einem Kanal, sondern in den Gürteltaschen und Geldkatzen seiner Völker. Denn daraus ziehen die fürstlichen Angelruten Crusados, Silberdaelders und Löwentaler, und alle diese wundersamen Fische wandeln sich nach Belieben des Fischers in Sammet, Kleider, kostbare Juwelen, erlesene Weine und feine Speisen. Denn die fischreichsten Flüsse sind nicht die, so das meiste Wasser führen.
Da er nun seine Räte um sich versammelt hatte, bestimmte seine Heilige Majestät, daß der Fischzug wie folgt ausgeführt würde: Seine Hoheit der Infant sollte in der neunten oder zehnten Stunde zur Taufe getragen werden. Um ihre große Freude darzutun, sollten die Einwohner von Valladolid die ganze Nacht durch Schmausereien und Gelage halten, alles auf ihre Kosten, und auf dem Marktplatz Geld für die Armen streuen.
An fünf Straßenecken sollte ein großer Springbrunnen sein und bis Tagesanbruch gewöhnlichen Wein in Strömen hervorsprudeln, welchen die Stadt bezahlte. An fünf anderen Ecken sollten an hölzernen Gerüsten kleine Würste, ferner Schlack-, Leber- und Knackwürste, Ochsenzungen und andre Fleischarten aufgehängt werden, desgleichen zu Lasten der Stadt.
Die Bürger von Valladolid sollten da, wo der Zug vorbeikommen mußte, auf ihre Unkosten eine große Zahl von Triumphbögen errichten, welche den Frieden, das Glück, den Überfluß und das günstige Geschick darstellten, sowie jegliche Himmelsgabe, womit sie unter der Herrschaft seiner Kaiserlichen Majestät überschüttet worden.
Endlich sollten außer diesen Friedensbögen etliche andere aufgerichtet werden, an welchen in lebhaften Farben weniger milde Sinnbilder zu sehen waren, als das sind: Adler, Löwen, Lanzen, Hellebarden, Spieße mit glänzender Zunge, Hakenbüchsen, Kanonen, Feldschlangen mit großem Rachen und andre Maschinen, so die kriegerische Macht und Stärke seiner heiligen Majestät versinnbildlichen sollten.
Was die Lichter zum Erleuchten der Kirche betraf, so sollte es der Gilde der Wachszieher verstattet sein, zwanzigtausend Kerzen ohne Entgelt herzustellen, und was davon nicht verbrannt ward, das sollte dem Domkapitel zufallen.
Was aber die anderen Ausgaben betraf, so wollte der Kaiser sie gerne bestreiten und solchergestalt seinen guten Willen zeigen, seinen Völkern nicht allzugroße Lasten aufzulegen.
Als die Gemeine dies Gebot auszuführen trachtete, traf von Rom her klägliche Kunde ein. Oranien, Alençon und Frundsberg, des Kaisers Hauptleute, waren in die heilige Stadt gedrungen und hatten allda Kirchen, Kapellen und Häuser eingeäschert und ausgeplündert und niemand geschont, nicht die Priester und Klosterfrauen noch die Weiber und Kinder. Der heilige Vater war gefangen worden. Seit einer Woche währte das Plündern, und Reiter wie Lanzknechte durchstreiften die Stadt, übersättigt von Speise und berauscht vom Trinken. Sie schwangen ihre Waffen, suchten die Kardinäle und drohten, sie würden ihnen genug ins Fell schneiden, daß sie nie Päpste würden. Andre, so diese Drohung bereits ausgeführt hatten, stolzierten in der Stadt umher und trugen Rosenkränze auf der Brust, mit achtundzwanzig und mehr Kugeln, groß wie Nüsse und ganz blutig. Manche Straßen waren gleich roten Bächen, darinnen die nackten Leiber der Toten lagen.
Etliche sagten, der Kaiser, dieweil er Geld brauchte, hätte solches im geistlichen Blut fischen wollen; und da er von dem Vertrage, den seine Hauptleute dem gefangenen Papst auferlegt hatten, Kenntnis erhalten, so zwang er ihn, die festen Plätze seiner Staaten zu übergeben, 400 000 Dukaten zu bezahlen und solange im Gefängnis zu bleiben, bis alles vollführt sei.
Jedoch der Schmerz seiner Majestät war groß, und er sagte alle Vorbereitungen zu Freude, Festen und Lustbarkeiten ab und gebot den Herren und Damen seines Hofes, Trauer anzulegen. Und der Infant ward in seinen weißen Windeln getauft, welches die Windeln königlicher Trauer sind. Solches legten die Herren und Damen als üble Vorbedeutung aus.
Dem ohngeachtet stellte die Frau Amme den edlen Herren und Damen des Palastes den Infanten dar, auf daß sie ihm nach dem Brauche Wünsche und Gaben darbrächten.
Madonna de la Coena hing ihm einen schwarzen Stein wider das Gift um den Hals, von der Form und Größe einer Nuß, mit güldener Schale. Madame de Chauffade knüpfte ihm an einen seidenen Faden, der bis auf den Magen hing, eine Haselnuß an, welche die gute Verdauung der Speisen befördert. Messire van der Steen aus Flandern brachte ihm eine Genter Wurst dar, fünf Ellen lang und eine halbe dick, und wünschte seiner Hoheit ehrerbietigst, daß sie bei dem bloßen Geruche gut gentischen Durst nach Clauwaert verspürte; denn er sagte, wer das Bier einer Stadt gern trinkt, der kann dessen Brauer nicht hassen. Der Herr Stallmeister Jakob Christoph von Castilien ersuchte seine Hoheit den Infanten, an seinen Füßlein grünen Jaspis zu tragen, damit er gut laufen könnte. Jan de Paepe, der Narr, der dabei war, sprach: „Messire, gebt ihm lieber die Posaune Jerichos, bei deren Schall alle Städte eilends vor ihm davonlaufen, mitsamt ihren Einwohnern, Männern, Weibern und Kindern, um sich andernorts niederzulassen. Denn Seine Hoheit soll nicht selbst laufen lernen, sondern andre laufen lassen.“
Die trauernde Wittib des Floris van Borsele, welcher Herr von Veere und Seeland gewesen, gab Herrn Philipp einen Stein, welcher, so sprach sie, die Männer verliebt und die Frauen untröstlich machte.
Doch der Infant blökte wie ein Kalb.
Indessen steckte Klas seinem Sohn eine Klapper von Weidengeflecht mit Schellen daran in die Hände, und dieweil er Ulenspiegel auf seiner Hand tanzen ließ, sprach er: „Glöcklein, Glöcklein, Klinglingling. Möchtest Du deren immerdar an Deinem Barett haben, kleiner Mann, denn den Narren gehört die Welt.“
Und Ulenspiegel lachte.
Klas hatte einen großen Lachs gefangen; der ward eines Sonntags von ihm, Soetkin, Katheline und dem kleinen Ulenspiegel verspeist. Aber Katheline aß nicht mehr denn ein Vogel.
„Gevatterin,“ sprach Klas zu ihr, „ist die Luft in Flandern dermalen so kräftig, daß Du sie nur einzuatmen brauchst, um satt zu werden wie von einem Fleischgericht? Wann wird man so leben? Wenn die Regengüsse gute Suppen wären, wenn es Bohnen hagelte und der Schnee, in himmlisches Hackfleisch verwandelt, die armen Wanderer labte.“
Katheline schüttelte den Kopf und sprach kein Wort.
„Seh einer das betrübte Weib! Was macht ihr Kummer?“
Da sagte Katheline mit einer Stimme, die gleich einem Hauch war:
„Der Böse / wenn Nacht schwarz herabsinkt / Ich höre, wie er sein Kommen ankündigt / schreiend wie ein Fischadler. / Schaudernd bet' ich zur Heiligen Jungfrau / vergebens. / Für ihn nicht Mauern noch Zäune, nicht Türen noch Fenster; dringt überall hin wie ein Geist. / Die Leiter kracht. / Er ist bei mir auf dem Boden, wo ich schlafe, / faßt mich mit seinen kalten Armen, hart wie Marmelstein. / Eisiges Gesicht, Küsse feucht wie Schnee, / Die Erde wankt und die Hütte schwankt, wie ein Nachen auf stürmischer See.“
„Mußt jeden Morgen zur Messe gehen,“ riet Klas, „damit der Herr Jesus Dir die Kraft gibt, den Spuk, der von da unten gekommen ist, zu vertreiben.“
„Er ist so schön,“ sagte sie.
Da Ulenspiegel entwöhnt war, wuchs er wie eine junge Pappel. Nun küßte Klas ihn nicht mehr so oft, sondern liebte ihn in derber Weise, auf daß er nicht weichlich würde.
Wenn Ulenspiegel heimkehrte und Klage führte, daß sie ihn bei einem Streit durchgebläut hätten, schlug Klas ihn aufs Neue, weil er die andren nicht geschlagen; und also erzogen, ward Ulenspiegel kühn wie ein junger Leu.
Wenn Klas nicht daheim war, bat Ulenspiegel die Mutter um einen Heller, um spielen zu gehen. Soetkin ward bös und sprach: „Was brauchst Du zu spielen! Du tätest besser, daheimzubleiben und Reisig zu schnüren.“
Wenn Ulenspiegel sah, daß er nichts kriegte, schrie er wie ein Adler; doch Soetkin vollführte mit Kesseln und Töpfen, die sie in einer Holzbütte wusch, einen großen Lärm und tat, als hörte sie nichts. Alsdann weinte Ulenspiegel, und die schwache Mutter ließ die gespielte Härte fallen, kam zu ihm, liebkoste ihn und sprach: „Hast Du an einem Heller genug?“ Nun aber wißt Ihr, daß der Heller sechs Deut galt.
Solchermaßen liebte sie ihn zu sehr, und wenn Klas nicht daheim war, so war Ulenspiegel König im Hause.
Eines Morgens sah Soetkin, wie Klas in der Küche gesenkten Hauptes umherlief, gleich einem in Gedanken verlorenen Menschen. „Was plagt Dich, Mann?“ fragte sie. „Du bist blaß, zornmütig und zerstreut.“
Da antwortete er mit leiser Stimme wie ein knurrender Hund:
„Sie wollen die grausamen Anschläge des Kaisers erneuern. Der Tod wird aufs Neue über dem Lande Flandern schweben. Den Angebern wird die Hälfte von der Habe der Opfer versprochen, wenn das Vermögen nicht mehr ist als hundert Karolustaler.“
„Wir sind arm,“ sagte sie.
„Arm“, sprach er, „doch nicht genug. Es gibt schlechte Menschen, Geier und Raben, die leben von Leichen und würden uns ebenso gern anzeigen, um mit Seiner Heiligen Majestät einen Korb Kohlen wie einen Sack Karolustaler zu teilen. Was besaß die arme Tannecker, die Wittib des Schneiders Sis, die zu Heyst lebendig verbrannt ward? Eine lateinische Bibel, drei Goldgülden und etlichen Hausrat von englischem Zinn, wonach es ihre Nachbarin gelüstete. Johanna Martens ward als Hexe verbrannt und zuvor ins Wasser geworfen, denn ihr Körper schwamm obenauf und das galt für ein Zeichen von Zauberei. Sie hatte ein paar armselige Stücke Hausrat und sieben Goldkarolus in der Geldkatze, und der Angeber wollte die Hälfte davon haben. Ach, so könnte ich bis morgen noch mit Dir sprechen. Aber gestehe es, Weib, das Leben in Flandern ist nicht mehr lebenswert wegen der Anschläge. Bald wird jegliche Nacht der Karren des Todes durch die Stadt fahren, und wir werden hier hören, wie das Gerippe darin mit den Knochen klappert.“
Soetkin sprach: „Du mußt mich nicht bange machen, Mann. Der Kaiser ist der Vater von Flandern und Brabant und als solcher voll Langmut, Geduld, Sanftmut und Barmherzigkeit“.
„Er würde zuviel dabei verlieren, denn er lebt von den eingezogenen Gütern“.
Plötzlich erscholl die Trompete, und die Zimbeln des Stadtherolds dröhnten. Klas und Soetkin nahmen Ulenspiegel abwechselnd auf den Arm und liefen mit dem Volkshaufen dem Lärm nach. Sie kamen vor das Stadthaus. Daselbst hielten zu Pferde die Herolde, so die Trompete bliesen und die Becken schlugen. Der Profoß hatte die Rute der Gerechtigkeit und der Amtmann hielt im Sattel mit beiden Händen eine kaiserliche Verordnung und schickte sich an, sie dem versammelten Volke vorzulesen.
Klas verstand wohl, daß es fortan verboten sei, für Alle im Allgemeinen und im Besonderen, zu drucken, zu lesen, zu haben oder zu unterstützen die Schriften, Bücher und Lehre von Martin Luther, Johann Wykliff, Johannes Huß, Marcilius von Padua, Öcolampadius, Ulrich Zwingli, Philippus Melanchthon, Franciscus Lambertus, Johannes Bugenhagen, Johannes Pomeranus, Otto Brunselsius, Justus Jonas, Johannes Puperis und Gorcianus, desgleichen die neuen Testamente gedruckt von Adrian de Berghe, Christoph von Remonda und Johannes Zel, die voll lutherischer und anderer Ketzereien, auch von der theologischen Fakultät der Universität Löwen verworfen und verdammt waren. „Noch gleichermaßen zu malen und abzukonterfeien, noch malen oder abkonterfeien zu lassen schändliche Schildereien oder Bildnisse von Gott und der Heiligen Jungfrau Maria, oder zu zerreißen, zu zerbrechen und auszulöschen die Bilder oder Malereien, die zur Ehre, zur Erinnerung oder zum Gedächtnis Gottes und der Jungfrau Maria oder der von der Kirche anerkannten Heiligen gemacht sind“.
„Des weiteren,“ sagte die Verordnung, „daß niemand, welches Standes er sei, sich unterfange, die heilige Schrift mitzuteilen noch darüber zu disputieren, selbst in zweifelhafter Sache, wenn anders er nicht ein wohl beleumdeter und von einer berühmten Universität anerkannter Theologe ist“.
Seine Heilige Majestät setzte unter anderen Strafen fest, daß die Verdächtigen niemals ein Ehrenamt ausüben dürften. Was die Rückfälligen oder in ihrem Irrtum Beharrenden beträfe, so sollten sie verurteilt werden, bei langsamem oder raschem Feuer verbrannt zu werden, nach Ermessen des Richters in einer Strohhütte oder an einen Pfahl gebunden. Die anderen, so sie adlich oder gute Bürger wären, sollten durch das Schwert hingerichtet werden, die Bauern am Galgen, die Frauen in der Grube. Ihre Köpfe sollten zur Warnung auf Pfähle gespießt werden. Zu Gunsten des Kaisers sollten die Güter aller dieser Personen eingezogen werden, sofern sie sich an den der Einziehung unterworfenen Orten befanden.
Seine Heilige Majestät gewährte den Angebern die Hälfte aller Habe der Gerichteten, wenn sich ihr Besitz nicht auf hundert Goldgülden in Flandrischer Währung beliefe. Was des Kaisers Anteil beträfe, so behielte er sich vor, ihn für fromme und barmherzige Werke zu verwenden, wie er es bei der Plünderung Roms getan.
Klas ging mit Soetkin und Ulenspiegel von dannen.
Dieweil das Jahr gut gewesen, kaufte Klas für sieben Gülden einen Esel und neun Scheffel Erbsen und bestieg eines Morgens sein Reittier. Ulenspiegel saß hinten auf. In diesem Aufzuge wollten sie ihren Oheim und älteren Bruder Jobst Klas besuchen, der nicht fern von Meyborg in Deutschland wohnte.
Jobst war in jungen Jahren schlichten und sanften Sinnes gewesen, doch wunderlich geworden, nachdem er unterschiedliche Unbill erduldet. Sein Blut wandelte sich in schwarze Galle; er faßte einen Haß gegen die Menschen und lebte wie ein Einsiedel. Es war ihm jetzt eine Lust, zwei sogenannte getreue Freunde sich prügeln zu lassen, und er gab Dem drei Heller, der den andern am heftigsten durchgewalkt hatte. Auch liebte er es, die ältesten und zänkischesten Weiber in einem wohlgeheizten Saale in großer Zahl zu versammeln, und gab ihnen geröstetes Brot und Würzwein zu trinken. Solchen, die über sechzig alt waren, gab er Wolle in irgend einer Ecke zu stricken und empfahl ihnen überdies, ihre Nägel nur immer wachsen zu lassen. Und es war wundersam, das Gurgeln und Schnalzen der Zungen, das boshafte Geklätsch, das Husten und rauhe Ausspeien dieser alten Vogelscheuchen zu hören, welche, die Strickscheide unter der Achsel, gemeinsam die Ehre des Nächsten zerpflückten.
Wenn Jobst nun sah, daß sie recht im Zuge waren, warf er eine Bürste ins Feuer, und wenn sie brannte, war die Luft plötzlich voll Gestank. Alsbald schrieen die Weiblein alle mitsamt und ziehen einander, die Ursache des Gestankes zu sein. Da aber alle die Tatsache leugneten, packten sie sich bald bei den Haaren, und Jobst warf noch mehr Bürsten ins Feuer und geschnittene Roßhaare auf den Boden. Wenn er nichts mehr zu sehen vermochte, dieweil das Handgemenge so wütend, der Rauch so dicht war und den Staub aufwirbelte, so holte er zwei seiner Knechte, als Gemeinbüttel verkleidet; die trieben die Alten mit starken Gertenhieben aus dem Saale, gleich einer Herde wütender Gänse. Und Jobst, der das Schlachtfeld besichtigte, fand darauf Fetzen von Röcken, Schuhen und Hemden, auch alte Zähne. Und gar schwermütig sprach er zu sich: „Mein Tag ist verloren; keine unter ihnen hat im Handgemenge ihre Zunge eingebüßt“.
Als Klas das Weichbild von Meyborg erreichte, ritt er durch ein kleines Holz; der Esel fraß unterwegs Disteln und Ulenspiegel warf eine Kappe nach den Schmetterlingen und fing sie wieder auf, ohne den Rücken des Grautiers zu verlassen. Klas verspeiste eine Schnitte Brot und gedachte sie in der nächsten Schänke anzufeuchten. Da hörte er von fern ein Glöcklein erklingen und den Lärm vieler Menschen, die mit einander sprachen. „Das ist irgend eine Wallfahrt,“ sprach er, „und die Herren Pilger sind ohne Zweifel reich an Zahl. Halte Dich fest auf dem Langohr, auf daß sie Dich nicht herunterreißen. Wir wollen es uns besehen. Holla, Grauer, spüre meine Fersen!“
Und der Esel lief hurtig.
Er ließ das Gehölz hinter sich und kam in eine weite Ebene hinab, die gen Westen ein Fluß begrenzte. Gen Osten war eine kleine Kapelle erbaut; auf ihrem Giebel ragte ein Bild unserer lieben Frauen; zu ihren Füßen aber stunden zwei kleine Figuren, die beide eines Stieres Bild nachahmten. Auf den Stufen der Kapelle standen lachend ein Eremit, der die Glocke läutete, fünfzig Burschen, die jeder eine brennende Kerze trugen, sowie Spieler, Bläser und Schläger von Trommeln, Trompeten und Pfeifen, Schalmeyen und Dudelsäcken und ein Häuflein lustiger Gesellen, die mit beiden Händen eiserne Kästen voll alten Eisens hielten; doch alle waren in jenem Augenblicke still.
Fünftausend Pilger und mehr kamen zu sieben in engen Reihen des Weges; sie hatten Helme auf dem Kopf und trugen Stöcke von grünem Holz. Wenn neue hinzukamen, desgleichen bewehrt und behelmt, so reihten sie sich mit großem Lärm hinter die andern. Dann schritten sie, sieben Mann hoch, an der Kapelle vorbei, ließen ihre Knüppel segnen, empfingen männiglich aus den Händen der Burschen eine Kerze und entrichteten dafür dem Einsiedel einen halben Gulden. Und der Zug war so lang, daß die Kerzen der ersten schon am Ende des Dochtes waren, dieweil die der letzten schier in allzuviel Talg erloschen.
Dermaßen sahen Klas, Ulenspiegel und der Esel ganz verblüfft eine große Mannigfaltigkeit von Bäuchen an sich vorbeiziehen, dicke, hohe, lange, spitze, stolze, feste oder solche, die schlaff auf ihre natürlichen Stützen hinabfielen.
Und alle Pilger waren behelmt. Die einen trugen Helme, die aus Troja kamen und phrygischen Mützen glichen; andre waren mit roten Haarbüschen geziert; etliche, ob sie gleich pausbäckig oder dickbäuchig waren, trugen Helme mit ausgespannten Flügeln, dachten aber nicht ans Fliegen. Dann kamen solche, die mit Lattichköpfen geschmückt waren, welche die Schnecken ob der wenigen Blätter verschmäht hatten. Aber die Mehrzahl trug so alte und rostige Helme, daß sie aus den Tagen Gambrini, des Königs des Biers und von Flandern, zu stammen schienen, welcher König neunhundert Jahre vor unserem Herrn lebte und ein Schoppenmaß auf dem Haupte trug, auf daß er aus Mangel an einem Becher nicht zum Dürsten gezwungen würde.
Plötzlich klangen, ächzten, donnerten, schlugen, kreischten, lärmten und klirrten Glocken, Dudelsäcke, Schalmeyen, Trommeln und Eisenstücke. Dieser heidnische Lärm war ein Zeichen für die Pilger; sie drehten sich um, stellten sich in Rotten von sieben gegeneinander und warfen sich die brennende Kerze zur Herausforderung ins Gesicht, welches großes Niesen verursachte. Dann regnete es grünes Holz. Und sie schlugen aufeinander mit Füßen, Köpfen, Fersen und allem. Etliche stürzten sich nach der Weise von Widdern auf ihr Widerpart, mit dem Helme voran, also daß sie bis an die Schulter darinnen saßen und geblendet auf eine Rotte wütender Pilger fielen, welche sie unsanft empfingen.
Andere, die Greiner und Feiglinge waren, jammerten ob der Schläge; doch dieweil sie ihre erbärmlichen Paternoster murmelten, stürzten zweimal sieben sich prügelnde Pilger schnell wie der Blitz über sie her, warfen die armen Jämmerlinge zu Boden und trampelten sonder Erbarmen darüber hin.
Und der Einsiedel lachte.
Andere Rotten, so aneinander hingen wie Beeren an der Traube, rollten von der Hochebene hinab in den Fluß, allwo sie sich mit starken Schlägen weiter durchbläuten, ohne daß ihre Wut sich abkühlte.
Und der Eremit lachte.
Die, so auf der Hochebene verblieben waren, schlugen sich die Augen blau, zerbrachen einander die Zähne, rauften sich die Haare aus und zerrissen Wams und Hose.
Und der Einsiedel lachte und sprach:
„Mut, Freunde, wer gut trifft, der ist bewährt in der Liebe. Denen, so sich am besten schlagen, lacht die Zärtlichkeit ihrer Schönen! Bei unsrer lieben Frauen von Rindbisbels, hier sieht man wahre Männer.“
Und die Pilger schlugen nach Herzenslust auf einander los.
Derweil hatte Klas sich dem Einsiedel genähert, indeß Ulenspiegel den Schlägen mit Lachen und Schreien Beifall zollte.
„Frommer Vater,“ sprach er, „was haben diese armen Schelme verbrochen, daß sie sich so grauslich durchprügeln müssen?“
Der Eremit aber achtete sein nicht und rief:
„Faullenzer! habt Ihr keinen Mut mehr. Wenn die Fäuste ermüden, bleiben Euch nicht die Füße? / So wahr Gott lebt! Es sind etliche unter Euch, die haben ihre Beine, um gleichwie Hasen von dannen zu laufen. Was holt den Funken aus dem Stein? Das Eisen, das ihn schlägt. Was belebt die Mannhaftigkeit der alten Leute, wo nicht eine gute Schüssel voll Prügel, mit männlicher Wut gewürzet?“
Bei dieser Rede fuhren die biederen Pilger fort, sich mit Helmen, Händen und Füßen anzufallen. Es war ein wütendes Handgemenge, dabei der hundertäugige Argus nichts gesehen hätte, denn aufgewirbelten Staub und etliche Helmspitzen.
Plötzlich läutete der Einsiedel die Glocke. Pfeifen, Trommeln, Trompeten, Dudelsäcke, Schalmeyen und Eisengerümpel hielten inne mit Lärmen. Und dies war das Zeichen zum Frieden.
Die Pilgrime lasen ihre Verwundeten auf. Etlichen Kämpen sah man vor Zorn die geschwollenen Zungen aus den Mäulern hangen; doch sie gingen von selbst in den gewohnten Gaumen. Das schwerste war, denen die Helme abzunehmen, die bis an den Hals darinnen saßen und den Kopf schüttelten und sie doch nicht besser abschütteln konnten denn unreife Pflaumen.
Indessen gebot ihnen der Einsiedel:
„Sprecht ein Ave und kehrt heim zu Euren Weibern. In neun Monden werden so viel mehr Kinder im Weichbild sein, als es heute wackre Streiter in der Schlacht gab.“
Und der Einsiedel sang das Ave und alle sangen mit ihm. Und das Glöcklein bimmelte.
Dann segnete der Einsiedel sie im Namen unsrer lieben Frauen von Rindbisbels und sprach: „Ziehet hin in Frieden!“
Und sie zogen mit Schreien, Drängen und Singen nach Meyborg. Und alle Weiber, alt und jung, harrten ihrer auf der Schwelle der Häuser, in welche sie eindrangen wie Krieger in eine erstürmte Stadt.
Die Glocken von Meyborg läuteten mit aller Macht, und die Knaben schrieen, pfiffen und spielten den Rommelpot. Die Kannen, Humpen, Becher, Gläser, Flaschen und Schoppen klangen wundersam an. Und der Wein floß in Strömen in die Kehlen.
Dieweil dieses Klingen erscholl und der Wind den Gesang der Männer, Weiber und Kinder in Stößen herbeitrug, sprach Klas aufs neue zu dem Einsiedel und fragte ihn, welche Gnade des Himmels diese braven Leute durch solch saures Werk zu erlangen gedächten.
Der Einsiedel aber antwortete lachend.
„Du siehst auf dieser Kapelle zwei gemeißelte Bilder, so zwei Stiere darstellen. Sie sind dort zum Gedächtnis an das Wunder errichtet, das der heilige Martin tat, da er zwei Rinder in Stiere verwandelte, dadurch, daß er sie mit den Hörnern auf einander stoßen ließ und ihnen das Maul mit Talg und grünem Holz einrieb, wohl über eine Stunde.
„Da ich nun das Wunder wußte und mit einem gut bezahlten Breve Seiner Heiligkeit versehen war, so ließ ich mich hier nieder. Ich beredete alle alten Huster und Schmerbäuche von Meyborg und Umgegend, und fortan waren sie sicher, daß sie sich unsre liebe Frau geneigt machten, wenn sie sich weidlich durchbläuten mit der Kerze, welche die Salbung darstellt, und dem Stock, welcher die Kraft bedeutet. Die Weiber schicken ihre alten Männer hierher. Die Kinder, so kraft dieser Wallfahrt zur Welt kommen, sind gewalttätig, kühn, wild, gewandt und werden vollkommene Kriegsleute.“
Plötzlich sagte der Einsiedel zu Klas:
„Erkennest Du mich?“
„Ja,“ erwiderte Klas, „Du bist mein Bruder Jobst.“
„Der bin ich“, sprach der Einsiedel. „Welcher ist aber dieser kleine Mann, der mir Fratzen schneidet?“
„Das ist Dein Brudersohn“, gab Klas zur Antwort.
„Welchen Unterschied machst Du zwischen mir und Kaiser Karl?“
„Einen großen“, entgegnete Klas.
„Einen kleinen,“ sprach Jobst, „denn er läßt die Menschen einander umbringen und ich lasse sie einander sich schlagen, und das tun wir beide zu unserem Nutzen und Kurzweil.“
Dann führte er sie in die Einsiedelei, allwo sie eilf Tage ohne Ausruhen Schmaus und Gelage hielten.
Als Klas seinen Bruder verließ, stieg er wieder auf seinen Esel und nahm Ulenspiegel hinten auf. Er ritt über den Marktplatz von Meyborg und sah dort eine große Zahl Pilger zuhauf stehen. Wie diese die Beiden erschauten, wurden sie ergrimmt, schwangen ihre Stöcke und schrieen plötzlich alle mitsammen: „Schalksnarr!“ Das geschah wegen Ulenspiegel, welcher seine Hosenklappe aufgemacht, sein Hemd hochgezogen hatte und ihnen die Kehrseite wies. Da nun Klas sah, daß es sein Sohn war, welchen sie bedräuten, fragte er ihn:
„Was hast Du getan, daß sie so böse auf Dich sind?“
„Lieber Vater,“ sagte Ulenspiegel, „Du siehst wohl, daß ich stillschweige und niemand nichts tue, da sagen die Leute, ich sei ein Schalk!“
Da setzte Klas ihn vor sich hin.
So sitzend, streckte Ulenspiegel den Pilgern die Zunge heraus, und diese schrieen voll Zorn, drohten mit der Faust und erhoben den Knüppel, um Klas und den Esel zu schlagen.
Aber Klas gab dem Esel die Fersen, daß er ihrem Grimm entränne, und dieweil sie ihn verfolgten, sprach er atemlos zu seinem Sohne:
„Du bist freilich in einer unglückseligen Stunde geboren. Du sitzest still und schweigst und tust niemand nichts, und doch wollen sie Dich totschlagen.“ Ulenspiegel lachte.
Da sie durch Lüttich kamen, erfuhr Klas, daß die armen Leute an der Küste großen Hunger litten und daß man sie der Rechtsprechung des geistlichen Gerichts unterstellt hätte. Sie empörten sich, um Brot und weltliche Richter zu kriegen. Etliche wurden enthauptet oder gehenkt, und die andren des Landes verwiesen. So groß war dazumal die Milde des Hochwürdigen Herrn von der Marck, des sanften Erzbischofs.
Auf dem Wege sah Klas die Verbannten, die das liebliche Tal von Lüttich flohen, und an den Bäumen vor der Stadt hingen die Leichen derer, so um ihres Hungers willen gehenkt waren. Und er weinte über sie.
So ritt er auf dem Esel nach Hause, mit einem Sack voll Heller versehen; den hatte ihm sein Bruder Jobst geschenkt samt einem schönen Humpen von englischem Zinn. Da gab es in der Hütte des Sonntags Schlemmereien und werktäglich Feste, denn sie aßen alle Tage Fleisch und Bohnen. Klas füllte den großen Humpen aus englischem Zinn mit Doppelbier und leerte ihn oftmals. Ulenspiegel aß für drei und fuhr in der Schüssel herum wie ein Sperling in einem Haufen Körner.
„Jetzt frißt er gar das Salzfaß auf“, sagte Klas.
Ulenspiegel erwiderte:
„Ist das Salzfaß aus einem Stück ausgehölten Brotes gemacht wie bei uns, so muß man es zuweilen verspeisen, auf daß nicht die Würmer hineinkommen, wann es alt wird.“
„Weshalb wischest Du Deine fettigen Hände an Deinen Hosen ab?“ fragte Soetkin.
„Damit niemals die Schenkel naß werden“, sprach Ulenspiegel.
Darob tat Klas einen tiefen Trunk aus seinem Humpen.
Ulenspiegel sagte zu ihm:
„Warum hast Du einen so großen Krug und ich nur einen kläglichen Becher?“
Klas antwortete: „Weil ich Dein Vater bin und Herr im Hause.“
Ulenspiegel entgegnete:
„Du trinkst seit vierzig Jahren und ich nur seit neun. Deine Zeit ist vorüber und meine Zeit zum Trinken ist gekommen; es ist also an mir, den Humpen zu haben, und an Dir, den kleinen Becher zu nehmen.“
„Sohn,“ sprach Klas, „das hieße Bier in den Fluß schütten, wenn man das Maß einer Tonne in ein Fäßlein gießen wollte.“
„Du wirst also klug tun, wenn Du Dein Fäßlein in meine Tonne gießest, denn ich bin größer als Dein Humpen,“ erwiderte Ulenspiegel.
Und Klas gab ihm mit Freuden seinen Humpen zu leeren. Und so lernte Ulenspiegel seine Worte setzen, um zu trinken.
Soetkin trug ein Zeichen neuer Mutterschaft unter dem Gürtel. Katheline war ebenfalls schwanger, wagte aber aus Furcht nicht, das Haus zu verlassen.
Da Soetkin sie heimsuchen kam, sprach die betrübte Schwangere: „Was soll ich tun mit der armen Frucht meines Leibes? Soll ich sie ersticken? Lieber will ich sterben. Doch wenn mich die Häscher ergreifen, dieweil ich ein Kind habe und bin nicht verheiratet, so werden sie mich wie eine Dirne zwanzig Gulden zahlen lassen und ich werde auf dem Markte gestäupt werden.“
Soetkin sprach ihr gütlich zu, um sie zu trösten, und verließ sie und kehrte nachdenklich heim. Also sprach sie eines Tages zu Klas: „Wenn ich anstatt eines Kindes deren zwei hätte, würdest Du mich schlagen, Mann?“
„Ich weiß nicht“, sagte Klas.
„Wenn aber das zweite nicht aus meinem Schoß wäre, und ein Unbekannter, wohl gar der Teufel, hätte es gezeugt?“
„Die Teufel erzeugen Feuer, Tod und Rauch, aber Kinder, nein. Ich würde Kathelines Kind wie das meine halten.“
„Das würdest Du tun?“
„So sagte ich.“
Soetkin ging und brachte Katheline die Kunde. Da sie solches vernahm, wußte sie sich vor Freuden nicht zu lassen und rief voller Entzücken:
„Der gute Mann, er hat für das Heil meines armen Leibes gesprochen. Gott wird ihn segnen, und der Teufel — wenn anders es ein Teufel war,“ sprach sie mit Zittern, „der Dich armes Kleines, so sich in meinem Schoße regt, schuf.“
Soetkin und Katheline brachten die eine ein Knäblein, die andere ein Mägdlein zur Welt, und alle beide trug Klas als Sohn und Tochter zur Taufe. Soetkins Sohn ward Hans benannt und blieb nicht am Leben. Kathelines Tochter aber hieß Nele und gedieh wohl.
Sie trank den Lebenssaft aus vier Flaschen, den beiden von Katheline und den beiden von Soetkin. Und die beiden Frauen machten sich in Güte streitig, wer dem Kinde zu trinken gäbe. Doch trotz ihres Wunsches mußte Katheline ihre Milch versiegen lassen, damit man sie nicht fragte, woher sie käme, ohne das sie Mutter war.
Da die kleine Nele, ihre Tochter, entwöhnt war, nahm sie sie zu sich und ließ sie nicht eher zu Soetkin gehen, als bis sie sie Mutter genannt hatte. Die Nachbarn aber sagten, es sei gut von Katheline, die begütert war, daß sie das Kind von Klasens ernährte, welche ihr mühselig Leben in Armut hinbrachten.
Ulenspiegel war eines Morgens allein zu Hause, und da die Zeit ihm lang ward, so schnitt er an einem Schuh seines Vaters herum, auf daß er ein Schifflein daraus machte. Schon hatte er den Hauptmast in der Sohle aufgerichtet und das Oberleder durchbohrt, um das Bugspriet darin einzulassen, da sah er durch die Tür, deren obere Hälfte geöffnet war, den Leib eines Reiters und einen Roßkopf vorbeiziehen.
„Ist wer drinnen?“ fragte der Reiter.
„Anderthalb Mann und ein Pferdekopf.“
„Wie das?“ fragte der Reiter.
Ulenspiegel beschied ihn:
„Weil ich hier einen ganzen Mann sehe, das bin ich, einen halben Mann, das ist Dein Oberkörper, und einen Pferdekopf, das ist der Deiner Mähre.“
„Wo ist Dein Vater und Mutter?“ fragte der Mann.
Ulenspiegel antwortete:
„Mein Vater ist gegangen, das Böse böser zu machen, und meine Mutter ist dabei, uns Schande oder Schaden zu machen.“
„Erkläre das!“ sprach der Reiter.
„Mein Vater gräbt zur Stunde die Löcher in seinem Felde tiefer, auf daß die Jäger, die das Getreide zerstampfen, darinnen zu Falle und Schaden kommen. Die Mutter ist gegangen, Geld zu leihen. Gibt sie zu wenig wieder, so ist es eine Schande für uns, und gibt sie zu viel, so wird es unser Schade sein.“
Dann fragte der Mann ihn, wohin er reiten müßte.
„Da, wo die Gänse sind“, erwiderte Ulenspiegel.
Der Mann ritt seines Weges und kam in der Weile zurück, da Ulenspiegel von Klasens zweitem Schuh eine Rudergaleere machte.
„Du hast mich gefoppt,“ sprach er, „da, wo die Gänse sind, ist nur Schlamm und Sumpf, darinnen sie herumpatschen.“
„Ich habe Dir nicht gesagt, daß du hingehen sollst, wo die Gänse patschen, sondern wo sie gehen“.
„Zeige mir wenigstens einen Weg, der nach Heyst geht“, sprach der Mann.
„In Flandern gehen die Fußgänger und nicht die Wege“, erwiderte Ulenspiegel.
Eines Tages sprach Soetkin zu Klas:
„Mann, mir blutet das Herz. Nun sind es drei Tage, daß Thyl das Haus verlassen hat; weißt Du nicht, wo er ist?“
„Wo die herrenlosen Hunde sind, auf irgend einer Landstraße mit etlichen Taugenichtsen seiner Art. Gott war grausam, daß er uns einen solchen Sohn gab. Da er geboren ward, sah ich in ihm die Freude unserer alten Tage, ein Werkzeug mehr im Hause. Ich gedachte einen Handwerker aus ihm zu machen, und das böse Schicksal macht ihn zum Schelm und zum Tagedieb“.
„Sei nicht so hart, Mann“, sprach Soetkin. „Unser Sohn ist erst neun Jahre alt und in der Blüte der Jugendtorheit. Muß er nicht gleich wie die Bäume seine Blatthülsen auf den Weg streuen, ehe er sich mit den Blättern schmückt, die bei Gewächsen aus dem Volke Rechtschaffenheit und Tugend heißen? Er ist ein Schalk, aber seine Schalkheit wird ihm dereinst zum Nutzen gedeihen, wenn er sie nicht zu schlimmen Streichen, sondern zu einem nützlichen Handwerk gebraucht. Er macht sich gern über seinen Nächsten lustig, doch ebenso wird er dereinst seinen Platz in einer lustigen Bruderschaft behaupten. Er lacht immerdar, aber die Gesichter, so mürrisch dreinschauen, sind eine üble Vorbedeutung für die künftigen Mienen. Wenn er läuft, so tut er es, weil er wachsen muß, maßen er noch nicht in dem Alter ist, wo man fühlt, daß die Arbeit Pflicht ist. Und wenn er zuweilen eine halbe Woche lang Tag und Nacht ausbleibt, so weiß er nicht, welchen Harm er uns zufügt, denn er hat ein gutes Herz und liebt uns.“
Klas schüttelte den Kopf und antwortete nichts, und da er schlief, weinte Soetkin für sich allein. Und am Morgen gedachte sie, daß ihr Sohn etwa an irgend einer Straßenecke krank läge, und trat auf die Türschwelle, um zu sehen, ob er nicht heimkehrte; aber sie sah nichts und setzte sich ans Fenster und schaute von da auf die Straße. Und manch liebes Mal hüpfte ihr das Herz in der Brust, wann sie den leichten Schritt eines Knaben hörte. Doch wenn er vorüberging, sah sie, daß es nicht Ulenspiegel war, und dann weinte sie, die betrübte Mutter.
Derweilen war Ulenspiegel mit seinen nichtsnutzigen Gefährten in Brügge auf dem Samstagsmarkt.
Da sah man Schuster und Schuhflicker in besonderen Buden, Kleiderhändler, Meisenfänger von Antwerpen, die nachts mit Hilfe einer Eule die Meisen fangen, Geflügelhändler, spitzbübische Hundefänger, Verkäufer von Katzenfellen für Handschuhe, Koller und Wämse, und Verkäufer jeglicher Art, Bürger und Bürgerfrauen, Knechte und Mägde, Brotbäcker, Kellermeister, Köche und Köchinnen. Und alle, Verkäufer und Kunden, priesen je nach ihrem Stande die Ware an oder setzten sie herab, lobten oder schalten sie.
In einer Ecke des Marktes war ein schönes Leinenzelt mit vier Pfosten aufgerichtet. Am Eingang stand ein Bauer aus der Ebene von Alost neben zwei Mönchen, die das Geld einnahmen; der wies dem neugierigen Frommen um einen Heller ein Stück vom Schulterknochen der heiligen Marie von Ägypten. Er grölte mit heiserer Stimme die Verdienste der Heiligen und ließ in seiner Ballade nicht aus, wie jene aus Mangel an Geld einen jungen Fergen in schöner Naturmünze zahlte, auf daß sie nicht wider den heiligen Geist sündigte, wenn sie jenem seinen Lohn vorenthielte.
Und die Mönche nickten mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß der Bauer wahr redete. Neben ihnen stand ein dickes rotes Weib, wollüstig wie Astarte, die blies mit Gewalt einen gräulichen Dudelsack, dieweil ein anmutig Mägdlein neben ihr wie eine Grasmücke sang. Über dem Eingang des Zeltes aber schaukelte an zwei Stangen, an den Henkeln von Stricken gehalten, ein Kübel mit Wasser, welches zu Rom geweiht war. So nämlich sang es die dicke Frau, indeß die beiden Mönche mit dem Kopfe wackelten, ihre Rede bekräftigend. Ulenspiegel betrachtete den Kübel und ward nachdenklich.
An einem der Zeltpfosten war ein Esel angebunden; der war mehr mit Heu denn mit Hafer gefüttert und schaute gesenkten Hauptes zu Boden, ohne Hoffnung, daß Disteln daraus emporwüchsen.
„Gefährten,“ sprach Ulenspiegel und wies mit dem Finger auf das dicke Weib, die beiden Mönche und den Trübsal blasenden Esel, „da die Herren so schön singen, muß man auch den Esel zum Tanzen bringen“.
So gesagt, ging er zur nächsten Bude, kaufte sich um einen Heller Pfeffer, hub dem Esel den Schwanz auf und rieb den Pfeffer darunter.
Da der Esel den Pfeffer verspürte, blickte er unter seinen Schwanz, woher ihm solche ungewohnte Wärme käme. Vermeinend, der feurige Teufel sei da, wollte er laufen, um ihm zu entrinnen, und hub an zu schreien und auszuschlagen und schüttelte den Pfosten aus allen Kräften. Der Kübel, der zwischen den Stangen hing, ergoß beim ersten Ruck all sein Weihwasser über das Zelt und die, so darinnen waren. Das Zelt aber sank alsbald zusammen und begrub die Leute, welche die Geschichte der ägyptischen Marie anhörten, mit einem feuchten Mantel.
Und Ulenspiegel und seine Genossen hörten lautes Geschrei und Klagen unter der Leinewand, denn die Frommen, so darunter waren, ziehen einander, daß sie den Kübel umgeschüttet hätten, ärgerten sich grün und gelb und schlugen sich mit grimmigen Faustschlägen. Die Leinewand hob sich unter der Anstrengung der Kämpfenden. Allemal, wenn Ulenspiegel eine runde Form sich darauf abzeichnen sah, stach er mit einer Nadel hinein. Dann gab es noch lauteres Geschrei unter der Leinewand und ward das Puffen noch grimmer.
Und er war sehr lustig und ward es noch mehr, als er sah, daß der Esel davonrannte und Leinewand, Kübel und Pfosten hinterdrein schleppte, dieweil der Besitzer des Zeltes mit Weib und Kind sich an das Gerümpel anklammerte. Der Esel konnte nicht mehr laufen, er hob das Maul in die Luft, und wenn er mit Schreien innehielt, war es, um unter seinem Schwanz nachzusehen, ob das Feuer darunter nicht bald erlosch.
Inzwischen setzten die Frommen ihre Schlacht fort. Die Mönche aber, ohne an sie zu denken, rafften das Geld auf, das aus dem Sammelkasten gefallen war, und Ulenspiegel half ihnen andächtig dabei und nicht ohne Nutzen.
Dieweil des Kohlenträgers nichtsnutziger Sohn an lustiger Bosheit zunahm, verkümmerte des erhabenen Kaisers kläglicher Sproß in dürrer Melancholie. Herren und Damen sahen den Schwächling, wie er durch die Gemächer und Wandelgänge zu Valladolid seinen gebrechlichen Leib und seine schlotternden Beine schleppte, welche nur mühsam die Last des dicken Kopfes mit den blonden Haarborsten trugen.
Immer suchte er die dunklen Gänge auf und saß stundenlang da mit gespreizten Beinen. Trat ihm irgend ein Diener aus Versehen darauf, so ließ er ihn peitschen und fand seine Lust daran, ihn bei den Schlägen schreien zu hören. Doch er lachte nicht.
Den nächsten Tag stellte er die nämliche Falle wo anders. Er setzte sich mit ausgestreckten Beinen in irgend einen Korridor, und die Damen, Herren oder Pagen, die mehr oder minder eilends dort vorbeikamen, stolperten über ihn, fielen und taten sich weh. Auch daran erlabte er sich, doch er lachte nicht.
Wenn einer von ihnen ihn anrannte und nicht fiel, so schrie er, als hätte man ihn geschlagen, und es war ihm eine Lust, ihren Schrecken zu sehen; doch er lachte nicht.
Seiner heiligen Majestät ward von diesen Anschlägen gemeldet, doch sie befahl, daß man des Infanten nicht achten solle; denn sie sagte, wenn er nicht wolle, daß man ihm auf die Beine träte, so solle er sich nicht da aufhalten, wo die Füße gingen. Solches mißfiel Philipp, doch er sagte nichts, und man sah ihn nicht mehr, es sei denn, daß er an einem hellen Sommertag in den Hof ging, um seinen fröstelnden Leib in der Sonne zu wärmen.
Eines Tages, da Karl aus dem Kriege heimkehrte, sah er ihn so, wie er Schwermut brütete.
„Mein Sohn,“ sprach er zu ihm, „wie verschieden bist Du doch von mir! In Deinen jungen Jahren war meine Kurzweil, auf Bäume zu klettern und den Eichkatzen nachzustellen. Ich ließ mich an einem Seil von einer Felsspitze herunter, um die jungen Adler aus ihrem Horste zu nehmen. Ich konnte bei diesem Spiel meine Knochen einbüßen, doch sie wurden um so fester. Auf der Jagd flüchteten die wilden Tiere ins Dickicht, wenn sie mich mit meinem guten Feuerrohr nahen sahen.“
„Ach,“ seufzte der Infant, „ich habe Bauchgrimmen, Herr Vater.“
„Der Wein von Paxaret“, sprach Karl, „ist ein treffliches Mittel dagegen.“
„Ich mag keinen Wein, ich habe Kopfweh, Herr Vater.“
„Mein Sohn,“ sprach Karl, „Du mußt laufen, springen und Dich tummeln, wie es die Kinder Deines Alters tun.“
„Meine Beine sind steif, Herr Vater.“
„Wie könnte es anders sein,“ sprach Karl, „da Du sie ja nicht mehr brauchst, als wenn sie von Holz wären. Ich werde Dich auf ein recht mutiges Pferd binden lassen.“
Der Infant weinte.
„Bindet mich nicht fest, Herr Vater,“ sprach er, „ich habe Kreuzschmerzen.“
„So hast Du denn überall Schmerzen?“ fragte Karl.
„Ich würde kein Leid spüren, wenn man mich in Ruhe ließe,“ entgegnete der Infant.
„Gedenkst Du,“ versetzte der Kaiser ungnädig, „Dein königliches Leben mit Grübelei zu verbringen wie die Schreiber? Mögen sie, um ihre Pergamente mit Tinte zu beschmieren, Ruhe, Einsamkeit und Sammlung haben. Du, Sohn des Schwertes, mußt heißes Blut, des Luchses Auge, die List des Fuchses und die Kraft des Herkules haben. Weshalb bekreuzigst Du Dich? Beim Blute Christi, es steht einem jungen Leuen nicht zu, die Paternoster plappernden Weiber nachzuäffen!“
„Der Angelus, Herr Vater,“ sprach der Infant.
Die Monde Mai und Junius waren im heurigen Jahre wahre Blütenmonde. Nie noch ward in Flandern so balsamischer Weißdorn, nie in den Gärten eine solche Fülle von Rosen, Jasmin und Gaisblatt erschaut. Wann der Wind, der von Engelland wehte, die Düfte dieses blühenden Landes gen Osten trieb, hub jedermann, sonderlich in Antwerpen, die Nase frohgemut in die Luft und sprach:
„Riechet Ihr den guten Wind, der aus Flandern weht?“
Derhalben sogen die emsigen Bienen den Honig aus den Blüten, machten Wachs und legten ihre Eier in die Bienenstöcke, welche nicht genügten, ihre Schwärme zu fassen. Ihr emsiges Summen tönte gleich wie Musik unter dem blauen Himmelszelt, das die Erde strahlend überspannte. Man machte Bienenkörbe aus Binsen, Stroh, Weiden, geflochtenem Heu, und die Korbmacher, Küper und Faßbinder machten ihre Werkzeuge dabei schartig. Was die Schreiner betraf, so konnten sie schon lange den Bedarf nicht mehr decken. Es gab Schwärme von dreißigtausend Immen und zweitausend siebenhundert Drohnen. Die Honigwaben waren so erlesen, daß der Dechant von Damm ob ihres seltenen Wohlgeschmacks eilf davon dem Kaiser Karl schickte, zum Danke dafür, daß er durch seine neuen Edikte die Heilige Inquisition wieder bekräftigt habe. Philipp verspeiste sie, doch sie taten ihm nicht gut.
Bettler, fahrendes Volk, Vaganten und all das Gesindel müßiger Taugenichtse, die ihre Faulheit allerwegen herumschleppen und sich lieber hängen lassen, denn arbeiten, kamen, vom Wohlgeschmack des Honigs angelockt, um ihr Teil davon zu haben. Nachts streiften sie zu Haufen umher.
Klas hatte Bienenkörbe gefertigt, um Schwärme herbeizulocken. Etliche waren voll, andre leer und harrten der Bienen. Er hielt die ganze Nacht Wache, um dies süße Gut zu hüten. Wenn er müde war, hieß er Ulenspiegel ihn ablösen. Der tat es gerne.
Nun hatte Ulenspiegel eines Nachts sich vor der Kühle in einen Bienenstock geflüchtet und blickte zusammengekauert durch die Löcher, deren zwei oben auf waren. Als er just einschlafen wollte, hörte er ein Knacken in den Büschen der Hecke und vernahm die Stimme zweier Männer, die er für Diebsleute hielt. Er schaute durch eine der Öffnungen und sah, daß alle beide langes Haar und einen langen Bart trugen, wiewohl der Bart das Abzeichen des Adels war.
Sie gingen von Korb zu Korb und kamen schließlich an den seinen. Ihn aufhebend, sprachen sie:
„Diesen wollen wir nehmen, denn es ist der schwerste.“
Und sie trugen ihn auf ihren Knütteln davon.
Ulenspiegel fand keine Freude daran, daß er im Bienenkorb fortgeschafft ward. Die Nacht war klar und die Diebe gingen, ohne ein Wörtlein zu sagen. Alle fünfzig Schritte hielten sie atemlos an, dann schritten sie weiter. Der Vordere brummte voll Wut, daß er eine so schwere Last tragen müsse. Der hinten ging, ächzte schwermütig. Denn es gibt in dieser Welt zwei Arten feiger Tagediebe, die einen, so auf die Arbeit schelten, und die andren, die stöhnen, wann es schaffen heißt.
Ulenspiegel, der nichts zu tun hatte, zog den vordersten Dieb an den Haaren, und den hintersten am Barte, und so kräftig, daß der Wütende des Spiels müde ward und zu dem Greiner sprach:
„Hör auf, mich an den Haaren zu raufen, oder ich gebe Dir eins mit der Faust auf den Kopf, also daß er Dir in die Brust fährt und Du durch Deine Rippen schaust wie ein Dieb durch sein Kerkergitter.“
„Ich würde es gar nicht wagen, Freund,“ sprach der Andre, „vielmehr bist Du es, der mich am Barte zupft.“
Der Wütende erwiderte:
„Ich mache nicht Jagd auf das Ungeziefer im Bart eines Aussätzigen.“
„Herr,“ sprach der Greiner, „laßt den Bienenkorb nicht so stark schwanken; meine unseligen Arme tragen ihn nimmer.“
„Ich werde sie Dir ganz und gar ausreißen“, entgegnete der Wüterich.
Da entledigte er sich seines Lederriemens, setzte den Korb nieder und sprang auf seinen Gefährten zu. Und sie prügelten sich, der eine fluchend, der andre um Gnade schreiend.
Ulenspiegel hörte die Püffe regnen, kroch hervor aus dem Korb, schleppte ihn bis zum nächsten Gehölz, um ihn allda wieder zu finden, und kehrte zu Klas heim.
Solchermaßen finden die Duckmäuser bei Zwistigkeiten ihren Nutzen.
Da Ulenspiegel fünfzehn Jahre alt war, errichtete er in Damm ein Zelt auf vier Pfählen und rief aus, daß von nun an jedermann sein gegenwärtiges und zukünftiges Wesen in einem schönen Rahmen von Stroh dargestellt sehen könne.
Wenn ein Rechtsgelehrter kam, recht dünkelhaft und geschwollen von seiner Bedeutung, steckte Ulenspiegel den Kopf aus dem Rahmen herfür, schnitt eine Fratze wie ein uralter Affe und sprach:
„Alter Muffel kann verfaulen, aber nicht gedeihen. Bin ich nicht trefflich Euer Spiegel, mein Herr mit der Pedantenmiene?“
So er einen kräftigen Kriegsmann zum Kunden hatte, verbarg er sich und zeigte anstelle seines Gesichtes inmitten des Rahmens ein Gericht von Fleisch und Brot. Und sprach:
„Die Schlacht wird Dich zu Suppe machen. Was gibst Du mir für mein Prognostikon, Du Freund der großmäuligen Kartaunen?“
Führte ein alter Mann, der sein greises Haupt ohne Würde trug, sein junges Weib zu Ulenspiegel, so versteckte sich der, wie er bei dem Söldner getan, und zeigte im Rahmen einen kleinen Strauch, daran Messergriffe, Kästlein, Kämme und Schreibzeug hingen, alles aus Horn. Und rief:
„Woher kommt dieser artige Tändelkram, Messire? Ist es nicht vom Hornbaum, welcher im Gehege alter Ehemänner wächst? Wer wird noch sagen, daß die Hahnreie in einer Republik unnütze Leute seien?“
Und Ulenspiegel zeigte sein junges Gesicht neben dem Strauch in dem Rahmen.
Da der alte Mann ihn hörte, hustete er vor männlicher Wut, doch seine Liebste beruhigte ihn mit der Hand und trat lächelnd zu Ulenspiegel.
„Und wirst Du mir auch meinen Spiegel zeigen?“
„Tritt näher“, sprach Ulenspiegel.
Sie gehorchte, und alsobald küßte er sie, wo er konnte.
„In Deinem Spiegel ist stramme Jugend, so in vornehmen Hosenlätzchen wohnt.“
Und die Schöne verließ ihn, nicht ohne ihm ein oder zwei Gülden zu geben.
Dem feisten Mönch mit den wulstigen Lippen, der sein jetziges und zukünftiges Wesen zu sehen begehrte, gab Ulenspiegel also Bescheid:
„Du bist ein Schrank voll Schinken und wirst ein Gewölbe für Würzbier sein, denn Salz heischt Getränke, nicht also, Dickbauch? Gib mir einen Heller dafür, daß ich nicht log.“
„Mein Sohn,“ erwiderte der Mönch, „wir tragen niemals Geld.“
„Dann also trägt das Geld Dich,“ sprach Ulenspiegel, „denn ich weiß, daß Du es zwischen zwei Sohlen unter Deinen Füßen trägst. Gib mir Deine Sandale.“
Doch der Mönch sprach:
„Mein Sohn, das ist Klostergut, ich werde jedoch, wenn es sein muß, zwei Heller für Deine Mühe herausholen.“
Der Mönch gab sie ihm und Ulenspiegel nahm sie gnädiglich an. Also zeigte er den Leuten von Damm, Brügge, Blankenberghe und wohl gar Ostende ihren Zukunftsspiegel.
Und statt in seiner vlämischen Mundart zu sagen. „Ick ben u lieden Spiegel“ — ich bin Euer Liebden Spiegel, sagte er abkürzend, so wie es noch heutigen Tages in Ost- und Westflandern gesagt wird: „Ick ben ulen Spiegel“.
Und daher stammt sein Beiname Ulenspiegel.
Da er größer ward, fand er Gefallen daran, sich auf Messen und Jahrmärkten zu tummeln. Wenn er einen Querpfeifer oder Geigenspieler oder einen Dudelsackpfeifer sah, so ließ er sich um einen Heller die Kunst lehren, diese Instrumenta zum Singen zu bringen.
Er ward sonderlich geschickt in der Kunst, den Rommelpot zu spielen, welches Instrument aus einer Blase, einem Topf und einem starken Strohhalm gemacht wird. Und so richtete er ihn her. Er zog die eingeweichte Blase über den Topf, band sie mit einer Schnur in der Mitte der Blase an den Knoten des Strohhalms, welcher den Boden des Topfes berührte, und um dessen Rand zog er dann die Blase, daß sie bis zum Platzen gespannt war. Am Morgen, wenn die Blase trocken war, gab sie, so man daraufschlug, einen Ton gleich wie ein Tamburin, und strich man das Stroh des Instrumentes, so brummte sie besser denn eine Bratsche. Mit diesem brummenden Topf, der gleich dem Gebell molossischer Hunde war, zog Ulenspiegel am Dreikönigtag vor den Haustüren um und sang Weihnachtslieder mit einer Schar von Kindern, deren eins einen Stern aus güldnem Papier trug.
Kam irgend ein Malermeister nach Damm, um die Glieder einer Gilde, so auf dem Bild niederknieten, zu konterfeien, so bat Ulenspiegel, daß er ihm die Farben reiben dürfte, damit er ihm seine Arbeit absähe, und wollte keinen andern Lohn nehmen denn eine Schnitte Brot, drei Heller und einen Schoppen Kräuterbier. Dieweil er sich mit Farbenreiben abgab, studierte er seines Meisters Weise. Ging jener fort, so versuchte er es ihm gleich zu tun, doch er setzte überall Scharlach hin. Er versuchte Klas, Soetkin, Katheline und Nele abzumalen, desgleichen Kannen und Kochtöpfe. Klas prophezeite beim Anblick seiner Werke, wenn er sich wacker hielte, so würde er eines Tages die Gulden zu Dutzenden verdienen durch Inschriften auf den Speelwaagen, die in Flandern und Seeland zu Lustbarkeiten dienen.
Desgleichen lernte er von einem Meister Steinmetz Holz und Stein schneiden, als dieser kam, um im Chor der Frauenkirche einen Chorstuhl zu zimmern, der so beschaffen war, daß der Dechant, ein alter Mann, sich, wenn nötig, darauf setzen konnte und doch den Anschein hatte, als ob er stünde.
Ulenspiegel schnitzte den ersten Messergriff, dessen sich die Leute von Seeland bedienen. Er machte diesen Griff in Gestalt eines Käfigs; darinnen befand sich ein beweglicher Totenkopf, darüber ein liegender Hund. Diese Wahrzeichen bedeuten: „Getreu bis in den Tod“.
Und also begann Ulenspiegel die Weissagung Kathelines wahr zu machen, dieweil er sich als Maler, Bildschnitzer, Bauer und Edelmann erwies, denn vom Vater auf den Sohn trugen die Klase drei silberne Kannen auf einem Grunde von Braunbier. Doch Ulenspiegel war in keinem Handwerk beständig, und Klas sagte zu ihm, wenn dies Spiel andauerte, so würde er ihn aus der Hütte jagen.
Als der Kaiser vom Kriege heimkehrte, fragte er, warum sein Sohn Philipp nicht gekommen sei, ihn zu begrüßen.
Der Erzbischof, des Infanten Erzieher, gab zur Antwort, daß dieser es nicht gewollt hätte, denn er liebte, so sagte er, nur Bücher und Einsamkeit. Der Kaiser erkundigte sich, wo er zur Stunde weilte. Der Erzieher antwortete, daß man ihn überall suchen müßte, wo es dunkel sei. Und das taten sie.
Nachdem sie eine gute Zahl Säle durchschritten, kamen sie zuletzt zu einer Art Kammer ohne Steinfliesen, die durch eine Dachluke erhellt war. Da sahen sie einen Pfahl in den Boden getrieben und daran eine ganz kleine, zierliche Meerkatze um den Leib angebunden. Die war dereinst von Indien gesandt, um ihn durch ihre jugendliche Kurzweil zu erfreuen. Am Fuße des Pfahles rauchten rot glimmende Holzscheite und in der Kammer war ein ekler Gestank von verbranntem Haar.
Das Tierlein hatte so sehr gelitten, als es in diesem Feuer stak, daß sein kleiner Körper nicht mehr eines Tieres Leib schien, das Leben gehabt, sondern der Überrest einer knorrigen, verzerrten Wurzel. Sein Mund stand offen wie im Todesschrei, man sah blutigen Schaum und das Wasser seiner Tränen benetzte sein Antlitz.
„Wer hat dies getan?“ fragte der Kaiser.
Der Erzieher wagte keine Antwort zu geben und alle beide blieben stumm, traurig und voller Zorn.
Plötzlich drang durch die Stille ein schwaches Husten, welches aus einer dunklen Ecke hinter ihnen kam. Seine Majestät drehte sich um und erblickte dort den Infanten Philipp, welcher ganz schwarz gekleidet war und eine Zitrone aussog.
„Don Philipp,“ sprach er, „komm und begrüße mich.“
Ohne sich zu rühren, sah der Infant ihn mit seinen furchtsamen Augen an, darin keine Liebe war.
„Bist Du es, der dieses Tierlein an diesem Feuer verbrannt hat?“ fragte der Kaiser.
Der Infant senkte den Kopf.
Da sprach der Kaiser:
„Warst Du grausam genug, es zu tun, so sei tapfer genug, es einzugestehen.“
Der Infant gab keine Antwort.
Der Kaiser riß ihm die Zitrone aus der Hand und wollte seinen Sohn schlagen. Der Erzbischof wehrte ihm und sagte ihm ins Ohr:
„Hoheit wird eines Tages ein großer Ketzerverbrenner sein.“
Der Kaiser lächelte und ließ den Infanten mit seiner Meerkatze allein.
Der November war gekommen, der Reifmond, wo sich die Hustenden an der Musik des Ausspeiens ergötzen. Es ist auch der Monat, da die Buben sich haufenweis auf den Rübenfeldern tummeln und plündern, so viel sie vermögen, zum großen Zorne der Bauern, die vergebens mit Knütteln und Forken hinterdreinlaufen.
Eines Tages nun, da Ulenspiegel vom Räubern heimkam, vernahm er nicht weit in einer Zaunecke ein Stöhnen. Er bückte sich und sah auf etlichen Steinen einen Hund liegen.
„Holla,“ sprach er, „kleines jammerndes Vieh, was treibst Du da so spät?“
Dieweil er den Hund streichelte, fühlte er, daß sein Rücken feucht war, und er dachte, daß man ihn hätte ertränken wollen. Er nahm ihn auf den Arm, um ihn wieder zu erwärmen.
Als er ins Haus trat, fragte er:
„Ich bringe einen Verwundeten mit: was soll ich tun?“
„Ihn verbinden“, erwiderte Klas.
Ulenspiegel setzte den Hund auf den Tisch. Da sahen Klas, Soetkin und er bei dem Lichte der Lampe einen kleinen Luxemburgischen Rattenfänger, welcher auf dem Rücken verletzt war. Soetkin wusch die Wunde mit einem Schwamm aus, bestrich sie mit Balsam und umwickelte sie mit Linnen. Ulenspiegel trug das Tier in sein Bett, wiewohl Soetkin es in dem ihren haben wollte. Denn sie fürchtete, sagte sie, Ulenspiegel, der sich damals herumwarf wie ein Teufel in einem Weihwasserbecken, möchte den Hund im Schlafe verletzen.
Doch Ulenspiegel tat, was er wollte, und pflegte seiner so gut, daß der Verwundete binnen sechs Tagen mit der ganzen Selbstgefälligkeit der Köter einherlief.
Und der Schulmeister nannte ihn Titus Bibulus Schnuffius: Titus zur Erinnerung an den guten römischen Kaiser, welcher herrenlose Hunde gern auflas, Bibulus, maßen der Hund das Braunbier gleich wie ein Trunkenbold liebte, und Schnuffius, dieweil er seine Nase ohn Unterlaß in die Löcher der Ratten und Maulwürfe steckte.
Am Ende der Frauengasse standen zwei Weiden am Rand eines tiefen Wassers einander gegenüber. Zwischen beiden zog Ulenspiegel ein Seil, darauf er eines Sonntags Nachmittags nach der Vesper tanzte, und das so gut, daß ihm der ganze Haufe der Müßiggänger mit Hand und Stimme Beifall zollte. Dann stieg er von seinem Seil hinunter und hielt jedermann einen Teller dar, welcher bald mit Gelde gefüllt war. Er aber leerte ihn in Soetkins Schürze und behielt nur eilf Heller für sich.
Am anderen Sonntag wollte er wiederum auf dem Seil tanzen, doch etliche nichtsnutzige Buben, die ihm seine Behendigkeit neideten, hatten einen Schnitt in das Seil gemacht, also daß es nach wenig Sprüngen zerriß und Ulenspiegel ins Wasser fiel.
Dieweil er schwamm, um das Ufer zu gewinnen, schrieen die tapferen kleinen Seilschneider:
„Wie steht es mit Deiner behenden Gesundheit, Ulenspiegel? Willst Du die Karpfen auf dem Grunde des Teichs tanzen lehren, Du unvergleichlicher Tänzer?“
Ulenspiegel stieg aus dem Wasser, schüttelte sich und schrie ihnen zu, denn sie liefen davon, aus Furcht vor Prügel:
„Fürchtet Euch nicht; kommt den nächsten Sonntag wieder, da will ich Euch Künste auf dem Seil zeigen und Ihr sollt Euren Teil am Gewinst haben.“
Am Sonntag darnach hatten die Buben sich wohl gehütet, das Seil durchzuschneiden, und hielten rund herum Wacht, aus Furcht, daß irgend wer daran rührte, denn es war viel Volks zugegen.
Ulenspiegel sprach zu ihnen:
„Gebt mir ein jeglicher einen Eurer Schuhe, und ich wette, ich tanze mit jedem einzelnen, so groß und klein sie auch seien.“
„Was zahlst Du uns, wenn Du verlierst?“ fragten sie ihn.
„Vierzig Kannen Braunbier,“ erwiderte Ulenspiegel, „und Ihr sollt mir drei Heller bezahlen, so ich gewinne.“
„Wohl“, sprachen sie.
Und sie gaben ihm männiglich einen ihrer Schuhe. Ulenspiegel tat sie alle in seine Schürze, und so beladen, tanzte er auf dem Seil, doch nicht ohne Mühe.
Die Seilzerschneider schrieen von unten:
„Du hast gesagt, daß Du mit jedem unserer Schuhe tanzen willst. Zieh sie also an und halte Dein Wort.“
Ulenspiegel tanzte immerfort und antwortete:
„Ich habe nicht gesagt, daß ich Eure Schuhe anziehen will, wohl aber, daß ich mit Ihnen tanzen will. Nun tanz ich und alles tanzt mit mir in meiner Schürze. Seht Ihr es nicht mit Euren weit aufgesperrten Froschaugen? Zahlt mir meine drei Heller.“
Sie aber verhöhnten ihn und schrieen, er solle ihnen ihre Schuhe zurückgeben.
Ulenspiegel warf sie ihnen zu, einen nach dem andren, auf einen Haufen. Darob entstand ein wildes Getümmel, denn keiner von ihnen konnte aus dem Haufen seinen Schuh herausfinden, noch ohne Widerspruch nehmen.
Da stieg Ulenspiegel vom Seil und begoß die Kämpfenden, aber nicht mit klarem Wasser.
Da der Infant fünfzehn Jahre alt war, streifte er nach seiner Gewohnheit durch die Gänge, Treppenflure und Gemächer des Schlosses. Am häufigsten aber sah man ihn um die Gemächer der Damen umherstreifen, um den Pagen einen Schabernack zu spielen, denn sie lagen gleich ihm auf den Fluren wie Katzen auf der Lauer.
Andere, so im Hofe standen, sangen mit der Nase in der Luft ein zärtliches Lied. Wenn der Infant sie hörte, so trat er an ein Fenster und erschreckte die armen Pagen, welche seine bleiche Larve anstatt der zärtlichen Augen ihrer Schönen erblickten.
Unter den Damen des Hofes war eine holdselige Vlämin aus Dudzeele bei Damm, von hübscher Fülle, eine köstliche reife Frucht und wundersam schön; denn sie hatte grüne Augen und rotes Kraushaar, welches in der Sonne wie Gold gleißte. Von heiterer Laune und feurigem Gemüt, verhehlte sie keinem ihre Neigung für den glücklichen Ritter, dem sie auf ihrem schönen Eigentum das himmlische Privilegium freier Liebe verlieh. Zu der Zeit war es ein hochgemuter, schöner Jüngling, den sie liebte. Alle Tage zur besprochenen Stunde traf sie ihn, welches Philipp zu Ohren kam.
Er setzte sich auf eine Bank, die an einem Fenster stand, und spähte nach ihr aus. Sie ging an ihm vorbei in ihrem Staatskleid von gelbem Brokat, das um sie herrauschte, das Auge voll Leben, den Mund halb geöffnet, munter und frisch dem Bade entstiegen. Da sie den Infanten sah, sagte er zu ihr, ohne sich von seiner Bank zu erheben:
„Señora, könntet Ihr nicht einen Augenblick verweilen?“
Ungeduldig wie eine Stute, die zu dem schönen Hengst rennen will, der auf der Wiese wiehert, und im vollen Lauf aufgehalten wird, sprach sie:
„Hoheit, ein jeder muß hier Eurem fürstlichen Willen gehorchen.“
„Setzet Euch neben mich“, sprach er. Und dieweil er sie lüstern, hart und verschlagen anblickte, fuhr er fort: „Sagt mir das Paternoster auf vlämisch her; man hat es mich gelehrt, doch ich habe es vergessen.“
Die arme Dame mußte also ein Pater hersagen, und er hieß sie es langsamer zu sprechen. Und so zwang er die Ärmste, an die zehn Gebete zu sprechen, wo sie die Stunde für andre Oremus gekommen wähnte. Darnach lobte er sie, sprach von ihren schönen Haaren, ihren lebhaften Farben, ihren hellen Augen. Doch er wagte nicht, ihr etwas über ihre vollen Schultern, ihren runden Busen, noch über andere Dinge zu sagen.
Wie sie nun wähnte, sich beurlauben zu dürfen, und schon in den Hof blickte, wo gewißlich ihr Ritter harrte, forschte er sie aus, ob sie auch wisse, welches die Tugenden der Frau seien. Da sie keinen Bescheid gab, aus Furcht, nicht das rechte zu treffen, sprach er für sie und sagte wie ein Vormund:
„Frauentugenden sind Keuschheit, Sorge um die Ehre und ein sittiges Leben.“
Auch riet er ihr, sich ziemlich zu kleiden, und alles, was ihr zu eigen gehörte, wohl zu verbergen.
Sie nickte bejahend mit dem Kopf und sagte, daß sie sich für seine Allernördlichste Hoheit lieber mit zehn Bärenfellen, denn mit einer Elle Musselin bedecken würde.
Da sie ihn durch diese Antwort verdutzt gemacht hatte, entwich sie mit Freuden.
Jedoch das Feuer der Jugend war auch in der Brust des Infanten entzündet; aber es war nicht das rasche Feuer, das die starken Seelen zu hohen Taten treibt, noch die sanfte Glut, die zärtlichen Herzen Tränen entlockt. Es war eine düstere Lohe, der Hölle entstiegen, allwo sie sonder Zweifel Satan entfacht hatte. Sie glänzte in seinen grauen Augen wie im Winter der Mond auf einem Beinhaus, und brannte ihn grausam.
Da er keine Liebe für die Anderen fühlte, der arme Duckmäuser, wagte er nicht, sich den Damen anzubieten. Dann ging er in einen abgelegenen Winkel, eine kleine, weiß getünchte Kammer, die durch schmale Fenster erleuchtet war, allwo er sein Naschwerk zu verspeisen pflegte. Und die Fliegen kamen in Haufen dorthin um der Krumen willen. Dort liebkoste er sich selbst und zerquetschte ihnen langsam den Kopf an den Scheiben, und tötete sie zu Hunderten, bis seine Finger zu stark zitterten, um sein blutiges Geschäft fortzusetzen. Und er fand eine widrige Lust an dieser grausamen Kurzweil; denn Wollust und Grausamkeit sind zwei schändliche Schwestern. Und er verließ diesen Winkel trauriger denn zuvor, und Männlein und Weiblein flohen, wo sie es vermochten, das Antlitz dieses Prinzen, das so bleich war, als hätte er sich von Wundpilzen genährt.
Und der klägliche Prinz litt, denn böses Herz bringt Schmerz.
Die schöne holdselige Frau verließ eines Tages Valladolid, um nach ihrem Schlosse Dudzeele in Flandern zu reisen. Da sie nun, von ihrem fetten Kellermeister gefolgt, durch Damm kam, sah sie einen jungen Burschen von fünfzehn Jahren an der Mauer einer Hütte sitzen und den Dudelsack spielen. Vor ihm stand ein rotbrauner Hund, welcher diese Musik nicht liebte und melancholisch heulte. Die Sonne schien hell. Neben dem jungen Gesellen stand ein artig Mägdlein und lachte bei jeglichem Klaggeheul des Hundes.
Da die schöne Dame und der Kellermeister an der Hütte vorbei kamen, betrachteten sie den blasenden Ulenspiegel, die lachende Nele und den heulenden Titus Bibulus Schnuffius.
„Du böser Bube,“ sprach die Dame zu Ulenspiegel, „könntest Du nicht aufhören, diesen armen Hund also zum Heulen zu bringen?“ Aber Ulenspiegel schaute sie an und blies seinen Dudelsack noch tapferer. Und Bibulus Schnuffius heulte noch melancholischer, und Nele lachte noch lauter.
Der Kellermeister geriet in Zorn und sagte zu der Dame, auf Ulenspiegel weisend:
„Wenn ich diese Bettelbrut mit meiner Degenscheide durchfuchtelte, so würde sie aufhören, solch unverschämten Lärm zu machen.“
Ulenspiegel schaute den Kellermeister an, nannte ihn ob seines Bauches Jan Fressack und fuhr fort, auf seinem Dudelsack zu blasen. Der Kellermeister trat auf ihn zu und bedrohte ihn mit der Faust; aber Bibulus Schnuffius stürzte auf ihn los und biß ihm ins Bein. Der Kellermeister fiel vor Angst nieder und schrie:
„Zu Hilfe!“
Lächelnd sprach die Dame zu Ulenspiegel:
„Könntest Du mir nicht sagen, Dudelsackpfeifer, ob der Weg, der von Damm nach Dudzeele führt, nicht verändert ist?“
Ulenspiegel schüttelte den Kopf, ohne im Spielen aufzuhören, und schaute die Dame an.
„Was hast Du, mich so anzustaunen?“ fragte sie.
Doch er, immerdar weiterspielend, riß die Augen auf, als ob er vor Bewunderung schier verzückt wäre.
Sie sprach zu ihm:
„Schämst Du Dich nicht, so jung Du bist, die Damen also anzugaffen?“
Ulenspiegel ward ein wenig rot, blies weiter und sah sie noch mehr an.
„Ich fragte Dich,“ hub sie abermals an, „ob der Weg, der von Damm nach Dudzeele führt, nicht verändert ist?“
„Er grünt nicht mehr, seit Ihr ihn des Glückes beraubt, Euch zu tragen“, erwiderte Ulenspiegel.
„Willst Du mich führen?“ fragte die Dame.
Doch Ulenspiegel blieb sitzen und betrachtete sie unverwandt. Und ob sie ihn gleich als Schalk erkannte, wußte sie, daß sein Spiel nichts als Jugend war, und verzieh ihm gerne. Er erhob sich und wollte ins Haus gehen.
„Wohin gehst Du?“ fragte sie.
„Meine Sonntagskleider anlegen“, erwiderte er.
„Geh“, sagte die Dame.
Alsdann setzte sie sich auf die Bank neben der Schwelle, und der Kellermeister tat wie sie. Sie wollte mit Nele sprechen, die aber antwortete ihr nicht, denn sie war eifersüchtig.
Ulenspiegel kehrte wohlgewaschen und in Barchend gekleidet zurück. Er sah schmuck aus in seinem Sonntagsstaat, der Bursche.
„Gehst Du wirklich mit dieser schönen Dame?“ fragte ihn Nele.
„Ich komme bald wieder“, antwortete Ulenspiegel.
„Soll ich an Deiner statt gehen?“ fragte Nele.
„Nein,“ sprach er, „die Wege sind schmutzig“.
„Mägdlein,“ sprach die Dame erzürnt und gleichfalls eifersüchtig, „warum willst Du ihn hindern, mit mir zu gehen?“
Nele gab ihr keine Antwort, doch große Tränen entquollen ihren Augen, und voll Zorn und Harm sah sie die schöne Dame an. Sie machten sich ihrer Vier auf den Weg, die Dame gleich einer Königin auf ihrem weißen, mit schwarzem Sammet gezäumten Zelter, der Kellermeister, dem der Bauch im Wandern wackelte, Ulenspiegel, der den Zelter der Dame am Zügel führte, und Bibulus Schnuffius, der ihm zur Seite schritt und den Schwanz stets in der Luft trug.
Also ritten und wanderten sie eine Weile, doch Ulenspiegel war nicht guter Dinge. Stumm wie ein Fisch zog er den feinen Benzoeduft ein, der von der Dame ausging, maß von der Seite all ihre schönen Nesteln, seltenen Kleinodien und Zierarten, desgleichen ihr holdes Angesicht, ihre glänzenden Augen, ihre bloße Brust und die Haare, die in der Sonne gleich einer Goldhaube schimmerten.
„Weshalb bist Du so wortkarg, Bube?“ fragte sie.
Er gab keine Antwort.
„Du hast doch nicht so ganz die Zunge in den Schuhen stecken, daß Du mir nicht eine Botschaft ausrichten könntest?“
„Laßt hören“.
„Du mußt mich hier lassen und nach Koolkerke gehen, nach der Leeseite, und einem Edelmann, welcher halb schwarz und halb rot gekleidet ist, bestellen, er möge mich heut nicht erwarten. Doch am Sonntag um zehn Uhr Nachts, da soll er durch das Ausfallspförtchen in mein Schloß kommen“.
„Ich werde nicht gehen“, sprach Ulenspiegel.
„Warum nicht?“ fragte die Dame.
„Nein, ich gehe nicht“, sagte Ulenspiegel zum andren Mal.
Die Dame sprach zu ihm:
„Du kleiner zorniger Hahn, was flößt Dir solchen trotzigen Willen ein?“
„Ich werde nicht gehen“, sprach Ulenspiegel.
„Wenn ich Dir einen Gülden gäbe?“
„Nein“.
„Einen Dukaten?“
„Nein“.
„Einen Karolustaler?“
„Nein“, sagte Ulenspiegel abermals. „Und dennoch“, fügte er mit Seufzen hinzu, „hätt’ ich ihn lieber denn eine Muschelschale in meiner Mutter Geldkatze“.
Die Dame lächelte, dann rief sie mit einem Male:
„Ich habe meine schöne und kostbare Gürteltasche verloren, aus starrer Seide und mit feinen Perlen bestickt. In Damm hing sie noch an meinem Gürtel.“
Ulenspiegel rührte sich nicht, doch der Kellermeister trat herzu.
„Herrin,“ so sprach er, „schickt nicht diesen jungen Spitzbuben auf die Suche danach, denn Ihr sähet ihn niemals wieder“.
„Und wer wird also gehen?“
„Ich,“ antwortete er, „meinen hohen Jahren zum Trotz.“ Und er ging von dannen.
Es läutete Mittag, die Hitze war groß, tief die Einsamkeit. Ulenspiegel sagte kein Wörtlein, doch er zog sein neues Wams aus, auf daß sich die Dame im Schatten einer Linde setzen könnte, ohne die Kühle des Grases zu fürchten. Er aber blieb seufzend neben ihr stehen.
Sie blickte ihn an, und es erbarmte sie des schüchternen Knaben. Sie fragte ihn, ob er es nicht müde sei, so auf seinen allzu jungen Beinen zu stehen. Er erwiderte kein Wörtlein, und als er sich neben sie niederfallen ließ, wollte sie ihn auffangen und zog ihn auf ihre nackte Brust; da blieb er so gern liegen, daß sie vermeint hätte, die Sünde der Grausamkeit zu begehen, wenn sie ihm ein ander Schlummerkissen angewiesen hätte.
Indeß der Kellermeister kam zurück und vermeldete, er habe die Gürteltasche nicht gefunden.
„Ich fand sie selbst wieder,“ entgegnete die Dame, „da ich vom Pferde stieg, denn wie ich sie loshakte, war sie am Steigbügel hangen geblieben. Jetzo geleite uns nach Dudzeele,“ gebot sie Ulenspiegel, „und sage mir, wie du heißest“.
„Mein Schutzpatron ist der heilige Herr Thylbert, das bedeutet, leichtfüßig, um den guten Dingen nachzulaufen. Mein Vater heißt Klas und mich heißen sie Ulenspiegel. So Ihr Euch in meinem Spiegel betrachten wollt, werdet Ihr merken, daß in diesem ganzen Lande Flandern keine Blume von so blendender Schönheit ist wie Eure duftende Anmut“.
Die Dame errötete vor Vergnügen und war Ulenspiegel nicht gram.
Und Soetkin und Nele weinten ob seines langen Verweilens.
Da Ulenspiegel von Dudzeele heimkehrte, sah er vor der Stadt Nele an einem Zaun lehnen. Sie pflückte von einer blauen Weintraube die Beeren ab und biß eine nach der andern durch. Sonder Zweifel war ihr solches eine Erfrischung und Ergötzung, doch sie ließ kein Vergnügen erkennen. Sie schaute im Gegenteil bös drein und riß die Beeren zornig von der Traube. Sie war so voller Harm und hatte solch betrübtes, trauriges und holdseliges Antlitz, daß Ulenspiegel von verliebtem Mitleid erfaßt ward. Er trat vergnügt hinter sie und gab ihr einen Kuß auf den Nacken. Sie aber verabreichte ihm als Gegengabe eine tüchtige Maulschelle.
„Ich sehe darum nicht klarer“, sprach Ulenspiegel.
Sie weinte und schluchzte.
„Nele,“ sprach er, „willst Du jetzo Springbrunnen am Eingang der Dörfer errichten?“
„Geh Deiner Wege“, gebot sie.
„Ich kann doch nicht gehen, wenn Du also weinst, Liebchen.“
„Ich bin kein Liebchen und ich weine nicht“, sprach Nele.
„Nein, Du weinst nicht, doch es kommt gleichwohl Wasser aus Deinen Augen.“
„Willst Du wohl fortgehen?“
„Nein,“ sprach er.
Derweil faßte sie ihre Schürze mit ihren zitternden Händlein und zerriß sie in Fetzen, und Tränen flossen darauf und benetzten sie.
„Nele,“ fragte Ulenspiegel, „wird bald schön Wetter?“
Und er blickte sie mit gar verliebtem Lächeln an.
„Warum fragst Du mich also?“ sprach sie.
„Weil, wenn es schön ist, es nicht regnet.“
„Geh fort zu Deiner schönen Dame im Brokatkleid, die hast Du ja genugsam zum Lachen gebracht.“
Da sang Ulenspiegel:
„Schlechter Mann, Du spottest mein noch!“
„Nele,“ sprach Ulenspiegel, „ich bin ein Mann, doch kein schlechter Bürgerlicher, denn unser edles Geschlecht aus Schöffenstand hat drei silberne Kannen auf einem Grunde von Braunbier. Nele, ist’s wahr, daß man im Lande Flandern, wenn man Küsse säet, Maulschellen erntet?“
„Ich will Dir nicht Rede stehen,“ sprach Nele.
„Warum öffnest Du alsdann den Mund, es mir zu sagen?“
„Ich bin bös“, sprach sie.
Ulenspiegel gab ihr einen leichten Schlag in den Rücken und sagte:
„Küßt die Magd, so schlägt sie Euch, schlagt die Magd, so salbt sie Euch. Salbe mich also Liebchen, da ich Dich schlug.“
Nele wandte sich um. Er tat die Arme auf, und sie warf sich, noch weinend, hinein und sprach:
„Du gehst nimmer mehr dorthin, nicht wahr, Thyl?“
Doch er gab keine Antwort, denn er mußte ihre armen zitternden Finger drücken und mit seinen Lippen ihre heißen Zähren abtrocknen, welche gleich den großen Tropfen eines Gewitterregens aus Neles Augen fielen.
Zur nämlichen Zeit weigerte Gent, die Edle, ihre Beisteuer zu der Hilfe, die ihr Sohn Karl, der Kaiser, von ihr heischte. Sie vermochte es nicht, denn sie war durch Karls Schuld von Geld entblößt. Das war eine große Missetat, und er beschloß bei sich, selbst zu gehen, um sie zu züchtigen. Denn der Stock eines Sohnes bereitet dem Rücken der Mutter mehr Schmerz denn jeglicher andre.
König Franz mit der langen Nase, sein Feind, bot ihm an, durch das Land Frankreich zu reisen. Solches tat Karl, und anstatt dorten als Gefangener festgehalten zu werden, ward er kaiserlich gefeiert und auf Händen getragen. Denn es ist ein fürstliches Übereinkommen, sich gegen die Völker beizustehen.
Karl verweilte lange Zeit in Valenciennes, ohne irgend ein Zeichen des Unwillens zu geben. Gent, seine Mutter, lebte ohne Furcht in dem Glauben, der Kaiser, ihr Sohn, würde ihr verzeihen, daß sie nach Recht und Sitte gehandelt hatte.
Karl rückte mit viertausend Mann unter die Mauern der Stadt. Alba begleitete ihn, desgleichen der Prinz von Oranien. Das niedre Volk und die kleinen Gewerke hätten gern diesen Einzug des Sohnes gehindert und die achtzigtausend Mann aus der Stadt und vom Land aufgebracht; die Reichen aber, Hoogporters genannt, widersetzten sich dem aus Furcht vor der Übermacht des Volkes. Dennoch hätte Gent solcherart seinen Sohn mitsamt seinen viertausend Pferden in Stücke hacken können. Doch die Stadt liebte ihn, und selbst die kleinen Gewerke hatten wieder Vertrauen gefaßt. Auch Karl liebte sie, doch um des Geldes willen, das er von ihr in seinen Truhen hatte und von dem er noch ein Übriges begehrte.
Da er sich zum Herrn von Gent gemacht hatte, stellte er allerorten Posten auf und ließ bei Tag und Nacht Ronden durch die Stadt streifen. Alsdann sprach er mit großem Pomp ihr Urteil.
Die vornehmsten Bürger sollten mit dem Strick um den Hals vor seinen Thron treten und Abbitte tun. Gent ward der einträglichsten Verbrechen bezichtigt, als da sind: Untreue, Vertragsbruch, Ungehorsam, Aufstand, Rebellion und Majestätsbeleidigung. Der Kaiser erklärte jegliche Rechte, Privilegien, Freiheiten, Satzungen und Bräuche für abgeschafft. Die Zukunft bindend, gleich als wäre er der Herrgott selbst, setzte er fest, daß von nun an seine Nachfolger, wann sie zur Herrschaft gelangten, schwören sollten, nichts zu beobachten, es sei denn die Karolinische Konzession der Abhängigkeit, die er der Stadt auferlegt.
Er hieß die Abtei von Sankt Baro dem Erdboden gleichmachen, um dort eine Feste zu errichten, von wo er nach Lust die Brust seiner Mutter mit Kugeln durchbohren konnte. Als guter Sohn, dem es eilte zu erben, ließ er alles Vermögen von Gent einziehen: Einkünfte, Häuser, Geschütze und Kriegsmunition. Da er die Stadt allzuwohl verwahrt fand, ließ er den Roten Turm, den Krötenturm, die Braamport, Steenpoort, Waalpoort, Ketelpoort niederreißen, und viele andre, so wie Kleinodien aus Stein gebildet waren.
Wenn nachmals Fremde nach Gent kamen, sprachen sie unter einander: „Was ist diese Stadt flach und öde, von der man Wunders viel gesagt.“
Und die von Gent antworteten: „Kaiser Karl hat der Stadt ihren kostbaren Gürtel genommen.“
Und wenn sie so sprachen, waren sie voll Schmerz und Grimm. Und aus den Trümmern der Tore nahm der Kaiser Ziegelsteine für seine Festen.
Er wollte, daß Gent arm wäre, denn solchermaßen würde es weder durch Arbeit und Gewerbfleiß noch durch Geld seinen hochfahrenden Plänen widerstehen können. Er verurteilte also die Stadt, den verweigerten Anteil zur Beihilfe mit vierhunderttausend Goldgülden zu zahlen und des Mehreren hundert und fünfzigtausend Karolus einmal zu zahlen, dazu alljährlich sechstausend an fortlaufenden Zinsen. Sie hatte ihm Geld dargeliehen, und er schuldete ihr dafür einen Zins von hundertundfünfzigtausend Gülden vlämisch. Er ließ sich mit Gewalt die Schuldurkunden zurückgeben, und indem er also seine Schuld beglich, bereicherte er sich erklecklich.
Gent hatte ihn geliebt und ihm zu vielen Malen geholfen, doch er stieß ihm einen Dolch in die Brust und suchte Blut, dieweil er nicht Milch genug darinnen fand.
Darnach richtete er den Blick auf Roeland, die schöne Glocke, und an ihrem Klöppel ließ er Den henken, welcher Sturm geläutet hatte, um die Stadt zur Wahrung ihrer Rechte zu rufen. Er hatte kein Erbarmen mit Roeland, seiner Mutter Zunge, durch welche sie zu Flandern sprach, Roeland, die stolze Glocke, die von sich selber sagte:
Maßen er fand, daß seine Mutter allzulaut redete, nahm er die Glocke fort. Und Die vom Lande sagten, daß Gent tot sei, denn ihr Sohn habe ihr mit eisernen Zangen die Zunge ausgerissen.
In den klaren und frischen Lenztagen, da die Erde voller Liebe ist, plauderte Soetkin am offenen Fenster und Klas summte einen Kehrreim, dieweil Ulenspiegel dem Titus Bibulus Schnuffius ein Richterbarett aufgesetzt hatte. Der Hund arbeitete mit den Pfoten, gleich als wolle er einen Haftbefehl auswirken, doch es geschah nur, um sich seiner Kopfbedeckung zu entledigen.
Plötzlich schloß Ulenspiegel das Fenster, lief in das Zimmer und sprang auf Stühle und Tische, indeß er die Hände nach der Decke ausstreckte. Soetkin und Klas gewahrten, daß er sich so unsinnig gebärdete, um ein Vöglein zu erhaschen, ein gar zierliches, kleines, das mit zitternden Flügeln an einem Balken im Winkel der Decke geduckt saß und aus Furcht schrie.
Ulenspiegel wollte es ergreifen, da sprach Klas mit Nachdruck zu ihm:
„Warum springst Du also?“
„Um ihn zu greifen,“ sprach Ulenspiegel, „in einen Käfig zu setzen und ihm Körner zu schütten, auf daß er für mich singe.“
Indessen schrie der Vogel vor Angst, flatterte im Zimmer umher und stieß mit dem Kopf wider die Fensterscheiben. Ulenspiegel ließ nicht ab, zu springen. Da legte Klas ihm die Hand schwer auf die Schulter und sprach:
„Fang ihn, setz ihn in einen Käfig und laß ihn für Dich singen. Doch ich werde Dich auch in einen Käfig tun, der mit guten Eisenstangen verschlossen ist, und werde Dich singen machen. Du läufst gern; das wirst Du nicht mehr können; Du wirst im Schatten sein, wenn Dich friert, in der Sonne, wenn Dir heiß ist. Dann werden wir eines Sonntags ausgehen und vergessen, Dir Futter zu geben, und nicht eher denn Donnerstags heimkehren. Und bei der Rückkehr werden wir Thyll verhungert und starr und steif finden“.
Soetkin weinte und Ulenspiegel entsprang.
„Was tust Du?“ fragte Klas.
„Ich öffne dem Vogel das Fenster“, antwortete er.
Und wahrlich, das Vöglein, welches ein Distelfink war, flog aus dem Fenster, stieß einen Freudenruf aus und ließ sich dann auf einen Apfelbaum nieder. Dort glättete es mit dem Schnabel seine Flügel, schüttelte sein Gefieder und, sich erbosend, schalt es Ulenspiegel in seiner Vogelsprache mit tausend Schmähungen.
Da sprach Klas zu ihn
„Sohn, raube weder Mensch noch Tier jemals die Freiheit, welche das größte Gut auf Erden ist. Laß einen jeden in die Sonne gehen, wann ihn friert, und in den Schatten, wann ihm heiß ist. Und möge Gott seine Heilige Majestät richten, welche, nachdem sie den freien Glauben in Flandern in Ketten gelegt, das edle Gent in einen Käfig der Knechtschaft geworfen hat“.
Philipp hatte Maria von Portugal geehelicht und ihre Besitzungen der Krone Spanien einverleibt. Sie genas des Don Carlos, des grausamen Narren. Doch er liebte seine Gattin nicht. Die Königin litt an den Folgen ihres Kindbettes. Sie hütete das Bett und hatte ihre Ehrendamen bei sich, darunter die Herzogin von Alba. Philipp ließ sie oftmals allein, um Ketzer verbrennen zu sehen, und alle Herren und Damen vom Hofe taten desgleichen. Also hielt es auch die Herzogin von Alba, die hochedle Wächterin des königlichen Kindbettes.
Um diese Zeit nahm das geistliche Gericht einen vlämischen Bildschneider gefangen, welcher römischer Katholik war, maßen ihm ein Mönch den ausbedungenen Preis für ein Holzbild unserer lieben Frauen verweigert und er der Frau mit dem Meißel ins Gesicht geschlagen und gesagt hatte, daß er lieber sein Werk zerstören, denn es zum Spottpreis hergeben wollte.
Er ward von dem Mönche als Bilderfrevler verklagt, ohn Erbarmen gefoltert und verurteilt, lebendig verbrannt zu werden. Während der Folter hatte man ihm die Fußsohlen verbrannt, und da er mit dem Sanbenito[2] angetan vom Kerker zum Scheiterhaufen geführt ward, schrie er:
„Haut die Füße ab! Haut die Füße ab!“
Philipp hörte dies Geschrei von ferne; es war ihm wohl, aber er lachte nicht.
Die Ehrendamen verließen die Königin, um der Verbrennung beizuwohnen, und nach ihnen ging auch die Herzogin von Alba. Sie hörte den vlämischen Bildschneider schreien, wollte das Schauspiel mit ansehen und ließ die Königin allein.
Da nun Philipp mit seinen hohen Dienern, Prinzen, Grafen, Stallmeistern und Damen gegenwärtig war, fesselten sie den Bildschnitzer mit einer langen Kette an einen Pfahl inmitten eines Kreises von brennendem Stroh und Reisigbündeln, auf daß er langsam geröstet werde, wann er, dem raschen Feuer entrinnend, sich an den Pfahl halten wollte. Und alles blickte ihn voll Neugier an, wie er nackend oder fast nackend versuchte, seine Seelenstärke der Feuersglut entgegenzusetzen.
Zur selbigen Zeit hatte die Königin Maria in ihrem Wochenbett Durst. Die Hälfte einer Melone auf einer Schüssel erblickend, schleppte sie sich aus ihrem Bette, aß von der Melone und ließ nichts davon übrig. Dann brach sie in Schweiß aus und es fröstelte sie, dieweil das Fleisch der Melone kalt war. Sie blieb auf dem Fußboden liegen und konnte kein Glied rühren.
„Ach,“ sprach sie, „ich würde wieder warm werden, wenn jemand mich ins Bett trüge.“
Da hörte sie den armen Bildschnitzer schreien: „Haut die Füße ab!“
„Ach,“ sprach die Königin Maria, „ist es ein Hund, der bei meinem Tode heult?“
In diesem Augenblick, da der Bildschneider ringsum die Gesichter hispanischer Feinde gewahrte, gedachte er Flanderns, des Landes der Männer, kreuzte die Arme, schleppte seine lange Kette hinterdrein, ging auf die flammenden Stroh- und Reisigbündel zu und mitten hinein, die Arme verschränkend.
„Also“, sprach er, „sterben die Vlamen angesichts der spanischen Henker. Haut die Füße ab, doch nicht mir, sondern ihnen, damit sie nimmer zum Morden laufen. Es lebe Flandern in alle Ewigkeit!“
Und die Damen klatschten ihm Beifall und riefen um Gnade, da sie seine stolze Fassung sahen. Und er starb.
Die Königin Maria zitterte am ganzen Leibe, sie weinte, ihre Zähne schlugen auf einander im Froste des nahenden Todes. Sie streckte Arme und Beine aus und sprach:
„Legt mich in mein Bett, auf daß ich warm werde.“
Und sie starb.
Und also säete Philipp allerorten Tod, Blut und Tränen, gemäß der Weissagung Kathelines, der guten Zauberin.
Doch Ulenspiegel und Nele liebten sich heiß. Es war am Ende des Aprilmonds, und alle blühenden Bäume, alle saftstrotzenden Pflanzen harrten des Mai, der von einem Pfauen begleitet, blütenreich wie ein Blumenstrauß, auf die Erde kommt und die Nachtigallen in den Büschen singen heißt.
Oftmals streiften Ulenspiegel und Nele selbander auf den Wegen umher, Nele hing an Ulenspiegels Arm und umschlang ihn mit beiden Händen. Er fand an diesem Spiele Gefallen und legte oftmals seinen Arm um ihre Hüften, um sie besser zu halten, wie er sagte. Sie war glücklich, aber sie sprach nicht.
Der Wind wälzte den Duft der Wiesen warm und feucht auf die Wege. In der Ferne rauschte das Meer träg im Sonnenschein. Ulenspiegel war hoffärtig wie ein junger Teufel, doch Nele gleich einer kleinen Heiligen aus dem Paradiese gar verschämt ob ihrer Freude.
Sie lehnte den Kopf an Ulenspiegels Schulter; er faßte ihre Hände, und im Gehen küßte er sie auf die Stirn, die Wangen und ihren lieblichen Mund. Doch sie schwieg.
Nach etlichen Stunden waren sie heiß und durstig, tranken Milch beim Bauern und waren doch nicht erquickt.
Sie setzten sich an den Rand eines Grabens auf den Rasen. Nele war ganz bleich und nachdenklich und Ulenspiegel betrachtete sie furchtsam.
„Du bist traurig?“ fragte sie.
„Ja“, sagte er.
„Warum?“ fragte sie.
„Ich weiß es nicht,“ sprach er, „aber diese Apfel- und Kirschbäume in voller Blüte, diese laue Luft, die wie mit dem Feuer des Blitzes geladen ist, diese Maßliebchen, die sich errötend auf den Auen öffnen, der Schlehdorn dort nahebei in den Hecken, ganz weiß ... Wer sagt mir, warum ich mich so unruhig fühle und immerdar bereit bin, zu sterben oder zu schlafen? Und mein Herz schlägt so stark, wenn ich die Vögel in den Bäumen erwachen höre und sehe die Schwalben, die wieder da sind. Dann möchte ich weiter wandern als Sonne und Mond. Und bald ist mir kalt, bald heiß. Ach, Nele, ich wollte, ich wäre nicht mehr auf dieser erbärmlichen Welt, oder ich könnte der, die mich liebte, tausend Leben geben“ ...
Aber sie schwieg, und blickte Ulenspiegel mit frohem Lächeln an.
Am Tage des Totenfestes kam Ulenspiegel mit etlichen Burschen des nämlichen Alters aus der Frauenkirche. Lamm Goedzak hatte sich unter sie verirrt wie ein Schaf unter Wölfe. Er zahlte für alle freigebig die Zeche, denn seine Mutter gab ihm alle Sonn- und Feiertage drei Heller.
Er begab sich also mit seinen Kameraden „In den rooden Schildt“ zu Jan van Liebeke, welcher ihnen „dobbele knollaert“ von Kortrijk auftrug. Da nun das Getränk sie erhitzte und sie von Gebeten redeten, sagte Ulenspiegel kühnlich, daß die Seelenmessen nur für die Pfaffen von Vorteil seien.
Es war aber ein Judas in der Schar; der zeigte Ulenspiegel als Ketzer an. Trotz Soetkins Tränen und Klasens Bitten ward Ulenspiegel ergriffen und gefänglich eingezogen. Er blieb einen Monat und drei Tage in einem vergitterten Kellerloch, ohne jemand zu sehen. Der Kerkermeister fraß ihm drei Viertel seiner Portion auf. Derweilen zog man Erkundigungen über seinen Leumund ein. Es fand sich nur, daß er ein schlimmer Spötter war, welcher sich ohne Unterlaß über seinen Nächsten lustig machte, doch hatte er niemals über den Herrgott, die Frau Maria und die Herren Heiligen Übles geredet. Darum war sein Urteil gelinde; ansonst wäre er mit glühenden Eisen im Gesicht gebrandmarkt und bis aufs Blut gepeitscht worden.
In Ansehung seiner Jugend verurteilten ihn die Richter nur, in der ersten Prozession, die aus der Kirche kommen würde, im Hemde, barhäuptig und barfuß, eine Kerze in der Hand zu tragen und hinter den Priestern zu schreiten.
Solches geschah am Tage der Himmelfahrt.
Dieweil die Prozession in die Kirche zurückkehrte, mußte er unter dem Torbogen der Frauenkirche stehen und dort ausrufen:
„Dank dem hohen Herrn Jesus! Dank den Herren Priestern! Ihre Gebete sind den Seelen im Fegefeuer wohltuend und gar kühlend; denn jedes Ave ist ein Eimer Wasser, der auf ihren Rücken fällt, und jedes Pater ist ein Kübel voll.“
Und das Volk hörte ihm mit großer Andacht und nicht ohne Lachen zu.
Beim Pfingstfest mußte er abermals der Prozession folgen; er war im Hemd, barfüßig und barhäuptig und hielt eine Kerze in der Hand. Da nun die Prozession in die Kirche zurückkehrte, trat er unter den Torbogen, und ehrerbietig seine Kerze haltend, sprach er mit lauter klarer Stimme, nicht ohne etliche spöttische Fratzen zu schneiden:
„Die Gebete der Christen sind für die Seelen im Fegefeuer eine große Linderung; aber die des Dechanten von unsrer lieben Frauen, des heiligen Mannes, der in der Ausübung aller Tugenden vollkommen ist, beruhigen also trefflich die Qualen des Feuers, daß es sich plötzlich in Gefrorenes wandelt. Aber die Marterteufel kriegen keinen Tropfen davon.“
Und das Volk horchte wiederum mit großer Andacht, nicht ohne zu lachen, und der Dechant lächelte mit geistlichem Behagen.
Darauf ward Ulenspiegel drei Jahre des Landes Flandern verwiesen und ward ihm auferlegt, eine Pilgerfahrt nach Rom zu machen und mit der Absolution des Papstes heimzukehren.
Klas mußte drei Gülden für dieses Urteil zahlen; einen aber gab er noch seinem Sohn und versah ihn mit einem Pilgerkleid. Dem aber brach am Tag seiner Reise schier das Herz. Er umarmte Klas und Soetkin, die schmerzensreiche Mutter, die ganz in Tränen zerfloß. Sie gaben ihm ein gut Stück Weges das Geleit, in Gesellschaft etlicher Bürger und Bürgersfrauen.
Da Klas wieder in seine Hütte trat, sagte er zu seinem Weibe:
„Weib, es ist recht hart, für ein paar törichte Worte einen so jungen Knaben zu dieser strengen Strafe zu verurteilen.“
„Du weinst, Mann, Du liebst ihn mehr als Du zeigst, denn Du brichst in männliches Schluchzen aus, das dem Weinen des Leuen gleicht.“
Doch er antwortete nichts.
Nele hatte sich in der Scheune verborgen, auf daß niemand sähe, daß auch sie um Ulenspiegel weinte. Von ferne folgte sie Soetkin und Klas und den Bürgern und Bürgersfrauen. Da sie ihren Freund allein fortziehen sah, lief sie zu ihm und sprang ihm an den Hals.
„Du wirst viele schöne Damen dort unten finden“, sagte sie.
„Schöne, das weiß ich nicht,“ antwortete Ulenspiegel, „aber frische wie Du, nein, denn die Sonne hat sie alle verbrannt.“
Eine lange Weile gingen sie selbander. Ulenspiegel war ganz in Gedanken und sagte etliche Male:
„Ich werde sie ihre Seelenmessen bezahlen lassen.“
„Was für Messen, und wer wird bezahlen?“ fragte Nele.
Ulenspiegel entgegnete:
„Alle Dechanten, Pfarrer, Pfaffen, Küster und obere wie untere Laffen, so uns mit Hirngespinsten mästen. Wär ich ein wackerer Arbeiter, so hätten sie mir die Frucht von dreijähriger Arbeit gestohlen, dieweil sie mich zur Pilgerfahrt zwangen. Nun aber ist es der arme Klas, der zahlt. Sie sollen mir meine drei Jahre hundertfältig zurückgeben, und ich werde die Seelenmesse von ihrem Gelde für sie singen.“
„Ach, Tyll, sei fürsichtig, sie möchten Dich sonst lebendig verbrennen“, erwiderte Nele.
„Ich bin von Asbest“, antwortete Ulenspiegel. Dann trennten sie sich, sie ganz in Tränen, doch er voller Schmerz und Grimm.
Da er durch Brügge kam, und über den Mittwochsmarkt schritt, sah er daselbst eine Frau durch den Henker und seine Büttel umhergeführt, und eine große Zahl andrer Weiber schrie und heulte tausend schmutzige Schimpfworte um sie her. Da Ulenspiegel sah, daß ihr Kleid oben mit Stücken roten Tuches besetzt war, auch daß sie den Stein der Gerechtigkeit mit seinen Eisenketten am Halse trug, erkannte er, daß es eine Frau war, welche die jungen, gesunden Körper ihrer Töchter zu ihrem Nutzen verkauft hatte. Man sagte ihm, daß sie Barbe hieße und mit Jason Darue verheiratet sei. In diesem Aufzug sollte sie von Platz zu Platz geführt werden, bis sie wieder zum Großen Markt zurückkam. Allda sollte sie auf ein Gerüst geführt werden, welches eigens errichtet war. Ulenspiegel folgte ihr mit dem tobenden Volkshaufen. Auf dem Großen Markt angelangt, ward sie auf das Gerüst gestellt und an einen Pfosten gebunden, und der Henker legte ein Häufchen Gras und einen Klumpen Erde vor sie hin, welches die Grube bedeutete.
Man erzählte Ulenspiegel auch, daß sie zuvor im Gefängnis gestäupt worden sei.
Wie er davon ging, begegnete er Henri le Marischal, einem Erzbettler, welcher in der Schloßhauptmannschaft von West-Ypern gehenkt worden war und annoch die Merkmale der Stricke an seinem Halse zeigte. Er war, so sagte er, gerettet worden, wie er schon in der Luft hing, nur durch ein gutes Gebet, das er an Unsere liebe Frau von Hal richtete, also daß nach dem Fortgang der Amtsleute und Richter die Stricke, die ihn schon nicht mehr würgten, zerrissen und er auf den Boden fiel und heil und gesund war.
Aber Ulenspiegel vernahm nachmals, daß dieser vom Strick befreite Bettler ein falscher Henri Marischal war, und daß man ihn seine Lüge allerorten verbreiten ließ, dieweil er Besitzer eines vom Dechanten Unsrer lieben Frauen von Hal unterzeichneten Pergaments war. Um dieser Erzählung des Henri Marischal willen strömten Alle, so von nah oder ferne den Galgen witterten, besagtem Dechanten zu Haufen in seine Kirche und bezahlten ihn gut. Und lange Zeit ward Unsere liebe Frau von Hal die Mutter Gottes der Gehenkten genannt.
Zur selbigen Zeit stellten die Inquisitoren und Theologen dem Kaiser Karl zum andern Male vor, daß die Kirche zugrunde ginge, daß ihre Herrschaft verachtet würde und daß er die herrlichen Siege, so er errungen, den Gebeten der Katholischen Christenheit verdankte, welche die kaiserliche Macht auf ihrem Throne erhielte.
Ein Erzbischof von Spanien heischte von ihm, daß sechstausend Köpfe abgeschlagen oder ebensoviele Körper verbrannt würden, auf daß die bösartige lutherische Ketzerei in den Niederlanden ausgerottet würde. Seine Heilige Majestät dünkte solches nicht genug.
Derhalben erblickte auch der arme Ulenspiegel an allen Orten, durch die er voll Entsetzens zog, nur Köpfe auf Pfählen, junge Mägdlein in Säcke gesteckt und lebendig in den Fluß geworfen. Er sah Männer nackend aufs Rad geflochten und mit Eisenstangen grausam zerschlagen, Frauen in eine Grube geworfen und Erde auf sie geschüttet, und der Henker tanzte ihnen auf der Brust, um sie zu zerbrechen. Aber die Beichtiger derer, so zuvor bereut hatten, verdienten jedesmal zwölf Heller.
In Löwen sah er die Henker dreißig Lutherische zumal verbrennen, und der Scheiterhaufen ward mit Schießpulver entzündet. Zu Limburg sah er eine Familie, Männer und Frauen, Töchter und Töchtermänner zur Richtstatt schreiten und Psalmen singen. Der Vater, welcher alt war, schrie, während er verbrannte.
Und Ulenspiegel wanderte auf der armen Erde und empfand Furcht und Schmerz.
Auf freiem Felde schüttelte er sich gleichwie ein Vogel oder ein losgelassener Hund, und sein Herz ward wieder guten Mutes angesichts der Bäume, der Wiesen und der hellen Sonne.
Wie er nun während dreier Tage gewandert war, kam er in die Gegend von Brüssel, in die mächtige Gemeinde von Uccle. Als er vor dem Wirtshaus zur Trompete vorbeikam, ward er durch einen himmlischen Duft von Fleischgerichten angelockt. Er fragte einen kleinen Betteljungen, welcher, die Nase nach dem Winde richtend, sich am Wohlgeruch der Tunke ergötzte, wem zu Ehren sich dieser festliche Weihrauch gen Himmel erhöbe. Der aber antwortete, daß die Brüder vom guten Vollmondsgesicht sich nach der Vesper hier versammelten, um die Befreiung der Gemeinde durch die Frauen und Mägdlein von einstmals zu feiern.
Ulenspiegel sah von fern eine Stange mit einem Papageien darauf und ringsumher mit Bögen bewaffnete Weiber. Er fragte, ob die Frauen jetzo zu Bogenschützen würden.
Der Betteljunge, welcher den Duft der Tunke einsog, antwortete, daß zur Zeit des guten Herzogs die nämlichen Bogen in den Händen der Frauen von Uccle mehr denn hundert Räuber vom Leben zum Tode gebracht hätten.
Ulenspiegel wollte mehr davon wissen, doch der Bube sagte, er hätte solchen Hunger und Durst, daß er nicht mehr sprechen würde, es sei denn, daß Ulenspiegel ihm einen Heller für Essen und Trinken gäbe. Ulenspiegel tat es aus Mitleid.
Sobald der Bettler den Heller hatte, drang er ins Wirtshaus zur Trompete wie der Fuchs in den Hühnerstall und kam im Triumphe zurück, in der Hand eine halbe Wurst und einen dicken Laib Brot.
Plötzlich vernahm Ulenspiegel ein sanftes Getön von Schellentrommeln und Bratschen und sah eine große Schar Frauen tanzen und unter ihnen ein schönes Weib, das eine güldene Kette um den Hals trug.
Der Betteljunge, der vor sattem Behagen lachte, erzählte Ulenspiegel, daß dieses junge schöne Weib die Königin des Bogenschießens sei und Mietje hieße und die Ehefrau Seiner Ehren des Herrn Renonckel, des Gemeindeschöffen wäre. Dann begehrte er von Ulenspiegel sechs Heller Trinkgeld, und dieser gab sie ihm. Nachdem er also gegessen und getrunken, setzte sich der Bettler in die Sonne und stocherte sich die Zähne mit den Nägeln. Da die Bognerinnen Ulenspiegel in seinem Pilgerkleid erblickten, begannen sie in der Runde um ihn zu tanzen und sprachen:
„Guten Tag, schöner Pilger, kommst Du von weit her, Du junger Fant?“
„Ich komme aus Flandern, dem schönen Lande, das Überfluß an verliebten Mägdlein hat“.
Und er gedachte schwermütig an Nele.
„Was war Dein Verbrechen?“ fragten sie und hörten mit Tanzen auf.
„Ich würde nicht wagen es zu beichten, so groß ist es. Aber ich habe andere Dinge an mir, die auch nicht klein sind.“
Da lachten die Weiber und stellten Fragen, warum er solcherart mit dem Pilgerstab, dem Bettelsack und dem Muschelhut reisen müßte.
„Dieweil ich gesagt habe,“ erwiderte er, ein wenig lügend, „daß die Seelenmessen für die Priester von Nutzen sind.“
„Sie bringen ihnen klingendes Geld, aber sie sind den Seelen im Fegefeuer von Nutzen.“
„Ich war nicht dort“, antwortete Ulenspiegel.
„Willst Du mit uns essen, Pilger?“ sprach die liebreizendste der Schützinnen zu ihm.
„Ich will mit Euch essen,“ sagte er, „Dich essen und alle, eine nach der andern, denn Ihr seid Bissen für einen König, köstlicher zu beißen denn Fettammern, Drosseln und Schnepfen.“
„Gott möge Dich ernähren;“ sprachen sie, „das ist ein unbezahlbares Wildpret.“
„Wie Ihr Schönen alle“, erwiderte er.
„Wahrlich, aber wir sind nicht zu verkaufen.“
„Doch zu geben?“ fragte er.
„Ja,“ sagten sie, „Schläge für die Allzudreisten. Und wenn Du deren bedarfst, werden wir Dich wie einen Haufen Korn schlagen.“
„Ich verzichte darauf.“
„Komm essen“, sagten sie.
Er folgte ihnen in den Hof der Herberge, gar froh, diese frischen Gesichter um sich zu sehen. Plötzlich sah er mit großem Gepränge, mit Fahne, Trompete, Flöte und Tambourin, die Brüder vom guten Vollmondsgesicht in den Hof einziehen, welche dem lustigen Namen ihrer Bruderschaft alle Ehre machten. Da sie ihn neugierig betrachteten, sagten die Frauen zu ihnen, es sei ein Pilgrim, den sie am Wege aufgelesen, und da sie an ihm ein gutes Vollmondsgesicht gewahrt hätten, gleich dem ihrer Gatten und Bräutigame, so hätten sie ihn geladen, an ihren Lustbarkeiten teilzunehmen.
Die Männer fanden gut, was sie sagten, und der Eine sprach:
„Wallender Pilger, willst Du mit uns durch Tunke und Fleischgerichte pilgern?“
„Ich werde Siebenmeilenstiefel dabei anlegen“, sprach Ulenspiegel.
Da er sich anschickte, mit ihnen in den Festsaal zu treten, gewahrte er auf der Straße nach Paris zwölf wandernde Blinde. Da sie an ihm vorüber zogen und über Hunger und Durst klagten, sagte Ulenspiegel zu sich, daß sie diesen Abend wie Könige tafeln sollten, auf Kosten des Dechanten von Uccle, zur Erinnerung an die Seelenmessen.
Er ging zu ihnen und sprach:
„Hier sind neun Gulden, kommt essen. Riecht ihr den Duft der Fleischgerichte?“
„Ach“, sprachen sie, „seit einer halben Meile sonder Hoffnung.“
„Da ihr jetzt neun Gulden habt, so werdet ihr essen“, sagte Ulenspiegel, aber er gab ihnen keine.
„Gesegnet seiest Du“, sprachen sie.
Und von Ulenspiegel geführt, setzten sie sich im Kreise um einen kleinen Tisch, dieweil die Brüder vom Guten Vollmondsgesicht sich nebst ihren Weibern und Mädchen um einen großen niederließen.
Indem sie sich mit Sicherheit im Besitz von neun Gulden wähnten, sprachen die Blinden hochmütig: „Wirt, gib uns vom Besten, was Du hast, zu essen und zu trinken.“
Der Wirt, der von neun Gulden hatte sprechen hören, meinte, daß sie in ihren Geldbeuteln wären, und fragte nach ihrem Begehr.
Darauf schrieen sie alle zumal:
„Erbsen mit Speck, ein Geschmortes von Rind, Kalb, Hammel und Huhn. / Sind die Würste für die Hunde gemacht? / Wer hat beim Vorbeigehen Blut- und Weißwürste gewittert, ohne sie beim Kragen zu nehmen? Ach, ich sah sie, da meine armen Augen mir noch als Leuchten dienten. / Wo sind die Pfannkuchen mit Anderlechter Butter? Sie zischen im Ofen, saftig, kraß und erzeugen Durst, Kannen hinunterzugießen. / Wer wird mir Schinken mit Eiern oder Eier mit Schinken, diese zärtlichen, brüderlichen Freunde des Gaumens, unter die Nase halten? / Wo seid ihr himmlischen Choesels, das stolze Fleisch, das inmitten von Nieren, Hahnenkämmen, Kalbsmilch, Ochsenschwänzen, Hammelfüßen und viel Zwiebeln, Pfeffer, Nelke und Muskat herumschwimmt? Das Ganze gedämpft und drei Kannen Weißwein als Tunke? / Wer führt euch zu mir, ihr herrlichen Leberwürste, die Ihr so gut seid, daß Ihr kein Wort sagt, wenn man Euch verschlingt? Ihr kommt geradenwegs aus Schlaraffenland, dem fetten Lande der glücklichen Bärnhäuter und der Schlecker unerschöpflichen Tunken. Doch wo seid Ihr, dürre Blätter der letzten Herbste? / Ich will eine Hammelkeule mit dicken Bohnen. / Mir Schweinsfähnlein, das sind ihre Ohren. / Mir einen Rosenkranz von Fettammern; die Paternoster daran müssen Schnepfen sein und ein fetter Kapaun das Kredo.“
Der Wirt erwiderte geruhig:
„Ihr sollt einen Eierkuchen von sechzig Eiern kriegen, und als Wegweiser für eure Löffel fünfzig Blutwürste, dampfend auf diesen Berg von Nahrung aufgepflanzt, und dobbel Peterman obenauf: das wird der Fluß sein.“
Das Wasser lief den armen Blinden im Munde zusammen und sie sagten:
„Trag uns den Berg, den Wegweiser und den Fluß auf.“
Und die Brüder vom guten Vollmondsgesicht samt ihren Weibern, die mit Ulenspiegel schon zu Tische saßen, sagten, daß dies für die Blinden der Tag des unsichtbaren Schmausens sei und daß die Armen dermaßen die Hälfte ihres Vergnügens einbüßten.
Da der Eierkuchen kam, mit Petersilie und Kapuzinerkresse bestreut und vom Wirt und vier Köchen getragen, wollten sich die Blinden hineinstürzen und fuhren bereits mit den Fingern hinein, doch der Wirt legte nicht ohne Mühe einem jeden sein Teil in seinen Eßnapf.
Die Bognerinnen waren gerührt, da sie sahen, wie jene sich vollstopften und dabei vor Behagen schnoben; denn sie hatten gewaltigen Hunger und verschluckten die Würste wie Austern. Der dobbel Peterman floß in ihre Mägen gleichwie Wasserfälle, die von den Bergen hinabstürzen.
Da sie ihre Näpfe geleert hatten, verlangten sie abermals Pfannkuchen, Fettammern und neue Fleischgerichte. Der Wirt trug ihnen nun eine große Schüssel mit Ochsen-, Kalb- und Hammelknochen auf, welche in einer guten Tunke schwammen, legte ihnen aber nicht vor.
Da sie aber ihr Brot und ihre Hände bis an die Ellenbogen in die Brühe getunkt hatten und nur etliche Rippen, Kalbsknochen und eine Hammelkeule, ja sogar ein paar Ochsenkinnbacken erwischten, da wähnten sie männiglich, daß die Nachbarn das ganze Fleisch hätten, und schlugen einander wütend mit den Knochen ins Antlitz.
Wie nun die Brüder vom guten Vollmondsgesicht sie weidlich verlacht hatten, legten sie einen Teil ihres Festmahls mildtätig auf die Teller der Armen, und wer von ihnen einen Knochen für den Kampf suchte, legte die Hand auf eine Drossel, ein Hühnchen oder etliche Lerchen. Derweil hielten die Frauen ihnen den Kopf hintenüber und gossen ihnen Brüsseler Wein in Menge hinunter. Und wenn sie nach Art der Blinden tasteten, woher diese Ströme von Nektar kämen, erhaschten sie nur einen Frauenrock und wollten ihn festhalten. Der aber entschlüpfte ihnen unversehens. Darum lachten, tranken, aßen und sangen sie.
Etliche, welche die artigen Weiblein witterten, liefen ganz vernarrt und von Liebe behext durch den Saal, aber die boshaften Mädchen führten sie in die Irre, versteckten sich hinter einen Bruder vom guten Vollmondsgesicht und sprachen zu ihnen: „Küsse mich.“ Solches taten sie, aber anstatt einer Frau küßten sie das bärtige Antlitz eines Mannes, nicht ohne barsche Abweisung. Die Brüder vom guten Vollmondsgesicht sangen; sie sangen alle zumal. Und die lustigen Weiblein lachten voll innigen Wohlgefallens, da sie ihre Freude sahen.
Als diese nahrhaften Stunden vorüber waren, sagte der Baas zu ihnen:
„Ihr habt gut gegessen und getrunken; ich bekomme sieben Gulden.“
Jeder von ihnen schwur, er hätte die Börse nicht, und beschuldigte seinen Nachbarn. Daraus entstand eine Schlacht unter ihnen, darin sie versuchten, sich mit Füßen, Fäusten und Köpfen zu stoßen, aber sie vermochten es nicht und schlugen ins Leere, denn die Brüder vom guten Vollmondsgesicht, da sie das Spiel sahen, trennten sie von einander. Und die Schläge regneten in die Luft, einen ausgenommen, welcher durch ein Mißgeschick in das Gesicht des Baas fiel. Der aber ward zornig, untersuchte sie alle und fand nichts denn ein altes Skapulier, sieben Heller, drei Hosenknöpfe und ihre Rosenkränze.
Er wollte sie in den Schweinestall werfen, bis für sie bezahlt würde, was sie schuldig waren.
„Soll ich für sie bürgen?“ fragte Ulenspiegel.
„Ja,“ erwiderte der Baas, „wenn jemand für Dich bürgt.“
Die guten Vollmondsgesichter wollten das tun, doch Ulenspiegel hinderte sie und sprach:
„Der Pfarrer wird Bürge sein, ich werde ihn aufsuchen.“
Der Seelenmessen gedenkend, ging er zum Pfarrer und erzählte ihm, wie der Baas der „Trompete“ vom Teufel besessen sei. Er spräche von nichts denn von Schweinen und von Blinden, daß die Schweine die Blinden und die Blinden die Schweine fräßen, unter mancherlei unheiligen Formen von Braten und Fleischgerichten. Während dieser Anfälle, so sagte er, zerbräche er alles im Hause; und er bat ihn hinzukommen und den armen Menschen von diesem bösen Geist zu befreien.
Solches versprach der Pfarrer ihm, bedeutete ihm aber, daß er nicht sogleich mitkommen könne; denn er machte just die Abrechnungen des Kapitels und trachtete dabei nach seinem Vorteil.
Da Ulenspiegel sah, daß er ungeduldig war, sagte er, daß er mit der Frau des Baas wiederkommen werde und daß der Pfarrer selbst mit ihr sprechen könne.
„Kommt alle beide“, sprach der Pfarrer.
Ulenspiegel ging wieder zum Wirt und sprach:
„Ich habe den Pfarrer gesprochen, er wird für die Blinden Bürgschaft leisten. Dieweil Ihr sie bewacht, lasset die Wirtin mit mir zu ihm gehen; er wird ihr wiederholen, was ich Euch sagte.“
„Gehe hin, Weib“, sprach der Baas.
Die Wirtin ging mit Ulenspiegel zum Pfarrer, welcher nicht aufhörte zu rechnen, um einen Vorteil für sich herauszufinden. Da sie mit Ulenspiegel bei ihm eintrat, winkte er ihr voll Ungeduld mit der Hand, daß sie fort gehen sollten, und sprach:
„Beruhige Dich, ich werde Deinem Manne in einem oder zwei Tagen zu Hilfe kommen.“
Und da Ulenspiegel nach der Trompete zurückkam, sprach er zu sich selbst: „Er wird hundert Gülden zahlen, und das soll meine erste Seelenmesse sein.“
Und er machte sich auf, desgleichen die Blinden.
Da Ulenspiegel sich am folgenden Tage auf einer Landstraße inmitten viel Volkes befand, folgte er ihm und erfuhr alsbald, daß dies der Tag der Wallfahrt nach Alsenberg wäre.
Er sah arme alte Weiblein, die für einen Gulden barfuß rückwärts gingen, um die Sünden etlicher fürnehmer Damen abzubüßen. Am Wegraine hielten etliche Wallfahrer beim Klange von Geigen, Bratschen und Sackpfeifen Schmausereien von gebackenen Fischen und Zechereien von Braunbier. Und der Dampf der leckeren Fleischgerichte stieg wie ein lieblicher Opferduft gen Himmel.
Aber es waren da andere Pilger, Bauern, Bettler und Hungerleider, welche, von der Kirche bezahlt, für sechs Sous rückwärts gingen.
Ein kleines, ganz kahlköpfiges Männlein mit weit aufgerissenen Augen und scheuer Miene sprang rückwärts hinter ihnen, indeß es seine Vaterunser abbetete. Ulenspiegel wollte wissen, um was der Mann solcherart die Krebse nachäffte, trat vor ihn und sprang lächelnd in gleicher Art. Die Geigen, Pfeifen, Bratschen und Dudelsäcke und das Ächzen der Pilger machten die Tanzmusik.
„Jan van den Duivel,“ sprach Ulenspiegel, „läufst Du auf solche Weise, um sicherer zu fallen?“
Der Mann antwortete nicht und fuhr fort, seine Paternoster zu murmeln.
„Vielleicht“, sagte Ulenspiegel, „willst Du wissen, wieviel Bäume auf dem Wege sind? Aber zählst Du nicht auch die Blätter daran?“
Der Mann, der ein Kredo betete, winkte Ulenspiegel zu schweigen.
„Vielleicht“, sagte dieser und hüpfte immer vor ihm her, dieweil er ihm nachahmte, „gehst Du um eines plötzlichen Wahnsinns willen anders denn alle Welt. Doch wer will einem Narren eine weise Antwort entlocken, der ist selbst nicht weise. Ist es nicht also, mein Herr mit dem kahlen Fell?“
Da der Mann noch immer nicht antwortete, fuhr Ulenspiegel fort zu hüpfen; doch er vollführte dabei einen solchen Lärm mit seinen Sohlen, daß der Weg widerhallte gleich wie eine hölzerne Kiste.
„Vielleicht“, sprach Ulenspiegel, „seid Ihr stumm, mein Herr?“
„Ave Maria,“ sprach der Mann, „gratia plena et benedictus fructus ventris tui Jesus.“
„Oder vielleicht seid ihr auch taub?“ fragte Ulenspiegel. „Das werden wir sehen: Man sagt, daß die Tauben weder Lobsprüche noch Schimpfwörter hören. Laß sehen, ob das Trommelfell Deiner Ohren von Haut oder von Erz ist. Du Laterne ohne Licht, Du Trugbild eines Fußgängers, glaubst Du einem Manne zu gleichen? Das wird geschehen, wenn sie aus Lumpen gemacht werden. Wo sah man je solche gelbliche Fratze, solchen kahlen Schädel, wenn nicht auf dem Galgenacker? Bist Du nicht vor Zeiten gehenkt worden?“
Und Ulenspiegel tanzte und der Mann ward zornig, sprang grollend rückwärts und murmelte seine Paternoster mit geheimem Verdruß.
„Vielleicht“, sagte Ulenspiegel, „verstehst Du nur Hochvlämisch, ich werde Platt zu Dir sprechen. Wenn Du nicht ein Vielfraß bist, so bist Du ein Trunkenbold. Bist Du aber kein Trunkenbold, sondern ein Wassertrinker, so bist du ein Schalk, der irgendwo verstopft ist, und bist Du nicht verstopft, so hast Du Durchfall. Bist Du nicht ein Wüstling, so bist Du ein Kapaun. Wenn es Mäßigkeit gibt, so erfüllt sie nicht die Tonne Deines Bauches, und wenn es auf tausend Millionen Menschen, so die Erde bevölkern, nur einen Hahnrei gäbe, so wärest Du es“.
Bei dieser Rede fiel Ulenspiegel auf sein Gesäß und streckte die Beine in die Luft, denn der Mann hatte ihm einen solchen Faustschlag unter die Nase versetzt, daß er mehr denn hundert Lichter blitzen sah. Dann fiel er behende über ihn her, trotz der Last seines Bauches, und schlug ihn überall, und die Schläge regneten gleich wie Hagel auf Ulenspiegels mageren Körper. Und sein Knüppel fiel zu Boden.
„Lerne aus dieser Lehre,“ sprach der Mann zu ihm, „daß du die rechtschaffenen Leute, die auf die Wallfahrt gehen, nicht hänselst. Denn wisse wohl, ich gehe auch nach Alsenberg, wie es Brauch ist, um die heilige Frau Maria zu bitten, daß sie ein Kind, das meine Frau empfangen, da ich auf Reisen war, eine Fehlgeburt werden lasse. Um eine so große Wohltat zu erlangen, muß man vom zwanzigsten Schritt nach der Wohnung bis zu den untersten Kirchenstufen rückwärts gehen und tanzen, ohne zu sprechen. Ach, jetzt muß ich von vorn anfangen.“
Ulenspiegel hatte seinen Stock aufgehoben und sagte:
„Ich will Dir helfen, Du Taugenichts, dem die Mutter Gottes dienen soll, die Kinder im Mutterleibe zu töten.“
Und er hub an, den boshaften Hahnrei so grausam zu prügeln, daß er ihn für tot auf dem Wege liegen ließ.
Dieweilen stieg das Gestöhn der Wallfahrer, die Töne der Pfeifen, Bratschen, Geigen und Dudelsäcke immerwährend gen Himmel und gleich wie ein reiner Weihrauch der Dampf der gebackenen Fische.
Klas, Soetkin und Nele schwätzten am Kaminfeuer und unterhielten sich über den wallenden Pilger.
„Mädchen,“ sagte Soetkin, „warum kannst Du ihn nicht durch die Macht des Jugendzaubers immer bei uns halten!“
„Ach,“ sprach Nele, „ich kann es nicht.“
„Das kommt,“ erwiderte Klas, „weil er einen entgegengesetzten Zauber hat, der ihn treibt zu laufen, ohne sich je auszuruhen, es sei denn, wenn er sein Maulwerk arbeiten läßt.“
„Der häßliche Schalk“, seufzte Nele.
„Ein Schalk,“ sprach Soetkin, „das gebe ich zu, aber häßlich, nein. Wenn mein Sohn Ulenspiegel kein griechisches oder römisches Antlitz hat, um so besser; denn aus Flandern sind seine flinken Füße, vom Franken aus Brügge seine klugen, braunen Augen, und seine Nase und Mund sind von zwei Füchsen gemacht, die Meister in den Wissenschaften der Schalkheit und der Bildschneiderei sind.“
„Wer machte ihm denn die Arme eines Faullenzers, und Beine, die allzu behend sind, dem Vergnügen nachzulaufen?“ fragte Klas.
„Sein allzu junges Herz“, erwiderte Soetkin.
Zu jener Zeit kurierte Katheline durch Heilkräuter einen Ochsen, drei Hämmel und ein Schwein, die Speelman gehörten; eine Kuh aber, die Jan Beloen hatte, konnte sie nicht heilen. Dieser klagte sie der Zauberei an. Er erklärte, daß sie das Tier behext hätte, in Ansehung dessen, daß sie es streichelte und zu ihm sprach, dieweil sie ihm die Heilkräuter gab, sonder Zweifel in einer teuflischen Sprache, denn eine rechtschaffene Christin soll nicht zu einem Tiere reden.
Besagter Jan Beloen fügte hinzu, daß er Speelmanns Nachbar sei, welchem sie den Ochsen, die Hämmel und das Schwein kuriert habe. Wenn sie seine Kuh umgebracht habe, so sei das sonder Zweifel auf Anstiften Speelmanns geschehen, welcher mit Neid sähe, daß seine, Beloens Äcker, besser bestellt wären und mehr Frucht trügen denn seine, Speelmanns Äcker. Auf das Zeugnis von Pieter Meulemeester, einem Manne von gutem Wandel und Sitten, sowie von Jan Beloen, welche bezeugten, daß Katheline in Damm als Hexe verrufen sei und sonder Zweifel die Kuh umgebracht habe, ward Katheline gefänglich eingezogen und verurteilt, gefoltert zu werden, bis sie ihre Verbrechen und Missetaten bekannt hätte.
Sie ward durch einen Schöffen verhört, der beständig wütend war, denn er trank den ganzen Tag Branntwein.
Vor ihm und den Männern der Vierschare ward Katheline auf die erste Folterbank gelegt. Der Henker zog sie ganz nackt aus, dann schor er ihr die Haare am ganzen Körper und sah überall nach, ob sie irgend einen Zauber verberge. Da er nichts gefunden hatte, band er sie mit Stricken auf die Folterbank fest.
Da sprach sie:
„Ich schäme mich, also nackt vor diesen Männern zu sein, heilige Frau Maria macht, daß ich sterbe.“
Alsobald legte ihr der Henker nasse Lappen auf die Brust, den Leib und die Beine, hob die Bank in die Höhe und goß ihr heißes Wasser in so großer Menge in den Magen, also daß sie ganz aufgeblasen schien. Dann ließ er die Bank zurückfallen.
Der Schöffe fragte Katheline, ob sie ihr Verbrechen bekennen wollte. Sie machte ein Zeichen der Verneinung. Der Henker goß ihr noch mehr heißes Wasser ein, aber Katheline brach alles aus. Da ward sie auf Anraten des Arztes losgebunden. Sie sprach nicht, aber sie schlug sich auf die Brust, zum Zeichen, daß das heiße Wasser sie verbrannt hätte. Als der Schöffe sah, daß sie sich von dieser ersten Folter erholt hatte, sagte er zu ihr:
„Bekenne, daß Du eine Hexe bist und daß Du die Kuh verzaubert hast“.
„Ich werde nicht bekennen“, sagte sie. „Ich liebe alle Tiere, so sehr mein armes Herz vermag, und lieber würde ich mir ein Leides tun als ihnen, so sie sich nicht verteidigen können. Um die Kuh zu heilen, habe ich die Mittel angewandt, die von Nöten sind“.
Doch der Schöffe erwiderte:
„Du hast ihr Gift gegeben, denn die Kuh ist tot“.
„Herr Schöffe,“ sprach Katheline, „ich bin hier vor Eurem Richterstuhl und in Eurer Gewalt. Dennoch wage ich Euch zu sagen, daß ein Tier an einer Krankheit sterben kann wie ein Mensch, trotz des Beistandes der Chirurgen und Ärzte. Und ich schwöre beim allerhöchsten Herrn Christus, der gern bereit war, für unsere Sünden am Kreuze zu sterben, daß ich dieser Kuh nichts antun wollte, sondern vielmehr sie durch einfache Mittel heilen.“
Da sagte der Schöffe wütend:
„Diese Teufelsdirne soll nicht unaufhörlich leugnen. Bringt sie auf eine andere Folterbank!“
Und er trank ein großes Glas Branntwein.
Der Henker setzte Katheline auf den Deckel eines Sarges von Eichenholz, welcher auf Holzböcken ruhte. Besagter Deckel in Form eines Daches war scharf wie eine Klinge. Im Kamin brannte ein großes Feuer, denn es war im Monat November. Da Katheline auf dem Sarge und auf einem Spieß von spitzem Holze saß, ward sie mit zu engen Schuhen aus frischem Leder bekleidet und vor das Feuer geschoben. Als sie fühlte, wie das schneidende Holz des Sarges und der spitze Spieß in ihr Fleisch drang und die Glut das Leder ihrer Schuhe erhitzte und zusammenzog, schrie sie:
„Ich leide tausend Schmerzen! Wer gibt mir schwarzes Gift?“
„Rückt sie näher ans Feuer“, gebot der Schöffe.
Dann befragte er Katheline:
„Wie oft bist Du auf einem Besen zum Hexensabbat geritten? Wie oft hast Du das Korn in der Ähre, die Frucht auf dem Baum, das Ungeborne im Mutterleibe zu Grunde gerichtet? Wie oft hast du aus zwei Brüdern geschworne Feinde und aus zwei Schwestern Nebenbuhlerinnen voll Haß gemacht?“
Katheline wollte sprechen, doch sie vermochte es nicht, und bewegte die Arme, wie um nein zu sagen. Der Schöffe sagte darauf:
„Sie wird nicht eher sprechen, als bis sie am Feuer all ihr Hexenfett schmelzen fühlt. Rückt sie näher heran“.
Katheline schrie. Der Schöffe sprach zu ihr:
„Bitte Satan, daß er Dich kühle“.
Sie machte eine Bewegung, als sei sie willens, ihre Schuhe auszuziehen, die bei der Feuersglut rauchten.
„Bitte Satan, daß er Dir die Schuhe auszieht“, sprach der Schöffe.
Es schlug zehn Uhr, die Mittagszeit des Wüterichs; er ging mit dem Henker und dem Schreiber hinaus und ließ Katheline allein vor dem Feuer in der Folterkammer.
Um eilf Uhr kamen sie zurück und fanden Katheline steif und unbeweglich sitzend. Der Schreiber sprach:
„Mich deucht, sie ist tot.“
Der Schöffe befahl dem Henker, Katheline vom Sarge zu nehmen und ihr die Schuhe auszuziehen. Der Henker konnte sie nicht ausziehen und schnitt sie los. Kathelinens Füße kamen rot und blutend zum Vorschein.
Und der Schöffe, seiner Mahlzeit gedenkend, blickte sie an, ohne ein Wort zu sagen. Aber alsbald kam sie wieder zu sich und stürzte zu Boden, von wo sie sich aller Anstrengung zum Trotz nicht wieder erheben konnte.
Sie sprach zum Schöffen:
„Ehedem hast Du mich zum Weibe gewollt, nun aber sollst Du mich nicht mehr bekommen. Viermal drei, das ist die heilige Zahl, und der dreizehnte ist der Ehemann“.
Und da der Schöffe sprechen wollte, sagte sie zu ihm:
„Sei still, er hört schärfer denn der Erzengel, der im Himmel die Herzschläge der Gerechten zählt. Warum kommst Du so spät? Viermal drei, das ist die heilige Zahl; er tötet, die mich begehren“.
Der Schöffe sagte:
„Sie empfängt den Teufel in ihrem Bette“.
„Sie redet irr wegen der Folterqualen“, sagte der Schreiber.
Katheline ward ins Gefängnis zurückgebracht. Drei Tage hernach, da das Schöffengericht sich in der „Vierschare“ versammelt hatte, ward Katheline nach Beratung zur Feuerstrafe verurteilt.
Der Henker und seine Büttel führten sie auf den großen Markt von Damm. Daselbst war ein Gerüst, auf welches sie stieg. Auf dem Platze standen der Profoß, der Herold und die Richter.
Die Trompeten des Stadtherolds erschallten dreimal, und dieser sagte zum Volke:
„Dieweil der Magistrat von Damm mit Jungfer Katheline Mitleid gehabt hat, so hat er nicht gemäß der äußersten Strenge des städtischen Gesetzes sie bestrafen wollen. Um aber bekannt zu geben, daß sie eine Hexe ist, sollen ihre Haare verbrannt werden; auch soll sie zwanzig Goldkarolus Buße zahlen und auf drei Jahre aus dem Weichbild von Damm verbannt werden, bei Gefahr, ein Glied ihres Körpers zu verlieren.“
Und das Volk begrüßte diese rauhe Milde mit Beifall. Danach band der Henker Katheline am Pfahle fest, setzte eine Perücke von Werg auf ihren geschorenen Kopf und steckte sie an. Das Werg brannte lange und Katheline schrie und weinte.
Dann wurde sie losgebunden und auf einem Karren aus dem Weichbild von Damm gefahren; denn ihre Füße waren verbrannt.
Zur selbigen Zeit war Ulenspiegel in Herzogenbusch in Brabant, und etliche Herren der Stadt begehrten ihn zu ihrem Narren. Er aber schlug diese Würde aus und sprach: „Ein wallender Pilger kann nicht an einem Orte Narretei treiben, sondern nur in Herbergen und auf Straßen.
Zur selbigen Zeit kam Philipp, welcher König von Engelland war, seine künftigen Erblande Flandern, Brabant, Hennegau, Holland und Seeland zu besuchen. Er war dazumal im neunundzwanzigsten Jahre seines Alters. In seinen graugrünen Augen wohnte bittere Melancholie, scheue Verstecktheit und grausame Entschlossenheit. Kalt war sein Antlitz, starr sein mit falben Haaren bedeckter Kopf, und steif war auch sein magerer Leib und seine gebrechlichen Beine; seine Sprache war langsam und schwerfällig, wie wenn er Wolle im Munde gehabt hätte.
Inmitten von Turnieren, Lanzenstechen und Festen besuchte er das frohgemute Herzogtum Brabant, die reiche Grafschaft Flandern und seine andern Herrschaften. Allerorten schwur er die Privilegien zu bewahren; doch da er zu Brüssel einen Schwur auf das Evangelium tat, die güldene Bulle von Brabant zu achten, krampfte sich seine Hand so heftig zusammen, daß er sie von dem heiligen Buch zurückziehen mußte.
Er begab sich nach Antwerpen, allwo man zu seinem Empfange dreiundzwanzig Triumphbögen machte. Die Stadt gab zweihundert siebenundachtzig tausend Gülden aus, um diese Bögen zu bezahlen, desgleichen die Anzüge von achtzehnhundert und neunundsiebzig Kaufleuten, alle in karmoisinroten Sammet gekleidet. Desgleichen für die reiche Livrei von vierhundert und sechzehn Lakaien und den prächtigen seidenen Aufputz von viertausend gleichgekleideten Bürgern. Manches Festspiel ward von den Schülern aller Städte der Niederlande oder nahezu aller aufgeführt.
Allda sah man mit ihren Narren und Närrinnen den Fürsten der Liebe von Tournay auf einer Sau mit Namen Astarte reitend; den König der Toren von Lille, so ein Pferd am Schwanz führte und hinterdrein ging; den Fürsten der Lust von Valenciennes, so zu seiner Kurzweil die Fürze seines Esels zählte, den Abt des Frohsinns von Arras, welcher Brüsseler Wein aus einer Flasche in Gestalt eines Breviers trank, und das war ein fröhlich Lesen. Desgleichen den Abt der wohlversorgten Töpfe aus Ath, welcher nur mit einem durchlöcherten Hemde und niedergetretenen Schuhen versorgt war; aber er hatte eine Wurst, damit er sich trefflich den Bauch versorgte. Desgleichen den Propst der Leichtfertigen Brüder, einen jungen Fant, so auf einer furchtsamen Ziege ritt und ihretwegen manche Püffe erhielt, wenn er in die Menge trabte. Auch erblickte man allda den Abt von der Silberschüssel von Le Quesnoy, so auf einem Pferde ritt und tat, als ob er in einer Schüssel säße, und dabei sagte: „Es ist kein Tier so groß, daß Feuer es nicht braten könnte.“
Und sie trieben allerhand unschuldige Narretei, aber der König blieb traurig und düster.
Desselbigen Abends versammelten sich der Markgraf von Antwerpen, die Bürgermeister, Hauptleute und Ältesten, um irgend ein Spiel zu ersinnen, das König Philipp zum Lachen brächte.
Der Markgraf sprach:
„Habet Ihr nicht von einem gewissen Pierkin Jakobsen reden hören, dem Narren der Stadt Herzogenbusch, gar berühmt für seine Schwänke?“
„Freilich“, sagten sie.
„Wohlan,“ sprach der Markgraf, „entbieten wir ihn hierher, auf daß er etwelchen geschickten Streich verübe, sintemalen unser Narr Blei in den Schuhen hat.“
„Entbieten wir ihn hierher“, meinten sie.
Da der Bote von Antwerpen nach Herzogenbusch kam, ward ihm gesagt, daß der Narr Pierkin am zuvielen Lachen verendet wäre, daß aber ein andrer durchreisender Narr in der Stadt wäre, namens Ulenspiegel. Der Bote suchte ihn in einer Schenke auf, wo er ein Gericht von Muscheln aß und einem Mägdlein von den Schalen einen Panzer machte.
Ulenspiegel war entzückt, da er erfuhr, daß um seinetwillen der Gemeindekurier von Antwerpen auf einem so schönen Ambachter Rosse geritten sei und noch ein anderes am Zügel führte.
Ohne abzusteigen, fragte ihn der Kurier, ob er einen neuen Schelmenstreich zu erfinden wisse, um König Philipp zum Lachen zu bringen.
„Ich habe einen Anschlag unter meinen Haaren“, erwiderte Ulenspiegel.
Sie ritten von dannen. Die beiden Pferde liefen mit verhängtem Zügel und trugen Ulenspiegel und den Kurier nach Antwerpen.
Ulenspiegel trat vor den Markgrafen, die beiden Bürgermeister und die von der Gemeine.
„Was gedenkst du zu tun?“ fragte ihn der Markgraf.
„In die Luft zu fliegen“, erwiderte Ulenspiegel.
„Wie wirst du das anstellen?“ fragte der Markgraf.
„Wißt ihr, was noch weniger wert ist als eine geplatzte Blase?“ fragte Ulenspiegel.
„Das weiß ich nicht“, sprach der Markgraf.
„Es ist ein verratenes Geheimnis.“
Indessen ritten die Herolde der Spiele auf ihren schönen Rossen, so mit karmoisinrotem Sammet aufgezäumt waren, durch alle großen Straßen, Plätze, Kreuzwege und bliesen die Trompete und schlugen die Trommel. Solchergestalt verkündeten sie den „Signorkes“ und „Signorkinnes“, daß Ulenspiegel, der Narr von Damm, am Ufer der Schelde in die Luft fliegen würde und daß König Philipp und seine hohe, erlauchte und ansehnliche Gesellschaft auf einer Estrade gegenwärtig sein würden.
Der Estrade gegenüber stand ein Haus in italienischer Bauart; längs des Daches lief eine Wasserrinne. Ein Bodenfenster öffnete sich nach der Dachrinne. An diesem Tage ritt Ulenspiegel auf einem Esel durch die Stadt, und ein Diener zu Fuß lief ihm zur Seite. Ulenspiegel hatte das schöne Kleid von karmoisinroter Seide angelegt, welches ihm der hochwohllöbliche Gemeinderat gegeben hatte. Seine Kopfbedeckung war eine karmoisinrote Kapuze, an der zwei Eselsohren mit einer Schelle an jedem Ende zu sehen waren. Er trug eine Halskette von kupfernen Medaillen, darauf in getriebener Arbeit das Wappen von Antwerpen zu sehen war. An den Ärmeln des Wamses klingelte eine vergüldete Schelle an den Spitzen der Ellenbogen. Er trug Schuhe mit vergüldeten Stelzen und oben an den Stelzen eine Schelle. Sein Esel hatte eine Schabracke von karmoisinroter Seide, und auf jedem Schenkel das Wappen von Antwerpen in echtem Golde gestickt.
Der Knecht schwenkte in einer Hand einen Eselskopf und in der andern einen Zweig, an dessen Spitze eine Kuhglocke klingelte.
Ulenspiegel ließ seinen Knecht und sein Reittier auf der Straße und stieg in die Dachrinne. Allda schüttelte er seine Schellen und öffnete die Arme ganz weit, als ob er fliegen wollte. Dann, sich vor König Philipp verneigend, sprach er:
„Ich meinte, es sei kein Narr in Antwerpen denn ich. Nun seh ich, daß schier die ganze Stadt voll Toren ist. Und wenn Ihr mir alle sagtet, daß Ihr fliegen wolltet, ich glaubt’ es nicht, und Ihr glaubt mir als einem Toren. Wie sollt’ ich fliegen können; ich bin doch kein Vogel.“
Die einen lachten, die andern fluchten, aber alle sagten:
„Der Narr spricht gleichwohl war.“
Aber König Philipp blieb unbeweglich wie ein König von Stein. Und die vom Gemeinderat sagten ganz leise unter sich:
„War nicht von Nöten, so große Feste für solch einen Sauertopf zu bereiten.“
Und sie gaben Ulenspiegel drei Gülden, und er ging von hinnen, nachdem er ihnen wohl oder übel das Kleid von karmoisinroter Seide zurückgegeben hatte.
„Was sind drei Gülden in der Tasche eines jungen Gesellen denn ein Schneeball vor dem Feuer, oder eine volle Flasche, die vor Euch steht, Ihr weitschlündigen Trinker? Drei Gülden! Die Blätter fallen von den Bäumen und schlagen wieder aus, aber die Gülden wandern aus der Tasche und kehren nimmer zurück. Die Schmetterlinge fliegen mit dem Sommer fort, und die Gülden gleichermaßen, ob sie gleich zwei Esterling und neun As wiegen.“
Solches sagend betrachtete Ulenspiegel seine drei Gülden.
„Welch stolzer Anblick“, sprach er für sich. „Auf der Vorderseite Kaiser Karl gepanzert und behelmt, mit einem Schwert in der einen Hand und dem Reichsapfel, der diese arme Welt bedeutet, in der andern! Welch stolze Miene hat er! Er ist von Gottes Gnaden römischer Kaiser, König von Spanien usw. Er ist gar gnädig gegen unsre Lande, der gepanzerte Kaiser. Und hier auf der Rückseite ist ein Schild, darauf die Herzogs- und Grafenwappen all seiner Besitzungen eingestochen sind, mit der schönen Umschrift: Da mihi virtutem contra hostes tuos. Gib mir Tapferkeit gegen deine Feinde. / Wahrlich, er war tapfer gegen die Reformirten, die Vermögen haben, das eingezogen werden kann. Und er beerbt sie. Ach, wenn ich Kaiser Karl wäre, ich würde Gülden für jedermann prägen lassen, und wenn ein jeglicher reich wäre, so würde keiner mehr arbeiten.“
Aber Ulenspiegel hatte das Nachsehen bei dem schönen Gelde; es war dahingegangen beim Klirren der Humpen und Flaschen.
Dieweil Ulenspiegel sich in karmoisinroter Seide auf der Dachrinne sehen ließ, hatte er nicht gemerkt, daß Nele unter dem Volke stand und ihn lächelnd anblickte. Sie wohnte dermalen in Borgerhout bei Antwerpen und dachte, wenn irgend ein Narr vor König Philipp fliegen wollte, so müßte es ihr Freund Ulenspiegel sein.
Da er sinnend auf der Straße wanderte, hörte er nicht das Geräusch rascher Schritte hinter sich, aber er fühlte zwei Hände, die sich flach auf seine Augen legten; und Nele witternd, sagte er:
„Du bist es?“
„Ja,“ sprach sie, „ich laufe hinter dir her, seit du aus der Stadt gegangen bist. Komm mit mir.“
„Aber“, fragte er, „wo ist Katheline?“
„Du weißt nicht, daß sie ungerecht als Hexe gefoltert und dann auf drei Jahre aus Damm verbannt ist, und daß sie ihr die Füße verbrannt und ihr Werg auf dem Kopfe entzündet haben. Solches sage ich Dir, auf daß Du nicht vor ihr erschrickst, denn sie ist durch das große Leiden irre geworden. Oft bringt sie ganze Stunden damit zu, ihre Füße anzusehen und zu sagen: „Hanske, mein süßer Teufel, sieh, was sie Deiner Liebsten getan haben.“ Und ihre armen Füße sind wie zwei Wunden. Dann weint sie und sagt: „Die andern Frauen haben einen Mann oder einen Liebsten, ich aber lebe wie eine Wittib in dieser Welt.“ Alsdann sage ich ihr, daß ihr Hanske Haß gegen sie fassen wird, wenn sie zu andern als zu mir von ihm spricht. Und sie gehorcht mir wie ein Kind, ausgenommen, wenn sie eine Kuh oder einen Ochsen, die Ursache ihrer Folter sieht. Dann entflieht sie in schnellem Lauf, und nichts hält sie auf, nicht Zäune, Flüsse noch Wasserläufe, bis sie an einem Wegeknick oder an der Mauer eines Gutshofes vor Erschöpfung umfällt. Ich gehe ihr nach, sie aufzuheben und ihr die Füße zu verbinden, die dann bluten. Und ich glaube, da man das Bündel Werg auf ihrem Kopfe verbrannte, hat man ihr auch das Hirn im Kopf verbrannt.“
Und beide waren betrübt, da sie Kathelines gedachten.
Sie kamen zu ihr und sahen sie auf einer Bank in der Sonne sitzen, an die Wand ihres Hauses gelehnt. Ulenspiegel sagte zu ihr:
„Erkennst du mich?“
„Viermal drei,“ sagte sie, „das ist die heilige Zahl, und der dreizehnte, das ist Therab. Wer bist Du, Kind dieser schlechten Welt?“
„Ich bin Ulenspiegel, der Sohn von Soetkin und Klas“, sprach er.
Sie erhob den Kopf und erkannte ihn; dann winkte sie ihm mit dem Finger und beugte sich zu seinem Ohre:
„So Du ihn siehst, dessen Küsse wie Schnee sind, sag ihm, daß er wiederkomme, Ulenspiegel.“
Dann zeigte sie auf ihre verbrannten Haare:
„Ich habe Schmerzen,“ sprach sie, „sie haben mir meinen Verstand genommen; aber wenn er kommen wird, so wird er mir den Kopf wieder füllen, der jetzo ganz leer ist. Hörst Du? Er tönt wie eine Glocke. Das ist meine Seele, die an die Tür pocht, um fortzugehen, weil es brennt. Wenn Hanske kommt und mir den Kopf nicht ausfüllen will, so werde ich ihm sagen, daß er mit einem Messer ein Loch hineinmache. Die Seele, die darinnen ist und immer pocht, um fortzugehen, die zerreißt mir grausam das Herz und ich werde sterben, ja. Und ich schlafe nie mehr und erwarte ihn immer, und er muß mir den Kopf ausfüllen, ja.“
Und sie sank in sich zusammen und ächzte.
Und die Bauern, die von den Feldern heimkehrten, um ihr Mittagmahl zu halten, dieweil sie die Glocke dazu rief, die gingen an Katheline vorüber und sagten:
„Seht, die Irre.“
Und sie bekreuzten sich.
Und Nele und Ulenspiegel weinten, und Ulenspiegel mußte seine Wallfahrt fortsetzen.
Zur Zeit seiner Pilgerfahrt nahm er Dienste bei einem gewissen Jobst mit dem Beinamen der Kwaebakker, der böse Bäcker, wegen seiner mürrischen Miene. Der Kwaebakker gab ihm als Nahrung drei altbackene Brote in der Woche und als Wohnung einen Verschlag unter dem Dache, allwo es trefflich regnete und wehte.
Da Ulenspiegel sah, daß er so schlecht behandelt ward, spielte er ihm unterschiedliche Streiche, darunter auch diesen. Wenn man in aller Frühe backt, muß das Mehl nachts gebeutelt werden. Eines Nachts nun, da der Mond schien, verlangte Ulenspiegel eine Kerze, damit er sehen könnte, und sein Meister gab ihm zur Antwort:
„Beutle das Mehl im Mondschein.“
Gehorsam beutelte Ulenspiegel das Mehl auf der Erde, da wo der Mond schien.
Um die Morgenstunde, da der Kwaebakker sehen wollte, welche Arbeit Ulenspiegel getan hätte, fand er ihn noch beutelnd und sagte zu ihm:
„Kostet das Mehl nichts mehr, daß man es jetzo auf der Erde beutelt?“
„Ich habe das Mehl im Mondschein gebeutelt, wie Ihr mich geheißen habt“, erwiderte Ulenspiegel.
Der Bäcker entgegnete:
„Du Esel, in einem Sieb mußtest Du das tun.“
„Ich glaubte, der Mond wäre ein Sieb, nach neuer Erfindung“, erwiderte Ulenspiegel. „Aber der Schade wird nicht groß sein, ich werde das Mehl aufheben.“
„Es ist zu spät, den Teig anzurühren und zu backen,“ erwiderte der Kwaebakker.
Ulenspiegel antwortete:
„Baas, der Teig des Nachbars in der Mühle ist fertig. Soll ich ihn holen gehen?“
„Geh zum Galgen und suche, was dort zu finden ist“, antwortete der Kwaebakker.
„Ich werde hingehen, Baas.“
Er lief zum Galgenfeld und fand dort eine verdorrte Diebeshand, die trug er zum Kwaebakker und sprach:
„Hier ist eine glorreiche Hand, welche alle unsichtbar macht, die sie tragen. Willst Du nunmehr Deine schlechte Gemütsart verbergen?“
„Das will ich dem Bürgermeister klagen,“ erwiderte der Kwaebakker, „und Du sollst sehen, daß Du meines Herren Gericht bestohlen hast.“
Da sie nun zu zweit vor den Bürgermeister traten und der Bäcker den Rosenkranz von Ulenspiegels Missetaten herbeten wollte, sah er, daß dieser die Augen weit aufriß. Darob ward er so zornig, daß er vergaß, was er klagen wollte, und zu ihm sprach:
„Was willst Du?“
Ulenspiegel erwiderte:
„Du hast mir gesagt, Du wolltest mich solcherart anklagen, daß ich sehen sollte. Ich suche zu sehen, und deshalb schaue ich so.“
„Geh mir aus den Augen“, schrie der Bäcker.
„Säß’ ich Euch in den Augen,“ erwiderte Ulenspiegel, „so müßt’ ich Euch aus den Nasenlöchern kriechen, wenn Ihr die Augen zutätet.“
Da der Bürgermeister sah, daß heute Hirngespinnste feil seien, wollte er sie nicht anhören. Ulenspiegel und der Kwaebakker gingen mitsammen hinaus; der Bäcker erhub seinen Stock wider ihn, aber Ulenspiegel wich ihm aus und sagte:
„Baas, da mein Mehl mit Schlägen gebeutelt wird, nimm Du die Kleie davon: das ist Dein Zorn. Ich behalte das feinste Mehl zurück, das ist mein fröhlicher Sinn.“
Dann zeigte er ihm die Kehrseite:
„Und dies“, fügte er hinzu, „ist das Loch des Backofens, wenn Du backen willst.“
Der wallfahrende Ulenspiegel wäre gern Straßenräuber geworden, aber er fand die Steine zum Tragen zu schwer.
Er wanderte auf gut Glück auf der Straße nach Audenaerde, wo sich dermalen eine Garnison flämischer Reiter befand; die hatten Befehl, die Stadt wider die französischen Streifscharen zu verteidigen, die das Land gleich Heuschrecken verheerten.
Der Hauptmann der Reiter war ein Friese von Geburt, des Namens Kornhuin. Auch diese durchstreiften das platte Land und plünderten das Volk, also daß es, wie bräuchlich, von beiden Seiten aufgefressen ward.
Alles war ihnen recht, Hühner, Küken, Enten, Tauben, Kälber und Schweine. Eines Tages, da sie mit Beute beladen zurückkehrten, gewahrten Kornhuin und sein Leutnant am Fuß eines Baumes Ulenspiegel schlafend und von Fleischgerichten träumend.
„Was tust Du, um zu leben?“ fragte Kornhuin.
„Ich sterbe vor Hunger“, antwortete Ulenspiegel.
„Was ist Dein Handwerk?“
„Wegen meiner Sünden wallfahrten, die anderen arbeiten sehen, auf dem Seil tanzen, die hübschen Gesichter abkonterfeien, Messergriffe schnitzen, den Rommelpot spielen und die Trompete blasen.“
Wenn Ulenspiegel so kecklich vom Trompeten sprach, so war es, weil er erfahren hatte, daß die Stelle des Wächters vom Schlosse Audenaerde erledigt sei durch den Tod eines alten Mannes, welcher dieses Amt bekleidet hatte.
Kornhuin sagte zu ihm:
„Du sollst Turmbläser sein.“
Ulenspiegel folgte ihm und ward auf dem höchsten Turme der Wälle in eine Warte einquartiert, die von allen vier Winden wohl durchlüftet war, ausgenommen vom Südwind, der dort nur mit einem Flügel wehte. Es ward ihm anbefohlen, die Trompete zu blasen, sobald er den Feind anrücken sähe und dieserhalb den Kopf frei zu halten und immer klare Augen zu haben. Zu dem Ende würde man ihm nicht zuviel zu essen noch zu trinken geben.
Der Hauptmann und sein Kriegsvolk blieben im Turm und hielten den ganzen Tag Gelage auf Kosten des Landes. Da ward mehr als ein Kapaun geschlachtet und aufgefressen, dessen einziges Verbrechen sein Fett war. Ulenspiegel, der allzeit vergessen ward und sich an seiner mageren Suppe genügen lassen mußte, ergötzte sich nicht am Dufte der Saucen. Die Franzosen kamen und raubten viel Vieh, Ulenspiegel blies die Trompete nicht.
Kornhuin stieg zu ihm hinauf und fragte ihn:
„Warum hast Du nicht geblasen?“
„Ich spreche nicht das Gratias bei Eurem Essen“, sprach Ulenspiegel.
Am folgenden Tage befahl der Hauptmann ein großes Mahl für sich und seine Soldaten, aber Ulenspiegel ward wieder vergessen.
Sie wollten just zu schmausen anheben; Ulenspiegel blies die Trompete. Kornhuin und seine Soldaten wähnten, daß die Franzosen kämen, ließen Wein und Braten stehen, stiegen zu Pferde und ritten eilends zur Stadt hinaus; aber sie fanden auf dem Felde nichts als einen Ochsen, der stund in der Sonne und käute wieder. Sie führten ihn mit sich. Derweilen hatte Ulenspiegel sich mit Wein und Fleischspeisen angefüllt. Beim Eintreten sah ihn der Hauptmann, wie er lächelnd und mit schlotternden Beinen an der Tür der Festhalle stand, und sagte zu ihm:
„Das heißt den Verräter spielen, Alarm zu blasen, wann Du keinen Feind siehst, und nicht zu blasen, wann Du ihn siehst.“
„Herr Hauptmann,“ erwiderte Ulenspiegel, „ich werde in meinem Turm solchermaßen von den vier Winden aufgebläht, daß ich oben schwimmen müßte wie eine Blase, hätte ich mich nicht durch Trompetenblasen erleichtert. Laßt mich jetzo henken oder ein ander Mal, wenn Ihr einer Eselshaut für Eure Trommeln bedürfet.“
Kornhuin ging, ohne ein Wort zu sagen.
Indessen kam nach Audenaerde die Kunde, daß der gnädige Kaiser Karl in fürnehmer Begleitung in diese Stadt einziehen wollte. Bei diesem Anlaß gaben die Schöffen Ulenspiegel eine Brille, auf daß er besser sehen könnte, wann Seine Heilige Majestät ankäme. Ulenspiegel sollte dreimal ins Horn stoßen, sobald er den Kaiser auf Luppeghem zukommen sähe, welches einer viertel Meile vom Burgtor ist.
Also würden die in der Stadt Zeit haben, die Glocken zu läuten, die Böllerschüsse zu lösen, die Braten in den Backofen zu schieben und die Zapfen in die Fässer zu stoßen.
Eines Tages um Mittag, da der Wind von Brabant kam und der Himmel klar war, sah Ulenspiegel auf der Straße, die nach Luppeghem führt, eine große Schar Reiter auf stolzen Rossen; die Federn ihrer Barette wallen im Winde. Etliche trugen Banner. Der, welcher stolz an der Spitze ritt, trug eine Mütze von Goldbrokat mit großen Federn. Er war in braunen Sammet gekleidet, die mit Brokatell besetzt war.
Ulenspiegel setzte seine Brille auf und sah, daß dies Kaiser Karl der Fünfte war, der denen von Audenaerde gestattete, ihm ihre besten Weine und ihre besten Braten vorzusetzen.
Die ganze Schar ritt sonder Eile und sog die frische Luft ein, welche den Hunger anreizt. Aber Ulenspiegel gedachte, daß sie gemeiniglich fetten Schmaus hielten und wohl einen Tag fasten könnten, ohne zu verscheiden. Also sah er sie kommen und stieß nicht ins Horn.
Lachend und schwätzend kamen sie näher, dieweil Seine Heilige Majestät in seinem Magen nachschaute, ob er Platz genug für das Gastmahl derer von Audenaerde hätte. Er schien erstaunt und ungnädig, daß keine Glocke läutete, seine Ankunft zu verkünden.
Indem kam ein Bauer eiligst angelaufen, um zu verkünden, daß er in der Umgegend eine französische Streifschar gesehen habe, welche auf die Stadt zu ritte, um darinnen alles zu verzehren und zu rauben. Bei dieser Rede schloß der Torwart das Tor und sandte einen Stadtknecht, damit er es den andern Torwächtern ansagte. Aber die Reiter zechten, ohne etwas zu wissen.
Seine Majestät kam immer näher, erzürnt, nicht Glocken, Kanonen und Büchsenschüsse läuten, donnern und knattern zu hören. Vergebens hielt er das Ohr hin. Er vernahm nichts als das Glockenspiel, das die halbe Stunde läutete. Er kam vor das Tor, fand es verschlossen und schlug mit der Faust dagegen, auf daß es geöffnet werde. Und die Herren seines Gefolges wurden zornig wie er und murrten scharfe Worte. Der Torwart, der droben auf den Wällen war, schrie ihnen zu, wenn sie nicht mit diesem Lärm aufhörten, so würde er sie mit einer Kartätschen begrüßen, auf daß sie ihre Ungeduld abkühlten.
Aber seine Majestät sprach voll Grimm:
„Du blindes Schwein, erkennst Du Deinen Kaiser nicht?“
Der Torwart erwiderte, daß die, so am mindesten den Schweinen gleichen, nicht immer am meisten vergüldet sein. Auch wisse er, daß die Franzosen ihrer Natur nach arge Spötter seien, sintemalen Kaiser Karl zur Stunde in Italien Krieg führte und nicht vor den Toren von Audenaerde stehen könne.
Darob schrieen Karl und die Ritter noch mehr und sagten:
„Wenn Du nicht öffnest, so werden wir Dich, auf eine Lanze gespießt, braten lassen. Und zuvor sollst Du Deine Schlüssel verschlucken.“
Bei dem Lärm, den sie vollführten, kam ein alter Kriegsmann aus dem Zeughaus und steckte die Nase über die Mauer.
„Torwart,“ sprach er, „Du täuschest Dich; „der da ist unser Kaiser. Ich erkenne ihn wohl, obwohl er gealtert ist, seit er Maria von der Gheynst von hier nach dem Schlosse Ballaing brachte.“
Der Torwart fiel vor Schreck mausetot um, der Soldat nahm ihm die Schlüssel ab und ging, die Tür zu öffnen.
Der Kaiser fragte, warum man ihn so lange hätte warten lassen. Da der Soldat es ihm vermeldet hatte, befahl Seine Majestät ihm, das Tor wieder zu schließen und die Reiter von Kornjuin vor ihn zu bringen. Denen gebot er, vor ihm her zu reiten, die Trommeln zu rühren und die Pfeifen zu blasen.
Bald erwachten die Glocken, eine nach der andern, um mit allen Kräften zu läuten. So eingeführt, kam Seine Majestät mit kaiserlichem Getöse auf den Großen Markt. Die Bürgermeister und Schöffen waren allda versammelt; der Schöffe Jan Guigelaer trat bei dem Lärm hinaus, kehrte in den Sitzungssaal zurück und sagte:
„Keyser Karel is alhier.“
Voll Schreckens ob dieser Kunde traten Bürgermeister, Schöffen und Räte aus dem Rathaus, um in corpore den Kaiser zu begrüßen, dieweil ihre Diener durch die ganze Stadt liefen, um die Böllerschüsse anzusagen, das Geflügel ins Feuer und die Bratspieße in die Oefen zu schieben. Männer, Frauen und Kinder liefen herum und schrieen: „Keyser Karel is op’t groot marckt.“
Alsbald war viel Volks auf dem Platze. Der Kaiser, höchst ergrimmt, fragte die beiden Bürgermeister, ob sie nicht gehenkt zu werden verdienten, maßen sie solcherart an Ehrfurcht vor ihrem Herrscher ermangelt hätten.
Die Bürgermeister antworteten, daß sie es wahrlich verdienten, aber daß Ulenspiegel, der Turmbläser, es noch mehr verdiente, sintemalen man ihn auf die Kunde von der Ankunft seiner Majestät mit einer guten Brille versehen und dort angestellt habe, mit ausdrücklichem Befehl, dreimal ins Horn zu stoßen, sobald er den kaiserlichen Zug kommen sähe. Er aber hätte nichts dergleichen getan.
Der Kaiser, immer noch zornig, verlangte, daß man Ulenspiegel vor ihn führte.
„Weshalb,“ sprach er zu ihm, „hast Du bei meiner Ankunft nicht die Trompete geblasen, da Du doch eine so scharfe Brille hast?“
So sprechend, hielt er der Sonne wegen die Hand über die Augen und blickte Ulenspiegel an.
Dieser hielt gleichermaßen die Hand über die Augen und sagte, er habe sich der Brille nicht mehr bedienen wollen, seit er bemerkt habe, wie seine Majestät durch die Finger sähe.
Der Kaiser sagte ihm, daß er gehenkt werden solle; der erste Stadtwächter sagte, das sei wohlgetan, und die Bürgermeister waren über dies Urteil so in Schrecken versetzt, daß sie kein Wort erwiderten, weder um es zu billigen, noch um Einspruch zu tun.
Der Henker und seine Büttel wurden entboten. Sie kamen mit einer Leiter und einem neuen Strick und packten Ulenspiegel am Kragen. Der schritt vor den hundert Reitern von Kornjuin einher, hielt sich ruhig und sagte seine Gebete. Aber jene verhöhnten ihn aufs bitterste.
Das Volk, welches hinterher ging, sagte:
„Es ist eine gar große Grausamkeit, einen armen Jungen um eines so leichten Fehls willen umzubringen.“
Und die Weber waren bewaffnet und in großer Zahl und sagten:
„Wir werden nicht zulassen, daß Ulenspiegel gehenkt wird; das ist gegen das Gesetz von Audenaerde.“
Derweilen kam man auf den Galgenacker. Ulenspiegel ward die Leiter hinaufgeführt und der Henker legte ihm den Strick um den Hals. Die Weiber drängten sich um den Galgen. Der Profoß war zu Roß und stützte die Rute der Gerechtigkeit, womit er auf des Kaisers Befehl das Zeichen zur Hinrichtung geben sollte, auf den Bug seines Pferdes.
Das ganze versammelte Volk schrie:
„Gnade, Gnade für Ulenspiegel!“
Ulenspiegel sagte auf seiner Leiter:
„Erbarmen, gnädiger Kaiser!“
Der Kaiser hob die Hand und sagte:
„Wenn dieser Taugenichts mich um etwas bittet, das ich nicht tun kann, so soll er mit dem Leben davonkommen.“
„Rede, Ulenspiegel“, schrie das Volk.
Und die Frauen weinten und sagten:
„Er wird um nichts bitten können, der arme Junge, denn der Kaiser vermag alles.“
Und alle riefen zumal:
„Rede, Ulenspiegel!“
„Heilige Majestät,“ sagte Ulenspiegel, „ich bitte Euch nicht um Geld noch Gut, noch um mein Leben, sondern allein um etwas, um das, wenn ich es zu sagen wage, Ihr mich nicht peitschen, noch rädern lasset, ehe ich ins Land der Seelen gehe.“
„Ich verspreche es Dir“, sagte der Kaiser.
„Majestät,“ sprach Ulenspiegel, „ich bitte, daß Ihr kommt, den Mund zu küssen, mit dem ich nicht vlämisch spreche, ehe ich gehenkt werde.“
Der Kaiser lachte wie alles Volk und sagte:
„Ich kann nicht tun, um was Du bittest, und Du sollst nicht gehenkt werden, Ulenspiegel.“
Aber er verurteilte die Bürgermeister und Schöffen, sechs Monde lang Brillen hinten am Kopf zu tragen.
„Auf daß die von Audenaerde,“ sagte er, „wenn sie vorn nicht sehen können, wenigstens hinten sehen mögen.“
Und nach Kaiserlicher Verordnung ist diese Brille noch heute im Wappen der Stadt zu sehen.
Und Ulenspiegel ging bescheiden von dannen, mit einem kleinen Beutel voll Geld; den hatten ihm die Frauen gegeben.
Da Ulenspiegel in Lüttich auf den Fischmarkt kam, folgte er einem dicken Burschen, der unter einem Arme ein Netz mit aller Art von Geflügel trug und ein anderes mit Schellfisch, Forellen, Aalen und Hechten anfüllte.
Ulenspiegel erkannte Lamm Goedzak.
„Was tust Du hier, Lamm?“ fragte er.
„Du weißt, wie sehr die Vlämen in diesem freundlichen Lande Lüttich willkommen sind. Ich gehe hier meiner Liebe nach. Und du?“
„Ich suche einen Herrn, dem ich um Brot dienen könnte“, erwiderte Ulenspiegel.
„Das ist eine gar trockene Nahrung. Besser wärs, Du ließest einen Rosenkranz von Fettammern, mit einem Krammetsvogel als Kredo daran, von der Schüssel in den Mund gleiten.“
„Bist Du reich?“ fragte Ulenspiegel.
Lamm Goedzak erwiderte:
„Ich habe Vater, Mutter und meine junge Schwester verloren, welche mich so heftig schlug; ich werde ihr Hab und Gut erben. Ich lebe mit einer einäugigen Magd, welche eine große Meisterin in Frikassees ist.“
„Soll ich Dir Deine Fische und Dein Geflügel tragen?“ fragte Ulenspiegel.
„Ja,“ sagte Lamm Goedzak.
Sie schlenderten selbander über den Markt.
Plötzlich sagte Lamm:
„Weißt Du, warum Du ein Narr bist?“
„Nein“, gab Ulenspiegel zurück.
„Weil Du Fisch und Geflügel in der Hand trägst, anstatt sie im Magen zu tragen.“
„Du hast es getroffen, Lamm,“ erwiderte Ulenspiegel, „aber seit ich kein Brot mehr habe, wollen die Fettammern mich nicht mehr ansehen.“
„Du wirst deren essen, Ulenspiegel,“ sagte Lamm, „und mir dienen, wenn meine Köchin Dich haben will.“
Dieweil sie gingen, zeigte Lamm dem Ulenspiegel ein schönes, artiges, zierliches Mägdlein, in Seide gekleidet, das über den Markt trippelte und Lamm mit sanften Augen anblickte. Ein alter Mann, ihr Vater, ging hinter drein mit zwei Netzen, einem mit Fischen und einem andern mit Wildbret.
„Die da“, sagte Lamm, auf sie weisend, „mache ich zu meiner Frau.“
„Ja,“ sagte Ulenspiegel, „ich kenne sie. Es ist eine Vlamländerin aus Zotteghem, sie wohnt Rue Vinave d’Isle, und die Nachbarn sagen, daß ihre Mutter an ihrer Statt vor dem Hause die Straße kehrt und daß ihr Vater ihre Hemden bügelt.“
Doch Lamm antwortete und sagte gar erfreut:
„Sie hat mich angeblickt.“
Sie kamen beide zu Lamms Haus bei der Bogenbrücke und klopften an die Tür. Eine einäugige Magd kam, ihnen zu öffnen. Ulenspiegel sah, daß sie alt, lang, hager und mürrisch war.
„La Sanginne,“ sagte Lamm zu ihr, „magst Du diesen, um Dir bei der Arbeit zu helfen?“
„Ich werde ihn auf Probe nehmen“, sagte sie.
„So nimm ihn,“ sagte er, „und laß ihn die Freuden Deiner Kochkunst kosten.“
La Sanginne setzte alsbald drei Blutwürste, eine Kanne Kräuterbier und einen großen Laib Brot auf den Tisch.
Dieweil Ulenspiegel aß, knabberte Lamm auch an einer Wurst.
„Weißt Du,“ fragte er, „wo unsre Seele wohnt?“
„Nein, Lamm“, sagte Ulenspiegel.
„Sie ist in unserm Magen,“ versetzte Lamm, „um ihn unablässig auszuhöhlen und in unserm Körper immerdar die Lebenskraft zu erneuern. Und welches sind die besten Gesellschafter? Das sind alle guten und feinen Gerichte, und Wein von der Maas obendrein.“
„Ja“, sagte Ulenspiegel, „Würste sind eine angenehme Gesellschaft für die einsame Seele.“
„Er will noch mehr, gib ihm noch mehr, la Sanginne“, gebot Lamm.
Sie gab Ulenspiegel diesmal Weißwürste.
Während er sich vollstopfte, ward Lamm nachdenklich und sprach:
„Wenn ich sterbe, wird mein Bauch mit mir sterben, und da unten im Fegefeuer wird man mich fasten und meinen schlaffen, leeren Bauch herumtragen lassen.“
„Die schwarzen schienen mir besser“, sprach Ulenspiegel.
„Du hast ihrer sechse gegessen,“ versetzte la Sanginne, „und mehr bekommst Du nicht.“
„Du weißt,“ sagte Lamm, „daß Du hier einen guten Dienst haben und so gut essen wirst wie ich.“
„Das Wort werde ich mir merken“, entgegnete Ulenspiegel.
Da Ulenspiegel sah, daß er dasselbe Essen bekam, war er glücklich. Die verschluckten Würste gaben ihm solchen Mut, daß er an diesem Tage alle Kessel, Pfannen und Töpfe putzte, also daß sie wie Sonnen glänzten.
Da sichs in diesem Hause gut lebte, so ging er beständig in Keller und Küche; den Boden aber ließ er den Katzen. Eines Tages hatte la Sanginne zwei Hühner zu braten und hieß Ulenspiegel den Bratspieß drehen, dieweil sie zu Markte ging, um allerlei Kräuter zur Würze zu holen.
Da die beiden Hühner gebraten waren, verzehrte Ulenspiegel das eine.
Wie nun la Sanginne zurückkam, sagte sie:
„Der Hühner waren doch zwei; ich sehe nur noch eins.“
„Frau, tut Euer anderes Auge auf, so sehet Ihr sie alle beide“, versetzte Ulenspiegel.
Ganz erbost ging sie zu Lamm Goedzak und meldete ihm das Vorgefallene.
Lamm ging in die Küche hinunter und sprach zu Ulenspiegel:
„Was hast Du meiner Magd zu spotten? Es waren zwei Hühner da.“
„Freilich, Lamm,“ sagte Ulenspiegel, „aber da ich hier in Dienst trat, sagtest Du mir zu, daß ich so gut essen und trinken sollte wie Du. Zwei Hühner waren da, eins habe ich gegessen und Du wirst das andere essen. Meine Freude ist vorüber, die Deine wird erst kommen, bist Du nicht glücklicher als ich?“
„Ja,“ erwiderte Lamm lächelnd, „aber tue ganz, wie la Sanginne Dich heißen wird, dann wirst Du nur halbe Arbeit haben.“
„Ich werde darauf achten,“ sprach Ulenspiegel.
Und allemal, wenn la Sanginne ihn etwas tun hieß, tat er es nur halb. Wenn sie ihm befahl, zwei Eimer Wassers zu holen, so brachte er nur einen. Trug sie ihm auf, einen Krug Kräuterbier aus dem Faß zu füllen, so goß er die Hälfte unterwegs in seine Kehle, und so mit allem.
Endlich war la Sanginne dieser Ränke überdrüssig und sagte zu Lamm, wenn dieser Taugenichts noch länger im Hause bliebe, so liefe sie fort.
Lamm ging zu Ulenspiegel hinunter und sprach zu ihm:
„Du mußt abziehen, mein Sohn, ungeachtet Du in diesem Hause ein gesundes Aussehen bekommen hast. Hör den Hahn krähen! Es ist zwei Uhr nachmittags: das bedeutet Regen. Lieber wäre mir, Dich bei dem kommenden Unwetter nicht vor die Tür zu setzen. Aber bedenke mein Sohn, daß la Sanginne durch ihre Frikassees mir das Leben erhält; ich kann nicht zugeben, daß sie mich verläßt, ohne einen nahen Tod zu gewärtigen. Darum geh, mein Junge, mit Gottes Segen und nimm, Deinen Weg zu erheitern, diese drei Gülden und diesen Rosenkranz von Schlackwürsten mit.“
Ulenspiegel ging betrübt von dannen, voller Sehnsucht nach Lamm und nach seiner Küche.
Der Reifmond kam nach Damm und andern Orten; aber der Winter zauderte. Nicht Schnee, noch Regen, noch kalte Luft; die Sonne schien vom Morgen bis zum Abend und ward nicht blasser. Die Kinder wälzten sich im Staub auf den Gassen und Wegen. Zur Feierstunde nach dem Abendbrot traten die Kaufleute, Krämer, Goldschmiede, Wagner, und Handwerker vor ihre Türen, schauten nach dem allzeit blauen Himmel, den Bäumen, deren Blätter nicht abfielen, den Störchen, die auf dem Dachfirst standen, und den Schwalben, die nicht fortzogen. Die Rosen hatten dreimal geblüht und trugen zum vierten Mal Knospen. Die Nächte waren lau, und die Nachtigallen sangen ohn Unterlaß.
Die von Damm sprachen:
„Der Winter ist tot, laßt uns den Winter verbrennen.“ Und sie fertigten eine riesengroße Puppe, die eine Bärenschnauze, einen langen Bart von Hobelspähnen und einen dicken Scheitel von Flachs hatte, legten ihr weiße Kleider an und verbrannten sie mit großer Feierlichkeit.
Klas blies Trübsal und segnete weder den immer blauen Himmel noch die Schwalben, die nicht fortziehen wollten; denn keiner in Damm brannte Kohlen mehr, es sei denn zum Kochen, und da ein jeder genug hatte, ging er nicht zu Klas, welche zu kaufen. Klas aber hatte all seine Spargroschen ausgegeben, um seinen Vorrat zu bezahlen. Darum sagte der Kohlenträger, wenn er auf seiner Türschwelle stand und fühlte, wie seine Nasenspitze von einem herben Windhauch erfrischt ward: „Ah, da kommt mein Brot.“
Aber der frische Wind blies nicht stetig und der Himmel blieb immerdar blau, und die Blätter wollten nicht abfallen. Und Klas weigerte sich, seinen Wintervorrat dem geizigen Griepenstüver, dem Ältesten der Fischergilde, zum halben Preis zu verkaufen. Und bald mangelte es in der Hütte an Brot.
Aber König Philipp hatte keinen Hunger und verspeiste Leckereien bei seiner Gemahlin Maria der Häßlichen aus dem königlichen Hause der Tudor. Er liebte sie nicht von Herzen, hoffte aber dem engelländischen Volk einen spanischen Monarchen zu geben, indem er die Schwächliche befruchtete.
Ihn widerte vor dieser Verbindung, welche die eines Steines mit einer glühenden Kohle war. Jedoch vereinigten sie sich genugsam, um die armen Reformierten zu Hunderten ertränken und verbrennen zu lassen.
Wenn Philipp nicht von London entfernt noch verkleidet ausgegangen war, um sich in irgend einem verrufenen Haus zu ergötzen, vereinigte die Nachtstunde die beiden Gatten. Alsdann reckte sich die Königin Maria, mit schöner Leinwand von Tournay und irländischen Spitzen angetan, im Ehebett, dieweil Philipp steif wie ein Pfahl vor ihr stund und zusah, ob er an seinem Weibe nicht irgend ein Zeichen von Mutterschaft erblickte. Aber da er nichts sah, ward er zornig, blieb stumm und betrachtete seine Nägel.
Dann sprach die unfruchtbare Harpye zärtliche Worte und versuchte zu liebäugeln und den eisigen Philipp um Liebe zu bitten. Tränen, Geschrei und inständiges Flehen, nichts sparte sie, um eine lauwarme Liebkosung von ihm, der sie nicht liebte, zu erhalten. Vergebens warf sie sich mit gefalteten Händen ihm zu Füßen, vergebens lachte und weinte sie zugleich wie eine Verrückte, um ihn zu rühren. Nicht Lachen noch Tränen erweichten dies steinharte Herz. Vergebens umschlang sie ihn mit ihren mageren Armen wie eine verliebte Schlange und drückte den engen Käfig, darin die verkümmerte Seele des blutigen Königs wohnte, an ihre flache Brust; er rührte sich nicht mehr denn ein Prellstein.
Die arme Häßliche versuchte, anmutig zu sein, und nannte ihn mit allen süßen Namen, die Liebestolle dem erwählten Geliebten geben. Philipp betrachtete seine Nägel.
Manchmal antwortete er:
„Wirst Du keine Kinder bekommen?“
Bei dieser Rede sank Marias Haupt auf ihre Brust.
„Ist es meine Schuld, wenn ich unfruchtbar bin? Habe Mitleid mit mir, ich lebe wie eine Wittib.“
„Warum hast Du keine Kinder?“ fragte Philipp.
Da fiel die Königin wie zu Tode getroffen auf den Teppich. Sie hatte nur Tränen in den Augen, aber sie hätte Blut geweint, wenn sie gekonnt hätte, die Arme. Und also rächte Gott an den Henkern die Opfer, mit denen sie den Boden Engellands besäet hatten.
Es ging das Gerücht unter den Leuten, daß Kaiser Karl den Mönchen das freie Recht nehmen wollte, die, welche in ihrem Kloster starben, zu beerben. Solches mißfiel dem Pabst gar sehr. Ulenspiegel, der damals an den Ufern der Maaß war, gedachte, daß der Kaiser derart überall seinen Nutzen finden würde; denn er erbte, wenn die Familie nicht erbte. Er setzte sich an den Rand des Flusses und warf seine Angelschnur mit gutem Köder hinein. Dann knabberte er ein altes Stück Schwarzbrot, und es war ihm leid, daß er keinen Wein aus der Romagna hatte, um es anzufeuchten. Aber er gedachte, daß man nicht immer sein Vergnügen haben kann.
Indem warf er von seinem Brote ins Wasser und sagte bei sich: „Wer ißt und teilt sein Mahl mit dem Nächsten nicht, der ist des Essens nicht wert.“
Kam ein Gründling herbei, witterte einen Bissen, beleckte ihn mit seinen Lefzen und tat sein unschuldig Maul auf, denn er wähnte ohne Zweifel, daß das Brot von selbst hineinfallen würde. Dieweil er also in die Luft sah, ward er urplötzlich von einem heimtückischen Hecht verschlungen, der sich wie ein Pfeil auf ihn gestürzt hatte. Desgleichen tat der Hecht bei einem Karpfen, der Fliegen im Fluge fing, unbekümmert um die Gefahr. So wohl gesättigt, hielt er sich unbeweglich unter Wasser, das kleine Fischvolk verschmähend, welches überdies so schnell wie möglich von ihm fortschwamm. Während er sich so breit machte, siehe da kam unversehens mit gähnendem Rachen gar gefräßig ein hungriger Hecht herbei, der sich mit einem Satz auf ihn stürzte. Ein wütender Kampf entspann sich zwischen beiden und sie hieben mit den Mäulern aufeinander los wie unsterbliche Helden. Das Wasser ward rot von ihrem Blute. Der Hecht, der gespeist hatte, verteidigte sich schlecht gegen den, welcher nüchtern war. Der aber zog sich zurück, nahm einen Anlauf und schoß wie eine Kugel auf seinen Gegner, der ihn mit aufgesperrtem Rachen erwartete und seinen Kopf mehr denn halb verschlang. Er wollte ihn wieder los werden, konnte es aber nicht wegen seiner umgebogenen Zähne. Und alle beide zappelten jämmerlich.
So festgehakt, sahen sie die starke Angel nicht, die an einer seidenen Schnur befestigt, unten aus dem Wasser stieg und sich unter die Flosse des Hechtes, der gespeist hatte, bohrte. Sie zog ihn samt seinem Feind aus dem Wasser und warf alle beide kurzerhand auf den Rasen.
Indem er sie schlachtete, sagte Ulenspiegel:
„Ihr allerliebsten Hechte, seid Ihr nicht vielleicht Papst und Kaiser, die einander fressen, und bin ich nicht das Volk, welches in der Stunde, die Gott gibt, Euch alle beide in Euren Schlachten mit dem Haken erschnappt?“
Derweilen schweifte Katheline, welche Borgerhout nicht verlassen hatte, ohne Unterlaß in der Gegend umher und sagte immerdar:
„Hanske, mein Mann, sie haben mir Feuer auf dem Kopf angezündet; mach ein Loch hinein, daß die Seele hinaus kann. Ach, sie pocht alleweil und jeglicher Schlag ist stechender Schmerz.“
Und Nele pflegte sie in ihrem Wahnsinn und gedachte an ihrer Seite voller Harm ihres Freundes Ulenspiegel.
Und in Damm schnürte Klas seine Reisigbündel, verkaufte seine Kohle und gedachte manchesmal schwermütig, daß es noch lange währen möchte, bis Ulenspiegel, der Verbannte, in seine Hütte heimkehrte.
Soetkin stand den ganzen Tag am Fenster und schaute hinaus, ob sie ihren Sohn Ulenspiegel nicht kommen sähe.
Der aber war in der Gegend von Köln angelangt und fand, daß er zur Stunde Lust zum Gartenbau hatte. Et erbot sich, dem Jan von Zuursmoel als Knecht zu dienen, welcher Landsknechtshauptmann war. Der wäre auf ein Haar gehenkt worden aus Mangel an Lösegeld und hatte einen großen Graus vor dem Hanf, so auf vlämisch Hennep geheißen wird.
Eines Tages wollte Jan von Zuursmoel dem Ulenspiegel seine Arbeit weisen und führte ihn an das Ende seines Gartens; allda sahen sie einen Morgen Ackers, dem Garten benachbart, der ganz mit grünem Hanfe bepflanzt war.
Jan von Zuursmoel sprach zu Ulenspiegel:
„Jedes Mal, so Du dies häßliche Kraut siehest, mußt Du darauf sch....., denn es dient zu Rad und Galgen.“
„Ich werde es tun“, sprach Ulenspiegel.
Eines Tages saß Jan von Zuursmoel bei Tafel mit etlichen gefräßigen Freunden, da sprach der Koch zu Ulenspiegel.
„Geh in den Keller und hole Sennep“, welches Senf ist.
Ulenspiegel hörte volle Tücke Hennep statt Sennep, sch... in den Senftopf im Keller und trug ihn zur Tafel auf, nicht ohne Lachen.
„Warum lachst Du?“ fragte Jan von Zuursmoel. „Meinst Du, unsere Nasen seien von Erz? Iß diesen Sennep selber, dieweil Du ihn angerichtet hast.“
„Ich esse lieber Rostbraten mit Zimmet“, antwortete Ulenspiegel.
Jan von Zuursmoel stand auf, um ihn zu schlagen.
„In diesen Senftopf“, sprach er, „ist gesch... worden.“
„Herr,“ antwortete Ulenspiegel, „gedenkt Ihr nicht mehr des Tages, da ich Euch bis ans Ende Eures Gartens gefolgt bin? Da sprachet Ihr, auf den Sennep weisend: ‚Überall, wo Du dies Kraut findest, sch.... darauf, denn es dient zu Galgen und Rad‘. Also tat ich, Herr, ich sch... darauf mit großer Verachtung. Züchtigt mich nicht für meinen Gehorsam.“
„Ich sagte Hennep, nicht Sennep“, schrie Jan von Zuursmoel gar wütend.
„Herr,“ antwortete Ulenspiegel, „Ihr sagtet Sennep, nicht Hennep.“
Also stritten sie sich lange Zeit. Ulenspiegel sprach demütiglich; Jan von Zuursmoel schrie wie ein Adler und warf Sennep, Hennep und ähnliche Worte durcheinander gleich einem verwirrten Seidengesträhne. Und die Gäste lachten wie Teufel und aßen Dominikanerkoteletten und Inquisitorennieren.
Ulenspiegel aber ward von Jan von Zuursmoel fortgejagt.
Ulenspiegel verdingte sich bei einem Schneider, der sagte zu ihm: „Wenn Du nähst, nähe so eng, daß ich die Stiche nicht sehe.“
Ulenspiegel kroch unter ein Faß und hub an, allda zu nähen.
„Das meinte ich nicht“, schrie der Schneider.
„Ich dränge mich in ein Faß; wie soll man die Stiche da sehen können?“ versetzte Ulenspiegel.
„Komm,“ sagte der Schneider, „setz Dich wieder auf den Tisch und näh die Stiche eng zusammen einen neben den andern und mach das Gewand wie diesen Wolf.“ Wolf aber war der Name für ein Bauernwamms.
Ulenspiegel nahm das Wamms, schnitt es in Stücke und nähte sie dergestalt zusammen, daß sie die Gestalt eines Wolfes hatten.
Da der Schneider dies sah, schrie er:
„Was zum Teufel hast Du gemacht?“
„Einen Wolf“, erwiderte Ulenspiegel.
„Du arger Schalk,“ erwiderte der Schneider, „ich hatte Dir freilich gesagt, einen Wolf, aber Du weißt, daß man ein Bauernwamms Wolf heißt.“
Nach einer Weile sagte er zu ihm:
„Gesell, wirf die Ärmel an diesen Rock, ehe Du schlafen gehst.“ Ulenspiegel hing den Rock an den Haken und brachte die ganze Nacht damit hin, die Ärmel daran zu werfen.
Der Schneider kam bei dem Lärm herzu:
„Taugenichts,“ sprach er zu ihm, „was für einen schlechten Streich spielst Du mir da wieder?“
„Ist das ein schlechter Streich?“ versetzte Ulenspiegel. „Sehet, ich habe diese Ärmel die ganze Nacht an den Rock geworfen, und sie sitzen noch nicht fest.“
„Das versteht sich,“ sprach der Schneider, „darum werf ich Dich auf die Straße; sieh zu, ob Du da besser festsitzest.“
Derweil Katheline bei einem guten Nachbar wohlbehütet war, ging Nele ganz allein weit, weit fort, bis Antwerpen, die Schelde entlang oder auf andern Wegen und suchte auf den Flußkähnen und auf den staubigen Straßen, ob sie ihren Freund Ulenspiegel nicht fände.
An einem Markttage kam er nach Hamburg und sah allerorten Kaufleute und unter ihnen etliche alte Juden, die von Wucher und uneingelösten Pfändern lebten.
Ulenspiegel, der auch Kaufmann werden wollte, sah etliche Roßäpfel am Boden liegen und trug sie in seine Wohnung, welche in einer Flesche des Walls war. Da ließ er sie trocknen. Dann kaufte er rote und grüne Seide und machte Säcklein davon. Da hinein tat er die Roßäpfel und band sie mit einem Bande zu, als ob sie voll Bisam wären.
Alsdann machte er aus etlichen Latten ein Tragbrett, hängte es mit alten Stricken um seinen Hals und ging zu Markt, das Brett, mit den Säcklein gefüllt, vor sich hertragend. Am Abend zündete er, um sie zu beleuchten, in der Mitte ein Lichtlein an.
Wenn die Leute ihn fragten, was er da feil hielte, antwortete er voll Heimlichkeit:
„Ich werde es Euch sagen, aber laßt uns nicht zu laut sprechen!“
„Was ist es denn?“ fragten die Käufer.
„Es sind Prophetenbeeren,“ antwortete Ulenspiegel, „so geradenwegs aus Arabien nach Flandern gekommen sind, mit großer Kunst von Meister Abdul-Medil aus dem Geschlecht des großen Mahomet bereitet.“
Etliche Kunden sprachen zu einander:
„Das ist ein Türke.“
Aber die andern sprachen:
„Es ist ein Pilger, der aus Flandern kommt. Hört ihr es nicht an seiner Sprache?“
Und die Zerlumpten, die Hungerleider und Bettler kamen zu Ulenspiegel und sagten:
„Gib uns von diesen Prophetenbeeren.“
„Wenn ihr Gülden haben werdet, solche zu kaufen.“
Und die armen Zerlumpten, Hungerleider und Bettler gingen betrübt von dannen und sagten:
„Es ist keine Freude in dieser Welt, denn allein für die Reichen.“
Das Gerücht von den Beeren, die zu verkaufen waren, verbreitete sich alsbald über den Markt. Die Bürger sprachen zu einander:
„Da ist ein Vlamländer, welcher Prophetenbeeren hat, die in Jerusalem auf dem Grabe unseres Herrn Jesu geweiht sind; aber es heißt, daß er sie nicht verkaufen will.“
Und alle Bürger kamen zu Ulenspiegel und fragten ihn nach seinen Beeren.
Aber Ulenspiegel, der großen Gewinn haben wollte, erwiderte, daß sie noch nicht reif genug wären; er hatte aber ein Auge auf zwei reiche Juden geworfen, die auf dem Markte umhergingen.
„Ich möchte wohl wissen,“ sagte einer der Bürger, „was aus meinem Schiff auf See werden wird.“
„Es wird bis an den Himmel gehen, wenn die Wellen hoch genug sind“, erwiderte Ulenspiegel.
Ein anderer zeigte ihm sein hübsches Töchterlein, welches über und über rot ward, und sprach:
„Diese wird ohne Zweifel den Weg der Tugend wandeln?“
„Alles wandelt, wohin die Natur will“, versetzte Ulenspiegel, denn er hatte gesehen, wie das Mädchen einem jungen Burschen einen Schlüssel gab. Der aber, von Wohlbehagen aufgeblasen, sprach zu Ulenspiegel:
„Herr Kaufmann, gebt mir einen Eurer prophetischen Säcke, damit ich daraus ersehe, ob ich diese Nacht allein schlafen werde.“
„Es stehet geschrieben,“ gab Ulenspiegel zur Antwort, „welcher den Roggen der Verführung aussäet, der wird das Saatkorn der Hahnreischaft ernten.“
Der junge Bursche erboste sich:
„Auf wen hast Du es abgesehen?“
„Die Beeren sagen,“ erwiderte Ulenspiegel, „daß sie Dir eine glückliche Ehe wünschen und eine Frau, die Dir nicht den Hut des Vulkan aufsetzt. Kennst Du diese Kopfbedeckung?“
Dann predigte er:
„Das Weib, das auf dem Heiratsmarkt Handgeld gibt, läßt nachher den andern die ganze Ware umsonst.“
Hierauf sprach das Mädchen, welches Sicherheit heucheln wollte: „Sieht man all dieses in dem prophetischen Säcklein?“
„Man sieht auch einen Schlüssel darin“, sagte Ulenspiegel ihr ganz leise ins Ohr.
Aber der Jüngling war schon mit dem Schlüssel davon.
Plötzlich gewahrte Ulenspiegel einen Dieb, der von der Fleischbank eines Schweinemetzgers eine ellenlange Wurst stahl und unter seinem Mantel verbarg. Aber der Metzger sah es nicht. Voller Freuden kam der Dieb zu Ulenspiegel und sagte zu ihm:
„Was verkaufst Du da, Unglücksprophet?“
„Säcklein, aus denen Du ersehen kannst, daß Du gehängt werden wirst, weil Du die Würste zu gern hattest.“
Bei dieser Rede entfloh der Dieb eilends, indes der bestohlene Metzger schrie:
„Haltet den Dieb, haltet den Dieb!“
Aber es war zu spät.
Während Ulenspiegel sprach, näherten sich ihm die beiden reichen Juden, die mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatten, und sagten zu ihm:
„Was hast Du da feil, Vlamländer?“
„Säcklein“, versetzte Ulenspiegel.
„Was sieht man mit Hilfe Deiner Prophetenbeeren?“ fragten sie.
„Die künftigen Ereignisse, wenn man sie in den Mund nimmt,“ versetzte Ulenspiegel.
Die beiden Juden beredeten sich, und der Ältere sagte zum andern.
„Derart könnten wir sehen, wann unser Messias kommen wird. Solches würde ein großer Trost für uns sein. Laß uns eins dieser Säcklein erstehen. Wie teuer verkaufst Du sie?“ fragten sie.
„Fünfzig Gülden“, versetzte Ulenspiegel. „Wenn Ihr mir die nicht zahlen wollt, so geht nur hinweg. Wer das Feld nicht kauft, muß den Misthaufen lassen, wo er ist.“
Da sie Ulenspiegel so fest sahen, zählten sie ihm sein Geld hin, nahmen eins der Säckchen und begaben sich nach ihrem Bethaus. Allda liefen bald alle Juden zu Hauf, wissend, daß einer der beiden Alten ein Geheimnis erhandelt hatte, durch welches man des Messias Ankunft erfahren und verkünden könnte.
Da ihnen die Sache bekannt war, wollten sie an dem Säcklein saugen, ohne zu zahlen; aber der Älteste, der es gekauft hatte, und der Jehu hieß, wollt’ es allein tun.
„Söhne Israels,“ sprach er, das Säckchen in der Hand haltend, „die Christen spotten unser, wir sind gehetzt unter den Menschen, und man schreit hinter uns her, als wären wir Schelme. Die Philister wollen uns unter den Erdboden erniedrigen; sie speien uns ins Antlitz, denn Gott hat unsere Bogen entspannt und die Zügel vor uns gelockert. Wird es noch lange währen, Herr Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, daß uns Übles geschieht, so wir Gutes erwarten, und daß Finsternis kommt, so wir auf Helligkeit hoffen? Wirst Du bald auf der Erde erscheinen, göttlicher Messias? Wann werden die Christen sich in den Höhlen und Löchern der Erde verbergen, ob des Schreckens, den sie vor Dir haben und vor Deiner Herrlichkeit, wann Du aufstehen wirst, sie zu züchtigen?“
Und die Juden schrien:
„Komm Messias! sauge Jehu!“
Jehu leckte und brach es wieder aus und rief gar kläglich:
„Wahrlich, ich sage Euch, dies ist nichts denn Kot, und der flandrische Pilger ist ein Schelm.“
Da stürzten sich alle Juden über das Säcklein her, öffneten es und sahen, was es enthielt, und gingen in großer Wut auf den Markt, um Ulenspiegel zu suchen.
Der aber hatte mit nichten auf sie geharrt.
Ein Mann aus Damm, welcher Klas seine Kohlen nicht bezahlen konnte, gab ihm sein bestes Gerät, eine Armbrust mit zwölf scharfgespitzten Bolzen, die als Wurfgeschoß dienten.
In den Stunden, wo die Arbeit feierte, schoß Klas mit der Armbrust; mehr als ein Hase ward von ihm erlegt und zu Frikassee eingekocht, dafür daß er den Kohl zu sehr geliebt hatte.
Alsdann aß Klas unmäßig und Soetkin sagte, auf die öde Landstraße blickend: „Tyll, mein Sohn, spürst du nicht den Wohlgeruch der Brühe? Gewißlich hat er jetzt Hunger.“ Und ganz in Gedanken hätte sie ihm seinen Anteil am Schmause aufheben mögen.
„Wenn ihn hungert,“ sprach Klas, „so ist’s seine Schuld; möge er heimkehren, so wird er essen wie wir.“
Klas hatte Tauben; auch hörte er gern Grasmücken, Distelfinken, Sperlinge und andere singende und geschwätzige Vögel um sich herum singen und zwitschern. Desgleichen schoß er gern die Bussarde und Sperber, die königlichen Vertilger des Vogelvolks.
Einmal, da er im Hofe Kohlen maß, zeigte Soetkin ihm einen großen Vogel, der über dem Taubenschlag in der Luft schwebte. Klas nahm seine Armbrust und sprach:
„Der Teufel errette Seine Gnaden, den Sperber!“
Er spannte seine Armbrust und verfolgte alle Bewegungen des Vogels, um ihn nicht zu fehlen. Es war um die Zeit der Dämmerung, Klas konnte nur noch einen schwarzen Punkt unterscheiden. Er schoß den Bolzen ab und sah einen Storch in den Hof fallen.
Klas war schier betrübt darüber, aber Soetkin war es noch mehr und rief:
„Unseliger, du hast den Vogel Gottes getötet.“
Hierauf nahm sie den Storch, sah, daß er nur am Flügel verwundet war, ging Balsam holen und sagte, derweil sie seine Wunde verband:
„Storch, Schätzlein, es war nicht gescheit von Dir, daß Du, den man liebt, in den Wolken schwebst wie der Sperber, den man haßt. Auch die Pfeile des Volkes gehen ans unrechte Ziel; tut Dir Dein armer Flügel weh, Störchlein? Lässest Dich so geduldig behandeln, denn Du weißt, daß unsre Hände Freundeshände sind.“
Da der Storch geheilt war, bekam er zu fressen, was er nur wollte; aber mit Vorliebe fraß er den Fisch, den Klas für ihn im Kanal fischen ging. Und allemal, wenn der Gottesvogel ihn kommen sah, öffnete er seinen großen Schnabel. Er folgte Klas wie ein Hund, aber lieber weilte er in der Küche und wärmte seine Brust am Feuer und klopfte Soetkin, die das Mahl bereitete, mit dem Schnabel auf den Leib, als wollte er ihr sagen:
„Ist nichts für mich da?“
Es war aber lustig anzusehen, wie dieser ernsthafte Glücksbote auf seinen langen Beinen in der Hütte einherstelzte.
Indessen waren die bösen Tage wiedergekehrt. Klas arbeitete traurig allein auf dem Felde, denn es war nicht Arbeit für zwei. Soetkin blieb allein in der Hütte und bereitete die Bohnen, ihre tägliche Speise, auf jegliche Art zu, um ihrem Manne Lust zum Essen zu machen. Und sie sang und lachte, damit er sich nicht grämte, sie traurig zu sehen. Der Storch stand auf einem Bein, den Schnabel im Gefieder, neben ihr.
Ein Mann zu Pferde hielt vor der Hütte still; er war schwarz gekleidet, sehr hager und hatte eine sonderlich traurige Miene.
„Ist jemand drinnen?“ fragte er.
„Gott segne Eure Schwermut, aber bin ich ein Geist, daß Ihr mich hier sehet und fragt, ob jemand daheim sei?“
„Wo ist Dein Vater?“ fragte der Reiter.
„Wenn mein Vater Klas heißt, so ist er dort unten, und Du siehst ihn Korn säen.“
Der Reiter ging und Soetkin desgleichen, betrübten Herzens, denn sie mußte zum sechsten Male Brot vom Bäcker holen, ohne zu zahlen. Da sie mit leeren Händen zurückkehrte, sah sie voller Staunen, wie Klas stolz und triumphierend heimkehrte auf dem Pferde des schwarzgekleideten Mannes, welcher zu Fuß neben ihm schritt und es am Zügel führte. Klas stützte einen ledernen Sack, der wohlgefüllt schien, stolz auf seinen Schenkel.
Beim Absteigen umarmte er den Mann, schlug ihm fröhlich auf die Schulter und rief, den Sack schüttelnd:
„Es lebe mein Bruder Jobst, der gute Einsiedel! Gott erhalte ihn in Freude, Leibesfülle, Frohsinn und Gesundheit! Siehe, er ist der Jobst des Segens, des Überflusses und der fetten Suppen! Der Storch hat nicht gelogen!“ Und er setzte den Sack auf den Tisch.
Da sagte Soetkin voller Harm: „Mann, wir werden heute nicht essen, der Bäcker wollte mir kein Brot geben.“
„Brot?“ sagte Klas, öffnete den Sack und ließ einen goldenen Strom über den Tisch sich ergießen. „Brot? Hier ist Brot, Butter, Fleisch, Wein, Bier. Hier sind Schinken, Markknochen, Reiherpasteten, Fettammern, Masthühner und Kapaunen, wie bei den großen Herren! Hier ist Bier in Tonnen und Wein in Fässern. Ein Narr ist der Bäcker, der uns das Brot verweigert; wir werden nichts mehr bei ihm kaufen.“
„Aber Mann“, sprach Soetkin verblüfft.
„Wohlan, höre,“ sprach Klas, „und sei guter Dinge. Katheline, anstatt in der Markgrafschaft Antwerpen die Zeit ihrer Verbannung hinzubringen, ist, von Nele geführt, auf Schusters Rappen bis Meyborg gegangen. Dort hat Nele meinem Bruder Jobst gesagt, daß wir oftmals darben, ohngeachtet unserer sauren Arbeit. Wie dieser wackre Bote mir soeben vermeldete“ / und Klas wies auf den schwarzgekleideten Reiter / „hat Jobst die heilige römische Religion verlassen und sich der Ketzerei Luthers hingegeben.“
Der schwarzgekleidete Mann sagte:
„Jene sind Ketzer, die sich zum Dienste der großen Buhlerin bekennen. Denn der Papst ist bestechlich und treibt Schacher mit heiligen Dingen.“
„Ach,“ sprach Soetkin, „sprecht nicht so laut, Herr, Ihr könntet uns alle drei auf den Scheiterhaufen bringen.“
„So hat denn“, sagte Klas, „Jobst diesem wackeren Boten gesagt, er wolle mit den Truppen Friedrichs von Sachsen kämpfen und ihm fünfzig trefflich gewappnete Männer zuführen. Da er in den Krieg zöge, sei ihm so viel Geld nicht vonnöten, um es in übler Stunde irgend einem Schelm von Landsknecht zu überlassen. „Darum“, so hat er gesagt, „bringe diese siebenhundert Goldkarolus meinem Bruder Klas samt meinen Segenswünschen. Sag ihm, er möge einen guten Wandel führen und seines Seelenheils gedenken.“
„Ja,“ sprach der Reiter, „es ist an der Zeit, denn Gott wird dem Menschen nach seinen Werken lohnen und jeglichen behandeln, gleich wie es sein Wandel verdient.“
„Herr,“ sprach Klas, „inzwischen wird es mir nicht verwehrt sein, mich der frohen Botschaft zu freuen. Geruht bei uns zu bleiben, wir wollen sie mit schönen Kaldaunen, viel Kalbsbraten und einem kleinen Schinken feiern, den ich zuvor bei dem Schweinemetzger gesehen habe, so rund und lecker, daß er mir die Zähne einen Fuß lang aus dem Maul gezogen hat.“
„Ach,“ sprach der Mann, „die Toren ergötzen sich, derweilen die Augen Gottes über ihren Wegen sind.“
„Nun denn, Bote,“ sagte Klas, „willst Du mit uns essen und trinken oder nicht?“
Der Mann entgegnete:
„Für die Getreuen wird es Zeit sein, ihre Seelen den irdischen Freuden hinzugeben, wenn die große Babel gefallen ist.“
Da Soetkin und Klas sich bekreuzten, wollte er gehen.
Klas sprach zu ihm:
„Dieweil es Dir gefällt, also ohne Labung des Weges zu gehen, gib meinem Bruder Jobst den Friedenskuß und wache über ihn in der Schlacht.“
„Das werde ich tun“, erwiderte der Mann.
Er machte sich auf, indes Soetkin etwas einholen ging, um den Glücksfall zu feiern. Der Storch kriegte am selbigen Tage zwei Gründlinge und einen Kabeljaukopf zum Abendessen.
Die Kunde verbreitete sich bald in Damm, daß der arme Klas durch das Vermögen seines Bruders Jobst ein reicher Klas worden sei. Der Dechant meinte, daß Katheline ohne Zweifel Jobst behext hätte, maßen Klas eine ansehnliche Summe Geldes erhalten und doch Unsrer lieben Frau nicht das geringste Kleid geschenkt hätte.
Klas und Soetkin waren glücklich. Klas arbeitete auf dem Felde und verkaufte seine Kohlen und Soetkin zeigte sich daheim als tüchtige Hausfrau. Aber sie spähte voller Harm ohn Unterlaß auf den Wegen nach ihrem Sohn Ulenspiegel. Und alle drei genossen des Glücks, das ihnen von Gott kam, in Erwartung dessen, das ihnen von den Menschen kommen sollte.
Kaiser Karl empfing desselbigen Tages einen Brief, worin sein Sohn Philipp ihm schrieb:
„Mein Kaiserlicher Vater!
„Es mißfällt mir, in diesem Lande leben zu müssen, wo die verfluchten Ketzer wie Flöhe, Raupen und Heuschrecken überhand nehmen. Feuer und Schwert wären gerade recht, um sie vom Stamm des Lebensbaumes, der unsere heilige Mutter Kirche ist, abzuhauen. Als ob es für mich an diesem Kummer nicht genug wäre, muß es noch sein, daß sie mich nicht als König ansehen, sondern als den Mann ihrer Königin, der ohne sie keine Macht hat. Sie spotten über mich und sagen in boshaften Pamphleten, deren Verfasser und Drucker man nicht auffinden kann, daß der Papst mich bezahlt, um das Königreich durch ruchloses Brennen und Hängen zu beunruhigen und zu verderben. So ich irgend eine dringende Steuer von ihnen erheben will, denn sie lassen mich häufig aus Bosheit ohne Geld, antworten sie mir in elenden Pasquillen, daß ich nur Satan, für welchen ich arbeite, darum zu bitten brauchte. Die vom Parlament entschuldigen sich und machen einen krummen Buckel, aus Furcht, daß ich beiße; aber sie bewilligen nichts.
Indessen sind die Mauern Londons mit Schmähschriften bedeckt, so mich als einen Vatermörder hinstellen, der bereit ist, Eure Majestät zu erschlagen, um Euch zu beerben.
Aber Ihr wisset, Herr und Vater, daß ich, ohngeachtet alles berechtigten Ehrgeizes und Stolzes, Euch eine lange und ruhmreiche Regierung wünsche.
Auch verbreiten sie in der Stadt eine Zeichnung, die nur allzu geschickt in Kupfer gestochen ist. Darauf bin ich zu sehen, wie ich das Klavichord spielen lasse durch die Pfoten von Katzen, die in dem Instrument eingesperrt sind. Ihre Schwänze kommen durch runde Löcher herfür und sind außen mit eisernen Stiften befestigt. Ein Mann, der ich sein soll, verbrennt ihnen den Schwanz mit glühenden Eisen und macht dadurch, daß sie die Pfoten auf die Tasten schlagen und wütend heulen. Ich bin so häßlich darauf dargestellt, daß ich mich nicht ansehen mag. Und dann zeigen sie mich lachend. Ihr aber wisset, mein Herr Vater, ob es mir bei irgend einer Gelegenheit begegnet ist, mir dies profane Vergnügen zu machen. Ohne Zweifel versuchte ich mich zu zerstreuen, indem ich diese Katzen zum Miauen brachte, aber ich lachte nicht. In ihren rebellischen Ausdrücken machen sie mir ein Verbrechen aus dem, was sie die Neuheit und Grausamkeit dieses Klavichords nennen, wiewohl doch die Tiere keine Seele haben und alle Menschen, sonderlich alle königlichen Personen, sich zu ihrer Erholung der Tiere bis zu deren Tode bedienen können. Aber in diesem Engelland sind sie so mit Tieren versehen, daß sie solche besser behandeln als ihre Diener. Die Pferdeställe und Hundehütten sind hier Paläste, und es gibt Ritter, die mit ihrem Pferde auf derselben Streu schlafen.
Des Weiteren ist meine edle Gemahlin und Königin unfruchtbar. Sie tun mir den blutigen Schimpf an zu sagen, daß ich die Ursache davon sei und nicht sie, die übrigens über die Maßen eifersüchtig, ohne feine Sitte und liebestoll ist. Mein Herr und Vater, ich bitte alle Tage zum Herrgott, daß er mich in seiner Gnade erhalte. Ich hoffe auf einen andern Thron, und wäre es beim Türken, in Erwartung dessen, zu dem mich die Ehre beruft, Eurer höchst ruhmvollen und höchst siegreichen Majestät Sohn zu sein.“
Gezeichnet: PHLE.“
Der Kaiser antwortete auf diesen Brief:
Mein Herr Sohn!
„Eure Feinde sind groß, das bestreite ich nicht, aber versuchet, ohne Unwillen das Warten auf eine glänzendere Krone zu ertragen. Ich habe schon mehreren meine Absicht kund getan, Mich aus den Niederlanden und Meinen andern Kronländern zurückzuziehen, denn, alt und gichtisch, wie Ich werde, weiß Ich, daß Ich nicht wohl Heinrich von Frankreich, dem zweiten dieses Namens, widerstehen könnte, maßen Fortuna die jungen Leute liebt. Bedenket auch, daß Ihr als Herr Engellands Frankreich, Unseren Feind, durch Eure Macht verwundet.
Ich wurde vor Metz elend geschlagen und verlor dort vierzigtausend Mann. Ich mußte vor dem von Sachsen fliehen. Wenn Gott mir nicht durch eine Fügung seines guten und göttlichen Willens Meine ursprüngliche Kraft und Rüstigkeit wiedergibt, so bin ich gewillt, mein Herr Sohn, Meine Reiche zu verlassen und sie Euch zu übergeben.
Habet also Geduld und übet derweilen alle Pflicht wider die Ketzer, indem Ihr keinen von ihnen verschont, nicht Männer, Frauen, Mädchen noch Kinder; denn ich habe nicht ohne großen Schmerz erfahren, daß die Frau Königin sie oft begnadigen wollte.
Euer wohlgewogener Vater.
Gezeichnet: Karl.“
Da Ulenspiegel lange Zeit gewandert war, hatte er blutende Füße und begegnete im Bistum Mainz einem Planwagen mit Pilgern, der brachte ihn bis nach Rom.
Als er in die Stadt einfuhr und vom Wagen stieg, erblickte er auf der Schwelle einer Herbergstür ein artiges Weiblein, welches lächelte, da es sah, wie er es anschaute.
Diese holde Laune zu seinen Gunsten deutend, sprach er:
„Wirtin, willst Du dem pilgernden Pilger Obdach geben? Denn ich bin der Entbindung nahe und werde mit dem Erlaß meiner Sünden niederkommen.“
„Wir geben Obdach allen, die uns zahlen.“
„Ich habe hundert Dukaten in meiner Geldkatze,“ versetzte Ulenspiegel, der nur einen hatte, „und ich will den ersten draufgehen lassen und mit Dir eine Flasche alten römischen Weins trinken.“
„Der Wein ist an diesen heiligen Orten nicht teuer“, erwiderte sie. „Tritt ein und trinke für einen Soldo.“
Sie tranken so lange mitsammen und leerten unter artigen Reden so viele Flaschen, daß die Wirtin ihrer Magd heißen mußte, an ihrer Statt den Kunden zu trinken zu geben. Sie und Ulenspiegel zogen sich derweil in ein Hintergemach zurück, das mit Marmelstein ausgelegt und kalt wie der Winter war.
Den Kopf auf seine Schulter neigend, fragte sie ihn, wer er wäre. Ulenspiegel gab diese Antwort:
„Ich bin Herr von Geeland, Graf von Gavergaëten, Baron von Tuchtendeel, und in Damm, meiner Vaterstadt, habe ich fünfundzwanzig Morgen Mondschein.“
„Was ist das für ein Landgut?“ fragte die Wirtin und trank aus Ulenspiegels Humpen.
„Das ist eine Besitzung, auf der man das Korn der Täuschungen, der leeren Hoffnungen und der luftigen Versprechen säet. Aber Du bist nicht im Mondschein geboren, holde Wirtin mit der ambraduftenden Haut und den Augen, die wie Perlen glänzen. Das bräunliche Gold dieser Haare hat die Farbe der Sonne; Venus, die neidlose, machte Dir die üppigen Schultern, die prallen Brüste, die runden Arme und die zierlichen Händlein. Werden wir heute Abend mitsammen speisen?“
„Schöner Pilger aus Flandern,“ sprach sie, „warum kommst Du hierher?“
„Um mit dem Papst zu sprechen,“ versetzte Ulenspiegel.
„Ach,“ sprach sie, die Hände faltend, „mit dem Papst zu sprechen; ich, die ich aus diesem Lande stamme, habe es nimmer vermocht.“
„Ich werde es tun“, sprach Ulenspiegel.
„Aber,“ sagte sie, „weißt Du, wohin er geht, wie er ist? Kennst Du seine Gewohnheiten und seine Lebensweise?“
„Man hat mir unterwegs erzählt, daß er Julius III. heißet, daß er ein Wüstling, lustig und ausschweifend ist, geschickt in der Unterhaltung und scharfsinnig in seinen Antworten. Auch hat man mir gesagt, daß er für einen kleinen schwarzen, schmutzigen und ungesitteten Bettelbuben, der mit einem Affen um Almosen bettelt, eine außerordentliche Freundschaft gefaßt hat. Da er auf den päpstlichen Stuhl gelangte, hat er ihn zum Kardinal der Anleihen gemacht, und er soll krank sein, wenn er einen Tag verbringt, ohne ihn zu sehen.“
„Trink,“ sagte sie, „und sprich nicht so laut.“
„Man sagt auch, daß er wie ein Soldat fluchte: Al dispetto di Dio, potta di Dio, als er eines Tages beim Nachtmahl einen kalten Pfauen, den er sich hatte aufheben lassen, nicht fand. Er sagte: „Ich, der Statthalter Christi, mag wohl eines Pfauen halber fluchen, wenn mein Herr um einen Apfel gezürnet hat!“ / „Du siehst, Schätzlein, daß ich den Papst kenne und weiß, wer er ist.“
„Ach,“ sagte sie, „aber sprich davon nicht zu andern. Du wirst ihn gleichwohl nicht sehen.“
„Ich werde mit ihm sprechen“, sagte Ulenspiegel.
„Wenn Du das tust, so gebe ich Dir hundert Gülden.“
„Ich habe sie schon gewonnen“, sprach Ulenspiegel.
Am andern Morgen lief er in der Stadt umher, wiewohl seine Beine müde waren, und erkundete, daß der Papst des selbigen Tages in Sankt Johann vom Lateran die Messe lesen würde. Ulenspiegel ging dorthin und stellte sich so auffallend in die Nähe des Papstes, als er vermochte, und jedes Mal, wenn der Papst den Kelch oder die Hostie erhob, kehrte Ulenspiegel dem Altar den Rücken.
Neben dem Papst stand ein Kardinal, der die Messe ministrirte, braun von Angesicht, boshaft und feist, mit einem Affen auf der Schulter, und gab dem Volk mit vielen unzüchtigen Gesten das Sakrament. Er machte den Papst auf Ulenspiegels Gebahren aufmerksam und der Papst sandte nach der Messe vier prächtige Kriegsmänner, wie man sie in diesen kriegerischen Ländern kennt, sich des Pilgers zu bemächtigen.
„Was für einen Glauben hast Du?“ fragte ihn der Papst.
„Allerheiligster Vater,“ versetzte Ulenspiegel, „ich habe den Glauben, den meine Wirtin hat.“
Der Papst ließ die Frau holen.
„Was glaubst Du?“ sagte er zu ihr.
„Was Eure Heiligkeit glaubt“, erwiderte sie.
„Und ich desgleichen“, sprach Ulenspiegel.
Der Papst fragte ihn, warum er dem heiligen Sakrament den Rücken gedreht hätte.
„Ich fühlte mich unwürdig, es anzuschauen.“
„Du bist Pilger“, sagte der Papst.
„Ja,“ sprach er, „ich komme aus Flandern, Vergebung meiner Sünden zu erbitten.“
Der Papst segnete ihn und Ulenspiegel ging mit der Wirtin von dannen; die zählte ihm hundert Gülden auf. So beladen verließ er Rom, um in das Land Flandern zurückzukehren.
Aber für seinen Ablaß, der auf Pergament geschrieben war, mußte er sieben Dukaten entrichten.
Zur selbigen Zeit kamen zwei Prämonstratenserbrüder nach Damm, um Ablaß zu verkaufen. Sie trugen über ihrem Mönchsgewand ein schönes, mit Spitzen besetztes Hemde.
Wenn das Wetter hell war, standen sie vor der Kirchtür, wenn es regnete, in der Vorhalle. Sie schlugen ihre Preisliste an; danach gaben sie für sechs Heller, für einen Pfennig, einen halben Pariser Lire, für sieben, zwölf Karolusgülden je hundert, zweihundert, dreihundert, vierhundert Jahre Ablaß und je nach dem Preis halben oder vollkommenen Ablaß und Vergebung für die ungeheuerlichsten Verbrechen, zum Exempel den Wunsch, der heiligen Jungfrau Gewalt anzutun. Aber dieses kostete siebenzehn Gülden.
Den Käufern, die ihnen Geld gaben, händigten sie kleine Stücke Pergament ein, auf denen die Zahl der Ablaßjahre geschrieben stand. Darunter las man diese Inschrift:
Und auf zehn Meilen im Umkreis kamen Käufer zu ihnen. Der eine der guten Brüder predigte oftmals zum Volke; er hatte ein feistes, blühendes Gesicht und trug sein dreifaches Kinn und seinen Bauch ohne Verlegenheit zur Schau.
„Unglücklicher,“ sprach er und heftete seine Augen auf den einen oder den andern seiner Zuhörer: „Unglücklicher, da bist Du in der Höllen; das Feuer verbrennt dich grausam, man lässet Dich in einem Kessel voll siedenden Öls kochen, worin man die Ölkuchen der Astarte bereitet. Du bist nichts als eine Blutwurst auf Luzifers Ofen, eine Hammelkeule auf dem Gilgiroths des großen Teufels, denn zuvor schneidet man Dich in Stücke. Siehe diesen großen Sünder, der den Ablaß verachtete, siehe diese Schüssel mit Hackfleisch, das ist er, das ist er, sein ruchloser Körper, sein verdammter Körper also zusammengekocht. Und was für eine Brühe! Schwefel, Pech und Teer. Und solchergestalt werden alle diese armen Sünder gefressen, um beständig für die Qual neu geboren zu werden. Da ist wahrlich Heulen und Zähneklappern. Habe Mitleid, Gott der Barmherzigkeit! Ja, da bist Du in der Hölle, armer Verdammter und leidest all diese Qualen. Gibt man nur einen Heller für Dich, so spürst Du jählings Linderung an Deiner rechten Hand; gibt man noch einen halben mehr, siehe da, Deine beiden Hände sind aus dem Feuer. Aber der übrige Körper? Ein Gülden, und der Tau des Ablasses fällt. O köstliche Kühlung. Und das zehn Tage, hundert Tage, tausend Jahre, je nachdem man zahlt: kein Braten, keine Ölkuchen, kein Hackfleisch mehr. Und wenn es nicht für Dich Sünder ist, gibt es nicht in den geheimsten Tiefen des Feuers arme Seelen? Deine Eltern, ein liebes Weib, ein holdes Mägdlein, mit dem Du gern sündigtest?“
So sprechend, stieß der Mönch den Frater, der mit einem silbernen Becken neben ihm stand, mit dem Ellenbogen an. Bei diesem Zeichen schlug der Bruder die Augen nieder und schüttelte salbungsvoll sein Becken, um das Geld herbeizulocken.
„Hast Du nicht“, sprach der Mönch weiter, „in diesem gräßlichen Feuer einen Sohn, eine Tochter, irgend ein geliebtes Kindlein? Sie schreien, sie weinen, sie rufen Dich. Könntest Du bei diesen kläglichen Stimmen taub bleiben? Du könntest es nicht. Dein Herz von Eis schmilzt; aber das wird Dir einen Gülden kosten. Und schau: beim Klang dieses Karolus auf diesem geringen Metall (des Mönches Kumpan schüttelte abermals das Becken) entsteht ein leerer Raum im Feuer, und die arme Seele steigt bis an die Öffnung irgend eines Vulkans. Nun ist sie in der frischen Luft, der freien Luft! Wo ist die Pein des Feuers? Das Meer ist nahe, sie stürzt sich hinein, sie schwimmt auf dem Rücken, auf dem Bauch, auf den Wogen und unter ihnen. Horch, wie sie vor Freude jauchzt, wie sie sich im Wasser wälzt! Die Engel schauen sie an und sind glücklich. Sie erwarten sie, aber sie hat noch nicht genug, sie möchte ein Fisch werden. Sie weiß nicht, daß es da oben labende, duftende Bäder gibt, darinnen große Stücke weißen Kandiszuckers schwimmen, so kühl wie Eis. Ein Hai erscheint; sie fürchtet ihn nimmer. Sie steigt auf seinen Rücken, aber er spürt sie nicht; sie will mit ihm in die Tiefen des Meeres tauchen, dort will sie die Engel der Gewässer begrüßen, Waterzoey (Wassertiere) aus Korallenkesseln und frische Austern von Perlmutterschalen essen. Und wie wohl wird sie dort empfangen, gefeiert und gehätschelt. Die Englein rufen sie immerdar von oben. Siehst Du, wie sie endlich erquickt und glücklich, gleich einer Lerche, sich singend in den höchsten Himmel erhebt, wo Gott in seiner Herrlichkeit thront? Dort findet sie alle ihre irdischen Verwandten und Freunde, ohne allein jene, so im Abgrund der Höllen brennen, dieweil sie den Ablaß unsrer Heiligen Mutter Kirche geschmäht haben. Und also immer, immer, immer, bis in Jahrhunderte von Jahrhunderten, in der brennenden Ewigkeit. Aber die andre Seele ist bei Gott, erfrischt sich in köstlichen Bädern und knuspert Kandiszucker. Kauft Ablaß, Brüder, er wird für Cruzados, für Goldgülden, für Sovereigns aus England erteilt. Auch Kippergeld wird nicht zurückgewiesen. Kauft, kauft! Dies ist der heilige Kramladen. Hier ist Waare für Arme und für Reiche, aber es ist uns schier leid: wir können nichts auf Borg geben, Brüder, denn kaufen und nicht baar bezahlen ist ein Verbrechen in den Augen des Herrn.“
Der Bruder, der nicht predigte, schüttelte seine Schale und die Gulden, Cruzados, Dukaten, Groschen, Heller und Pfennige fielen hageldicht darauf nieder.
In Ansehung seines Reichtums zahlte Klas einen Gülden für zehntausend Jahre Ablaß. Die Mönche gaben ihm dafür ein Stück Pergament.
Aber in Bälde, da sie sahen, daß in Damm nur noch Geizhälse übrig waren, die keinen Ablaß gekauft hatten, machten sich die beiden nach Heyst auf.
Mit seinem Pilgergewand angetan und seiner Vergehen los und ledig, verließ Ulenspiegel Rom, ging seines Weges fürbaß und kam nach Bamberg, wo man das beste Gemüse der Welt hat.
Er trat in eine Herberge, wo eine fröhliche Wirtin war; die sprach zu ihm:
„Junger Herr, willst Du für dein Geld essen?“
„Ja,“ sagte Ulenspiegel, „aber für wieviel isset man hier?“
Die Wirtin erwiderte:
„An der Herrentafel speist man für sechs Gülden; am Bürgertisch für vier und am Gesindetisch für zwei.“
„Das meiste Geld dient mir allerbest“, versetzte Ulenspiegel und ging und setzte sich an die Herrentafel. Als er sich satt gegessen und seine Mahlzeit mit Rheinwein begossen hatte, sprach er zur Wirtin:
„Gevatterin, ich habe für mein Geld gut gespeist; gib mir die sechs Gülden.“
Die Wirtin sagte zu ihm:
„Spottest Du meiner? Zahl Deine Zeche.“
„Liebreizende Meisterin,“ gab Ulenspiegel zur Antwort, „Ihr habt nicht das Aussehen einer schlimmen Schuldnerin; im Gegenteil, ich sehe soviel große Aufrichtigkeit, Treuherzigkeit und Nächstenliebe darin, daß Ihr mir lieber achtzehn Gülden zahlen würdet, als mir die sechs verweigern, die Ihr mir schuldet. Die schönen Augen! Die Sonne, die Strahlenpfeile auf mich schleudert und verliebte Tollheit aufschießen läßt, höher als die Quecken auf einem Brachfeld.“
Die Wirtin entgegnete:
„Ich habe nichts mit Deiner Tollheit noch mit Deinen Quecken zu schaffen; bezahle und scheer Dich fort.“
„Fortgehen und Dich nicht fürder sehen! Lieber wollt’ ich augenblicks verscheiden. Meisterin, süße Meisterin, ich habe nicht die Gewohnheit für sechs Gülden zu essen, ich armer junger Kerl, der über Berg und Tal wandert. Ich habe mich vollgestopft, und bald werde ich wie ein Hund in der Sonne die Zunge heraushängen lassen. Geruht, mich zu bezahlen, ich habe die sechs Gülden durch die harte Arbeit meiner Kinnbacken redlich verdient. Gebt sie mir und ich werde Euch mit solcher Glut der Dankbarkeit liebkosen, küssen und umarmen, daß siebenundzwanzig Verliebte mitsammen zu solcher Leistung nicht ausreichen.“
„Du redest so ums Geld“, sagte sie.
„Soll ich Dich umsonst aufessen?“
„Nein“, sprach sie, sich seiner erwehrend.
„Ach,“ seufzte er, sie verfolgend, „Deine Haut ist wie Rahm, Deine Haare sind wie ein Fasan, der am Spieß gebräunt ist, Deine Lippen wie Kirschen! Gibt es eine, die leckerer ist als Du?“
„Es steht Dir wohl an, Du loser Vogel,“ sagte sie lächelnd, „mir noch sechs Gülden abzufordern. Sei froh, daß ich Dich gratis gefüttert habe, ohne etwas von Dir zu fordern.“
„Wenn Du wüßtest, wieviel Platz noch da ist.“
„Zieh ab,“ sagte die Wirtin, „ehe mein Mann kommt.“
„Ich werde ein nachsichtiger Gläubiger sein“, versetzte Ulenspiegel. „Gib mir zum wenigsten einen Gülden für den künftigen Durst.“
„Da, Du schlimmer Geselle“, sagte sie und gab ihm den.
„Aber lässest Du mich auch wiederkommen?“
„Willst Du wohl gehen“, sagte sie.
„Wohl gehen,“ sprach Ulenspiegel, „das hieße zu Dir gehen, Du Holde. Aber Deine schönen Augen verlassen, das heißt schlecht gehen. Wenn Du geruhst, mich zu behalten, werde ich nur für einen Gülden täglich essen.“
„Ist ein Stock vonnöten?“ sprach sie.
„Nimm meinen“, erwiderte Ulenspiegel.
Sie lachte, aber er mußte von dannen ziehen.
Um jene Zeit siedelte Lamm Goedzak wiederum nach Damm über, sintemalen das Land Lüttich wegen der Ketzereien unsicher war. Sein Weib folgte ihm willig, dieweil die Lütticher, die ihrer Natur nach treffliche Spötter waren, sich über die Gutmütigkeit ihres Mannes lustig machten.
Er ging oft zu Klas, welcher, seit er geerbt hatte, die Schenke „zum blauen Turm“ unsicher machte und sich allda für sich und seine Kumpane einen Tisch ausgewählt hatte. Am nächsten Tische saß Jobst Griepenstüver, der seine halbe Kanne in kleinen Schlucken trank. Er war der Älteste der Fischergilde, ein geiziger, knickeriger Mann, der von sauren Heringen lebte und dem das Geld über das Heil seiner Seele ging. Klas hatte das Stück Pergament, darauf die zehntausend Jahre Ablaß geschrieben waren, in seinen Säckel gesteckt.
Eines Abends, da Klas in Gesellschaft von Lamm Goedzak, Jan van Rosebeke und Matthys van Assche im „Blauen Turm“ saß und Jobst Griepenstüver auch da war, becherte Klas tapfer und Jan Rosebeke sprach zu ihm:
„Das heißt sündigen, soviel zu trinken.“
Klas entgegnete:
„Man brennt nur einen halben Tag für eine Kanne zuviel. Und ich habe zehntausend Jahre Ablaß in meinem Säckel. Wer will hundert davon, um sich ohne Furcht den Magen zu überschwemmen?“
Alle riefen:
„Wie teuer verkaufst Du sie?“
„Für eine Kanne, doch gebe ich hundertfünfzig für eine muske conyn.“
Etliche Trinker zahlten Klas, der eine einen Schoppen, der andre Schinken; er schnitt ihnen allen einen kleinen Streifen Pergament ab. Aber nicht Klas aß den Preis des Ablasses auf und vertrank ihn, sondern Lamm Goedzak, welcher soviel verschlang, daß er zusehends anschwoll, derweil Klas in der Schenke hin und her ging, seine Ware feilzubieten.
Griepenstüver kehrte ihm seine mürrische Miene zu.
„Hast du Ablaß für zehn Tage?“ fragte er.
„Nein,“ sprach Klas, „das ist zu schwer abzuschneiden.“
Und jedermann lachte, und Griepenstüver würgte seinen Zorn hinunter.
Alsdann begab sich Klas in seine Hütte, und Lamm folgte ihm und ging, als ob er Beine aus Wolle hätte.
Gegen das Ende des dritten Jahres kehrte Katheline nach Damm in ihre Behausung zurück. Und ohne Aufhören sagte die Irre: „Feuer auf dem Kopf, die Seele pocht, macht ein Loch, sie will hinaus.“ Und allemal, wenn sie Ochsen oder Hämmel erblickte, entfloh sie. Und sie setzte sich auf die Bank unter den Linden hinter ihrer Hütte, schüttelte den Kopf und sah die von Damm an, ohne sie zu erkennen; sie aber sagten, an ihr vorübergehend: „Das ist die Irre.“
Indessen erblickte Ulenspiegel, welcher auf Wegen und Stegen umherstreifte, einen Esel auf der Landstraße; der war mit einem Leder aufgezäumt, welches mit Kupfernägeln verziert war, und sein Kopf war mit Quasten und Troddeln von roter Wolle geschmückt.
Etliche alte Weiber stunden um den Esel und schwatzten und redeten alle zumal: „Keiner kann ihn bezwingen, es ist das grausliche Tier des großen Hexenmeisters, Baron von Rais, der lebendig verbrannt ward, dafür daß er dem Teufel acht Kinder geopfert hat. / Gevatterinnen, er ist so schnell davongelaufen, daß man ihn nicht hat einholen können. Satan steckt in ihm und beschützt ihn. / Denn da er ermattet auf der Landstraße still stand, kamen die Gemeinbüttel, ihn zu fangen; er aber schlug hinten aus und schrie so erschrecklich, daß sie ihm nicht zu nahen wagten. / Und das war keines Esels, sondern des Teufels Geschrei. / Derhalben ließ man ihn Disteln weiden, ohne ihm den Prozeß zu machen, noch ihn als Hexenmeister lebendig zu verbrennen. / Diese Mannsleute haben keinen Mut.“
Ohngeachtet dieser erbaulichen Reden entflohen sie mit Geschrei, sobald der Esel die Ohren spitzte oder sich die Flanken mit dem Schwanze schlug. Dann aber kamen sie gackernd und plappernd wieder und führten bei der geringsten Bewegung des Grautiers die nämliche Komödie von Neuem auf.
Aber Ulenspiegel betrachtete sie mit Lachen:
„Ach,“ sprach er, „Neugierde ohne Ende und immerwährendes Reden strömt wie ein Fluß aus den Mäulern der Gevatterinnen, sonderlich der alten, denn bei den jungen ist der Strom nicht so reißend wegen ihrer verliebten Geschäfte.“
Alsdann nahm er den Esel in Augenschein.
„Dies Hexentier ist behend,“ sprach er, „und trabt ohne Zweifel nicht mit den Schultern; ich kann darauf reiten oder es verkaufen.“
Ohne ein Wort zu sagen, ging er und holte eine Metze Hafer, gab sie dem Esel zu fressen, sprang ihm hurtig auf den Rücken, ergriff den Zügel, drehte sich nach Norden, Osten und Westen und segnete von ferne die Alten.
Die knieten, ohnmächtig vor Schreck, nieder, und in der Spinnstube hieß es hernach, daß ein Engel, der einen Filzhut mit Fasanenfeder trug, gekommen sei, sie alle zu segnen und durch absonderliche Gnade Gottes den Esel des Zauberers fortzuführen.
Und Ulenspiegel trabte auf seinem Esel von dannen, mitten durch fette Weiden, wo Pferde frei umhersprangen und Kühe und Färsen träg in der Sonne lagen und wiederkäuten. Und er nannte ihn Jef.
Der Esel stand still und hielt wohlgemut sein Mittagmahl von Disteln. Bisweilen jedoch zitterte er über die ganze Haut und schlug mit dem Schwanz an die Flanken, um die gefräßigen Bremsen zu vertreiben, die auch speisen wollten, aber von seinem Fleische.
Ulenspiegel, dessen Magen vor Hunger knurrte, war trübselig.
„Du wärest recht glücklich, Herr Esel,“ sagte er, „bei Deinem Mittagmahl von fetten Disteln, „wann keiner Dich in Deinem Wohlbehagen störte und Dich erinnerte, daß Du sterblich bist, das ist geboren, um alle Arten von Unbill zu erdulden. Gleich wie Du,“ fuhr er fort und drückte den Esel mit den Schenkeln, „hat der Mann vom heiligen Pantoffel seine Bremse, das ist der Doktor Luther, und seine Hohe Majestät Karl hat auch die seine, das ist Herr Franz, der erste des Namens, der König mit der sehr langen Nase und dem noch längeren Degen. Darum ist es mir, dem armen jungen Kerl, der wie ein Jude herumirrt, wohl erlaubt, auch eine Bremse zu haben, Herr Esel. Ach, alle meine Täschlein sind durchlöchert und durch das Loch laufen all meine schönen Dukaten, Gülden und Taler davon wie eine Legion Mäuse, so dem Rachen einer Katze entfleuchen. Ich weiß nicht, warum das Geld mich nicht mag, der ich so gern das Geld möchte. Was man auch sage, Fortuna ist kein Weib, denn sie liebt nur die geizigen Filze, so sie in Truhen und Säcke sperren und mit zwanzig Schlüsseln verschließen und ihr nimmer erlauben, ein Endlein ihrer ganz vergüldeten Nase ans Fenster zu drücken. Das ist die Bremse, die an mir nagt und frißt und mich kitzelt, ohne mich zum Lachen zu bringen, Du hörst mich nicht an, Herr Esel, und denkst nur ans Fressen. O, Du Fettwanst, der seinen Wanst anfüllt, Deine langen Ohren sind taub für das Knurren der leeren Bäuche. Hör mich an, ich will es.“
Und er peitschte ihn fort. Der Esel hub an zu schreien.
„Nun Du gesungen hast, laß uns weitergehen“, sagte Ulenspiegel.
Aber der Esel rührte sich nicht mehr denn ein Meilenstein und schien den Vorsatz gefaßt zu haben, alle Disteln an der Straße bis auf die letzte zu fressen. Und es mangelte nicht daran.
Da Ulenspiegel das sah, stieg er ab, schnitt einen Strauß Disteln, hielt ihn dem Esel unter die Nase und führte ihn solcherart bis in das Gebiet des Landgrafen von Hessen.
„Meister Esel,“ sagte er im Weiterreiten, „Du läufst meinem Distelstrauße nach und lässest den schönen Weg, der ganz mit diesen leckeren Pflanzen bestanden ist, hinter Dir. So machen es alle Menschen; die einen wittern den Duft des Ruhmes, den Fortuna ihnen unter die Nase hält, die andern den Duft des Gewinstes und etliche den Duft der Liebe. Am Ende des Weges werden sie wie Du gewahr, daß sie dem nachgelaufen sind, was wenig war, und das zurückgelassen haben, was etwas war, nämlich: Gesundheit, Arbeit, Ruhe und Wohlsein daheim.“
Dergestalt mit seinem Esel schwätzend, kam Ulenspiegel vor den Palast des Landgrafen.
Zwei Hauptleute der Scharfschützen würfelten auf der Treppe. Der eine von ihnen, welcher rothaarig und riesengroß war, sprach zu Ulenspiegel, der bescheidentlich auf Jef saß und ihnen zusah: „Was willst Du bei uns mit Deiner ausgehungerten Pilgerfratze?“
„Ich habe freilich großen Hunger,“ versetzte Ulenspiegel, „und wallfahrte wider Willen.“
„So Du Hunger hast,“ erwiderte der Hauptmann, „so schlinge den Strick hinunter, der am nächsten Galgen baumelt; der ist für Landstreicher bestimmt.“
„Herr Hauptmann,“ antwortete Ulenspiegel, „wenn Ihr mir den schönen güldenen Strick gäbet, den Ihr am Hute traget, so würde ich mich mit den Zähnen an jenem fetten Schinken aufhängen, der dorten beim Garkoch baumelt.“
„Woher kommst Du?“ fragte der Hauptmann.
„Aus Flandern“, antwortete Ulenspiegel.
„Was willst Du?“
„Seiner landgräflichen Gnaden ein Gemälde meiner Art zeigen.“
„Wenn Du ein Maler und aus Flandern bist,“ sagte der Hauptmann, „so tritt ein, und ich werde Dich zu meinem Herrn führen.“
Da Ulenspiegel vor den Landgrafen geführt ward, grüßte er ihn dreimal und noch mehr.
„Geruhen Euer Landgräfliche Gnaden“, sprach er, „meine Dreistigkeit zu entschuldigen, wenn ich es wage, zu Ihren edlen Füßen eine Malerei niederzulegen, die ich für Sie machte, und worauf ich die Ehre hatte, die Jungfrau in kaiserlichem Schmuck zu konterfeien.“
„Diese Malerei“, fuhr er fort, „wird Euch vielleicht genehm sein. In dem Falle macht mich meine Kunst so vermessen, auf eine Erhöhung meines Sitzes bis zu diesem schönen Armsessel von rotem Sammet zu hoffen, worinnen zu seinen Lebzeiten der unvergeßliche Maler Euer großmütigen Gnaden saß.“
Da der Herr Landgraf das Gemälde, das schön war, betrachtet hatte, sagte er:
„Du sollst Unser Maler werden, setz Dich dort auf den Armstuhl.“ Und er küßte ihn fröhlich auf beide Wangen. Ulenspiegel setzte sich.
„Schier zerlumpt schaust Du aus“, sprach der Landgraf, ihn betrachtend.
Ulenspiegel erwiderte:
„Wahrlich, Euer Gnaden, Jef, das ist mein Esel, fraß Disteln zu Mittag, aber ich lebe seit drei Tagen nur von Elend und nähre mich vom Dunste der Hoffnung.“
„Du wirst alsbald besseres Fleisch zum Nachtmahl haben,“ entgegnete der Landgraf, „aber wo ist Dein Esel?“
„Ich habe ihn auf dem Schloßplatz gelassen, dem Palast Eurer Gnaden gegenüber. Ich wäre recht froh, wenn Jef Obdach, Streu und Futter für die Nacht fände.“
Der Herr Landgraf befahl stracks einem seiner Pagen, Ulenspiegels Esel zu behandeln, als wär’s sein eigner.
Alsbald kam die Stunde des Nachtmahls. Da war eitel Hochzeit und Gelage, und die Fleischspeisen dampften immerfort und die Weine strömten in die Kehlen.
Ulenspiegel und der Landgraf waren alle beide so rot wie glühende Kohlen; Ulenspiegel ward lustig, aber der Landgraf blieb nachdenklich.
„Unser Maler,“ sagte er plötzlich, „Du mußt mich malen, denn es ist für einen sterblichen Fürsten eine gar große Genugtuung, seinen Nachkommen sein Antlitz zum Gedächtnis zu hinterlassen.“
„Herr Landgraf,“ versetzte Ulenspiegel, „Euer Wille ist mein Wunsch; aber mir Armseligen scheint, daß Eure Liebden so ganz allein konterfeit in den künftigen Zeiten nicht viel Kurzweil haben würden. Ihr müßt in Gesellschaft Eurer edlen Gemahlin, der Frau Landgräfin, hochdero Damen und Herren und Eurer tapfersten Hauptleute und Offiziere sein, in deren Mitte der hohe Herr und die hohe Frau wie Sonnen unter Laternen erglänzen werden.“
„Fürwahr, Unser Maler,“ erwiderte der Landgraf, „und was soll ich Dir für diese große Arbeit zahlen?“
„Hundert Gülden im voraus oder anders“, sprach Ulenspiegel.
„Hier sind sie im voraus“, sprach der Landgraf.
„Euer Mitleid, gnädiger Herr, gießt Öl auf meine Lampe; sie wird Euch zu Ehren brennen“, sprach Ulenspiegel.
Am folgenden Tag bat er Seine Gnaden den Landgrafen, Die, welchen er die Ehre des Konterfeis zugedacht hätte, an ihm vorbeiziehen zu lassen.
Da kam der Herzog von Lüneburg, der Feldhauptmann der Landsknechte im Dienste des Landgrafen, der seinen feisten Wanst nur mit großer Beschwerde schleppte. Er trat nahe an Ulenspiegel heran und säuselte ihm diese Worte ins Ohr:
„Wenn Du mir beim Abmalen nicht die Hälfte meines Fettes fortnimmst, so laß ich Dich durch meine Soldaten henken.“
Kam sodann eine hohe Dame; selbige hatte einen Höcker auf dem Rücken und eine Brust, so glatt wie die Klinge eines Richtschwertes.
„Meister Maler,“ sagte sie, „wenn Du mir nicht anstatt des einen, den du fortnimmst, zwei Höcker machst und sie nach vorne setzest, so laß ich Dich wie einen Giftmischer vierteilen.“
Kam ein junges Ehrenfräulein, blond, frisch und liebreizend, aber ihr fehlten drei Zähne unter der Oberlippe.
„Meister Maler,“ sprach sie, „wenn Du mich nicht malst, wie ich lache und zweiunddreißig Zähne zeige, so laß ich Dich durch meinen Herzallerliebsten in Stücke hacken.“
Und auf den Hauptmann der Scharfschützen weisend, der zuvor auf der Treppe des Palastes gewürfelt hatte, ging sie weiter.
Die Prozession nahm ihren Verlauf. Ulenspiegel blieb mit Seiner Gnaden dem Landgrafen allein.
„Wenn Du das Unglück hast,“ sprach dieser, „beim Konterfeien aller dieser Gesichter mit einem Strich zu lügen, so laß ich Dir den Hals abschneiden wie einem jungen Huhn.“
Ulenspiegel gedachte: „des Kopfes beraubt, gevierteilt, kleingehackt oder zum mindesten gehenkt, wird es leichter sein, gar nicht zu malen. Ich werde darauf bedacht sein.“
„Wo ist der Saal,“ fragte er den Landgrafen, „den ich mit all diesen Gemälden schmücken soll?“
„Folge mir“, sprach der Landgraf.
Und er zeigte ihm ein großes Gemach mit ganz nackten Mauern.
„Hier ist der Saal“, sagte er.
„Mir wäre es lieb,“ sprach Ulenspiegel, „wenn man vor diese Wände große Vorhänge zöge, auf daß meine Schildereien nicht möchten durch Fliegen und Staub verunglimpft werden.“
„Das soll geschehen“, sprach der Landgraf.
Nachdem die Vorhänge befestigt waren, begehrte Ulenspiegel drei Gesellen, damit sie, wie er sagte, ihm die Farben rieben. Dreißig Tage lang taten Ulenspiegel und die Gesellen nichts denn schwelgen und schlemmen und schonten der feinen Braten und alten Weine nicht; der Landgraf wachte selbst darüber.
Indessen am einunddreißigsten Tage steckte er die Nase in die Türe des Gemachs, das auf Ulenspiegels Geheiß niemand betreten sollte.
„Wohlan, Tyll,“ sprach er, „wo sind die Bilder?“
„Sie sind weit“, antwortete Ulenspiegel.
„Kann man sie nicht sehen?“
„Noch nicht.“
Am sechsunddreißigsten Tage steckte er wieder die Nase durch die Türe:
„Wohlan, Tyll?“ fragte er.
„Ei, gnädigster Herr Landgraf, sie gehen dem Ende zu.“
Am sechzigsten Tage ward der Landgraf zornig und trat in das Gemach.
„Flugs wirst Du mir die Bildnisse zeigen“, sprach er.
„Jawohl, Euer Furchtbarkeit“, erwiderte Ulenspiegel. „Aber wollet diesen Vorhang nicht lüften, ehe Ihr nicht die Herren Hauptleute und Damen Eures Hofes hierher beschieden habt.“
„Ich willige darein“, sprach der Landgraf.
Alle kamen auf sein Geheiß.
Ulenspiegel stand vor dem zugezogenen Vorhang.
„Gnädigster Herr Landgraf,“ sprach er, „und Ihr, gnädigste Frau Landgräfin, und Eure Gnaden von Lüneburg und Ihr anderen schönen Damen und wackeren Hauptleute, ich habe Eure liebreizenden oder kriegerischen Angesichter hinter jenem Vorhang aufs beste abkonterfeit. Es wird Euch ein Leichtes sein, Euch männiglich darauf zu erkennen. Ihr seid neugierig, es zu sehen, das ist gerecht, aber geruhet Euch zu gedulden, und lasset mich ein Wort oder sechs reden. Schöne Damen und wackere Hauptleute, die Ihr adligen Blutes seid, Ihr könnet meine Malerei sehen und bewundern, so aber einer unter Euch ein Bürgerlicher ist, wird er nur die weiße Wand erblicken. Und nun geruhet Eure edlen Augen aufzutun.“
Ulenspiegel zog den Vorhang fort:
„Allein die adligen Herren, allein die adligen Damen sind sehend. Darum wird man in Bälde sagen: Für die Malerei blind wie ein Niedriggeborener, scharfsichtig wie ein Edelmann.“
Alle sperrten die Augen auf und stellten sich, als ob sie etwas sähen, zeigten sich einer dem andern, nannten Namen und erkannten sich, aber in Wahrheit erblickten sie nur die nackte Wand, welches sie verblüffte.
Plötzlich sprang der Narr, der zugegen war, drei Schuh hoch in die Luft und schüttelte seine Schellen:
„Scheltet mich einen Bürgerlichen, einen Niedrigen, der Niedrigkeit noch erniedrigt, aber ich sage und rufe mit Pauken und Trompeten, daß ich allda nur eine kahle Wand, eine weiße Wand, eine kahle Wand sehe. So mögen mir Gott und alle seine Heiligen beistehen.“
Ulenspiegel versetzte:
„Wenn Narren drein reden, so ist’s für die Weisen an der Zeit, zu gehen.“
Er wollte den Palast verlassen, als der Landgraf ihn festhielt und sprach:
„Du Schalksnarr, der durch die Welt wandert und die schönen und guten Dinge preist und der Dummheit mit einer scharfen Zunge spottet, Du wagtest angesichts so vieler hoher Damen und noch höherer vieledler Herren Dich öffentlich über Wappen und Adelsstolz lustig zu machen; du wirst eines Tages für Dein freies Reden gehenkt werden.“
„Wenn der Strick von Gold ist, wird er vor Furcht zerreißen, wenn er mich kommen sieht.“
„Nimm“, sprach der Landgraf und gab ihm fünfzehn Gülden; „dies ist das eine Ende davon.“
„Großen Dank, Euer Gnaden,“ erwiderte Ulenspiegel, „jede Herberge des Weges wird ein Fädlein davon erhalten, ein gülden Fädlein, das die spitzbübischen Herbergswirte zu Krösussen macht.“
Und wohlgemut ritt er auf seinem Esel fürbaß; die Kappe trug er hoch, und die Feder wallte im Winde.
Die Blätter auf den Bäumen vergilbten, und der Herbstwind begann zu wehen. Katheline war zuzeiten eine oder drei Stunden bei Sinnen. Und Klas sagte dann, daß der Geist Gottes in seinem milden Erbarmen in sie führe. In solchen Augenblicken hatte sie die Macht, durch Gebärden und Worte einen Zauber auf Nele zu werfen, also daß sie mehr denn hundert Meilen weit Dinge erblickte, die auf Plätzen und Gassen und in den Häusern geschahen.
An jenem Tage nun, da Katheline bei gutem Verstande war und Ölkuchen, mit Doppelbier angefeuchtet, in Gemeinschaft mit Klas, Soetkin und Nele verzehrte, sprach Klas:
„Heute ist der Tag der Abdankung Seiner Heiligen Majestät Kaiser Karls V. Nele, mein Schätzlein, vermöchtest Du wohl bis nach Brüssel in Brabant zu sehen?“
„Ich vermöchte es, wenn Katheline will“, versetzte Nele.
Alsogleich hieß Katheline das Mägdlein auf eine Bank niedersitzen und durch ihre Worte und Gebärden, die wie ein Zauber wirkten, sank Nele in festen Schlummer.
Katheline sprach zu ihr:
„Tritt in das kleine Haus des Lustgartens, wo Kaiser Karl V. zu verweilen liebt.“
„Ich bin“, sprach Nele mit leiser Stimme und als ob sie erstickte, „ich bin in einem kleinen Saal, der mit Ölfarbe grün angemalt ist. Dort sitzt ein Mann, nahe bei vierundfünfzig Jahren, kahlköpfig und grau, der einen blonden Bart auf einem vorstehenden Kinn trägt. Der Blick seiner grauen Augen ist böse, voller Arglist, Grausamkeit und verstellter Gutmütigkeit. Und diesen Mann nennt man Heilige Majestät. Er ist verschleimt und hustet viel. Bei ihm steht ein anderer, der ist jung, mit häßlicher Fratze wie ein wasserköpfiger Affe. Ich sah ihn zu Antwerpen, es ist König Philipp. Seine Heilige Majestät tadelt ihn just, daß er die Nacht sich herumgetrieben hat. Sicherlich, sagt er, um in einer Spelunke irgend eine Vettel aus dem verrufenen Stadtteil zu finden. Er sagt, daß seine Haare nach der Schenke riechen und daß solches kein Vergnügen für einen König sei, der nur zu wählen braucht reizende Leiber mit Haut wie Atlas, in wohlriechenden Bädern erfrischt, und Hände sehr verliebter, vornehmer Damen. Das ist mehr wert als eine Saudirne, die kaum gewaschen aus den Armen eines versoffenen Soldaten kommt. Da ist kein Weib, sagt er, ob Jungfrau, Ehefrau oder Wittib, die ihm widerstehen möchte unter den adligsten und schönsten, die ihre Liebschaften mit duftenden Kerzen und nicht mit dem fettigen Glimmen stinkender Unschlittlichter erhellen.“
Der König erwidert Seiner Majestät, daß er ihm in allem gehorchen werde.
Dann hustet Seine Majestät und trinkt etliche Schluck Würzwein.
„Du wirst“, sagt er, sich an Philipp wendend, „alsbald die Generalstaaten sehen, Prälaten, Edle und Bürger: Oranien den Schweigsamen, Egmont den Eitlen, Hoorn den Unbeliebten, und Brederode den Leuen, und alle die Ritter vom Güldenen Vlies, zu dessen Großmeister ich Dich ernennen werde. Du wirst da hundert finden, die dies Spielzeug tragen und die sich männiglich die Nase abschneiden ließen, so sie diese an einer güldenen Kette als Zeichen höheren Adels auf der Brust tragen könnten.“
Dann sagt Seine Majestät in anderm Ton und höchst kläglich zu König Philipp:
„Du weißt, daß ich zu Deinen Gunsten abdanken werde, mein Sohn, und der Welt ein großes Schauspiel geben und vor einer großen Menge reden, obwohl mit Schlucken und Husten, denn ich habe meiner Lebtage zuviel gegessen, mein Sohn. Du müßtest ein gar hartes Herz haben, wenn Du nicht etliche Tränen vergössest, nachdem Du mich angehört hast.“
„Ich werde weinen, Herr Vater“, antwortet König Philipp.
Dann spricht Seine Heilige Majestät zu einem Diener, mit Namen Dubois:
„Dubois,“ sagt er, „reiche mir ein Stück Madeirazucker: ich habe das Schlucken. Wenn es mich nur nicht überfällt, dieweil ich zu aller Welt spreche. Die Gans von gestern wird wohl nie verdaut werden. Ob ich wohl einen Humpen Wein von Orleans trinke? Nein, er ist zu herbe. Ob ich etliche Sardinen esse? Sie sind so ölig. Dubois, gib mir Wein aus der Romagna.“
Dubois gibt Seiner Heiligen Majestät, was er verlangt. Dann legt er ihm ein Kleid von karmesinrotem Sammet an, bedeckt ihn mit einem güldenen Mantel, gürtet ihm den Degen um, überreicht ihm Zepter und Reichsapfel und setzt ihm die Krone aufs Haupt.
Sodann verläßt Seine Heilige Majestät auf einem kleinen Maultier das Haus im Lustgarten; König Philipp und viele hohe Personen folgen ihm. So gelangen sie in ein großes Gebäude, das sie Palast nennen und finden dort in einem Gemach einen Mann von hoher, hagerer Gestalt und reich gekleidet, den sie Oranien nennen.
Seine Heilige Majestät spricht zu diesem Manne und sagt:
„Sehe ich gut aus, Vetter Wilhelm?“
Aber der Mann antwortet nicht.
Seine Heilige Majestät sagt darauf, halb lachend, halb zornig:
„Wirst Du denn immer stumm sein, Vetter, selbst wenn es gilt, dem alten Gerümpel Wahrheiten zu sagen? Soll ich noch weiter regieren oder soll ich abdanken, Schweiger?“
„Heilige Majestät,“ sagt der hagere Mann, „wenn der Winter kommt, lassen die stärksten Eichen ihre Blätter fallen.“
Die dritte Stunde schlägt.
„Schweiger,“ sagt er, „leih mir deine Schulter, daß ich mich darauf stütze.“
Und er tritt mit ihm und seinem Gefolge in einen großen Saal und setzt sich unter einen Thronhimmel auf eine Estrade, die mit Seide oder Teppichen überzogen ist. Da sind drei Sessel. Seine Majestät nimmt den in der Mitten ein, der reicher verziert ist als die anderen und hinter dem die Kaiserkrone emporragt. König Philipp setzt sich auf den zweiten, und der dritte ist für eine Frau, welche ohne Zweifel eine Königin ist. Zur Rechten und Linken sitzen auf teppichbelegten Bänken rotgekleidete Männer, so ein gülden Lamm um den Hals tragen. Hinter ihnen stehen unterschiedliche Personen, ohne Zweifel Prinzen und große Herren. Gegenüber am Fuß der Estrade sitzen auf kahlen Bänken in Wolle gekleidete Männer. Ich höre sie sagen, daß sie so bescheiden sitzen und so schlicht gekleidet sind, weil sie allein alle Kosten tragen. Ein jeglicher hat sich erhoben, da Seine Heilige Majestät eingetreten ist, er aber hat sich sogleich gesetzt und gibt allen das Zeichen, ihm nachzuahmen.
Ein alter Mann spricht nun des Langen und Breiten über die Gicht. Dann reicht die Frau, so eine Königin scheint, Seiner Heiligen Majestät eine Pergamentrolle. Es sind Dinge darauf geschrieben, die Seine Heilige Majestät hustend und mit dumpfer, leiser Stimme verliest. Er spricht von sich selbst und sagt:
„Viel sind der Reisen, so ich in Hispanien, Italien, den Niederlanden, Engelland und Afrika gemacht, alles zur Ehre Gottes, zum Ruhm meiner Waffen und zum Wohl meiner Völker.“
Dann, nachdem er des Langen und Breiten geredet hat, sagt er, daß er hinfällig und müde sei und die Krone Spaniens, die Grafschaften, Herzogtümer und Markgrafschaften dieser Länder in die Hände seines Sohnes überantworten wolle.
Alsdann weint er, und alle weinen mit ihm.
König Philipp erhebt sich nun und fällt auf die Knie:
„Heilige Majestät,“ sagt er, „wie ist es mir erlaubt, diese Krone aus Euren Händen zu empfangen, wenn Ihr noch so fähig seid, sie zu tragen.“
Dann sagt Seine Heilige Majestät ihm ins Ohr, er solle zu den Männern, so auf den mit Teppich belegten Bänken sitzen, wohlwollend reden.
König Philipp wendet sich zu ihnen und sagt in mürrischem Ton, ohne sich zu erheben:
„Ich verstehe ziemlich gut französisch, aber nicht genug, um zu Euch in dieser Sprache zu sprechen; Ihr werdet hören, was der Bischof von Arras, Herr Granvella, Euch in meinem Namen sagen wird.“
„Du sprichst schlecht, mein Sohn“, sagt Seine Majestät.
Und wahrlich, die Versammlung murrt, da sie den jungen König so stolz und so hoffärtig sieht. Die Frau Königin spricht auch, um ihn zu prüfen. Dann kommt ein alter Magister dran, der, da er fertig ist, von Seiner Heiligen Majestät als Zeichen des Danks einen Wink mit der Hand empfäht. Nun sind die Zeremonien und Ansprachen zu Ende. Seine Majestät spricht seine Untertanen ihres Treuschwurs ledig, unterzeichnet die hierfür aufgesetzten Urkunden, und von seinem Throne sich erhebend, setzt er seinen Sohn darauf. Und jedermann im Saale weint. Dann gehen sie wiederum in das Haus im Lustgarten.
Da sie zum andern Mal im grünen Gemache sind, allein und bei verschlossenen Türen, lacht Seine Majestät aus vollem Halse und spricht zu König Philipp, der nicht lacht, also:
„Sahest Du, wie wenig vonnöten ist, um diese guten Kerle zu rühren?“ spricht er, indem er zugleich redet, schluckt und lacht. „Welche Flut von Tränen! Und dieser dicke Maes, der wie ein Kalb weinte, da er seine lange Salbaderei endete. Du selbst schienest bewegt, aber nicht genug. Das sind die wahren Schauspiele, die das Volk haben muß. Mein Sohn, wir Männer schätzen unsere Liebsten um so höher, je mehr sie uns kosten. So auch bei den Völkern. Je mehr wir sie zahlen lassen, um so mehr lieben sie uns. Ich habe die reformierte Religion in Deutschland geduldet und in den Niederlanden hart gestraft. Wären die deutschen Fürsten katholisch gewesen, so wäre ich lutherisch geworden und hätte ihre Besitztümer eingezogen. Sie glauben an die Redlichkeit meines Eifers für den katholischen Glauben und beklagen, daß ich sie verlasse. In den Niederlanden sind auf mein Geheiß um der Ketzerei willen fünfzigtausend ihrer tapfersten Männer und ihrer hübschesten Mädchen umgekommen. Ich gehe und sie jammern. Ungerechnet der Gütereinziehungen hab ich sie mehr Steuern zahlen lassen als Indien und Peru: sie sind betrübt mich zu verlieren. Ich habe den Frieden von Cadzant gebrochen, Gent bezwungen, alles unterdrückt, was mich hindern konnte; Gerechtsame, Freiheiten, Privilegien, alles ist der Bestätigung der Beamten des Fürsten unterworfen. Diese Biedermänner glauben sich noch frei, weil ich ihnen erlaube, mit der Armbrust zu schießen und ihre Zunftfahnen bei Umzügen zu tragen. Sie fühlen die Hand des Herrn. Sie sind im Käfig und befinden sich wohl darin, singen und weinen um mich. Mein Sohn, sei gegen sie, wie ich es war, gütig in Worten, rauh in Taten; lecke, wenn Du nicht beißen mußt. Schwöre, schwöre immer auf ihre Gerechtsame, Freiheiten und Privilegien; aber so sie eine Gefahr für Dich werden können, vernichte sie. Sie sind von Eisen, wenn man sie mit furchtsamer Hand berührt, von Glas, wenn man sie mit starkem Arme zerbricht. Schlage die Ketzerei zu Boden, nicht weil sie von der römischen Religion abweicht, sondern weil sie in den Niederlanden unsere Macht zerstören würde. Die, so den Papst angreifen, welcher drei Kronen trägt, haben den Fürsten, die nur eine haben, bald den Garaus gemacht. Mache gleich mir die Gewissensfreiheit zum Majestätsverbrechen mit Gütereinziehung, so wirst Du erben, wie ich mein Lebelang getan habe. Und wenn Du gehst, um abzudanken oder zu sterben, werden sie sagen: Ach, der gute Fürst! Und sie werden weinen.“
„Und ich höre nichts mehr,“ sprach Nele weiter, „denn Seine Heilige Majestät hat sich auf ein Bett gelegt und schläft, und König Philipp, stolz und hoffärtig, blickt ihn ohne Liebe an.“
Da sie solches gesagt hatte, ward Nele von Katheline erweckt.
Und Klas sah in Gedanken, wie die Herdflamme den Rauchfang erhellte.
Als Ulenspiegel den Landgrafen von Hessen verließ, bestieg er seinen Esel, und da er über den Marktplatz kam, stieß er auf etliche ergrimmte Gesichter von Herren und Damen, aber das kümmerte ihn nicht.
Alsbald gelangte er in das Gebiet des Herzogs von Lüneburg; da traf er eine Schar Schelmenbrüder, lustige Vlamländer aus Sluys, die alle Samstag etliches Geld beiseite legten, um einmal im Jahre nach Deutschland zu reisen.
Sie fuhren singend ihres Weges, in einem ungedeckten Leiterwagen, gezogen von einem starken Pferd von Vuerne-Ambacht, das sie durch die Wege und Sümpfe des Herzogtums Lüneburg führte. Etliche unter ihnen spielten die Flöte, Fiedel und Bratsche oder den Dudelsack mit großem Getöse. Zur Seite des Wagens schritt mannigmal ein Dicksack, der den Rommelpot spielte und zu Fuß wanderte, in der Hoffnung, seinen Wanst zum Schmelzen zu bringen.
Da sie beim letzten Gülden angelangt waren, sahen sie Ulenspiegel auf sich zukommen, der mit klingender Münze belastet war; sie kehrten in eine Herberge ein und zahlten einen Trunk für ihn. Ulenspiegel ließ es sich gern gefallen. Da er jedoch sah, daß die Schelmenbrüder mit den Augen zwinkerten und lächelten, wenn sie ihm einschenkten, bekam er Wind von etwelchem Schabernack, ging hinaus und stellte sich an die Türe, um ihre Reden zu hören. Er hörte den Dicksack von ihm sagen:
„Das ist des Landgrafen Maler, dem er mehr als tausend Gülden für ein Gemälde gegeben hat. Laßt ihn uns festlich bewirten, er wird uns das Doppelte dafür wiedergeben.“
„Amen“, sprachen die andern.
Ulenspiegel ging und band seinen gesattelten Esel tausend Schritte von da bei einem Pächter an, gab einer Magd zwei Pfennig, um ihn zu hüten, trat wieder in die Wirtsstube und setzte sich an den Tisch der Schelmenbrüder, ohne ein Wort zu sagen. Diese schenkten ihm ein und zahlten die Zeche. Ulenspiegel ließ in seinem Mantelsack die Gülden des Landgrafen klingen und erzählte dabei, daß er seinen Esel einem Bauern für siebzehn Silbertaler verkauft hätte.
Sie reisten, aßen und tranken dabei, bliesen Flöte und Dudelsack und spielten den Rommelpot, und unterwegs lasen sie die Weiblein auf, die ihnen artig zu sein bedünkten. Solcherart erzeugten sie Herrgottskinder, sonderlich Ulenspiegel, dessen Gesellin nachmals einen Sohn hatte, den sie Eulenspiegelchen nannte, maßen die Schöne den Sinn des Namens von ihrem Zufallsmanne nicht wohl verstund, und vielleicht auch zum Andenken an die Stunde, darin der Knabe erzeugt ward. Und von diesem Eulenspiegelchen wird fälschlich gesagt, daß er zu Knetlingen im Lande Sachsen geboren ward.
Sie ließen sich von ihrem wackern Gaule ziehen und kamen eine Straße entlang, an deren Rande ein Dorf und ein Wirtshaus lag, das trug ein Schild „Zum Kessel“, und es drang ein lieblicher Duft von Fleischgerichten heraus.
Der Dicksack, der den Rommelpot spielte, ging zum Baas und sagte von Ulenspiegel:
„Das ist des Landgrafen Maler, er wird alles zahlen.“
Der Wirt betrachtete Ulenspiegels Miene, die gut war, und da er den Klang der Gülden und Taler vernahm, trug er zu essen und zu trinken auf. Ulenspiegel ließ sich nichts abgehen. Und immer klingelten die Taler in seiner Geldkatze, und mannigmal hatte er auch auf seinen Hut geschlagen und gesagt, daß darin sein größter Schatz wäre. Da nun das Gelage zwei Tage und zwei Nächte gewährt hatte, sprachen die Schelmenbrüder zu Ulenspiegel:
„Laßt uns aufbrechen und die Zeche zahlen.“
Ulenspiegel antwortete:
„Wenn die Ratte im Käse ist, verlangt es sie, fortzugehen?“
„Nein“, sagten sie.
„Und wenn der Mensch gut ißt und trinkt, sucht er dann den Staub der Straßen und das Wasser der Gräben, die voll von Blutegeln sind?“
„Nein,“ sagten sie.
„Wohlan,“ sprach Ulenspiegel weiter, „so laßt uns bleiben, solange meine Gülden und Taler uns als Trichter dienen, um Getränke in unsere Kehlen zu gießen.“
Und er hieß den Wirt noch mehr Wein und Wurst auftragen.
Während sie tranken und aßen, sprach Ulenspiegel:
„Ich bezahle, ich bin jetzo Landgraf. Was würdet Ihr tun, Kameraden, wenn meine Geldkatze leer wäre? Ihr würdet meinen Hut von weichem Filz nehmen und finden, daß er voll Karolus ist, sowohl im Boden als zwischen der Krempe.“
„Laß ihn uns befühlen“, sprachen sie alle mitsammen. Und seufzend fühlten sie darin zwischen den Fingern große Geldstücke, die den Umfang von Goldkarolus hatten. Einer von ihnen betastete ihn aber mit solcher Vertraulichkeit, daß Ulenspiegel ihn ihm wieder fortnahm und sagte:
„Du ungestümer Melker, man muß die Zeit zum Melken abwarten können.“
„Gib mir den halben Hut“, sprach der Schelmenbruder.
„Nein,“ erwiderte Ulenspiegel, „ich will nicht, daß Du ein Narrenhirn bekommst, halb im Schatten und halb in der Sonne.“
Dann sprach er, seinen Hut dem Wirt gebend:
„Hebe Du ihn immerhin auf, denn er ist warm. Ich will mich draußen erleichtern.“
Er tat es und der Wirt behielt den Hut.
Alsbald verließ er die Herberge, ging zum Bauern, stieg auf seinen Esel und ritt im Trab auf der Straße, die nach Emden führt.
Da die Schelmenbrüder ihn nicht zurückkommen sahen, sprachen sie untereinander:
„Ist er davongegangen? Wer wird die Zeche zahlen?“
Den Baas packte die Furcht und mit einem Messer schnitt er Ulenspiegels Hut auf. Aber anstatt der Karolus fand er nichts darin zwischen Filz und Futter denn elende, kupferne Rechenpfennige.
Da ergrimmte er wider die Schelmenbrüder und sprach zu ihnen:
„Ihr Lumpenbrüder, Ihr werdet nicht von hinnen ziehen, Ihr lasset mir denn Eure Kleider samt und sonders, allein das Hemd ausgenommen.“
Und sie mußten sich alle entblößen, um ihre Zehrung zu zahlen. Und also zogen sie im Hemd über Berg und Tal, denn ihr Pferd und ihren Wagen hatten sie nicht verkaufen wollen.
Und ein jeglicher, der sie so erbärmlich sah, gab ihnen gern Brot zu essen, Bier und bisweilen auch Fleisch, denn sie erzählten überall, sie wären von Räubern ausgeplündert worden.
Und alle mitsammen hatten sie nur eine Hose.
Und also kamen sie im Hemde nach Sluys zurück, tanzten auf ihrem Wagen und spielten den Rommelpot.
Derweilen ritt Ulenspiegel auf Jefs Rücken durch das Land und die Sümpfe des Herzogs von Lüneburg. Die Vlamländer nennen diesen Herzog den Water-Signorke, dieweil immer feucht Wetter bei ihm ist.
Jef gehorchte Ulenspiegel gleich wie ein Hund, trank Braunbier, tanzte besser denn ein ungarischer Meister in der Kunst der Grazien, stellte sich beim leisesten Wink für tot und legte sich auf den Rücken.
Ulenspiegel wußte, daß der Herzog von Lüneburg gekränkt und erbost war, dieweil Ulenspiegel seiner zu Darmstadt vor dem Landgrafen von Hessen gespottet, und daß er ihm sein Land bei Strafe des Galgens verboten hatte. Plötzlich sah er Seine Herzogliche Hoheit in Persona daherkommen, und da er ihn als heftig kannte, ergriff ihn die Furcht. Er sprach zu seinem Esel:
„Jef, da kommt der hohe Herr von Lüneburg. Am Halse juckt mich ein Strick, wenn nur der Henker mich nicht kratzt. Jef, ich will gern gekratzt, aber nicht gehenkt werden. Gedenke, daß wir Genossen im Elend sind und beide lange Ohren haben; gedenke auch, welch guten Freund Du an mir verlörest.“
Und Ulenspiegel wischte sich die Augen, und der Esel hub an zu schreien.
Dann redete er weiter:
„Wir leben lustig oder traurig mitsammen, wie es der Zufall will; gedenkst Du daran, Jef?“ Der Esel fuhr fort zu schreien, denn er hatte Hunger. „Und Du wirst meiner nimmer vergessen können,“ sagte sein Herr, „denn welche Freundschaft wäre von Dauer, denn allein die, so über die nämlichen Freuden lacht und über die nämlichen Schmerzen weint? Jef, Du mußt Dich auf den Rücken legen.“
Der folgsame Esel gehorchte, und mit den vier Hufen in der Luft ward er vom Herzog erblickt. Ulenspiegel setzte sich hurtig auf seinen Bauch. Der Herzog trat zu ihm:
„Was machst Du da?“ fragte er. „Weißt Du nicht, daß ich durch meine letzte Kundgebung Dir bei Galgen und Strick verbot, Deinen staubigen Fuß in meine Lande zu setzen?“
Ulenspiegel antwortete:
„Gnädiger Herr, habt Erbarmen mit mir!“
Dann wies er auf seinen Esel.
„Ihr wisset wohl, daß nach Gesetz und Recht der allzeit frei ist, der in seinen vier Pfählen wohnt.“
Der Herzog versetzte:
„Geh aus meinen Landen, oder Du sollst sterben.“
„Euer Gnaden,“ erwiderte Ulenspiegel, „ein Gülden oder zwei würden mich schneller von dannen tragen.“
„Taugenichts,“ sprach der Herzog, „ist es an Deinem Ungehorsam nicht genug? Willst Du mich auch noch um Geld bitten?“
„Ich muß wohl, Herr, da ich Euch keins nehmen kann.“
Der Herzog gab ihm einen Gülden.
Darauf sprach Ulenspiegel zu seinem Esel:
„Jef, steh auf und grüße Seine Gnaden.“
Der Esel erhob sich und schrie aufs neue. Dann zogen beide von dannen.
Soetkin und Nele saßen an einem Fenster und blickten auf die Straße.
Soetkin sagte zu Nele:
„Herzchen, siehst Du nicht meinen Sohn Ulenspiegel kommen?“
„Nein,“ sprach Nele, „wir werden den schlimmen Landstreicher nicht wiedersehen.“
„Nele,“ sprach Soetkin, „Du mußt nicht bös auf ihn sein, sondern ihn beklagen, denn er ist fern von Hause der gute Junge.“
„Ich weiß es wohl,“ sprach Nele; „er hat ein andres Heim gar weit von hier, reicher als seins, wo irgend eine schöne Dame ihm sicherlich Obdach gibt.“
„Das wäre ein groß Glück für ihn,“ sagte Soetkin; „vielleicht wird er dort mit Fettammern gespeist.“
„Warum gibt man ihm nicht Steine zu essen: dann wäre er geschwind hier, der Nimmersatt!“ sagte Nele.
Da lachte Soetkin und fragte: „Woher kommt Dir dieser große Zorn, mein Herz?“
Aber Klas, der in tiefem Sinnen in einer Ecke Reisigbündel schnürte, sagte:
„Siehst Du nicht, daß sie in ihn vernarrt ist?“
„Ei, seht doch die durchtriebene Dirne,“ sprach Soetkin, „die mich nichts davon hat merken lassen. Ist es wahr, Liebchen, daß Du ihn möchtest?“
„Glaubet es nicht“, erwiderte Nele.
„Da wirst Du einen wackern Ehemann haben,“ sprach Klas, „mit großem Maul, leerem Bauch und langer Zunge, der die Gülden zu Hellern macht und nimmer einen Sou durch seine Arbeit verdient, der allezeit das Pflaster tritt und die Wege mit der Elle des Vaganten mißt.“
Aber Nele erwiderte, über und über rot und zornig:
„Warum habt Ihr nichts andres aus ihm gemacht?“
„Da haben wir’s, nun weint sie,“ sprach Soetkin; „schweig doch, Mann.“
Eines Tages kam Ulenspiegel gen Nürnberg und gab sich allda für einen großen Arzt und Obsieger aller Krankheiten aus, bewährt im Purgieren, berühmt fürs Bezwingen von Fiebern, vielgepriesen ob seiner Kunst, der Pest den Kehraus zu machen, und unüberwindlich im Geißeln der Krätze.
Im Spital gab es so viel Kranke, daß man nicht wußte, wo sie unterbringen. Da der Spittelmeister Ulenspiegels Ankunft erfuhr, ging er zu ihm und forschte ihn aus, ob es wahr wäre, daß er alle Krankheiten heilen könnte.
„Ausgenommen die letzte,“ erwiderte Ulenspiegel, „aber versprecht mir zweihundert Gülden für die Heilung aller andern, und ich will nicht einen Heller empfangen, so nicht alle Eure Kranken sagen, daß sie geheilt sind und das Spital verlassen.“
Des folgenden Tages ging er ins besagte Spital mit festem Blick und feierlicher Miene, wie ein Doktor. In den Siechenstuben nahm er jeden Kranken besonders und sprach zu ihm:
„Schwöre, keinem anzuvertrauen, was ich Dir ins Ohr sagen will. Was ist Dein Gebresten?“
Der Kranke nannte es ihm und schwur Stein und Bein, zu schweigen.
„Wisse,“ sprach Ulenspiegel, „daß ich einen unter Euch durch Feuer zu Pulver verbrennen muß; von diesem Pulver werd’ ich eine wunderbare Mixtur machen und sie allen Kranken zu trinken geben. Der, welcher nicht gehen kann, wird verbrannt werden. Morgen werde ich hierher kommen, mich mit dem Spittelmeister auf die Straße stellen und Euch alle herbeirufen, indem ich schreie: Wer nicht krank ist, schnüre seine Bündel und komme.“
Am Morgen kam Ulenspiegel und rief, wie er gesagt hatte. Alle Kranken, Lahmen, Hustenden, Fiebernden, mit Schleimflüssen Behafteten, wollten zugleich hinaus. Alle waren auf der Straße, selbst die, so seit zehn Jahren ihr Bett nicht verlassen hatten.
Der Spittelmeister fragte sie, ob sie geheilt wären und gehen könnten.
„Ja“, antworteten sie in dem Glauben, daß einer von ihnen im Hofe verbrannt würde.
Darauf sagte Ulenspiegel zum Spittelmeister:
„Bezahle mich, maßen sie Alle draußen sind und sich für geheilt erklären.“
Der Meister bezahlte ihm zweihundert Gülden und Ulenspiegel zog ab.
Doch am zweiten Tage sah der Meister seine Kranken in einem schlimmeren Zustand als zuvor wiederkommen, einen ausgenommen, den die frische Luft kuriert hatte und den man trunken in den Gassen fand, wie er sang: „Heil dem großen Doktor Ulenspiegel!“
Nachdem die zweihundert Gülden Reißaus genommen hatten, kam Ulenspiegel nach Wien, allwo er sich bei einem Wagner verdingte; der ließ seine Gesellen immer hart an, weil sie den Blasebalg der Schmiede nicht stark genug zogen.
„Holla,“ schrie er beständig, „folgt mit den Bälgen.“
Eines Tages, da der Meister in den Garten ging, macht Ulenspiegel den Blasebalg los, trägt ihn auf den Schultern davon und folgt seinem Meister nach. Da dieser sich verwundert, ihn so seltsam beladen zu sehen, spricht Ulenspiegel zu ihm:
„Meister, Ihr habt befohlen, Euch mit den Bälgen zu folgen. Wo soll ich ihn hintun, dieweil ich gehe, den andern zu holen?“
„Lieber Knecht,“ erwiderte der Meister, „ich meint’ es nicht also; geh und lege den Blasebalg wieder an seinen Ort.“
Indessen gedachte er, ihm diesen Streich heimzuzahlen. Fortan stand er alle Tage um Mitternacht auf, weckte seine Gesellen und hieß sie arbeiten.
Die Gesellen sprachen zu ihm:
„Meister, warum weckst Du uns mitten in der Nacht?“
„Das ist so meine Weise,“ sprach der Meister, „daß ich meinen Knechten die ersten acht Tage nicht erlaube, mehr als die halbe Nacht im Bette zu liegen.“
Die andere Nacht weckte er seine Knechte abermals um Mitternacht. Ulenspiegel, der auf dem Boden schlief, nahm sein Bett auf den Rücken und so beladen stieg er in die Schmiede hinunter.
Der Meister sprach zu ihm:
„Bist Du toll? Was lässest Du Dein Bett nicht an seinem Ort?“
„Das ist so meine Weise,“ antwortete Ulenspiegel, „die ersten acht Tage die halbe Nacht auf meinem Bett und die andere halbe Nacht darunter zu liegen.“
„Wohlan,“ versetzte der Meister, „und ich habe noch eine andere Weise, die ist: meine unverschämten Knechte auf die Straße zu werfen, mit Erlaubnis, die erste Woche auf dem Pflaster und die zweite darunter zu verbringen.“
„In Eurem Keller, Meister, mit Verlaub, bei den Tonnen mit Braunbier“, entgegnete Ulenspiegel.
Da er den Wagner verlassen hatte und sich wiederum nach Flandern begab, mußte er sich als Lehrling bei einem Schuster verdingen, der sich lieber auf der Straße aufhielt, als in der Werkstatt die Ahle zu handhaben. Als Ulenspiegel ihn zum hundertsten Mal zum Ausgehen bereit sah, fragte er ihn, wie er das Oberleder zuschneiden solle.
„Schneide es für große und mittlere Füße, damit alles, was das große und kleine Vieh führt, gemächlich hinein kommen kann.“
„Amen, Meister“, sprach Ulenspiegel.
Als der Schuster gegangen war, schnitt Ulenspiegel das Oberleder zu; es war nur gut, um Stuten, Eselinnen, Kühe, Säue und Schafe zu beschuhen.
Da der Schuster in die Werkstatt zurückkam und sein Leder in Stücken sah, sprach er:
„Was hast Du da gemacht, nichtsnutziger Verderber?“
„Was Ihr mich geheißen habt“, antwortete Ulenspiegel.
„Ich habe Dir befohlen, mir Schuhe zuzuschneiden, die allen Denen passen, so Rindvieh, Schweine und Schafe führen, und Du machst Schuhzeug nach dem Fuß dieser Tiere.“
Ulenspiegel versetzte:
„Meister, wer führt denn den Eber, wenn nicht die Sau, den Esel, wenn nicht die Eselin, den Stier, wenn nicht die Kuh und den Widder wenn es nicht das Schaf ist, zu der Jahreszeit, da alle Tiere brünstig sind?“
Dann ging er hinaus und mußte draußen bleiben.
Man war derzeit im April. Die Luft war milde gewesen, nun kam ein gestrenger Frost, und der Himmel war grau wie am Tag Allerseelen. Das dritte Jahr von Ulenspiegels Verbannung war seit geraumer Zeit verflossen, und Nele erwartete ihren Freund jeden Tag.
„Wehe,“ sprach sie, „es wird auf die Birnbäume schneien, auf den blühenden Jasmin, auf all die armen Pflanzen, die voll Vertrauen auf die laue Wärme eines vorzeitigen Lenzes erblüht sind. Schon fallen kleine Flocken vom Himmel auf die Wege. Und es schneit auch auf mein armes Herz.
„Wo sind die hellen Strahlen, die auf frohen Angesichtern spielten und auf den Dächern, die sie röter, auf den Scheiben, die sie glänzender machten? Wo sind sie, die Erde und Himmel, Vögel und Immen wärmten? Wehe, bei Nacht und bei Tag friert mich jetzo aus Traurigkeit und langem Harren. Wo bist du, mein Freund Ulenspiegel?“
Da Ulenspiegel in die Nähe von Renaix in Flandern kam, hatte er Hunger und Durst, wollte aber nicht jammern und versuchte die Leute zum Lachen zu bringen, auf daß man ihm Brot gäbe. Aber das Lachen gelang ihm schlecht, und die Leute gingen vorüber, ohne etwas zu geben.
Es war kalt: eins ums andre schneite, regnete, hagelte es auf den Rücken des Landstreichers. Zog er durch Dörfer, so lief ihm das Wasser im Munde zusammen, wann er nur in einem Mauerwinkel einen Hund einen Knochen benagen sah. Er hätte gern einen Gülden verdient, doch er wußte nicht, wie er ihm in sein Ränzel fallen könnte.
Er suchte in der Luft und sah Tauben, die vom Dach eines Taubenschlages etwas weißes auf den Weg fallen ließen, aber Gülden waren es nicht. Er suchte auf dem Boden der Landstraße; aber zwischen den Pflastersteinen blühten keine Gülden.
Er suchte zur Rechten und sah eine häßliche Wolke, die am Himmel herankam gleichwie eine große Gießkanne; aber er wußte, daß es kein Platzregen von Gülden sein würde, wenn etwas aus dieser Wolke fiele. Er suchte zur Linken und erblickte eine Roßkastanie, einen großen Faulenzer, der da lebte, ohne etwas zu tun: „Ach, sprach er zu sich, warum gibt es nicht Güldenbäume, das wären gar schöne Bäume.“
Unversehens platzte die große Wolke und die Hagelkörner fielen dicht auf Ulenspiegels Rücken wie Kieselsteine. „Wehe,“ sprach er, „ich fühle es genugsam; nur die herrenlosen Hunde wirft man mit Steinen.“ Dann hub er an zu laufen.
„Es ist nicht meine Schuld, wenn ich keinen Palast, nicht einmal ein Zelt habe, um meinen mageren Leib zu schützen. O, die garstigen Hagelkörner; sie sind hart wie Kugeln! Nein, es ist nicht meine Schuld, wenn ich meine Lumpen durch die Welt schleppe, es ist einzig, weil es mir so beliebt hat. Warum bin ich nicht Kaiser! Diese Hagelkörner wollen mit Gewalt in meine Ohren dringen gleich bösen Worten!“ Und er rannte. „Arme Nase, bald wirst Du durchlöchert sein und kannst den Reichen dieser Welt, auf die es nicht hagelt, bei ihren Schmäusen als Pfefferbüchse dienen.“ Dann wischte er sich die Wangen. „Diese werden den Köchen, denen an ihren Herden warm ist, trefflich als Schaumlöffel dienen. Ach, wie fern ist die Erinnerung an die Brühen von einst! Mich hungert! Leerer Bauch, beklage Dich nicht, ihr jammernden Eingeweide, hört auf zu knurren. Wo verbirgst Du Dich, günstiges Glück? Führe mich an den Ort, wo ich Weide finde.“
Dieweil er so zu sich selbst sprach, erhellte sich der Himmel vom Scheine der Sonne; es hörte auf zu hageln und Ulenspiegel sagte: „Guten Tag, Frau Sonne, meine einzige Freundin, Du kannst mich ja trocknen.“
Aber er lief noch immer, denn ihn fror. Plötzlich sah er von fern einen weiß und schwarzen Hund des Weges kommen, der rannte geradeaus, mit hängender Zunge und vorquellenden Augen.
„Das Tier“, sprach Ulenspiegel, „hat die Wut im Leibe!“ Er hub hastig einen großen Stein auf und kletterte auf einen Baum. Als er den ersten Ast erreichte, kam der Hund vorbei und Ulenspiegel schleuderte ihm den Stein auf den Schädel. Der Hund blieb stehen und wollte steif und kläglich auf den Baum klettern und Ulenspiegel beißen, doch er vermochte es nicht und fiel hin, um zu sterben.
Ulenspiegel war dessen nicht froh, zumal er, vom Baume herabsteigend, wahrnahm, daß des Hundes Maul nicht trocken war, wie es seinesgleichen, von der Tollwut ergriffen, gemeiniglich haben. Dann betrachtete er das Fell, sah, daß es schön und gut zu verkaufen war, zog es ihm ab, wusch es und hängte es an seinen Spieß, ließ es ein weniges an der Sonne trocknen und steckte es in seinen Ranzen. Maßen Hunger und Durst ihn noch mehr peinigten, ging er in mehrere Bauernhöfe, wagte aber nicht, das Fell allda zu verkaufen, aus Furcht, daß es das eines Hundes sei, der dem Bauern gehört hatte. Er bat um Brot, man weigerte es ihm. Die Nacht kam. Seine Beine waren matt. Er ging in eine kleine Herberge. Allda sah er eine alte Wirtin, die streichelte einen alten hustenden Hund, dessen Fell dem des Toten glich.
„Woher kommst Du, Wandersmann?“ fragte die Alte.
Ulenspiegel antwortete:
„Ich komme von Rom, allwo ich den Hund des Papstes von einer Verschleimung geheilt habe, die ihn über die Maßen quälte.“
„Du hast also den Papst gesehen?“ fragte sie und zapfte ihm ein Glas Bier ab.
„Ach,“ sprach Ulenspiegel, „es ist mir nur vergönnt gewesen, seinen heiligen Fuß und seinen geweihten Pantoffel zu küssen.“
Indessen hustete der alte Hund der Wirtin und spie nicht aus.
„Wann tatest Du das?“ fragte die Alte.
„Im vorletzten Mond“, antwortete Ulenspiegel, „kam ich an / ich wurde erwartet / und pochte an die Tür. „Wer ist da?“ fragte der allergroßmächtigste, allergeheimste, alleraußerordentlichste Kämmerer Seiner Allerheiligsten Heiligkeit:/ „Ich bin es,“ antwortete ich, „hochwürdiger Kardinal, ich komme eigens von Flandern her, um dem Papste den Fuß zu küssen und seinen Hund von der Schleimsucht zu heilen.“ / „Ei, Du bist es, Ulenspiegel?“ sagte der Papst, der aus einer kleinen Tür von der andern Seite sprach. „Ich würde mich freun, Dich zu sehen, doch das ist gegenwärtig ein unmöglich Ding. Es ist mir durch die heiligen Dekretalen verboten, Fremden mein Antlitz zu zeigen, wenn das heilige Bartmesser darüber fährt.“ / „Ach,“ sagte ich, „ich bin gar unglücklich, ich komme aus weit entlegenen Landen, um Eurer Heiligkeit den Fuß zu küssen und Euren Hund von der Schleimsucht zu heilen. Muß ich mit unerfüllten Wünschen heimkehren?“ / „Nein“, sprach der Papst. Dann hörte ich ihn ausrufen: „Erzkämmerer, schiebt meinen Sessel bis an die untere Tür und öffnet unten das kleine Schiebefenster.“ Solches geschah. Ich sah ihn einen mit güldenem Pantoffel beschuhten Fuß durch das Schiebefenster strecken, und hörte eine Stimme, die gleichwie Donner rollte, sagen: „Dies ist der furchtbare Fuß des Fürsten aller Fürsten, des Königs der Könige, des Kaisers der Kaiser. Küsse, Christ, küsse den heiligen Pantoffel.“ Und ich küßte den heiligen Pantoffel, und ich hatte die Nase ganz voll Balsam von dem himmlischen Duft, den dieser Fuß ausströmte. Dann ward das Fenster geschlossen, und die nämliche furchtbare Stimme hieß mich warten. Die Klappe öffnete sich abermals und heraus kam, mit Respekt zu vermelden, ein Tier mit räudigem Fell, triefäugig, hustend und aufgeblasen wie ein Schlauch; es mußte ob seines Bauches mit gespreizten Beinen gehen.
Der heilige Vater geruhte zum andern Mal zu mir zu sprechen:
„Ulenspiegel,“ sagte er, „hier siehst Du meinen Hund. Er ward von Schleimsucht und andern Gebresten befallen, als er die Knochen von Ketzern, denen man sie gebrochen hatte, benagte. Heile ihn, mein Sohn, Du wirst Dich gut dabei stehen.“
„Trink“, sagte die Alte.
„Schenk ein“, antwortete Ulenspiegel. Dann redete er weiter. „Ich purgierte den Hund mit Hilfe eines Wundertranks, den ich selber gebraut hatte, und er ward geheilt.“
„Jesus, Gott und Maria!“ sagte die Alte, „laß mich Dich küssen, ruhmreicher Pilger, der den Papst gesehen hat und der auch meinen Hund wird heilen können.“
Aber Ulenspiegel machte sich nichts aus den Küssen der Alten und sagte: „Die, deren Lippen den heiligen Pantoffel berührt haben, dürfen innerhalb zweier Jahre von keiner Frau geküßt werden. Gib mir zuvörderst zum Nachtmahl etliche gute Kalbs-Rippchen, eine Blutwurst oder zwei, und Bier zur Genüge, dann will ich Deinem Hund eine so klare Stimme machen, daß, er im Chor der großen Kirche die Aves in e und a singen kann.“
„Möchtest Du die Wahrheit sagen,“ greinte die Alte, „dann werde ich Dir einen Gülden geben.“
„Ich werde es tun,“ sprach Ulenspiegel, „aber erst nach dem Nachtmahl.“
Sie trug ihm auf, was er verlangt hatte. Er aß und trank nach Herzenslust und hätte zum Dank für die Atzung die Alte schier umhalst, wären nicht seine vorigen Worte gewesen.
Derweil er aß, legte der Hund seine Pfoten auf seine Knie, um einen Knochen zu bekommen. Ulenspiegel gab ihm mehrere; dann sagte er zur Wirtin:
„Wenn einer bei Dir gegessen hätte und Dir nicht zahlte, was würdest Du da tun?“
„Ich würde dem Spitzbuben sein bestes Kleid fortnehmen“, antwortete die Alte.
„Es ist gut“, sprach Ulenspiegel. Dann nahm er den Hund unter den Arm und ging in den Stall. Allda sperrte er ihn mit einem Knochen ein, holte das Fell des Toten aus seinem Ranzen und kam zu der Alten zurück. Er fragte sie, ob sie gesagt hätte, daß sie dem, der ihr seine Mahlzeit nicht bezahlte, sein bestes Gewand fortnehmen würde.
„Ja“, antwortete sie.
„Wohlan, Dein Hund hat mit mir gespeist und hat mich nicht bezahlt, so hab ich ihm nach Deiner Vorschrift sein bestes und einziges Kleid ausgezogen.“
Und er zeigte ihr das Fell des toten Hundes.
„Ach,“ sprach die Alte weinend, „das ist grausam von Dir, Herr Arzt. Armes Hündlein! Es war für mich arme Wittfrau wie mein Kind. Weshalb raubtest Du mir den einzigen Freund, den ich in der Welt hatte? Jetzt will ich gern sterben.“
„Ich werde ihn auferwecken,“ sagte Ulenspiegel.
„Auferwecken!“ sprach sie. „Und er wird mir wieder schmeicheln, mich wiederum ansehen und mich lecken und mit dem armen, alten Schwänzlein wedeln, wenn er mich erblickt? Tut also, Herr Arzt, und Ihr sollt umsonst hier gespeist haben, eine teure Mahlzeit, und ich will Euch noch mehr denn einen Gülden obendrein geben.“ „Ich werde ihn ins Leben zurückrufen, aber dazu bedarf ich heißes Wasser, Sirup, um die Gelenke zu kleben, Nadel und Faden und geschmälzte Fleischbrühe. Und während der Operation will ich allein sein.“
Die Alte gab ihm, was er begehrte; er nahm das Fell des toten Hundes und begab sich in den Stall.
Dort beschmierte er das Maul des alten Hundes mit geschmälzter Brühe, der ließ es mit Behagen geschehen. Dann zog er ihm einen großen Sirupstreifen unter den Bauch und machte ihm Sirup an die Pfoten und Brühe an den Schwanz. Alsdann stieß er dreimal einen lauten Schrei aus und sagte darauf: „Steh auf, stehe auf, ich befehl’s, fauler Hund.“
Hurtig steckte er das Fell des toten Hundes in seinen Ranzen, gab dem lebenden einen gewaltigen Fußtritt und beförderte ihn so in die Herbergsstube.
Als die Alte sah, daß ihr Hund am Leben war und sich leckte, wollte sie ihn voll Freuden umhalsen; aber Ulenspiegel ließ es nicht zu.
„Du kannst diesen Hund“, sprach er, „nicht eher liebkosen, als bis er mit der Zunge allen Sirup abgeleckt hat, mit dem er bestrichen ist; erst dann werden die Nähte im Fell fest sein. Bezahle mir nunmehr meine zehn Gülden.“
„Ich hatte einen gesagt,“ antwortete die Alte.
„Einen für die Operation, neun für die Auferweckung“, erwiderte Ulenspiegel.
Sie zahlte sie ihm. Ulenspiegel machte sich davon, indem er das Fell des toten Hundes in die Wirtsstube warf und dazu sagte: „Da, Frau, behalte sein altes Fell, es kann Dir dienen, das neue auszuflicken, wenn es Löcher bekommt.“
Am nämlichen Sonntag ward in Brügge die Prozession des Heiligen Blutes abgehalten. Klas sagte zu seinem Weib und Nele, sie möchten gehen sie anzusehen, und sie würden vielleicht Ulenspiegel in der Stadt finden. Was ihn anginge, sagte er, so würde er das Haus hüten, in Erwartung, daß der Pilger heimkehrte.
Die beiden Frauen gingen selbander fort. Klas, der in Damm zurückgeblieben war, setzte sich auf seine Türschwelle und fand das Städtlein gar verödet. Er vernahm nichts als den kristallenen Ton einer Dorfglocke, derweil der Wind ihm von Brügge stoßweise die Musik der Glockenspiele und ein großes Getöse von Böllern und Mörsern zutrug, so man zu Ehren des Heiligen Blutes abschoß.
In tiefem Sinnen spähte Klas auf den Wegen nach Ulenspiegel, doch erblickte er nichts denn den klaren, blauen, wolkenlosen Himmel, etliche Hunde, die mit hängender Zunge in der Sonne lagen, kecke Sperlinge, so zwitschernd im Staube sich badeten und eine Katze, die jene belauerte. Die Sonne drang freundlich in alle Häuser und ließ die Kupferkessel und Zinnhumpen auf den Anrichten erglänzen.
Aber Klas war traurig inmitten dieser Freude und spähte nach seinem Sohn. Er versuchte, ihn hinter dem grauen Nebel der Wiesen zu sehen, ihn in dem fröhlichem Rauschen der Blätter und dem lustigen Gesang der Vögel in den Bäumen zu hören. Plötzlich sah er auf dem Wege von Maldeghem einen Mann von hoher Gestalt und erkannte, daß es nicht Ulenspiegel war. Er sah ihn am Rande eines Mohrrübenackers still stehen und begierig von diesem Gemüse essen.
„Das ist ein Mann, der großen Hunger hat“, sprach Klas. Er hatte ihn einen Augenblick aus dem Gesicht verloren, sah ihn an der Ecke der Reiherstraße wieder auftauchen und erkannte in ihm den Boten von Jobst, welcher ihm die siebenhundert Goldkarolus gebracht hatte. Er ging zu ihm auf die Straße und sagte:
„Komm in mein Haus.“
Der Mann antwortete:
„Gesegnet seien, die liebreich gegen die irrenden Wandrer sind.“
Auf dem äußeren Fenstersims der Hütte lagen Brosamen, die Soetkin für die Vögel der Umgegend aufsparte. Sie kamen im Winter dorthin, um sich Nahrung zu holen. Der Mann nahm etliche dieser Brocken und aß sie.
„Dich hungert und dürstet“, sprach Klas.
Der Mann sagte:
„Seit acht Tagen, wo ich von den Dieben ausgeplündert ward, nähre ich mich von den Rüben auf den Äckern und den Wurzeln in den Wäldern.“
„So ist es an der Zeit zu schlemmen. Und hier“, sagte er und öffnete den Wandschrank, „ist eine volle Schüssel Erbsen, Eier, Blutwürste, Schinken, Genter Wurst und Waterzoey: gedämpfter Fisch. Unten im Keller schlummert der Wein von Löwen, nach Art des Burgunder gekeltert und rot und klar wie Rubin; den verlangt es, in den Gläsern zu erwachen. Wohlan, wir wollen Reisig aufs Feuer legen. Hörst Du die Blutwürste auf dem Rost singen? Das ist ein Loblied des guten Essens.“
Klas drehte sie um und um und sprach zu dem Manne:
„Sahst Du meinen Sohn Ulenspiegel nicht?“
„Nein“, antwortete er.
„Bringst Du Nachricht von Jobst, meinem Bruder?“ sagte Klas, dieweil er die gerösteten Blutwürste, einen Eierkuchen mit fettem Schinken und große Humpen auf den Tisch setzte, und der Wein von Löwen schimmerte blaßrot in den Flaschen.
Der Mann antwortete:
„Dein Bruder Jobst ist zu Sippenaken bei Aachen auf dem Rade gestorben. Und das, weil er als Ketzer die Waffen wider den Kaiser getragen hat.“
Klas war wie von Sinnen, und am ganzen Leibe zitternd, denn sein Grimm war groß, sagte er:
„Elende Henker! Jobst, mein armer Bruder!“
Darauf sprach der Mann ohne Weichheit:
„Unsere Freuden und Leiden sind nicht von dieser Welt.“
Und er begann zu essen. Darauf sagte er:
„Ich habe Deinem Bruder in seinem Kerker beigestanden, indem ich mich für einen Bauern von Niesweiler, seinen Verwandten, ausgab. Ich komme hierher, weil er zu mir gesagt hat: Wenn Du nicht gleich mir für den Glauben stirbst, so gehe zu meinem Bruder Klas. Heiß ihn, im Frieden des Herrn leben, indem er die Werke der Barmherzigkeit übt und seinen Sohn insgeheim nach Christi Gebot erzieht. Das Geld, das ich ihm gab, ward dem armen, unwissenden Volk abgenommen; er möge es anwenden, um Tyll in der Erkenntnis Gottes und des Wortes zu erziehen.“
Nachdem er solches gesagt, gab der Bote Klas den Friedenskuß.
Und Klas wehklagte und sprach:
„Auf dem Rade gestorben, mein armer Bruder!“
Und er konnte seines Schmerzes nicht Herr werden.
Jedoch da er sah, daß den Mann dürstete und daß er sein Glas hinhielt, schenkte er ihm Wein ein; aber er aß und trank ohne Lust. Soetkin und Nele waren sieben Tage fern; während der Zeit wohnte der Bote von Jobst unter Klasens Dach.
Jede Nacht hörten sie Katheline in der Hütte heulen:
„Das Feuer, das Feuer! Bohrt ein Loch, die Seele will hinaus!“
Und Klas ging zu ihr und redete ihr gütlich zu und kehrte dann in sein Haus zurück.
Nach Verlauf der sieben Tage ging der Mann von hinnen und wollte von Klas nicht mehr denn zwei Karolus nehmen, um unterwegs Kost und Herberge zu finden.
Als Nele und Soetkin von Brügge heimgekehrt waren, saß Klas in seiner Küche auf dem Boden nach Art der Schneider und nähte Knöpfe an eine alte Hose. Nele war bei ihm und hetzte Titus Bibulus Schnuffius auf den Storch; bald stürzte er sich auf ihn, bald wich er zurück und heulte dabei in den höchsten Tönen. Der Storch, auf einem Bein stehend, blickte ihn ernst und nachdenklich an und zog seinen langen Hals in sein Brustgefieder zurück. Da Titus Bibulus Schnuffius seine Friedfertigkeit sah, heulte er noch schrecklicher. Aber unversehens schoß der Vogel, den diese Musik verdroß, seinen Schnabel wie einen Pfeil in den Rücken des Hundes, welcher entfloh und um Hilfe heulte. Klas lachte, Nele desgleichen; Soetkin schaute immerwährend auf die Straße und spähte, ob sie Ulenspiegel nicht kommen sähe. Plötzlich sprach sie:
„Da ist der Profos und vier Büttel. Ohne Zweifel haben sie es nicht auf uns abgesehen. Ihrer zwei gehen rund um die Hütte.“
Klas hob die Nase von der Arbeit auf.
„Und zwei bleiben vorne stehen“, redete Soetkin weiter.
Klas stund auf.
„Wen werden sie in dieser Straße gefangen nehmen?“ sagte sie.
„Herr Jesus, Mann, sie kommen herein.“
Klas sprang aus der Küche in den Garten, Nele ihm nach. Er sagte zu ihr:
„Rette die Karolus, sie sind hinter der Rückwand des Rauchfangs.“
Nele verstand ihn und da sie sah, daß er über die Hecke sprang und als die Büttel ihn beim Kragen packten, daß er sie schlug, um sie los zu werden, da schrie und weinte sie:
„Er ist unschuldig, er ist unschuldig! Tut meinem Vater Klas kein Leids an! Ulenspiegel, wo bist Du? Du würdest sie alle beide töten!“
Und sie warf sich auf einen der Büttel und zerfleischte ihm das Gesicht mit ihren Nägeln. Dann schrie sie: „Sie werden ihn umbringen“, warf sich in das Gras im Garten und wälzte sich darin wie von Sinnen.
Katheline war auf den Lärm herbeigekommen, sie stand aufrecht und unbeweglich, sah dem Schauspiel zu und schüttelte den Kopf: „Das Feuer, das Feuer! Bohrt ein Loch, die Seele will heraus!“ Soetkin sah nichts und sprach zu den Bütteln, die in die Hütte getreten waren:
„Ihr Herren, was suchet Ihr in unserer armen Behausung? Wenn es mein Sohn ist, der ist fern. Da müsset Ihr lange Beine machen.“
Solches sagend war sie frohen Mutes.
Indem schrie Nele um Hilfe. Soetkin lief in den Garten, sah, wie ihr Mann auf dem Weg bei der Hecke festgehalten ward und sich sträubte.
„Schlag zu, töte sie“, rief sie. „Ulenspiegel, wo weilst Du?“
Sie wollte ihrem Manne zu Hilfe kommen, doch einer der Büttel packte sie um den Leib, nicht ohne Fährnis für sie.
Klas wehrte sich und schlug so heftig, daß er wohl hätte entkommen mögen, wären nicht die beiden Büttel, mit denen Soetkin gesprochen hatte, denen, so ihn hielten, zu Hilfe kommen.
Mit gebundenen Händen führten sie ihn in die Küche, allwo Soetkin und Nele weinten und schluchzten.
„Herr Profos,“ sagte Soetkin, „was hat mein armer Mann getan, daß Ihr ihn also mit diesen Stricken bindet?“
„Ketzer“, sprach einer der Büttel.
„Ketzer,“ sprach Soetkin dagegen, „Du bist ein Ketzer, Du! Diese Teufel haben gelogen.“
Klas antwortete:
„Ich befehle mich in Gottes Hut.“
Er ging fort. Nele und Soetkin folgten ihm weinend und vermeinend, daß man sie auch vor den Richter bringen würde. Freunde und Gevatterinnen kamen zu ihnen, aber da sie vernahmen, daß Klas also gebunden ging, weil er der Ketzerei verdächtig war, hatten sie so große Furcht, daß sie eilends wieder in ihre Häuser gingen und alle Türen hinter sich zuschlossen. Nur etliche Mägdlein wagten zu Klas zu kommen und zu ihm zu sagen:
„Wohin gehst Du also gebunden, Kohlenträger?“
„Wohin Gott will, Ihr Mägdlein“, sprach er.
Sie brachten ihn in den Gemeindekerker, und Soetkin und Nele setzten sich auf die Schwelle. Da es Abend ward, sagte Soetkin zu Nele, sie solle sie lassen und sehen, ob Ulenspiegel nicht heimkehrte.
Die Kunde verbreitete sich alsbald in den benachbarten Dörfern, daß man einen Mann um der Ketzerei willen eingekerkert hätte, und daß der Inquisitor Titelman, Dechant von Renaix, mit dem Beinamen der Herzlose, das Verhör leiten sollte. Zur selbigen Zeit lebte Ulenspiegel in Koolkerke und stand in Gunst und Gnaden bei einer artigen Bäuerin, einer gefälligen Wittib, die ihm nichts abschlug, was ihr zu eigen war. Ulenspiegel war dort guter Dinge, ward gehätschelt und geliebkost bis an den Tag, wo ein falscher Nebenbuhler, ein Schöffe der Gemeine, ihm beim Verlassen der Schenke auflauerte, um ihn durchzubläuen. Doch Ulenspiegel warf ihn in den Sumpf, damit er seinen Zorn abkühle, und der Schöffe kroch heraus, so gut er’s vermochte, grün wie eine Kröte und durchweicht wie ein Schwamm.
Für diese Heldentat mußte Ulenspiegel Koolkerke verlassen. Er rannte, so schnell seine Beine ihn trugen, nach Damm, denn er fürchtete die Rache des Schöffen.
Der Abend sank kühl herab. Ulenspiegel lief schnell, es verlangte ihn, daheim zu sein. Im Geiste sah er Nele nähen, Soetkin das Nachtmahl bereiten und Klas Reisigbündel schnüren, Schnuffius einen Knochen benagen und den Storch der Hausmutter auf den Bauch klopfen, um einige Brocken vom Essen abzubekommen.
Ein wandernder Hausierer sprach im Vorbeigehen zu ihm:
„Wohin so eilends?“
„Nach Damm, nach Haus“, antwortete Ulenspiegel.
Der Hausierer erwiderte:
„Die Stadt ist nicht mehr sicher wegen der Reformierten, die man da verhaftet.“
Und er ging weiter.
Als Ulenspiegel am Wirtshaus „zum roten Schild“ anlangte, kehrte er ein, um ein Glas Doppelbier zu trinken. Der Wirt sprach zu ihm:
„Bist Du nicht des Klas Sohn?“
„Der bin ich“, antwortete Ulenspiegel.
„Spute Dich,“ sprach der Wirt, „denn die schlimme Stunde hat für Deinen Vater geschlagen.“
Ulenspiegel fragte, was er damit meinte.
Der Wirt antwortete, er würde es nur allzubald erfahren.
Und Ulenspiegel rannte weiter.
Als er bei den ersten Häusern von Damm anlangte, sprangen ihm die Hunde, so auf den Türschwellen standen, an die Beine und kläfften und bellten. Die alten Weiber kamen auf den Lärm heraus und riefen ihm alle miteinander zu:
„Woher kommst Du? Hast Du Kunde von Deinem Vater? Wo ist Deine Mutter? Ist sie auch im Kerker mit ihm? Wehe! Gnade Gott, daß man ihn nicht verbrenne!“
Ulenspiegel lief noch rascher.
Er begegnete Nele, die sprach zu ihm:
„Tyll, geh nicht in Dein Haus. Die aus der Stadt haben im Namen Seiner Majestät einen Wächter dort angestellt.“
Ulenspiegel blieb stehen:
„Nele,“ sprach er, „ist es wahr, daß mein Vater Klas im Gefängnis ist?“
„Ja,“ antwortete Nele, „und Soetkin weint auf der Schwelle.“ Da schwoll das Herz des verlorenen Sohnes vor Leid und er sprach zu Nele:
„Ich will sie besuchen.“
„Nicht das sollst Du tun, sondern vielmehr Klas gehorchen, der mir, ehe sie ihn ergriffen, gesagt hat: „Rette die Karolus, sie sind hinter der Rückwand des Rauchfangs.“ Die müssen zuerst gerettet werden, denn sie sind Soetkins, des armen Weibes Erbe.“
Ulenspiegel hörte nichts und eilte zum Gefängnis. Allda sah er Soetkin auf der Schwelle sitzen; sie umfing ihn mit Tränen und sie weinten mitsammen.
Und da das Volk sich ihretwegen in Haufen um das Gefängnis scharte, kamen Büttel und geboten Ulenspiegel und Soetkin, daß sie sich ehestens fortscheren sollten.
Mutter und Sohn gingen in Neles Hütte, die ihrem Hause benachbart war. Vor diesem sahen sie einen der Landsknechte, die von Brügge entboten waren, aus Furcht vor Unruhen, die während des Gerichts und der Hinrichtung entstehen mochten. Denn die Leute von Damm liebten Klas von Herzen.
Der Soldat saß auf dem Pflaster vor der Tür und war geschäftig, den letzten Tropfen Branntwein aus einer Flasche zu saugen. Da er nichts mehr darin fand, warf er sie einige Schritte weit, zog sein kurzes Schwert und ergötzte sich damit, die Pflastersteine auszugraben.
Soetkin trat bitterlich weinend bei Katheline ein. Und Katheline schüttelte den Kopf: „Das Feuer! Bohrt ein Loch, die Seele will hinaus“, sprach sie.
Die Sturmglocke rief die Richter zum Tribunal und sie vereinigten sich um vier Uhr in der „Vierschare“ um die Gerichtslinde.
Klas ward vor sie gebracht und sah den Amtmann von Damm feierlich unter einem Baldachin sitzen und ihm zur Seiten und gegenüber den Bürgermeister, die Schöffen und den Gerichtsschreiber.
Das Volk kam beim Klange der Glocke in Haufen herbei und sprach:
„Viele unter den Richtern sind nicht da, um ein Werk der Gerechtigkeit, sondern der kaiserlichen Knechtschaft zu üben.“
Der Gerichtsschreiber machte bekannt, daß, nachdem der Gerichtshof sich zuvor in der Vierschare um die Linde versammelt, selbiger Anlaß gefunden habe, in Ansehung und Kenntnis der Anzeigen und Aussagen, Klas den Kohlenträger, aus Damm gebürtig, Ehemann von Soetkin, Jobstens Tochter, gefänglich einzuziehen. Nunmehr würden sie zum Verhör der Zeugen schreiten.
Hans Barbier, des Klas Nachbar, ward zuerst vernommen. Nachdem er den Eid geleistet hatte, sagte er aus:
„Beim Heil meiner Seele versichere und bezeuge ich, daß gegenwärtiger Klas mir seit nahezu siebenzehn Jahren bekannt ist, daß er allezeit rechtschaffen und nach den Gesetzen unserer heiligen Mutter Kirche gelebt, niemals schimpflich von ihr geredet hat. Noch hat er meines Wissens irgend einen Ketzer beherbergt, noch das Buch Luthers verborgen, noch von besagtem Buche geredet, oder irgend etwas getan, das ihn verdächtigen könnte, gegen die Gesetze und Verordnungen des Reiches gefehlt zu haben. So helfe mir Gott und alle seine Heiligen.“
Alsdann wurde Jan van Roosebeke verhört. Er sagte aus, daß er bei Abwesenheit von Soetkin, Klasens Weib, oftmals die Stimme zweier Männer im Hause des Beklagten zu vernehmen vermeint habe. Oftmals am Abend nach der Feierabendglocke habe er in einer kleinen Stube unterm Dach ein Licht und zwei Männer, deren einer Klas war, vertraulich mitsammen reden sehen. Wenn er sagen sollte, ob der andere Mann ein Ketzer war oder nicht, so vermöchte er das nicht, denn er hätte ihn nur von ferne gesehen. „Was Klas angeht,“ fügte er hinzu, „so sage ich aus und spreche die volle Wahrheit, daß er, so lange ich ihn kenne, um die Osterzeit nach der Regel beichtete, an den hohen Festen kommunizierte, alle Sonntag zur Messe ging, ausgenommen den Sonntag des heiligen Blutes und die folgenden. Und mehr weiß ich nicht. So wahr mir Gott und alle seine Heiligen helfen.“
Befragt, ob er nicht gesehen hätte, wie Klas in der Schenke „zum blauen Turm“ Ablaß verkauft und über das Fegefeuer gespottet hätte, erwiderte Jan van Roosebeke, daß Klas allerdings Ablaß verkauft hätte; doch ohne Verachtung oder Spott. Er, Jan van Roosebeke hätte davon gekauft, und also habe auch Jobst Griepenstüver, der Älteste der Fischergilde tun wollen, der dort in der Menge sei.
Darauf sagte der Amtmann, er wolle die Taten und Handlungen, um derentwillen Klas vor den Gerichtshof der Vierschare geführt sei, bekannt geben.
„Der Angeber“, sagte er, „war von ohngefähr in Damm geblieben, um nicht in Brügge sein Geld für Schlemmerei und Prasserei auszugeben, wie das allzu oft bei diesen heiligen Gelegenheiten geübt wird; er saß auf seiner Türschwelle und schöpfte Luft. Da erblickte er einen Mann, der in der Reiherstraße ging. Da Klas diesen Mann bemerkte, ging er auf ihn zu und begrüßte ihn. Der Mann war in schwarzes Linnen gekleidet. Er trat bei Klas ein, und die Tür der Hütte blieb halb geöffnet. Begierig zu wissen, wer dieser Mann wäre, trat der Angeber in den Hausflur; er hörte Klas in der Küche mit dem Fremden von einem gewissen Jobst, seinem Bruder, sprechen, der unter den Truppen der Reformierten zum Gefangenen gemacht und für diese Tat unweit von Aachen lebendig gerädert worden. Der Fremde sagte zu Klas, daß er das Geld, so er von seinem Bruder empfahen, anwenden solle, seinen Sohn in der reformierten Religion zu erziehen, maßen es der Unwissenheit armer Leute abgewonnen sei. Desgleichen hat er Klas aufgefordert, den Schoß Unserer Heiligen Mutter Kirche zu verlassen, und andere gottlose Worte ausgesprochen, auf welche Klas nur mit den Worten erwiderte: „Grausame Henker! Mein armer Bruder!“ Und also lästerte der Angeklagte Unsern Heiligen Vater, den Papst, und Seine Königliche Majestät, indem er sie der Grausamkeit beschuldigte, weil sie die Ketzerei zu Recht als göttliches und menschliches Majestätsverbrechen bestraften. Als der Mann mit Essen fertig war, hörte der Angeber Klas ausrufen: „Armer Jobst, den Gott in seine Herrlichkeit aufnehme, sie waren grausam gegen Dich!“ Und so klagte er Gott selber der Gottlosigkeit an durch den Glauben, daß er Ketzer in seinem Himmel aufnehmen könne. Und Klas ließ nicht nach zu sagen: „Mein armer Bruder.“ Darob geriet der Fremde in Wut wie ein Ketzerlehrer bei seiner Predigt und schrie: „Sie wird stürzen, die große Babel, die römische Hure, und sie wird die Behausung von Teufeln und der Schlupfwinkel jedes Galgenvogels werden!“ Klas sagte: „Grausame Henker! Mein armer Bruder!“ Der Fremde redete ein Mehreres und sagte: „Denn der Engel wird den Stein nehmen, groß wie ein Mühlstein. Und der Stein wird ins Meer geschleudert werden, und der Engel wird sagen: „Also wird die große Babel verworfen und nicht mehr gefunden werden.“ „Herr,“ sprach Klas, „Euer Mund ist voll Zornes; aber saget mir, wann wird das Reich kommen, wo die, so sanftmütigen Herzens sind, in Frieden auf Erden leben können?“ „Nimmer!“ antwortete der Fremde, „solange der Antichrist herrschen wird, welcher ist der Papst und Widersacher aller Wahrheit!“ / „Ach,“ sprach Klas, „Ihr redet ohne Ehrfurcht von Unserm Heiligen Vater. Gewißlich weiß er nichts von den grausamen Todesstrafen, mit denen man die armen Reformierten strafet.“ Der Fremde erwiderte: „Er kennt sie nur zu wohl, denn er ist es, der die Urteile schleudert und sie durch den Kaiser und jetzo den König ausführen läßt. Der hat den Nutzen von den Gütereinziehungen; er beerbt die Verstorbenen und macht den Reichen gern den Prozeß wegen Ketzerei.“ Klas antwortete: „Man redet von solchen Dingen im Lande Flandern, ich muß sie glauben. Das Fleisch des Menschen ist schwach, selbst wenn es königlich Fleisch ist. Mein armer Jobst.“ Und also gab Klas zu verstehen, daß Seine Majestät aus niedriger Gewinnsucht die Anstifter der Ketzerei strafte. Da der Fremde ihn beschwatzen wollte, erwiderte Klas: „Herr, wollet mir nicht mehr solche Reden halten, die, wenn sie gehört würden, mir einen schlimmen Prozeß zuziehen könnten.“ Klas erhob sich, um in den Keller zu gehen, und kam mit einem Maß Bier wieder herauf. „Ich will die Tür schließen“, sagte er alsdann, und der Angeber hörte nichts mehr, denn er mußte eilends aus dem Hause gehen. Die Tür, so zuvor verschlossen war, ward jedoch bei sinkender Nacht wieder geöffnet. Der Fremde kam heraus, kehrte aber alsbald zurück, pochte und sagte dabei: „Klas, mich friert, ich weiß nicht, wo ich einkehren soll. Gib mir Obdach, niemand hat mich hereinkommen sehen, die Stadt ist menschenleer.“
Klas nahm ihn bei sich auf, entzündete eine Laterne, und man sah ihn, dem Ketzer vorangehend, die Stiege hinaufsteigen und den Fremden in ein Kämmerlein unter dem Dach führen, dessen Fenster aufs Feld ging.“
„Wer anders“, schrie Klas, „kann alles dies berichtet haben, wenn nicht Du, schändlicher Fischhändler, den ich am Sonntag aufrecht wie einen Pfahl auf seiner Schwelle sah, wie Du heuchlerisch nach den Schwalben in der Luft blicktest.“
Und er wies mit dem Finger auf Jobst Griepenstüver, den Ältesten der Fischhändler, der seine häßliche Fratze unter dem Volk zeigte. Der Fischhändler lächelte hämisch, da er sah, daß Klas sich solchergestalt verriet. Alles Volk, Männer, Frauen und Kinder sprachen untereinander:
„Armer, guter Mann, seine Worte werden ihm den Tod bringen.“
Aber der Gerichtsschreiber fuhr in seiner Verlesung fort:
„Der Ketzer und Klas sprachen jene Nacht lange zusammen, desgleichen während sechs anderer, in welchen man den Fremdling mancherlei dräuende oder segnende Gebärden machen sah, auch wahrnehmen konnte, wie er die Arme gen Himmel hob; wie Ketzer zu tun pflegen. Und dem Anschein nach hieß Klas seine Reden gut. Gewißlich sprachen sie während jener Tage, Abende und Nächte schändlich über Messe und Beichte, über den Ablaß und über Seine Königliche Majestät.“
„Keiner hat es gehört,“ sagte Klas, „und man kann mich nicht solchergestalt ohne Beweise anklagen.“
Der Gerichtsschreiber versetzte:
„Man hat anderes gehört. Als der Fremde den siebenten Tag um die zehnte Stunde aus Deinem Hause ging und es schon Abend war, da gabst Du ihm bis zur Grenze von Kathelines Feld das Geleite. Allda erkundigte er sich, was Du mit den schändlichen Götzenbildern / und der Amtmann bekreuzte sich / der erhabenen Frau Maria und der hohen Heiligen Nikolas und Martin gemacht hättest. Du gabst zur Antwort, daß Du sie zerbrochen und in den Brunnen geworfen hättest. Und wirklich wurden sie verwichene Nacht in Deinem Brunnen gefunden, und die Stücke sind auf der Folterkammer.“
Bei diesen Worten schien Klas niedergeschinettert. Der Amtmann fragte, ob er etwas zu erwidern hätte, doch Klas schüttelte verneinend den Kopf.
Der Amtmann fragte ihn, ob er nicht den verruchten Gedanken, die Bilder zu zerbrechen, desgleichen die gottlose Verirrung, kraft deren er schändende Worte wider seine göttliche und Seine Königliche Majestät gesprochen, widerrufen wolle.
Klas erwiderte, daß sein Leib Seiner Königlichen Majestät, sein Gewissen aber Christo gehörte, dessen Gebot er folgen wolle. Der Amtmann fragte ihn, ob dieses Gebot das Unserer Heiligen Mutter Kirche wäre. Klas antwortete:
„Es ist im Heiligen Evangelio.“
Aufgefordert, auf die Frage zu antworten, ob der Papst der Statthalter Gottes auf Erden sei, sprach er:
„Nein.“
Verhört, ob er es für unerlaubt hielte, die Bilder der erhabenen Frau Maria und der hohen Heiligen anzubeten, antwortete er, daß solches Götzendienst wäre. Im Punkte der Ohrenbeichte befragt, ob selbe eine gute und heilsame Sache sei, sprach er:
„Christus hat gesagt: Beichtet einer dem andern.“
Seine Antworten waren tapfer, wiewohl er im Grunde seines Herzens betrübt und erschrocken schien.
Da es acht Uhr geschlagen hatte und die Nacht herabsank, zog sich der hohe Gerichtshof zurück und verschob das endgültige Urteil auf den nächsten Tag.
In Kathelines Hütte weinte Soetkin vor irrem Schmerz. Ohne Unterlaß sagte sie:
„Mein Mann, mein armer Mann!“
Ulenspiegel und Nele umarmten sie mit inniger Zärtlichkeit. Dann drückte sie sie in die Arme und weinte still. Hierauf machte sie ihnen ein Zeichen, sie allein zu lassen. Nele sprach zu Ulenspiegel: „Wir wollen sie verlassen, sie will es; laß uns die Karolus retten.“
Sie gingen beide hinaus. Katheline ging um Soetkin herum und sprach:
„Bohrt ein Loch, die Seele will hinaus.“
Und Soetkin blickte sie starren Auges an, ohne sie zu sehen.
Die Hütten von Klas und Katheline stießen aneinander, die von Klas trat zurück und hatte ein Gärtlein vor dem Haus; die von Katheline hatte ein Stück Land, mit Saubohnen bepflanzt, nach der Straße zu. Das Land war mit einer grünen Hecke eingefriedigt, darein Ulenspiegel, um zu Nele zu gehen, und Nele um zu Ulenspiegel zu gehen, in ihren Kinderjahren ein großes Loch gemacht hatten.
Ulenspiegel und Nele kamen in den Gemüsegarten, sahen von dort den wachthabenden Soldaten, der mit dem Kopf wackelte und in die Luft spuckte, aber der Speichel fiel auf sein Wams zurück. Eine Flasche, die mit Weiden umflochten war, lag neben ihm.
„Nele,“ sagte Ulenspiegel ganz leise, „dieser trunkne Soldat hat noch nicht genug für seinen Durst; er muß noch mehr trinken. So werden wir die Herren sein. Laß uns die Flasche nehmen.“
Beim Ton ihrer Stimmen wandte der Landsknecht seinen schweren Kopf nach ihrer Seite, suchte seine Flasche und da er sie nicht fand, fuhr er fort in die Luft zu spucken und versuchte, beim Mondschein seinen Speichel fallen zu sehen.
„Der Branntwein geht ihm bis an die Zähne,“ sprach Ulenspiegel. „hörst Du, wie er mit Mühe spuckt?“
Indessen streckte der Soldat, nachdem er oftmals gespuckt und in die Luft gesehen, wiederum den Arm aus, um die Hand auf die Flasche zu legen. Er fand sie, hielt den Mund an die Öffnung, bog den Kopf nach hinten, kippte die Flasche um und schlug ein wenig darauf, auf daß sie ihm ihren ganzen Saft gäbe; und er sog daran, wie ein Kind an der Brust seiner Mutter. Da er nichts darinnen fand, ließ er es dabei bewenden, legte die Flasche neben sich, fluchte etliches auf hochdeutsch, spuckte wiederum, schüttelte den Kopf von rechts nach links und schlief mit unverständlichem Geplapper ein.
Aber Ulenspiegel, wissend, daß dieser Schlaf nicht andauern würde, und daß man ihn noch tiefer machen müßte, glitt durch das Loch in der Hecke, nahm die Flasche des Soldaten und gab sie Nele, welche sie mit Branntwein füllte.
Der Soldat hörte nicht auf zu schnarchen: Ulenspiegel schlüpfte wieder durch das Loch in der Hecke, legte ihm die volle Flasche zwischen die Beine, kehrte in Kathelines Gärtlein zurück und wartete mit Nele hinter der Hecke.
Die Kühle der frischgezapften Flüssigkeit machte den Soldaten etwas wach und mit der ersten Bewegung suchte er nach dem kalten Ding unter seinem Wamse.
Mit dem rechten Gefühl eines Trunkenbolds erwog er, daß dies wohl eine volle Flasche sein könnte, und legte die Hand darauf. Ulenspiegel und Nele sahen, wie er beim Schein des Mondes die Flasche schüttelte, um das Glucksen der Flüssigkeit zu hören; dann kostete er davon, lachte, war baß erstaunt, daß sie so voll war, trank einen Schluck, tat einen Zug, setzte sie zu Boden, nahm sie abermals und trank von neuem.
Dann hub er an zu singen:
Um und um trinkend und einen Vers singend, schlief er ein. Und er konnte nicht hören, daß Nele sagte: „Sie sind in einem Topf hinter der Rückwand des Rauchfangs“; noch sah er, wie Ulenspiegel durch den Stall in Klasens Küche trat, den Stein von der Rückwand abhob, den Topf und die Karolus fand, auf Kathelines Anwesen zurückkehrte und die Karolus an der Seite der Brunnenmauer vergrub, wohl wissend, daß man sie darinnen und nicht außerhalb suchen würde.
Dann gingen beide wieder zu Soetkin und fanden die schmerzensreiche Frau in Tränen. Sie sprach:
„Mein Mann, mein armer Mann!“
Nele und Ulenspiegel wachten bei ihr bis zum Morgen.
Am folgenden Tag rief die Sturmglocke die Richter mit lauten Schlägen zum Gericht der Vierschare.
Da sie sich auf den vier Bänken um den Baum der Gerechtigkeit niedergesetzt, verhörten sie Klas abermals und fragten ihn, ob er seine Irrtümer aufgeben wollte.
Klas hob die Hand gen Himmel:
„Christus, mein Herr, blickt auf mich herab“, sagte er. „Ich schaute in seine Sonne, als mein Sohn Ulenspiegel geboren ward. Wo ist er zur Stunde, der Landstreicher? Soetkin, mein sanftes Weib, wirst Du im Unglück tapfer sein?“
Dann sah er die Linde an und verfluchte sie.
„Sturm und Dürre! Macht, daß die Bäume auf unserer Väter Erde lieber alle bis auf den Stamm zugrunde gehen, denn daß unter ihrem Schatten das freie Gewissen zum Tode verdammt wird. Wo bist Du, mein Sohn Ulenspiegel? Ich war hart gegen Dich. Ihr Herren, habt Mitleid mit mir und richtet mich, wie unser barmherziger Heiland es täte.“
Alle, die ihn hörten, weinten, nur die Richter nicht.
Dann fragte er, ob es keine Begnadigung für ihn gäbe, und sprach:
„Ich habe immer gearbeitet und wenig verdient, ich war gut zu den Armen und freundlich gegen jedermann. Die römische Kirche habe ich verlassen, um dem Geist Gottes zu gehorchen, der zu mir sprach. Ich flehe um keine Gnade, denn daß die Feuerstrafe in ewige, lebenslängliche Landesverweisung verwandelt werde, welche Strafe wahrlich schon groß ist.“
Alle, die gegenwärtig waren, schrien:
„Gnade, Ihr Herren! Erbarmen!“
Aber Jobst Griepenstüver rief nicht.
Der Amtmann winkte den Umstehenden zu schweigen und sagte, daß die Edikte das ausdrückliche Verbot enthielten, für die Ketzer um Gnade zu bitten. So aber Klas seinen Irrtum abschwören wolle, solle er durch den Strang anstatt durchs Feuer hingerichtet werden.
Und das Volk sprach:
„Ob Feuer oder Strang, es ist der Tod.“
Und die Frauen weinten, und die Männer murrten dumpf.
Darauf sprach Klas:
„Ich werde mitnichten abschwören. Tut mit meinem Leib, was Eurer Barmherzigkeit gefallen wird.“
Der Dechant von Renaix, Titelman, schrie:
„Es ist unerträglich zu sehen, wie solches Ketzergeschmeiß das Haupt vor seinen Richtern erhebt. Ihre Körper zu verbrennen ist eine Strafe von kurzer Dauer; man muß ihre Seelen retten und sie durch die Folter zwingen, ihre Irrtümer abzuschwören, auf daß sie dem Volk nicht das gefährliche Schauspiel von Ketzern geben, die eines unbußfertigen Todes sterben.“
Bei solcher Rede weinten die Frauen noch mehr, und die Männer sagten:
„Nach einem Geständnis folgt Strafe, nicht Folter!“
Der Gerichtshof entschied, dieweil die Folter in den Verordnungen nicht vorgeschrieben, so sei es nicht statthaft, sie Klas erleiden zu lassen. Abermals aufgefordert zu widerrufen, antwortete er:
„Ich kann es nicht.“
Kraft der Edikte ward er der Simonie für schuldig erklärt, wegen Verkaufes von Ablaß, desgleichen als Ketzer und Helfershelfer von Ketzern befunden und als solcher verurteilt, vor dem Gitter des Rathauses lebendig verbrannt zu werden, bis der Tod einträte.
Sein Körper sollte während zweier Tage am Pfahl befestigt bleiben, um zum Exempel zu dienen, und alsdann an der Stätte begraben werden, wo die Körper der Hingerichteten verscharrt werden.
Der Gerichtshof bewilligte dem Ankläger Jobst Griepenstüver, des Name nicht genannt ward, fünfzig Gülden auf die ersten hundert Karolusgülden der Erbschaft und den zehnten Teil von dem übrigen.
Da Klas diesen Richterspruch vernommen, sprach er zum Ältesten der Fischhändler:
„Du wirst eines elenden Todes sterben, Du schlechter Mensch, der für einen armseligen Groschen aus einem glücklichen Eheweib eine Wittib und aus einem fröhlichen Sohn eine bekümmerte Waise machst.“
Die Richter hatten Klas sprechen lassen, denn auch sie, ausgenommen Titelman, fühlten große Verachtung für die Angeberei des Obmanns der Fischergilde.
Dieser schien bleich vor Schmach und Zorn.
Und Klas ward in sein Gefängnis zurückgeführt.
Am folgenden Tage, welcher der Vorabend von Klasens Hinrichtung war, wußten Nele, Ulenspiegel und Soetkin das Urteil.
Sie baten die Richter um Einlaß ins Gefängnis, welches ihnen gewährt ward, aber nicht Nele.
Da sie hineingingen, sahen sie Klas mit einer langen Kette an die Mauer gefesselt. Ein kleines Holzfeuer brannte im Kamin wegen der Feuchtigkeit. Denn nach Recht und Gesetz ist es in Flandern befohlen, gegen die, so sterben sollen, milde zu sein und ihnen Brot, Fleisch oder Käse und Wein zu geben. Aber die habgierigen Kerkermeister handeln oftmals dem Gesetz zuwider, und ihrer sind viele, die den größten Teil und die besten Stücke der Nahrung der armen Gefangenen essen.
Weinend umarmte Klas Ulenspiegel und Soetkin, aber er war der erste, der trockne Augen hatte, wie es ihm als Mann und Familienhaupt geziemte.
Soetkin weinte und Ulenspiegel sprach:
„Ich will diese abscheulichen Ketten zerbrechen.“
Soetkin sagte unter Tränen:
„Ich werde zum König Philipp gehen, er wird Dich begnadigen.“
Klas antwortete:
„Der König erbt die Vermögen der Märtyrer.“ Dann fügte er bei:
„Weib und geliebter Sohn, ich gehe traurig und voller Harm aus dieser Welt. Wenn ich etwelche Furcht vor dem Leiden für meinen Körper habe, so bin ich gleicherweise recht betrübt zu denken, daß, wenn ich nicht mehr bin, Ihr alle beide arm und elend sein werdet, denn der König wird Euch Eure Habe nehmen.“
Mit leiser Stimme antwortete Ulenspiegel:
„Nele hat gestern alles mit mir in Sicherheit gebracht.“
„Des bin ich froh,“ antwortete Klas, „der Angeber wird nicht über meinen Nachlaß lachen.“
„Möge er vielmehr sterben,“ sprach Soetkin, das Auge voll Haß, ohne zu weinen.
Aber Klas sprach, der Karolus gedenkend: „Du warst schlau, Tyll, mein Söhnchen. Dann wird meine Wittib Soetkin in ihren alten Tagen nicht Hunger leiden.“
Und Klas küßte sie und drückte sie fest an seine Brust und sie weinte noch mehr, denn sie gedachte, daß sie bald seinen liebenden Schutz verlieren würde.
Klas sah Ulenspiegel an und sprach:
„Sohn, Du hast oft gesündigt, wenn Du Dich auf den Landstraßen herumtriebst, wie die bösen Buben tun. Du mußt es nicht mehr tun, mein Kind, noch die betrübte Witwe allein im Haus lassen; Du, der Mann, schuldest ihr Schutz und Schirm.“
„Vater, ich werde es tun“, sagte Ulenspiegel.
„Wehe, mein armer Mann“, sprach Soetkin und umarmte ihn. „Welch großes Verbrechen haben wir begangen? Wir lebten friedlich zu zweit ein ehrlich und bescheiden Leben und liebten uns innig, Herr Gott, Du weißt es. Wir standen frühe auf, um zu arbeiten, und am Abend, wenn wir das Dankgebet sprachen, aßen wir das Brot, so wir tags verdient hatten. Ich will zum König gehen und ihn mit meinen Nägeln zerfleischen. Herr Gott, wir waren nicht schuldig.“
Aber der Kerkermeister trat herein und sagte, daß sie gehen müßten. Soetkin verlangte zu bleiben. Klas fühlte, wie ihr armes Gesicht an dem seinen glühte, wie Soetkins Zähren in Strömen flossen und seine Wangen netzten, und wie ihr ganzer armer Körper in seinen Armen bebte und zitterte. Er bat, daß sie bei ihm bleiben möge.
Der Kerkermeister sagte nochmals, daß sie fort müßten, und zog Soetkin aus Klasens Armen.
Klas sprach zu Ulenspiegel:
„Wache über sie.“
Der antwortete, er würde es tun. Und Ulenspiegel und Soetkin gingen selbander fort und der Sohn stützte die Mutter.
Am folgenden Morgen, dem Tage der Hinrichtung, kamen die Nachbarn und schlossen Ulenspiegel, Soetkin und Nele zusammen in Kathelines Hause ein. Aber sie hatten nicht bedacht, daß sie von fern das Geschrei des armen Sünders hören und durch die Fenster die Flamme des Holzstoßes sehen könnten.
Katheline irrte durch die Stadt, schüttelte den Kopf und sprach: „Macht ein Loch, die Seele will hinaus.“
Um die neunte Stunde ward Klas im Hemde, die Hände auf den Rücken gebunden, aus dem Gefängnis geführt. Dem Urteil gemäß war der Scheiterhaufen in der Straße der Frauenkirche aufgeschichtet, rings um einen Pfahl, der vor den Fenstergittern des Rathauses eingerammt war. Der Henker und seine Büttel waren noch nicht mit dem Aufschichten des Holzes fertig.
Klas wartete inmitten dieser Bluthunde geduldig, bis ihre Arbeit getan war, dieweil der Profos zu Pferde und die Schergen des Amtskreises und die neun Landsknechte, so von Brüssel herbeigerufen waren, nur mit großer Mühe das murrende Volk im Zaum halten konnten.
Alle sagten, daß es Grausamkeit wäre, also in seinen alten Tagen ungerechterweise einen armen, braven Mann zu morden, der so freundlich und barmherzig und so wacker bei der Arbeit gewesen.
Plötzlich knieten sie nieder und beteten; die Sterbeglocken der Frauenkirche läuteten.
Katheline stund auch in der Volksmenge in der ersten Reihe und war ganz irre. Sie blickte Klas und den Scheiterhaufen an und sagte kopfschüttelnd:
„Das Feuer, das Feuer! macht ein Loch, die Seele will hinaus!“
Da Soetkin und Nele den Klang der Glocken hörten, bekreuzten sie sich alle beide. Aber Ulenspiegel tat nicht mit, denn er sagte, daß er Gott nicht nach Art der Henker anbeten wolle. Und er rannte in der Hütte hin und her und versuchte die Türen einzuschlagen und durch die Fenster zu springen; aber alle waren bewacht.
Plötzlich schrie Soetkin, das Gesicht in der Schürze bergend:
„Der Rauch!“
Und in Wahrheit sahen die drei Leidtragenden eine große, gar schwarze Rauchwolke am Himmel. Sie kam vom Scheiterhaufen, auf welchem Klas an den Pfahl gekettet stand, und der Henker hatte ihn jetzt an drei Stellen entzündet, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Klas schaute um sich, und da er Soetkin und Ulenspiegel nicht in der Menge gewahrte, ward ihm leichter zumute in dem Gedanken, daß sie ihn nicht leiden sähen.
Kein ander Geräusch war vernehmbar als Klasens Stimme, der betete, das prasselnde Holz, die murrenden Männer, die weinenden Frauen und Katheline, welche schrie: „Nehmt das Feuer fort, macht ein Loch, die Seele will hinaus.“ Und die Sterbeglocken der Frauenkirche läuteten.
Plötzlich ward Soetkin weiß wie Schnee, bebte am ganzen Leibe, ohne zu weinen, und wies mit dem Finger gen Himmel. Eine lange, schmale Flamme war aus dem Scheiterhaufen geschossen und erhob sich zuweilen über die Dächer der niedern Häuser. Sie war für Klas grausam schmerzhaft, denn je nach der Laune des Windes zernagte sie seine Beine, streifte seinen Bart und sengte ihn, beleckte seine Haare und verbrannte sie.
Ulenspiegel hielt Soetkin in seinen Armen und wollte sie vom Fenster fortreißen. Sie hörten einen gellenden Schrei, welchen Klas ausstieß, dieweil sein Körper nur an einer Seite brannte. Aber er schwieg und weinte, und seine Brust war ganz benetzt von seinen Zähren.
Dann hörten Soetkin und Ulenspiegel ein großes Getöse von Stimmen. Es waren Bürger, Frauen und Kinder, die schrien:
„Klas ist nicht verurteilt, langsam zu brennen, sondern bei starkem Feuer. Henker, schüre den Holzstoß.“
Der Henker tat also, aber das Feuer flammte nicht schnell genug auf.
„Erdroßle ihn“, schrien sie.
Und sie warfen mit Steinen nach dem Profos.
„Die Flamme! die große Flamme!“ schrie Soetkin.
Und wahrlich, eine rote Flamme stieg inmitten des Rauches zum Himmel.
„Er stirbt“, sagte die Wittib. „Herr Gott, erbarm Dich der Seele des Unschuldigen. Wo ist der König, daß ich ihm mit meinen Nägeln das Herz ausreiße?“
Die Sterbeglocken der Frauenkirche läuteten.
Soetkin hörte Klas noch einen lauten Schrei tun, aber sie sah nicht, wie sein Körper sich krümmte und ächzte, um der Qualen des Feuers willen, noch wie sein Gesicht sich verzerrte, noch sah sie seinen Kopf, den er nach allen Seiten drehte und gegen das Holz des Pfahls schmetterte. Das Volk fuhr fort zu rufen und zu zischen, die Frauen und die Knaben warfen Steine, als plötzlich der Scheiterhaufen ganz und gar aufloderte und alle vernahmen, wie Klas mitten in Flammen und Rauch sprach:
„Soetkin! Tyll!“
Und das Haupt sank ihm auf die Brust wie eine Bleikugel.
Ein durchdringender Weheruf drang aus Kathelines Hütte. Dann hörte man nichts mehr, nur die arme Wahnsinnige schüttelte den Kopf und sagte: „Die Seele will hinaus.“
Klas war verschieden. Der ausgebrannte Scheiterhaufen sank am Fuße des Pfahles in sich zusammen, und der arme, ganz schwarze Körper blieb am Halse aufgehängt daran stehen.
Und die Totenglocken der Frauenkirche läuteten.
Soetkin stand bei Katheline gegen die Mauer gelehnt mit gesenktem Haupt und gefalteten Händen. Sie hielt Ulenspiegel umfangen, ohne zu reden, noch zu weinen.
Ulenspiegel war auch stumm; er fühlte mit Schrecken die Fieberglut, so den Körper seiner Mutter verbrannte.
Die Nachbarn, die vom Richtplatz zurückkamen, sagten, daß Klas ausgelitten habe.
„Er ist in die Herrlichkeit eingegangen“, sprach die Wittib.
„Bete“, sagte Nele zu Ulenspiegel; und sie gab ihm seinen Rosenkranz, aber er wollte ihn nicht gebrauchen, weil die Kugeln vom Papst geweiht wären.
Da die Nacht herabsank, sagte Ulenspiegel zur Wittib:
„Mutter, Du mußt Dich schlafen legen; ich werde bei Dir wachen.“
Aber Soetkin antwortete: „Es tut nicht not, daß Du bei mir wachst: der Schlaf ist gut für die Jugend.“
Nele bereitete jedem ein Lager in der Küche und ging fort.
Sie blieben beieinander, dieweil die Reste eines Feuers von Baumwurzeln im Kamin verbrannten.
Soetkin legte sich nieder und Ulenspiegel tat wie sie und hörte sie unter ihren Decken weinen.
Draußen in der nächtlichen Stille ließ der Wind die Bäume des Kanals rauschen wie das Meer und als Vorbote des Herbstes schleuderte er den Staub in Wirbeln gegen die Fenster.
Ulenspiegel sah etwas wie einen Mann, der kam und ging; er hörte ein Geräusch von Schritten in der Küche; da er hinhorchte, hörte er nichts mehr als den Wind, der im Kamin heulte, und Soetkin, die unter ihren Decken weinte.
Dann hörte er wiederum gehen und hinter sich am Kopfende seufzen. „Wer ist da?“ fragte er.
Niemand gab Antwort; aber es ward zu drei Malen auf den Tisch geklopft. Ulenspiegel ward von Furcht ergriffen und zitternd fragte er abermals: „Wer ist da?“ Er bekam keine Antwort, aber drei Schläge fielen auf den Tisch, und er fühlte, wie zwei Arme ihn umschlangen und über sein Gesicht ein Körper sich neigte, dessen Haut war gerunzelt, auch hatte er ein großes Loch in der Brust und einen Brandgeruch um sich.
„Vater,“ sprach Ulenspiegel, „ist es Dein armer Leichnam, der also auf mir lastet?“
Er erhielt keine Antwort, und ohngeachtet der Schatten nahe bei ihm stand, hörte er draußen „Tyll, Tyll!“ rufen. Plötzlich erhob Soetkin sich und trat an Ulenspiegels Lager: „Hörst Du nichts?“ fragte sie.
„Wohl,“ sprach er, „der Vater ruft mich.“
„Ich,“ sprach Soetkin, „ich habe einen kalten Leichnam an meiner Seite in meinem Bette gefühlt, und die Pfühle haben sich gerührt und die Vorhänge sich bewegt, und ich habe eine Stimme sagen hören: „Soetkin“. Eine Stimme, leise wie ein Hauch, und einen Schritt, leicht wie das Summen einer Mücke!“ Und sie sprach also zu dem Geist ihres Klas:
„Mein Mann, so Du im Himmel, allwo Gott Dich in seine Herrlichkeit aufgenommen hat, irgend etwas begehrst, mußt Du es uns sagen, auf daß wir Deinen Willen vollstrecken.“
Plötzlich stieß ein Windstoß die Tür mit Ungestüm auf und erfüllte den Raum mit Staub, und Ulenspiegel und Soetkin hörten fernes Gekrächz von Raben.
Sie gingen selbander hinaus und kamen zum Scheiterhaufen.
Die Nacht war schwarz, ausgenommen, wenn die Wolken, so von dem scharfen Nordwind gejagt gleich Hirschen über den Himmel liefen, dem Antlitz des Gestirns seinen Glanz ließen.
Ein Gemeinbüttel schritt auf und ab und hielt Wache am Scheiterhaufen. Ulenspiegel und Soetkin hörten den Schall seiner Schritte auf dem hartgestampften Boden und die Stimme eines Raben, der ohne Zweifel andere herbeirief, denn aus der Ferne antwortete ihm Gekrächz.
Da Ulenspiegel und Soetkin an den Scheiterhaufen traten, ließ der Rabe sich auf Klasens Schultern nieder und sie hörten ihn an dem Körper picken, und alsobald kamen andere Raben herbei.
Ulenspiegel wollte sich auf den Scheiterhaufen stürzen und die Raben niederschlagen; der Büttel aber sagte zu ihm:
„Du Zauberer, suchst Du Teufelsklauen? Wisse, daß die Hände von Verbrannten nicht unsichtbar machen, sondern allein die Hände eines Gehenkten, wie Du dereinst einer sein wirst.“
„Herr Weibel,“ erwiderte Ulenspiegel, „ich bin kein Zauberer, sondern der verwaiste Sohn dessen, der dort hängt, und dies Weib ist seine Wittib. Wir wollen ihn nur noch einmal küssen und ein Weniges von seiner Asche zum Gedächtnis an ihn nehmen. Erlaubt es uns, Herr, der Ihr kein fremder Söldling, sondern vielmehr ein Sohn dieses Landes seid.“
„Es geschehe, wie Du willst“, antwortete der Büttel.
Waise und Witwe schritten über das verbrannte Holz und kamen an den Leichnam. Beide küßten Klasens Antlitz mit Tränen.
Ulenspiegel nahm da, wo das Herz saß und wo die Flamme ein großes Loch ausgehöhlt hatte, ein wenig von der Asche des Toten. Dann knieten Soetkin und er nieder und beteten. Da die Morgenröte fahl am Himmel erschien, waren sie beide noch da; aber der Büttel trieb sie fort, aus Furcht, seiner Gutwilligkeit halber gestraft zu werden.
Daheim nahm Soetkin ein Stück roter Seide und ein Stück schwarzer Seide; sie machte ein Säcklein daraus; in das tat sie die Asche; und an das Säcklein nähte sie zwei Bänder, auf daß Ulenspiegel es allezeit um den Hals tragen könnte. Sie hing ihm das Säcklein um und sprach zu ihm:
„Möge diese Asche, so das Herz meines Mannes, dieses Rot, das sein Blut, dieses Schwarz, das unsere Trauer ist, immerwährend auf Deiner Brust sein wie das Feuer der Rache wider die Henker.“ „So sei es“, sprach Ulenspiegel.
Und die Wittib umarmte die Waise und die Sonne ging auf.
Des anderen Tages drangen die Büttel und Ausrufer der Gemeinde in Klas Behausung, setzten allen Hausrat daraus auf die Gasse und schritten zur öffentlichen Vergantung.
Von Kathelines Haus aus sah Soetkin die Wiege aus Eisen und Kupfer hinaustragen, die vom Vater auf den Sohn im Hause der Klas vererbt worden, darinnen der arme Tote und auch Ulenspiegel geboren war. Dann trugen sie das Bett hinaus, in dem Soetkin ihr Kind empfangen, und in dem sie so trauliche Nächte, an ihren Mann geschmiegt, verbracht hatte. Dann kam der Kasten, in dem sie das Brot verwahrte, die Lade, in der zur Zeit des Wohllebens die Fleischstücke waren, Pfannen, Kessel und Töpfe, nicht mehr glänzend wie in der guten Zeit des Glücks, sondern vom Staub der Verwahrlosung bedeckt. Und sie gedachte bei ihnen der häuslichen Feste, wo die Nachbarn, vom Duft angelockt, herbeigekommen waren.
Dann kam auch eine Tonne und ein Tönnlein, mit einfachem und Doppelbier, und ein Korb mit Weinflaschen, deren zumindest dreißig waren; und alles ward auf die Straße gesetzt bis auf den letzten Nagel, den die arme Witfrau mit großem Lärm herausreißen hörte.
Ohne zu schmähen noch sich zu beklagen, saß sie da und sah blutenden Herzens ihren bescheidenen Wohlstand davon tragen. Nachdem der öffentliche Verkäufer ein Talglicht angezündet hatte, ward der Hausrat vergantet. Da das Licht beinahe ausgebrannt war, hatte der Älteste der Fischergilde alles um ein Spottgeld erstanden, um es wieder zu verkaufen, und er schien sich zu ergötzen wie ein Wiesel, das einem Huhne das Hirn aussaugt.
Ulenspiegel sprach in seinem Herzen: „Du wirst nicht lange lachen, Mörder.“
Indessen ging der Verkauf zu Ende und die Büttel, so alles durchwühlten, fanden die Karolus nicht. Der Fischhändler rief aus: „Ihr suchet schlecht; ich weiß, daß Klas vor sechs Monaten siebenhundert hatte.“
Ulenspiegel sprach in seinem Herzen: „Du wirst nicht erben, Mörder.“
Plötzlich wandte sich Soetkin um und sprach, auf den Fischhändler weisend: „Der Angeber!“
„Ich weiß es“, sagte er.
„Soll er vom Blut Deines Vaters erben?“
„Lieber wollt ich einen ganzen Tag auf der Folterbank leiden“, antwortete Ulenspiegel.
„Auch ich, aber bekenne nichts um meinetwillen, welche Qual Du mich auch erdulden siehst.“
„Ach, Du bist ein Weib“, sagte Ulenspiegel.
„Armer Schelm,“ sprach sie, „ich habe Dich zur Welt gebracht und weiß zu leiden. Aber Du, wenn ich Dich sähe.“ Da erbleichte sie. „Ich werde zur heiligen Jungfrau beten, die ihren Sohn am Kreuze sah.“
Und sie weinte, dieweil sie Ulenspiegel liebkoste. Und also machten sie miteinander einen Pakt des Hasses und der Kraft.
Der Fischhändler brauchte nur die Hälfte des Kaufpreises zu entrichten, da die andere Hälfte dazu dienen sollte, seine Angeberei zu belohnen, bis daß die siebenhundert Karolus gefunden wären, die ihn zur Schurkerei getrieben hatten.
Soetkin verbrachte die Nächte mit Weinen und die Tage mit Hausarbeit. Oft hörte Ulenspiegel sie ganz allein sprechen und sagen: „Wenn er erbt, töte ich mich.“
Wissend, daß sie ausführen würde, was sie sagte, taten Nele und er ihr Bestes, Soetkin zu bereden, nach Walcheren zu ziehen, allwo sie Verwandte hatte. Soetkin wollte nicht und sagte, es täte ihr nicht not, den Würmern aus dem Wege zu gehen, die in Bälde ihre Witwenknochen verzehren würden.
Derweilen war der Fischhändler wiederum zum Amtmann gegangen und hatte ihm gesagt, daß der Verstorbene erst vor etlichen Monaten an siebenhundert Karolus geerbt habe; daß er ein haushälterischer Mann gewesen, der mit wenigem auskam und also nicht diese große Summe ausgegeben habe, welche ohne Zweifel in einem Winkel verborgen sei.
Der Amtmann fragte, was Ulenspiegel und Soetkin ihm Böses angetan hätten, da er noch darauf sinne, sie grausam zu verfolgen, nachdem er ihnen Vater und Mann genommen?
Der Fischhändler erwiderte, daß er als angesehener Bürger von Damm den Gesetzen des Reichs Achtung verschaffen und also die Gnade Seiner Majestät verdienen wolle.
Nachdem er solches gesagt, gab er dem Amtmann eine Anklageschrift zu Händen und führte Zeugen auf, die der Wahrheit gemäß wider Willen bezeugten, daß der Fischhändler nicht löge.
Nachdem die Wohllöbliche Schöffenkammer die Zeugnisse vernommen, erklärte sie die Indizien der Schuld ausreichend zur Folter. Somit schickten sie zum andern Mal Büttel, um das Haus zu durchwühlen; diese hatten Vollmacht, Mutter und Sohn in das Stadtgefängnis zu bringen, allwo sie gehalten werden sollten, bis der Henker von Brügge, welcher ohne Verzug bestellt ward, anlangte.
Da Soetkin und Ulenspiegel durch die Straße gingen, die Hände auf den Rücken gebunden, stund der Fischhändler auf der Schwelle seines Hauses und sah sie an.
Und die Bürger und Bürgersfrauen von Damm standen auch auf der Schwelle ihrer Häuser. Matthyssen, der nächste Nachbar des Fischhändlers, hörte Ulenspiegel zum Ankläger sagen:
„Gott wird Dir fluchen, Du Henker der Witwen!“
Und Soetkin sprach zu ihm:
„Du wirst eines jämmerlichen Todes sterben, Du Verfolger der Waisen.“
Da die Leute von Damm solchermaßen erfahren hatten, daß die Witwe und die Waise also auf eine zweite Anzeige Griepenstüvers ins Gefängnis gebracht wurden, schmähten sie den Fischhändler und warfen ihm abends Steine in die Fenster und seine Tür ward mit Unrat bedeckt.
Und er wagte nicht mehr aus dem Hause zu gehen.
Gegen die zehnte Stunde des Vormittags wurden Ulenspiegel und Soetkin in die Folterkammer geführt.
Allda befanden sich der Amtmann, der Gerichtsschreiber und die Schöffen, der Henker von Brügge, sein Knecht und ein Wundarzt.
Der Amtmann fragte Soetkin, ob sie kein dem Kaiser gehöriges Gut vorenthalte. Sie antwortete: daß sie nichts vorenthalten könne, da sie nichts habe.
„Und Du?“ fragte der Amtmann Ulenspiegel.
„Vor sieben Monaten“, versetzte er, „erbten wir siebenhundert Karolus, etliche davon haben wir verzehrt. Was die andern angeht, so weiß ich nicht, wo sie sind; ich vermeine jedoch, daß der Wanderer, der zu unserm Unglück bei uns wohnte, den Rest mitgenommen hat; denn ich habe seither nichts mehr gesehen.“
Der Amtmann fragte wiederum, ob alle beide darin beharrten, sich für unschuldig zu erklären.
Sie antworteten, daß sie kein dem Kaiser gehöriges Gut vorenthielten.
Darauf sagte der Amtmann ernst und traurig:
„Da die Aussagen Euch schwer belasten und die Anklage begründet ist, müßt Ihr, so Ihr nicht bekennt, die hochnotpeinliche Frage erleiden.“
„Schonet der Witwe,“ sprach Ulenspiegel, „der Fischhändler hat alles gekauft.“
„Armer Schelm,“ sagte Soetkin, „die Männer vermögen den Schmerz nicht so zu ertragen, wie die Frauen.“
Da sie sahe, daß Ulenspiegel um ihretwillen bleich wie ein Toter ward, sagte sie noch:
„Ich habe Haß und Kraft.“
„Schonet der Witwe“, sprach Ulenspiegel.
„Nehmt mich statt seiner“, sprach Soetkin.
Der Amtmann fragte den Henker, ob er die Werkzeuge bereit halte, die zur Erkenntnis der Wahrheit erforderlich seien.
Der Henker antwortete:
„Sie sind alle hier.“
Nachdem die Richter Rat gehalten hatten, bestimmten sie, daß mit der Frau begonnen werden müsse, um die Wahrheit zu erfahren.
„Denn“, sagte einer der Schöffen, „es ist kein Sohn, der grausam genug wäre, seine Mutter leiden zu sehen, ohne das Verbrechen zu bekennen und sie solchergestalt zu erlösen. Desgleichen wird jede Mutter für die Frucht ihres Leibes tun, hätte sie gleich das Herz einer Tigerin.“
Zum Henker sprechend, sagte der Amtmann:
„Setze die Frau auf den Stuhl und lege ihr die Schraubstöcke an Hände und Füße.“
Der Henker gehorchte.
„O, tut nicht also, Ihr Herren Richter!“ schrie Ulenspiegel. „Bindet mich an ihrer Statt, zerbrecht mir die Finger und die Zehen, aber schont der Witwe!“
„Der Fischhändler“, sagte Soetkin. „In mir ist Haß und Kraft.“
Ulenspiegel ward noch bleicher. Er zitterte verstört und schwieg.
Die Schraubstöcke waren Stäblein von Buchsbaumholz, welche mit Schnüren verbunden waren und zwischen die Finger gesteckt die Knochen berührten. Durch eine Vorrichtung von so scharfsinniger Erfindung konnte der Henker nach Belieben des Richters die Finger zusammenpressen, die Knochen von ihrem Fleisch entblößen, sie zermalmen, oder dem Delinquenten nur einen geringen Schmerz verursachen.
Er legte die Schraubstöcke an Soetkins Hände und Füße.
„Schnürt“, befahl ihm der Amtmann.
Er tat es grausam.
Drauf sprach der Amtmann zu Soetkin:
„Bezeichne mir den Ort, wo die Karolus verborgen sind.“
„Ich kenne ihn nicht“, antwortete sie ächzend.
„Schnürt stärker“, sagte er.
Ulenspiegel versuchte seine Arme, die auf dem Rücken gebunden waren, vom Strick loszureißen, um Soetkin zu Hilfe zu kommen.
„Schnürt nicht, Ihr Herren Richter,“ sagte er, „es sind zarte, zerbrechliche Frauenknochen. Ein Vogel vermöchte sie mit seinem Schnabel zu zerbrechen. Schnürt nicht, Herr Scharfrichter, ich rede nicht zu Euch, dieweil Ihr den Befehlen der Herren gehorsam sein müßt. Schnürt nicht, habt Erbarmen!“
„Der Fischhändler“, sprach Soetkin.
Und Ulenspiegel schwieg.
Da er aber sahe, daß der Henker die Schraubstöcke noch stärker anzog, schrie er von neuem:
„Erbarmen, Ihr Herren, Ihr zerbrecht der Witwe die Finger, deren sie zur Arbeit bedarf. Wehe, ihre Füße! Wird sie nicht mehr gehen können? Erbarmen, Ihr Herren!“
„Du wirst eines elendigen Todes sterben, Fischhändler“, schrie Soetkin.
Und ihre Knochen krachten und das Blut troff von ihren Füßen.
Ulenspiegel nahm alles wahr und vor Schmerz und Zorn zitternd, sagte er:
„Zerbrecht sie nicht, die Knochen eines Weibes, Ihr Herren Richter!“
„Der Fischhändler“, ächzte Soetkin.
Und ihre Stimme war leise und erstickt wie die eines Geistes.
Ulenspiegel zitterte und rief:
„Ihr Herren Richter, die Hände bluten und die Füße auch. Man hat der Witwe die Knochen gebrochen.“
Der Wundarzt berührte sie mit dem Finger, und Soetkin stieß einen lauten Schrei aus.
„Bekenne für sie“, sprach der Amtmann zu Ulenspiegel.
Aber Soetkin blickte ihn mit weit offnen Augen an, die denen einer Dahingeschiedenen glichen. Und er merkte, daß er nicht sprechen dürfe, und weinte, ohne ein Wort zu sagen.
Aber der Amtmann sagte darauf:
„Da dieses Weib mit der Festigkeit eines Mannes begabt ist, so muß ihr Mut vor der Tortur ihres Sohnes auf die Probe gestellt werden.“
Soetkin hörte nicht, denn sie war ohnmächtig ob des großen Schmerzes, den sie erlitten.
Mit viel Essig ward sie wieder zu sich gebracht. Dann ward Ulenspiegel entkleidet und nackend vor die Augen der Witwe gestellt. Der Henker schor ihm das Haupthaar und alles Haar ab, um zu sehen, ob er nicht ein Teufelsmal habe. Dabei ward er des schwarzen Pünktleins auf dem Rücken gewahr, so Ulenspiegel seit der Geburt an sich trug. Er stach zu unterschiedlichen Malen eine lange Nadel hinein; aber da Blut herauskam, erkannte er, daß in diesem Pünktlein keinerlei Zauberei sei. Auf Befehl des Amtmanns wurden Ulenspiegels Hände an zwei Stricke gebunden, so über eine an der Decke befestigte Rolle liefen, also daß der Henker ihn nach Belieben der Richter hochziehen und herunterlassen konnte, indem er ihn heftig schüttelte. Solches tat er an die neun Male, nachdem er ihm an jedes Bein ein Gewicht von fünfundzwanzig Pfund gehängt hatte.
Beim neunten Stoß zerriß die Haut der Handgelenke und Fußknöchel, und die Knochen der Beine traten aus ihren Gelenken.
„Bekenne“, sagte der Amtmann.
„Nein“, antwortete Ulenspiegel.
Soetkin blickte ihren Sohn an und fand nicht Kraft zu schreien noch zu sprechen; sie streckte nur die Arme aus und bewegte ihre blutenden Hände und bezeigte durch diese Gebärde, daß man dieser Marter ein Ende machen solle.
Der Henker zog Ulenspiegel abermals hinauf und hinunter. Und die Haut der Fußknöchel und Handgelenke zerriß stärker und die Knochen der Beine traten noch weiter aus ihren Gelenken; aber er schrie nicht.
Soetkin weinte und schüttelte ihre blutenden Hände.
„Bekenne die Unterschlagung,“ sprach der Amtmann, „und Dir soll verziehen sein.“
„Der Fischhändler braucht Verzeihung“, antwortete Ulenspiegel.
„Du willst der Richter spotten?“ sagte einer der Schöffen.
„Ich spotten? Ach,“ antwortete Ulenspiegel, „ich stelle mich nur so, glaubet mir.“
Soetkin sah nun, daß der Henker auf Befehl des Amtmanns ein Becken mit glühenden Kohlen anfachte und daß ein Knecht zwei Unschlittkerzen entzündete.
Sie wollte sich auf ihren zerquetschten Füßen erheben, doch sie fiel in den Sitz zurück und rief aus:
„Schafft das Feuer fort! Ach, ihr Herren Richter, schont seiner armen Jugend. Schafft das Feuer fort.“
„Der Fischhändler!“ rief Ulenspiegel, da er sie schwach werden sah.
„Ziehet Ulenspiegel einen Schuh hoch vom Boden“, sagte der Amtmann; „stellet ihm das Kohlenbecken unter die Füße und haltet eine Kerze unter jede Achsel.“
Der Henker gehorsamte. Was an Haar unter den Achseln übrig war, knisterte und rauchte in der Flamme.
Ulenspiegel schrie und Soetkin sagte weinend:
„Schafft das Feuer hinweg!“
Der Amtmann sprach:
„Bekenne die Hehlerei und du sollst erlöst sein. Gestehe für ihn, Weib.“
Und Ulenspiegel sagte:
„Wer will den Fischhändler in das ewig brennende Feuer werfen?“
Soetkin schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß sie nichts zu sagen hätte. Ulenspiegel knirschte mit den Zähnen und Soetkin schaute auf ihn mit verstörten Augen, in Tränen aufgelöst.
Indessen, nachdem der Henker die Kerzen ausgelöscht und das Becken mit glühenden Kohlen unter Ulenspiegels Füße gestellt hatte, schrie sie:
„Ihr Herren Richter, habt Erbarmen mit ihm, er weiß nicht, was er sagt.“
„Warum weiß er nicht, was er sagt?“ fragte der Amtmann voll Arglist.
„Fraget sie nicht, Ihr Herren Richter; Ihr seht wohl, daß sie vor Schmerz von Sinnen ist. Der Fischhändler hat gelogen“, sprach Ulenspiegel.
„Wirst Du so wie er aussagen, Weib?“ fragte der Amtmann.
Soetkin nickte mit dem Kopf.
„Verbrennt den Fischhändler!“ schrie Ulenspiegel.
Soetkin schwieg, aber sie hielt die geballte Faust hoch, als wollte sie ihn verfluchen.
Da sie jedoch die Kohlen in hellerer Glut unter den Füßen ihres Sohnes aufflammen sah, schrie sie:
„Herr Gott! heilige Jungfrau, die Ihr im Himmel seid, macht dieser Marter ein Ende. Habt Erbarmen! Nehmt das Kohlenbecken fort!“
„Der Fischhändler!“ ächzte Ulenspiegel.
Und er brach das Blut in Strömen durch Nase und Mund aus, neigte den Kopf und blieb über den Kohlen hängen.
Da schrie Soetkin:
„Mein armes Kind ist tot! Sie haben ihn gemordet! Wehe, auch ihn! Nehmt die Kohlen fort, Ihr Herren Richter. Lasset mich ihn in die Arme nehmen, um bei ihm zu sterben. Ihr wisset, daß ich auf meinen gebrochenen Füßen nicht entfliehen kann.“
„Gebet der Wittib ihren Sohn“, sprach der Amtmann.
Dann ratschlagten die Richter untereinander.
Der Henker band Ulenspiegel los und legte ihn nackend und blutüberströmt auf Soetkins Knie, derweil der Wundarzt ihm die Knochen wieder einrenkte.
Indessen umarmte Soetkin Ulenspiegel und sagte weinend:
„Mein Sohn, Du armer Märtyrer! Wenn die Herren Richter es gestatten, werde ich Dich heilen; aber wach auf, Tyll, mein Sohn! Ihr Herren Richter, wenn Ihr ihn mir umgebracht habt, so werde ich zu Seiner Majestät gehen, denn Ihr habt gegen jedes Recht und Gerechtigkeit gehandelt und Ihr sollt sehen, was eine arme Frau wider die Bösen vermag. Aber Ihr Herren, lasset uns mitsammen frei. Wir haben nur einander in Welt, wir armen Leute, auf die Gottes Hand schwer herabfällt.“
Nachdem die Richter Rat gepflogen hatten, sprachen sie das Urteil wie folgt:
„In Ansehung dessen, daß Ihr, Soetkin, eheliche Witwe von Klas, und Ihr Tyll, Sohn von Klas, mit dem Beinamen Ulenspiegel, trotz grausamer Tortur und genugsamer Proben nichts bekannt habt auf die Anschuldigung, das Vermögen unterschlagen zu haben, so kraft Konfiskation und ohngeachtet aller dem zuwiderlaufenden Privilegien, Seiner Königlichen Majestät gehörte; Erklärt der Gerichtshof Euch für frei; Mangels ausreichender Beweise und bei Dir, Frau, des jammervollen Zustandes Eurer Glieder, und bei Dir, Mann, der peinlichen Folter wegen, so Ihr erlitten habt. Er erlaubt Euch, bei dem Manne oder der Frau aus der Stadt, denen es genehm sein wird, Euch unangesehen Eurer Armut zu beherbergen und niederzulassen.“
„So gegeben zu Damm, den dreiundzwanzigsten Tag des Weinmonats Anno Domini 1558.“
„Seid bedankt, Ihr Herren Richter“, sagte Soetkin.
„Der Fischhändler“, ächzte Ulenspiegel.
Und Mutter und Sohn wurden in einem Karren zu Katheline gebracht.
Im selbigen Jahre, dem achtundzwanzigsten des Jahrhunderts, trat Katheline zu Soetkin ins Gemach und sprach:
„Verwichene Nacht, da ich mich mit Balsam gesalbt hatte, ward ich auf den Turm der Frauenkirche versetzt. Ich sah die Geister der Elemente, die Gebete der Menschen den Engeln zutragen, welche sie hinwiederum nach dem hohen Himmel zum Throne emportrugen. Und der Himmel war ganz übersät mit strahlenden Sternen. Plötzlich erhob sich von einem Scheiterhaufen eine Gestalt, die mich schwarz dünkte, und schwebte hinauf und setzte sich neben mich auf den Turm. Ich erkannte Klas, so wie er im Leben war, mit seinem Kohlenträgerkittel angetan. „Was machst Du auf dem Turme der Frauenkirche?“ sagte er zu mir. „Aber wohin gehst Du, der Du wie ein Vogel in den Lüften fliegst?“ fragte ich dagegen. „Ich gehe zum Gericht“, sagte er. „Hörst Du nicht die Posaune des Gerichts?“ Ich stand ganz nahe bei ihm und fühlte, daß seine Geistergestalt nicht hart war wie der Körper der Lebendigen, sondern so zart, daß ich in ihn eindrang wie in heißen Dampf, da ich ihm nahe rückte. Zu meinen Füßen durch das ganze Land Flandern erglänzten etliche Lichter, und ich sagte zu mir selbst: Die da frühe aufstehen und spät schaffen, sind die Gesegneten des Herrn.
Und immerda hörte ich in der Nacht die Posaune des Engels ertönen. Und alsbald sah ich einen andern Schatten aufsteigen, so aus Spanien kam; selbiger war alt und abgelebt, hatte ein Kinn wie ein Holzschuh und Quittenmus an den Lippen.
Er trug einen karmesinroten Sammetmantel, mit Hermelin gefüttert, eine Kaiserkrone und in der einen Hand eine Anschovis, die er knabberte, in der andern einen vollen Bierhumpen.
Er kam und setzte sich auf den Turm der Frauenkirche, ohne Zweifel aus Müdigkeit. Niederknieend sprach ich zu ihm: „Gekrönte Majestät, ich verehre Euch, aber ich kenne Euch nicht. Von wannen kommt Ihr und was tut Ihr in der Welt?“ / „Ich komme aus Sankt-Just in Estremadura,“ sagte er, „und war der Kaiser Karl der Fünfte.“ „Aber,“ sprach ich, „wohin gehet Ihr jetzo in dieser kalten Nacht, durch die hagelschweren Wolken?“ / „Ich gehe zum Gericht“, sagte er. Da der Kaiser seine Anschovis aufessen und das Bier aus seinem Kruge austrinken wollte, ertönte die Posaune des Engels, und er erhob sich in die Luft und murrte, weil er also in seiner Mahlzeit gestört ward. Ich folgte Seiner Heiligen Majestät. Er ging durch den Weltraum, indem er vor Müdigkeit schluckste, vor Asthma keuchte und sich zu Zeiten erbrach, denn der Tod hatte ihn mit verdorbenem Magen ereilt. Wir stiegen unaufhörlich, wie Pfeile, aus einem Bogen von Kirschbaumholz geschnellt. Die Sterne flogen an uns vorüber und zogen feurige Streifen in den Himmel. Wir sahen, wie sie sich loslösten und fielen. Die Posaune des Engels ertönte. Welch schmetternder, mächtiger Schall! Bei jeder Fanfare, so die Dünste der Luft erschütterte, zerrissen sie, wie wenn ein Orkan ganz dicht auf sie dreingeblasen hätte. Und so war uns der Weg vorgezeichnet. Da wir nun tausend Meilen und mehr emporgestiegen waren, sahen wir Christum in seiner Herrlichkeit auf einem Sternenthron sitzen. Zu seiner Rechten stund der Engel, der die Taten der Menschen auf eine eherne Tafel schreibt, und zu seiner Linken Maria, seine Mutter, die ihn unablässig für die Sünder um Gnade bittet.
Klas und Kaiser Karl knieten vor dem Throne nieder.
Der Engel warf ihm die Krone vom Haupt. „Hier ist nur ein Kaiser,“ sprach er, „das ist Christus.“
Seine Heilige Majestät schien erzürnt, jedoch sagte sie, demütig sprechend: „Könnte ich nicht diese Anschovis und diesen Humpen Bier behalten? Denn die lange Reise hat mich hungrig gemacht.“
„Wie Du es Dein Lebenlang warest“, versetzte der Engel. „Aber iß und trink immerhin.“
Der Kaiser leerte den Humpen und knabberte die Anschovis.
Darauf redete Christus und sprach:
„Stellst Du Dich mit reiner Seele zum Gericht?“
„Ich hoffe es, mein gütiger Herr, denn ich habe gebeichtet,“ antwortete Kaiser Karl.
„Und Du, Klas?“ fragte der Engel. „Denn Du zitterst nicht wie dieser Kaiser.“
„Mein Herr Jesus,“ antwortete Klas, „es ist keine Seele, die rein sei, darum habe ich keine Furcht vor Euch, der Ihr die höchste Güte und die höchste Gerechtigkeit seid; aber ich fürchte dennoch für meine Sünden, die zahlreich waren.“
„Rede, Kadaver“, sprach der Engel, sich an den Kaiser wendend.
„Ich,“ antwortete Karl mit unklarer Stimme, „ich ward durch den Finger Eurer Priester gesalbet und zum König von Castilien, Kaiser von Deutschland und König der Römer geweiht. Unablässig lag mir die Erhaltung der Macht am Herzen, so von Euch kommt, und darum wirkte ich mit Strang, Schwert, Grube und Feuer wider alle Reformierten.“
Aber der Engel sprach:
„Du Lügner und Völler,“ sagte er, „Du willst uns betrügen. In Deutschland hast Du die Reformierten geduldet, denn Du hattest Furcht vor ihnen; und in den Niederlanden, wo Du nur Das fürchtetest, nicht genug von diesen fleißigen, honigreichen Bienen zu erben, hast Du sie enthaupten, verbrennen, hängen und lebendig begraben lassen. Hunderttausend Seelen sind durch Dich zugrunde gegangen, nicht weil Du Christum, meinen Herrn liebtest, sondern weil Du ein Despot, Tyrann und Länderverschlinger warst. Du liebtest nur Dich selbst und nach Dir Fleisch, Fisch, Wein und Bier, denn Du warst gierig wie ein Hund und durstig wie ein Schwamm.“
„Und Du, Klas, sprich“, sagte Christus.
Aber der Engel erhob sich.
„Dieser hat nichts zu sagen. Er war gut, arbeitsam wie das arme flandrische Volk, das da gerne arbeitet und gerne lacht, und seinen Fürsten die schuldige Treue hält und glaubt, daß die Fürsten ihm die Treue hielten, die sie ihm schuldeten. Er hatte Geld, ward angeklagt und da er einen Reformierten beherbergt hatte, ward er lebendig verbrannt.“
„Ach,“ sprach Maria, „armer Märtyrer! Aber im Himmel sind kühle Bronnen, Springbrunnen von Milch und köstlichem Wein, die werden Dich erfrischen, und ich selbst will Dich dort hinführen, Kohlenträger.“
Die Posaune des Engels erscholl abermals, und aus der Tiefe der Abgründe sah ich einen Mann aufsteigen, nackt und schön, mit Eisen gekrönt. Und auf dem Reifen der Krone waren diese Worte geschrieben: „Traurig bis an den Tag des Gerichts.“
Er nahete dem Thron und sprach zu Christo:
„Ich bin Dein Sklave, bis daß ich Dein Herr sein werde.“
„Satan,“ sagte Maria, „ein Tag wird kommen, wo es weder Sklaven noch Herren gibt und wo Christus, welcher die Liebe, und Satan, welcher der Stolz ist, bedeuten werden: Kraft und Wissen.“
„Weib, Du bist gut und schön“, sprach Satan.
Dann zu Christo redend und auf den Kaiser deutend, sprach er: „Was soll mit diesem hier geschehen?“
Christus antwortete:
„Du sollst das gekrönte Gewürm in ein Gemach bringen, darinnen Du alle Folterwerkzeuge, so unter seiner Regierung im Gebrauch waren, zusammenträgst. Jedesmal, wenn ein unschuldiger Unglücklicher die Wasserfolter erleidet, welche die Menschen aufbläht wie Blasen, die Kerzenfolter, welche die Fußsohlen und Achselhöhlen verbrennt, den Wippgalgen, welcher die Glieder zerbricht, das Zerreißen durch vier Pferde; jedesmal, wenn eine freie Seele auf dem Scheiterhaufen ihren letzten Atem aushaucht, soll er eins nach dem andren diese Tode und Foltern erdulden. Er soll innewerden, wieviel Böses ein Ungerechter, der über Millionen gebeut, tun kann. Möge er in den Gefängnissen verfaulen, auf den Schafotten sterben, in der Verbannung, fern vom Vaterland, stöhnen; möge er beschimpft, verunglimpft, gestäupet werden. Er möge reich sein und der Fiskus von ihm zehren; der Angeber soll ihn verklagen und die Konfiskation soll ihn zugrunde richten. Du sollst ihn in einen Esel verwandeln, auf daß er sanftmütig, mißhandelt und schlecht genährt sei; in einen Armen, auf daß er um Almosen bitte und mit Schimpfworten begrüßt werde; in einen Arbeiter, auf daß er zuviel arbeite und nicht genug esse. Wenn er alsdann an Leib und Seele genugsam gelitten hat, so sollst Du ihn zum Hunde machen, auf daß er gut sei und Prügel empfahe; zu einem Sklaven in Indien, der öffentlich versteigert wird; zu einem Soldaten, damit er sich für einen andern schlage und sich töten lasse, ohne zu wissen warum. Und wenn er nach Verlauf von dreihundert Jahren alle Leiden, alles Elend erschöpft haben wird, sollst Du ihn zum freien Menschen machen. Wenn er in diesem Stande gut wie Klas ist, sollst Du seinen Leichnam in einem Erdenwinkel, der um Mittag schattig ist und am Morgen von der Sonne beschienen wird, unter einem schönen Baum mit frischem Rasen bedecken und ihm die ewige Ruhe geben. Und seine Freunde werden kommen und auf seinem Grabe bittere Tränen vergießen und Veilchen säen, die Blumen der Erinnerung.“
„Gnade, mein Sohn,“ sprach Maria, „er wußte nicht, was er tat, denn Macht verhärtet das Herz.“
„Hier ist keine Gnade“, sagte Christus.
„Ach,“ sprach Seine Heilige Majestät, „wenn ich nur ein Glas andalusischen Weines hätte!“
„Komm,“ sprach Satan, „die Zeit des Weines, der Fleischspeisen und Geflügel ist vorbei.“
Und in die tiefste Hölle schleppte er die Seele des armen Kaisers, der noch an seiner Anschovis kaute.
Satan ließ es aus Mitleid geschehen. Dann sah ich Mutter Maria den Klas in den höchsten Himmel führen, dorthin, wo nichts war, denn Sterne, die in Trauben am Gewölbe befestigt sind. Und allda wuschen ihn die Engel und er ward schön und jung. Alsdann gaben sie ihm Reisbrei mit silbernen Löffeln zu essen. Und der Himmel schloß sich.“
„Er ist in der Herrlichkeit“, sagte die Wittib.
„Die Asche brennt auf meinem Herzen“, sprach Ulenspiegel.
Während der folgenden dreiundzwanzig Tage ward Katheline weiß und mager und dörrte aus, als würde sie von einem innern Fieber verzehrt, glühender als das des Wahnsinns.
Sie sagte nicht mehr: „Das Feuer, grabt ein Loch, die Seele will hinaus“, sondern sie war allezeit verzückt und sagte zu Nele:
„Ehefrau bin ich, und Ehefrau sollst auch Du sein. Schön, starkes Haar, heiße Liebe, kalte Kniee und kalte Arme!“
Und Soetkin blickte sie traurig an und glaubte an einen neuen Wahnsinn.
Katheline redete weiter:
„Dreimal drei sind neun, heilige Zahl. Dem in der Nacht die Augen glänzen wie Katzenaugen, der allein sieht das Geheimnis.“
Eines Abends machte Soetkin eine Gebärde des Zweifels. Aber Katheline sagte:
„Vier und drei bedeutet Unglück unter Saturn; unter Venus die Zahl der Heirat. Kalte Arme, kalte Knie, feuriges Herz!“
Soetkin versetzte:
„Man muß nicht von bösen, heidnischen Götzen sprechen.“
Da Katheline solches vernahm, machte sie das Zeichen des Kreuzes und sagte:
„Gesegnet sei der graue Ritter. Nele muß einen Mann haben, schöner Mann, der den Degen trägt, schwarzer Mann mit glänzendem Gesicht.“
„Ja,“ sprach Ulenspiegel, „ein Hackfleisch von Männern, und dazu werde ich mit meinem Messer die Brühe machen.“
Nele blickte ihren Freund mit Augen an, die vor Freude feucht waren, da sie ihn so eifersüchtig sah.
„Ich will keinen“, sprach sie.
Katheline entgegnete:
„Wenn der kommen wird, der grau gekleidet und immer auf andre Art gestiefelt und gespornt ist.“
Soetkin sprach:
„Bittet Gott für die arme Närrin.“
„Ulenspiegel,“ sagte Katheline, „geh und hol uns vier Schoppen Doppelbier, dieweil ich Schmalzkuchen backe.“
Soetkin fragte, warum sie den Samstag wie die Juden feire.
Katheline antwortete:
„Weil der Teig fertig ist.“
Ulenspiegel stand vor ihr und hielt den großen Krug von englischem Zinn in der Hand, der just ein Maß faßte.
„Mutter, was soll ich tun?“ fragte er.
„Geh,“ sagte Katheline.
Soetkin wollte nicht antworten, da sie nicht Herrin im Hause war; sie sprach zu Ulenspiegel: „Geh, mein Sohn.“
Ulenspiegel lief zum „Scaeck“ und brachte die vier Schoppen Doppelbier zurück.
Alsbald verbreitete sich der Duft der Schmalzkuchen in der Küche, und alle hatten Hunger, selbst die arme Leidtragende.
Ulenspiegel aß wacker. Katheline hatte ihm einen großen Humpen gegeben und sagte dabei, daß er, als der einzige Mann und das Haupt des Hauses, mehr denn die andern trinken und hernach singen sollte.
Ihre Miene war arglistig, als sie so sprach. Aber Ulenspiegel trank, doch sang er nicht. Nele weinte, da sie Soetkin so bleich und zusammengesunken sah. Allein Katheline war lustig.
Nach der Mahlzeit stiegen Soetkin und Ulenspiegel zum Boden hinauf, um sich schlafen zu legen; Katheline und Nele blieben in der Küche, allwo ihre Betten aufgeschlagen waren.
Um die zweite Morgenstunde war Ulenspiegel ob des schweren Getränkes längst entschlafen; mit offenen Augen bat Soetkin wie jedwede Nacht Unsere liebe Frau, ihr Schlaf zu geben, aber Unsere Frau erhörte sie nicht.
Plötzlich hörte sie den Schrei eines Fischadlers und aus der Küche einen ähnlichen Schrei, der ihm antwortete; dann ertönten von fern aus den Feldern andere Rufe, und immer wollte es sie bedünken, daß von der Küche aus darauf geantwortet würde.
Gedenkend, daß es Nachtvögel seien, hatte sie des nicht Acht. Sie hörte Pferdegewieher und Klappern von Hufeisen auf der Straße, öffnete das Bodenfenster und sah leibhaftig zwei gesattelte Pferde, so den Boden stampften und das Gras des Wegrains abweideten. Alsdann vernahm sie die schreiende Stimme einer Frau und eine drohende Männerstimme; es fielen Schläge, neues Geschrei; eine Tür ward mit Getöse geschlossen und angstvolle Schritte kamen die Stufen der Stiege herauf.
Ulenspiegel schnarchte und hörte nichts. Die Bodentür öffnete sich und Nele trat ein, fast nackend, atemlos und schluchzend. Hastig stellte sie einen Tisch, Stühle, ein altes Kohlenbecken, alles was sie an Hausrat finden konnte, gegen die Tür. Die letzten Sterne waren am Erlöschen, die Hähne krähten.
Ulenspiegel hatte sich beim Geräusch, das Nele machte, im Bett umgedreht, aber er schlief weiter.
Da warf sich Nele an Soetkins Hals. „Soetkin,“ sagte sie, „ich habe Furcht, zünde das Licht an.“
Soetkin tat es und immer noch stöhnte Nele.
Als das Licht angezündet war und Soetkin Nele anschaute, sah sie, daß des Mägdleins Hemd an der Schulter zerrissen war, und auf Stirn, Wangen und Hals erblickte sie blutige Schrammen gleich Kratzwunden.
„Nele,“ sprach Soetkin und umschlang sie, „woher kommst Du also verwundet?“
Das Mädchen zitterte und stöhnte beständig und sagte: „Bring uns nicht auf den Scheiterhaufen, Soetkin.“
Indessen erwachte Ulenspiegel und zwinkerte mit den Augen im Lichtschein. Soetkin sagte: „Wer ist unten?“ Nele antwortete:
„Schweig, es ist der Mann, den sie mir geben will.“
Soetkin und Nele hörten plötzlich Katheline schreien, und die Knie zitterten den beiden. „Er schlägt sie, er schlägt sie um meinetwillen,“ sagte Nele.
„Wer ist im Hause?“ schrie Ulenspiegel und sprang aus dem Bett. Dann rieb er sich die Augen und lief im Zimmer hin und her, bis er einen schweren Schürhaken in die Hand kriegte, der in einer Ecke lag.
„Niemand,“ sagte Nele, „niemand, geh nicht hin, Ulenspiegel.“ Aber er hörte nicht, lief zur Tür, warf Stühle, Tische und Kohlenbecken beiseite. Katheline schrie unten immerfort. Nele und Soetkin hielten Ulenspiegel auf dem Treppenabsatz fest, die eine um den Leib, die andere an den Beinen, und sagten dabei: „Geh nicht hin, Ulenspiegel, es sind Teufel.“
„Ja,“ antwortete er, „ein Teufelsmann für Nele, ich werde ihn mit meinem Schürhaken ehelich zusammentun. Ein Verlöbnis von Eisen und Fleisch! Laßt mich hinunter!“
Aber sie ließen ihn nicht los, denn sie waren stark, maßen sie sich ans Geländer klammerten. Er riß sie mit auf die Stufen der Stiege hinab, und sie hatten Furcht, so den Teufeln nahe zu kommen. Aber sie vermochten nichts wider ihn. Er flog in Sprüngen und Sätzen hinunter wie ein Schneeball vom Gipfel eines Berges, kam in die Küche und sah Katheline fahl und verstört bei Schein der Morgenröte und hörte sie sagen:
„Hanske, weshalb lässest Du mich allein? Es ist nicht meine Schuld, wenn Nele bös ist.“
Ulenspiegel öffnete die Stalltür, ohne auf sie zu hören. Da er dort niemanden fand, stürzte er nach dem Garten und von da auf die Straße. Von fern sah er zwei trabende Pferde, die sich im Nebel verloren. Er rannte, um sie einzuholen, aber er konnte es nicht, denn sie jagten wie der Sturm, der die dürren Blätter vor sich hertreibt.
Von Zorn und Verzweiflung gepeinigt, kehrte er um und sagte zwischen den Zähnen: „Sie haben sie mißbraucht! Sie haben sie mißbraucht!“ Mit Augen, worinnen eine böse Flamme glühte, betrachtete er Nele, die am ganzen Leibe zitternd vor der Witwe und Katheline stand und sagte:
„Nein, Tyll, mein Geliebter, nein.“
Solches sagend, sah sie ihm so traurig und aufrichtig in die Augen, daß er wohl sah, daß sie wahr redete.
Dann befragte er sie und sprach:
„Woher kommen diese Rufe, und wohin gingen diese Männer? Warum ist Dein Hemd auf der Schulter und im Rücken zerrissen? Warum trägst Du an Stirn und Wangen Kratzwunden?“
„Hör mich an,“ sagte sie, „aber bring uns nicht auf den Scheiterhaufen. Katheline, die Gott vor der Hölle bewahren möge, hat seit dreiundzwanzig Tagen einen Teufel in schwarzen Kleidern, gestiefelt und gespornt, zum Freunde. Sein Antlitz gleißt wie das Feuer, das man des Sommers, wann es heiß ist, auf den Meereswellen sieht.“
„Warum bist Du fortgegangen, Hanske, mein Liebster?“ sprach Katheline. „Nele ist bös.“
Aber Nele redete weiter und sprach:
„Er schreit wie ein Fischadler, um anzukündigen, daß er da ist. Meine Mutter empfängt ihn jeden Samstag in der Küche. Sie erzählt, daß seine Küsse kalt und sein Körper wie Schnee sei. Und so sie nicht alles tut, was er will, schlägt er sie. Einmal brachte er ihr etliche Gülden, aber er nahm ihr dafür alle andern fort.“
Während dieser Rede faltete Soetkin die Hände und betete für Katheline. Katheline sagte fröhlich:
„Mein Körper ist nicht mehr mein, mein Geist ist nicht mehr mein, sondern sein. Hanske, mein Herzallerliebster, führe mich wiederum zum Sabbat. Nur Nele will nimmer mitgehen, Nele ist ungehorsam.“
„Bei Tagesanbruch ging er davon,“ sprach das Mägdlein weiter: „Am nächsten Tage erzählte meine Mutter mir hundert schier seltsame Dinge ... Aber Du mußt mich nicht mit so bösen Augen anschauen, Ulenspiegel. Gestern hat sie mir gesagt, daß ein schöner Herr, grau gekleidet und Hilbert geheißen, mich zur Ehe begehre und herkommen wollte, sich mir zu zeigen. Ich gab zur Antwort, daß ich keinen Mann wolle, weder einen schönen noch häßlichen. Aber kraft ihrer mütterlichen Gewalt zwang sie mich aufzubleiben, um seiner zu harren; denn wenn es sich um ihre Buhlschaften handelt, verliert sie mitnichten den Verstand. Wir waren halb entkleidet und bereit, uns schlafen zu legen; ich schlief auf dem Stuhl dort. Da sie eintraten, wachte ich nicht auf. Plötzlich fühlte ich, daß mich einer umfing und mich auf den Hals küßte. Und beim Scheine des strahlenden Mondes sah ich ein Antlitz, gleißend wie die Schaumkämme der Meereswogen im Heumond, wenn es donnern will; und ich hörte ihn mit leiser Stimme zu mir sagen: „Ich bin Hilbert, Dein Ehemann, sei mein, ich werde Dich reich machen.“ Das Angesicht dessen, der sprach, hatte einen Fischgeruch. Ich stieß ihn zurück; er wollte mich mit Gewalt packen, aber ich hatte die Kraft von zehn Männern gleich ihm. Jedoch er zerriß mir das Hemde, verwundete mich im Gesicht und sagte immerfort: „Sei mein, ich werde Dich reich machen.“ / „Ja,“ sagte ich, „gleichwie meine Mutter, der Du ihren letzten Heller nehmen wirst.“ Da verdoppelte er seine Gewalt, aber er vermochte nichts gegen mich. Und da er häßlicher war denn ein Toter, fuhr ich ihm so heftig mit meinen Nägeln in die Augen, daß er vor Schmerz schrie, und ich entschlüpfte und kam hierher zu Soetkin.“
Katheline sprach beständig:
„Nele ist ungehorsam. Warum bist Du so schnell fortgegangen, Hanske, mein Buhle?“
„Wo warst Du, schlechte Mutter,“ fragte Soetkin, „dieweil man Deinem Kinde die Ehre nehmen wollte?“
„Nele ist ungehorsam“, sagte Katheline. „Ich war bei meinem schwarzen Herrn, da kam der graue Teufel zu uns mit blutendem Antlitz und sprach: Komm fort, Gesell, das ist ein schlimmes Haus. Die Männer darinnen gelüstet es nach Totschlag und die Weiber haben Messer an den Fingerspitzen. Da liefen sie zu ihren Rossen und verschwanden im Nebel. Nele ist ungehorsam!“
Am nächsten Tage, da sie warme Milch tranken, sprach Soetkin zu Katheline:
„Du siehest, daß das Leid mich schon aus dieser Welt jagt. Willst Du mich noch durch Deine verfluchten Zaubereien daraus vertreiben?“
Aber Katheline sagte immerfort:
„Nele ist ungehorsam. Kehr zurück, Hanske, mein Buhle.“
Den folgenden Mittwoch kamen die Teufel zu zweien wieder.
Nele nächtigte seit dem Samstag bei der Witwe van den Houte, unter dem Vorgeben, sie könne bei Katheline nicht bleiben wegen Ulenspiegels, des jungen Gesellen, der dort weilte.
Katheline empfing ihren schwarzen Ritter und dessen Freund in der Keet, einem Anbau am Haus, welcher die Waschküche und den Backofen enthält. Da hielten sie Schmaus und Gelage von altem Wein und geräucherter Ochsenzunge, so stets ihrer warteten. Der schwarze Teufel sagte zu Katheline:
„Wir haben eine ansehnliche Summe Geldes vonnöten, um ein großes Werk zu tun. Gib uns soviel Du kannst.“
Da Katheline ihnen nicht mehr als einen Gülden geben wollte, drohten sie ihr, sie zu töten. Aber sie ließen sie für zwei Goldkarolus und sieben Groschen frei.
„Kommet nicht mehr des Samstags“, sprach sie zu ihnen. „Ulenspiegel ist dieser Tag bekannt und er wird Euch gewaffnet erwarten, um Euch totzuschlagen; und ich würde Euch nicht überleben.“
„Wir werden den folgenden Dienstag kommen“, sagten sie.
An jenem Tag schliefen Ulenspiegel und Nele, ohne die Teufel zu fürchten, denn sie waren des Glaubens, daß sie des Samstags kämen.
Katheline stand auf und ging in die „Keet“ nachzusehen, ob ihre Freunde nicht gekommen wären.
Sie war schier ungeduldig, denn seit sie Hanske wiedergesehen, hatte ihr Wahnsinn um ein Merkliches nachgelassen, maßen es Liebestollheit war, wie man sagte.
Da sie sie nicht erblickte, war sie voller Harm; da hörte sie von der Seite von Sluys her auf freiem Felde den Fischadler schreien und ging dem Ruf nach. Auf der Wiese am Fuß eines Deiches auf Buhnen und Rasen wandelnd, hörte sie von der anderen Seite des Deiches die beiden Teufel mitsammen reden. Der eine sagte:
„Ich will die Hälfte davon haben.“
Der andere antwortete:
„Du sollst nichts haben; was Kathelines ist, ist mein.“
Darauf lästerten sie wütend und stritten miteinander, wer allein das Vermögen und die Liebe von Katheline und Nele zugleich haben sollte. Von Furcht erstarrt, getraute Katheline sich nicht zu sprechen, noch sich zu rühren. Sie hörte alsbald, wie sie auf einander einhieben; dann sagte der eine: „Dies Schwert ist kalt.“ Drauf ein Röcheln und den Fall eines schweren Körpers.
Voller Furcht schritt sie bis zu ihrer Hütte. In der zweiten Nachtstunde vernahm sie abermal, jedoch auf ihrem Anwesen, den Schrei des Fischadlers. Sie ging öffnen und sah ihren teuflischen Freund allein vor der Tür. Sie fragte ihn:
„Was hast Du mit dem andern gemacht?“
„Er wird nicht mehr kommen“, antwortete er.
Dann umarmte und liebkoste er sie. Er deuchte ihr kälter als sonst. Kathelines Geist aber war trefflich wach. Da er von dannen ging, begehrte er von ihr zwanzig Gülden, alles was sie hatte; sie gab ihm deren siebenzehn.
Voller Neugier ging sie am andern Tage am Deich entlang; aber sie sah nichts.
Nur an einer Stelle, so groß wie der Sarg eines Mannes, war Blut auf dem Rasen, darin der Fuß versank. Aber am Abend wusch der Regen das Blut fort.
Am nächsten Mittwoch hörte sie abermals in ihrem Garten den Schrei des Fischadlers.
Allemal, wenn Ulenspiegel Geld bedurfte, um bei Katheline ihren gemeinsamen Unterhalt zu bezahlen, hob er nachts den Stein von dem Loch, das er beim Brunnen gegraben, und entnahm daraus einen Karolus.
Eines Abends waren die drei Frauen beim Spinnen; Ulenspiegel schnitzte mit dem Messer ein Kästlein, welches der Amtmann bei ihm bestellt hatte. Er schnitzte geschickt eine schöne Jagd hinein, mit einer Meute von Hennegauer Hunden, von Molossi von Kandia, welches sehr wilde Tiere sind, von Brabanter Hunden, die paarweis gehen und Ohrenschnapper genannt werden, und andere Hunde ringsherum, Möpse, Rüden und Windhunde.
Da Katheline zugegen war, fragte Nele Soetkin, ob sie ihren Schatz wohl verborgen habe. Die Witwe antwortete ihr ohne Mißtrauen, daß er nirgend besser sein könne als neben der Brunnenmauer.
Um Mitternacht des Donnerstags ward Soetkin von Bibulus Schnuffius aufgeweckt, der scharf, doch nicht lange bellte. Vermeinend, daß es nur ein blinder Lärm sei, schlief sie wieder ein.
Am Freitag morgen, da Soetkin und Ulenspiegel bei Tagesgrauen aufgestanden waren, sahen sie nicht wie üblich Katheline in der Küche, noch das Feuer angezündet, noch die Milch auf dem Feuer kochen. Das nahm sie wunder, und sie sahen nach, ob sie etwan im Garten wäre. Dort erblickten sie sie, ohngeachtet ein feiner Regen fiel, im Hemde, durchnäßt und erstarrt; aber sie wagte nicht hereinzukommen.
Ulenspiegel ging zu ihr und sagte:
„Was tust Du da fast nackend, derweil es regnet?“
„Ach,“ sprach sie, „ja, ja, großes Wunder!“
Und sie wies auf den Hund, der erdrosselt und ganz steif war.
Ulenspiegel gedachte alsogleich des Schatzes und lief hin. Das Loch war leer und die Erde weithin zerstreut.
Er sprang auf Katheline los und schlug sie.
„Wo sind die Karolus?“ fragte er.
„Ja, ja, großes Wunder!“ antwortete Katheline.
Nele beschützte ihre Mutter und rief:
„Gnade und Erbarmen, Ulenspiegel.“
Da hörte er auf, sie zu schlagen. Soetkin kam herbei und fragte, was geschehen sei.
Ulenspiegel zeigte ihr den erwürgten Hund und das leere Loch. Soetkin erblich und sprach:
„Deine Hand trifft mich schwer, Herr Gott! Meine armen Füße!“ Solches aber sagte sie wegen des Schmerzes, den sie daran hatte, und der Tortur, so sie unnütz für die Goldkarolus erduldet.
Da Nele Soetkin so sanft sah, verzweifelte sie und weinte.
Katheline schwenkte ein Stück Pergament und sagte:
„Ja, großes Wunder. Diese Nacht kam er, freundlich und schön. Er hatte in seinem Antlitz nicht mehr den bleichen Schimmer, der mich so bange machte, und sprach mit großer Zärtlichkeit zu mir. Ich war verzückt, mein Herz schmolz. Er sprach zu mir: Ich bin jetzo reich und werde Dir in Bälde tausend Goldgülden bringen.“
„Wohl,“ sagte ich, „aber des bin ich froh mehr deinet- als meinethalben, Hanske, mein Liebster.“
„Aber hast Du nicht daheim“, fragte er, „Etliche, die Du lieb hast, und die ich reich machen könnte?“ / „Nein, die so hier sind, bedürfen Deiner nicht.“ / „Du bist stolz,“ sagte er, „Soetkin und Ulenspiegel sind also reich?“ / „Sie leben ohne Beistand ihrer Nächsten.“ / „Ohngeachtet der Gütereinziehung?“ Auf solches antwortete ich, daß Ihr lieber hättet die Tortur erduldet, denn Euch Euer Vermögen nehmen lassen. / „Ich wußte es wohl“, sagte er. Und er hub an, mit verstohlenem, leisen Lachen des Amtmanns und der Schöffen zu spotten, daß sie nicht einmal vermocht hätten, Euch zum Geständnis zu bringen. Darauf lachte ich desgleichen. „Sie sind doch nicht etwan so einfältig gewesen, ihren Schatz im Hause zu verbergen?“ Ich lachte. „Noch im Keller drinnen?“ / „Mit nichten,“ sagte ich. / „Noch im Garten?“ Ich antwortete nicht. „O,“ sagte er, „das wäre große Torheit.“
„Kleine,“ sagte ich, „sintemalen weder das Wasser noch seine Mauer reden werden.“ Und er lachte immer. Diese Nacht ging er früher fort, als seine Gewohnheit ist, nachdem er mir ein Pulver gegeben hatte, mit dem ich, wie er sagte, zum schönsten Sabbat fliegen würde. Ich gab ihm im Hemde das Geleit bis an die Gartenpforte und war ganz schlaftrunken. Wie er gesagt hatte, ging ich zum Sabbat und kam erst um Tagesanbruch zurück. Da fand ich mich allhier und erblickte den erwürgten Hund und das leere Loch. Das ist ein gar schwerer Schlag für mich, die ihn so zärtlich liebte und ihm meine Seele gab. Aber Ihr sollt alles haben, was ich habe, und ich werde mit Füßen und Händen Euch Lebensunterhalt schaffen.“
„Ich bin das Korn unter dem Mühlstein, Gott und ein schurkischer Teufel suchen mich zur nämlichen Zeit heim,“ sagte Soetkin.
„Ein Schurke / sprechet nicht also von ihm,“ versetzte Katheline, „er ist ein Teufel, ein Teufel. Und zum Beweis werde ich Euch das Pergament zeigen, das er im Hof gelassen hat; hier stehet geschrieben: „Vergiß nimmer, mir zu dienen. In dreimal zween Wochen und fünf Tagen werde ich Dir den Schatz zwiefach zurückgeben; habe Du keinen Zweifel, sonst wirst Du sterben.“ Und er wird Wort halten, des bin ich sicher.“
„Arme Irre“, sprach Soetkin.
Und das war ihr letzter Vorwurf.
Drei Wochen waren zweimal vergangen und die fünf Tage desgleichen, aber der teuflische Freund kehrte nicht zurück. Gleichwohl ließ Katheline die Hoffnung nicht sinken.
Soetkin, die nicht mehr arbeitete, saß immerdar hustend und gebückt am Feuer. Nele gab ihr die besten und duftigsten Kräuter; aber kein Heilmittel half ihr. Ulenspiegel ging nicht aus dem Haus, aus Furcht, daß Soetkin stürbe, dieweil er draußen wäre. Es geschah aber, daß die Witwe nicht mehr essen noch trinken konnte, ohne es zu erbrechen. Der Bader kam und ließ sie zur Ader; nachdem ward sie so schwach, daß sie ihre Bank nicht mehr verlassen konnte.
Von Schmerz verzehrt, sagte sie endlich eines Abends:
„Klas, mein Mann! Tyll, mein Sohn! Dank sei Dir, Gott, daß Du mich hinweg nimmst.“
Und sie starb mit einem Seufzer.
Da Katheline sich nicht traute, bei ihr zu wachen, taten Nele und Ulenspiegel es mitsammen, und sie beteten die ganze Nacht für die Verstorbene.
Bei Tagesanbruch flog eine Schwalbe durchs offene Fenster.
Nele sagte:
„Der Vogel der Seelen, das ist ein gutes Zeichen: Soetkin ist im Himmel!“
Die Schwalbe kreiste dreimal um das Gemach und flog dann hinaus, einen Schrei ausstoßend.
Dann kam eine zweite Schwalbe, größer und schwärzer als die erste. Sie umkreiste Ulenspiegel, und er sagte:
„Vater und Mutter, die Asche brennt auf meiner Brust; ich werde tun, was ihr begehrt!“
Und die zweite Schwalbe flog zwitschernd davon gleich wie die erste. Es wurde heller. Ulenspiegel sah Tausende von Schwalben über die Wiesen streichen und die Sonne ging auf.
Und Soetkin ward auf dem Totenacker der Armen begraben.
Seit Soetkin tot war, ging Ulenspiegel sinnend, betrübt oder zornig in der Küche umher, hörte auf nichts und nahm ohne Wahl an Speise und Trank, was man ihm gab. Und oftmals stand er des Nachts auf.
Umsonst mahnte Nele ihn mit ihrer sanften Stimme zur Hoffnung. Vergeblich sagte Katheline zu ihm, sie wisse, daß Soetkin mit Klas im Paradiese sei. Ulenspiegel antwortete auf alles:
„Die Asche brennt.“
Und er war wie von Sinnen, und Nele weinte, da sie ihn also sah.
Indessen blieb der Fischhändler in seinem Haus allein wie ein Vatermörder und wagte sich nur Abends herfür; denn Männer und Frauen höhnten ihn und hießen ihn Mörder, wenn sie an ihm vorbeigingen. Die kleinen Kinder flüchteten vor ihm, denn man hatte ihnen gesagt, daß er der Henker wäre. Er irrte allein umher und wagte nicht, in einer der drei Schenken von Damm einzukehren; denn man wies dort mit dem Finger auf ihn, und so er nur eine Minute darin stehen blieb, gingen die Trinker hinaus.
So geschah es, daß die Wirte ihn nicht mehr bei sich sehen wollten, und wenn er sich einfand, schlugen sie ihm die Tür vor der Nase zu. Alsdann machte der Fischhändler ihnen demütige Vorstellungen, doch sie erwiderten, daß es ihr Recht sei, Getränk zu verkaufen, nicht ihre Pflicht.
Der Fehde müde, ging der Fischhändler zum Trinken In ’t Roode Valck (in den roten Falken), eine kleine Schänke fern von der Stadt an den Ufern des Kanals von Sluys. Da bediente man ihn, denn es waren dürftige Leute, die jegliches Geld gerne nahmen. Aber der Baas vom Roten Falken sprach nicht mit ihm, noch seine Frau. Es waren aber zwei Kinder und ein Hund da; wenn der Fischhändler die Kinder liebkosen wollte, so liefen sie davon; und wenn er den Hund rief, wollte dieser ihn beißen.
Ulenspiegel setzte sich eines Abends auf die Türschwelle; als Mathyssen, der Faßbinder, ihn so in Gedanken versunken sah, sprach er zu ihm:
„Du mußt Deinen Händen Arbeit geben und diesen Schicksalsschlag vergessen.“
Ulenspiegel antwortete:
„Klasens Asche brennt auf meiner Brust.“
„Ach,“ sagte Mathyssen, „er führt ein trauriger Leben als Du, der elende Fischhändler. Keiner spricht mit ihm und jeder flieht ihn, also daß er genötigt ist, bei den armen Lumpen im Roten Falken seine Kanne Braunbier einsam zu trinken. Das ist eine große Strafe.“
„Die Asche brennt“, sagte Ulenspiegel zum andern Mal.
Am nämlichen Abend, da die Glocke der Frauenkirche die neunte Stunde läutete, schritt Ulenspiegel nach dem Roten Falken. Sehend, daß der Fischhändler nicht dort war, streifte er unter den Bäumen, so den Kanal einfassen, umher. Der Mond schien hell.
Er sah den Mörder kommen.
Da er an ihm vorüber ging, konnte er ihn ganz nahe sehen und hörte ihn sagen, denn er redete laut, wie Leute, die allein leben: „Wo haben sie die Karolus versteckt?“
„Wo der Teufel sie gefunden hat“, antwortete Ulenspiegel und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.
„Wehe,“ sagte der Fischhändler, „ich erkenne Dich, Du bist der Sohn. Habe Mitleid, ich bin alt und kraftlos. Was ich tat, geschah nicht aus Haß, sondern um Seiner Majestät zu dienen. Verzeihe mir gnädigst. Ich will Dir Deinen Hausrat wiedergeben, den ich erstanden, Du sollst mir keinen Groschen dafür bezahlen. Ist das nicht genug? Ich habe ihn für sieben Goldgülden gekauft. Du sollst alles haben und noch einen halben Gülden dazu, denn ich bin nicht reich, das mußt Du nicht wähnen.“
Und er wollte sich vor ihm auf die Knie werfen.
Da Ulenspiegel ihn so häßlich, zitternd und feige sahe, warf er ihn in den Kanal.
Und er machte sich davon.
Auf den Scheiterhaufen schwelte das Fett der Opfer. Ulenspiegel gedachte an Klas und Soetkin und weinte einsam. Eines Abends suchte er Katheline auf, um sie um Beistand und um Rache zu bitten. Sie saß mit Nele allein bei der Lampe und nähte. Da sie ihn eintreten hörte, hob Katheline schwerfällig den Kopf, gleichwie eine Frau, die aus tiefem Schlaf erwacht.
Er sagte zu ihr:
„Klasens Asche brennt auf meiner Brust, ich will das Land Flandern retten. Ich bat den großen Gott Himmels und der Erden darum, aber er antwortete mir nicht.“
Katheline sagte:
„Der große Gott konnte Dich nicht hören. Du mußtest zuvor zu den Geistern der Elemente sprechen, welche, da sie himmlischer und irdischer Natur sind, die Klagen der armen Menschen annehmen und sie den Engeln zutragen, die sie hernach zum Throne bringen.“
„Hilf mir bei meinem Vorhaben,“ sagte er, „ich will Dich mit Blut bezahlen, wenn es sein muß.“
Katheline antwortete:
„Ich will Dir helfen, wann ein Mädchen, so Dich liebt, Dich mitnimmt zum Sabbat der Frühlingsgeister, welche die Ostern des Saftes sind.“
„Ich will ihn mitnehmen“, sagte Nele.
Katheline goß ein graulich Gebräu in einen Kristallkelch, davon sie beiden zu trinken gab. Sie rieb ihnen mit dieser Mixtur die Schläfen, Nasenlöcher, Handflächen und Gelenke ein, ließ sie eine Fingerspitze weißen Pulvers nehmen und hieß sie sich einander ansehen, damit ihre Seelen eins würden.
Ulenspiegel sah Nele an und die sanften Augen des Mägdleins entzündeten eine große Glut in ihm; dann fühlte er ob der Mixtur ein Zwicken wie von tausend Krabben.
Danach entkleideten sie sich und solcherart von der Lampe beleuchtet, waren sie schön; er in seiner stolzen Kraft, sie in ihrer liebreizenden Anmut. Aber sie konnten einander nicht sehen, dieweil sie schon gleichsam entschlafen waren. Sodann legte Katheline Neles Hals auf Ulenspiegels Arm und nahm seine Hand und legte sie auf des Mägdleins Herz.
Und also lagen sie nackt nebeneinander. Es deuchte ihnen beiden, daß ihre Körper, die sich berührten, von sanfter Glut wären wie die Sonne im Rosenmond.
Sie erhoben sich / also erzählten sie später / stiegen auf die Fensterbrüstung, schwangen sich ins Leere und fühlten, wie die Luft sie trug, wie das Wasser bei den Schiffen tut. Dann nahmen sie nichts mehr wahr, weder von der Erde, wo die armen Menschen schliefen, noch vom Himmel, wo bald die Wolken zu ihren Füßen wogten. Und sie setzten den Fuß auf Sirius, den kalten Stern. Dann wurden sie auf den Pol geschleudert.
Allda erblickten sie, nicht ohne Bangen, einen nackten Riesen, den Giganten Winter, mit falbem Haar, so auf Eisblöcken an einer Eiswand saß. In Wasserlachen tummelten sich Bären und Robben um ihn her, eine heulende Herde. Mit heiserer Stimme rief er den Schnee, den Hagel, die kalten Regenschauer, die grauen Wetterwolken und die schädlichen, stinkenden Nebel herbei. Desgleichen die Winde, von denen der rauhe Nordwind am stärksten bläst! Und alle tobten zumal an diesem heillosen Orte. Lächelnd über dieses Unheil, legte sich der Riese auf Blumen, so durch die Berührung seiner Hand verwelkt waren, auf Blätter, die sein Odem verdorrt hatte. Dann bückte er sich und den Boden mit seinen Nägeln aufscharrend und mit seinen Zähnen aufwühlend, grub er ein Loch hinein, um das Herz der Erde zu suchen und es zu verschlingen. Auch wollte er schattige Wälder zu Kohle, Getreide zu Stroh und die fruchtbare Erde zu Sand machen. Doch da das Herz der Erde von Feuer war, so wagte er es nicht anzurühren und wich scheusam zurück.
Er thronte als König und leerte seinen Becher voll Tran inmitten seiner Bären und Robben und der Gerippe all derer, so er zu Wasser und Land und in den Hütten der Armen getötet hatte.
Wohlgemut hörte er die Bären brummen, die Robben schreien, das Totengebein von Mensch und Tier unter den Krallen von Geiern und Raben klappern, so daran nach einem letzten Bissen Fleisch suchten, und hörte die Eisschollen krachen, die im trüben Wasser widereinander stießen.
Und die Stimme des Riesen war gleichwie das Brüllen der Orkane, das Tosen der Winterstürme und wie der Wind, der in den Kaminen heult.
„Mich friert und ängstet“, sprach Ulenspiegel.
„Er vermag nichts wider die Geister“, antwortete Nele.
Plötzlich entstand ein Aufruhr unter den Robben, die eilends ins Wasser zurückkehrten; die Bären ließen vor Furcht die Ohren hängen und brummten kläglich; und die Raben, vor Angst krächzend, verschwanden in den Wetterwolken.
Und siehe! Nele und Ulenspiegel vernahmen die dumpfen Stöße eines Sturmbocks wider die Eismauer, so dem Riesen Winter als Stütze diente. Und die Mauer spaltete sich und erbebte in ihren Grundvesten.
Aber der Riese Winter hörte nichts und heulte und bellte lustig, füllte und leerte seinen Tranbecher und suchte nach dem Herzen der Erde, um es zu erstarren, und wagte doch nicht, es zu fassen.
Indessen erdröhnten die Stöße stärker und die Mauer barst noch mehr, und der Regen von Eisstücken, so in Splittern abflogen, prasselte ohn Unterlaß um ihn her. Und die Bären brummten allezeit kläglich und die Robben winselten in den trüben Wassern.
Die Mauer stürzte zusammen und der Himmel ward hell. Ein Mann, nackend und schön, eine Hand auf eine güldene Axt stützend, entstieg ihm. Derselbige Mann war Luzifer, der König Lenz. Da der Riese ihn sahe, warf er seinen Tranbecher weit fort und flehete ihn an, ihn nicht zu töten.
Und da König Lenz seinen lauen Odem hauchte, verlor der Riese Winter jegliche Kraft. Da nahm der König demantne Ketten und band ihn damit und fesselte ihn an den Pol.
Sodann hielt er inne und rief, aber inniglich und brünstig. Und vom Himmel kam ein blondhaarig Weib herab, nackend und schön. Sie saß neben dem König nieder und sprach zu ihm:
„Du bist mein Sieger, starker Mann.“
Er antwortete:
„So Du Hunger hast, iß; so Du Durst hast, trinke, und so Du Furcht hast, komm nahe zu mir: ich bin Dein Geselle.“
„Mich hungert und dürstet nur nach Dir“, sprach sie.
Und aber rief der König sieben Mal schrecklich.
Und es ward ein großes Getöse von Donnern und Blitzen, und hinter ihm entstund ein Baldachin von Sonnen und Sternen. Und sie setzten sich auf Throne.
Darauf riefen der König und sein Gemahl; aber ihr edles Angesicht bewegte sich nicht, noch machten sie eine Gebärde, so ihrer Kraft und ruhigen Majestät entgegen war. Und bei diesem Rufen entstand eine wallende Bewegung in der Erde, dem harten Gestein und den Eisblöcken. Und Nele und Ulenspiegel vernahmen ein Geräusch, gleich als ob riesige Vögel die Schale ungeheurer Eier mit Schnabelhieben zerbrächen.
Und in dieser gewaltigen Bewegung des Bodens, der gleich Meereswogen stieg und sank, waren Formen wie die eines Eies. Plötzlich kamen von allen Seiten Bäume heraus, die ihre dürren Zweige durcheinander wirrten, dieweil ihre Stämme wie trunkene Männer schwankten. Dann wichen sie auseinander und ließen einen weiten leeren Raum zwischen sich. Aus dem wallenden Boden kamen die Geister der Erde, aus der Tiefe des Waldes die Waldgeister, aus dem nahen Meere die Wassergeister.
Ulenspiegel und Nele erblickten da schatzhütende Zwerge, bucklig, plattfüßig und zottig, häßlich und fratzenhaft, Fürsten des Gesteins, Waldmänner, so wie Bäume lebten und an Stelle von Mund und Magen ein Bündel Wurzeln am Gesicht trugen, um dergestalt ihre Nahrung aus der Brust der Erde zu saugen; desgleichen die Herrscher der Bergwerke, welche stumm sind, weder Herz noch Eingeweide haben und sich gleich glänzenden Maschinen bewegen. Da waren Zwerge von Fleisch und Bein, so Eidechsenschwänze und Krötenköpfe hatten und auf dem Kopf eine Leuchte trugen. Sie springen zur Nacht dem trunkenen Wanderer oder furchtsamen Reisenden auf die Schultern, springen wieder hinunter, schwenken ihr Lichtlein und führen sie in Sümpfe oder Gräben, denn die armen Wandrer wähnen, daß dieses die Leuchte sei, so in ihrer Behausung brennt.
Da waren auch Blumenmädchen, Blumen von weiblicher Kraft und Gesundheit, nackend und nicht errötend, sondern stolz auf ihre Schönheit und nur in den Mantel ihrer Haare gehüllt. Ihre Augen erglänzten feucht gleichwie Perlmutter im Wasser. Die Haut ihres Körpers war fest, weiß und vom Lichte vergüldet. Aus ihrem roten, offenen Munde ging ein Odem, balsamischer als Jasmin. Sie sind es, die am Abend in Mauern und Gärten, noch lieber in der Tiefe der Wälder auf schattigen Steinen umherstreifen und verliebt nach irgend einer Mannesseele sahen, um sie zu besitzen. So ein junger Knabe und ein Mägdlein an ihnen vorbeigeht, versuchen sie das Mägdlein zu töten, doch da sie es nicht vermögen, hauchen sie der Lieblichen, die noch widerstrebt, Liebessehnsucht ein, auf daß sie sich dem Geliebten hingebe. Denn alsdann hat die Blumenmaid die Hälfte der Küsse.
Ulenspiegel und Nele sahen auch die Schutzgeister der Sterne, die Geister der kalten und warmen Winde und des Regens vom hohen Himmel herabsteigen; es waren geflügelte Jünglinge, so die Erde befruchten.
Alsdann erschienen an allen Punkten des Himmels die Vögel der Seelen, die zierlichen Schwalben. Als sie da waren, schien das Licht heller. Blumenmädchen, Steinfürsten, Herrscher der Bergwerke, Waldmänner, Wasser-, Feuer- und Erdgeister riefen zumal: „Licht, Saft! Ruhm dem König Lenz!“
Ob ihr einstimmig Geschrei zwar mächtiger war, denn das tosende Meer, der krachende Donner und der entfesselte Sturm, so klang es doch Nele und Ulenspiegel gleichwie sanfte Musik in die Ohren. Sie aber saßen reglos und schweigend zusammengekauert hinter dem knorrigen Stamm einer Eiche.
Aber sie fürchteten sich noch mehr, da die Geister sich zu Tausenden wie auf Sessel niederließen auf riesige Spinnen, auf Kröten mit Elefantenrüsseln, auf Schlangenknäule und Krokodile, so auf dem Schwanze stunden und eine Schar Geister im Rachen hielten. Schlangen trugen mehr denn dreißig Zwerge und Zwerginnen, so rittlings auf ihrem schlängelnden Körper saßen, und schier hunderttausend Insekten, größer denn Goliath, mit Degen, Lanzen, gezähnten Sicheln, siebenzinkigen Heugabeln und jeglicher Art von schrecklichen Mordwerkzeuge bewaffnet. Die schlugen auf einander los mit großem Getöse; der Starke fraß den Schwachen, mästete sich an ihm und zeigte also, daß der Tod aus dem Leben und das Leben aus dem Tode entsteht.
Und aus dieser ganzen wimmelnden, drängenden und wirren Menge von Geistern drang ein Geräusch gleichwie dumpfer Donner und der Lärm von hundert Webstühlen, Walkmühlen und Schlosserwerkstätten, die mitsammen arbeiten.
Plötzlich erschienen die Geister des Saftes, kurz und stämmig, mit Lenden, breit wie das große Faß zu Heidelberg und Schenkeln, so gewaltig wie ein Ohm Wein. Und ihre Muskeln waren so seltsam stark und mächtig, daß man hätte sagen mögen, sie seien aus großen und kleinen Eiern gemacht, die aneinandergefügt und mit einer Haut bedeckt waren, welche so rot, fett und glänzend war, wie ihr spärlicher Bart und das rote Haupthaar; und sie trugen ungeheure Humpen voll einer seltsamen Flüssigkeit.
Da die Geister sie kommen sahen, machten sie einen großen Aufstand vor Freuden; die Bäume und Pflanzen schüttelten sich und die Erde barst, um zu trinken.
Und die Geister des Saftes gossen Wein aus, und alsobald knospete, grünte und blühte alles. Der Rasen war voll summender Käfer und der Himmel mit Vögeln und Faltern erfüllt. Die Geister gossen immerdar Wein und die unten empfingen ihn, so gut sie konnten. Die Blumenmädchen öffneten den Mund oder sprangen auf ihre rothaarigen Mundschenken zu und küßten sie, um noch mehr zu bekommen. Etliche falteten die Hände zum Beten; andere ließen es glückselig auf sich herabregnen. Aber alle, ob lüstern oder durstig, fliegend, stehend, laufend oder unbeweglich, trachteten nach dem Wein und wurden nach jedem Tröpflein, so sie auffangen konnten, lebendiger. Und waren keine Greise da, sondern alle, ob häßlich oder schön, waren voll frischer Kraft und lebendiger Jugend.
Und sie lachten, schrien, sangen und verfolgten sich auf den Bäumen gleich Eichkätzchen und in der Luft gleich Vögeln. Jedes Männchen suchte sein Weibchen und übte unter Gottes Himmel das heilige Werk der Natur.
Und die Geister des Saftes brachten dem König und der Königin den großen Becher voll ihres Weines; und der König und die Königin tranken und umarmten sich. Alsdann schüttete der König, sein Gemahl umschlungen haltend, den Rest seines Bechers über die Bäume, die Blumen und Geister und rief: „Ehre sei dem Leben! Ehre der freien Luft! Ehre der Kraft!“
Und alle riefen:
„Ehre sei der Natur! Ehre der Kraft!“
Und Ulenspiegel nahm Nele in seine Arme. Da sie so umschlungen waren, begann ein Tanz. Ein wirbelnder Tanz wie von Blättern, so ein Wirbelwind zusammenraft, wo alles im Schwung war: Bäume, Pflanzen, Käfer, Falter, Himmel und Erde, König und Königin, Blumenmädchen, Bergwerksherrscher, Wassergeister, bucklige Zwerge, auch Steinfürsten, Waldmänner, Leuchtenträger und Schutzgeister der Sterne. Die hunderttausend greulichen Insekten verwirrten ihre Lanzen, gezähnten Sicheln und siebenzinkigen Heugabeln. Es war ein schwindelnder Tanz, der sich in den Weltraum wälzte und ihn erfüllte, und Sonne, Mond, Planeten, Sterne, Wind und Wetterwolken nahmen daran teil.
Und die Eiche, daran Nele und Ulenspiegel sich geklammert hatten, rollte mit im Wirbel, und Ulenspiegel sprach zu Nele:
„Liebchen, wir werden sterben.“
Und ein Geist hörte sie und sahe, daß sie Sterbliche waren.
„Menschen,“ schrie er, „Menschen an diesem Ort!“
Und er riß sie vom Baume los und schleuderte sie in die Menge.
Und Ulenspiegel und Nele fielen weich auf den Rücken der Geister, die sie sich einander zuwarfen und dabei sagten:
„Heil den Menschen! Willkommen Ihr Erdenwürmer! Wer will ein Knäblein und ein Mägdlein haben? Sie machen uns einen Besuch, die Schwächlinge!“
Und Ulenspiegel und Nele flogen von einem zum andern und riefen: „Gnade!“
Aber die Geister hörten sie nicht und alle beide flogen und wirbelten wie Federn im Winterwind, die Beine in der Luft und den Kopf nach unten, derweil die Geister sagten:
„Ehre den Männlein und Weiblein, mögen sie tanzen gleichwie wir.“
Die Blumenmädchen waren willens, Nele von Ulenspiegel zu trennen, schlugen sie und hätten sie getötet, hätte nicht der König Lenz mit einer Gebärde dem Tanz Einhalt geboten und gerufen:
„Man führe diese beiden Flöhe vor meinen Thron!“
Und sie wurden voneinander getrennt, und jegliche Blumenmaid trachtete Ulenspiegel ihren Nebenbuhlerinnen zu entreißen und sprach:
„Tyll, möchtest Du nicht für mich sterben?“
„Ich werde es in Bälde tun“, antwortete Ulenspiegel.
Und die zwergischen Waldgeister, so Nele trugen, sagten:
„Was bist Du nicht Seele wie wir, auf daß wir Dich zu eigen nehmen könnten!“
Nele antwortete:
„Geduldet Euch.“
Und also kamen sie vor des Königs Thron, und sie zitterten schier, da sie seine güldene Axt und seine eiserne Krone ersahen.
Und er sprach zu ihnen:
„Warum seid Ihr hier gekommen, Ihr Schwächlinge?“
Sie antworteten nicht.
„Ich kenne Dich, Du Hexenknospe,“ fügte der König bei, „und auch Dich, Sprößling des Kohlenträgers. Aber da es Euch durch Hexenkunst gelang, in diese Werkstätte der Natur einzudringen, warum habt Ihr jetzo den Schnabel zu wie Kapaune, so mit Brotkrumen gestopft sind?“
Nele erbebte beim Anblick des schrecklichen Teufels. Ulenspiegel aber gewann seine mannhafte Festigkeit wieder und antwortete:
„Klasens Asche brennt mir auf dem Herzen. Göttliche Hoheit, der Schnitter Tod geht durch das Land Flandern und in des Papstes Namen mähet er die stärksten Männer und die holdesten Frauen. Flanderns Privilegien sind zerbrochen, seine Urkunden vernichtet, die Hungersnot nagt an ihm. Seine Weber und Tuchwirker verlassen es, um in der Fremde freie Arbeit zu suchen. Bald wird es sterben, sofern man ihm nicht zu Hilfe kommt. Ihr Hoheiten, ich bin nur ein armer, geringer Bursche, zur Welt gekommen wie ein Jeder; habe gelebt wie ich konnte, unvollkommen, beschränkt, unwissend, nicht tugendhaft noch keusch, und keiner menschlichen noch göttlichen Gnade würdig. Aber Soetkin starb an den Folgen der Tortur und ihres Kummers und Klas verbrannte in einem schrecklichen Feuer, und ich wollte sie rächen und tat es schon einmal. Ich wollte auch diesen armen Boden, in den ihr Gebein gesäet ist, glücklicher sehen, und ich bat Gott um den Tod der Verfolger, aber er erhörte mich nicht. Der Klagen müde, hab’ ich Euch durch Kathelines Zauber beschworen, und ich und meine zage Gesellin kommen zu Euren Füßen, Ihr göttlichen Hoheiten, und bitten Euch um Rettung dieses armen Landes.“
Der König und seine Gefährtin antworteten zumal:
Und alle Geister sangen zumal:
„Jedoch,“ sprach Ulenspiegel, „Hoheit und Ihr Herren Geister, ich verstehe nichts von Eurer Rede. Ohne Zweifel spottet Ihr meiner.“
Die aber sagten, ohne ihn anzuhören:
Und das mit so gewaltigem Einklang und so erschrecklicher Kraft des Schalles, daß die Erde erbebte und die Himmel erzitterten. Und die Falken pfiffen, die Eulen schrien, die Sperlinge piepsten vor Furcht, die Fischadler klagten und alle flatterten ängstlich.
Und die Tiere der Erde: Löwen, Schlangen, Bären, Hirsche, Rehe, Wölfe, Hunde und Katzen brüllten, zischten, schrien, heulten, bellten und miauten erschrecklich.
Und die Geister sangen:
Und die Hähne krähten und alle Geister entwichen, ungerechnet einen bösen Bergwerkskönig, welcher Nele und Ulenspiegel je mit einem Arm packte und sie unsänftiglich ins Leere schleuderte.
Sie fanden sich nebeneinander liegend, wie um zu schlafen, und fröstelten bei dem kalten Morgenwind.
Und Ulenspiegel sah Neles holden Leib ganz gülden in der aufgehenden Sonne.
An diesem Morgen des Herbstmonds nahm Ulenspiegel seinen Stab, drei Gülden, die ihm Katheline gegeben, ein Stück Schweinsleber, eine Schnitte Brot und zog von Damm nach Antwerpen, um die Sieben zu suchen. Nele schlief.
Beim Wandern folgte ihm ein Hund, der ihn der Leber halber beschnüffelte und ihm an die Beine sprang. Ulenspiegel wollte ihn fortjagen, und da er sah, daß der Hund ihm hartnäckig folgte, hielt er ihm diese Rede:
„Ei Hündlein, mein Schatz, Du bist übel beraten, daß Du das Haus verlässest, wo gute Pasteten, auserlesener Abhub von der Tafel und Knochen voll Mark Deiner harren. Du willst aufs Geratewohl einem Landstreicher folgen, der vielleicht nicht allzeit Wurzeln haben wird, um sie Dir als Nahrung zu bieten. Glaube mir, Du unfürsichtiges Hündlein, kehr zu Deinem Herrn zurück. Meide Regen, Schnee, Hagel, Staubregen, Nebel, Glatteis und andere magere Suppen, so auf den Rücken der Landstreicher fallen. Bleibe im Herdwinkel und wärme Dich, zusammengerollt am lustigen Feuer; laß mich in Schlamm, Staub, Kälte und Hitze marschieren; heute gesotten, morgen zu Eis erstarrt, Freitags vollgestopft, Sonntags ausgehungert. Du wirst etwas Gescheites tun, wenn Du hingehst, wo Du hergekommen bist, Du Hündlein mit wenig Erfahrung.“
Das Tier schien Ulenspiegel schlechterdings nicht zu verstehen. Es wedelte mit dem Schwanz und sprang so gut es konnte und bellte vor Begierde. Ulenspiegel glaubte, daß es Freundschaft sei, aber er gedachte nicht der Leber, die er im Ränzel trug. Er wanderte, der Hund lief ihm nach. Da sie also gegen eine Stunde zurückgelegt hatten, sahen sie auf der Landstraße einen Karren mit einem Esel bespannt, welcher den Kopf senkte. Auf einer Böschung am Wegrande saß zwischen zwei Distelsträuchen ein dicker Mann, der in der einen Hand eine Hammelkeule hielt, die er abnagte, in der andern eine Flasche, deren Saft er aussog. Wenn er nicht aß noch trank, so greinte und weinte er.
Da Ulenspiegel stillstand, blieb der Hund gleichermaßen stehen. Er witterte den Hammel und die Leber und lief die Böschung hinan. Da setzte er sich auf die Hinterpfoten neben den Mann und kratzte ihn am Wams, um auch sein Teil von dem Festmahl zu haben. Aber der Mann stieß ihn mit dem Ellenbogen zurück, hielt seine Hammelkeule in die Luft und greinte erbärmlich. Der Hund tat aus Gier das nämliche. Der Esel ward böse, daß er an den Wagen gespannt war und die Disteln nicht erreichen konnte, und hub an zu schreien.
„Was ficht Dich an, Jan?“ fragte der Mann den Esel.
„Nichts,“ antwortete Ulenspiegel, „dafern er nicht von jenen Disteln Imbiß halten möchte, die Euch zur Seiten blühen wie am hohen Chor von Tessenderloo neben und über dem Herrn Christo. Dieser Hund würde auch nicht bös sein, wenn seine Kinnbacken mit dem Knochen, so Ihr da haltet, Hochzeit machen könnten. Indessen will ich ihm die Leber geben, die ich hier habe.“
Nachdem der Hund die Leber gefressen, betrachtete der Mann seinen Knochen, benagte ihn noch mehr, um alles Fleisch, so daran war, zu kriegen, und gab ihn dermaßen abgenagt dem Hunde. Der legte seine Pfoten darauf und machte sich daran, ihn auf dem Rasen zu zermalmen.
Dann blickte der Mann Ulenspiegel an. Und der erkannte Lamm Goedzak aus Damm. „Lamm,“ sagte er, „was tust Du hier, essend, trinkend und bitterlich weinend? Sollte Dir ein Soldat die Ohren ohne die rechte Ehrfurcht eingerieben haben?“
„Wehe, mein Weib“, sagte Lamm.
Er wollte seine Flasche Wein leeren, aber Ulenspiegel legte ihm die Hand auf den Arm.
„Trink nicht also, denn hastig Trinken kommt nur den Nieren zugute. Es sollte lieber dem zuteil werden, der keine Flasche hat.“
„Du redest gut,“ sagte Lamm, „aber wirst Du besser trinken?“
Und er hielt ihm die Flasche hin.
Ulenspiegel nahm sie, hob den Ellenbogen und gab sie ihm zurück.
„Heiß mich Spanier,“ sagte er, „dafern noch genug darin ist, um einen Sperling trunken zu machen.“
Lamm betrachtete die Flasche und ohne mit Greinen innezuhalten, wühlte er in seiner Weidtasche und zog eine andere Flasche und ein anderes Stück Wurst heraus, die er alsogleich in Stücke schnitt und trübsinnig kaute.
„Issest Du ohn Unterlaß, Lamm?“ fragte Ulenspiegel.
„Oftmals, mein Sohn,“ erwiderte Lamm, „aber es geschieht, meine traurigen Gedanken zu vertreiben. Wo bist Du, Weib?“ sagte er und wischte sich eine Zähre ab.
Und er schnitt sich zehn Scheiben Wurst.
„Lamm,“ sprach Ulenspiegel, „iß nicht so rasch und ohne Mitleid für den armen Wallfahrer.“
Lamm gab ihm weinend vier Schnitten und da Ulenspiegel sie verspeiste, ward er von ihrem guten Geschmack gerührt.
Aber Lamm sagte, immerfort weinend und essend:
„Mein Weib, mein gutes Weib! Wie sanft und wohlgeformt war ihr Leib! Sie war leicht wie ein Falter, rasch wie der Blitz und sang gleich einer Lerche. Sie schmückte sich freilich zu gerne mit schönem Putz. Ach, er kleidete sie so gut. Aber die Blumen haben auch reichen Putz. So Du ihre Händlein gesehen hättest, mein Sohn, die so zierlich liebkosten, hättest Du ihnen nimmer erlaubt, Pfanne noch Tiegel anzurühren. Das Küchenfeuer hätte ihre Haut, die so hell wie der Tag war, geschwärzt. Und welche Augen! Ich zerschmolz in Zärtlichkeit beim bloßen Anschauen. / Trink einen Schluck Wein, ich werde nach Dir trinken. Ach, warum ist sie nicht tot! Thyl, ich behielt mir in unserm Haus jegliche Arbeit vor, um ihr die mindeste Mühe zu ersparen. Ich kehrte die Stuben, ich machte das Ehebett, darinnen sie sich am Abend, vom Wohlleben ermüdet, ausstreckte; ich wusch das Geschirr und auch die Wäsche, die ich selbst bügelte. / Iß, Thyl, diese Wurst ist aus Gent. / Oftmals, wenn sie sich draußen erging, kam sie zu spät zum Mittagmahl; aber es war mir so große Freude, sie zu sehen, daß ich nicht wagte, sie zu schmählen. Ich war schier glücklich, so sie mir nachts nicht schmollend den Rücken kehrte. Ich habe alles verloren. / Trink von diesem Wein, er ist vom Brüsseler Weinberg, nach Art des Burgunders.“
„Warum ist sie fortgegangen?“ fragte Ulenspiegel.
„Weiß ich es?“ versetzte Lamm. „Wo ist die Zeit hin, da ich bei ihr aus und ein ging, mit dem Plan, sie zu freien, und sie mich aus Furcht und Liebe floh. Wenn ihre Arme bloß waren, ihre schönen runden weißen Arme, und sie ward inne, daß ich sie anschaute, ließ sie unversehens ihre Ärmel darüber fallen. Zu andern Malen ließ sie sich mein Kosen gefallen und ich konnte sie auf die holden Äuglein küssen, welche sie schloß, und auf den vollen festen Nacken. Dann schauderte sie und schrie ein wenig, neigte den Kopf zurück, und gab mir solcherart einen Nasenstüber. Und sie lachte, wenn ich Au sagte, und ich gab ihr verliebte Schläge und zwischen uns war nichts denn Spiel und Lachen. / Thyl, ist noch Wein in der Flasche?“
„Wohl“, antwortete Ulenspiegel.
Lamm trank und redete weiter:
„Zu andern Zeiten, wenn sie verliebter war, legte sie mir beide Arme um den Hals und sagte: „Du bist schön!“ Und sie küßte mich wie toll und hundert Mal nacheinander auf Wange und Stirn, aber nimmer auf den Mund, und wenn ich sie fragte, woher ihr diese große Sprödigkeit bei so großer Ungezwungenheit komme, lief sie eilends nach einem Humpen, der auf einem Schrein stand, nahm daraus eine Puppe, mit Seide und Perlen angetan, schüttelte und wiegte sie und sprach: „So etwas will ich nicht.“ Ohne Zweifel hatte ihre Mutter, um sie in Sittsamkeit zu bewahren, gesagt, daß die Kinder mit dem Munde gemacht werden. Ach, süße Augenblicke! Holdes Kosen! / Thyl, sieh zu, ob Du nicht einen kleinen Schinken in der Weidtasche findest.“
„Einen halben“, antwortete Ulenspiegel und gab ihn Lamm, der ihn ganz und gar verspeiste.
Ulenspiegel sah ihm zu und sagte:
„Dieser Schinken tut mir im Magen wohl.“
„Mir desgleichen,“ sagte Lamm und stocherte sich die Zähne mit den Nägeln. „Aber ich werde meine Liebste nicht wiedersehen. Sie ist aus Damm entflohen. Willst Du sie mit mir in meinem Wagen suchen?“
„Das will ich“, sagte Ulenspiegel.
„Aber,“ sprach Lamm, „ist nichts mehr in der Flasche?“
„Nichts“, antwortete Ulenspiegel.
Und sie stiegen in den Wagen und wurden von dem Grautier gezogen, welches zum Zeichen der Abfahrt trübselig schrie.
Der Hund aber war, da er sich satt gefressen, ohne ein Wörtlein, davongelaufen.
Da der Wagen zwischen einem Weiher und einem Kanal auf einen Deich rollte, strich Ulenspiegel in tiefem Sinnen kosend über Klasens Asche auf seiner Brust. Er fragte sich, ob das Gesicht Wahrheit oder Lüge sei, ob die Geister seiner gespottet, oder ob sie ihm in Rätseln gesagt hätten, was er wirklich finden müßte, um das Land seiner Väter zu beglücken.
Umsonst zermarterte er sein Hirn, er konnte nicht finden, was die Sieben und der Gürtel bedeuteten.
Wenn er des toten Kaisers, des lebenden Königs, der Regentin, des römischen Papstes, des Großinquisitors, des Jesuitengenerals gedachte, so fand er da sechs große Landeshenker, so er ohne Verzug lebendig hätte verbrennen mögen. Aber er dachte, daß sie es mitnichten seien, denn sie waren zu leicht zu verbrennen, also mußten sie andern Orts sein.
Und er wiederholte sich immerfort im Geiste:
„Ach,“ sprach er zu sich: „In Tod, Blut und Tränen sieben finden, sieben verbrennen, sieben lieben: Mein armer Verstand sucht vergeblich, denn wer verbrennt, was er liebt?“
Da der Wagen schon ein gut Stück Weges verschlungen, hörten sie Schritte auf dem Sand und eine Stimme, die sang:
Ulenspiegel schlug Lamm auf den Bauch und sprach zu ihm:
„Halt den Odem an, Fettwanst.“
„Ach,“ sprach Lamm, „das ist gar hart für einen Mann meines Umfangs.“
Aber Ulenspiegel hörte nicht auf ihn und versteckte sich hinter das Plantuch des Wagens und ahmte die Stimme eines hüstelnden Zechers nach, dieweil er sang:
„Thyl,“ sprach Lamm, „Du hast heute morgen eine schlimme Zunge.“
Ulenspiegel, ohne auf ihn zu hören, steckte den Kopf aus dem Loch der Plandecke und sprach:
„Nele, erkennst Du mich?“
Sie aber, von Furcht ergriffen und in Einem lachend und weinend, denn sie hatte feuchte Wangen, sprach:
„Ich sehe Dich, schlimmer Verräter!“
„Nele,“ sprach Ulenspiegel, „so Du mich schlagen willst, ich habe da drinnen einen Knüttel. Er ist schwer, um die Hiebe eindringlich zu machen, und knotig, um ein Merkmal davon zu hinterlassen.“
„Thyl,“ sprach Nele, „gehst Du den Sieben nach?“
„Ja,“ antwortete Ulenspiegel.
Nele trug ein Ränzel, das jeden Augenblick platzen wollte, so voll war es.
„Thyl,“ sprach sie, es ihm hinhaltend, „ich meinte, es sei einem Menschen ungesund, zu reisen, ohne eine gute, fette Gans, einen Schinken und Genter Würste mitzunehmen. Und dies mußt Du zu meinem Gedächtnis essen.“
Da Ulenspiegel sie anschaute und mitnichten gewillt war, das Ränzel zu nehmen, steckte Lamm den Kopf aus einem andern Loch der Leinwand und sprach:
„Du vorsorgliches Mägdlein, wenn er’s nicht annimmt, geschieht’s aus Vergeßlichkeit. Aber gib mir diese Gans, gib mir diesen Schinken, und dränge mir diese Würste auf; ich werde sie ihm aufheben.“
„Wer ist dies biedere Vollmondsgesicht?“ fragte Nele.
„Das ist ein Opfer des Ehestandes“, antwortete Ulenspiegel. „Von Schmerz verzehrt, würde er wie ein Apfel im Backofen eintrocknen, dafern er nicht seine Kräfte durch unaufhörliche Nahrung ersetzte.“
„Du sagst es, mein Sohn“, seufzte Lamm.
Die strahlende Sonne brannte Nele auf den Kopf und sie schirmte sich mit ihrer Schürze. Da er mit ihr allein sein wollte, sprach er zu Lamm:
„Siehest Du die Frau dort auf der Weide einhergehn?“
„Ich sehe sie!“ sagte Lamm.
„Erkennest Du sie?“
„Ei!“ sagte Lamm, „sollt’ es die meine sein? Sie trägt sich nicht wie eine Bürgersfrau.“
„Du zweifelst noch, blinder Maulwurf“, sagte Ulenspiegel.
„Wenn sie es nun nicht wäre?“ fragte Lamm.
„Du verlierst nichts dabei; dort zur Linken, gen Norden, ist eine Schenke, allwo Du gutes Braunbier finden wirst. Wir wollen Dich dort treffen. Und hier ist Schinken, den natürlichen Durst zu salzen.“
Lamm stieg aus dem Wagen und lief eilends auf die Frau zu, die auf der Weide stand.
Ulenspiegel sagte zu Nele:
„Was kommst Du nicht zu mir?“
Alsdann half er ihr auf den Wagen, setzte sie neben sich, nahm ihr die Schürze vom Kopf und den Mantel von den Schultern. Dann gab er ihr hundert Küsse und sprach:
„Wohin gingest Du, Geliebte?“
Sie erwiderte nichts, aber sie war vor Wonne schier verzückt.
Und Ulenspiegel, gleich ihr entzückt, sagte:
„Da bist Du also! Die wilden Rosen in den Hecken haben nicht die holde Röte Deiner frischen Haut. Du bist keine Königin, aber ich will Dir eine Krone von Küssen machen. Ihr reizenden Arme, so weich und rosig, die Amor mit Fleiß zum Umarmen gemacht hat. Ach, geliebtes Mägdlein, werden meine rauhen Mannshände nicht dieser Schulter den Schmelz rauben? Der leichte Falter setzt sich auf die purpurne Nelke, aber kann ich Tölpel an Deiner weißen Haut ruhen, ohne sie welk zu machen? Gott sitzt im Himmel, der König auf seinem Thron und die Sonne steht siegreich dort oben; aber bin ich Gott, König oder Licht, daß ich Dir so nahe bin? Ihr Haar, weicher denn Flockseide! Nele, ich schlage, ich zerreiße, ich zerstückele Dich! Aber habe keine Furcht, Liebchen. Welch zierliches Füßlein! Woher kommt’s, daß es so weiß ist? Ist es in Milch gebadet?“
Sie wollte aufstehen.
„Was fürchtest Du?“ sprach Ulenspiegel. „Die Sonne scheint auf uns herab und bemalt Dich mit Gold. Schlage nicht die Augen nieder. Sieh, welch schöne Glut sich in den meinen entzündet. Ach Geliebte, höre, mein Schätzlein, es ist die schweigende Stunde des Mittags. Der Arbeiter ist daheim und ißt seine Brühe; könnten wir nicht von Liebe leben? Könnt’ ich doch tausend Jahre auf Deinen Knien einen Rosenkranz von irdischen Perlen abbeten.“
„Schmeichler“, sagte sie.
Und Frau Sonne leuchtete durch das weiße Linnen des Wagens, und eine Lerche sang über dem Klee, und Nele legte ihr Haupt an Ulenspiegels Schulter.
Derweilen kehrte Lamm zurück, schwitzte große Tropfen und schnaufte wie ein Delphin.
„Wehe,“ sagte er, „ich bin unter einem unglücklichen Sterne geboren. Ich habe gewaltig laufen müssen, um zu dieser Frau zu kommen, und es war nicht die meine und war in Jahren; ich sah’s ihr am Gesicht an, daß sie gut fünfundvierzig Jahre zählte, und an der Haube, daß sie niemals verheiratet gewesen. Sie fragte mich keifend, was ich mit meinem Wanst im Kleefelde wollte. „Ich suche mein Weib, das mich verlassen hat,“ antwortete ich sanftmütig, „und da ich Euch für sie hielt, bin ich Euch nachgelaufen.“
Auf diese Rede sagte mir die bejahrte Jungfer, daß ich nur wieder hingehen solle, von wo ich gekommen sei. So mein Weib mich verlassen hätte, so wär’ es wohl getan, in Ansehung daß alle Männer Spitzbuben, Lumpen, Ketzer, Treulose, Vergifter seien und die Jungfrauen ohngeachtet ihres reifen Alters betrögen. Im übrigen werde sie mich von ihrem Hund fressen lassen, so ich mich nicht flugs davon höbe.
„Solches tat ich, nicht ohne Furcht, denn ich nahm einen großen Schäferhund wahr, der knurrend zu ihren Füßen lag. Als ich die Grenze ihres Feldes überschritten hatte, saß ich nieder, und um mich zu erholen, biß ich in Dein Stück Schinken. Ich befand mich just zwischen zwei Kleeäckern; mit einem Mal hörte ich ein Geräusch hinter mir, und da ich mich umwandte, sah ich den großen Schäferhund der alten Jungfrau, nicht mehr dräuend, sondern lieblich und hungrig mit dem Schwanze wedelnd. Er wollte meinem Schinken zu Leibe. Ich gab ihm also etliche Stücklein, als seine Herrin herbeikam und schrie:
„Faß den Mann! Schnapp zu, mein Sohn!“
Und ich hub an zu laufen und der große Köter hinterdrein, so aus meinen Hosen einen Fetzen herausriß und mit dem Fetzen ein Stück Fleisch. Vor Schmerz ward ich wütend, drehte mich nach ihm um und gab ihm einen so trefflichen Stockhieb über die Vorderpfoten, daß ich ihm zum Wenigsten eine zerbrach. Er stürzte und schrie in seiner Hundesprache: Erbarmen! welches ich ihm bewilligte. Derweil bewarf mich seine Herrin, da es ihr an Steinen mangelte, mit Erde. Und ich lief weiter. / Weh! Ist es nicht grausam und ungerecht, daß, weil eine Jungfer nicht schön genug ist, um einen Freier zu finden, sie sich an armen Unschuldigen wie ich räche?
„Ich begab mich jedoch, Trübsal blasend, zu der Schenke, die Du mir bezeichnet hattest, verhoffend, dort das tröstliche Braunbier zu finden. Aber ich ward betrogen, denn beim Eintreten sah ich einen Mann und ein Weib, die sich prügelten. Ich bat sie: „Geruhet Eure Schlacht zu unterbrechen und mir einen Krug Braunbier zu geben, und wäre es auch nur eine Kanne oder sechs.“ Doch das Weib, ein wahrer Stockfisch, antwortete mir wütend, sie werde mich den Holzschuh, womit sie ihrem Mann auf den Kopf schlug, fressen lassen, so ich mich nicht augenblicks von dannen machte. Und da bin ich, mein Freund, schweißtriefend und gar müde. Hast Du nichts zu essen?“
„Wohl“, antwortete Ulenspiegel.
„Endlich“, sprach Lamm.
Also vereint, reisten sie in Gemeinschaft. Der Esel legte die Ohren an und zog den Wagen.
„Lamm,“ sprach Ulenspiegel; „wir sind unser vier gute Gefährten: der Esel, das Tier, so unsern Herrn trug und auf den Triften die Disteln weidet, die es findet; Du, guter Dickbauch, der die sucht, die Dich flieht; und sie, die holde Liebste mit dem zärtlichen Herzen, die den findet, der dessen nicht würdig, das bin ich, der vierte.
„Wohlan, frischauf, Kinder und guten Mut. Die Blätter vergilben, die Gestirne werden glänzender; bald wird Frau Sonne in herbstlichen Nebeln schlafen gehen. Winter, des Todes Ebenbild, wird kommen und sie mit schneeigen Leintüchern zudecken, die unter unsern Füßen schlummern; ich aber werde wandern für die Wohlfahrt des Landes meiner Väter. Ihr armen Toten, Soetkin, die Du an Herzeleid starbst, und Klas, der Du im Feuer umkamst: Eiche voller Güte und Efeu voller Liebe: ich, Euer Sprößling bin voller Harm und werde Dich rächen, teure Asche, die auf meinem Busen brennt.“
Lamm sagte:
„Man soll nicht beweinen, die um der Gerechtigkeit willen sterben.“
Aber Ulenspiegel verharrte in Gedanken. Plötzlich sagte er:
„Diese Stunde, Nele, ist die Stunde des Scheidens für gar lange Zeit, und vielleicht werde ich nimmer Dein holdes Angesicht wiedersehen.“
Nele blickte ihn an mit ihren Augen, die wie Sterne leuchteten.
„Warum lässest Du nicht diesen Wagen und kommst mit mir in den Wald, wo Du leckere Nahrung fändest; denn ich kenne die Pflanzen und verstehe die Vögel zu locken.“
„Mägdlein,“ sprach Lamm, „es ist bös von Dir, daß Du Ulenspiegel unterwegs aufhalten willst; er soll die Sieben suchen, und mir helfen, mein Weib wiederzufinden.“
„Noch nicht“, erwiderte Nele und weinte und lachte, zärtlich unter Tränen, ihrem Freund Ulenspiegel zu.
Da Ulenspiegel dies sah, antwortete er:
„Dein Weib findest Du immer noch zeitig genug, wenn Dich nach neuem Leide gelüstet.“
„Thyl,“ sagte Lamm, „willst Du mich also in meinem Wagen allein lassen dieses Mägdleins halber? Du antwortest mir nicht und gedenkst an den Wald, worinnen die Sieben nicht sind, noch auch mein Weib. Laß sie uns lieber auf diesem Fahrdamm suchen, auf dem die Wagen so trefflich rollen.“
„Lamm,“ sagte Ulenspiegel, „Du hast eine volle Weidtasche im Wagen, somit wirst Du nicht Hungers sterben, wenn Du ohne mich nach Koelkerke gehst, allwo ich Dich einholen werde. Du mußt dort allein sein, denn da wirst Du erfahren, nach welchem Punkt Du Dich wenden mußt, um Dein Weib wiederzufinden. Vernimm denn und höre. In diesem Schritte wirst Du drei Meilen von hier mit Deinem Wagen nach Koelkerke fahren, der kühlen Kirche, also genannt, weil sie von den vier Winden zumal bestrichen wird, wie viele andere. Auf dem Glockenturm ist eine Wetterfahne in Gestalt eines Hahnes, die dreht sich auf ihren verrosteten Angeln nach allen Seiten. Das Kreischen dieser Angeln zeigt den armen Männern, so ihre Liebste verloren haben, den Weg an, den sie einschlagen müssen, um sie wiederzufinden. Aber zuvor muß jegliche Seite der Mauer siebenmal mit einer Haselrute geschlagen werden. Kreischen die Angeln, wenn der Wind von Norden kommt, so mußt Du nach jener Seite gehen; aber fürsichtig, denn Nordwind ist Kriegswind; wenn von Süden, geh frohgemut dorthin, das ist der Wind der Liebe. Kommt der Wind von Osten, so lauf in Trab, denn der bedeutet Frohsinn und Licht; von Westen / dann geh sacht, das ist der Wind des Regens und der Tränen. Geh, Lamm, geh nach Koelkerke und harre dort mein.“
„Ich gehe hin,“ sagte Lamm.
Und er fuhr im Wagen von dannen.
Dieweil Lamm gen Koelkerke fuhr, jagte der starke, warme Wind die grauen Wolken gleich einer Schafherde über den Himmel hin. Die Bäume rauschten wie die Wogen eines brandenden Meeres. Ulenspiegel und Nele waren seit geraumer Zeit allein im Walde. Ulenspiegel hatte Hunger und Nele suchte wohlschmeckende Wurzeln und fand nur Küsse, die ihr Freund ihr gab, und Eicheln. Nachdem Ulenspiegel Schlingen aufgestellt hatte, pfiff er, um die Vögel zu locken, auf daß er die, welche hineingingen, briete. Eine Nachtigall setzte sich auf die Blätter nahe zu Nele; sie wollte sie singen lassen und fing sie nicht. Eine Grasmücke kam, und sie hatte Mitleid mit ihr, weil sie so stolz war. Alsdann kam eine Lerche, aber Nele sprach zu ihr, daß sie besser täte, in Himmelshöhen der Natur ein Loblied zu singen, denn sich ungeschickt über der mörderischen Spitze eines Spießes abzuzappeln. Und sie redete wahr, maßen Ulenspiegel in der Zwischenzeit ein helles Feuer entzündet und einen Spieß geschnitzt hatte, der seiner Opfer harrte.
Aber die Vögel kamen nicht mehr, es sei denn etliche bösen Raben, die sehr hoch ob ihren Häuptern krächzten.
Und also aß Ulenspiegel nicht.
Indessen mußte Nele fort und zu Katheline heimkehren.
Sie wanderte weinend, und Ulenspiegel sah sie von ferne schreiten. Aber sie kehrte um, fiel ihm um den Hals und sprach:
„Ich gehe von hinnen.“
Alsdann tat sie etliche Schritte, kam wieder zurück und sagte abermals:
„Ich gehe von hinnen.“
Und so zwanzig Mal aufeinander und noch mehr.
Dann ging sie fort, und Ulenspiegel blieb allein. Er machte sich alsbald auf den Weg, um Lamm einzuholen.
Da er zu ihm stieß, fand er ihn unten am Turm sitzen, einen großen Krug Braunbier zwischen den Beinen und trübselig an einer Haselgerte kauend.
„Ulenspiegel,“ sagte er, „ich vermeine, daß Du mich nur hierher geschickt hast, um mit dem Mägdlein allein zu bleiben. Ich habe siebenmal mit der Haselrute an jede Seite des Turmes geschlagen, wie Du mich geheißen, aber ob der Wind gleich wie ein Teufel bläst, haben die Angeln nicht gekreischt.“
„Man wird sie ohne Zweifel geölt haben“, antwortete Ulenspiegel.
Dann machten sie sich auf nach dem Herzogtum Brabant.
König Philipp, der finstere, kritzelte den ganzen Tag lang und selbst die Nacht ohne Rast noch Ruh und beschmierte Papiere und Pergamente. Ihnen vertraute er die Gedanken seines harten Herzens an. Da er sein Lebenlang keinen Menschen geliebt und wohl wußte, daß keiner ihn liebte, auch gewillt war, sein ungeheures Reich allein zu tragen, brach er, ein kläglicher Atlas, unter der Last zusammen. Trägen Blutes und trübsinnig, wie er war, zehrten seine übermäßigen Anstrengungen an seinem schwachen Körper. Voller Abscheu gegen jedes fröhliche Gesicht, haßte er unsere Lande ihres heiteren Sinnes halber, haßte unsere Kaufherren um ihrer Prachtliebe und ihres Reichtums willen, unsern Adel ob seiner freimütigen Reden, seines offenherzigen Gehabens und der strotzenden Kraft seines rechtschaffenen Frohsinns. Er wußte, denn man hatte es ihm gesagt, daß sich in unsern Landen die Empörung gegen den Papst und die römische Kirche in unterschiedlichen Sekten geoffenbart hatte und in allen Köpfen, gleich siedendem Wasser in einem geschlossenen Kessel war. Und dieses lange, ehe der Bischof van Cusa um das Jahr 1380 die Mißbräuche der Kirche angezeigt und die Notwendigkeit der Reformen gepredigt hatte. Gleich einem starrköpfigen Maultier glaubte er, daß sein Wille wie der Wille Gottes auf der ganzen Welt lasten müsse. Er wollte, daß unsere Länder, des Gehorchens entwöhnt, sich unter das alte Joch beugten, ohne irgend eine Reform zu erlangen. Er wollte Seine heilige Mutter Kirche katholisch, apostolisch und römisch haben, einig, ungeteilt und allgemein, ohne Neuerung noch Änderung, und hatte keinen andern Grund es zu wollen, als weil er es wollte. Auch hierin handelte er wie ein unvernünftiges Weib und wälzte sich nachts in seinem Bett wie auf einem Dornenlager, ohn Unterlaß von seinen Gedanken gepeinigt.
„Ja, Sankt Philippus, ja Herr Gott, sollte ich auch aus den Niederlanden eine große Gruft machen und alle Einwohner hineinwerfen, so würden sie zu Euch, mein benedeiter Schutzpatron, und auch zu Euch, heilige Frau Maria, und zu Euch, Ihr heiligen Männer und Frauen des Paradieses, zurückkehren.“ Und er versuchte zu tun, wie er gesagt, und also ward er römischer denn der Papst und katholischer denn die Konzile.
Und Ulenspiegel und Lamm und das Volk Flanderns und der Niederlande glaubten voll Bängnis, in der Ferne, in dem düstern Palast von Eskurial, diese gekrönte Spinne zu sehen, so mit ihren langen Beinen und geöffneten Zangen ihr Netz spannte, um sie darein zu verstricken und ihnen ihr Herzblut auszusaugen.
Ohngeachtet die päpstliche Inquisition unter Karls Regierung hunderttausend Christen durch Scheiterhaufen, Grube und Strang getötet hatte; ohngeachtet die Vermögen der armen Verurteilten in die Truhen des Kaisers und des Königs gelaufen waren, wie Regen in die Dachtraufe, vermeinte Philipp, daß solches nicht genug sei. Er drängte dem Lande neue Bischöfe auf und vermaß sich, die hispanische Inquisition dort einzuführen.
Und die Herolde in den Städten lasen überall beim Schall der Trompeten und Schellentrommeln Edikte vor, so für alle Ketzer, Männer, Frauen und Jungfrauen bestimmten: den Feuerstod für die, so ihren Irrglauben nicht abschworen, den Tod durch den Strang für die, so widerriefen. Frauen und Jungfrauen sollten lebendig begraben werden, und der Henker sollte auf ihren Leibern tanzen.
Und das Feuer des Aufstandes lief durch das ganze Land.
Am fünften April vor Ostern traten die Herren Graf Ludwig von Nassau, von Kuilenburg, von Brederode, der herkulische Zecher, mit dreihundert andern Edelleuten in den Burghof zu Brüsselen zur Frau Herzogin Regentin von Parma. In Reihen zu Vieren stiegen sie die große Treppe des Palastes hinauf. Da sie in die Halle kamen, darin Ihre Hoheit verweilte, überreichten sie ihr eine Bittschrift. In selbiger baten sie sie, von König Philipp die Abschaffung der Verordnungen zu erlangen, so die Sache der Religion, desgleichen die hispanische Inquisition beträfen. Sie erklärten, daß in unseren unzufriedenen Ländern daraus nichts denn Unruhen, Trümmer und allgemeines Elend entstehen können.
Und diese Bittschrift ward der Kompromiß genannt.
Berlaymont, welcher nachmals so verräterisch und grausam gegen das Land seiner Väter war, stund neben Ihrer Hoheit und sagte zu ihr, der Armut von etlichen unter den edlen Verbündeten spottend:
„Edle Herrin, fürchtet nichts, es sind nur Bettler.“
Damit meinte er, daß diese Adligen sich in des Königs Dienst zugrunde gerichtet hätten oder vielmehr, indem sie es durch ihren Aufwand den spanischen Rittern gleichtun wollten.
Um die Worte des Herrn von Berlaymont mit Verachtung zu strafen, erklärten die Ritter nachmals, „daß sie es sich zur Ehre anrechneten, für den Dienst des Königs und dieser Länder als Bettler (Geusen) erachtet und also geheißen zu werden.“
Sie begannen, güldene Schaumünzen um den Hals zu tragen, die auf einer Seite des Königs Bildnis trugen und auf der andern zwei Hände, so sich um einen Bettelsack ineinander schlangen. Dazu die Worte: „Getreu dem König bis zum Bettelsack“. Auch trugen sie an ihren Hüten und Kappen güldne Kleinodien in Gestalt von Eßnäpfen und Bettlerhüten.
Derweilen führte Lamm seinen Bauch durch die ganze Stadt, suchte sein Weib und fand es nicht.
Ulenspiegel sprach eines Morgens zu ihm:
„Folge mir nach. Wir wollen eine hohe, edle, mächtige und gefürchtete Person begrüßen.“
„Wird sie mir sagen, wo mein Weib ist?“ fragte Lamm.
„Wenn sie es weiß“, entgegnete Ulenspiegel.
Und sie begaben sich zu Brederode, dem herkulischen Zecher. Er stand im Hofe seines Palastes.
„Was begehrst Du von mir?“ fragte er Ulenspiegel.
„Mit Euch zu reden, edler Herr,“ antwortete Ulenspiegel.
„So rede“, sprach dagegen Brederode.
„Ihr seid,“ sagte Ulenspiegel, „ein schöner, kühner und starker Ritter. Einstmals erdrücktet ihr einen Franzosen in seinem Panzer wie ein Muscheltier in seiner Schale. Aber wie Ihr stark und kühn seid, so seid Ihr auch klug. Warum tragt Ihr denn diese Schaumünze, auf der ich lese: „Getreu dem König bis zum Bettelsack?“
„Ja,“ sprach Lamm, „warum also, edler Herr?“
Aber Brederode antwortete ihm nicht, sondern schaute Ulenspiegel an. Dieser redete weiter und sprach:
„Warum wollt Ihr edlen Herren dem König bis zum Bettelsack treu sein? Ist es, dieweil er Euch so gar wohl will, oder der schönen Freundschaft halber, die er für Euch hegt? Was schaffet Ihr nicht, daß der Henker, seiner Länder beraubt, allzeit dem Bettelsack getreu sei, anstatt daß Ihr ihm bis zum Bettelsack getreu seid?“
Und Lamm nickte mit dem Kopfe zum Zeichen der Zustimmung.
Brederode schaute Ulenspiegel mit seinem durchdringenden Blick an und lächelte, da er sein gutes Gesicht sah.
„So Du nicht ein Spion des Königs Philipp bist, bist Du ein guter Vlamländer, und ich will Dich für beide Fälle belohnen.“
Er führte ihn in sein Speisezimmer, und Lamm folgte ihnen. Daselbst zerrte er ihn am Ohr bis aufs Blut.
„Das ist“, sagte er, „für den Spion.“
Ulenspiegel schrie nicht.
„Bringe den Kessel mit Zimmetwein“, sprach er zu seinem Kellermeister.
Der Kellermeister brachte den Kessel herbei und einen großen Humpen mit Glühwein, der die Luft mit Wohlgeruch erfüllte.
„Trink,“ sprach Brederode, „dies ist für den guten Vlamländer.“
„Ei,“ sagte Ulenspiegel, „das ist ein guter Vlamländer, der spricht eine zimmetgewürzte Sprache, die Heiligen sprechen keine bessere.“
Nachdem er die Hälfte des Weins getrunken, reichte er Lamm die andere.
„Wer ist dieser dickwanstige Freßsack, der belohnt wird, ohne daß er etwas getan hat?“ fragte Brederode.
„Das ist mein Freund Lamm,“ versetzte Ulenspiegel, „der allemal, wenn er Glühwein trinkt, sich einbildet, daß er sein Weib wiederfinden wird.“
„So ist’s“, sprach Lamm, der mit großer Andacht den Wein aus dem Humpen schlürfte.
„Wohin geht Ihr jetzo?“ fragte Brederode.
„Wir sind auf der Suche nach den Sieben, die das Land Flandern retten werden.“
„Welche Sieben?“ fragte Brederode.
„Wenn ich sie gefunden habe, werde ich Euch sagen, wer sie sind,“ antwortete Ulenspiegel.
Aber Lamm, guter Dinge, dieweil er getrunken hatte, sagte:
„Tyll, wenn wir mein Weib auf dem Mond suchten?“
„Bestell die Leiter“, antwortete Ulenspiegel.
Im Mai, dem grünen Monat, sagte Ulenspiegel zu Lamm:
„Nun haben wir den schönen Maimond. Ei, der klare blaue Himmel, die fröhlichen Schwalben. Siehe, die Zweige sind heiß von Saft, das Land ist voller Liebe, das ist der Augenblick, um des Glaubens willen zu henken und zu brennen. Sie sind da, die guten kleinen Inquisitoren. Welch edle Gesichter! Sie haben jegliche Gewalt, zu züchtigen, zu strafen, abzusetzen und den weltlichen Richtern zu überantworten, auch ihre Gefängnisse zu benutzen. / Ei, der schöne Maimond! / Sie können gefangen nehmen, Prozesse führen, ohne sich der gewöhnlichen Form der Justiz zu bedienen, können brennen, henken, enthaupten und für die armen Frauen und Jungfrauen die Grube des vorzeitigen Todes graben. / Die Finken singen in den Bäumen. Die guten Inquisitoren haben ein Auge auf die Reichen. Und der König wird erben. Auf, ihr Mägdlein, tanzet auf der Wiese beim Schall von Dudelsack und Schalmei. O, der Wonnemond!“
Klasens Asche brannte auf Ulenspiegels Brust.
„Laß uns gehen,“ sprach er zu Lamm. „Glücklich, die den Mut aufrecht und den Degen hoch halten in den düstren Tagen, die da kommen werden.“
Eines Tages im Augustmonat ging Ulenspiegel in der flandrischen Straße zu Brüssel vor dem Hause von Jan Potztausend vorbei, welcher also genannt ward, weil sein väterlicher Großvater im Zorn so zu fluchen pflegte, um nicht den allerheiligsten Namen Gottes zu lästern. Besagter Potztausend war seines Zeichens Sticker; aber da er durch unmäßiges Trinken taub und blind geworden, stickte sein Weib, eine alte Gevatterin mit mürrischer Miene, an seiner Statt die Röcke, Wämser, Mäntel und Schuhe der Herren. Ihr hübsches Töchterlein half ihr bei dieser einträglichen Arbeit.
Da Ulenspiegel zur Dämmerstunde vor sotanem Hause vorüberging, sah er das Mägdlein am Fenster und hörte es rufen:
„Ich,“ sprach Ulenspiegel, „so Du willst.“
„Du?“ fragte sie. „Komm näher, daß ich Dich betrachte.“
Aber er:
„Wie kommt’s, daß Du im Augustmond rufst, und daß die Brabanter Mägdlein am Vorabend des März rufen?“
„Die,“ sagte sie, „haben nur einen Monat, ihnen einen Mann zu bescheren, ich habe deren zwölf. Am Vorabend eines jeden / nicht um Mitternacht, sondern in den sechs Stunden vor Mitternacht / springe ich aus meinem Bett, mache drei Schritte rückwärts gegen das Fenster und rufe, was Dir bekannt ist. Dann kehre ich um und mache drei Schritte rückwärts gegen das Bett, und um Mitternacht leg ich mich nieder, schlafe ein und träume von dem Mann, den ich bekommen werde. Aber die Monate, die lieben Monate, sind von Natur schlimme Spötter, und so träume ich nicht mehr von einem Mann, sondern von zwölfen auf einmal: Du wirst der dreizehnte sein, wenn Du willst.“
„Die andern möchten eifersüchtig werden,“ antwortete Ulenspiegel. „Du rufst auch: Erlösung?“
Das Mägdlein errötete und gab zur Antwort:
„Ich rufe Erlösung und weiß, was ich begehre.“
„Ich weiß es gleichfalls und bringe es Dir.“
„Du mußt warten,“ sagte sie lächelnd und zeigte ihre weißen Zähne.
„Warten?“ sagte Ulenspiegel, „nein! Ein Haus kann mir auf den Kopf fallen, ein Windstoß mich in einen Graben werfen, ein toller Köter mich ins Bein beißen; nein, ich werde nicht warten.“
„Ich bin zu jung,“ sprach sie, „und rufe nur, weil es Brauch ist.“
Ulenspiegel ward argwöhnisch, gedenkend, daß die Brabanter Jungfrauen am Vorabend des März und nicht im Erntemond nach einem Manne rufen.
Sie sagte lächelnd:
„Ich bin zu jung und rufe nur, weil es Brauch ist.“
„Willst Du warten, bis Du zu alt bist?“ erwiderte Ulenspiegel. „Das ist eine schlechte Rechenkunst. Ich habe nimmer einen so runden Hals und weiße Brüste gesehen, Brüste einer Vlamländerin, voll der guten Milch, die Männer macht.“
„Voll? noch nicht, voreiliger Wanderer“, sagte sie.
„Warten“, wiederholte Ulenspiegel. „Soll ich etwa keine Zähne mehr haben, um Dich, Holde, ganz roh zu verschlingen? Du antwortest nicht, Du lächelst mit Deinen klaren, braunen Augen und Deinem kirschroten Mündlein.“
Das Mägdlein sah ihn listig an:
„Warum liebst Du mich so schnell? Welch Handwerk treibst Du? Bist Du ein Bettler, bist Du reich?“
„Ich bin ein Bettler und auch reich, so Du mir Deinen reizenden Leib gibst.“
Sie entgegnete:
„Nicht das will ich wissen. Gehest Du zur Messe? Bist Du ein guter Christ? Wo wohnest Du? Würdest Du zu sagen wagen, daß Du ein Bettler, ein Geuse, ein wirklicher Geuse bist, der sich wider die Dekrete und die Inquisition auflehnt?“
Klasens Asche brannte auf Ulenspiegels Brust.
„Ich bin ein Geuse,“ sagte er, „und will die Unterdrücker der Niederlande tot und von den Würmern gefressen sehen. Du schaust mich an, Geliebte. Das Feuer der Liebe, das für dich, Holde, brennt, ist das Feuer der Jugend, Gott entzündete es, es flammet, wie die Sonne leuchtet, bis daß es erlischt. Aber das Feuer der Rache, so in meinem Herzen glimmt, hat Gott gleichermaßen entzündet. Es wird Schwert, Feuer, Strang, Feuersbrunst, Verwüstung, Krieg und Untergang der Henker sein.“
„Du bist schön,“ sprach sie traurig und küßte ihn auf beide Wangen; „aber schweige.“
„Warum weinest Du?“ fragte er.
„Du mußt hier und wo immer Du bist, acht geben“, sagte sie.
„Haben diese Wände Ohren?“ fragte er.
„Sie haben nur die meinen“, sprach sie.
„Von Amor gemeißelt, ich schließe sie mit einem Kuß.“
„Törichter Freund, hör mich an, wenn ich spreche.“
„Warum? Was hast Du mir zu sagen?“
„Hör mich an,“ sprach sie voll Ungeduld. „Da kommt meine Mutter ... Schweige, schweige sonderlich vor ihr ...“
Die alte Potztausend kam herein. Ulenspiegel sprach zu sich, indem er sie betrachtete:
„Ein Gesicht, wie ein Schaumlöffel durchlöchert, Augen mit hartem und falschem Blick, ein Mund, der lachen will, und Fratzen, Ihr macht mich neugierig.“
„Gott sei mit Euch, Herr, mit Euch immerdar“, sagte die Alte. „Ich habe Geld empfangen, Töchterlein, schönes Geld vom Herrn van Egmont, da ich ihm seinen Mantel brachte, auf den ich die Narrenkappe gestickt hatte. Ja, Herr, eine Narrenkappe wider den Roten Hund.“
„Den Kardinal von Granvella?“ fragte Ulenspiegel.
„Ja“, sagte sie, „wider den Roten Hund. Man sagt, daß er dem König ihre Anschläge hinterbringt; sie wollen ihn umbringen. Sie haben recht, ist es nicht so?“
Ulenspiegel antwortete nicht.
„Ihr sahet sie nicht auf den Straßen mit einem Wams und einem grauen Oberkleid, wie das Volk es trägt, mit langen, hängenden Aermeln und Mönchskapuzen und auf all den grauen Oberkleidern die gestickte Narrenkappe. Ich habe ihrer zum mindesten siebenundzwanzig gemacht und mein Töchterlein fünfzehn. Das erboste den Roten Hund, diese Kappen zu sehen.“
Dann flüsterte sie Ulenspiegel ins Ohr:
„Ich weiß, daß die Herren beschlossen haben, die Kappe durch ein Aehrenbündel zu ersetzen, zum Zeichen der Einigkeit. Ja, ja sie wollen wider König und Inquisition kämpfen. Sie tun wohl daran, nicht so, Herr?“
Ulenspiegel antwortete nicht.
„Der fremde Herr braut Trübsal,“ sagte die Alte. „Sein Schnabel ist mit einem Mal zu.“
Ulenspiegel ließ kein Wort fallen und ging.
Alsbald kehrte er in eine Musikschenke ein, um das Trinken nicht zu vergessen. Die Schenke war voll von Zechern, die sprachen ohne alle Fürsicht vom König, den verhaßten Dekreten, der Inquisition und dem Roten Hund, so gezwungen werden müßte, das Land zu verlassen. Da sah er die Alte ganz zerlumpt und dem Anschein nach schlafend bei einem Schöpplein Branntwein. Also verharrte sie eine lange Weile, dann zog sie einen kleinen Teller aus ihrer Tasche, und er sah sie unter den Zechern betteln, sonderlich bei denen, so am unfürsichtigsten redeten.
Und die guten Tröpfe gaben ihr Gülden, Heller und Pfennige, ohne zu knausern.
Ulenspiegel, verhoffend, daß er von dem Mägdlein erfahren würde, was ihm die alte Potztausend nicht sagte, ging wiederum vor das Haus und erblickte das Mägdlein, das nicht mehr rief, sondern ihm zulächelte und süß verheißend mit den Augen zwinkerte.
Die Alte kehrte unversehens heim.
Ulenspiegel, erbost sie zu sehen, rannte wie ein Hirsch durch die Gasse und schrie: „Es brennt, es brennt“, bis er vor dem Hause des Bäckers Jakob Pietersen angelangt war. Die Fensterscheiben waren nach deutscher Art und flammten rot in der untergehenden Sonne. Ein dicker Rauch von Scheiten, so im Backofen zu Kohle wurden, entstieg der Esse der Bäckerei. Ulenspiegel rannte unaufhörlich und schrie: „Es brennt, es brennt“, und zeigte auf Jakob Pietersens Haus. Die Menge sammelte sich davor, sah die roten Fensterscheiben und den dicken Rauch und schrie gleich wie Ulenspiegel: „Es brennt, es brennt“. Der Wächter Unserer lieben Frau von der Kapellen stieß ins Horn, dieweil der Küster aus Leibeskräften die Feuerglocke, „Wacharm“ genannt, läutete. Und die Büblein und Dirnlein liefen pfeifend und singend in Schwärmen herzu.
Da Glocke und Trompete immerwährend erschallten, schnürte die alte Potztausend ihr Bündel und ging von dannen.
Ulenspiegel erspähte sie. Als sie fern war, trat er ins Haus.
„Du hier,“ sagte das Mägdlein, „so brennt es dorten nicht?“
„Da? nein“, antwortete Ulenspiegel.
„Aber die Glocke, die läutet?“
„Sie weiß nicht, was sie tut“, antwortete Ulenspiegel.
„Und diese klägliche Trompete und all das rennende Volk?“
„Die Zahl der Narren ist unendlich.“
„Was brennt denn?“
„Deine Augen und mein entflammtes Herz“, erwiderte Ulenspiegel.
Und er flog an ihren Mund.
„Du issest mich auf“, sagte sie.
„Ich habe die Kirschen gern“, sagte er.
Sie blickte ihn lächelnd und betrübt an. Plötzlich sagte sie weinend: „Komm nicht mehr hierher. Du bist ein Geuse und Feind des Papstes, komme nicht wieder ...“
„Deine Mutter!“ sagte er.
„Ja,“ sprach sie errötend. „Weißt Du, wo sie zur Stunde ist? Sie horcht da, wo es brennt. Weißt Du, wohin sie alsbald gehen wird? Zum Roten Hund, um alles zu berichten, was sie weiß, und dem Herzog, der da kommen wird, das Werk zu bereiten. Flieh, Ulenspiegel, ich rette Dich, flieh. Noch einen Kuß, aber komm nicht wieder; noch einen, Du bist schön, ich weine / aber geh.“
„Wackeres Mägdlein“, sprach Ulenspiegel und hielt sie umfangen.
„Ich war es nicht allezeit,“ sagte sie. „Ich war wie sie ...“
„Dies Singen,“ sagte er „diese stummen Rufe der Schönheit für verliebte Männer?“ ...
„Ja“, sprach sie. „Meine Mutter wollt’ es so. Dich rette ich, denn ich liebe Dich inniglich. Die andern werde ich Dir zum Andenken retten, mein Geliebter. Wenn du ferne sein wirst, wird dich dein Herz zu dem reuigen Mädchen ziehen? Küß mich, Herzliebster. Es wird nimmermehr um Geld Opfer zum Scheiterhaufen liefern. Geh; nein, verweile noch. Wie weich deine Hand ist. Halt, ich küsse deine Hand, das ist das Zeichen der Knechtschaft. Du bist mein Herr. Horch, komm näher, aber schweige. Diese Nacht sind Männer ins Haus gekommen, Lumpen und Spitzbuben, einer nach dem andern, und unter ihnen ein Italiener. Meine Mutter hieß sie, in das Gemach eintreten, in dem du jetzo bist, befahl mir herauszugehen und schloß die Türe. Ich hörte diese Worte „Steinernes Kruzifix, Tor von Borgerhout, Prozession, Antwerpen, Unsere liebe Frau ...“ ersticktes Gelächter und das Klimpern von Gülden, so auf den Tisch gezählt wurden. ... Flieh, da sind sie; flieh, mein Geliebter. Halt mich in liebem Gedenken; flieh!“ ...
Ulenspiegel lief, wie sie ihn hieß, bis „In den ouden Haen“ und fand allda Lamm, welcher Trübsal braute, eine Wurst knabberte und seine siebente Kanne Löwener Peterman schlürfte.
Und er zwang ihn, gleich ihm zu laufen, ohngeachtet seines Bauches.
Dieweil er so im Schnelltrabe rannte und Lamm hintendrein, fand er in der Eikenstraat ein boshaftes Pasquill gegen Brederode. Er brachte es ihm geradenwegs.
„Euer Gnaden,“ sagte er, „ich bin jener gute Vlämländer und jener Spion des Königs, dem Ihr so trefflich die Ohren riebt und dem Ihr so guten Glühwein zu trinken gabt. Er bringt Euch ein artiges, kleines Pamphlet, in dem man Euch unter anderm beschuldigt, Euch Graf von Holland zu titulieren wie der König. Es kommt frisch aus der Druckerpresse von Jan Lügenbold, der am Damm der Taugenichtse in der Sackgasse der Ehrabschneider wohnt.“
Brederode erwiderte ihm mit Lächeln:
„Ich werde dich während zweier Stunden peitschen lassen, so Du mir nicht den wahren Namen des Skribenten sagst.“
„Euer Gnaden,“ antwortete Ulenspiegel, „lasset mich zwei Jahre lang peitschen, wenn Ihr wollet; aber Ihr könnet meinen Rücken nicht zwingen auszusagen, was mein Mund nicht weiß.“
Und er ging fürbaß, nicht ohne einen Gulden für seine Mühe erhalten zu haben.
Seit Juni, dem Rosenmond, hatten im Lande Flandern die Predigten begonnen.
Und die Apostel der ursprünglichen christlichen Kirche predigten aller Orten, auf Feldern und in Gärten, auf den Hügeln, die zur Zeit der Überschwemmung als Zuflucht für das Vieh dienen, und auf den Flüssen in Barken.
Zu Lande verschanzten sie sich wie in einem Lager, indem sie sich mit ihren Wagen umgaben. Auf den Flüssen oder in den Häfen hielten Kähne mit Gewaffneten Wacht um sie her. Und in den Lagern beschirmten Musketiere und Scharfschützen sie vor den Überfällen des Feindes. Und also ward das Wort der Freiheit aller Orten auf der heimischen Erde vernommen.
Da Ulenspiegel und Lamm mit ihrem Wagen nach Brügge kamen und ihn in einen Nachbarhof einstellten, traten sie nicht in eine Schenke, sondern in die Kirche des Heiligen Erlösers, sintemalen in ihren Säckeln kein lustig Geldklingeln mehr zu hören war.
Pater Cornelis Adriaensen, ein Minoritenbruder, ein schmutziger, schamloser, wütender, keifender Predikant, ereiferte sich an jenem Tage auf der Kanzel der Wahrheit. Junge, schöne andächtige Frauen drängten sich um ihn. Pater Cornelis redete von der Passion. Und als er bei der Stelle des Heiligen Evangelii war, da die Juden, vom Herrn Jesu sprechend, Pilato zuschreien: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn, denn wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muß er sterben!“ rief Bruder Cornelis aus:
„Ihr habt es gehört, Ihr guten Leute. Wenn unser Herr Jesus Christus einen schrecklichen, schmählichen Tod erlitten hat, so ist das geschehen, weil es allezeit Gesetze gab, um die Ketzer zu strafen. Er wurde zu Recht verurteilt, weil er den Gesetzen nicht gehorcht hatte. Und jetzt wollen sie die Edikte und Dekrete für nichts achten! Ach, Jesus, welchen Fluch willst du auf diese Lande fallen lassen! Hochwürdige Mutter Gottes, wenn Kaiser Karl noch am Leben wäre und das Ärgernis dieser edlen Verbündeten sehen könnte. Sie haben gewagt, der Regentin eine Bittschrift wider die Inquisition zu überreichen, und wider die Dekrete, so zu einem so guten Zweck gemacht sind, so reiflich bedacht und nach so langen und klugen Erwägungen verfaßt, um alle Sekten und Ketzereien zu vernichten! Und wo sie nötiger sind als Brot und Käse, wollen sie sie zunichte machen! In welchen stinkenden, eklen, scheußlichen Abgrund stürzt man uns jetzo? Luther, dieser schmutzige Luther, dieser tolle Ochs, triumphiert in Sachsen, Braunschweig, Lüneburg, Mecklenburg. Brentius, der kotige Brentius, der in Deutschland von Eicheln lebte, so die Schweine nicht mochten, Brentius triumphiert in Württemberg. Der mondsüchtige Servet, der ein Mondviertel im Kopf hatte, der Antitrinitarier Servet regiert in Pommern, Dänemark und Schweden, und allda wagt er die heilige, glorreiche und mächtige Dreieinigkeit zu lästern. Aber man hat mir gesagt, daß er durch Calvin, der nur hierin gut war, lebendig verbrannt worden ist; ja, durch den stinkenden Calvin, der sauer riecht, mit seiner Schnauze, so lang wie ein Schlauch, mit seinen Käsegesicht und Zähnen so groß wie Gartenschaufeln. Ja, diese Wölfe fressen sich untereinander; jawohl, dieser Ochs Luther, dieser tolle Ochs, wappnete die deutschen Fürsten wider den Wiedertäufer Münzer, der ein Biedermann war, wie man sagt, und nach dem Evangelio lebte. Und durch ganz Deutschland hat man das Brüllen dieses Ochsen gehört, ja!
„Und was sieht man in Flandern, Geldern, Friesland, Holland, Seeland? Adamiten, so ganz nackend auf den Gassen laufen. Ja, Ihr guten Leute, ganz nackend auf den Gassen, und zeigen den Vorbeigehenden ohne Scham ihr mageres Fleisch. Ihr sagt, es war nur einer. Ja / zugegeben, einer gilt so viel wie hundert, hundert wie einer. Und er wurde verbrannt, sagt ihr, lebendig verbrannt auf die Bitte der Calvinisten und Lutheraner. Diese Wölfe fressen sich untereinander, sage ich Euch!
„Jawohl, was sieht man in Flandern, Geldern, Friesland, Holland, Seeland? Freidenker, die da lehren, daß jede Knechtschaft dem Worte Gottes zuwider sei. Sie lügen, die stinkenden Ketzer, man muß sich der heiligen römischen Mutter Kirche unterwerfen. Und in dieser verfluchten Stadt Antwerpen, dem Stelldichein der ganzen ketzerischen Hundebrut der Welt, haben sie zu predigen gewagt, daß wir die Hostie mit Hundefett backen lassen. Ein andrer sagt / es ist jener Geuse, der dort an der Straßenecke auf dem Nachttopf sitzt / „Es ist kein Gott, noch ewiges Leben, noch Auferstehung des Fleisches, noch ewige Verdammnis.“ / „Man kann ohne Salz, ohne Schweineschmalz, ohne Speichel, ohne Teufelaustreibung und Kerze taufen“, sagt ein anderer da unten mit heuleriger Stimme. / „Es gibt kein Fegefeuer“, sagt ein andrer mit kläglicher Stimme. „Kein Fegefeuer, Ihr guten Leute! Wehe, Euch wäre besser, mit Euren Müttern, Schwestern und Töchtern gesündigt zu haben, denn am Fegefeuer zu zweifeln!“
„Jawohl, sie rümpfen die Nase vor dem Inquisitor, dem heiligen Manne. Sie sind unweit von hier nach Belem gezogen, an viertausend Calvinisten, mit Gewappneten, Bannern und Trommeln. Jawohl, und Ihr riechet von hier den Dunst ihrer Speisen. Sie haben die Kirche Sankt Katholyne in Besitz genommen, um sie zu entehren, zu entweihen, zu entheiligen durch ihr verfluchtes Gepredige.
„Was soll diese gottlose und schändliche Duldsamkeit? Bei den tausend Teufeln der Hölle, warum nehmet Ihr nicht auch die Waffen zur Hand, Ihr katholischen Rüden? Ihr habet gleich den verdammten Calvinisten Kürasse, Lanzen, Hellebarden, Degen, Schwerter, Armbrüste, Messer, Knüttel, Spieße und die Bombarden und Feldschlangen der Stadt.
„Sie sind friedfertig, saget ihr; sie wollen in aller Freiheit und Ruhe das Wort Gottes hören. Das ist mir ganz eins. Hinaus aus Brügge! Jaget, tötet, werfet mir alle diese Calvinisten aus der Kirche. Ihr seid noch nicht fort! Pfui, über Euch! Ihr seid Hühner, die auf ihrem Misthaufen zittern. Ich sehe schon den Augenblick, da diese verdammten Calvinisten auf dem Bauch Eurer Weiber und Töchter die Trommel schlagen, und Ihr lasset sie, Ihr Männer von Werg und Teig. Gehet ja nicht dahin, mitnichten! Ihr würdet in der Schlacht Eure Hosen naß machen. Pfui über Euch Brügger, pfui, Ihr Katholiken! Das heißt gut katholisch sein, Ihr feigen Memmen! Schande über Euch, Ihr Enten und Enteriche, Gänse und Truthähne, die Ihr seid!
„Ei, sind es nicht schöne Prediger, daß Ihr so in Haufen zu Ihnen gehet, die Lügen anzuhören, die sie ausspeien, daß Eure Töchter des Nachts zu ihren Predigten gehen, auf daß in neun Monden die Stadt voll kleiner Geusen und Geusinnen sei? Es waren ihrer vier, vier schändliche Taugenichtse, so auf dem Kirchhof gepredigt haben. Der erste dieser Hallunken, bleich und mager, trug einen schmutzigen Hut auf dem Kopfe. Dank dem Hut sah man seine Ohren nicht. Wer unter Euch hat die Ohren eines der Prediger gesehen? Er war ohne Hemd, denn seine bloßen Arme schauten ohne Linnen aus dem Wams heraus. Ich hab es wohl gesehen, ohngeachtet er sich mit einem schmutzigen Mäntelchen bedecken wollte, und in seinen Hosen von schwarzem Leinen und durchscheinend wie die Turmspitze von Unsrer lieben Frau zu Antwerpen, sah ich seine Naturglocken und seinen Klöppel. Der andere böse Bube predigte im Wams ohne Schuhe. Keiner hat seine Ohren gesehen. Er mußte in seinem Gepredige innehalten, und die Knaben und Mägdlein höhnten ihn und schrien: „Huh, huh, er weiß seine Lektion nicht.“ Der dritte dieser schändlichen Buben trug ein schmutziges Hütlein mit einer winzigen Feder darauf. Seine Ohren waren auch nicht zu sehen. Der vierte Taugenichts, Hermanus, der besser ausstaffiert war als die andern, muß an der Schulter zweimal durch den Henker gebrandmarkt sein, jawohl.
„Sie tragen alle unter ihrem Hut schmierige, seidene Mützen, so ihre Ohren verbergen. Sahet Ihr die Ohren eines der Prediger? Wer von diesen Lumpen wagte seine Ohren zu zeigen? Ohren, ha, ha, seine Ohren zeigen: sie sind ihnen abgeschnitten. Jawohl, der Henker hat ihnen allen die Ohren abgeschnitten. Und doch scharte sich der Pöbel um die schändlichen Schufte, diese Beutelschneider, diese Schuhflicker, die von ihren Schemeln weggelaufen sind, diese predigenden Lumpen, und rief: „Es lebe der Geuse!“ gleich als wären sie allzumal rasend, trunken oder toll gewesen.
„Wehe! Uns armen, römischen Katholiken bleibt nichts denn die Niederlande zu verlassen, sintemalen man hier das Geschrei duldet: „Es lebe der Geuse! Es lebe der Geuse.“ Welch ein verwünschter Mühlstein ist diesem verhexten und dummen Volk auf den Kopf gefallen, oh Jesus! Reich und Arm, Adlig und Unadlig, Jung und Alt, Männer und Frauen schreien: „Es lebe der Geuse“!
„Und was sind diese Herren, all diese schäbigen Lederhosen, so uns von Deutschland gekommen sind? All ihr Hab’ und Gut ist zu den Dirnen gegangen, in Krimpelspiel, Schleckereien, Gelagen, Völlerei, Ausschweifung und mancherlei Schändlichkeit, Götzendienst der Würfel und Triumph der Putzsucht. Sie haben nicht einen verrosteten Nagel, sich zu kratzen, wo es sie juckt. Darum brauchen sie die Güter der Kirchen und Klöster.
„Und auf ihrem Bankett bei dem Schelm von Kuilenburg mit dem andern Schelm von Brederode haben sie aus hölzernen Näpfen getrunken, Herrn von Berlaymont und Ihro Gnaden der Frau Regentin zum Trotz. Jawohl, und haben gerufen: „Es lebe der Geuse!“ Ach, wenn ich der liebe Gott währe, ich hätte, mit Respekt zu vermelden, ihr Getränk, ob Bier oder Wein, in ein schmutziges, abscheuliches Spülicht verwandelt, ja in schmutziges, scheußliches, stinkendes Waschwasser, darin sie ihre kotigen Hemden und Laken gewaschen hätten.
„Ja, schreit, Ihr Esel, die Ihr seid, schreit nur: „Es lebe der Geuse!“ Ich bin ein Prophet. Und alle Verwünschungen, alle Not, Fieber, Pestilenz, Brand, Trümmer, Verwüstung, Krebs, englisches Schweißfieber und schwarzer Tod werden über die Niederlande kommen. Und also wird Gott für Euer ekles Geplärr: „Es lebe der Geuse!“ gerächt werden. Und von Euren Häusern wird nicht ein Stein auf dem andern bleiben und nicht ein Stück Knochen von Euren verdammten Beinen, die zu dieser verfluchten Calvinisterei und Predigerei laufen. Also geschehe es, geschehe es, geschehe es, Amen.“
„Laß uns gehen, mein Sohn“, sprach Ulenspiegel zu Lamm.
„Sogleich“, sagte Lamm.
Und er suchte seine Frau unter den jungen, schönen, andächtigen Frauen, die der Predigt beiwohnten, aber er fand sie nicht.
Ulenspiegel und Lamm kamen an den Ort, der Minnewater (Liebeswasser) genannt wird; aber die hochgelahrten Doktoren und Wysneusen (Naseweisen) sagen, daß es Minrewater, Wasser der Mindesten heiße[3]. Ulenspiegel und Lamm setzten sich an den Rand des Wassers und sahen unter den Bäumen, deren Laubwerk wie ein niedrig Gewölbe bis auf ihre Köpfe hing, Männer und Frauen, Mägdlein und Knaben vorübergehen. Sie trugen Kränzlein in den Haaren, reichten sich die Hände und wandelten Hüfte an Hüfte, blickten sich zärtlich in die Augen und sahen nichts in dieser Welt denn sich selbst.
Ulenspiegel betrachtete sie und gedachte an Nele. Und bei diesem traurigen Gedanken sprach er: „Laß uns trinken gehen.“
Aber Lamm hörte Ulenspiegel nicht und betrachtete auch die verliebten Pärlein.
„Ehedem gingen wir auch so vorbei, mein Weib und ich, und just solchen, die gleichwie wir sich einsam ohne Weib am Ufer der Gräben ausstrecken, trugen wir unsre Liebe zur Schau.“
„Komm trinken,“ sprach Ulenspiegel, „wir werden die Sieben auf dem Boden eines Maßkruges finden.“
„So redet ein Trinker,“ antwortete Lamm, „Du weißt, daß die Sieben Riesen sind und unter dem großen Gewölbe der Kirche des heiligen Erlösers nicht aufrecht stehen könnten.“
Ulenspiegel gedachte traurig Neles und auch, daß sie etwan in irgend einem Gasthaus gutes Nachtlager, gutes Abendbrot und eine artige Wirtin finden möchten und sagte wiederum:
„Laß uns trinken gehen.“
Aber Lamm hörte ihn nicht und sprach, indem er den Turm der Liebfrauenkirche betrachtete:
„Heilige Frau Maria, Schutzpatronin der erlaubten Liebe, gib, daß ich noch einmal ihren weißen Busen, das weiche Schlummerkissen sehe.“
„Komm trinken“, sagte Ulenspiegel. „Du wirst sie finden, wie sie ihn in einer Schenke den Zechern zeigt.“
„Wagst Du so schlecht von ihr zu denken?“ fragte Lamm.
„Laß uns trinken gehen,“ sagte Ulenspiegel, „sie ist ohne Zweifel irgendwo Wirtin.“
„So redet der Durst“, sagte Lamm.
Ulenspiegel redete weiter:
„Vielleicht hat sie für die armen Wanderer eine Schüssel schönen gedämpften Ochsenfleisches aufgehoben, dessen Gewürze die Luft mit Duft erfüllen, nicht zu fett, zart und saftig wie Rosenblätter, und gleich Fastnachtsfischen zwischen Nelken, Muskat, Hahnenkämmen, Kalbsmilch und andern himmlischen Leckerbissen schwimmend.“
„Du Boshafter“, sagte Lamm, „Du willst mich gewißlich umbringen. Weißt Du nicht, daß wir seit zwei Tagen nur von trocknem Brot und Dünnbier leben?“
„Der Hunger redet aus Dir,“ versetzte Ulenspiegel. „Du weinst vor Begierde, komm essen und trinken. Ich habe da einen hübschen halben Gülden, der wird die Kosten unseres Schmauses decken.“
Lamm lachte. Sie holten ihren Wagen und fuhren also durch die Stadt und suchten nach der besten Herberge. Aber sie erblickten etliche Gesichter von Wirten, die mürrisch, und Wirtinnen, die gar wenig mitleidig aussahen, und fuhren vorbei, denn sie gedachten, daß eine saure Miene ein schlechtes Aushängeschild für gastliche Küche sei.
So gelangten sie zum Samstagsmarkt und kehrten in den Gasthof „Zur Blauen Laterne“ ein. Da war ein Wirt von guter Miene. Sie stellten ihren Wagen ein und ließen den Esel in den Stall bringen, mit einer Metze Hafer zur Gesellschaft. Sie ließen sich zu essen auftragen, aßen nach Herzenslust, schliefen gut und standen auf, um wiederum zu essen. Lamm, der vor Behagen platzte, sprach:
„Ich höre himmlische Musik in meinem Magen.“
Da der Augenblick des Zahlens kam, ging der Wirt zu Lamm und sagte zu ihm:
„Ich kriege zehn Heller.“
„Der hat sie“, sprach Lamm zu ihm und zeigte auf Ulenspiegel. Der aber sagte:
„Ich habe sie nicht.“
„Und der halbe Gülden?“ fragte Lamm.
„Ich habe ihn nicht,“ antwortete Ulenspiegel.
„Das ist eine schöne Rede,“ sagte der Wirt. „Ich werde Euch allen beiden Euer Wams und Hemd fortnehmen.“
Plötzlich rief Lamm in der Trinklaune:
„Und wenn ich essen und trinken will, essen und trinken, ja für siebenundzwanzig Gülden und mehr trinken, so werde ich es tun. Meinst Du, daß in diesem Bauch nicht ein roter Heller sitzt? So wahr Gott lebt! er wurde bis heute nur mit Fettammern gemästet. Du wirst unter Deinem schmierigen Ledergürtel nimmer seinesgleichen tragen. Denn Du hast Dein Fett am Kragen des Wamses, wie ein böser Mensch, und nicht wie ich drei Daumen dicken leckeren Specks auf dem Bauch!“
Der Wirt war vor Wut außer sich. Da er ohnedies stotterte, wollte er schnell sprechen; je hastiger er aber sprach, um so mehr nieste er wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Ulenspiegel warf ihm Brotkügelchen an die Nase, und Lamm ereiferte sich noch mehr und redete weiter:
„Jawohl, ich habe hier genug, um Deine drei mageren Hühner, Deine vier krätzigen Küchlein und diesen großen Dummkopf von Pfau zu bezahlen, der seinen schmutzigen Schweif in Deinem Hühnerhofe zur Schau trägt. Und wenn Deine Haut nicht trockner wäre denn die eines alten Hahnes, und Deine Knochen nicht in Deiner Brust zu Staub zerfielen, so hätte ich noch genug, um Dich, Deinen rotznasigen Knecht und Deine einäugige Magd zu essen und Deinen Koch dazu, dessen Arme, so er die Krätze hätte, zu kurz wären sich zu kratzen. Ei seht doch“, so redete er weiter, „seht doch den schönen Vogel, der uns eines halben Güldens willen unser Wams und Hemd nehmen will? Was sind denn Deine Kleider wert, Du zerlumptes Großmaul, ich will Dir drei Heller dafür geben.“
Aber der Wirt ward immer zorniger und schnaubte noch mehr.
Und Ulenspiegel warf ihm Brotkügelchen ins Gesicht.
Lamm war wie ein Löwe und sagte:
„Was glaubst Du, magere Fratze, was ein schöner Esel mit feinem Maul, langen Ohren, breiter Brust und Fesseln wie von Eisen wert sei? Achtzehn Gülden zum mindesten, nicht wahr, Du armer Schlucker von einem Wirt? Wieviel alte Nägel hast Du in Deinen Goldtruhen, um ein so schönes Tier zu bezahlen?“
Der Wirt schnaubte noch mehr, aber er wagte nicht zu mucksen.
„Wieviel glaubst Du, ist ein schöner Wagen aus Eschenholz wert, durchweg bemalt und oben mit Linnen von Courtrai gegen Sonne und Platzregen geschirmt? Vierundzwanzig Gülden zum mindesten, he? Und wieviel macht vierundzwanzig Gülden und achtzehn Gülden? Antworte, Du Knicker, der nicht rechnen kann. Und dieweil Markttag ist und Bauern in Deinem kläglichen Gasthofe sind, so will ich ihnen beides flugs verkaufen.“
Und so geschah es, denn alle kannten Lamm. Und wahrlich, er kriegte für Esel und Wagen vierundvierzig Gülden und zehn Heller. Darnach klimperte er dem Wirt mit dem Gold unter der Nase und fragte ihn:
„Witterst Du den Duft der künftigen Schmäuse?“
„Ja,“ antwortete der Wirt.
Und ganz leise sprach er:
„So Du Deine Haut feil bietest, will ich sie für einen Heller kaufen und daraus ein Amulett gegen die Verschwendung machen.“
Derweilen hatte ein hübsches, artiges Weiblein, so im dunklen Hofe stand, Lamm oftmals durchs Fenster angeschaut und allemal wenn er ihr hübsches Lärvchen sehen konnte, zog sie sich zurück. Am Abend, da er schwankend vom Weine, den er getrunken, ohne Licht hinaufging, fühlte er auf der Stiege, wie eine Frau ihn umhalste, ihn begehrlich auf Wange, Mund und gar auf die Nase küßte und sein Antlitz mit verliebten Tränen benetzte; dann ließ sie ihn los.
Schlaftrunken von dem Getränk, legte Lamm sich nieder, schlief und zog des andern Tages mit Ulenspiegel nach Gent.
Allda suchte er sein Weib in allen Musikschenken und Trinkstuben. Am Abend fand er Ulenspiegel im „Singenden Schwan“ wieder.
Ulenspiegel ging hin, wo er konnte, säete Aufruhr und wiegelte das Volk auf gegen die Henker des Landes seiner Väter.
Da er auf dem Freitagsmarkt bei der Dulle Griet, der großen Kanone war, legte er sich platt auf den Bauch aufs Pflaster.
Ein Kohlenträger kam und sprach zu ihm:
„Was tust Du da?“
„Ich mache meine Nase feucht, um zu erfahren, woher der Wind kommt.“
Ein Schreiner kam.
„Hältst Du das Pflaster für ein Pfühl?“ fragte er.
„Es sind ihrer, die es bald zur Decke nehmen werden,“ antwortete Ulenspiegel.
Ein Mönch blieb stehen.
„Was macht dieses Kalb da?“ fragte er.
„Es liegt vor Euch auf dem Bauch und bittet um Euren Segen, mein Vater,“ entgegnete Ulenspiegel.
Als der Mönch ihm den gegeben hatte, ging er fürbaß.
Alsdann legte Ulenspiegel das Ohr an die Erde. Ein Bauer kam.
„Hörst Du ein Geräusch da unten?“ fragte er ihn.
„Ich höre das Holz wachsen, dessen Scheite dienen werden, die armen Ketzer zu verbrennen.“
„Hörst du weiter nichts?“ fragte ihn ein Stadtknecht.
„Ich höre die Reiterei aus Spanien kommen; so Du etwas hast, was Du behalten willst, grab es ein, maßen die Städte in Bälde nicht mehr sicher sein werden vor Dieben.“
„Er ist närrisch,“ sagte der Stadtknecht.
„Er ist närrisch,“ wiederholten die Bürger.
Derweilen aß Lamm nicht mehr, denn er gedachte des holden Traumes auf der Stiege der „Blauen Laterne“. Doch ob ihn sein Herz auch nach Brügge zog, ward er von Ulenspiegel doch mit Gewalt nach Antwerpen geführt, wo er seine traurigen Nachforschungen fortsetzte.
War Ulenspiegel in der Schenke unter guten reformierten Vlamländern, ja, selbst unter Katholiken, welche der Freiheit wohlgesinnt waren, so sprach er zu ihnen solcherart über die Edikte: „Sie führen bei uns die Inquisition ein mit dem Vorgeben, uns von der Ketzerei zu purgieren; aber dieser Rhabarber ist nur für unsere Geldsäckel wirksam. Wir wollen keine Arzenei nehmen, als welche uns beliebt; wir werden böse werden, uns empören und nach den Waffen greifen. Der König wußte das im voraus. Wenn er sieht, daß wir keinen Rhabarber wollen, wird er die Spritzen aufmarschieren lassen, das heißt, die großen und kleinen Kanonen, Feldschlangen, Bombarden und Mörser mit großem Rachen! Ein königliches Klistier. In dem mit solcher Arznei behandelten Flandern wird kein reicher Vlamländer bleiben. Unsere Länder sind glücklich, einen so königlichen Arzt zu haben.“ Aber die Bürger lachten.
Ulenspiegel sagte:
„Lachet heute, aber fliehet oder wappnet Euch an dem Tage, da man etwas an Unserer lieben Frau zerbrechen wird.“
Am fünfzehnten August, dem großen Marientag, wo die Kräuter und Wurzeln geweiht werden und die Hennen, von Körnern satt, für das Trompeten des Liebe verlangenden Hahnes taub sind, ward ein großes Steinkreuz an einem der Tore von Antwerpen von einem Italiener im Solde des Kardinals Granvella zerbrochen, und die Prozession der Jungfrau, der grüne, gelbe und rote Narren vorausgingen, kam aus der Frauenkirche gezogen. Aber die Statue der Jungfrau ward unterwegs von unbekannten Männern beschimpft und eilends in das Chor der Frauenkirche zurückgebracht, und die Gitter wurden geschlossen.
Ulenspiegel und Lamm traten in die Kirche. Junge ausgehungerte, zerlumpte Gesellen, so männiglich fremd waren, standen vor dem Chor und machten einander gewisse Zeichen und Fratzen. Mit ihren Füßen und Zungen vollführten sie großen Lärm. Keiner hatte sie in Antwerpen gesehen, keiner sah sie wieder. Einer von ihnen, mit einem Antlitz wie eine verbrannte Zwiebel, fragte, ob Mieke, damit meinte er die Jungfrau, Angst gehabt hätte, dieweil sie so hastig in die Kirche zurückgekehrt sei?
„Vor Dir hat sie keine Furcht gehabt, Du garstiger Mohr,“ antwortete Ulenspiegel.
Der junge Gesell, zu dem er sprach, ging auf ihn los, um ihn zu schlagen, aber Ulenspiegel würgte ihn am Kragen und sprach:
„So Du mich schlägst, laß ich Dich Deine Zunge ausspeien.“
Alsdann wandte er sich zu etlichen Männern von Antwerpen, die da waren, und sagte, auf die jungen, zerlumpten Kerle deutend:
„Signorkes und Pagaders, hütet Euch, das sind falsche Vlamländer, Verräter, die bezahlt sind, uns Leid, Elend und Untergang zu bringen.“
Dann sprach er also zu den Unbekannten:
„He, Ihr Eselsköpfe, vom Elend ausgedörrt, woher habt Ihr das Geld, das man heute in Euern Säckeln klingen hört? Habet Ihr etwan Eure Haut im voraus verkauft, um Trommeln daraus zu machen?“
„Sehet den Prediger!“ sagten die Unbekannten.
Dann huben sie insgesamt an zu schreien und sagten von Unsrer lieben Frau:
„Mieke hat ein schönes Kleid! Mieke hat eine schöne Krone! Ich will sie meiner Vettel geben!“
Sie gingen hinaus, dieweil einer von ihnen auf die Kanzel gestiegen war, um dort unziemliche Reden zu führen, dann kamen sie wieder und schrien:
„Steig herab, Mieke, steig herab, ehe wir dich holen. Tu ein Wunder, auf daß wir sehen, daß Du ebensogut gehen kannst als Dich tragen lassen, Mieke, Du Faulenzerin!“
Aber Ulenspiegel hatte gut rufen: „Ihr Unglücksstifter, hört auf mit Euren schlimmen Reden, jede Plünderung ist ein Verbrechen.“ Sie hörten schlechterdings nicht auf zu reden, und etliche sprachen gar davon, das Chor zu erbrechen und Mieke zu zwingen, daß sie herabstiege.
Ein altes Weiblein, das in der Kirche Kerzen verkaufte und diese Reden vernahm, warf ihnen die Asche ihres Fußwärmers ins Gesicht; aber sie schlugen das Weiblein und warfen es zu Boden, und nun begann das Getobe.
Der Markgraf kam mit seinen Bütteln in die Kirche. Da er die versammelte Menge sah, ermahnte er sie aus der Kirche zu gehen, aber so sänftiglich, daß nur etliche von hinnen gingen; die andern sagten:
„Zuvor wollen wir die Domherren zu Miekes Ehre die Vesper singen hören.“
Der Markgraf entgegnete:
„Es wird nicht gesungen werden.“
„Wir wollen selber singen,“ antworteten die unbekannten Lumpen. Solches taten sie in den Schiffen und bei der Vorhalle der Kirche. Etliche spielten mit krieke-steenen (Kirschkernen) und sagten: „Mieke, Du spielest nimmer im Paradies und hast keine Kurzweil; spiele mit uns.“
Und ohne Aufhören beschimpften sie das Marienbild und schrien, höhnten und pfiffen.
Der Markgraf tat, als ob er Furcht hätte, und ging hinaus. Auf seinen Befehl wurden alle Türen der Kirche bis auf eine geschlossen.
Ohne daß das Volk sich darein mischte, ward das fremde Lumpengesindel kecker und schrie noch lauter. Und die Gewölbe hallten wider wie Donner von hundert Kanonen.
Alsdann bestieg einer von ihnen die Kanzel, der mit dem Gesicht gleich einer verbrannten Zwiebel, welcher etliches Ansehen zu haben schien, winkte ihnen mit der Hand, predigte und sprach: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, die drei sind nur einer und einer drei, Gott bewahre uns im Paradies vor der Rechenkunst. Des heutigen Tages am fünfzehnten des Augustmonds ist Mieke im höchsten Staat ausgegangen, um ihr hölzernes Antlitz den Herren und Bürgern von Antwerpen zu zeigen. Aber während der Prozession ist Mieke dem Teufel Satanas begegnet, und Satanas, ihrer spottend, hat zu ihr gesagt: „Du bist schier stolz als Königin ausstaffiert, Mieke; Du wirst von vier Herren getragen und willst den armen Satanas, der auf Schusters Rappen reitet, nicht mehr anschauen.“ Und Mieke antwortete: „Hebe Dich weg, Satanas, auf daß ich Dir nicht noch mehr den Kopf zertrete, Du böse Schlange!“
„Mieke,“ sagte Satanas darauf, „mit diesem Geschäft verbringst Du seit fünfzehnhundert Jahren die Zeit, aber der Geist des Herrn, Deines Meisters, hat mich erlöset. Ich bin stärker als Du, Du wirst mir nicht mehr auf den Kopf treten, und ich werde Dich jetzo tanzen lassen.“ Satanas nahm eine große Peitsche, die scharf einschnitt, und hub an, Mieke zu schlagen. Sie wagte nicht zu schreien, aus Furcht, ihre Angst zu zeigen, und alsdann hat sie sich in den schnellsten Trab gesetzt, und die Herren, so sie trugen, gezwungen, auch zu laufen, um sie mit ihrer güldenen Krone und ihren Kleinodien nicht in das arme, gemeine Volk fallen zu lassen. Und jetzt steht Mieke still und steif in ihrer Nische und betrachtet Satan, der da oben auf der Säule unter der kleinen Kuppel sitzet und seine Peitsche hält und hohnlachend zu ihr sagt:
„Ich werde Dir das Blut und die Tränen heimzahlen, so in Deinem Namen fließen! Mieke, wie steht Dein jungfräuliches Befinden? Die Stunde ist gekommen, wo Du ausziehen mußt. Man wird Dich entzwei schneiden, Du häßliche, hölzerne Puppe, für all die Puppen aus Fleisch und Bein, so in Deinem Namen ohn Erbarmen verbrannt, gehenkt und lebendig begraben wurden.“ Also sprach Satanas und er sprach gut. „Du mußt aus Deiner Nische herabsteigen, blutdürstige, grausame Mieke, die Du Deinem Sohne Christo nicht ähnlich bist.“
Und höhnend und schreiend tobte der ganze Schwarm der Unbekannten:
„Mieke, Mieke, es ist die Stunde des Auszugs! Nehmet die hölzernen Heiligen fort! Auf, Brabant für den guten Herzog! Wer will ein Bad in der Schelde nehmen? Holz schwimmt besser als Fische.“
Das Volk hörte zu, ohne etwas zu sagen.
Aber Ulenspiegel bestieg die Kanzel und warf den Sprecher mit Gewalt die Stiege hinunter.
„Ihr Rasenden,“ sagte er zum Volke, „Ihr wahnsinnigen Narren, Ihr einfältigen Narren, die Ihr nicht weiter sehet als Eure rotzige Nasenspitze, begreifet Ihr nicht, daß all dies das Werk von Verrätern ist? Sie wollen Euch zu Kirchenschändern und Räubern machen, um Euch für Rebellen zu erklären, Eure Geldtruhen zu leeren, Euch zu brandmarken und lebendig zu verbrennen. Und der König wird erben! Signorkes und Pagaders, messet den Worten dieser Unglücksstifter keinen Glauben bei; lasset Unsre liebe Frau in ihrer Nische, lebet standhaft, indem Ihr fröhlich arbeitet und Euren Gewinst und Verdienst ausgebet. Der schwarze Teufel des Verderbens hat ein Auge auf Euch. Durch Plünderung und Zerstörung will er das feindliche Heer herbeirufen, um Euch als Rebellen zu behandeln. Dann wird Alba durch Diktatur, Inquisition, Konfiskation und Tod über Euch herrschen und er wird erben.“
„Wehe,“ sprach Lamm, „plündert nicht, Signorkes und Pagaders; der König ist schon sehr erzürnt. Die Tochter der Stickerin hat es meinem Freund Ulenspiegel gesagt. Plündert nicht, Ihr Herren.“
Aber das Volk konnte sie nicht hören.
Die Unbekannten schrien:
„Plünderung und Austreibung! Plünderung, Brabant für den guten Herzog! Ins Wasser mit den Heiligen! Sie schwimmen besser denn Fische!“
Ulenspiegel hielt sich an der Kanzel fest und rief vergeblich:
„Signorkes und Pagaders, leidet die Plünderung nicht! Rufet nicht das Verderben auf die Stadt herab!“
Er ward fortgezerrt und ohngeachtet er sich mit Händen und Füßen wehrte, ward ihm Gesicht, Wams, Hosen, alles zerrissen.
Und wiewohl blutend, ließ er nicht ab zu schreien:
„Leidet die Plünderung nicht!“
Aber es war umsonst.
Die Unbekannten und das Gesindel der Stadt warfen sich auf das Gitter des Chors und zerbrachen es. Dabei schrien sie:
„Es lebe der Geuse!“
Alle huben an zu zerbrechen, zu plündern und zu zerstören. Vor Mitternacht war die große Kirche, in der es siebenzig Altäre, alle Arten schöner Malereien und kostbarer Dinge gab, ausgeleert wie eine Nuß. Die Altäre waren zertrümmert, die Bilder heruntergeschlagen und alle Schlösser zerbrochen.
Da dies getan war, machten sich die nämlichen Unbekannten auf den Weg, um die Minderen Brüder, die Franziskaner, Sankt Peter, Sankt Andreas, Sankt Michael, Sankt Peter im Topf, die Burg, die Fawkens, die Weißen Schwestern, die Grauen Schwestern, den dritten Orden, die Prediger und alle Kirchen und Kapellen der Stadt gleich der Frauenkirche zu traktieren. Und sie nahmen die Kerzen und Fackeln heraus und liefen so überall hin.
Es gab unter ihnen weder Streit noch Beratung; keiner von ihnen ward bei diesem großen Zerbrechen von Steinen, Holz und anderen Dingen verwundet.
Sie stellten sich in Haag ein, um auch dort zum Raub der Bildwerke und Altäre zu schreiten, ohne daß ihnen hier oder andernorts die Reformierten Beistand geleistet hätten.
Im Haag fragte sie der Magistrat, wo ihre Vollmacht wäre.
„Da ist sie,“ sagte einer und schlug auf sein Herz.
„Ihre Vollmacht, hört Ihr, Signorkes und Pagaders?“ sprach Ulenspiegel, da er die Sache erfahren. „Es ist also einer da, der ihnen befohlen hat, als Kirchenschänder zu arbeiten. So in meine Hütte etwelcher plündernde Spitzbube kommt, werde ich tun wie der Magistrat vom Haag; ich werde meinen Hut abnehmen und sagen: „Edler Spitzbube, gnädiger Taugenichts, ehrwürdiger Lump, zeig mir deine Vollmacht.“ Und er wird sagen, daß sie in seinem Herzen sei, das nach meinem Gute verlangt. Und ich werde ihm die Schlüssel zu allem geben. Suchet, suchet, wem diese Plünderung Nutzen bringt. Hütet Euch vor dem Roten Hund. Das Verbrechen ist begangen, man wird es strafen. Hütet Euch vor dem Roten Hund. Das große steinerne Kruzifix ist heruntergeschlagen. Hütet Euch vor dem Roten Hund.“
Da der Hohe Rat von Mecheln durch den Mund seines Präsidenten Viglius befohlen hatte, dem Zerbrechen der Bilder keinen Einhalt zu tun, sagte Ulenspiegel:
„Wehe, die Ernte ist reif für die hispanischen Schnitter. Der Herzog, der Herzog marschiert gegen uns Vlamländer, das Meer schwillt, das Meer der Rache. Arme Frauen und Jungfrauen, fliehet die Grube! Arme Männer, fliehet den Galgen, das Feuer und Schwert. Philipp will Karls blutiges Werk vollenden. Der Vater säete Tod und Verbannung; der Sohn hat geschworen, er wolle lieber über einen Totenacker herrschen, denn über ein Volk von Ketzern. Fliehet, hier sind der Henker und die Totengräber.“
Das Volk hörte auf Ulenspiegel, und die Familien verließen bei Hunderten die Städte, und die Landstraßen waren versperrt von Wagen, beladen mit dem Hausrat Derer, so in die Verbannung zogen.
Und Ulenspiegel ging allerorten hin und Lamm folgte ihm betrübt und suchte seine Liebste.
Und in Damm weinte Nele bei Katheline, der Irren.
Da Ulenspiegel im Gerstemond, das ist Oktober, in Gent war, sah er Egmont in des Abtes von Sankt Bavo edler Gesellschaft vom Schwelgen und Feiern heimkehren. In singfroher Laune ließ er träumend sein Pferd im Schritt gehen. Plötzlich erblickte er einen Mann, der eine brennende Laterne trug und neben ihm her schritt.
„Was willst Du?“ fragte Egmont.
„Gutes“, versetzte Ulenspiegel.
„Geh und laß mich,“ entgegnete der Graf.
„Ich werde nicht gehen,“ erwiderte Ulenspiegel.
„Willst Du einen Peitschenhieb haben?“
„Ich will ihrer zehn haben, wenn ich Euch einen solchen Leuchtkäfer in den Kopf setzen kann, daß Ihr von hier bis zum Escurial deutlich sehen könnt.“
„Mich kümmert nicht Leuchtkäfer noch Escurial,“ antwortete der Graf.
„Und mich brennt es, Euch einen guten Rat zu geben,“ erwiderte Ulenspiegel. Dann nahm er des Grafen Pferd, welches ausschlug und sich bäumte, beim Zügel und sprach:
„Euer Gnaden, gedenket, daß Ihr jetzo auf Eurem Roß tanzet und daß Euer Haupt auch trefflich auf Euren Schultern tanzet; aber der König, sagt man, will diesen schönen Tanz unterbrechen, Euch Euren Körper lassen, aber Euren Kopf nehmen und ihn in so ferne Länder tanzen lassen, daß Ihr ihn nimmermehr wieder einholen könnet. Gebet mir einen Gulden, ich habe ihn verdient.“
„Die Peitsche, wenn du nicht weichest, schlechter Ratgeber.“
„Euer Gnaden, ich bin Ulenspiegel, der Sohn des Klas, der für seinen Glauben lebendig verbrannt ist, und Soetkins Sohn, die an Herzeleid gestorben ist. Die Asche brennt auf meiner Brust und sagt mir, daß Egmont, der tapfere Soldat, mit der Reiterei, die er befehligt, seine dreimal siegreichen Truppen dem Herzog Alba entgegen stellen kann.“
„Geh,“ antwortete Egmont, „ich bin kein Verräter.“
„Rette die Lande, Du allein kannst es,“ sagte Ulenspiegel.
Der Graf wollte Ulenspiegel peitschen, aber dieser wartete nicht darauf und entfloh mit dem Ruf:
„Esset Leuchtkäfer, esset Leuchtkäfer, Herr Graf. Rettet die Lande.“
Ein ander Mal hielt Egmont, da ihn dürstete, vor der Herberge In ’t tondt verken, Zum bunten Ferkel, so von einer Frau aus Kortrijk, einem hübschen Weiblein, namens Musekin, Mäuslein, gehalten ward.
Der Graf erhob sich in den Steigbügeln und rief:
„Zu trinken.“
Ulenspiegel, welcher der Musekin diente, trat zu dem Grafen heran, in der einen Hand einen Zinnhumpen, in der andern eine volle Flasche roten Weines.
Der Graf sagte, als er ihn sah:
„Bist Du es, Unglücksrabe?“
„Euer Gnaden,“ entgegnete Ulenspiegel, „wenn meine Prophezeihung schwarz ist, so kommts, weil sie sich nicht weiß gewaschen hat. Aber wollt Ihr mir sagen, was röter ist, der Wein, der in die Kehle geht, oder das Blut, das herausspritzt? Das war’s, was meine Laterne fragte.“
Der Graf antwortete nicht, trank, zahlte und ritt von dannen.
Ulenspiegel und Lamm, ein jeglicher auf einem Esel reitend, den Simon Simonsen, einer der Getreuen des Prinzen von Oranien ihnen gegeben hatte, zogen überall hin und warnten die Leute vor den schwarzen Anschlägen des Blutkönigs und waren allzeit auf der Lauer, um die Zeitungen, die aus Spanien kamen, zu erfahren. Sie verkauften Gemüse, waren wie Bauern gekleidet und besuchten alle Märkte.
Als sie von dem Markte in Brüssel kamen, sahen sie in einem steinernen Hause am Ziegeldamm, in einem niedren Gemach eine schöne, in Atlas gekleidete Dame mit frischen Farben, vollem Busen und übermütigen Augen.
Sie sagte zu einer jungen, frischen Köchin:
„Scheure mir diese Pfanne wohl, ich liebe keine Brühe mit der Würze des Rostes.“
Ulenspiegel drückte die Nase ans Fenster.
„Ich,“ sagte er, „ich liebe sie alle, denn ein ausgehungerter Bauch ist nicht wählerisch in Gerichten.“
Die Dame drehte sich um.
„Wer ist dieser Schelm, der sich um meine Suppe kümmert?“
„Ach, schöne Dame,“ sagte Ulenspiegel, „wenn Ihr nur ein wenig davon in meiner Gesellschaft machen wolltet. Ich würde Euch Leckereien eines Reisenden lehren, die schönen seßhaftigen Damen unbekannt sind.“
Dann schnalzte er mit der Zunge und sprach:
„Ich habe Durst.“
„Auf was?“ fragte sie.
„Auf Dich“, sagte er.
„Er ist ein hübscher Bursche,“ sagte die Köchin zur Dame. „Wir wollen ihn einlassen, auf daß er uns seine Abenteuer erzähle.“
„Aber es sind ihrer zwei,“ sagte die Dame.
„Ich werde für einen sorgen,“ versetzte die Köchin.
„Edle Frau,“ sprach Ulenspiegel dagegen, „wir sind freilich zwei, ich und mein armer Lamm, der nicht hundert Pfund auf dem Rücken tragen kann, aber gerne fünfhundert in Fleisch und Getränke im Magen trägt.“
„Mein Sohn,“ sagte Lamm, „mache dich nicht über mich Unseligen lustig, dem das Füllen seines Bauches so teuer zu stehen kommt.“
„Heute soll er Dir keinen Heller kosten,“ sagte die Dame. „Tretet beide ein.“
„Aber,“ sprach Lamm, „hier sind auch die beiden Esel, auf denen wir sitzen.“
„Im Pferdestall des Herrn Grafen von Meghem mangelt es nicht an Metzen Hafer.“
Die Köchin ließ ihre Pfanne im Stich und zog Ulenspiegel und Lamm auf ihren Eseln in den Hof; selbige huben ohne Verzug an zu schreien.
„Das ist die Fanfare für die nahende Atzung. Sie posaunen ihre Freude aus, die armen Esel.“
Da sie alle beide abgestiegen waren, sprach Ulenspiegel zur Köchin:
„Wenn Du eine Eselin wärest, möchtest Du einen Esel wie ich?“
„Wenn ich eine Frau wäre, wollte ich einen Gesellen mit lustigem Gesicht.“
„Was bist Du denn, wenn Du nicht Frau noch Eselin bist?“ fragte Lamm.
„Ich bin Jungfrau,“ sagte sie. „Eine Jungfrau ist keine Frau, noch weniger Eselin! begreifest Du das, Dickwanst?“
Ulenspiegel sagte zu Lamm:
„Glaub ihr nicht, es ist die Hälfte von einer Dirne und das Viertel von zwei Teufelinnen. Ihre Schalkheit und Sinnenlust hat ihr schon in der Höllen einen Platz gesichert auf einem Pfühl, um Beelzebub darauf zu herzen.“
„Arger Spötter,“ sagte die Köchin, „wenn Deine Haare Pferdehaare wären, wollte ich sie nicht, um darauf zu treten.“
„Und ich“, sagte Ulenspiegel, „möchte all Deine Haare essen.“
„Schmeichler,“ sagte die Dame, „mußt Du alle haben?“
„Nein,“ antwortete Ulenspiegel, „tausend in eine einzige verschmolzen wie Ihr seid, wären mir genug.“
Die Dame sprach zu ihm:
„Trinke zuvor eine Kanne Braunbier, iß ein Stück Schinken, schneide nach Belieben in diese Hammelkeule, höhle mir diese Pastete aus und schlürfe diesen Salat.“
Ulenspiegel faltete die Hände:
„Der Schinken ist gutes Fleisch“, sagte er, „das Braunbier himmlisches Bier, die Hammelkeule ein göttlicher Braten; eine Pastete auszuhöhlen läßt die Zunge im Munde vor Freude erzittern; ein fetter Salat ist eine fürstliche Schleckerei. Aber gesegnet wird der sein, dem Ihr von Eurer Schönheit zu kosten gebet.“
„Sehet, wie er schwätzt,“ sagte sie. „Iß zuvor, Taugenichts.“
Ulenspiegel erwiderte: „Sollen wir nicht das Benedicite vor dem Gratias sagen?“
„Nein“, sprach sie.
Darauf sprach Lamm ächzend:
„Ich habe Hunger.“
„Du wirst zu essen bekommen, dieweil Du keine andre Sorge hast als gekochtes Fleisch.“
„Und frisches auch, so frisch wie mein Weib war.“
Die Köchin ward bei dieser Rede unwirsch. Jedoch sie aßen gar reichlich und tranken wie die Schwämme. Und die Dame gab Ulenspiegel diese Nacht, die nächste und die folgenden das Nachtmahl.
Die Esel bekamen eine doppelte Metze Hafer und Lamm aß für zwei. Während einer Woche verließ er die Küche nicht und trieb sein Spiel mit den Schüsseln, aber nicht mit der Köchin, denn er gedachte seines Weibes. Solches verdroß die Jungfer, welche sagte, daß es sich nicht verlohnte, in dieser armen Welt Platz fortzunehmen, nur um an seinen Bauch zu denken.
Derweilen lebten Ulenspiegel und die Dame gar freundlich miteinander. Eines Tages sagte sie zu ihm:
„Thyl, Du bist nicht ehrbar. Wer bist Du?“
Er sagte: „Ich bin ein Sohn, den der glückliche Zufall eines Tages mit Frau Aventüre hatte.“
„Du sprichst nicht schlecht von Dir,“ sprach sie.
„Es geschieht aus Furcht, daß die Andern mich loben,“ entgegnete Ulenspiegel.
„Würdest Du Dich Deiner Brüder annehmen, die man verfolgt?“
„Klasens Asche brennt auf meiner Brust,“ erwiderte Ulenspiegel.
„Wie schön Du jetzt bist,“ sagte sie. „Wer ist Klas?“
„Mein Vater, der um des Glaubens willen verbrannt ist,“ sprach Ulenspiegel.
„Der Graf von Meghem gleicht Dir nicht,“ sprach sie. „Er will das Vaterland bluten lassen, und ich liebe es, denn ich bin zu Antwerpen, der glorreichen Stadt, geboren. Wisse denn, daß er mit dem Brabanter Ratsherrn Scheyf im Einvernehmen ist, seine zehen Fähnlein Fußvolk in Antwerpen einrücken zu lassen.“
„Ich werde es den Bürgern anzeigen,“ sagte Ulenspiegel, „und ich werde auf der Stelle hingehen, schnell wie ein Geist.“
Er ging hin, und am nächsten Tag waren die Bürger in Waffen.
Ulenspiegel und Lamm aber, so ihre Esel bei einem Pächter von Simon Simonsen eingestellt hatten, mußten sich verbergen, aus Furcht vor dem Grafen von Meghem, der sie allerorten suchen ließ, damit sie gehenkt würden; denn man hatte ihm gesagt, daß zwei Ketzer von seinem Wein getrunken und von seinem Fleisch gegessen hätten. Er war eifersüchtig, sagte es seiner schönen Dame, die vor Zorn mit den Zähnen knirschte, weinte und siebenzehn Mal in Ohnmacht fiel. Die Köchin tat das Nämliche, aber nicht so oft, und erklärte bei ihrem Anrecht aufs Paradies und ihrer ewigen Seligkeit, daß weder sie noch ihre Dame etwas andres getan hätten, als daß sie die Ueberreste des Mittagmahles zween armen Pilgern gegeben hätten, die auf zwei erbärmlichen Eseln reitend, vor dem Küchenfenster gehalten hätten.
Es wurden an jenem Tage so viel Tränen vergossen, daß der Fußboden davon ganz feucht war. Da Herr von Meghem solches sah, war er überzeugt, daß sie nicht lögen.
Lamm wagte sich nicht mehr in Herrn von Meghems Haus zu zeigen, denn die Köchin nannte ihn immer, „mein Weib“.
Er war schier betrübt, wenn er der Nahrung gedachte; aber Ulenspiegel brachte ihm allzeit ein gutes Gericht, denn er ging von der Sankt Katharinenstraße in das Haus und verbarg sich auf dem Boden.
Am folgenden Tage zur Vesper bekannte der Graf von Meghem seinem schönen Weibe, welcher Art er beschlossen hätte, die Reiterei, die er befehligte, vor Tag in Herzogenbusch einrücken zu lassen. Dann entschlief er. Das schöne Weib stieg auf den Boden und ließ Ulenspiegel die Sache wissen.
Ulenspiegel ging, als Pilger gekleidet, ohne Wegzehrung noch Geld flugs nach Herzogenbusch, um die Bürger zu warnen. Er wollte unterwegs bei Herrn Praet, Simons Bruder, ein Pferd nehmen; er hatte Briefe vom Prinzen für ihn. Von da wollte er im schnellsten Trab auf Richtwegen nach Herzogenbusch reiten.
Da er die Heerstraße kreuzte, sah er einen Haufen Kriegsvolks daherkommen. Er hatte große Furcht der Briefe halber. Aber da er entschlossen war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so erwartete er die Söldner stehenden Fußes und murmelte seine Paternoster. Als sie vorbeikamen, marschierte er mit ihnen und erfuhr, daß sie nach Herzogenbusch zogen.
Ein wallonisches Fähnlein eröffnete den Marsch. An der Spitze ritt der Hauptmann Lamotte mit seiner Leibwache von sechs Hellebardieren; dann ihrem Range nach der Fähndrich mit geringerem Geleit, der Profos mit seinen Hellebardieren und seinen zwei Stockknechten, der Wachtmeister, der Troßmeister, der Henker und sein Büttel und Pfeifer und Trommler, so großen Lärm vollführten. Alsdann kam ein vlämisches Fähnlein von zweihundert Mann mit seinem Hauptmann und Fähndrich. Es war in zwei Kompanieen geteilt, so von Feldwaibeln geführt wurden, und zerfiel in Rotten, denen Rottmeister vorstanden. Vor dem Profos und den Stockknechten zogen gleichermaßen Pfeifer und Trommler einher, die dröhnten und gellten.
Hinter ihnen kamen in zween Wagen ihre Gefährtinnen, schöne Dirnen, die lachten ausgelassen, zwitscherten wie Grasmücken, sangen wie Nachtigallen, aßen, tranken, tanzten, stunden, lagen oder saßen rittlings in den Wagen.
Etliche waren wie Landsknechte gekleidet, aber in feines, weißes Linnen, am Halse entblößt und an Armen und Beinen und am Wamse geschlitzt, also daß der reizende Körper zu sehen war. Sie trugen Mützen von feinem Linnen, mit Gold verbrämt und mit schönen Straußenfedern darauf, so im Winde wallten. An ihren Gürteln von Goldbrokat mit Krausen von rotem Atlas hingen ihre Dolche in Scheiden aus Goldstoff. Und ihre Schuhe, Strümpfe und Kniehosen, ihre Wämse, Nesteln und Zierarten waren eitel Gold und weiße Seide.
Andere waren auch nach Art der Landsknechte gekleidet, aber in Blau, Grün, Scharlach, Himmelblau, Purpur und nach Willkür und Laune geschlitzt, bestickt und mit Wappen geziert. Und alle hatten am Arm das bunte Rädlein, so ihr Handwerk bedeutet. Ein Hurenwaibel, der sie befehligte, wollte sie zum Schweigen bringen, aber sie brachten ihn durch ihre artigen Fratzen und Reden zum Lachen und gehorchten ihm nicht.
Als Pilger gekleidet, zog Ulenspiegel neben den zwei Fähnlein daher wie ein Nachen neben einem großen Schiff. Und er murmelte seine Paternoster.
Plötzlich sagte Lamotte zu ihm:
„Wohin gehst Du, Pilger?“
„Herr Hauptmann,“ antwortete der hungrige Ulenspiegel, „ich habe ehemals eine große Sünde begangen und ward vom Kapitel Unserer lieben Frau verurteilt, zu Fuß nach Rom zu pilgern und den heiligen Vater um Ablaß zu bitten, welchen er mir auch gab. Ich kehrte von Sünde gereinigt in diese Lande zurück, unter der Bedingung, unterwegs allem Kriegsvolk, dem ich begegne, die heiligen Mysterien zu predigen. Dafür soll ich zum Lohne Brot und Wein empfahen. Und so predigend friste ich mein armes Leben. Verstattet mir, beim nächsten Halt meinem Gelübde nachzukommen.“
„Wohl“, sprach Herr von Lamotte.
Indem Ulenspiegel sich brüderlich unter die Wallonen und Vlamländer mischte, befühlte er die Briefe unter seinem Wams.
Die Dirnen riefen ihm zu:
„Pilger, schöner Pilger, komm hierher und zeig uns die Macht Deiner Muschelschalen.“
Ulenspiegel trat zu ihnen und sagte ehrbar:
„Meine Schwestern in Christo, spottet nicht des armen Pilgers, der über Berg und Tal wandert, um den Soldaten den heiligen Glauben zu predigen.“
Und er verschlang ihre holden Reize mit den Augen. Aber die Dirnen streckten ihre muntern Gesichter zwischen den Planen der Wagen herfür.
„Du bist gar jung,“ sprachen sie, „um den Soldaten zu predigen, steig in unsere Wagen, wir werden dich süßere Reden lehren.“
Ulenspiegel hätte gern gehorcht, aber er konnte nicht wegen der Briefe. Schon streckten zwei von ihnen ihre runden, weißen Arme aus dem Wagen und trachteten, ihn zu sich hinauf zu ziehen. Da sprach der Hurenwaibel voll Eifersucht zu Ulenspiegel: „Wenn Du nicht fortgehst, so schlage ich Dich in Stücke.“
Und Ulenspiegel hielt sich weiter ab und betrachtete heimlich die frischen Mägdlein, welche die Sonne, die hell auf den Weg schien, vergüldete.
Sie kamen nach Berchem. Philipp von Lannoy, Ritter von Beauvoir, der die Vlamländer kommandierte, befahl Halt zu machen.
An diesem Platze stund eine Eiche von mittlerem Wuchs, die war ihrer Äste beraubt, ausgenommen einen sehr starken, der mitten durchgebrochen war. Daran hatte man im vorigen Monat einen Wiedertäufer aufgeknüpft.
Die Soldaten machten Halt; die Marketender kamen herzu und verkauften ihnen Brot, Wein, Bier und Fleisch jeglicher Art. Den Dirnen dagegen verkauften sie Zucker, Kapaune, Mandeln und süßes Gebäck. Da Ulenspiegel solches sah, ward er noch hungriger.
Plötzlich kletterte er wie ein Affe auf den Baum und setzte sich rittlings auf den dicken Ast, der sieben Fuß über der Erde war. Dieweil die Soldaten und Dirnen ihn im Kreise umringten, kasteite er sich mit einer Geißel und sprach:
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Es stehet geschrieben: Welcher den Armen gibt, leihet Gott aus. Soldaten und Ihr, schöne Damen, reizende Liebesgefährtinnen dieser tapferen Krieger, leihet Gott. Das heißt: „Gebet mir Brot, Fleisch, Wein und Bier, so es Euch beliebt. Und nichts für ungut, auch Kuchen; und Gott, der so reich ist, wird es Euch heimzahlen in Bergen von Fettammern, in Strömen von Malvasier, in Haufen von Kandiszucker und Reisbrei, den Ihr im Paradiese mit silbernen Löffeln sollt essen.“
Dann jammerte er: „Sehet Ihr nicht, durch welch grausame Marter ich trachte, meiner Sünden Vergebung zu verdienen? Erleichtert Ihr nicht den brennenden Schmerz dieser Geißel, die mir den Rücken wund und blutig macht?“
„Wer ist dieser Narr?“ sagten die Soldaten.
„Meine Freunde,“ entgegnete Ulenspiegel, „ich bin nicht närrisch, sondern reuevoll und ausgehungert; denn während mein Geist seine Sünden beweint, beweint mein Bauch den Mangel an Fleisch. Ihr glücklichen Soldaten und Ihr schönen Mägdlein, ich sehe da bei Euch fetten Schinken, Gans, Würste, Wein, Bier und Kuchen. Wolltet Ihr dem Pilger nichts geben?“
„Ja, ja,“ sagten die vlämischen Soldaten, „er hat ein gutes Gesicht, dieser Prediger.“
Und alle warfen ihm Bissen zu wie Bälle. Ulenspiegel hörte nicht auf zu reden und aß, auf dem Aste reitend.
„Der Hunger“, sprach er, „macht den Menschen hart und zum Gebet untauglich, aber der Schinken verscheucht sogleich diese üble Laune“.
„Achtung, der Kopf wird gespalten“, rief ein Feldwaibel und warf ihm eine halbvolle Flasche zu.
Ulenspiegel fing sie im Fluge auf, trank kleine Schlucke und sprach: „So wie der scharfe, wütende Hunger für den elenden Körper des Menschen ein schädlich Ding ist, so gibt es noch ein anderes nicht minder verderbliches Ding. Was ist die Angst eines armen Pilgers, welchem hochherzige Soldaten eine Schnitte Schinken und eine Flasche Bier gegeben haben? Denn der Pilger ist gemeiniglich nüchtern, und so er mit so geringer Nahrung im Magen tränke, würde er flugs trunken sein.“
Wie er so sprach, fing er abermals im Flug eine Gänsekäule auf.
„Das ist ein wundersam Ding,“ sagte er, „in der Luft Wiesenfische zu fischen. Doch dieser ist mitsamt dem Beine verschwunden. Was ist gieriger als trockner Sand? Ein unfruchtbar Weib und ein ausgehungerter Magen.“
Plötzlich fühlte er, daß eine Hellebardenspitze ihn ins Gesäß stach. Und er hörte einen Fähndrich sagen:
„Verschmähen die Pilger jetzo eine Hammelkeule?“
Ulenspiegel sah eine große Hammelkeule auf die Spitze der Hellebarde gespießt. Er nahm sie und sagte:
„Keule gegen Keule: diese ist mir lieber als der Keulenärmel an meinem Wams. Ich werde eine Markflöte daraus machen, um Dein Loblied zu singen, Du barmherziger Hellebardier. Jedoch,“ sagte er, die Keule benagend, „was ist eine Mahlzeit ohne Nachtisch? Was ist eine Keule, so saftig sie auch sei, wenn dem Pilger hernach nicht ein Stück Kuchen lächelt?“
So sprechend, faßte er mit der Hand nach dem Gesicht, denn zwei Kuchen, so aus der Schar der losen Jungfrauen kamen, waren einer auf seinem Auge, der andere auf seiner Wange zerquetscht. Und die Mädchen lachten und Ulenspiegel antwortete:
„Großen Dank, Ihr herzigen Mägdlein, daß Ihr mir den Ritterschlag mit Zuckerbrot gebet.“
Aber die Kuchen waren zu Boden gefallen.
Plötzlich erdröhnten die Trommeln, die Pfeifen gellten und die Soldaten marschierten davon. Herr von Beauvoir hieß Ulenspiegel von seinem Baume herabsteigen und neben dem Kriegervolk einherziehen, von dem er hundert Meilen hätte fern sein mögen. Denn er witterte aus den Worten etlicher finster dreinschauender Kriegsknechte, daß er ihnen verdächtig sei und daß sie ihn alsbald für einen Spion nehmen, ihn durchsuchen und aufknüpfen würden, wenn sie seine Sendschreiben fänden.
Drum ließ er sich in einen Graben fallen und schrie:
„Erbarmen, Ihr Herren Soldaten, ich habe das Bein gebrochen, ich könnte nicht mehr gehen, lasset mich in den Wagen der Mädchen steigen.“
Aber er wußte, daß der eifersüchtige Waibel es ihm nicht verstatten würde.
Die aus dem Wagen riefen ihm zu:
„Wohlan, komm doch, artiger Pilger, komm. Wir wollen Dich lieben, herzen, bewirten und Dich an einem Tage heilen.“
„Ich weiß es,“ sagte er, „Frauenhände sind ein göttlicher Balsam für alle Wunden.“
Aber der eifersüchtige Waibel sprach zu Herrn von Lamotte:
„Euer Gnaden, ich glaube, dieser Pilger hat uns mit seinem gebrochenen Beine zum besten, um in den Wagen der Dirnen zu steigen. Befehlet, daß man ihn auf dem Wege zurücklasse.“
„Das will ich,“ antwortete Herr von Lamotte.
Und Ulenspiegel ward in dem Graben gelassen.
Etliche Soldaten glaubten, daß er wahrhaftig das Bein gebrochen habe, und waren betrübt darüber, maßen er ein so fröhlicher Gesell war. Sie ließen ihm Fleisch und Wein für zwei Tage. Die Mädchen wären ihm gerne zu Hilfe gekommen, aber da sie es nicht vermochten, warfen sie ihm alles zu, was ihnen von den Hühnern geblieben war.
Da das Kriegsvolk sich verzogen hatte, lief Ulenspiegel in seinem Pilgerkleid querfeldein, kaufte sich ein Pferd und kam auf Wegen und Stegen wie der Wind nach Herzogenbusch.
Bei der Kunde von der Ankunft der Herren von Beauvoir und von Lamotte waffneten sich die aus der Stadt, achthundert Mann hoch, wählten Hauptleute und sandten Ulenspiegel als Kohlenträger verkleidet nach Antwerpen, um Hilfe von Brederode, dem herkulischen Zecher zu holen.
Und die Herren von Lamotte und von Beauvoir fanden Herzogenbusch, die wachsame Stadt, zu kühner Abwehr bereit und konnten nicht eindringen.
Im folgenden Mond gab ein gewisser Doktor Agileus Ulenspiegel zwei Gülden und Briefe, mit denen er sich zu Simon Praet begeben sollte; der würde ihm sagen, was er tun sollte.
Ulenspiegel fand bei Praet Kost und Obdach. Sein Schlaf war gut und gut war auch sein jugendlich blühendes Antlitz. Praet hingegen war schwächlich und von kläglichem Aussehen und schien immer in traurigen Gedanken befangen. Ulenspiegel verwunderte sich des Nachts, wenn er von Ohngefähr erwachte und hämmern hörte.
So zeitig er aufstand, Simon Praet war vor ihm auf und sein Aussehen war noch kläglicher und seine Blicke noch trauriger. Sie erglänzten wie die eines Mannes, der sich auf den Tod oder die Schlacht bereitet.
Oft seufzete Praet, die Hände zum Beten gefaltet, und allezeit schien er voller Grimm. Seine Finger waren schwarz und schmierig, desgleichen seine Arme und seine Hand.
Ulenspiegel beschloß zu erfahren, woher das Hämmern, die schwarzen Arme und Praets Trübsinn kämen.
Eines Abends, da er in Simons Gesellschaft, der wider Willen dort weilte, in der Schenke zur „Blauen Gans“ gewesen war, stellte er sich als ob er so viel getrunken und solch einen Rausch im Kopf hätte, daß er ihn stracks auf das Kissen hinlegen müßte. Und Praet führte ihn traurig nach Hause.
Ulenspiegel schlief auf dem Boden bei den Katzen; Simons Bett war unten beim Keller.
Ulenspiegel stellte sich fürderhin trunken, stieg taumelnd die Stiege hinauf, tat, als ob er fiele, und hielt sich am Strick fest. Simon half ihm mit zärtlicher Sorgfalt wie ein Bruder. Nachdem er ihn zu Bett gebracht, ob seiner Trunkenheit bedauert und Gott gebeten hatte, sie ihm zu verzeihen, ging er hinunter, und alsbald vernahm Ulenspiegel die nämlichen Hammerschläge, die ihn manches Mal geweckt hatten.
Er stand geräuschlos auf, stieg barfuß die schmale Stiege hinunter, also daß er sich nach zweiundsiebenzig Stufen vor einer niederen Tür befand, durch deren Spalte ein schwacher Lichtschein drang. Simon druckte Flugblätter mit alten Lettern aus der Zeit von Laurens Costers, dem großen Verbreiter der edlen Buchdruckerkunst. „Was machst Du da?“ fragte Ulenspiegel.
Simon antwortete erschrocken:
„Wenn Du des Teufels bist, zeige mich an, auf daß ich sterbe. Bist Du aber Gottes, so sei Dein Mund Deiner Zunge Kerker.“
„Ich bin Gottes,“ antwortete Ulenspiegel, „und will Dir nichts Übles tun. Was tust Du da?“
„Ich drucke Bibeln,“ antwortete Simon. „Denn wenn ich über Tag, um mein Weib und meine Kinder zu ernähren, die grausamen und schlechten Edikte Seiner Majestät veröffentliche, so säe ich nachts das wahrhaftige Wort Gottes aus und mache so das Übel wieder gut, das ich am Tage tue.“
„Du bist tapfer,“ sagte Ulenspiegel.
„Ich bin im Glauben,“ entgegnete Simon.
Und wahrlich, aus dieser frommen Druckerei gingen Bibeln in vlämischer Sprache hervor, so sich in den Ländern Brabant, Flandern, Holland, Seeland, Utrecht, Nord-Brabant, Ober-Yssel und Gelderland verbreiteten, bis an den Tag, wo Simon verurteilt wurde, geköpft zu werden, und also sein Leben für Christum und die Gerechtigkeit vollendete.
Eines Tages sagte Simon zu Ulenspiegel:
„Höre, Bruder, hast Du Mut?“
„Ich habe soviel, wie nötig ist, um einen Spanier zu peitschen, bis daß der Tod erfolgt, einen Meuchelmörder zu töten und einem Totschläger das Leben zu nehmen,“ entgegnete Ulenspiegel.
„Vermöchtest Du geduldig in einem Kamin auszuharren und zu horchen, was in einem Gemache gesprochen wird?“ fragte der Drucker.
Ulenspiegel antwortete: „Da ich durch Gottes Gnade ein starkes Kreuz und geschmeidige Kniekehlen habe, so könnte ich mich wie eine Katze lange festhalten, wo ich wollte.“
„Hast Du Geduld und Gedächtnis?“ fragte Simon.
„Klasens Asche brennt auf meiner Brust“, entgegnete Ulenspiegel.
„Höre denn,“ sagte der Buchdrucker. „Du wirst diese also gefaltete Spielkarte nehmen, nach Dendermonde gehen und allda zweimal stark und einmal leise an die Türe des Hauses pochen, dessen Abbild hier gezeichnet ist. Jemand wird Dir öffnen und Dich fragen, ob Du der Kaminkehrer bist. Du antwortest, daß Du mager bist, und daß Du die Karte nicht verloren hast. Du zeigst sie ihm. Alsdann, Thyl, wirst Du tun, was sein muß. Großes Unheil schwebt über dem Lande Flandern. Man wird Dir einen Kamin zeigen, der schon im voraus zugerichtet und gekehrt ist. Du wirst darin gute Krampen für Deine Füße und als Sitz ein kleines, sicher befestigtes Brett finden. Wenn der, welcher Dir aufgemacht hat, Dich heißen wird, in den Kamin zu steigen, wirst Du es tun und Dich ruhig darin verhalten. Erlauchte Herren werden sich in dem Gemache vor dem Kamin, in dem Du sein wirst, vereinigen. Es sind Wilhelm der Schweiger, Prinz von Oranien, die Grafen von Egmont, von Hoorn, von Hoogstraten und Ludwig von Nassau, der wackere Bruder des Schweigers. Wir Reformierten wollen wissen, was diese Herren unternehmen wollen und können, um die Lande zu retten.“
Es war aber am ersten Tage des Ostermonds, daß Ulenspiegel tat, wie ihm geheißen war, und sich in den Kamin setzte. Er war es zufrieden, daß kein Feuer darinnen war, denn er gedachte, wenn kein Rauch da wäre, würde sein Gehör um so schärfer sein.
Alsbald öffnete sich die Türe des Saales und ein Windstoß ging ihm durch und durch. Aber er nahm diesen Wind in Geduld hin und sagte sich, daß er seine Aufmerksamkeit auffrischen würde. Darnach hörte er die Herren von Oranien, Egmont und die anderen in das Gemach treten. Sie begannen zu reden: von den Befürchtungen, die sie hatten, vom Zorne des Königs und der schlechten Verwaltung der Gelder und Finanzen. Einer sprach in hellem, bittrem, hoffärtigem Tone, das war Egmont. Ulenspiegel erkannte ihn wieder, desgleichen Hoogstraten an seiner heiseren Stimme, von Hoorn an seiner lauten Stimme, den Grafen Ludwig von Nassau an seinem derben, kriegerischen Ton, und den Schweiger daran, daß er alle seine Worte langsam aussprach, als wöge er ein jegliches auf einer Wage.
Graf Egmont fragte, warum man sie zum andern Male zusammen riefe, maßen sie in Hellegat Muße gehabt hätten, sich zu entscheiden, was sie tun wollten.
Von Hoorn antwortete:
„Die Zeit entfleucht; der König ist zornig; hüten wir uns zu zaudern.“
Da sagte der Schweiger:
„Die Lande sind bedroht; man muß sie vor dem Angriff eines fremden Heeres schirmen.“
Egmont entgegnete aufbrausend, es verwunderte ihn, daß der Herr und König sich bemüßigt fühlte, ein Heer zu entsenden, nun, da durch der Herren Fürsorge, in Sonderheit die seine, alles beruhigt sei.
Doch der Schweiger versetzte:
„Philipp hat in den Niederlanden vierzehn Haufen Kriegsvolk, und ein jeder Soldat hält zu Dem, der bei Saint-Quentin und bei Gravelingen befehligte.“
„Ich verstehe nicht,“ sprach Egmont.
Der Prinz erwiderte: „Ich will nicht mehr sagen, doch es sollen Euch und den versammelten Herren gewisse Briefe verlesen werden, mit denen des armen Gefangenen Montigny anfangend.“
In diesen Briefen schrieb Herr von Montigny:
„Der König ist höchlichst erzürnt ob der Geschehnisse in den Niederlanden, und er wird die Begünstiger der Unruhen zur gegebenen Zeit strafen.“
Worauf Graf Egmont sagte, daß es ihn fröre und daß man gut täte, ein starkes Holzfeuer anzulegen. Solches geschah, dieweil die beiden Herren über die Briefe sprachen. Aber das Feuer wollte nicht brennen, aus Ursach des allzu großen Pfropfens, der im Kamin war, und das Gemach wurde voll Rauch.
Hustend verlas Graf von Hoogstraten alsdann die aufgefangenen Briefe Alavas, des hispanischen Gesandten, die an die Regentin gerichtet waren.
„Der Gesandte“, sagte er, „schreibt, daß alles Unheil, so in den Niederlanden geschehen, das Werk der Drei sei; zu vermelden: der Herren von Oranien, von Egmont und von Hoorn. Man müsse, sagt er, den drei Herren ein freundlich Gesicht zeigen und ihnen sagen, daß der König anerkenne, daß er diese Lande durch ihre Dienste in Botmäßigkeit erhalten. Was aber die beiden, Montigny und de Berghes beträfe, so seien sie da, wo sie bleiben sollten.“
„Ei,“ sagte Ulenspiegel, „mir ist ein rauchiger Kamin im Lande Flandern lieber denn ein kühles Gefängnis im Lande Hispanien; sintemalen zwischen den feuchten Mauern Knebel wachsen!“
„Besagter Gesandte fügt hinzu, daß der König in der Stadt Madrid gesagt habe: „Durch alles, was in den Niederlanden sich zugetragen, ist Unser königliches Ansehen erschüttert, der Gottesdienst erniedrigt, und lieber werden Wir alle Unsere Lande in Gefahr bringen, als eine solche Rebellion ungestraft lassen. Wir sind entschlossen, in höchsteigner Person nach den Niederlanden zu reisen und Papst wie Kaiser um Beistand anzugehen. Unter dem gegenwärtigen Unglück ruht das zukünftige Glück. Wir werden die Niederlande unter Unsre uneingeschränkte Botmäßigkeit zwingen und Staat, Religion und Regierung nach Unserm Belieben ändern.“
„Ha, König Philipp,“ sprach Ulenspiegel zu sich, „so ich Dich nach meiner Art ändern könnte, würdest Du unter meinem vlämischen Knüttel eine gewaltige Veränderung Deiner Schenkel, Arme und Beine erleiden. Ich würde Dir den Kopf mit zwei Nägeln mitten auf den Rücken heften, um zu sehen, ob Du in dem Zustande, wenn Du den Totenacker, den Du hinter Dir lässest, erblickst, auch noch das Lied von der tyrannischen Veränderung singst.“
Es wurde Wein gebracht. Von Hoogstraten erhob sich und sagte:
„Ich trinke auf das Wohl der Lande.“ Alle taten wie er. Er setzte den Humpen leer auf den Tisch und fügte hinzu: „Die böse Stunde schlägt für den belgischen Adel, man muß auf Mittel bedacht sein, sich zu verteidigen.“
Eine Antwort erwartend, blickte er Egmont an, der aber blieb stumm.
Doch der Schweiger sprach: „Wir werden widerstehen, wenn Egmont, der bei Saint-Quentin und Gravelingen zweimal Frankreich erzittern ließ und bei den vlämischen Söldnern unbedingtes Ansehen genießt, uns zu Hilfe kommen und die Spanier hindern will, in unsere Lande zu dringen.“
Herr von Egmont erwiderte:
„Ich habe eine zu ehrerbietige Meinung vom König, um zu glauben, daß wir uns als Rebellen wider ihn wappnen müssen. Mögen die, so seinen Zorn fürchten, sich zurückziehen. Ich werde bleiben, denn ich sehe keine Möglichkeit, mich ohne seine Hilfe zu erhalten.“
„Philipp kann sich grausam rächen,“ sagte der Schweiger.
„Ich habe Vertrauen,“ entgegnete Egmont.
„Den Kopf einbegriffen?“ fragte Ludwig von Nassau.
„Kopf, Körper und Ergebenheit, die sein sind, einbegriffen,“ antwortete Egmont.
„Lieber und Getreuer,“ sagte von Hoorn, „ich werde handeln wie Du.“
Der Schweiger sagte: „Man muß voraussehen und nicht warten.“
Nunmehr redete Herr von Egmont heftig und sprach: „Ich habe zu Grammont zweiundzwanzig Reformierte henken lassen. Wenn die Predigten aufhören, wenn man die Bilderstürmer bestraft, wird des Königs Zorn sich besänftigen.“
Der Schweiger erwiderte: „Es gibt trügerische Hoffnungen.“
„Wappnen wir uns mit Vertrauen,“ sagte Egmont.
„Wappnen wir uns mit Vertrauen,“ sagte von Hoorn.
„Mit Eisen müssen wir uns wappnen und nicht mit Vertrauen,“ entgegnete von Hoogstraten.
Hierauf winkte der Schweiger, zum Zeichen, daß er gehen wolle.
„Gehabt Euch wohl, Prinz ohne Land,“ sagte Egmont.
„Gehabt Euch wohl, Graf ohne Kopf,“ antwortete der Schweiger.
Ludwig von Nassau sagte darauf: „Der Schlächter ist für das Schaf und der Ruhm für den Soldaten, der das Land seiner Väter rettet!“
„Ich kann und will es nicht,“ sagte Egmont.
„Das Blut der Opfer komme über das Haupt des Höflings,“ sagte Ulenspiegel.
Die Herren zogen sich zurück.
Alsbald stieg Ulenspiegel aus seinem Kamin und ging ohne Verzug zu Praet, ihm die Zeitung zu bringen. Der sagte: „Egmont ist ein Verräter; Gott ist mit dem Prinzen.“
Der Herzog, der Herzog in Brüssel! Wo sind eiserne Truhen, die Flügel haben?
Er geht, der Schweiger, Gott führt ihn.
Die beiden Grafen sind schon gefangen; Alba verspricht dem Schweiger Milde und Verzeihung, wenn er vor ihm erscheint.
Bei dieser Kunde sagt Ulenspiegel zu Lamm: „Beim Mantel meines Liebchens! Der Herzog läßt auf Dubois, des Generalprokurators Drängen, den Prinzen von Oranien, Ludwig, seinen Bruder, von Hoogstraten, van den Bergh, Kuilenburg, von Brederode und andre Freunde des Prinzen entbieten, in dreimal vierzehn Tagen vor ihm zu erscheinen, und verspricht ihnen gerechtes Urteil und Begnadigung. Höre, Lamm: Eines Tages forderte ein Amsterdamer Jude einen seiner Feinde auf, in die Gasse herunterzukommen; er stund in der Gasse, der andere an einem Fenster. „Steig doch herunter“, sagte er, „und ich werde Dir einen solchen Faustschlag auf den Kopf geben, daß er Dir in die Brust rutscht und daß Du durch Deine Rippen siehst, wie ein Dieb durch das Gitter seines Gefängnisses.“ Der Aufgeforderte erwiderte: „Wenn Du mir auch hundert Mal mehr versprächest, so würde ich doch nicht herunterkommen.“ Also mögen Oranien und die Andern antworten.“
Und sie taten es, indem sie sich weigerten zu erscheinen. Von Egmont und von Hoorn folgten ihrem Beispiel nicht. Und Schwachheit in der Pflicht ruft das Schicksal herbei.
Zur selbigen Zeit wurden auf dem Roßmarkt zu Brüssel die Herren von Andelot, die Kinder Battenburgs und andere erlauchte und tapfere Ritter enthauptet, welche sich der Stadt Amsterdam durch einen Überfall hatten bemächtigen wollen. Und dieweil sie zum Richtplatze gingen und Psalmen sangen / es waren ihrer achtzehn / erdröhnten die Trommeln vor und hinter ihnen, den ganzen Weg entlang.
Und die hispanischen Söldner, die sie begleiteten und brennende Fackeln trugen, verbrannten ihnen damit den Körper an allen Stellen. Und wenn sie des Schmerzes halber zuckten, sagten die Söldner:
„Wie, Ihr Lutheraner, tut es Euch denn wehe, so bald verbrannt zu werden?“
Und der sie verraten hatte, war einer namens Dierick Slosse; der hatte sie zu dem noch katholischen Enkhuyse geführt, um sie des Herzogs Bluthunden zu überliefern.
Und sie starben tapfer.
Und der König erbte.
„Sahest Du sie vorbeigehen?“ fragte Ulenspiegel, welcher als Holzhacker gekleidet war, den gleich ausstaffierten Lamm. „Sahest Du den schlimmen Herzog mit seiner Stirn, die oben so flach ist wie die des Adlers, und seinem langen Bart, der dem Ende eines Strickes gleicht, der von einem Galgen herunterhängt? Daß Gott ihn daran erdrossele! Sahest Du diese Spinne mit ihren langen, haarigen Beinen, die Satan beim Erbrechen auf diese Lande spie? Komm, Lamm, komm, wir wollen ihr Steine ins Netz werfen ...“
„Wehe,“ sagte Lamm, „wir werden lebendig verbrannt werden.“
„Komm nach Groenendal, viellieber Freund; komm nach Groenendal. Da ist ein schönes Kloster, allwo Seine Herzogliche Gnaden, die Spinne, Gott um Frieden bitten wird, auf daß er ihn sein Werk vollenden lasse, welches ist: seine unsauberen Geister an Aas zu ergötzen. Wir sind in der Fastenzeit, und nur des Blutes will Seine Gnaden sich nicht enthalten. Komm, Lamm, es sind dreihundert gewappnete Reiter um das Stadthaus von Ohain, dreihundert Mann Fußvolk sind in kleinen Trupps aufgebrochen und dringen in den Wald von Soignes ein.
„Alsbald, wenn Alba seine Andacht halten wird, gehen wir auf ihn los, und wenn wir ihn gefangen haben, setzen wir ihn in einen schönen, eisernen Käfig und schicken ihn dem Prinzen.“
Doch Lamm sprach, vor Angst schaudernd, zu Ulenspiegel:
„Große Gefahr, mein Sohn! Ich würde Dir bei diesem Unternehmen folgen, wenn meine Beine nicht so schwach wären, und mein Bauch von dem sauern Bier, so sie in dieser Stadt Brüssel trinken, nicht so aufgebläht wäre.“
Diese Reden wurden in einem Loche geführt, das im Walde mitten im Dickicht in die Erde gegraben war. Plötzlich, da sie wie das Auge eines Dachshundes durch die Blätter spähten, sahen sie die gelben und roten Röcke der herzoglichen Söldner, die zu Fuß durch den Wald gingen. Ihr Gewaffen blitzte im Sonnenschein.
„Wir sind verraten,“ sagte Ulenspiegel.
Als er die Söldner nicht mehr sah, rannte er im schnellsten Lauf bis nach Ohain. Die Söldner ließen ihn ob seiner Holzhackertracht und der Holzlast, so er auf dem Rücken trug, unbeachtet passieren. Da fand er die Reiter wartend; er verbreitete die Kunde, und alle stoben auseinander und entkamen, außer dem Herrn von Bausart d’Armentières, der gefangen ward. Von den Fußsoldaten aber, die aus Brüssel kamen, konnte man keinen fassen. Herr von Bausart zahlte grausam für die andern. Und es war ein feiger Verräter vom Regiment des Herrn von Likes, der sie allesamt verriet.
Ulenspiegel, dem das Herz vor Angst klopfte, ging nach dem Viehmarkt zu Brüssel, um seine grausame Hinrichtung anzusehen.
Und der arme Armentières ward auf das Rad geflochten und empfing siebenunddreißig Schläge mit der Eisenstange auf die Beine, Arme, Füße und Hände, die eines um das andere zerbrochen wurden, denn die Henker wollten ihn grausam leiden sehen. Und den siebenunddreißigsten empfing er auf die Brust und starb daran.
An einem hellen, linden Junitage ward zu Brüssel auf dem Markte vor dem Rathaus ein mit schwarzem Tuch bedecktes Schaffot aufgerichtet und daneben zween hohe Pfähle mit Eisenspitzen. Auf dem Blutgerüst waren zwei schwarze Kissen und ein Tischlein, darauf ein silbern Kreuz stand.
Und auf diesem Schaffot wurden die edlen Grafen von Egmont und von Hoorn mit dem Schwerte enthauptet. Und der König erbte.
Und der Gesandte von Franz, dem ersten dieses Namens, sagte von Egmont:
„Ich sah soeben dem, der zweimal Frankreich erzittern machte, das Haupt abschlagen.“
Und die Köpfe der Grafen wurden auf die Eisenspitzen gesteckt.
Und Ulenspiegel sprach zu Lamm:
„Die Leiber und das Blut sind mit schwarzem Tuche verdeckt. Gesegnet seien, so in den schwarzen Tagen, die da kommen werden, Mut hoch und den Degen aufrecht halten.“
Um dieselbige Zeit brachte der Schweiger ein Heer zusammen und ließ es von drei Seiten in die Niederlande einfallen.
Und Ulenspiegel sprach in einer Versammlung wilder Geusen von Marenhout:
„Auf den Rat der Inquisitionsmänner hat Philipp der König alle Einwohner der Niederlande des Majestätsverbrechens schuldig erklärt durch die Tat der Ketzerei, sowohl wer ihr angehangen, als wer ihr kein Hindernis in den Weg gelegt hat. In Ansehung dieses abscheulichen Verbrechens verdammt er sie alle, ohne Rücksicht auf Geschlecht oder Alter, mit Ausnahme der namentlich Bezeichneten, zu den Strafen, die auf solche Frevel stehen; und solches ohne alle Hoffnung auf Gnade. Der König erbt. Der Tod mäht in dem reichen, weiten Lande, das die Nordsee, die Grafschaft Emden, die Ems, die Länder Westphalen, Cleve, Jülich, Lüttich, die Bistümer Cöln und Trier, die Länder Lothringen und Frankreich begrenzen. Der Tod mäht auf einer Fläche von dreihundertundvierzig Meilen in zweihundert mit Mauern umgebenen Städten, in hundertundfünfzig Dörfern mit Städterecht, in den Flecken, auf den Feldern und Ebenen. Der König erbt.
„Elftausend Henker sind nicht zuviel, um die Arbeit zu tun. Alba nennt sie Soldaten. Und das Land der Väter ist ein Beinhaus geworden, woraus die Künste fliehen, das Handwerk entweicht und welches die Gewerbe verlassen, um den Fremden zu bereichern, der ihnen erlaubt, bei ihm den Gott des freien Gewissens anzubeten. Tod und Verderben mähen. Der König erbt.
„Die Lande hatten ihre Privilegien erworben durch viel Geld, das sie bedürftigen Fürsten gaben; diese Privilegien sind eingezogen. Sie hatten gehofft, den Verträgen gemäß, die zwischen ihnen und den Herrschern geschlossen waren, den Reichtum, die Frucht ihrer Arbeit, zu genießen. Sie täuschen sich: der Maurer baut für die Feuersbrunst, der Handarbeiter arbeitet für den Dieb. Und der König erbt.
„Blut und Tränen! Der Tod mäht auf den Scheiterhaufen, an den Bäumen, die längs der Heerstraße als Galgen dienen, in den offenen Gruben, in welche die armen Mägdlein lebendig geworfen werden. Andre werden in den Gefängnissen ertränkt, inmitten von angezündeten Reisigbündeln bei langsamem Feuer gebraten oder kommen in brennenden Strohhütten in Flamme und Rauch um. Der König erbt.
„Also hat der römische Papst es gewollt.
„Die Städte sind übervoll von Spionen, so ihren Anteil vom Vermögen der Opfer erwarten. Je reicher, desto schuldiger ist man. Der König erbt.
„Doch die tapferen Männer des Landes werden sich nicht gleich Lämmern erwürgen lassen. Unter den Flüchtigen sind Bewaffnete, die in die Wälder flüchten. Die Mönche hatten sie angezeigt, auf daß man sie töte und ihnen ihr Vermögen nähme. Darum stürzen sie sich bei Nacht und Tag wie die wilden Tiere auf die Klöster und nehmen dort das Geld wieder, das dem armen Volke in Gestalt von Leuchtern, güldenen und silbernen Reliquienschreinen, Speisekelchen, Hostientellern und kostbaren Gefäßen gestohlen ist. Nicht so, Ihr guten Leute? Und sie trinken dort den Wein, den die Mönche für sich bewahrten. Die geschmolzenen oder verpfändeten Gefäße werden zum heiligen Kriege dienen. Es lebe der Geuse!
„Sie beunruhigen des Königs Soldaten, töten und berauben sie und fliehen dann in ihre Schlupfwinkel. Bei Tag und Nacht sieht man in den Wäldern nächtliche Feuer brennen und verlöschen und immerwährend den Platz verändern. Das ist das Feuer unserer Gelage. Unser ist das Wild mit Fell und Feder. Wir sind die Herren; die Bauern geben uns Speck und Brot, wann wir wollen. Lamm, betrachte sie. Zerlumpt, wild, entschlossen, mit stolzem Blick, irren sie mit ihren Äxten, Hellebarden, langen Degen, kurzen Schwertern, Piken, Lanzen, Armbrüsten und Hakenbüchsen in den Wäldern umher. Alle Waffen sind ihnen recht, und sie wollen nicht unter Fahnen marschieren. Es lebe der Geuse!“
Und Ulenspiegel sang:
Und alle tranken und schrieen:
„Es lebe der Geuse!“
Und Ulenspiegel trank aus dem vergüldeten Humpen eines Mönches und betrachtete voller Stolz der wilden Geusen kühne Gesichter.
„Ihr wilden Männer,“ sagte er, „Ihr seid Wölfe, Leuen und Tiger, fresset die Hunde des Blutkönigs.“
Sie sangen und sagten: „Es lebe der Geuse!
Da Ulenspiegel zu Ypern war, warb er Soldaten für den Prinzen. Von des Herzogs Bluthunden verfolgt, bot er sich dem Propst von Sankt Martin als Küster an. Er hatte allda einen Glöckner namens Pompilius Numa zum Gefährten, eine ausgemachte Memme, der nachts seinen Schatten für den Teufel und sein Hemd für ein Gespenst hielt.
Der Propst war fett und feist wie ein Masthuhn, das für den Spieß reif ist. Ulenspiegel sah alsbald, von welchem Kraut er weidete, um soviel Speck anzusetzen. Wie er es von dem Glöckner erfuhr und mit eigenen Augen ersah, speiste der Propst um neun Uhr zu Mittag und um vier zu Abend. Bis acht ein halb Uhr blieb er im Bette, alsdann ging er vor dem Mittagessen in seiner Kirche spazieren, um zu sehen, ob die Opferstöcke wohl gefüllt seien. Und die Hälfte davon tat er in seinen Säckel. Um neun verspeiste er eine Satte Milch, eine halbe Hammelkeule, eine kleine Reiherpastete und leerte fünf Humpen Brüsseler Wein. Um zehn Uhr lutschte er etliche Backpflaumen, begoß sie mit Wein aus Orleans und bat dabei Gott, ihn nimmer in die Versuchung der Völlerei zu führen. Um Mittag knabberte er zum Zeitvertreib einen Flügel und Hinterteil von Geflügel. Um ein Uhr leerte er einen großen Becher hispanischen Weines und gedachte an sein Nachtmahl. Alsdann streckte er sich auf sein Bett hin und erfrischte sich durch einen kleinen Schlummer.
Erwachend, genoß er ein wenig gesalzenen Lachs, um den Appetit zu reizen, und leerte einen großen Humpen Antwerpener dobbelknol. Dann ging er in die Küche hinunter und setzte sich vor den Kamin an das schöne Holzfeuer, das darinnen flammte. Er sah zu, wie ein großes Stück Kalbfleisch oder ein wohl abgebrühtes Spanferkel für die Mönche der Abtei darin briet und sich bräunte; das hätte er lieber gegessen, denn einen Laib weißen Brotes. Doch es gebrach ihm ein wenig an Hunger. Und er betrachtete den Spieß, der sich wie durch ein Wunder ganz von allein drehte. Das war das Werk Pieters van Steenkiste, eines Schmiedes, der in der Kastellanei von Kortrijck wohnte. Der Propst bezahlte ihm für einen dieser Spieße fünfzehn Pariser Franken.
Dann ging er wieder hinauf in sein Bett und schlummerte vor Ermüdung ein; er erwachte gegen zwei Uhr und verschluckte ein wenig Schweinsgallert nebst Wein aus der Romagna, zu zweihundertvierzig Gülden das Stückfaß. Um drei Uhr aß er ein Vögelchen in Madeirazucker und leerte zwei Gläser Malvasier zu siebzehn Gülden das Fäßchen. Um dreieinhalb Uhr genoß er einen halben Topf Eingemachtes und trank Meth dazu. Alsdann war er recht wach, nahm einen seiner Füße in die Hände und ruhte sinnend aus.
Wenn der Augenblick des Nachtessens kam, so erschien oftmals der Pfarrer von St. Johanni, ihm zu dieser saftigen Stunde seine Aufwartung zu machen. Manches Mal wetteiferten sie, wer am meisten Fisch, Geflügel, Wildbret und Fleisch essen würde. Der am schnellsten satt war, mußte dem andern ein Gericht Kalbsrippen liefern, das mit drei Weinen, vier Würzen und siebenerlei Gemüse zubereitet war.
Also essend und trinkend, schwatzten sie mitsammen von den Ketzern und waren übrigens der Meinung, daß man ihrer nicht genug vernichten könne. Derhalben fingen sie niemals Händel an, ohngerechnet den Fall, wo sie über die neununddreißig Arten, gute Biersuppe zu machen, diskutierten.
Dann neigeten sie ihre ehrwürdigen Häupter auf ihre priesterlichen Bäuche und schnarchten. Manches Mal, wenn einer von ihnen halb erwachte, sagte er, daß das Leben ein gar lieblich Ding in dieser Welt sei und daß die armen Leute Unrecht hätten, sich zu beklagen.
Dieses heiligen Mannes Küster ward Ulenspiegel. Er bediente ihn trefflich bei der Messe, nicht ohne zu dreien Malen die Meßkännchen zu füllen, zweimal für sich und einmal für den Propst. Der Glöckner Numa Pompilius half ihm bei Gelegenheit dabei.
Ulenspiegel, der Pompilius so blühend, dickbäuchig und pausbäckig sah, fragte ihn, ob er im Dienste des Propstes den Schatz dieser neidenswerten Gesundheit gesammelt habe.
„Ja, mein Sohn,“ antwortete Pompilius, „aber schließe die Türe gut, auf daß uns keiner höre.“
Dann sagte er ganz leise:
„Du weißt, daß unser Meister Propst alle Weine und Biere, alle Arten Fleisch und Geflügel mit zärtlicher Liebe liebt. Derhalben schließt er das Fleisch in einen Kasten und die Weine in einen Keller, und die Schlüssel dazu trägt er immerdar in seinem Säckel. Und beim Einschlafen hat er die Hände darauf. Nachts, wenn er schläft, gehe ich und nehme ihm die Schlüssel vom Wanst und lege sie nicht ohne Zittern wieder dahin, mein Sohn; denn wenn er um meine Missetat wüßte, so würde er mich bei lebendigem Leibe kochen lassen.“
„Pompilius,“ sagte Ulenspiegel, „Du mußt Dir nicht soviel Mühe machen, sondern mir nur einmal die Schlüssel geben; ich werde nach diesem Muster welche anfertigen, und wir lassen die andern auf dem Bauche des guten Propstes.“
„Mache sie, mein Sohn,“ sagte Pompilius.
Ulenspiegel machte die Schlüssel. Sobald er und Pompilius um acht Uhr Abends vermuteten, daß der gute Propst eingeschlafen sei, stiegen sie hinunter, um sich Fleisch und Flaschen auszusuchen. Ulenspiegel trug die Flaschen und Pompilius das Fleisch, maßen er allzeit wie Espenlaub zitterte und Schinken und Hammelkeulen nicht zerbrechen, so sie hinfallen. Etliche Male bemächtigten sie sich des Geflügels, ehe es gebraten war, dieserhalb wurden mehrere Katzen der Nachbarschaft angeklagt und wegen solcher Tat umgebracht.
Alsdann gingen sie in die Ketelstraet, das ist die Straße der Dirnen. Da sparten sie nichts und gaben ihren Schönen mit vollen Händen geräuchertes Ochsenfleisch und Schinken, Hirnwurst und Geflügel, und gaben ihnen Wein aus Orleans und der Romagna zu trinken und von dem „Ingelschen Bier“, das die jenseits des Meeres Ale nennen. Und sie gossen es in Strömen in die jungen Kehlen der Schönen. Und sie wurden mit Liebkosungen bezahlt. Eines Morgens jedoch nach der Mahlzeit ließ der Propst alle beide zu sich bescheiden. Er hatte eine furchtbare Miene und lutschte grimmig an einem Markknochen aus der Suppe.
Pompilius zitterte in seinen Hosen und sein Bauch ward von Furcht geschüttelt. Ulenspiegel verhielt sich ruhig und befühlte vergnüglich die Kellerschlüssel in seiner Tasche.
Der Propst sprach zu ihm und sagte:
„Man trinkt meinen Wein und man ißt mein Geflügel; tust Du das mein Sohn?“
„Nein,“ antwortete Ulenspiegel.
„Und hat nicht dieser Glöckner“, sagte der Probst, auf Pompilius zeigend, „seine Hände bei diesem Verbrechen im Spiel gehabt? Denn er ist bleich wie ein Verscheidender; gewißlich aus Ursach des gestohlenen Weins, der bei ihm als Gift wirkt.“
„Ach, Herr,“ entgegnete Ulenspiegel, „Ihr beschuldigt Euren Glöckner zu Unrecht, denn wenn er bleich ist, so ist es nicht, weil er Wein getrunken hat, sondern weil er nicht genug zu schlürfen bekam. Wovon er so entkräftet ist, daß, wenn man seine Seele nicht aufhält, sie sich in Strömen in seine Hosen ergießen wird.“
„Ja, es gibt arme Leute in dieser Welt,“ sagte der Propst und trank einen großen Schluck Wein aus seinem Humpen. „Aber sag mir, mein Sohn, ob Du, der Du Luchsaugen hast, nicht die Spitzbuben sahest?“
„Ich werde gut Acht geben, Herr Propst,“ sprach Ulenspiegel.
„Gott erhalte Euch alle beide fröhlich, Kinder,“ sagte der Propst, „und lebet mäßig. Denn von der Unmäßigkeit kommen uns viele Leiden in diesem Jammertal. Gehet hin in Frieden.“
Und er segnete sie.
Und er lutschte noch einen Markknochen aus der Brühe und trank noch einen großen Schluck Wein.
Ulenspiegel und Pompilius gingen hinaus.
„Dieser garstige Filz hätte Dir nicht einen einzigen Tropfen seines Weines zu trinken gegeben. Ihm noch mehr zu stehlen ist so gut wie geweihtes Brot. Doch was ist Dir, daß Du so zitterst?“
„Meine Hosen sind ganz naß,“ sagte Pompilius.
„Wasser trocknet rasch, mein Sohn,“ erwiderte Ulenspiegel. „Doch sei guter Dinge. Heut abend in der Ketelstraet werden die Flaschen klingen. Und wir wollen die drei Nachtwächter trunken machen, also daß sie schnarchend die Stadt bewachen.“
Solches geschah.
Indessen kam Sankt Märten heran, und die Kirche ward für das Fest geschmückt. Ulenspiegel und Pompilius gingen des Nachts hinein, schlossen sorgsam die Türen, zündeten alle Kerzen an, nahmen eine Bratsche und einen Dudelsack und huben an, auf diesen Instrumenten zu spielen, so gut sie konnten. Und die Kerzen strahlten wie Sonnen. Aber das war nicht alles. Da ihre Arbeit getan war, gingen sie zum Propst, den sie ohngeachtet der vorgerückten Stunde noch auf fanden, wie er einen Krammetsvogel knusperte, Rheinwein trank und die Augen aufsperrte, da er die Fenster der Kirche erleuchtet sah.
„Herr Propst,“ sagte Ulenspiegel zu ihm, „wollet Ihr wissen, wer Euer Fleisch isset und Euern Wein trinket?“
„Und diese Beleuchtung,“ sagte der Propst, auf die Fenster der Kirche weisend. „O, Herr Gott, erlaubst Du dem heiligen Märten, also nächtlicher Weile die Kerzen der Armen unbezahlt zu verbrennen?“
„Er tut noch ganz andere Dinge, Herr Propst,“ sagte Ulenspiegel, „aber kommt.“
Der Propst nahm sein Kruzifix und folgte ihnen. Sie traten in die Kirche.
Allda sah er inmitten des Hauptschiffes alle Heiligen aus ihren Nischen herabgestiegen und im Kreise aufgestellt und von Sankt Märten, der sie alle um Haupteslänge überragte, schier kommandiert. An seinem zum Segen ausgestreckten Zeigefinger hielt er einen gebratenen Truthahn. Die andern hielten Stücke von Hühnern oder Gänsen, Würste, Schinken, rohen und gesottenen Fisch in der Hand oder führten sie zum Munde, unter anderm einen Hecht, der gut seine vierzehn Pfund wog. Und ein jeder hatte eine Flasche Wein zu seinen Füßen.
Bei diesem Anblick konnte der Propst sich vor Zorn nicht halten. Er ward so rot und sein Antlitz so geschwollen, daß Ulenspiegel und Pompilius vermeinten, er werde platzen. Aber der Propst ging, ohne ihrer zu achten, gerade auf den heiligen Märten zu, indem er ihn bedräuete, gleich als wollte er ihm die Missetat der andern zur Last legen. Er riß ihm den Truthahn vom Finger und bläute ihn so wacker durch, daß er ihm Arm, Nase, Kreuz und Mitra zerbrach.
Was die andern angeht, so sparte er ihnen keine Püffe, und mehr als einer verlor unter seinen Schlägen Arme, Hände, Mitra, Kreuz, Beil, Rost, Säge und andere Sinnbilder der Würde und des Martertodes. Alsdann machte der Propst sich mit wackelndem Bauche selbsteigen daran, die Kerzen hurtig und wütend auszulöschen. An Schinken, Geflügel und Würsten raffte er an sich, soviel er vermochte, und unter der Last schier erliegend, ging er wieder in sein Schlafgemach, dermaßen betrübt und ergrimmt, daß er Zug auf Zug drei große Flaschen Wein trank.
Nachdem Ulenspiegel sich versichert hatte, daß er schlief, trug er alles, was der Propst gerettet zu haben vermeinte, in die Ketelstraet, desgleichen alles, was in der Kirche blieb, aber nicht, ohne zuvor die besten Bissen dortselbst verspeist zu haben. Und den Abfall legten sie zu Füßen der Heiligen.
Am anderen Morgen läutete Pompilius die Glocke zur Frühmette, und Ulenspiegel stieg zum Schlafgemach des Propstes hinan, mit der Bitte, in die Kirche hinunterzukommen.
Allda wies er ihm die Reste der Heiligen und des Geflügels und sprach zu ihm:
„Herr Propst, es hat Euch nichts genutzt, sie haben trotz allem gegessen.“
„Ja,“ erwiderte der Propst, „sie sind wie Diebe bis ins Schlafgemach gedrungen, um zu nehmen, was ich in Sicherheit gebracht hatte. O, Ihr hohen Heiligen, ich werde mich beim Papst darüber beschweren.“
„Ja,“ versetzte Ulenspiegel, „aber übermorgen ist die Prozession. Die Arbeiter werden bald in die Kirche kommen. Fürchtet Ihr nicht, der Bilderzerstörung angeklagt zu werden, wenn sie hier all die armen Heiligen verstümmelt sehen?“
„Ach, Heiliger Märten“, sagte der Propst, „erspare mir das Feuer, ich wußte nicht, was ich tat.“
Dann wandte er sich an Ulenspiegel, derweil der furchtsame Glöckner sich an den Glocken schaukelte.
„Man wird den Heiligen Martin nimmermehr von jetzt bis auf den Sonntag ausbessern können,“ sagte er. „Was soll ich tun, und was wird das Volk sagen?“
„Herr“, antwortete Ulenspiegel, „man muß zu einer unschuldigen Ausflucht greifen. Wir kleben Pompilius einen Bart aufs Gesicht, das gar ehrwürdig ist, maßen es allzeit melancholisch ist, vermummen ihn mit Mitra, Meßgewand und Chormütze und dem großen Mantel des Heiligen und empfehlen ihm an, gut auf seinem Sockel zu stehen; so wird das Volk ihn für den Heiligen Martin aus Holz halten.“
Der Propst ging zu Pompilius, der sich an den Stricken schaukelte.
„Hör auf zu läuten,“ sagte er, „und hör mich an. Willst Du fünfzehn Dukaten verdienen? Am Sonntag, dem Tage der Prozession, sollst Du der Heilige Martin sein. Ulenspiegel wird Dich ausstaffieren, wie es sich gehört, und sofern Du, während Deine vier Männer Dich tragen, eine Bewegung machst oder ein Wort sagst, laß ich Dich bei lebendigem Leib in dem Öl des großen Kessels sieden, den der Henker just auf dem Hallenplatz aufgemauert hat.“
„Ich werde gehorchen, Euer Gnaden,“ sprach Pompilius gar kläglich.
Des andern Tages ging die Prozession bei hellem Sonnenschein aus der Kirche. Ulenspiegel hatte, so gut er konnte, die zwölf Heiligen zusammengeflickt, die auf ihren Sockeln zwischen den Bannern der Zünfte hin und her schwankten. Dann kam die Statue Unsrer lieben Frau, alsdann die Marienkinder, schneeweiß gekleidet und Hymnen singend; dann die Bogen- und Armbrustschützen. Dem Baldachin zunächst kam Pompilius, der mehr schwankte als die andern und sich unter den schweren Gewändern des Heiligen Martin bog.
Ulenspiegel hatte sich mit Juckpulver versorgt und Pompilius eigenhändig mit dem bischöflichen Ornat bekleidet, ihn mit Handschuhen und Kreuz versehen und ihn die lateinische Weise, das Volk zu segnen, gelehrt. Er hatte auch den Priestern beim Ankleiden geholfen. Den einen legte er die Stola, den andern die Chormütze und den Meßnern das Chorhemd an. Er lief in der Kirche hierin, dorthin, um ein Wams oder eine Hose in die richtigen Falten zu legen. Und jedwedem streute er auf die Halskrause, den Rücken oder das Handgelenk eine Fingerspitze voll Juckpulver.
Aber der Dechant und die vier Träger des Heiligen Martin bekamen das Meiste ab. Was die Marienkinder betraf, so verschonte Ulenspiegel ihrer, in Ansehung ihrer kindlichen Anmut.
Die Prozession zog mit fliegenden Bannern und entfalteten Fahnen in schöner Ordnung daher. Männer und Frauen bekreuzten sich, wenn sie sie vorbeiziehen sahen. Und die Sonne schien heiß.
Der Dechant war der erste, der des Pulvers Wirkung verspürte und sich ein wenig hinter dem Ohr kratzte. Priester, Bogen- und Armbrustschützen, alle kratzten sich insgeheim an Hals, Beinen und Handgelenken. Die vier Träger kratzten sich gleicherweise, aber der Glöckner, den es mehr juckte als die andern, denn er war der glühenden Sonne mehr ausgesetzt, wagte nicht einmal sich zu rühren, aus Furcht, lebendig gesotten zu werden. Er kniff die Nase zusammen, machte eine häßliche Fratze und zitterte auf seinen schlotternden Beinen, denn allemal, wenn die Träger sich kratzten, war er nahe daran, zu fallen.
Die Priester sangen eine Hymne auf Unsere liebe Frau:
Denn ihre Stimmen zitterten des Juckens halber, das maßlos wurde; doch sie kratzten sich bescheidentlich. Dem Dechanten jedoch und den vier Trägern des Heiligen Martin waren Hals und Handgelenke ganz zerfressen. Pompilius stand schlotternd auf seinen armen Beinen, die am meisten juckten.
Doch siehe, auf einmal standen alle, Armbrust- und Bogenschützen, Domherren, Priester, Dechant und Träger des Heiligen Martin still, um sich zu kratzen. Das Pulver juckte Pompilius an den Fußsohlen, doch er wagte nicht sich zu rühren, aus Furcht zu fallen.
Er bewunderte und lobte die blinkenden Waffen der Armbruster und die furchtbaren Bogen der Bruderschaft der Bogenschützen.
Und die Fürwitzigen sagten, daß der Heilige Martin die Augen gar wild rolle und dem armen Volk eine dräuende Miene mache. Dann hieß der Dechant die Prozession weiterziehen. Die heiße Sonne, die senkrecht auf all die Rücken und Bäuche in der Prozession fiel, machte alsbald die Wirkung des Pulvers unerträglich. Und nun sah man Priester und Schützen, Domherren und Dechant wie eine Schar von Affen stillhalten und sich ohne Scham überall kratzen, wo es sie juckte.
Die Marienkinder sangen ihre Hymne und alle diese frischen, gen Himmel steigenden Stimmen waren wie Engelchöre.
Übrigens machten sich alle davon, wohin sie konnten. Der Dechant brachte, sich kratzend, das Heilige Sakrament in Sicherheit; das fromme Volk trug die Reliquien in die Kirche. Die vier Träger des Heiligen Martin warfen Pompilius derb auf die Erde. Der arme Glöckner, der nicht wagte, sich zu kratzen, zu bewegen, noch zu sprechen, schloß fromm die Augen.
Zwei junge Bürschlein wollten ihn fortschaffen, doch da sie ihn zu schwer befanden, stellten sie ihn aufrecht an eine Mauer, und da weinte Pompilius dicke Tränen.
Das Volk versammelte sich um ihn. Die Frauen hatten Sacktüchlein von feinem, weißen Linnen geholt und wischten ihm das Antlitz, um seine Zähren wie Reliquien zu bewahren. Sie sprachen zu ihm: „Euer Gnaden, wie schwitzt Ihr.“
Der Glöckner blickte sie jämmerlich an und schnitt wider Willen Grimassen.
Doch da die Zähren in Strömen aus seinen Augen flossen, sprachen die Frauen:
„Großer Sankt Martin, weinet Ihr über die Sünden der Stadt Ypern? Rührt sich nicht Eure edle Nase? Wir haben trotzdem die Ratschläge von Louis Vivès befolgt, und die Armen von Ypern haben zu arbeiten und zu essen. O, die großen Tränen! Das sind Perlen. Hier ist unser Heil.“
Die Männer sagten:
„Großer Sankt Martin, muß die Ketelstraet Eurer Stadt niedergerissen werden? Aber belehret uns vor allem über die Mittel, die armen Mägdlein zu hindern, abends auszugehen und sich also tausend Abenteuern auszusetzen.“
Plötzlich schrie das Volk: „Da ist der Küster.“
Da erschien Ulenspiegel, faßte Pompilius um den Leib und trug ihn auf den Schultern fort, und die andächtige Menge folgte ihm nach.
„Wehe,“ sagte der arme Glöckner ihm ganz leise ins Ohr, „ich sterbe vor Jucken.“
„Halte Dich steif,“ versetzte Ulenspiegel, „vergissest Du, daß Du ein hölzerner Heiliger bist?“
Er lief hurtig und setzte Pompilius vor dem Propst nieder, der sich mit den Nägeln bis aufs Blut kratzte.
„Glöckner,“ sagte der Propst, „hast Du Dich so wie wir gekratzt?“
„Nein, Herr,“ antwortete Pompilius.
„Hast Du gesprochen oder eine Gebärde gemacht?“
„Nein, Herr,“ antwortete Pompilius.
„Dann sollst Du Deine fünfzehn Gulden haben,“ sagte der Propst. „Geh jetzt und kratze Dich.“
Des andern Tages, nachdem die Leute durch Ulenspiegel die Sache erfahren hatten, sagten sie, daß es ein schlechter Spaß sei, sie einen Greiner als Heiligen anbeten zu lassen. Und viele wurden Ketzer. Sie zogen mit ihrem Hab und Gut fort und eilten, das Heer des Prinzen zu vergrößern.
Ulenspiegel kehrte nach Lüttich zurück.
Da er allein im Walde war, setzte er sich nieder und sann. Er schaute den klaren Himmel an und sprach:
„Krieg und immer Krieg, auf daß der hispanische Feind das arme Volk töte, unser Hab und Gut raube, unsere Frauen und Töchter schände. Indessen geht unser schönes Geld dahin, und unser Blut fließet in Strömen ohne Nutzen für irgend jemand, ausgenommen diesen königlichen Wicht, der sich noch ein Sinnbild der Macht mehr an seine Krone heften will. Einen Zierat, den er für ruhmvoll hält, aus Blut und aus Rauch. Ei, wenn ich Dich zieraten könnte, wie ich wollte! Nur die Fliegen würden Dir Gesellschaft leisten wollen!“
Da er diesen Dingen nachsann, siehe da zog ein ganzes Rudel Hirsche an ihm vorbei. Es waren alte und große darunter, so noch ihr Hirschgeschrötte hatten und stolz ihr neunendiges Geweih trugen. Zierliche Spießer, ihre Schildknappen, trabten ihnen zur Seite und schienen bereit, ihnen mit ihrem spitzen Gehörn Beistand zu leisten. Ulenspiegel wußte nicht, wohin sie gingen, aber er vermutete, daß sie nach ihrem Lager wollten.
„Ach“, sagte er, „Ihr alten Hirsche und zierlichen Spießer, Ihr gehet lustig und stolz in die Tiefe des Waldes nach Eurem Bette; Ihr äset die jungen Sprossen und wittert balsamische Gerüche; Ihr seid glücklich, bis der Jäger als Henker naht. Also ergeht es auch uns alten Hirschen und Spießern.“
Und Klasens Asche brannte auf Ulenspiegels Brust.
Im September, wenn die Mücken zu stechen aufhören, ging der Schweiger mit sechs Feldstücken und vier großen Kanonen, die für ihn das Wort führten, nebst vierzehntausend Vlämen, Wallonen und Deutschen bei Sankt Veit über den Rhein.
Unter den gelb und roten Fahnen des Burgunder Knotenstockes, der unsere Lande geraume Zeit schlug und in Albas Hand der Stock der beginnenden Knechtschaft war, marschierten sechsundzwanzigtausend und fünfhundert Mann und rollten siebenzehn Feldstücke und neun schwere Kanonen.
Doch der Schweiger sollte in diesem Kriege keinen Erfolg haben, denn Alba nahm keine Schlacht an. Und sein Bruder Ludwig, der Bastard Flanderns, verlor bei Gemmingen in Friesland, nachdem er viele Städte eingenommen und viele Schiffe auf dem Rheine gekapert, an den Sohn des Herzogs sechzehn Kanonen, fünfzehnhundert Pferde und zwanzig Fähnlein, um der feigen Söldlinge willen, die Geld verlangten, da sie kämpfen sollten.
Und in Trümmern, Blut und Tränen suchte Ulenspiegel umsonst das Heil des Vaterlands.
Und allerorten henkten, köpften und verbrannten die Henker die armen, unschuldigen Opfer.
Und der König erbte.
Da Ulenspiegel durch das wallonische Land wanderte, sah er, daß der Prinz hier keine Hülfe zu erhoffen hatte, und also kam er vor die Stadt Bouillon.
Nach und nach sah er auf dem Wege Bucklige jedes Alters, Geschlechts und Standes ankommen. Sie trugen Rosenkränze und beteten sie andächtig ab. Und ihre Gebete waren wie das Quaken der Frösche im Teich an einem warmen Abend.
Da gab es bucklige Mütter, so bucklige Kinder trugen; andere Kinder aus der nämlichen Brut klammerten sich an ihre Röcke. Und allerwegen sah Ulenspiegel ihre mageren Umrisse sich gegen den hellen Himmel abzeichnen.
Er ging zu einem von ihnen und fragte ihn:
„Wohin ziehen all diese arme Männer, Weiber und Kinder?“
Der Mann antwortete:
„Wir ziehen zum Grabe des heiligen Remaclius, um ihn zu bitten, daß er uns gebe, was unser Herz begehrt, und die Demütigung, die er uns auferlegte, von unserm Rücken nehme.“
Ulenspiegel versetzte:
„Könnte doch der heilige Remaclius auch mir geben, was mein Herz begehrt, und von dem Rücken der armen Gemeinden den Blutherzog fortnehmen, der gleich einen bleiernen Buckel darauf lastet.“
„Es ist nicht seines Amtes, zur Buße auferlegte Buckel fortzunehmen,“ antwortete der Pilger.
„Hat er etliche andere fortgenommen?“ fragte Ulenspiegel.
„Ja, wenn die Buckel jung sind. Wenn alsdann das Wunder der Heilung geschieht, halten wir in der ganzen Stadt Gelage und Schmausereien. Und jeglicher Pilger gibt dem glücklich Geheilten, der durch dieses Geschehnis heilig geworden ist und mit Erfolg für die andern beten kann, ein Geldstück und oftmals einen Goldgülden.“
Ulenspiegel sagte:
„Weshalb läßt der reiche Sankt Remaclius sich die Heilungen wie ein lumpiger Apotheker bezahlen?“
„Gottloser Wanderer, er straft die Lästerer!“ entgegnete der Pilger und schüttelte wütend seinen Höcker.
„Wehe!“ ächzte Ulenspiegel.
Und er fiel zusammengekrümmt am Fuß eines Baumes nieder.
Der Pilger sagte, ihn betrachtend:
„Wen Sankt Remaclius schlägt, den trifft er gut!“
Ulenspiegel krümmte den Rücken, kratzte sich daran und ächzte:
„Ruhmreicher Heiliger, habt Erbarmen. Das ist die Züchtigung. Ich fühle einen brennenden Schmerz zwischen den Schultern. Wehe! Au! Vergebung, heiliger Remaclius! Geh, Pilger, laß mich hier allein, auf daß ich gleich einem Vatermörder weine und bereue.“
Doch der Pilger war bis zum Marktplatz von Bouillon entflohen, allwo sich alle Buckligen zusammen fanden.
Dort sagte er zu ihnen, vor Furcht bebend, in stoßweiser Sprache:
„Habe Pilger getroffen, grade wie eine Pappel .... Pilger Gotteslästerer .... Buckel auf dem Rücken .... entzündeten Buckel!“
Da die Pilger solches vernahmen, stießen sie ein tausendfaches Freudengeschrei aus und riefen:
„Heiliger Remaclius, wenn Du Buckel gibst, kannst Du sie auch fortnehmen. Nimm uns die Buckel ab, heiliger Remaclius!“
Derweilen verließ Ulenspiegel seinen Baum. Als er durch die menschenleere Vorstadt kam, sah er an der niedern Türe einer Schenke zwei Blasen an einem Stock schaukeln, Schweinsblasen, so zum Zeichen der Blutwurst-Kirmes, panch kermis, wie man im Lande Brabant sagt, angehängt waren.
Ulenspiegel nahm eine der beiden Blasen, las die Rückengräte einer Scholle vom Boden auf, ließ sich zur Ader, ließ von seinem Blut in die Blase fließen, blies sie auf, schloß sie und legte sie auf seinen Rücken und oben drauf die Rückengräte der Scholle. Also ausstaffiert, kam er mit gewölbten Rücken, wackelndem Kopf und schlotternden Beinen wie ein alter Buckliger auf den Platz. Der Pilger, der Zeuge seines Falles gewesen, erblickte ihn und schrie:
„Da ist der Gotteslästerer!“
Und er wies mit dem Finger auf ihn. Und alle kamen herbei, um den Gestraften zu sehen.
Ulenspiegel schüttelte kläglich den Kopf.
„Ach,“ sprach er, „ich verdiene nicht Gnade noch Erbarmen; tötet mich wie einen tollen Hund.“
Und die Buckligen sprachen, sich die Hände reibend:
„Einer mehr in unsrer Brüderschaft.“
Zwischen den Zähnen murmelnd: „Das sollt Ihr mir büßen, Ihr Bösen,“ schien er alles geduldig zu ertragen und sprach:
„Ich werde nicht essen und nicht einmal trinken, um meinen Buckel nicht festzumachen, bis daß Sankt Remaclius die Gnade gehabt hat, mich zu heilen, wie er mich geschlagen hat.“
Auf das Gerücht von dem Wunder kam der Dechant aus der Kirche. Es war ein großer majestätischer Mann mit einem Schmerbauch. Mit erhobner Nase zerteilte er die Flut der Buckligen gleich einem Schiffe.
Man zeigte ihm Ulenspiegel und er sprach zu ihm:
„Bist Du es, armer Tropf, den Sankt Remaclius Geißel geschlagen hat?“
„Ja, Herr Dechant,“ antwortete Ulenspiegel, „ich bin’s wahrlich, sein untertäniger Verehrer, der sich von seinem neuen Buckel heilen lassen will, so es ihm gefällt.“
Der Dechant, der hinter dieser Rede eine Bosheit witterte, sprach:
„Laß mich diesen Buckel befühlen.“
„Befühlt ihn, Herr,“ versetzte Ulenspiegel.
Nachdem er es getan, sprach der Dechant:
„Er ist neuen Ursprungs und feucht. Indessen hoffe ich, daß Sankt Remaclius geruhen wird, Barmherzigkeit zu üben. Folge mir.“
Ulenspiegel folgte dem Dechanten und trat in die Kirche. Die Buckligen schritten hinter ihm her und schrieen: „Sehet den Verfluchten! Sehet den Lästerer! Wie viel wiegt Dein neuer Buckel? Wirst Du einen Sack draus machen, um Deine Taler hinein zu tun? Du hast Dein Lebelang unser gespottet, dieweil Du grade warst, jetzt ist die Reihe an uns. Ehre sei dem heiligen Herrn Remaclius!“
Ulenspiegel sprach kein Wort, beugte den Kopf und trat, dem Dechanten folgend, in eine kleine Kapelle. Daselbst befand sich ein Grabmal ganz aus Marmelstein, bedeckt mit einer großen Tafel, die gleicherweise aus Marmelstein war. Zwischen dem Grabmal und der Wand der Kapelle war nicht die Weite einer großen, gespreizten Hand. Eine Menge buckliger Pilger gingen einer nach dem andern zwischen der Wand und der Grabtafel durch, an welcher sie stillschweigend ihre Buckel rieben. Und dergestalt hofften sie, ihrer ledig zu werden. Und die, so ihren Buckel rieben, wollten denen, die ihn noch nicht gerieben hatten, nicht Platz machen, und sie schlugen einander, doch ohne Lärm, denn der Heiligkeit des Ortes halber gaben sie sich nur heimliche Püffe nach Art der Buckligen.
Der Dechant hieß Ulenspiegel auf die Grabplatte steigen, auf daß alle Pilger ihn gut sehen könnten. Ulenspiegel erwiderte:
„Ich vermag es nicht allein.“
Der Dechant half ihm hinauf, stellte sich neben ihn und gebot ihm, niederzuknien. Ulenspiegel tat also und blieb gesenkten Hauptes in dieser Stellung.
Und alsobald, nachdem der Dechant sich gesammelt hatte, predigte er und sprach mit weit schallender Stimme:
„Söhne und Brüder in Jesu Christo! Ihr sehet zu meinen Füßen den größten Gottlosen, Taugenichts und Lästerer, den Sankt Remaclius je mit seinem Zorn geschlagen hat.“
Und Ulenspiegel schlug sich an die Brust und sagte: „Confiteor.“
„Ehedem,“ redete der Dechant weiter, „war er grade wie der Schaft einer Hellebarde und rühmt sich dessen. Sehet ihn jetzo bucklig und unter der Wucht des himmlischen Fluches gebeugt.“
„Confiteor, nimm mir den Buckel,“ sprach Ulenspiegel.
„Wohl,“ fuhr der Dechant fort, „wohl, großer Heiliger, heiliger Herr Remaclius, der Du seit Deinem glorreichen Tode neununddreißig Wunder vollbrachtest, nimm von seinen Schultern die Bürde, die darauf lastet. Und möchten wir um dessentwillen in Jahrhunderten von Jahrhunderten, in saecula saeculorum, Dein Loblied singen. Und Friede auf Erden für die guten Buckligen.“
Und die Buckligen sprachen im Chor:
„Wohl, wohl! Friede auf Erden für die guten Buckligen. Gib Frieden den Buckligen, Frieden den Mißgestalteten und Erlaß der Demütigungen. Nimm hinweg, unsere Buckel, heiliger Herr Remaclius!“
Der Dechant gebot Ulenspiegel, vom Grabe herunterzusteigen und seinen Buckel am Rande der Platte zu reiben. Ulenspiegel tat also, indem er immerfort „mea culpa confiteor, nimm mir den Buckel,“ sprach. Und er rieb ihn gar trefflich mit Sehen und Wissen der Umstehenden.
Und jene schrien:
„Sehet den Buckel, er senkt sich! Sehet! Er gibt nach! Er wird nach rechts auseinanderfließen. / Nein, er wird in die Brust zurücktreten; Buckel schmelzen nicht, sie gehen in das Gedärm hinunter, von wo sie gekommen sind. / Nein, sie kehren in den Magen zurück, allwo sie achtzig Tage lang als Nahrung dienen. Das ist des Heiligen Gabe für die erlösten Buckligen. / Wohin gehen die alten Buckel?“
Plötzlich stießen die Buckligen allesamt einen lauten Schrei aus, denn Ulenspiegel hatte soeben seinen Buckel zum Platzen gebracht, indem er sich schwer gegen den Rand der Grabplatte stemmte. Alles Blut, so darinnen war, floß in großen Tropfen aus seinem Wams auf die Steinfliesen. Und indem er sich aufrichtete und die Arme ausstreckte, rief er aus:
„Ich bin befreit!“
Und alle Buckligen riefen mitsammen:
„Der heilge Herr Remaclius segnet ihn; das ist für ihn süß und für Euch hart. Herr, nehmet uns unsere Buckel. / Ich bringe Euch ein Kalb dar. / Ich sieben Hammel. / Ich die Jagdbeute des Jahres. / Ich sechs Schinken. / Ich gebe der Kirche meine Hütte. / Nehmet unsere Buckel, heiliger Herr Remaclius!“
Und sie betrachteten Ulenspiegel voller Neid und Scheu. Einer unter ihnen wollte unter sein Wams tasten, doch der Dechant wehrte es ihm.
„Da ist eine Wunde, die nicht ans Licht darf.“
„Ich werde für Euch beten,“ sprach Ulenspiegel.
„Ja, Pilger,“ sagten die Buckligen alle zumal, „ja Herr, der Ihr wieder grade geworden seid; wir haben Eurer gespottet, verzeihet uns, wir wußten nicht, was wir taten. Christus, der Herr, hat am Kreuze verziehen, gewähret auch uns Verzeihung.“
„Ich verzeihe Euch,“ sagte Ulenspiegel wohlwollend.
„So nehmet denn diesen Stüver, genehmigt diesen Gülden, lasset uns Eurer Gradheit diesen Real geben, Euch diesen Crusado anbieten, in Eure Hände diese Karolus legen ...“
„Verberget Eure Karolus wohl,“ sagte Ulenspiegel ganz leise zu ihnen, „auf daß Eure linke Hand nicht wisse, was die rechte tut.“
Also redete er wegen des Dechanten, der die Münzen der Buckligen mit den Augen verschlang, ohne zu sehen, ob es güldene oder silberne waren.
„Euch sei Dank, Geweihter des Herrn,“ sagten die Buckligen zu Ulenspiegel.
Und er nahm stolz ihre Gaben an, wie einer, an dem ein Wunder geschehen.
Aber die Geizigen rieben ihre Buckel am Grabstein, ohne etwas zu sagen.
Am Abend ging Ulenspiegel in eine Schenke, allwo er schwelgte und zechte.
Ehe er sich ins Bett legte, gedachte er, daß der Dechant gewiß seinen Anteil an der Beute heischen würde, wenn nicht alles. Er zählte seinen Gewinst und fand mehr Gold als Silber, sintemalen es gut dreihundert Karolus waren. Er erspähete einen dürren Lorbeerbaum in einem Topf, packte ihn beim Schopf, zog Pflanze und Erde heraus und legte das Gold darunter. Alle halben Gülden, Stüver und Taler aber breitete er auf dem Tisch aus.
Der Dechant trat in die Schenke und stieg zu Ulenspiegel hinauf. Da dieser ihn erblickte, sagte er:
„Herr Dechant, was wollet Ihr von meiner armseligen Person?“
„Ich will nur Dein Bestes, mein Sohn,“ antwortete jener.
„Wehe,“ ächzte Ulenspiegel, „ist es das, was Ihr auf dem Tisch sehet?“
„Das ist es,“ versetzte der Dechant.
Alsdann streckte er die Hand aus und säuberte den Tisch von allem Gelde, das darauf war, und ließ es in einen dazu bestimmten Sack fallen.
Und er gab Ulenspiegel, der zum Schein stöhnte, einen Gülden.
Und er fragte ihn nach den Werkzeugen des Wunders.
Ulenspiegel zeigte ihm die Schollengräte und die Blase.
Der Dechant nahm sie, indes Ulenspiegel jammerte und ihn anflehte, ihm gnädigst mehr zu geben. Der Weg von Bouillon nach Damm, sprach er, sei für ihn armen Wanderer weit, und er würde gewißlich Hungers sterben.
Der Dechant ging von dannen, ohne ein Wort zu sagen.
Als Ulenspiegel allein war, entschlief er mit dem Blick auf den Lorbeerbaum. Am andern Morgen bei Tagesanbruch raffte er seine Beute zusammen, verließ Bouillon und begab sich nach dem Lager des Schweigers. Er überantwortete ihm das Geld und erzählte die Tat mit dem Bemerken, daß dies die wahre Art sei, vom Feinde Kriegskontribution einzutreiben.
Und der Prinz gab ihm zehn Gülden.
Die Schollengräte aber ward in einen kristallenen Reliquienschrein gelegt und zwischen die Arme des Kreuzes am Hauptaltar von Bouillon eingelassen. Und jedermann in der Stadt weiß, daß das, was das Kreuz umschließt, der Buckel des geheilten Lästerers ist.
Da der Schweiger in der Umgegend von Lüttich war, machte er, bevor er die Maas überschritt, Märsche und Gegenmärsche, um den Herzog in seiner Wachsamkeit irre zu führen.
Ulenspiegel tat seine Soldatenpflicht, handhabte trefflich die Radschloßbüchse oder hielt Augen und Ohren offen.
Um jene Zeit kamen vlämische und brabanter Edelleute ins Lager, so mit den Rittern, Obristen und Hauptleuten vom Gefolge des Schweigers lustig lebten.
Bald bildeten sich zwei Parteien im Lager, die unaufhörlich miteinander haderten. Die einen sagten: „Der Prinz ist ein Verräter“; die andern erwiderten, die Ankläger hätten gelogen und sie würden sie ihre Lüge hinunterschlucken lassen. Das Mißtrauen nahm zu wie ein Ölfleck. In Rotten von sechs, acht, zwölf Mann wurden sie handgemein; im Zweikampf fochten sie mit jeder Art von Waffen, selbst mit Hakenbüchsen.
Eines Tages kam der Prinz auf den Lärm hinzu und trat zwischen die beiden Parteien. Eine Kugel riß ihm den Degen von der Seite. Er gebot dem Kampf Einhalt und zeigte sich im ganzen Lager, damit man nicht sagen sollte: „Der Schweiger ist tot, tot ist der Krieg.“
Am folgenden Tag um Mitternacht bei Nebelwetter wollte Ulenspiegel just ein Haus verlassen, darinnen er einem wallonischen Mägdlein vlämische Minnelieder gesungen hatte. Da hörte er an der Tür einer Hütte, neben dem Hause, zu dreien Malen, Rabengekrächz. Anderes Gekrächz antwortete von ferne, dreifach und dreimal nacheinander. Ein Bauer trat auf die Schwelle der Hütte. Ulenspiegel hörte Schritte auf dem Wege.
Zwei Männer, so hispanisch sprachen, kamen zu dem Bauern, der in der nämlichen Sprache zu ihnen sagte:
„Was habet Ihr getan?“
„Gutes Werk,“ sagten sie, „indem wir für den König logen. Dank uns sprechen die mißtrauischen Hauptleute und Soldaten untereinander:
„Aus schnödem Ehrgeiz widersteht der Prinz dem König. Solchergestalt rechnet er, ihm Furcht einzuflößen und Städte und Herrschaften als Friedenspfand zu empfangen. Um fünfhunderttausend Gülden wird er die tapferen Ritter, so für die Lande kämpfen, verlassen. Der Herzog hat ihm völlige Amnestie anbieten lassen mit Versprechen und Eid, ihm und allen hohen Heerführern ihr Vermögen zu erstatten, wenn sie sich unter die Botmäßigkeit des Königs zurückbegeben. Oranien wird allein mit ihnen verhandeln.“
Die Getreuen des Schweigers antworteten uns:
„Anerbieten des Herzogs, hinterlistige Falle, er wird der Herren von Egmont und von Hoorn gedenken und nicht hineingehen. Sie wissen es wohl.“ Kardinal Granvella hat, da er in Rom war, gesagt, als die Grafen gefangen gesetzt wurden:
„Die beiden Gründlinge fängt man, aber den Hecht läßt man leben; man hat nichts gefangen, dieweil der Schweiger noch zu fangen bleibt.“
„Ist die Uneinigkeit im Lager groß?“ fragte der Bauer.
„Die Uneinigkeit ist groß, sie wird mit jedem Tage größer“, sagten sie. „Wo sind die Briefe?“
Sie traten in die Hütte, allwo eine Laterne entzündet wurde. Da sah Ulenspiegel durch eine kleine Luke, wie sie die Siegel von zwei Sendschreiben erbrachen, sich am Lesen ergötzten, Meth tranken und endlich hinausgingen, wobei sie in hispanischer Sprache zu dem Bauern sagten:
„Das Lager gespalten, Orange genommen. Das wird eine gute Limonade sein.“
„Diese dürfen nicht am Leben bleiben,“ sagte Ulenspiegel zu sich. Sie gingen durch den dichten Nebel fort. Ulenspiegel sah, daß der Bauer ihnen eine Laterne brachte, welche sie nahmen.
Da der Schein der Laterne oftmals durch eine schwarze Gestalt verdunkelt ward, so mutmaßte er, daß sie hintereinander schritten.
Er spannte seine Büchse und schoß auf die schwarze Gestalt. Alsbald sah er, daß die Laterne unterschiedliche Male gesenkt und erhoben ward, und hielt dafür, daß einer von beiden gefallen war und der andere zu sehen suchte, welcher Art seine Wunde sei. Er spannte abermals seine Büchse. Sobald die Laterne allein, schnell und schaukelnd in der Richtung auf das Lager zu ging, schoß er zum andern Mal. Die Laterne schwankte, fiel hin, erlosch, und es ward finster.
Er lief zum Lager und sah den Profos mit einer Menge Soldaten, so durch die Schüsse alarmiert waren, herauskommen. Ulenspiegel trat auf sie zu und sprach:
„Ich bin der Jäger; gehet, das Wild aufzuheben.“
„Lustiger Vläme,“ sagte der Profos, „Du redest noch anders als mit der Zunge.“
„Worte der Zunge sind Wind,“ erwiderte Ulenspiegel; „Worte aus Blei bleiben im Körper der Verräter. Aber folget mir.“
Er führte sie mit ihren Laternen an den Ort, wo die Beiden gefallen waren. In der Tat sahen sie sie auf der Erde liegen, der eine war tot, der andre röchelte und hielt die Hand auf der Brust, allwo sich ein Brief fand, den er mit der letzten Lebenskraft zerknüllt hatte.
Sie trugen die Leichname fort, die sie an der Tracht für solche von Edelleuten erkannten. Also gelangten sie mit ihren Laternen zum Prinzen, der just mit Friedrich von Hollenhausen, dem Markgrafen von Hessen und andern Herren ratschlagte.
Von Landsknechten und Reitern in grünen und roten Mänteln gefolgt, kamen sie vor das Zelt des Prinzen und verlangten mit Geschrei, daß er sie vorließe.
Er kam heraus. Alsbald schnitt Ulenspiegel dem Profossen, der sich räusperte und sich anschickte, ihn anzuklagen, das Wort ab.
„Euer Gnaden“, sprach er, „ich habe statt Raben zwei adlige Verräter Eures Gefolges getötet.“
Dann berichtete er, was er gesehen, gehört und getan hätte.
Der Schweiger blieb stumm. Die beiden Leichname wurden durchsucht. Dabei waren zugegen Wilhelm von Oranien, der Schweiger, Friedrich von Hollenhausen, der Markgraf von Hessen, Dieterich von Schoonenbergh, der Graf Albert von Nassau, der Graf von Hoogstraten, Antoine de Lalaing, Gouverneur von Mecheln; desgleichen die Soldaten und Lamm Goedzak, dem sein Bauch innerlich zitterte. Bei den Edelleuten wurden gesiegelte Schreiben von Granvella und Noircarmes gefunden, so sie aufforderten, im Gefolge des Prinzen Zwietracht zu säen, um seine Kriegsmacht um ein Bedeutendes zu verringern, ihn zur Übergabe zu zwingen und ihn dem Herzog auszuliefern, auf daß er seinem Verdienste gemäß enthauptet werde. Die Briefe besagten, daß es nötig sei, fürsichtig und mit versteckten Worten vorzugehen, damit die vom Heer glaubten, daß der Prinz zu seinem alleinigen Vorteil schon einen Vertrag mit dem Herzog gemacht habe. Voller Zorn würden seine Hauptleute und Söldner ihn gefangen nehmen. Als Belohnung war einem jeden von ihnen ein Gutschein für fünfhundert Dukaten auf die Fugger in Antwerpen geschickt. Sie sollten tausend haben, sobald die vierhunderttausend, die man aus Hispanien erwartete, in Seeland angekommen wären.
Nachdem diese Verschwörung aufgedeckt war, wandte sich der Prinz stumm zu den Edelleuten, Rittern und Söldnern um, unter denen viele waren, die ihn beargwöhnten. Er deutete schweigend auf die beiden Leichen und wollte ihnen durch diese Gebärde ihr Mißtrauen vorwerfen. Alle riefen stürmisch:
„Lang lebe Oranien! Oranien ist den Landen treu!“
Sie wollten die Leichname voll Verachtung den Hunden vorwerfen; doch der Schweiger sprach:
„Nicht die Leichname sollt Ihr den Hunden vorwerfen, sondern die Schwachheit des Geistes, die an reinen Absichten zweifeln heißt.“
Und die Ritter und Söldner riefen:
„Es lebe der Prinz! Es lebe Oranien, der Freund der Lande!“
Und ihre Stimmen waren gleich wie ein Donner, der die Ungerechtigkeit bedräuet.
Und der Prinz sagte, auf die Leichname deutend:
„Begrabt sie christlich.“
„Und ich,“ fragte Ulenspiegel, „was wird man mit meinem getreuen Gerippe tun? Habe ich Übles getan, so gebe man mir Schläge; habe ich gut gehandelt, so gebe man mir eine Belohnung.“
Darauf redete der Schweiger und sprach:
„Dieser Scharfschütze soll in meiner Gegenwart fünfzig mit grünem Holz aufgezählt bekommen, maßen er ohne Befehl zwei Edelleute getötet hat, mit dreister Hintansetzung jeglicher Mannszucht. Desgleichen soll er dreißig Gülden haben, weil er gut gesehen und gehört hat.“
„Euer Gnaden,“ versetzte Ulenspiegel, „so man mir erstlich die dreißig Gülden gäbe, würde ich die Schläge mit grünem Holz mit Geduld ertragen.“
„Ja, ja,“ stöhnte Lamm Goedzak, „gebet ihm zuvor die dreißig Gülden, das Übrige wird er mit Geduld ertragen.“
„Und dann,“ sagte Ulenspiegel, „da meine Seele rein ist, habe ich nicht nötig, mit ungebrannter Asche gelaugt und mit Kirschholz gebläut zu werden.“
„Ja,“ stöhnte Lamm Goedzak wiederum, „Ulenspiegel hat nicht nötig, gelaugt und gebläut zu werden. Seine Seele ist rein. Wascht ihn nicht, Ihr Herren, wascht ihn nicht.“
Da Ulenspiegel die dreißig Gülden empfangen hatte, ward dem Stockmeister vom Profos befohlen, sich seiner zu bemächtigen.
„Sehet, Ihr Herren,“ sprach Lamm, „wie kläglich seine Miene ist. Er liebt das Holz mit nichten, mein Freund Ulenspiegel.“
„Ich liebe eine schöne dichtbelaubte Esche zu sehen,“ entgegnete Ulenspiegel, „die in ursprünglicher Jugendkraft in der Sonne wächst. Aber auf den Tod hasse ich diese üblen Holzknüttel, die noch ihren Saft ausbluten, die ohne Äste, Blätter und Zweige sind. Sie sind von wildem Aussehen und rauhen Sitten.“
„Bist Du bereit?“ fragte der Profos.
„Bereit“, wiederholte Ulenspiegel, „bereit wozu? Geschlagen zu werden? Nein, das bin ich nicht und will es nicht sein, Herr Stockmeister. Euer Bart ist rot, und Eure Miene furchtbar; doch ich bin gewiß, Ihr habt ein weiches Herz und liebt es nicht, einen armen Menschen, wie mich, lendenlahm zu machen. Ich muß es Euch sagen, ich mag es nicht sehen noch tun; denn eines Christen Rücken ist ein geweihter Tempel, der, gleich wie die Brust, die Lungen einschließt, durch die wir die liebe Gottesluft einatmen. Von wie nagenden Gewissensbissen würdet Ihr verzehrt werden, dafern ein roher Stockhieb sie mir in Stücke risse.“
„Spute Dich,“ sagte der Stockmeister.
„Euer Gnaden,“ sagte Ulenspiegel zum Prinzen, „es eilt nicht, glaubet mir. Man müßte zuerst diesen Knüttel trocknen lassen, denn man sagt, daß das grüne Holz beim Eindringen in das lebendige Fleisch ihm ein tödliches Gift zuführt. Möchte Eure Hoheit mich dieses häßlichen Todes sterben sehen? Euer Gnaden, ich halte meinen getreuen Rücken zu Eurer Hoheit Diensten; lasset ihn mit Ruten schlagen, mit der Peitsche geißeln. Aber so Ihr mich nicht tot sehen wollt, ersparet mir das grüne Holz, wenn es Euch beliebt.“
„Prinz, begnadigt ihn,“ sagten Herr von Hoogstraten und Dietrich von Schoonenbergh. Die andern lächelten voll Mitleids.
Auch Lamm sagte: „Hoher Herr, begnadigt ihn; das grüne Holz ist reines Gift.“
Darauf sprach der Prinz: „Ich begnadige ihn.“
Ulenspiegel sprang unterschiedliche Male in die Luft, schlug Lamm auf den Bauch, und indem er ihn zu tanzen zwang, sagte er:
„Preise Seine Gnaden mit mir, der mich vom grünen Holz errettet hat.“
Und Lamm versuchte zu tanzen, doch er vermochte es nicht, seines Bauches halber.
Und Ulenspiegel traktierte ihn mit Essen und Trinken.
Dieweil der Herzog keine Schlacht liefern wollte, beunruhigte er ohne Unterlaß den Schweiger, der zwischen Jülich und der Maas durch das platte Land streifte. Er ließ den Fluß allerorten, bei Hondt, Mecheln, Elsen, Meersen ergründen und fand ihn allerorten voll von Fußangeln, um Menschen und Pferde, so ihn durchwaten wollten, zu verwunden.
Bei Stockem fanden die Suchenden keine. Der Prinz befahl hindurchzugehen. Reiter durchritten die Maas und stellten sich in Schlachtordnung am andern Ufer auf, um den Durchgang nach dem Bistum Lüttich zu verteidigen. Dann pflanzten sich zehn Reihen Bogen- und Scharfschützen von einem Ufer zum andern auf, um solchergestalt den Lauf des Flusses zu hemmen. Unter ihnen befand sich auch Ulenspiegel.
Das Wasser reichte bis an die Schenkel und oftmals hob ihn eine tückische Welle in die Höhe, ihn und sein Pferd.
Er sah die Fußsoldaten vorbeiziehen, die ein Säcklein mit Pulver auf dem Hut und ihre Büchsen in der Luft trugen. Dann kamen die Karren, die Hakenbüchsen, die Feuerwerker, die Zündstöcke, Feldschlangen, doppelte Feldschlangen, Falkonetts, Quartierschlangen, halbe Quartierschlangen, doppelte Quartierschlangen, Bombarden, doppelte Bombarden, Kanonen, Mörser, Kammerschlangen, kleine Feldstücke, so auf Protzwagen gelegt und von zwei Pferden gezogen, im Galopp sich bewegen konnten. Sie glichen auf ein Haar denen, die Pistolen des Kaisers genannt wurden. Hinter ihnen kamen die Landsknechte und flandrischen Reiter zum Schutze der Nachhut.
Ulenspiegel suchte einen erwärmenden Trunk. Der Schütze Riesenkraft, ein Hochdeutscher, ein magerer, grausamer Hüne, schnarchte neben ihm auf seinem Schlachtroß und atmete Branntweingeruch aus. Ulenspiegel suchte ein Fläschlein auf der Kruppe seines Pferdes und fand es, mittels einer Schnur wie ein Wehrgehenk umgehängt. Er durchschnitt die Schnur, nahm das Fläschchen und schlürfte wohlgemut daraus. Seine Kameraden, die Schützen, sagten zu ihm:
„Gib uns davon.“
Das tat er. Nachdem der Branntwein ausgetrunken war, knotete er die Schnur des Fläschchens und wollte es wieder auf die Brust des Söldners hängen. Als er den Arm erhob, um solches zu tun, erwachte Riesenkraft. Er nahm das Fläschlein und wollte seine gewohnte Kuh melken. Da er fand, daß sie keine Milch mehr gab, geriet er in großen Zorn.
„Spitzbube, was hast Du mit meinem Branntwein gemacht?“ sprach er.
Ulenspiegel antwortete:
„Ich habe ihn getrunken. Unter durchnäßten Reitern ist der Branntwein eines Einzigen der Branntwein aller. Ein Geizhals ist kläglich.“
„Morgen werde ich Dir im Zweikampf das Fleisch zerstückeln,“ erwiderte Riesenkraft.
„Wir werden uns Köpfe, Beine, Arme und alles zerstückeln. Aber bist Du nicht verstopft, daß Du ein so saures Gesicht machst?“
„Das bin ich,“ erwiderte Riesenkraft.
„Dann mußt Du Dich purgieren und nicht Dich schlagen,“ versetzte Ulenspiegel.
Es ward ausgemacht, daß sie sich am folgendem Tage treffen sollten, jeder nach seinem Belieben beritten und gerüstet, und daß sie einander den Speck mit kurzem, starrem Stoßdegen zerstückeln sollten. Ulenspiegel verlangte für sich, den Stoßdegen durch einen Stock zu ersetzen, welches ihm gestattet ward.
Inzwischen hatten alle Soldaten den Fluß durchschritten und stellten sich auf Kommando der Obristen und Hauptleute in guter Ordnung auf. Alsdann gingen die zehn Reihen Bogenschützen gleichfalls hindurch.
Und der Schweiger sprach:
„Wir wollen auf Lüttich marschieren.“
Ulenspiegel war des froh und rief mit allen Vlamländern:
„Lang lebe Oranien! Auf nach Lüttich!“
Aber die Fremden, sonderlich die Hochdeutschen, sagten, daß sie zu sehr durchnäßt und eingeweicht seien, um zu marschieren. Vergeblich versicherte der Prinz ihnen, daß sie zu einem sicheren Sieg in eine befreundete Stadt gingen. Sie wollten nichts hören, zündeten große Feuer an und wärmten sich samt ihren abgesattelten Pferden.
Der Angriff auf die Stadt ward auf den kommenden Tag verschoben, wo Alba, über den kühnen Durchgang gewaltig erstaunt, durch seine Spione erfuhr, daß die Söldner des Schweigers noch nicht zum Angriff bereit seien.
Daraufhin ließ er Lüttich und das ganze umliegende Land bedrohen, daß er sie mit Feuer und Schwert vertilgen wolle, wenn des Prinzen Freunde dort irgend welchen Aufruhr machten. Gerard von Groesbeke, der bischöfliche Bluthund, ließ seine Söldner gegen den Prinzen rüsten; und er kam durch die Schuld der Hochdeutschen, die Furcht vor etwas nassen Hosen gehabt hatten, zu spät.
Nachdem Ulenspiegel und Riesenkraft Sekundanten genommen hatten, sagten diese, sie sollten zu Fuß kämpfen, bis daß einer den Geist aufgäbe, wenn es dem Sieger gefiele; denn solches waren Riesenkrafts Bedingungen.
Der Kampfplatz war eine kleine Heide.
Gleich am Morgen legte Riesenkraft seine Rüstung als Schütze an. Er setzte die Pickelhaube mit Halsstück auf, ohne Visier, und zog ein Panzerhemd ohne Ärmel an. Sintemalen sein anderes Hemd in Fetzen auseinanderging, legte er es in die Pickelhaube, um, wenn es not tat, einen Verband daraus zu machen. Er versah sich mit seiner Armbrust aus gutem Ardenner Holz, einem Bündel von dreißig Pfeilen, einem langen Dolch, aber nicht mit einem zweihändigen Degen, welches der Bogenschützen Degen ist. Und er kam auf seinem Schlachtroß, das den Kriegssattel und das Zaumzeug mit Federbusch trug und ganz gepanzert war, auf den Kampfplatz geritten.
Ulenspiegel machte sich eine Ausrüstung wie ein gewappneter Edelmann, sein Schlachtroß war ein Esel; sein Sattel waren die Röcke einer Dirne, das mit Federn geschmückte Zaumzeug aus Weiden, obenauf mit schönen, trefflich flatternden Hobelspänen geziert. Der Roßharnisch war aus Speck, denn das Eisen kostet zu viel, sagte er, Stahl ist unerschwinglich, und was das Kupfer anlangt, so hat man in den verwichenen Tagen so viele Kanonen daraus gemacht, daß nicht soviel übrig ist, um ein Kaninchen in der Schlacht zu wappnen. An Stelle des Hutes setzte er einen schönen Lattichkopf auf, den die Schnecken noch nicht zerfressen hatten. Darauf ragte eine Schwanenfeder, damit er im Verscheiden singen konnte.
Sein starrer, leichter Stoßdegen war ein rechtschaffener, langer, dicker Knüttel aus Fichtenholz, an dessen Ende ein Besen aus Zweigen des gleichen Holzes war. An der linken Seite seines Sattels hing sein Messer, das gleichfalls aus Holz war, auf der rechten Seite schaukelte sein trefflicher Streitkolben aus Holunderholz, von einer Rübe gekrönt. Sein Küraß bestand ganz aus Löchern.
Als er so ausgestattet auf den Kampfplatz kam, brachen Riesenkrafts Sekundanten in Gelächter aus; aber dieser selbst behielt seine sauertöpfische Miene.
Alsdann forderten Ulenspiegels Sekundanten die Beisteher Riesenkrafts auf, der Deutsche möge seine ganze Rüstung von Panzerringen und Eisen ablegen, in Ansehung dessen, daß Ulenspiegel nur mit Lumpen gepanzert sei. Riesenkraft willigte darein. Nunmehr fragten Riesenkrafts Sekundanten die Ulenspiegels, woher es käme, daß Ulenspiegel mit einem Besen bewaffnet wäre.
„Ihr gewährtet mir den Knüttel, doch Ihr verbotet mir nicht, ihn mit Laubwerk aufzuputzen.“
„Mach’s, wie Du’s verstehst,“ sagten die vier Sekundanten.
Riesenkraft sagte keinen Ton und metzelte das kümmerliche Heidekraut mit kurzen Degenhieben ab.
Die Sekundanten forderten ihn auf, seinen Stoßdegen gleich Ulenspiegel durch einen Knüttel zu ersetzen.
Er antwortete:
„Wenn dieser Lump aus freien Stücken eine so ungewöhnliche Waffe gewählet hat, so geschieht’s, weil er vermeint, sein Leben damit verteidigen zu können.“
Da Ulenspiegel abermals sagte, daß er sich seines Besens bedienen wolle, kamen die vier Sekundanten überein, daß alles recht sei.
Sie standen sich kampfbereit gegenüber, Riesenkraft auf seinem eisengepanzerten Pferde, Ulenspiegel auf seinem speckgepanzerten Esel.
Ulenspiegel rückte bis zur Mitte des Feldes vor. Dann sprach er, seinen Besen wie eine Lanze haltend:
„Stinkender als Pest, Aussatz und Tod finde ich dies Ungeziefer von schlechten Kerls, die in einem Lager von guten Kriegskameraden keine andern Sorgen haben, als allerwegen ihre mürrische Fratze und ihr zornschäumendes Maul herumzuführen. Wo sie verweilen, wagt sich das Lachen nicht hervor, und die Lieder schweigen. Sie müssen allzeit brummen oder sich schlagen, und dergestalt führen sie neben dem berechtigten Kampf für das Vaterland den Zweikampf ein, welcher der Ruin des Heeres und die Freude des Feindes ist. Gegenwärtiger Riesenkraft tötete einundzwanzig Menschen um unschuldiger Worte willen, ohne daß er jemals in Schlacht oder Scharmützel eine glänzende Tat der Tapferkeit getan oder durch seinen Mut die geringste Belohnung verdient hätte. Darum so gefällt es mir, heute das räudige Fell dieses bissigen Hundes wider den Strich zu bürsten.“
Riesenkraft antwortete:
„Dieser Trunkenbold hat schöne Dinge über den Mißbrauch des Zweikampfes geträumt; es wird mir heute gefallen, ihm den Kopf zu spalten, um Jedermann zu zeigen, daß er nur Heu im Hirn hat.“
Die Sekundanten zwangen sie, von ihren Tieren zu steigen. Dies tuend, ließ Ulenspiegel den Lattich vom Kopf fallen, den der Esel ruhig fraß, doch er ward in diesem Geschäft durch einen Fußtritt unterbrochen, den ihm ein Sekundant gab, um ihn aus den Schranken des Kampfplatzes zu treiben. Ebenso geschah dem Pferde. Und sie gingen, anderswo in Gesellschaft zu weiden.
Alsbald gaben die Sekundanten / die besentragenden, das waren die Ulenspiegels, / und die degentragenden, das waren die Riesenkrafts / durch Pfeifen das Zeichen zum Kampfe.
Und Riesenkraft und Ulenspiegel fochten wütend miteinander.
Riesenkraft schlug mit seinem Stoßdegen und Ulenspiegel parierte mit seinem Besen. Riesenkraft fluchte bei allen Teufeln, Ulenspiegel wich ihm aus und hüpfte die Kreuz und die Quer durch die Heide, steckte die Zunge heraus und machte Riesenkraft tausend Fratzen. Diesem ging der Atem aus, und er schlug mit dem Stoßdegen ins Blaue wie ein närrisch gewordener Söldling. Ulenspiegel fühlte, daß er ihm nahe war, drehte sich plötzlich um und gab ihm mit seinem Besen einen gewaltigen Stoß unter die Nase. Riesenkraft fiel mit ausgestreckten Armen und Beinen zu Boden, wie ein Frosch, wenn er verendet.
Ulenspiegel warf sich auf ihn und fegte ihm das Gesicht ohne Erbarmen mit dem Strich und gegen den Strich. Dabei sagte er:
„Bitte um Gnade, oder Du sollst meinen Besen verschlingen.“ Und er rieb ihn ohn Unterlaß hin und her, zum großen Ergötzen der Anwesenden, und sagte immerfort:
„Schrei um Gnade, oder Du sollst ihn verschlingen!“
Aber Riesenkraft konnte nicht schreien, maßen er an der schwarzen Wut gestorben war.
„Gott habe Dich selig, armer Wüterich!“ sprach Ulenspiegel.
Und er ging fürbaß und blies Trübsal.
Es war dazumal Ende Oktober. Dem Prinzen mangelte das Geld, sein Heer hungerte. Die Söldlinge murrten. Er marschierte nach Frankreich und bot dem Herzog die Schlacht an; der aber nahm sie nicht an.
Er brach von Quesnoy-le-Comte auf, um auf Cambresis zu rücken; da stieß er auf zehn Kompanien Deutscher, acht Fähnlein Spanier und drei Schwadronen leichter Reiter, die von Don Ruffele Henricis, des Herzogs Sohne, befehligt wurden. Er war mitten in der Schlacht und rief auf Spanisch:
„Tötet, tötet! Gebt kein Quartier! Es lebe der Papst!“
Don Henricis war just der Kompanie Schützen gegenüber, in der Ulenspiegel Rottenführer war; er stürzte sich mit seinen Leuten auf sie. Ulenspiegel sagte zum Feldwaibel:
„Ich will diesem Henker die Zunge abschneiden.“
„Schneide“, sagte der Feldwaibel.
Und mit einer wohlgezielten Kugel riß Ulenspiegel Zunge und Kinnbacken des Don Ruffele Henricis, des Herzogs Sohn, entzwei.
Ulenspiegel schoß auch den Sohn des Marquis Delmarès vom Pferde.
Die acht Fähnlein und drei Schwadronen wurden geschlagen.
Nach diesem Siege suchte Ulenspiegel Lamm im Lager, aber er fand ihn nicht.
„Ach,“ sagte er, „nun ist er fort, mein Freund Lamm, mein dicker Freund. Das Gewicht seines Bauches vergessend, wird er in seinem kriegerischen Ungestüm die hispanischen Flüchtlinge haben verfolgen wollen. Außer Atem wird er wie ein Sack auf den Weg gefallen sein. Und sie werden ihn aufgenommen haben, um Lösegeld für ihn zu bekommen, ein Lösegeld für christlichen Speck. Mein Freund Lamm, wo bist Du doch, wo bist Du, mein fetter Freund?“
Ulenspiegel suchte ihn allerorten und blies Trübsal, da er ihn nicht fand.
Im November, dem Monat der Schneestürme, ließ der Schweiger Ulenspiegel zu sich entbieten. Der Prinz biß auf die Schnur seines Panzerhemdes.
„Höre und bewahre“, sagte er.
Ulenspiegel antwortete:
„Meine Ohren sind Gefängnistore; man geht leicht hinein, aber hinauszugehen ist eine schwere Sache.“
Der Schweiger sprach:
„Geh über Namur, Flandern, Hennegau, Süd-Brabant, Antwerpen, Nord-Brabant, Geldern, Oberyssel, Nord-Holland und verkünde allerorten: wenn Fortuna unsere heilige, christliche Sache auf dem Lande verrät, so wird der Kampf gegen alle ungerechten Gewalttaten auf dem Meere fortgesetzt werden. Diese Sache steht in Gottes Hand, sei es im Glück oder Unglück. In Amsterdam angelangt, wirst Du Paul Buys, meinem Getreuen, von deinem Tun und Treiben Rechenschaft geben. Hier sind drei Pässe, von Alba selbst unterzeichnet und bei den Leichen von Quesnoy-le-Comte gefunden. Mein Sekretarius hat sie ausgefüllt. Kann sein, daß Du unterwegens einen guten Gefährten findest, dem Du vertrauen kannst. Die sind gut, die auf Lerchentriller mit kriegerischem Hahnenruf antworten. Hier sind fünfzig Gülden. Du wirst tapfer und treu sein.“
„Klasens Asche brennt auf meinem Herzen,“ antwortete Ulenspiegel. Und er ging von dannen.
Er hatte vom König und vom Herzog Vollmacht, nach seinem Ermessen alle Waffen zu tragen. Er nahm seine gute Radschloßbüchse, Patronen und trockenes Pulver, legte einen zerlumpten Mantel, ein zerschlissenes Wams, eine nach hispanischer Mode durchlöcherte Hose, ein Barett mit wallender Feder und einen Degen an; so verließ er das Heer an der französischen Grenze und wandte sich nach Maastricht. Die Zaunkönige, der Kälte Boten, flogen Obdach begehrend um die Häuser. Es schneiete am dritten Tage.
Manchmal mußte Ulenspiegel unterwegens seinen Geleitbrief zeigen. Man ließ ihn passieren und er wandte sich nach Lüttich. Er war in eine Ebene gelangt. Ein starker Wind trieb ihm die Flocken in Wirbeln ins Gesicht. Vor seinen Augen breitete sich eine weiße Fläche aus, darüber die Schneewolken von Windstößen gejagt wurden. Drei Wölfe folgten ihm; doch nachdem er ihrer einen mit seiner Büchse niedergeschossen, warfen die andern sich auf den Verwundeten und entwichen in den Wald, jeder ein Stück des Kadavers mitschleppend.
Also befreit, schaute Ulenspiegel sich um, ob nicht noch eine andere Schar auf freiem Felde sei. Da erblickte er am Rande der Ebene Punkte wie graue Steinbilder, die sich zwischen den Schneewirbeln bewegten, und dahinter schwarze Gestalten berittener Soldaten. Er stieg auf einen Baum. Der Wind trug ihm ein fernes Geräusch von Klagen zu. „Vielleicht“, sprach er zu sich selbst, „sind es Pilger, in weiße Gewänder gekleidet. Ich sehe kaum ihre Körper auf dem Schnee.“
Dann gewahrte er Menschen, die nackend liefen, und sah zwei Reiter in schwarzer Rüstung, die auf ihren großen Schlachtrossen sitzend diese armselige Herde mit heftigen Peitschenhieben vor sich her trieben. Er spannte seine Büchse. Unter diesen Gegeißelten sah er junge Leute und nackte Greise, zitternd, erstarrt und gekrümmt. Sie liefen, um der Peitsche der beiden Soldaten zu entrinnen, die wohlgekleidet, von Branntwein und guter Nahrung rot waren und ihr Ergötzen daran fanden, die Körper der nackten Menschen zu geißeln, um sie zu schnellerem Lauf anzutreiben.
Ulenspiegel sagte: „Klasens Asche, Dir soll Rache werden.“ Und er tötete einen der Reiter mit einer Kugel ins Gesicht; der fiel vom Pferde. Den andern, der nicht wußte, von wannen diese unverhoffte Kugel kam, ergriff die Furcht. Wähnend, daß im Gehölz Feinde versteckt wären, wollte er mit seines Gefährten Roß entfliehen. Als er sich des Zügels bemächtigt hatte und abstieg, um den Toten auszuplündern, ward er von einer andern Kugel in den Hals getroffen und fiel gleichermaßen.
Die nackten Menschen glaubten nicht anders, als daß ein Engel vom Himmel, ein guter Scharfschütze, zu ihrer Verteidigung käme, und fielen auf die Kniee. Alsbald stieg Ulenspiegel vom Baume herab und wurde von denen aus der Schar, die gleich ihm in den Heeren des Prinzen gedient hatten, erkannt. Sie sagten zu ihm:
„Ulenspiegel, wir sind aus dem Lande Frankreich in diesem erbärmlichen Zustand nach Maastricht geschickt worden, wo der Herzog ist, um dort wie Rebellen und Gefangene behandelt zu werden, die kein Lösegeld zahlen können. Wir sind im Voraus verurteilt, gefoltert und geköpft zu werden, oder gleich Lumpen und Spitzbuben auf des Königs Galeeren zu rudern.“
Ulenspiegel gab dem Ältesten der Schar sein Obergewand und antwortete:
„Kommet, ich werde Euch bis Mézières führen, aber zuvor müssen wir diese beiden Söldner plündern und ihre Pferde mitnehmen.“
Die Wämse, Hosen, Stiefel, Helme und Kürasse der Söldner wurden unter die Schwächsten und Kränkesten verteilt, und Ulenspiegel sagte:
„Wir wollen ins Gehölz gehen, allwo die Luft dicker und weicher ist. Laßt uns laufen, Brüder.“
Plötzlich fiel ein Mann und sagte:
„Mich hungert und friert, ich werde gehen und vor Gott bezeugen, daß der Papst der Antichrist auf Erden ist.“
Und er verschied. Und die Übrigen wollten ihn forttragen, um ihn christlich zu begraben.
Dieweil sie auf der Landstraße wanderten, bemerkten sie einen Bauern, der einen Planwagen lenkte. Da er die nackten Menschen sah, hatte er Mitleid und ließ sie auf den Wagen steigen. Sie fanden Heu daselbst, um sich hineinzulegen, und leere Säcke, um sich zuzudecken. Und da ihnen warm wurde, dankten sie Gott. Ulenspiegel ritt auf einem der Reiterpferde neben dem Wagen und hielt das andere am Zügel.
In Mézières stiegen sie ab. Dort gab man ihnen gute Suppe, Bier, Brot, Käse und den Greisen und Frauen Fleisch. Sie wurden auf Kosten der Gemeinde beherbergt und von neuem gekleidet und bewaffnet. Und alle gaben Ulenspiegel den Bruderkuß des Segens, und er ließ es sich fröhlich gefallen.
Er verkaufte die Pferde der beiden Reiter zu achtundvierzig Gülden, von denen er den Franzosen dreißig gab.
Da er einsam des Weges zog, sprach er zu sich selbst: „Ich gehe durch Trümmer, Blut und Tränen, ohne etwas zu finden. Die Teufel haben mich ohne Zweifel belogen. Wo ist Lamm? Wo ist Nele? Wo sind die Sieben?“
Und Klasens Asche brannte von Neuem auf seiner Brust. Und er hörte eine Stimme gleich einem Hauche sagen:
„Such in Tod, Trümmern und Tränen.“
Und er ging von dannen.
Ulenspiegel gelangte im Märzmond nach Namur. Dort sah er Lamm, welcher, von großer Liebe für die Fische der Maas, sonderlich die Forellen, ergriffen, einen Kahn gemietet hatte und mit Verlaub der Gemeinde im Fluß fischte. Aber er hatte der Fischergilde fünfzig Gülden gezahlt. Er verkaufte und aß seinen Fisch und erwarb sich bei diesem Handwerk eine Aufbesserung seines Bauches und ein Säcklein mit Karolus.
Da er seinen Freund und Gesellen am Ufer der Maas wandeln sah, um in die Stadt zu gehen, ward er frohen Muts, stieß sein Boot gegen das Ufer, und indem er schnaufend die Böschung hinanstieg, gelangte er zu Ulenspiegel. Vor Freuden stammelnd, sagte er:
„Da bist Du also, mein Sohn, mein Sohn in Gott, denn meine Arche von Bauch könnte ihrer zwei wie Dich tragen. Wohin gehst Du? Was willst Du? Bist Du gewißlich nicht tot? Hast Du mein Weib gesehen? Du sollst von den Fischen der Maas essen, den besten, die in dieser gemeinen Welt sind. Sie machen in diesem Lande Saucen, daß man seine Finger bis zu den Schultern aufessen möchte. Du bist stolz und hoffärtig, weil Du den Sonnenbrand der Schlachten auf den Wangen hast. Da bist Du also, mein Sohn, mein Freund Ulenspiegel, der lustige Landstreicher.“
Dann leiser redend:
„Wieviel Spanier hast Du getötet? Sahest Du mein Weib nicht in ihren Wagen voller Dirnen? Und von dem Maaswein, der für verstopfte Leute so köstlich ist, sollst Du trinken. Bist Du verwundet, mein Sohn? Hier bleibst Du, frisch und gesund und munter wie ein junger Adler. Und die Aale, davon sollst Du kosten. Kein Sumpfgeschmack. Küß mich, mein Dickwanst. Gott sei gelobt, wie froh bin ich!“
Und Lamm tanzte, sprang, schnaufte und zwang Ulenspiegel zu tanzen.
Dann wanderten sie gen Namur. Am Stadttor wies Ulenspiegel seinen vom Herzog unterschriebenen Paß vor. Und Lamm führte ihn in sein Haus.
Dieweil er das Mahl bereitete, hieß er ihn seine Abenteuer erzählen, und er gab die seinen zum besten. Er hatte das Heer verlassen, sagte er, um einem Mädchen zu folgen, das ihm seine Frau zu sein dünkte. Bei dieser Verfolgung war er bis nach Namur gekommen. Und unaufhörlich sagte er:
„Hast Du sie nicht gesehen?“
„Ich habe andere sehr schöne gesehen,“ antwortete Ulenspiegel, „und sonderlich in dieser Stadt, wo alle verliebt sind.“
„Wahrlich,“ sagte Lamm, „man hat mich hundert Mal haben wollen, aber ich blieb treu, denn mein betrübtes Herz ist von einer einzigen Erinnerung geschwellt.“
„Gleichwie Dein Bauch von zahlreichen Gerichten,“ entgegnete Ulenspiegel.
Lamm versetzte: „Wenn ich betrübt bin, muß ich essen.“
„Ist dein Kummer ohne Ende?“ fragte Ulenspiegel.
„Ach ja!“ sagte Lamm.
Und indem er eine Forelle aus einem Tiegel zog, sprach er:
„Sieh, wie schön und fest sie ist. Dies Fleisch ist rosenrot wie das meiner Frau. Morgen werden wir Namur verlassen; ich habe ein Säckel voller Gülden, wir wollen uns jeder einen Esel kaufen, und also werden wir uns aufmachen und nach dem Lande Flandern reiten.“
„Dabei wirst Du viel verlieren.“
„Mein Herz zieht mich nach Damm. Es war der Ort, wo sie mich gar lieb gehabt hat. Kann sein, daß sie dorthin zurückgekehrt ist.“
„Da Du es begehrst, wollen wir morgen aufbrechen,“ sagte Ulenspiegel.
Und so geschah’s. Jeder auf einem Esel sitzend, zogen sie fort und ritten Seite an Seite.
Es wehte ein scharfer Wind. Die Sonne, in der Frühe so hell wie die Jugend, ergraute wie ein alter Mann. Regen, mit Schloßen gemischt, fiel. Als der Regen aufgehört, schüttelte sich Ulenspiegel und sprach:
„Der Himmel, der so viel Dünste trinkt, muß sich bisweilen erleichtern.“
Wiederum stürzte der Regen mit noch mehr Hagel als zuvor auf die beiden Gefährten. Lamm stöhnte:
„Wir waren trefflich gewaschen; muß man uns auch noch spülen?“
Die Sonne schien wieder, und sie ritten frohgemut.
Nun fiel ein Regen mit Hagelschloßen, so mörderisch, daß er die dürren Zweige der Bäume wie mit einem Bündel von Messern zerhackte.
Lamm sagte:
„Hoho, ein Dach! Mein armes Weib! Wo seid Ihr, gutes Feuer, süße Küsse und fette Suppen?“
Und der dicke Mensch weinte.
Doch Ulenspiegel sprach:
„Wir jammern; aber kommen nicht unsere Uebel aus uns selbst? Es regnet auf unsere Schultern, aber dieser Dezemberregen wird Maienklee machen. Und die Kühe werden vor Freude brüllen. Wir sind ohne Obdach, aber warum freien wir nicht? Will sagen, ich die kleine Nele, die so schön und gut ist und mir jetzund ein gutes Gericht Rindfleisch mit Bohnen dämpfen würde. Uns dürstet ohngeachtet des Wassers, das herunterkommt. Warum wurden wir nicht Gesellen, die einem Handwerk treu sind? Die, so Meister geworden sind, haben volle Tonnen Braunbiers im Keller.“
Klasens Asche brannte auf seinem Herzen. Der Himmel klärte sich, die Sonne erglänzte und Ulenspiegel sprach:
„Frau Sonne, Euch sei Dank, Ihr erwärmt uns das Kreuz. Klasens Asche, Du erwärmst uns das Herz und sagst uns, daß die gesegnet sind, die zur Befreiung des Vaterlandes umherirren.“
„Mich hungert,“ sprach Lamm.
Sie kehrten in einer Herberge ein und man gab ihnen in einem hohen Gemach das Nachtessen. Ulenspiegel öffnete die Fenster und sah von da aus einen Garten, in dem sich ein artig Mägdlein erging, wohlgerundet, mit vollen Brüsten, goldenen Haaren und nur mit einem Rock, einem Leibchen von weißem Linnen und einer durchlöcherten Schürze von schwarzer Leinwand angetan.
Hemden und andere Frauenwäsche bleichten auf Stricken. Das Mägdlein nahm die Hemden von den Stricken, sich immerdar nach Ulenspiegel umwendend, hängte sie wieder auf und setzte sich dann lächelnd und immerdar ausschauend auf die aufgereihte Wäsche und schaukelte sich auf den beiden zusammengeknoteten Enden.
In der Nachbarschaft hörte Ulenspiegel einen Hahn krähen und sah eine Amme, die spielte mit einem Kinde und wandte sein Antlitz einem Manne zu, der vor ihr stand; und dabei sagte sie:
„Boelkin, mach Väterchen freundliche Augen.“
Das Kind weinte.
Und das artige Mägdlein lustwandelte fürder im Garten und nahm die Wäsche ab und hängte sie wieder auf.
„Das ist eine Spionin,“ sagte Lamm.
Das Mägdlein hielt die Hände vor die Augen und durch die Finger lächelnd, blickte es Ulenspiegel an.
Dann hob es mit vollen Händen seine Brüste in die Höhe, ließ sie wieder fallen und schaukelte sich von neuem, ohne daß seine Füße den Boden berührten. Und die Hemden, die herunterflogen, machten, daß es sich gleich einem Kreisel drehte, indessen Ulenspiegel seine Arme, weiß und rund im bleichen Sonnenschein, bis an die Schultern erblickte. Es drehte sich und lächelte und schaute ihn immer an. Er ging hinaus, um es aufzusuchen. Lamm folgte ihm. Er suchte ein Loch in der Gartenhecke, um hindurchzuschlüpfen, aber er fand keines.
Da das Mägdlein sein Treiben sah, blickte es ihn wiederum lächelnd durch die Finger an.
Ulenspiegel versuchte durch die Hecke zu dringen, derweil Lamm ihn zurückhielt und sagte:
„Geh nicht, das ist eine Spionin, wir werden verbrannt werden.“
Dann lustwandelte das Mädchen im Gärtlein, bedeckte sich das Gesicht mit der Schürze und lugte durch die Löcher, zu sehen, ob ihr Freund von Ohngefähr nicht bald käme.
Ulenspiegel wollte mit einem Satz über die Hecke springen, aber Lamm hinderte ihn daran, ihn am Bein packend, daß er zu Boden fiel, und sprach:
„Strang, Schwert und Galgen! Das ist eine Spionin, geh nicht hin!“
Auf der Erde sitzend, suchte Ulenspiegel sich seiner zu erwehren. Das Mägdlein steckte den Kopf über die Hecke und rief:
„Gehabt Euch wohl, Herr, Amor möge Euch Langmütigen in der Schwebe halten.“
Und er hörte ein spöttisches Lachen erschallen.
„Wehe,“ sagte er, „das ist für mein Ohr wie ein Bund Nadeln.“
Dann wurde eine Tür zugeschmettert.
Und er ward schwermütig.
Lamm, der ihn alleweil festhielt, sprach:
„Du zählst die holden Schätze der Schönheit, die zu Deiner Schande verloren sind. Das ist eine Spionin. Du fällst gut, wenn Du fällst. Ich werde noch vor Lachen bersten.“
Ulenspiegel blieb stumm und alle beide bestiegen wiederum ihre Esel.
So zogen sie selbander, hier ein Bein und da ein Bein auf ihrem Esel. Lamm kaute an seiner letzten Mahlzeit und sog frohgemut die frische Luft ein. Unversehens zog Ulenspiegel ihm einen gewaltigen Hieb mit der Peitsche über das Gesäß, welches ein Polster im Sattel bildete.
„Was machst Du da?“ schrie Lamm kläglich.
„Was?“ antwortete Ulenspiegel.
„Dieser Peitschenhieb?“
„Welcher Peitschenhieb?“
„Den ich von Dir empfing,“ versetzte Lamm.
„Von links?“
„Ja, von links und auf meinen Hintern. Warum tatest Du das, Schalksknecht?“
„Aus Unwissenheit,“ erwiderte Ulenspiegel. „Ich weiß sehr wohl, was eine Peitsche ist, und eben so wohl, was ein Gesäß auf einem engen Sattel ist. Da ich nun dieses so breit, geschwollen und prall sah, wie es über den Sattel quoll, sagte ich mir: Da man nicht mit dem Finger hineinzwicken kann, so könnte man ihm auch nicht mit der Peitschenschnur wehe tun. Ich beging einen Irrtum.“
Da Lamm bei dieser Rede lächelte, sprach Ulenspiegel solcherart weiter:
„Aber ich bin es nicht allein in dieser Welt, der aus Unwissenheit sündigt; es ist mehr als ein Erzdummkopf, der sein Fett auf dem Sattel eines Esels zur Schau stellt, der es mir darin zuvor tun könnte. Wenn meine Peitsche an deinem Gesäß sündigte, so hast Du viel schwerer an meinen Beinen gesündigt, indem Du sie hindertest, hinter dem Mädchen herzulaufen, das im Garten auf Buhlschaft ausging.“
„Rabenfutter!“ sprach Lamm; „das war also Rache?“
„Eine ganz kleine,“ antwortete Ulenspiegel.
In Damm lebte Nele betrübt mit Katheline, die den kalten Teufel, welcher nicht kam, zärtlich rief.
„Ach,“ sagte sie, „Du bist reich, Hanske, mein Buhle, und könntest mir die siebenhundert Karolus wiederbringen. Alsdann wird Soetkin aus dem Fegefeuer lebendig auf die Erde zurückkehren, und Klas würde im Himmel lachen; wohl kannst Du es tun. Nehmt das Feuer fort, macht ein Loch, die Seele will hinaus.“
Und sie wies mit dem Finger ohn Unterlaß auf die Stelle, wo der Werg gelegen hatte.
Katheline war sehr arm, doch die Nachbarn unterstützten sie mit Bohnen, Brot und Fleisch nach ihren Mitteln. Die Gemeinde gab ihr etwas Geld. Und Nele nähte Kleider für die reichen Bürgerfrauen und ging zu ihnen, um die Wäsche zu bügeln, und verdiente dergestalt einen Gülden die Woche.
Und Katheline sagte beständig:
„Macht ein Loch, nehmt meine Seele fort. Sie pocht und will hinausgehen. Er wird die siebenhundert Karolus wiederbringen.“
Und Nele weinte, wenn sie das hörte.
Indessen kehrten Ulenspiegel und Lamm, mit ihren Pässen versehen, in eine kleine Herberge ein, die sich an die Felsen der Sambre lehnte, welche an gewissen Stellen mit Bäumen bedeckt sind. Auf dem Schild stand geschrieben: Bei Marlaire.
Nachdem sie manch Fläschlein Maaswein in Burgunder Art getrunken und viele gesalzene Fische verspeist hatten, plauderten sie mit dem Wirt, der ein Papist reinsten Wassers war, aber geschwätzig wie eine Elster, des Weines wegen, den er getrunken hatte. Unaufhörlich zwinkerte er boshaft mit den Augen. Ulenspiegel vermutete hinter diesem Zwinkern etwelches Geheimnis und ließ ihn noch mehr trinken, also daß der Wirt anhub zu tanzen und in Gelächter auszubrechen. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und sagte:
„Gute Katholiken, ich trinke auf Euer Wohl.“
„Wir trinken auf das Deine,“ antworteten Lamm und Ulenspiegel.
„Auf die Ausrottung jeder Pest von Rebellion und Ketzerei!“
„Wir tun Bescheid,“ antworteten Lamm und Ulenspiegel und füllten ohn Unterlaß den Becher des Wirts, der ihn niemals leer sehen konnte.
„Ihr seid Biedermänner,“ sprach er. „Ich trinke auf Eure Freigebigkeit; ich verdiene am Wein, der getrunken. Wo sind Eure Pässe?“
„Hier sind sie,“ antwortete Ulenspiegel.
„Vom Herzog unterzeichnet. Ich trinke auf des Herzogs Wohl.“
„Wir tun Bescheid,“ antworteten Lamm und Ulenspiegel.
Der Wirt fuhr in seiner Rede fort:
„Worin fängt man die Ratten, Mäuse und Hamster? In Ratten-, Hamster- und Mausefallen. Wer ist der Hamster? Das ist der große Ketzer, orangefarben gleich dem Feuer der Höllen.[4] Gott ist mit uns. Sie werden kommen. Ha, ha! Zu trinken! Schenk ein, ich koche, ich brenne. Zu trinken! Sehr schöne, kleine, reformierte Prediger ... Kleine, sage ich ... schöne, kleine, tapfere, starke Soldaten, Eichen ... Zu trinken! Werdet Ihr nicht mit ihnen in das Lager des großen Ketzers gehen? Ich habe Pässe, von ihm unterzeichnet ... Ihr werdet ihren Auftrag mit Augen sehen.“
„Wir werden ins Lager gehen,“ erwiderte Ulenspiegel.
„Sie werden sich gut dazuhalten, und in der Nacht, wenn die Gelegenheit günstig ist, (und der Wirt machte pfeifend einen Mann nach, der einen andern erwürgt) wird Eisenwind die Drossel Nassau hindern, noch mehr zu pfeifen. Holla, zu trinken!“
„Du bist lustig, ob Du gleich verheiratet bist,“ entgegnete Ulenspiegel.
Der Wirt sagte:
„Das bin ich nicht, noch war ich es. Ich hüte die Geheimnisse der Fürsten. Gebt mir zu trinken. / Mein Weib würde sie mir vom Kopfkissen stehlen, um mich henken zu lassen und eher Wittib zu werden als die Natur will. So wahr Gott lebt! Sie werden kommen. Wo sind die neuen Pässe? Auf meinem christlichen Herzen. Laßt uns trinken! Da sind sie, da, in dreihundert Schritt Entfernung auf dem Wege, bei Marche-les-Dames. Sehet Ihr sie? Laßt uns trinken.“
„Trink,“ sagte Ulenspiegel zu ihm, „trink; ich trinke auf den König, den Herzog, die Prediger und auf Eisenwind. Ich trinke auf Dein Wohl und meins; ich trinke auf den Wein und auf die Flasche. Du trinkst ja nicht.“ Und bei jedem Trinkspruch füllte Ulenspiegel von neuem das Glas und der Wirt leerte es.
Ulenspiegel betrachtete ihn etliche Zeit. Dann sagte er, sich erhebend:
„Er schläft; wir wollen uns davonmachen, Lamm.“
Als sie draußen waren:
„Er hat kein Weib, uns zu verraten ... Die Nacht sinkt herab ... Du hast deutlich vernommen, was dieser Taugenichts sagte; und Du weißt, wer die drei Prediger sind?“
„Ja,“ sprach Lamm.
„Du weißt, das sie die Maas entlang von Marche-les-Dames kommen, und daß man gut tun wird, sie auf dem Wege zu erwarten, ehe denn Eisenwind zu Atem kommt.“
„Ja,“ sprach Lamm.
„Wir müssen dem Prinzen das Leben retten,“ sagte Ulenspiegel.
„Ja,“ sprach Lamm.
„Da,“ sprach Ulenspiegel, „nimm meine Büchse, geh dort in das Gebüsch zwischen den Felsen; lade sie mit zwei Kugeln und ziele, wenn ich wie ein Rabe krächze.“
„Das will ich tun,“ sprach Lamm.
Und er verschwand im Gebüsch. Alsbald hörte Ulenspiegel das Rad der Büchse knarren.
„Siehst Du sie kommen?“ fragte er.
„Ich sehe sie“; antwortete Lamm. „Es sind ihrer drei, die gleich Soldaten marschieren, und der Eine überragt die Andern um Haupteslänge.“
Ulenspiegel setzte sich mit vorgestreckten Beinen auf den Weg, indem er murmelnd einen Rosenkranz abbetete, wie die Bettler tun. Und er hatte seinen Hut zwischen den Knieen.
Als die drei Prediger vorübergingen, hielt er ihnen seinen Hut hin, sie aber legten nichts hinein.
Da stand Ulenspiegel auf und sagte kläglich:
„Ihr guten Herren, versagt einem armen Steinhauer, der sich letzthin in einer Grube des Steinbruchs die Lenden gebrochen hat, nicht einen Stüver. Sie sind hart in diesem Lande und haben mir nichts geben wollen, mein trauriges Elend zu lindern. Wehe, gebt mir einen Stüver, dann werde ich für Euch beten. Und Gott wird Eure großmütige Gnaden das ganze Leben fröhlich erhalten.“
„Mein Sohn,“ sagte einer der Prediger, ein starker Mann, „für uns wird in dieser Welt keine Freude sein, solange Papst und Inquisition darin regieren.“
Ulenspiegel seufzte gleichfalls und sprach:
„Wehe! was sagt Ihr, edle Herren? Sprecht leise, wenn es Euer Gnaden beliebt. Aber gebt mir einen Stüver.“
„Mein Sohn,“ antwortete ein kleiner Prediger mit kriegerischem Antlitz, „wir armen Märtyrer haben nur so viel Stüver, wie wir brauchen, uns unterwegs zu ernähren.“
Ulenspiegel warf sich auf die Kniee.
„Segnet mich,“ sagte er.
Die drei Prediger legten die Hand ohne Frömmigkeit auf Ulenspiegels Kopf.
Da er wahrnahm, daß sie mager waren und doch mächtige Bäuche hatten, erhob er sich, stellte sich, als ob er fiele, und stieß mit der Stirn gegen den Bauch des hochgewachsenen Predigers, wobei er ein lustiges Klingeln von Münzen vernahm.
Da richtete er sich auf und zog sein kurzes Schwert.
„Ihr schönen Väter,“ sagte er, „es ist kalt; ich bin schlecht bekleidet, und Ihr habt mehr als genug. Gebt mir von Eurer Wolle, daß ich mir daraus einen Mantel schneiden kann. Ich bin Geuse, es lebe der Geuse!“
Der große Prediger antwortete:
„Du gekrönter Geuse, Du trägst den Kamm hoch; wir werden ihn Dir abschneiden.“
„Abschneiden,“ sprach Ulenspiegel, indem er zurückwich; „aber Eisenwind wird Euch anhauchen, ehe er den Prinzen anhaucht. Geuse bin ich, es lebe der Geuse!“
Die drei Prediger sagten bestürzt untereinander:
„Woher kommt ihm die Kunde? Wir sind verraten. Drauf! Es lebe die Messe!“
Und sie zogen unter ihren Hosen schöne, scharfgeschliffene Schwerter hervor.
Doch Ulenspiegel entwich, ohne ihnen stand zu halten, nach dem Gebüsch, worin Lamm verborgen war. Als er meinte, daß die Prediger in Schußweite seien, sprach er:
„Ihr Raben, schwarze Raben, Bleiwind wird wehen. Ich singe Euer Sterbelied.“
Und er krächzte.
Ein Büchsenschuß aus dem Gebüsch streckte den größten Prediger nieder, mit dem Gesicht auf den Boden; ein zweiter Schuß warf den zweiten auf den Weg.
Und zwischen den Büschen erblickte Ulenspiegel Lamms gutes Vollmondsgesicht und seinen erhobenen Arm, der hastig die Büchse wieder lud. Und ein blauer Rauch stieg aus dem schwarzen Gebüsch auf.
Der dritte Prediger, vor männlicher Wut rasend, wollte Ulenspiegel mit aller Gewalt aus dem Busche reißen. Der aber sprach:
„Eisenwind oder Bleiwind, Du wirst aus dieser Welt scheiden und in die andere gehen, Du schändlicher Mordstifter!“
Und er griff ihn an und er wehrte sich tapfer.
Fest standen sie Aug’ in Aug’ auf dem Wege, teilten Hiebe aus und parierten sie.
Ulenspiegel war von Blut überströmt, maßen sein Gegner, ein geübter Kämpfer, ihn am Kopf und Bein verwundet hatte. Doch er griff ihn an und verteidigte sich wie ein Leu. Da ihn das Blut, so von seinem Kopf strömte, blendete, wich er in großen Schritten zurück, wischte es mit der Linken ab und fühlte, daß er schwach wurde. Er wäre getötet worden, hätte Lamm nicht auf den Prediger geschossen und ihn niedergestreckt.
Und Ulenspiegel sah und hörte ihn Lästerworte, Blut und Todesschaum ausspeien.
Und blauer Rauch stieg aus dem Gebüsch auf, darinnen Lamm wiederum sein gutes Vollmondsgesicht sehen ließ.
„Ist es vollendet?“ fragte er.
„Ja, mein Sohn,“ antwortete Ulenspiegel, „aber komm ...“
Da Lamm aus seinem Versteck trat, sah er Ulenspiegel ganz mit Blut bedeckt. Ohngeachtet seines Bauches wie ein Hirsch rennend, gelangte er zu Ulenspiegel, der neben den Getöteten auf der Erde saß.
„Er ist verwundet,“ sprach er, „mein herzlieber Freund, von diesem nichtsnutzigen Mörder verwundet.“ Und mit einem Stoß seines Absatzes zerbrach er dem nächsten Prediger die Zähne. „Du antwortest nicht, Ulenspiegel! Wirst Du sterben, mein Sohn? Wo ist der Balsam? Ha, unten in seinem Felleisen unter den Würsten. Ulenspiegel, hörst Du mich nicht? Wehe, ich habe kein lauwarmes Wasser, Deine Wunde zu waschen, und keine Möglichkeit, welches zu bekommen. Aber das Sambrewasser wird genügen. Sprich zu mir, mein Freund. Du bist doch nicht so schwer verwundet. Ein wenig Wasser, recht kalt, nicht so? Er erwacht. Ich bin es, mein Sohn, dein Freund. Sie sind alle tot. Leinwand, Leinwand, seine Wunden zu verbinden. Keine da. Also mein Hemd.“ / Er zog sich aus. / Und Lamm redete weiter: „In Stücke das Hemd. Das Blut stockt. Mein Freund wird nicht sterben.“
„Ha,“ sprach er, „es ist kalt mit nacktem Rücken in dieser frischen Luft. Kleiden wir uns wieder an. Er wird nicht sterben. Ich bin’s, Ulenspiegel, ich, Dein Freund Lamm. Er lächelt. Ich werde die Mörder plündern. Sie haben Bäuche aus Gülden. Güldene Kaldaunen. Karolus, Gülden, Taler, Stüver und Briefe. Wir sind reich. Ueber dreihundert Karolus zu teilen. Wir wollen die Waffen und das Geld nehmen. Eisenwind wird noch nicht für Seine Gnaden wehen.“
Ulenspiegel stand auf und klapperte vor Frost mit den Zähnen.
„Da bist Du wieder auf den Beinen!“ sprach Lamm.
„Das ist die Kraft des Balsams,“ antwortete Ulenspiegel.
„Balsam der Tapferkeit,“ versetzte Lamm.
Alsdann nahm er die Leichen der drei Prediger eine nach der andern und warf sie in ein Loch zwischen den Felsen; ihre Waffen und Kleider ließ er ihnen, außer dem Mantel.
Und am Himmel, rund um sie her, krächzten die Raben, die ihres Futters harrten. Und die Sambre floß wie ein eherner Strom unter dem grauen Himmel. Und der Schnee fiel und wusch das Blut fort.
Dennoch waren sie bekümmert und Lamm sprach:
„Ich töte lieber ein Huhn als einen Menschen.“
Und sie stiegen wieder auf ihre Esel.
Am Tor von Huy floß das Blut immer noch. Sie stellten sich, als fingen sie Streit an, stiegen von ihren Eseln und fochten mit ihren Schwertern, dem Ansehen nach schier grausam. Als der Kampf beendet war, saßen sie wieder auf und ritten in Huy ein, nachdem sie am Stadttor ihre Pässe vorgewiesen hatten.
Da die Frauen Ulenspiegel verwundet und blutend und Lamm auf seinem Esel den Sieger spielen sahen, betrachteten sie Ulenspiegel mit zärtlichem Mitleid; aber Lamm drohten sie mit der Faust und sagten:
„Das ist der Taugenichts, der seinen Freund verwundet.“
Voll Unruhe suchte Lamm unter ihnen sein Weib.
Es war vergebens und er blies Trübsal.
„Wohin gehen wir?“ fragte Lamm.
„Nach Maestricht,“ antwortete Ulenspiegel.
„Aber, mein Sohn, man sagt, daß des Herzogs Kriegsknechte da rund um die Stadt liegen und daß er sich selbst darinnen befindet. Unsere Pässe werden nicht hinreichen. Wenn die hispanischen Söldner sie gut befinden, werden wir darum nicht weniger in der Stadt festgehalten und verhört werden. Unterweilen werden sie den Tod der Prediger erfahren, und mit unserm Leben wird es zu Ende sein.“
Ulenspiegel antwortete:
„Die Raben, Eulen und Geier werden in Bälde mit ihrem Fleisch ein Ende gemacht haben. Ihr Gesicht ist ohne Zweifel schon unkenntlich. Was unsere Pässe angeht, so mögen sie gut sein; so man aber Kunde vom Morde erhielte, würden wir, wie Du sagst, gefangen genommen. Dessen ohngeachtet müssen wir über Landen nach Maestricht gehen.“
„Sie werden uns henken,“ sagte Lamm.
„Wir werden durchkommen,“ erwiderte Ulenspiegel.
So ratschlagend, kamen sie nach der Herberge „Zur Elster“, allwo sie gute Kost, gutes Nachtlager und Heu für ihre Esel fanden.
Am andern Morgen machten sie sich auf den Weg nach Landen.
Da sie bei einem großen Pachthofe vor der Stadt angelangt waren, trillerte Ulenspiegel wie eine Lerche und alsbald antwortete ihm von drinnen das kriegerische Trompeten des Hahnes. Ein Pächter, der ein ehrlich Gesicht hatte, erschien auf der Türschwelle.
„Freunde als Freie, es lebe der Geuse! Tretet ein!“ sprach er.
„Wer ist dieser?“ fragte Lamm.
Ulenspiegel antwortete:
„Thomas Utenhove, der tapfere Reformierte. Seine Knechte und Mägde arbeiten gleich ihm für das freie Gewissen.“
Darauf sprach Utenhove:
„Ihr seid des Prinzen Gesandte. Esset und trinket.“
Und der Schinken prasselte in der Pfanne und die Blutwürste desgleichen, und der Wein ließ nicht auf sich warten, und die Gläser füllten sich.
Und Lamm trank wie trockener Sand und aß tapfer.
Knechte und Mägde des Pachthofs kamen nacheinander und steckten die Nase durch die halbgeöffnete Tür, um der Arbeit seiner Kinnbacken zuzuschauen; und die Männer wurden eifersüchtig und sagten, daß sie es ebensogut könnten.
Nach vollendeter Mahlzeit sprach Utenhove:
„Hundert Bauern werden diese Woche von hier aufbrechen, unter dem Vorgeben, daß sie in Brügge und Umgegend an den Deichen arbeiten wollen. Sie werden in Rotten von fünf oder sechs und auf unterschiedlichen Wegen reisen. In Brügge werden Barken sein, um sie übers Meer nach Emden zu bringen.“
„Sind sie mit Waffen und Geld versehen?“ fragte Ulenspiegel.
„Sie sollen jeder zehn Gülden und große Hirschfänger haben.“
„Gott und der Prinz werden Dir’s lohnen,“ sprach Ulenspiegel.
„Ich arbeite nicht um Lohn,“ erwiderte Thomas Utenhove.
„Wie macht Ihr’s,“ sagte Lamm, während er die dicken, schwarzen Blutwürste knusperte, „wie macht Ihr’s, Herr Wirt, um ein so duftend, saftig Gericht von so zartem Fett zu erhalten?“
„Das kommt,“ sprach der Wirt, „weil wir Zimmet und Baldrian darantun.“
Dann zu Ulenspiegel redend, sagte er:
„Ist Edzard, Graf von Friesland, allzeit des Prinzen Freund?“
„Er hält seine Gesinnung geheim, wiewohl er seinen Schiffen in Emden Asyl gibt.“ Und er fügte hinzu:
„Wir müssen nach Maestricht.“
„Das wirst Du nicht können,“ sagte der Wirt; „des Herzogs Heer ist vor der Stadt und rings umher.“
Dann führte er ihn auf den Boden und zeigte ihm in der Ferne die Fähnlein und Standarten der Reiter und Fußsoldaten, die auf freiem Felde ritten und marschierten.
Ulenspiegel sprach:
„Ich werde passieren, wenn Ihr, der Ihr an diesem Ort mächtig seid, mir Erlaubnis gebt, mich zu verheiraten. Was die Frau angeht, so brauche ich eine, die anmutig, sanft und schön ist und mich freien will, wenn nicht für immer, zum wenigsten für eine Woche.“
Lamm seufzte und sprach:
„Tu’s nicht, mein Sohn, sie würde Dich allein lassen, von Liebesglut verzehrt. Dein Bett, in dem Du so ruhig schläfst, wird Dir gleich einem Pfühl von Stechpalmen sein und Dir den süßen Schlummer rauben.“
„Ich werde heiraten,“ antwortete Ulenspiegel.
Und da Lamm nichts mehr auf dem Tische fand, ward er schier betrübt. Da er jedoch Kapaune in einem Napf entdeckte, knabberte er sie melancholisch.
Ulenspiegel sagte zu Thomas Utenhove:
„Wohlan, darauf trink ich, schafft mir eine Frau, reich oder arm. Ich gehe mit ihr zur Kirche und lasse die Ehe durch den Pfarrer einsegnen. Dieser gibt uns einen Trauschein, nicht gültig, da er von einem papistischen Inquisitor kommt. Wir lassen darin feststellen, daß wir alle gute Christen sind, maßen wir gebeichtet und kommuniziert haben und gemäß den Vorschriften unsrer heiligen römischen Mutter Kirche, so ihre Kinder verbrennt, apostolisch leben. Und also rufen wir die Segnungen unseres heiligen Vaters, des Papstes, der himmlischen und irdischen Heerscharen, der heiligen Männer und Frauen, der Dechanten, Pfaffen, Mönche, Söldlinge, Bluthunde und andrer Lumpen auf uns herab. Mit besagtem Zeugnis versehen, machen wir die Vorbereitungen zur Reise, die bei der Hochzeitfeier Brauch ist.“
„Aber die Frau?“ fragte Thomas Utenhove.
„Die mußt Du für mich finden,“ antwortete Ulenspiegel. „Ich nehme also zwei Wagen, schmücke sie mit Kränzen von Fichtenzweigen, Stechpalmen und Papierblumen und besetze sie mit etlichen Bauern, die Du zum Prinzen schicken willst.“
„Aber die Frau?“ fragte Thomas Utenhove.
„Die ist gewißlich hier,“ erwiderte Ulenspiegel.
Und er redete weiter:
„Ich spanne zwei Deiner Pferde vor den einen Wagen, unsere beiden Esel vor den andern. In den ersten Wagen setze ich meine Frau und mich, meinen Freund Lamm und die Trauzeugen, in den zweiten die Spielleute mit Schellentrommeln, Querpfeifen und Schalmeien. Dann tragen wir lustige Hochzeitsbanner, und mit Trommeln, Singen und Trinken fahren wir im scharfen Trab auf der Heerstraße, die uns zum Galgenfelde oder in die Freiheit führt.“
„Ich will Dir helfen,“ sprach Thomas Utenhove. „Aber die Frauen und Mädchen werden ihren Männern folgen wollen.“
„Wir werden in Gottes Schutz gehen,“ sagte ein hübsches Mägdlein und steckte den Kopf in die halboffene Tür.
„Wenn es not tut, sind vier Wagen da, und dergestalt können wir über fünfundzwanzig Mann durchbringen.“
„Der Herzog wird übertölpelt werden,“ sagte Ulenspiegel.
„Und in des Prinzen Flotte werden etliche gute Soldaten mehr dienen,“ erwiderte Thomas Utenhove.
Dann läutete er seinen Knechten und Mägden und sprach zu ihnen: „Ihr alle, die Ihr aus Zeeland seid, Männer und Weiber, höret. Gegenwärtiger Ulenspiegel, der Vläme, will, daß Ihr in hochzeitlichen Kleidern durch des Herzogs Heer hindurchziehet.“
Männer und Frauen aus Zeeland riefen mitsammen:
„Bei Todesgefahr! Wir wollen!“
Und die Männer redeten untereinander:
„Es ist uns eine Lust, das Land der Knechtschaft zu verlassen und aufs freie Meer zu gehen. Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein?“
Die Frauen und Mädchen sagten:
„Wir wollen unsern Männern und Freunden folgen. Wir sind aus Zeeland und werden dort Zuflucht finden.“
Ulenspiegel erspähte ein junges, artiges Mägdlein, trieb seinen Scherz mit ihr und sagte:
„Ich will Dich freien.“
Und sie antwortete errötend:
„Ich will Dich, aber nur in der Kirche.“
Und mit Lachen sprachen die Frauen untereinander:
„Ihr Herz zieht sie zu Hans Utenhove, des Baas Sohn. Er geht gewiß mit ihr.“
„Ja,“ antwortete Hans.
Und der Vater sprach zu ihm:
„Du kannst es tun.“
Die Männer legten ihr Festgewand an, Wams und Hosen von Sammet und den weiten Mantel darüber; auch setzten sie große Hüte zum Schutz gegen Sonne und Regen auf. Die Weiber, in schwarzen Strümpfen und geschlitzten Schuhen, trugen den großen, güldenen Stirnschmuck, links für die Mädchen und rechts für die Ehefrauen; am Halse die weiße Krause, den Brustlatz in güldner, scharlachner und azurblauer Stickerei, der Rock von schwarzer Wolle mit breiten Sammetstreifen in der nämlichen Farbe, schwarzwollene Strümpfe und Sammetschuhe mit Silberschnalle.
Dann ging Thomas Utenhove in die Kirche, den Priester zu bitten, für zwei Reichstaler, die er ihm in die Hand steckte, ohne Verzug Tylbert, des Klas Sohn, mit Tannekin Pieters zu trauen, und der Pfarrer willigte darein.
Ulenspiegel ging also, von der ganzen Hochzeitsgesellschaft gefolgt, in die Kirche und vermählte sich allda vor dem Priester mit Tannekin, die so schön und reizend, so freundlich und rundlich war, daß er gern in ihre Wangen gebissen hätte wie in einen Liebesapfel. Und er sagte es ihr, da er aus Scheu vor ihrer sanften Schönheit es nicht zu tun wagte. Sie aber sprach schmollend zu ihm:
„Laß mich; da ist Hans, der sieht Euch an, um Euch umzubringen.“
Und ein Mägdlein, ein eifersüchtiges, sagte zu ihm:
„Such anderswo; siehest Du nicht, daß sie Angst vor ihrem Manne hat.“
Lamm rieb sich die Hände und rief aus:
„Du sollst sie nicht alle haben, Taugenichts.“
Und er freute sich baß.
Ulenspiegel nahm sein Leid in Geduld hin und kehrte mit den Hochzeitsgästen zum Pachthof zurück. Und da trank er, sang und war guter Dinge und trank dem eifersüchtigen Mägdlein zu. Des war Hans froh, aber nicht Tannekin noch des Mägdleins Bräutigam.
Bei hellem Sonnenschein und frischem Winde fuhren die Wagen um Mittag, mit Grün und Blumen geschmückt davon, mit flatternden Fahnen und beim fröhlichen Klang der Schellentrommeln, Schalmeien, Quer- und Sackpfeifen.
In Albas Lager war ein ander Fest. Nachdem die Wachen und Vorposten Alarm geblasen hatten, kamen sie nacheinander zurück und meldeten:
„Der Feind ist nahe; wir haben den Lärm der Trommeln und Pfeifen gehört und die Fahnen erblickt. Es ist eine starke Abteilung Reiterei, die dorthin gerückt ist, um Euch in irgend einen Hinterhalt zu locken. Die Hauptmacht ist ohnzweifelhaft ferner.“
Alsbald ließ der Herzog Feldmeister, Obristen und Hauptleute benachrichtigen, befahl, das Heer in Schlachtordnung aufzustellen, und ließ den Feind auskundschaften.
Plötzlich erschienen vier Wagen, die auf die Scharfschützen zufuhren. In den Wagen tanzten die Männer und Weiber, die Flaschen machten die Runde, und lustig kreischten die Pfeifen, ächzten die Schalmeien, dröhnten die Trommeln und schnarrten die Dudelsäcke.
Nachdem die Hochzeitsgesellschaft Halt gemacht hatte, kam Alba selbst auf den Lärm herbei und sah die junge Frau auf einen der vier Wagen, Ulenspiegel, ihr Ehegespons, neben ihr, ganz mit Blumen geschmückt; und alle Bauern und Bäuerinnen waren abgestiegen, tanzten herum und gaben den Soldaten zu trinken.
Alba und die Seinen verwunderten sich gewaltig der Einfalt dieser Bauern, die da sangen und feierten, wo alles um sie her in Waffen war. Und die in den Wagen waren, gaben den Soldaten all ihren Wein.
Und sie wurden von ihnen gepriesen und geehrt.
Da der Wein in den Wagen ein Ende nahm, machten sich die Bauern und Bäuerinnen beim Klange der Schellentrommeln, Quer- und Sackpfeifen wieder auf den Weg, ohne belästigt zu werden. Und frohen Muts gaben die Soldaten ihnen zu Ehren eine Salve Büchsenschüsse ab. Und dergestalt zogen sie in Maestricht ein, wo Ulenspiegel sich mit reformierten Unterhändlern ins Einvernehmen setzte, um der Flotte des Schweigers Schiffe, Waffen und Munition zu senden. Und desgleichen taten sie in Landen. Und als Tagelöhner gekleidet zogen sie allerorten hin.
Dem Herzog ward die Kriegslist kund; und es ward ein Lied darauf gemacht, welches man ihm sandte, und der Kehrreim lautete:
Und allemal, wenn er ein falsches Manöver gemacht hatte, sangen die Soldaten:
Inzwischen brütete König Philipp unheilvollen Trübsinn. In seinem leidenden Hochmut bat er Gott, ihm Macht zu geben, Engelland zu besiegen, Frankreich zu erobern, Mailand, Genua und Venedig zu nehmen und dergestalt als großer Meerbeherrscher über ganz Europa zu regieren.
Dieses Triumphes gedenkend, lachte er nicht.
Es fror ihn beständig; der Wein erwärmte ihn nicht, noch das Feuer von duftendem Holze, das allezeit in dem Gemache, darin er sich aufhielt, brannte. Dieweil er unaufhörlich schrieb und inmitten so vieler Briefe saß, daß man hundert Tonnen damit hätte anfüllen können, gedachte er der allumfassenden Weltherrschaft, wie sie die römischen Kaiser ausgeübt hatten. Er gedachte des eifersüchtigen Hasses wider seinen Sohn Don Carlos, seit dieser an Herzog Albas Stelle nach den Niederlanden hatte gehen wollen, ohne Zweifel, um dort den Versuch zu machen zu regieren; so glaubte er.
Und beim Anblick dieses wilden und bösartigen Verrückten, der häßlich und mißgestalt war, faßte er noch größeren Haß gegen ihn. Doch er redete nicht darüber.
Die, so König Philipp und seinem Sohne Don Carlos dienten, wußten nicht, welchen von beiden sie am meisten fürchten sollten, den behenden, mörderischen Sohn, der seine Diener mit seinen Nägeln zerfleischte, oder den feigen, tückischen Vater, der sich andrer bediente, um zu schlagen, und gleich einer Hyäne von Leichen lebte.
Die Diener erschraken, da sie sie um einander herum schleichen sahen. Und sie sagten, daß in Bälde etwelcher Todesfall im Escurial eintreten würde.
Nun aber erfuhren sie bald, daß Don Carlos wegen Verbrechen des Hochverrats eingekerkert sei. Und sie wußten, daß sich seine Seele in finsterm Groll verzehrte und daß er sich im Gesicht verletzt hatte, als er sich durch die Eisenstäbe seines Gefängnisses zwängen wollte, um zu entfliehen, und daß Madame Isabella von Frankreich unablässig weinte.
Aber König Philipp weinte nicht.
Und es ging das Gerücht, daß man Don Carlos grüne Feigen gegeben und daß er am nächsten Tage gestorben sei, gleich als wäre er eingeschlafen. Die Aerzte sagten: Sobald er die Feigen gegessen hatte, hörte das Blut auf zu pulsen und alle Funktionen des Lebens, wie die Natur sie vorschreibt, waren unterbrochen. Er konnte nicht mehr ausspeien, noch erbrechen, noch irgend etwas aus seinem Körper hinausbringen. Sein Leib schwoll beim Sterben auf.
König Philipp hörte für Don Carlos die Seelenmesse, ließ ihn in der Kapelle seiner königlichen Residenz beisetzen und einen Stein über seinen Leichnam decken; aber er weinte nicht. Und die Diener sprachen untereinander, indem sie mit der prinzlichen Grabschrift, so auf dem Leichenstein stand, ihren Spott trieben:
Und König Philipp sah die Prinzessin von Eboli, welche verheiratet war, mit begehrlichen Blicken an. Er bat sie um Liebe, und sie gewährte sie ihm.
Madame Isabella von Frankreich, von der man sagte, daß sie des Don Carlos Absichten auf die Niederlande begünstigt habe, ward mager und leidend. Und ihre Haare fielen in großen Strähnen auf einmal aus. Sie hatte oftmals Erbrechen, und die Nägel ihrer Füße und Hände fielen ab. Und sie starb.
Und Philipp weinte nicht.
Die Haare des Prinzen von Eboli fielen gleichfalls aus und er ward traurig und klagte immer. Dann fielen auch die Nägel seiner Füße und Hände ab.
Und König Philipp ließ ihn beisetzen.
Und er bezahlte die Trauer der Witwe und weinte nicht.
Zu jener Zeit kamen etliche Frauen und Mädchen aus Damm und fragten Nele, ob sie nicht Maienbraut sein und sich mit dem Bräutigam, den man ihr schaffen würde, im Gebüsch verstecken wolle. Denn, so sprachen die Frauen nicht ohne Eifersucht, es ist kein junger Mann in ganz Damm und Umgegend, der sich Dir nicht verloben würde: Dir, die Du so schön, sittsam und blühend bleibst, / ohne Zweifel eine Hexengabe.“
„Gevatterinnen,“ antwortete Nele, „saget den jungen Männern, die meiner begehren: Neles Herz ist nicht hier, sondern bei dem, der umherstreift, das Land der Väter zu befreien. Und wenn ich blühend bin, wie Ihr saget, so ist es nicht Hexengabe, sondern Gabe der Gesundheit.“
Die Gevatterinnen antworteten:
„Katheline steht jedoch im Verdacht.“
„Glaubet nicht den Worten der Bösen,“ antwortete Nele, „Katheline ist keine Hexe. Die Herren vom Gericht haben ihr Werg auf dem Kopf verbrannt und Gott hat sie mit Wahnsinn heimgesucht.“
Und Katheline kauerte in einem Winkel, schüttelte den Kopf und sprach:
„Nehmt das Feuer fort, Hanske, mein Liebster wird wiederkommen.“
Da die Gevatterinnen fragten, wer dieser Hanske sei, antwortete Nele:
„Es ist Klasens Sohn, mein Milchbruder, den sie verloren wähnt, seit Gott sie heimgesucht hat.“
Und die guten Gevatterinnen gaben Katheline Silberstüver. Und wenn sie neu waren, zeigte sie sie Einem, den keiner sah, und sagte: „Ich bin reich, reich an glänzendem Silber. Komm, Hanske, mein Buhle, ich werde meine Liebesfreuden bezahlen.“
Und nachdem die Gevatterinnen fort waren, weinte Nele in der einsamen Hütte. Sie gedachte an Ulenspiegel, der in fernen Landen umherirrte, ohne daß sie ihm folgen konnte, und an Katheline, die oftmals ächzte: „Nehmt das Feuer fort,“ und mit beiden Händen an ihre Brust faßte und also zeigte, daß das Feuer des Wahnsinns Haupt und Leib mit Fieber verbrannte.
Inzwischen versteckten sich Maienbraut und Bräutigam in den Büschen. Der oder die, so einen von ihnen fand, war nach dem Geschlechte des Findlings und dem seinigen, König oder Königin des Festes.
Nele hörte die Freudenrufe der Burschen und Dirnen, als die Maienbraut am Rand eines Grabens, in hohem Grase versteckt, gefunden ward. Und sie weinte, der holden Zeiten gedenkend, da man sie suchte, sie und ihren Freund Ulenspiegel.
Dieweil ritten er und Lamm, hier ein Bein und da ein Bein, auf ihren Eseln.
„Wohlan, höre, Lamm,“ sprach Ulenspiegel. „Die Adligen der Niederlande haben aus Eifersucht gegen Oranien die Sache der Verbündeten, den heiligen Bund verraten, den tapferen Kompromiß, der zum Wohle des Vaterlandes unterzeichnet ward. Von Egmont und von Hoorn waren gleichermaßen Verräter und ohne Nutzen für sie. Brederode ist tot, und uns bleibt in diesem Kriege nur das arme Volk von Brabant und Flandern, das treue Führer erharrt, um vorzudringen. Und dann, mein Sohn, sind noch die Inseln da, die Inseln von Zeeland, auch Nord-Holland, dessen Statthalter der Prinz ist, und weiter noch über das Meer, Edgard, Graf von Emden und Ostfriesland.“
„Wehe,“ sprach Lamm, „ich sehe es klar, wir pilgern zwischen Strick, Rad und Scheiterhaufen, vor Hunger sterbend und vor Durst gähnend, ohn alle Hoffnung auf Ruhe.“
„Wir sind erst im Anfang,“ erwiderte Ulenspiegel. „Geruhe, in Betracht zu ziehen, daß alles dabei für uns eine Lust ist: unsere Feinde zu töten, ihnen eine Nase zu drehen, unsere Säcke voller Gülden zu haben. Dazu haben wir guten Ballast von Fleisch, Bier, Wein und Branntwein. Was brauchst Du mehr, Federsack? Sollen wir unsere Esel verkaufen und Pferde einhandeln?“
„Mein Sohn,“ sagte Lamm, „der Trab eines Pferdes ist für einen Mann meiner Leibesstärke gar beschwerlich.“
„Du setzest Dich auf dein Tier, wie die Bauern tun, und niemand wird über dich spotten, da Du wie ein Bauer gekleidet bist und nicht gleich mir einen Degen, sondern nur einen Spieß trägst.“
„Mein Sohn,“ sprach Lamm, „bist Du sicher, daß unsere beiden Pässe uns in den kleinen Städten helfen können?“
„Habe ich nicht des Pfarrers Zeugnis,“ sagte Ulenspiegel, „mit dem großen Kirchensigill aus rotem Wachs, so an zwei Pergamentschwänzen daran hänget, und unsere Beichtzettel? Die Söldlinge und Bluthunde des Herzogs vermögen nichts wider zwei so trefflich versehene Männer. Und die schwarzen Rosenkränze, die wir zu verkaufen haben? Wir sind alle beide Reiter, Du Vläme und ich ein Deutscher, und reisen auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs, die Ketzer dieses Landes durch Verkauf geweihter Sachen dem heiligen, katholischen Glauben zu gewinnen. Derart werden wir allerorten eindringen, in die Häuser der adligen Herren und in die fetten Abteien. Und sie werden uns salbungsvolle Gastfreundschaft gewähren. Und wir werden ihre Geheimnisse erlauschen. Leck Deine Lefzen, mein sanfter Freund.“
„Mein Sohn,“ sagte Lamm, „wir treiben das Handwerk von Spionen.“
„Nach Recht und Gesetz des Krieges,“ entgegnete Ulenspiegel.
„So sie die Tat an den drei Predigern erfahren, ist es um uns geschehen,“ sprach Lamm.
Ulenspiegel sang:
Doch Lamm seufzte:
„Ich habe nur eine gar weiche Haut, der geringste Dolchstoß würde sie ohne Verzug durchlöchern. Wir täten besser, uns irgend einem nützlichen Handwerk zu widmen, als derart über Berg und Tal zu vagieren, um all den großen Prinzen zu dienen, die mit den Beinen in sammetnen Hosen stecken und von vergüldeten Tafeln Fettammern speisen. Für uns sind Schläge, Gefahren, Schlacht, Regen, Hagel, Schnee und magere Landstreichersuppen. Für sie sind leckere Aale, fette Kapaune, duftende Krammetsvögel und saftige Masthühnchen.“
„Das Wasser läuft Dir im Munde zusammen, mein sanfter Freund“, sprach Ulenspiegel.
„Wo seid Ihr, frisches Brot, goldene Pfannkuchen und köstliche Rahmspeise? Ja, wo bist Du, mein Weib?“
Ulenspiegel versetzte:
„Die Asche brennt auf meinem Herzen und treibt mich in die Schlacht. Du aber, sanftes Lamm, das weder den Tod von Vater noch Mutter, noch den Kummer derer, die Du liebst, noch Deine gegenwärtige Armut zu rächen hast, laß mich allein wandern, wohin ich muß, wenn des Krieges Beschwerden Dich schrecken.“
„Allein?“ sprach Lamm und brachte plötzlich seinen Esel zum stehen. Der hub an, einen Distelstrauch zu benagen, deren es auf diesem Wege eine große Ernte gab. Ulenspiegels Esel stand still und fraß desgleichen.
„Allein?“ sprach Lamm. „Du wirst mich nicht allein lassen, mein Sohn, das wäre eine ausgesuchte Grausamkeit. Mein Weib verloren haben und auch noch meinen Freund verlieren, das kann nicht sein. Ich werde nicht mehr stöhnen, ich gelobe es Dir. Und da es sein muß,“ / und er hub stolz das Haupt / „so werde ich in den Kugelregen gehen, ja! / Und mitten in die Degen hinein, jawohl, und unter die schmählichen Söldlinge, die Blut trinken wie die Wölfe. Und wenn ich eines Tages blutend und zu Tode getroffen zu deinen Füßen falle, begrabe mich, und so Du mein Weib siehest, sag ihr, ich sei gestorben, weil ich nicht leben konnte, ohne von irgend einem in dieser Welt geliebt zu werden. Nein, das vermöcht ich nicht, mein Sohn Ulenspiegel.“
Und Lamm weinte. Und Ulenspiegel ward gerührt, da er diesen sanften Mut sah.
Um diese Zeit teilte der Herzog sein Heer in zwei Haufen und ließ den einen nach dem Herzogtum Luxemburg den anderen nach der Markgrafschaft Namur marschieren.
„Das ist irgend ein militärischer Entschluß, der mir unbekannt ist,“ sagte Ulenspiegel. „Einerlei, laß uns mit Zuversicht nach Maestricht ziehen.“
Als sie nahe der Stadt an der Maas entlang gingen, sah Lamm, wie Ulenspiegel alle Schiffe, die auf dem Fluß schwammen, achtsam betrachtete und vor ihrer einem, so am Bug ein Meerweib trug, still stehen blieb. Und dieses Meerweib hielt einen Schild, darauf in güldenen Lettern auf schwarzem Grunde das Zeichen J-H-S, welches das unseres Herrn Jesu Christi ist, stand.
Ulenspiegel bedeutete Lamm stehen zu bleiben und hub an, fröhlich wie eine Lerche zu trillern.
Ein Mann kam auf Deck und krähte wie ein Hahn. Dann auf ein Zeichen Ulenspiegels, der wie ein Esel schrie und auf das auf dem Flußdamm versammelte Volk wies, hub er auch an, wie ein Esel erschrecklich zu schreien. Ulenspiegels und Lamms beide Esel legten die Ohren an und sangen ihr Naturlied.
Weiber kamen vorbei, auch Männer auf Pferden, so die Schiffe zogen, und Ulenspiegel sagte zu Lamm:
„Dieser Bootsmann macht sich über uns und unsere Reittiere lustig. Wollen wir ihn auf seinem Boot angreifen?“
„Mag er doch lieber hierher kommen,“ antwortete Lamm.
Darauf sprach eine Frau und sagte:
„Wenn anders Ihr nicht mit zerschnittenen Armen, zerbrochenem Kreuz und zerfetztem Gesicht zurückkommen wollet, so lasset diesen Stercke Pier nach Belieben schreien.“
„I—ah, I—ah, I—ah,“ machte der Bootsmann.
„Lasset ihn singen,“ sprach die Gevatterin. „Wir sahen ihn jüngst einen mit schweren Bierfässern beladenen Wagen auf seine Schultern heben und einen andern von einem starken Pferd gezogenen Wagen aufhalten. Dorten,“ sprach sie, auf die Herberge zum Blauwen Torren deutend, „hat er mit seinem Messer, das er auf zwanzig Schritt schleuderte, eine eichene Planke von zwölf Daumen Dicke durchbohrt.“
„I—ah, I—ah, I—ah,“ schrie der Bootsmann, indes ein Junge von zwölf Jahren auf Deck kam und ebenfalls wie ein Esel zu schreien anhub.
Ulenspiegel antwortete:
„Was kümmert uns dein Sterke Pier! Ein wie starker Peter er auch sein mag, wir sind noch stärker, und hier ist mein Freund Lamm, der könnte zwei von seiner Statur verschlingen, ohne aufzustoßen.“
„Was sagst Du, mein Sohn?“ fragte Lamm.
„Was wahr ist,“ antwortete Ulenspiegel; „widersprich mir nicht aus Bescheidenheit. Ja, Ihr guten Leute, Gevatterinnen und Handwerker, bald sollt Ihr sehen, wie er diesen berühmten Sterke Pier mit den Armen bearbeitet und zu nichte macht.“
„Schweig,“ sagte Lamm.
„Deine Kraft ist bekannt,“ antwortete Ulenspiegel, „Du könntest sie nicht verbergen.“
„I—ah,“ schrie der Bootsmann, „I—ah, I—ah,“ schrie der Junge.
Plötzlich sang Ulenspiegel wiederum gar melodisch wie eine Lerche, und die Männer, Weiber und Arbeiter fragten ihn voller Entzücken, wo er dies göttliche Trillern gelernt hätte.
„Im Paradeis, von wannen ich gradenwegs komme,“ sprach Ulenspiegel.
Dann sprach er zu dem Manne, der nicht nachließ mit Schreien und spottend mit dem Finger auf ihn wies:
„Warum bleibst Du da auf Deinem Schiff, Taugenichts? Traust Du Dich nicht, an Land zu kommen, um über uns und unsere Tiere zu spotten?“
„Traust Du Dich nicht?“ fragte Lamm.
„I—ah, I—ah,“ schrie der Bootsmann. „Ihr eselhaften Esel, kommt auf mein Schiff.“
„Tu so wie ich,“ flüsterte Ulenspiegel Lamm zu.
Und zum Bootsmann sprechend:
„Wenn Du der starke Pier bist, bin ich Tyll Ulenspiegel. Und diese beiden sind unsere Esel Jef und Jan, die besser i—ahen können als Du, denn es ist ihre natürliche Rede. Und auf Deine schlecht gefügten Planken steigen, das wollen wir nicht. Dein Schiff ist gleich einem Napfe; jedesmal, wenn eine Welle es anstößt, weicht es zurück, es könnte nur auf der Seite gehen wie die Krabben.“
„Ja, wie die Krabben,“ sprach Lamm.
Darauf sagte der Bootsmann zu Lamm:
„Was murmelst Du da zwischen den Zähnen, Du Speckblock?“
Lamm geriet in Wut und sagte:
„Schlechter Christ, der Du mir mein Gebrechen vorwirfst, wisse, daß mein Speck mein ist und von meiner guten Nahrung herrührt, derweil Du, alter, verrosteter Nagel nur von alten Pökel-Heringen, Lichtdochten und Stockfischhäuten gelebt hast, nach Deinem magereren Fleisch zu urteilen, das man durch die Löcher Deiner Hosen durchscheinen sieht.“
„Sie werden sich wacker verhauen,“ sprachen erfreut und neugierig die Männer, Weiber und Arbeiter.
„I—ah, I—ah,“ schrie der Schiffer.
Lamm wollte von seinem Esel steigen und Steine aufheben, um den Schiffer damit zu werfen.
„Wirf nicht mit Steinen,“ sagte Ulenspiegel.
Der Schiffer sagte dem Jungen, der neben ihm auf dem Schiff iahte, etwas ins Ohr. Derselbige machte von der Breitseite ein Boot los und mit Hilfe eines Bootshakens, den er geschickt handhabte, näherte er sich dem Ufer. Als er ganz nahe war, sagte er in stolzer Haltung:
„Mein Baas fragt an, ob Ihr waget, auf das Schiff zu kommen und einen Kampf mit Faust und Fuß mit ihm aufzunehmen? Diese Männer und Weiber werden Zeugen sein.“
„Das wollen wir,“ sprach Ulenspiegel gar würdig.
„Wir nehmen den Kampf an,“ sagte Lamm mit großem Stolz.
Es war um Mittag und die Deicharbeiter, Pflasterer, Schiffsbauleute, die Frauen, die ihren Männern das Essen brachten, die Kinder, die gekommen waren, um ihre Väter Bohnen und gekochtes Fleisch essen zu sehen; alle lachten und klatschten in die Hände bei der Aussicht auf einen bevorstehenden Kampf. Sie erhofften voller Freuden, daß dem einen oder andern der Kämpen der Schädel zerbrochen, oder daß er zu ihrem Ergötzen in den Fluß fallen würde.
„Mein Sohn,“ sagte Lamm ganz leise, „er wird uns ins Wasser werfen.“
„Laß Dich nur hineinwerfen,“ sprach Ulenspiegel.
„Der Dicke hat Angst,“ sagte der Haufe der Arbeiter.
Lamm, der immer noch auf seinem Esel saß, drehte sich nach ihnen um und sah sie zornig an, aber sie höhnten ihn.
„Laß uns auf das Schiff gehen,“ sagte Lamm, „sie sollen sehen, ob ich Angst habe.“
Bei diesen Worten ward er abermals verhöhnt, und Ulenspiegel sagte:
„Laß uns auf das Schiff gehen.“
Nachdem sie von ihren Eseln gestiegen, warfen sie dem Jungen die Zügel zu. Selbiger streichelte die Grautiere freundschaftlich und führte sie dahin, wo er Disteln sah.
Alsdann nahm Ulenspiegel den Bootshaken, hieß Lamm in das Boot steigen, steuerte auf das Schiff zu und erkletterte es mit Hilfe eines Taus hinter dem schwitzenden, schnaufenden Lamm.
Als sie auf dem Deck des Boots waren, bückte Ulenspiegel sich, als wolle er seine Schuhe schnüren, und sprach etliche Worte zu dem Schiffer. Der lächelte und blickte Lamm an. Dann stieß er tausend Schimpfworte aus, schalt ihn einen, von sträflichem Fett aufgedunsenen Taugenicht, eine Galgenfrucht, einen Breifresser und sagte zu ihm: „Dicker Walfisch, wieviel Tonnen Oel gibst Du, wenn man Dich zur Ader lässet?“
Unversehens stürzte Lamm, ohne zu antworten, wie ein wütender Ochs auf ihn los, warf ihn zu Boden und prügelte ihn mit aller Kraft, tat ihm aber wegen der Schwachheit seiner fetten Arme nicht sehr wehe. Der Schiffer, wiewohl er sich stellte, als wehre er sich, ließ sich’s gefallen, und Ulenspiegel sagte: „Dieser Taugenichts soll uns zur Strafe frei halten.“
Die Männer, Weiber und Kinder, so vom Ufer aus dem Kampfe zuschauten, sprachen: „Wer hätte geglaubt, daß dieser Dicke so hitzig wäre!“
Und sie klatschten in die Hände, derweil Lamm wie ein Besessener zuschlug. Aber der Schiffer trug nur Sorge, sein Gesicht zu schützen. Plötzlich sah man Lamm, wie er, mit dem Knie auf der Brust des starken Pier, ihn mit der einen Hand bei der Kehle packte und die andere erhob, um zuzuschlagen.
„Schrei um Gnade,“ rief er wütend, „oder ich werde Dich durch die Planken Deines Waschkübels drücken!“
Der Schiffer hustete, um anzuzeigen, daß er nicht schreien könne, und bat mit einer Handbewegung um Gnade.
Alsbald sah man, wie Lamm seinen Feind edelmütig aufrichtete. Dieser stand sogleich wieder aufrecht und steckte, den Zuschauern den Rücken kehrend, Ulenspiegel die Zunge heraus. Der aber brach in Gelächter aus über Lamm, welcher stolz die Feder seines Baretts schüttelte und in großem Triumph auf dem Deck einher stolzierte. Und die Männer und Weiber, die Knaben und Mädchen, so am Ufer standen, klatschten aus Leibeskräften Beifall und riefen dabei:
„Es lebe der Besieger des starken Pier! Das ist ein Mann von Eisen. Habt Ihr gesehen, wie er ihn mit der Faust bearbeitete und ihn unversehens auf den Rücken warf? Jetzund werden sie trinken, um Frieden zu schließen. Der starke Pier kommt mit Wein und Würsten aus dem Schiffsraum herauf.“
Wirklich war der starke Pier mit zwei Humpen und einem großen Krug weißen Maasweins nach oben gekommen. Und er und Lamm hatten Frieden geschlossen. Und Lamm, der ob seines Sieges, des Weins und der Würste schier guter Dinge war, wies auf eine eiserne Esse, die schwarzen, dicken Rauch ausspie, und fragte ihn, welche Gerichte er im Schiffsraum machte.
„Kriegskost,“ antwortete lächelnd der starke Pier. Der Haufe der Arbeiter, Weiber und Kinder hatte sich verlaufen, um zur Arbeit oder nach Hause zu gehen. Alsbald lief das Gerücht von Mund zu Mund, daß ein dicker Mann auf einem Esel, von einem kleinen Pilger begleitet, der gleichfalls einen Esel ritt, stärker als Simson sei, und daß man sich hüten müsse, ihn zu beleidigen.
Lamm trank und blickte den Schiffer siegesbewußt an.
Dieser sagte plötzlich:
„Eure Esel langweilen sich da unten.“
Dann lenkte er das Schiff nach dem Flußdamme, stieg ans Land, faßte einen der Esel bei den Vorder- und Hinterbeinen, trug ihn wie Jesus das Lamm trug und setzte ihn auf das Verdeck nieder. Nachdem er ein Gleiches mit dem andern getan, ohne zu verschnaufen, sagte er:
„Laßt uns trinken.“
Der Junge sprang aufs Deck.
Und sie tranken. Ganz verblüfft, wußte Lamm nicht mehr, ob er, Lamm, aus Damm gebürtig, diesen starken Mann überwältigt hatte. Er wagte ihn nur noch verstohlen und ohne etwelchen Triumph anzusehen, in der Befürchtung, daß ihn eine Lust anwandeln möge, ihn zu packen, wie er es mit den Eseln getan, und ihn aus Rache für seine Niederlage lebendig in die Maas zu werfen. Doch der Schiffer lud ihn lächelnd und lustig ein, noch mehr zu trinken, und Lamm erholte sich von seinem Schrecken und blickte ihn wiederum siegesbewußt an.
Und der Schiffer und Ulenspiegel lachten.
Unterweilen hatten die Esel, voller Verwunderung, sich auf gedieltem Boden zu befinden, die Köpfe gesenkt und die Ohren angelegt und wagten aus Furcht nicht zu trinken. Der Schiffer holte ihnen eine Metze des Hafers, den er den Pferden, die seine Barke zogen, gab. Er hatte ihn selbst gekauft, um nicht von den Führern mit dem Futterpreise betrogen zu werden.
Als die Esel die Metze sahen, murmelten sie mit dem Maul ihre Paternoster, dieweil sie das Deck trübsinnig betrachteten und aus Furcht, auszugleiten, nicht wagten, einen Huf darauf zu bewegen.
Hierauf sagte der Schiffer zu Lamm und Ulenspiegel:
„Laßt uns in die Küche gehen.“
„In die Kriegsküche?“ sagte Lamm ängstlich.
„In die Kriegsküche, aber Du magst ohne Furcht hinuntergehen, mein Ueberwinder.“
„Ich habe keine Furcht und folge Dir,“ sprach Lamm.
Der Junge setzte sich ans Steuerruder.
Als sie hinunterstiegen, sahen sie überall Säcke mit Korn, Bohnen, Erbsen, Kohl, Mohrrüben und andern Gemüsen. Dann öffnete der Schiffer die Tür einer kleinen Schmiede und sprach:
„Sintemalen Ihr Männer mit tapferem Herzen seid, so den Sang der Lerche, des Vogels der Freien, den kriegerischen Trompetenton des Hahnes und das Schreien des Esels, des sanftmütigen Arbeiters kennen, so will ich Euch meine Kriegsküche zeigen. Diese kleine Schmiede werdet Ihr auf den meisten Maas-Schiffen finden. Niemand kann sie für verdächtig halten, denn sie dient dazu, das Eisenwerk der Schiffe wieder in Stand zu setzen. Doch was nicht alle besitzen, das sind die schönen Gemüse, die in diesen Speichern sind.“
Dann nahm er etliche Steine fort, die den Boden des Schiffsraums bedeckten, hob etliche Planken auf und zog ein schönes Bündel von Flintenläufen und Büchsen hervor, hob es auf, als wäre es eine Feder, und legte es wiederum an seinen Platz. Dann zeigte er ihnen Lanzenspitzen, Hellebarden, Degenklingen und Säcklein mit Kugeln und Pulver.
„Es lebe der Geuse,“ sprach er, „hier sind die Bohnen und die Brühe. Die Kolben sind die Hammelkeulen, die Salate sind die Hellebardenspitzen und diese Büchsenläufe sind die Ochsenbeine für die Suppe der Freiheit. Es lebe der Geuse! Wohin soll ich dies Futter bringen?“ fragte er Ulenspiegel.
Ulenspiegel antwortete:
„Nach Nymwegen. Dort wirst Du Dein Schiff anlegen, noch mehr beladen mit wirklichen Gemüsen, so Dir die Bauern, die Du in Etsen, Stephansweert und Ruvemarde aufnehmen wirst, bringen. Auch sie werden wie die Lerche, der Vogel der Freiheit, singen, und Du wirst ihnen mit kriegerischen Hahnenschrei antworten. Dann wirst Du zum Doktor Pontus gehen, der am neuen Waal wohnt, und ihm sagen, daß Du mit Gemüsen in die Stadt kommst, aber daß Du die Trockenheit fürchtest. Dieweil die Bauern auf den Markt gehen, um die Gemüse zu teuer anzubieten, als daß man sie kaufe, wird er Dir sagen, was Du mit Deinen Waffen tun sollst. Ich denke wohl, daß er Dich heißen wird, Waal, Maas oder Rhein hinabzufahren, wenn auch nicht ohne Fährlichkeit, und Deine Gemüse für Netze umzutauschen, die Du verkaufst, um mit dem Harlinger Fischerbooten Geschäfte zu machen. Dort sind viele Matrosen, die den Sang der Lerche kennen. Du mußt an der Küste entlang durch die Watten fahren, den Lauwer Zee erreichen, die Netze gegen Eisen und Blei eintauschen und Deinen Bauern die Trachten der Inseln Marken, Vlieland und Ameland geben. Dann mußt Du Dich ein Weniges an den Küsten aufhalten, fischen und Deinen Fisch einsalzen, um ihn aufzuheben, und nicht, um ihn zu verkaufen, denn frischer Trunk und gesalzener Krieg sind eine gerechte Sache.“
„Wohlan denn, laßt uns trinken,“ sprach der Schiffer.
Und sie stiegen auf Deck. Doch Lamm blies Trübsal.
„Herr Schiffer,“ sagte er plötzlich, „Ihr habet in Eurer Schmiede ein so prächtiges Feuerchen, daß man gewißlich das leckerste Fleischgericht darauf kochen könnte. Meine Kehle schmachtet nach Suppe.“
„Ich werde Dich erfrischen,“ sprach der Mann.
Und alsbald setzte er ihm eine fette Brühe vor, darinnen er ein dickes Stück gesalzenen Schinkens gekocht hatte.
Als Lamm etliche Löffel voll verschluckt hatte, sprach er zum Schiffer:
„Die Kehle klebt mir, und meine Zunge brennt. Das ist gewißlich keine Fischsuppe.“
„Es stehet geschrieben: Frischer Trunk und gesalzener Krieg,“ versetzte Ulenspiegel.
Der Schiffer füllte also die Humpen und sprach:
„Die Lerche, der Vogel der Freiheit, soll leben!“
Ulenspiegel sagte:
„Der Hahn, der zum Kriege bläst.“
Lamm sagte:
„Ich trinke auf mein Weib. Möge sie niemals Durst leiden, die Herzliebste.“
„Du wirst durch die Nordsee nach Emden gehen; Emden ist eine Zuflucht für uns,“ sagte Ulenspiegel zum Schiffer.
„Das Meer ist groß,“ sagte der Schiffer.
„Groß für die Schlacht,“ erwiderte Ulenspiegel.
„Gott ist mit uns,“ sagte der Schiffer.
„Wer könnte wider uns sein,“ versetzte Ulenspiegel.
„Wann gehet Ihr?“ fragte er.
„Sogleich,“ antwortete Ulenspiegel.
„Glückliche Reise und Wind im Rücken. Hier ist Pulver und Blei.“
Und er küßte sie und geleitete sie ans Ufer, nachdem er die beiden Esel wie zwei Lämmlein auf Hals und Schultern getragen hatte.
Ulenspiegel und Lamm stiegen auf und ritten gen Lüttich.
„Mein Sohn,“ sprach Lamm, dieweil sie ritten, „wie geht es zu, daß dieser so starke Mann sich so grausam von mir hat walken lassen?“
„Auf daß allerorten, wohin wir kommen, der Schrecken Dir vorauseile,“ sprach Ulenspiegel. „Das wird uns ein besser Schutzgeleit sein denn zwanzig Landsknechte. Wer wird es fortan wagen, Lamm, den Mächtigen, Siegreichen, anzugreifen? Lamm, den unvergleichlichen Stier, der, wie männiglich sah und erkannte, mit einem Stoß seines Kopfes den starken Pier zu Boden warf, welcher die Esel wie Lämmlein trägt und einen Wagen mit Bierfässern mit einer Schulter aufhebt. Jedermann kennt Dich hier schon. Du bist Lamm, der Furchtbare, der Unbesiegliche, und ich gehe im Schatten Deines Schutzes. Jedermann wird Dich auf dem Wege, den wir durcheilen, kennen, keiner wird wagen, Dich scheel anzusehen. Und in Anbetracht des großen Mutes der Menschen wirst Du überall auf Deiner Straße nichts als gezogene Hüte, Grüße und Ehrerbietung finden, so der Kraft Deiner furchtbaren Faust gelten.“
„Du sprichst gut, mein Sohn,“ sagte Lamm, sich im Sattel aufrichtend.
„Und ich spreche wahr,“ versetzte Ulenspiegel. „Siehst Du die neugierigen Gesichter an den ersten Häusern dieses Dorfes?“
Man weist mit dem Finger auf Lamm, den erschrecklichen Sieger. „Siehst Du diese Männer, die Dich neidvoll betrachten, und diese erbärmlichen Memmen, so ihre Hüte abnehmen? Erwidere ihren Gruß, Lamm, mein Herzchen, und verschmähe das schwache Volk nicht. Sieh, die Kinder wissen Deinen Namen und wiederholen ihn mit Bangen.“
Lamm ritt stolz vorbei, nach rechts und nach links wie ein König grüßend. Und die Kunde seiner Tapferkeit folgte ihm von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt bis nach Lüttich, Chocquien, Neuville, Vesin und Namur, welches sie um der drei Prediger willen umgingen.
Dergestalt folgten sie lange Zeit dem Laufe der Ströme, Flüsse und Kanäle. Und allerorten antwortete Hahnenschrei dem Sang der Lerche. Und allerorten wurden für das Werk der Freiheit Waffen geschmiedet, gegossen und geschliffen; und die Schiffe, die an den Küsten entlang fuhren, nahmen sie mit.
Und in Fässern, Kisten und Körben passierten sie die Zölle.
Allezeit fanden sich gute Leute, die sie aufnahmen und an sicherem Orte verbargen mit Pulver und Kugeln, bis zur gottgewollten Stunde.
Und da Lamm mit Ulenspiegel reiste und sein Ruf als Sieger ihm immerdar vorauslief, so begann er selber, an seine große Kraft zu glauben, und indem er hoffärtig und kriegerisch ward, ließ er sich den Bart wachsen. Und Ulenspiegel nannte ihn Lamm den Löwen.
Doch am vierten Tage verlor Lamm das Zutrauen zu diesem Plane wegen des Kitzelns der jungen Bartstoppeln. Und er ließ das Scheermesser über sein siegreiches Antlitz gehen, welches Ulenspiegel von neuem rund und voll erschien, wie eine Sonne, am Feuer guter Nahrung entzündet.
Und solchergestalt kamen sie nach Stockem.
Allda ließen sie ihre Esel und bei Einbruch der Nacht betraten sie die Stadt Antwerpen und Ulenspiegel sprach zu Lamm:
„Dies ist die große Stadt. Die ganze Welt häuft hier ihre Reichtümer an: Gold, Silber, vergüldetes Leder, Gobelins, Tuche Sammet- Woll- und Seidenstoffe, Bohnen, Erbsen, Korn, Fleisch, Mehl, gesalzene Häute, Wein aus Löwen, Namur, Luxemburg, Lüttich, Landwein von Brüssel und Aerschot, Weine von Buley, dessen Weinberg vor dem Tor de la Plante zu Namur liegt; desgleichen findet man hier Weine vom Rhein, Hispanien und Portugal, Rosinenöl von Aerschot, das sie Landolium nennen, die Weine von Burgund, Malvasier und viele andere. Und die Hafendämme sind voller Waren. Diese Schätze der Erde und der menschlichen Arbeit locken die schönsten Dirnen, die es gibt, an diesen Ort.“
„Du wirst träumerisch,“ sagte Lamm.
Ulenspiegel erwiderte:
„Unter ihnen werde ich die Sieben finden. Es ist mir geweissagt worden:
„Wer ist denn mehr als die lockeren Dirnen Ursache des Verfalls? Verlieren die armen, betörten Männer nicht bei ihnen ihre schönen, glänzenden, klingenden Karolus, ihre Kleinodien, Ketten und Ringe und gehen ohne Wams, zerlumpt und zerfetzt, wohl gar ohne Hemd von dannen, dieweil jene sich an ihrem Raub mästen? Wohin ist das klare, rote Blut, das in ihren Adern floß? Jetzt ist es wie Birnensaft. Und stechen sie sich nicht auch mit Dolch, Messer und Degen, um ihre holden reizenden Leiber zu genießen? Die bleichen, blutigen Leichname, die man fortträgt, sind die Leichen armer Liebestoller. Wenn der Vater schmält und finster auf seinem Sessel sitzt, wenn seine weißen Haare noch weißer und starrer scheinen und aus seinen trocknen Augen, darinnen der Kummer über des Sohnes Verderben brennt, die Tränen nicht fließen wollen, wenn die Mutter, stumm und bleich gleich einer Toten, weint, als ob sie nichts mehr sähe, denn die Schmerzen dieser Welt: wer läßt alsdann diese Tränen fließen? Die Dirnen, die nichts lieben als sich und das Geld und die denkende, arbeitende, philosophierende Welt an ihren güldenen Gürtel halten. Ja, da sind die Sieben, und wir werden zu den Dirnen gehen, Lamm. Deine Frau ist vielleicht auch dort; das wird ein doppelter Fang sein.“
„Wohlan,“ sprach Lamm.
Man war dermalen im Rosenmond, gegen Ende des Sommers, wenn die Sonne schon die Blätter der Kästenbäume rötet, die Vöglein in den Bäumen singen, und keine Milbe so klein ist, daß sie nicht vor Behagen im warmen Gras summte.
Lamm irrte mit gesenktem Kopf an Ulenspiegels Seite durch die Straßen von Antwerpen und schleppte seinen Körper wie ein Haus daher.
„Lamm,“ sprach Ulenspiegel, „Du bläsest Trübsal. Weißt Du denn nicht, daß nichts der Haut mehr schadet? Wenn Du in Deinem Kummer verharrst, wird sie in Streifen von Dir abfallen. Und das wird sich hübsch anhören, wenn man von Dir sagt: Der abgehäutete Lamm.“
„Mich hungert,“ sprach Lamm.
„Komm essen“, sprach Ulenspiegel.
Und sie gingen selbander zur „Alten Stiege,“ allwo sie Choesels aßen und Dobbel-kuyt tranken, so viel sie konnten.
Und Lamm weinte nicht mehr.
Und Ulenspiegel sagte: „Gesegnet sei das gute Bier, das Dir die Seele voller Sonnenschein macht! Du lachst und schüttelst Deinen Bauch. Wie gern seh ich den Tanz der lustigen Gedärme!“
„Mein Sohn,“ sprach Lamm, „sie würden noch weit mehr tanzen, wenn ich das Glück hätte, mein Weib wiederzufinden.“
„Laß sie uns suchen,“ sprach Ulenspiegel.
So kamen sie in das Viertel der Unteren Schelde.
„Schau,“ sprach Ulenspiegel zu Lamm, „dieses Häuschen, ganz aus Holz, mit schönen, wohlgefügten Fensterrahmen und Butzenscheiben. Betrachte diese gelben Vorhänge und diese rote Laterne. Da, mein Sohn, thront hinter vier Tonnen Braunbier, Uitzet, Dobbelkuyt und Wein aus Amboise eine schöne Wirtin von fünfzig oder mehr Jahren. Jedes Jahr, das sie zurücklegte, versah sie mit einer neuen Speckschicht. Auf einer der Tonnen brennt eine Kerze und vor den Deckbalken hängt eine Laterne. Es ist da hell und dunkel; dunkel für die Liebe und hell für die Bezahlung.“
„Aber,“ sprach Lamm, „das ist ja ein Kloster von Teufelsnönnlein, und diese Wirtin ist ihre Aebtissin.“
„Ja,“ sprach Ulenspiegel, „diese ist’s, die in Herrn Beelzebubs Namen fünfzehn schöne Mägdlein von lockerem Wandel auf den Pfad der Sünde führt. Sie finden bei ihr Zuflucht und Nahrung, aber sie dürfen dort nicht schlafen.“
„Kennest Du dies Kloster?“ fragte Lamm.
„Ich will dort Deine Frau suchen. Komm.“
„Nein,“ sagte Lamm, „ich habe es überlegt und gehe nicht hinein.“
„Willst Du deinen Freund ganz allein der Fährlichkeit unter diesen Astartes aussetzen?“
„Möge er nicht gehen,“ sagte Lamm.
„Aber wenn er doch hingehen muß, um die Sieben und dein Weib zu finden?“
„Ich möchte lieber schlafen,“ sprach Lamm.
„Ei komm doch,“ sagte Ulenspiegel, öffnete die Türe und schob Lamm vor sich her. „Sieh, die Wirtin sitzt hinter ihren Fässern zwischen zwei Kerzen. Das Gemach ist weit, mit einer Decke von gedunkeltem Eichenholz und rauchgeschwärzten Balken. Rund herum sind Bänke und Tische mit wackligen Beinen, mit Gläsern, Schoppen, Bechern, Humpen, Krügen, Karaffen, Flaschen und anderm Trinkgerät. In der Mitte sind abermals Tische und Stühle, darauf Schauben, das sind Weibermäntel, güldene Gürtel, Stelzschuhe von Sammet, Dudelsäcke, Pfeifen und Schalmeien herumliegen. In der Ecke ist eine Stiege, die ins obere Stockwerk führt. Ein kleiner, kahlköpfiger Buckliger spielt auf einem Clavizimbal, das auf Glasfüßen steht, so dem Instrument einen scharfen Ton geben. Tanze, mein Dicker. Fünfzehn schöne Dirnen sitzen dort, die einen auf Tischen, die andern auf Stühlen, rittlings, gebückt oder gerade, mit aufgestütztem Ellenbogen, verkehrt herum oder nach ihrer Laune auf dem Rücken oder auf der Seite liegend. Sie sind weiß oder rot gekleidet, ihre Arme sind nackt, ebenso die Schultern und die Brust bis an die Mitte des Körpers. Es sind ihrer von allen Sorten da, auserlesene! Bei den einen läßt das Kerzenlicht, das ihre blonden Haare liebkost, die blauen Augen im Schatten, also daß man nur ihren feuchten Glanz schimmern sieht. Andere schauen zur Decke hinauf und säuseln zur Laute ein deutsches Lied. Wieder andre, rund, braun, fett und schamlos, trinken Wein von Amboise aus vollen Humpen, zeigen ihre runden, bis zur Schulter nackten Arme und ihr halb offnes Gewand, aus dem die runden Brüste wie Äpfel hervorsehen, und ohne Scham sprechen sie mit vollem Munde, eine nach der andern oder alle zumal. Höre sie an:
„Nichts da von Geld heute! Liebe wollen wir. Liebe nach unsrer Wahl“, sagten die schönen Dirnen, „Liebe eines Kindes, Jünglings oder wer immer uns gefällt, ohne zu zahlen“. / „Mögen die, in die Natur die männliche Kraft legte, die wahre Männer macht, zu uns an diesen Ort kommen, um Gottes und unsrer Liebe willen.“ / „Gestern war der Tag, da man zahlte, heute ist der Tag, da man liebt!“ / „Wer will von unsern Lippen trinken, sie sind noch feucht von der Flasche. Wein und Küsse, das ist ein vollkommnes Fest!“ / „Wir spotten der Witwen, die allein schlafen. Wir sind Dirnen! Heute ist ein Tag des Wohltuns! Den Jungen, Starken und Schönen öffnen wir unsere Arme. Zu trinken!“ / „Schätzlein, ist es der Liebesschlacht halber, daß Dein Herz in der Brust die Trommel schlägt? Welche Unruhe! Das ist das Schlagwerk der Küsse! Wann werden sie kommen, mit vollen Herzen und leerem Geldbeutel? Wittern sie nicht leckere Abenteuer? Welcher Unterschied ist zwischen einem jungen Geusen und dem Herrn Markgrafen? Seine Gnaden bezahlt in Gülden und der junge Geuse mit Liebkosungen. Es lebe der Geuse! Wer will gehen und die Kirchhöfe erwecken?“
Also redeten die jungen, heißblütigen und fröhlichen unter den Mädchen von lockerem Wandel.
Aber es waren ihrer andere mit schmalem Gesicht und mageren Schultern, die um Ersparnisse mit ihrem Körper Handel trieben und den Preis ihres dürren Fleisches auf Heller und Pfennig aufschrieben. Diese schmälten untereinander: „Es ist recht einfältig von uns, in diesem ermüdenden Handwerk auf Entgelt zu verzichten um der wunderlichen Launen willen, die den mannstollen Dirnen durchs Hirn fahren. Wenn sie ein Mondviertel im Kopf haben, so haben wir es nicht. Wir ziehen es vor, in unsern alten Tagen nicht unsere Lumpen durch die Gosse zu schleifen wie sie, sondern uns bezahlen zu lassen, da wir feil sind. / Nichts von umsonst! Die Männer sind häßlich, stinkend, brummig, Fresser und Säufer. Sie allein bringen die armen Weiber ins Unglück!“
Doch die Jungen und Schönen vernahmen von diesen Reden nichts; sie waren ganz bei ihrem Vergnügen und Zechen und sagten:
„Hört Ihr das Totenglöcklein von Notre Dame läuten? Wir brennen! Wer will gehen und die Kirchhöfe erwecken?“
Da Lamm so viel Frauen, braune und blonde, frische und verblühte, zumal sah, schämte er sich, schlug die Augen nieder und rief „Ulenspiegel, wo bist du“?
„Er ist verschieden, mein Freund,“ sagte ein dickes Mädchen und faßte ihn am Arme.
„Verschieden?“ fragte Lamm.
„Ja,“ sprach sie, „vor dreihundert Jahren, in Gesellschaft von Jacobus de Coster van Maerlandt.“
„Lasset mich,“ sprach Lamm „und neckt mich nicht. Ulenspiegel, wo bist Du? Komm und rette Deinen Freund! Ich gehe unverzüglich fort, wenn Ihr mich nicht loslasset.“
„Du wirst nicht fortgehen,“ sagten sie.
„Ulenspiegel,“ sprach Lamm zum andren Mal kläglich, „wo bist Du, mein Sohn? ... Madame, zieht mich nicht so bei den Haaren; ich versichere Euch, es ist keine Perrücke. Zu Hilfe! Findet Ihr meine Ohren noch nicht rot genug, ohne daß Ihr das Blut hineintreibt? Siehe, nun gibt mir diese Andere immerdar Nasenstüber. Ihr tut mir wehe. Ach, womit reibt man mir jetzt das Gesicht? Den Spiegel! Ich bin schwarz wie das Loch eines Backofens. Ich werde alsbald bös werden, wenn Ihr nicht ein Ende macht. Es ist schlecht von Euch, einen armen Menschen so zu mißhandeln. Laßt mich! Wenn Ihr mich rechts und links und überall an den Hosen gezogen und mich wie einen Kreisel gedreht habt, seid Ihr dicker davon? Ja, ich werde sicherlich bös werden.“
„Er wird bös werden,“ sagten sie spottend; „er wird bös werden, der gute Kerl. Lache lieber und sing uns ein Minnelied.“
„Ich werde allsogleich eins singen, wenn Ihr wollt; aber lasset mich los.“
„Wen liebst Du hier?“
„Keine, weder Dich noch die Andern; ich werde beim Magistrat Klage führen und er wird Euch peitschen lassen.“
„Ho, ho,“ sagten sie, „peitschen? Und wenn wir Dich vor dieser Peitscherei mit Gewalt küßten?“
„Mich?“ fragte Lamm.
„Dich,“ sagten sie alle.
Und siehe da! Die Schönen und die Häßlichen, die Frischen und die Verblühten, die Braunen und die Blonden stürzten sich auf Lamm, warfen sein Barett in die Luft, desgleichen seinen Mantel, und liebkosten und küßten ihn mit aller Kraft auf die Wange, die Nase, den Magen, den Rücken.
Die Wirtin lachte zwischen ihren Talglichtern.
„Zu Hilfe,“ schrie Lamm, „zu Hilfe! Ulenspiegel, fege mir alles dieses Lumpengesindel fort. Laßt mich los; ich will Eure Küsse nicht. Beim Heiligen Blut! Ich bin verheiratet und bewahre alles für meine Frau.“
„Verheiratet,“ sagten sie, „aber das ist zu viel für deine Frau; ein Mann von Deiner Beleibtheit! Gib uns ein wenig ab. Eine treue Frau, das ist wohlgetan; ein treuer Mann ist ein Kapaun. Gott steh Dir bei! Du mußt Eine wählen, oder wir peitschen Dich unsrerseits.“
„Das werde ich nicht tun,“ sagte Lamm.
„Wähle,“ sprachen sie.
„Nein,“ sagte er.
„Willst Du mich?“ fragte ein schönes, blondes Mägdlein. „Siehe, ich bin sanftmütig und liebe den, der mich liebt.“
„Laß mich,“ sprach Lamm.
„Willst Du mich?“ fragte ein reizend Mädchen mit schwarzen Haaren, braunen Augen und brauner Haut, und übrigens wie von Engeln gedrechselt.
„Ich mag keinen Honigkuchen,“ sprach Lamm.
„Und mich? Willst Du mich nicht nehmen?“ fragte ein großes Mädchen, deren Stirn fast ganz mit Haar bedeckt war. Sie hatte dichte, zusammengewachsene Brauen und große schwimmende Augen, Lippen so dick wie Wülste und feuerrot; und rot auch Gesicht, Hals und Schultern.
„Ich mag keine glühenden Ziegelsteine,“ sprach Lamm.
„Nimm mich,“ sagte ein Dirnlein von sechzehn Jahren, mit der Schnauze eines Eichkätzchens.
„Ich mag keine Nußknacker,“ sprach Lamm.
„Wir müssen ihn peitschen,“ sagten sie. „Womit? Mit schönen Peitschen, so eine Schnur von gedörrten Leder haben. Ein stolzes Stäupen. Da widersteht die härteste Haut nicht. Nehmt zehn Peitschen von Fuhrleuten und Eseltreibern.“
„Zu Hilfe, Ulenspiegel!“ schrie Lamm.
Aber Ulenspiegel antwortete nicht.
„Du hast ein schlechtes Herz,“ sprach Lamm, seinen Freund überall suchend. Die Peitschen wurden gebracht. Zwei der Dirnen schickten sich an, Lamm das Wams auszuziehen.
„Wehe,“ sprach er, „mein armes Fett, das ich mit soviel Mühe angesetzt habe, das werden sie mir gewißlich mit ihren scharfen Peitschen herunterreißen. Aber Ihr Weibsbilder ohne Erbarmen, mein Fett wird Euch nichts nützen, nicht einmal, um es in die Brühe zu tun.“
„Wir werden Talglichte daraus machen. Ist es nichts wert, ohne Kosten Beleuchtung zu haben? Wer fortan sagen wird, daß das Licht von der Peitsche kommt, wird jedermann närrisch scheinen. Wir werden bis an den Tod daran festhalten und mehr als eine Wette gewinnen. Tunkt die Ruten in den Essig. So, dein Wams ist ausgezogen. Auf Saint-Jacques schlägt es Voll. Neun Uhr. Wenn Du beim letzten Schlag nicht gewählt hast, peitschen wir Dich.“
Lamm sagte, schier gelähmt:
„Habt Mitleid und Erbarmen mit mir, ich habe meiner armen Frau Treue geschworen und werde sie halten, ob sie mich gleich böslich verlassen hat. Ulenspiegel, mein Liebling, zu Hilfe!“
Doch Ulenspiegel ließ sich nicht blicken.
„Sehet mich,“ sprach Lamm zu den Dirnen, „sehet mich zu Euren Füßen. Kann man demütiger sein? Sage ich nicht genug damit, daß ich Eure große Schönheit gleich den Heiligen verehre? Glücklich der Ehelose, der Eure Reize genießen kann. Das ist ohne Zweifel das Paradies; aber schlagt mich nicht, wenn es Euch beliebt.“
Plötzlich sprach die Wirtin, die zwischen ihren beiden Talglichtern stand, mit lauter, dräuender Stimme:
„Gevatterinnen und Mädchen, ich schwöre Euch bei meinem Erzteufel, so Ihr nicht im Augenblick mit Lachen und Güte diesen Mann zur Einsicht, das heißt, in Euer Bett gebracht habt, so werde ich die Nachtwächter rufen und Euch alle an seiner statt peitschen lassen. Ihr verdient nicht den Namen loser Dirnen, wenn Ihr umsonst die leichtfertige Zunge, die kecke Hand und lodernden Augen habt, um das männliche Geschlecht zu reizen, wie die Weibchen der Glühwürmer tun, die nur zu diesem Ende ein Licht haben. Und Ihr werdet ohne Gnade für Eure Dummheit gepeitscht werden.“
Bei dieser Rede zitterten die Dirnen, und Lamm ward frohgemut. „Heda, Gevatterinnen,“ sagte er, „welche Kunde bringt Ihr aus dem Lande der peitschenden Riemen? Ich werde selber die Wächter holen. Sie werden ihre Pflicht tun, und ich werde ihnen dabei helfen, das wird mir große Kurzweil sein.“
Doch siehe, da warf sich ein liebliches Kind von fünfzehn Jahren zu seinen Füßen.
„Herr,“ sagte sie, „Ihr sehet mich hier vor Euch in Demut ergeben. So Ihr nicht geruhet, eine unter uns zu wählen, muß ich Euretwillen geschlagen werden. Und die Wirtin dort wird mich in einen abscheulichen Keller unter der Schelde stecken, wo das Wasser von den Wänden sickert, und wo ich nur schwarzes Brot zu essen bekomme.“
„Wird sie wirklich meinetwegen geschlagen werden, Frau Wirtin?“ fragte Lamm.
„Bis aufs Blut,“ antwortete diese.
Da betrachtete Lamm das Mägdlein und sprach: „Ich sehe dich so frisch und duftig; deine Schulter taucht wie ein großes, weißes Rosenblatt aus Deinem Kleide auf. Ich will nicht, daß diese schöne Haut, unter der das Blut so jugendlich fließt, unter der Peitsche leidet, noch daß diese Augen, vom Feuer der Jugend hell, wegen schmerzhafter Schläge weinen, oder daß die Kälte des Kerkers diesen Körper einer Huldin erschauern lasse. So will ich Dich denn lieber wählen als Dich geschlagen wissen.“
Das Mädchen führte ihn fort. Also sündigte er aus Seelengüte, wie er es sein ganzes Leben tat.
Unterweilen stunden Ulenspiegel und ein großes, schönes, braunes Mädchen mit krausem Haar einander gegenüber. Das Mädchen sah Ulenspiegel lockend an, ohne ein Wort zu sagen, und schien ihn nicht zu wollen.
„Liebe mich,“ sprach er.
„Dich lieben,“ sagte sie, „törichter Freund, der dessen nur nach der Laune der Stunde begehrt?“
Ulenspiegel antwortete: „Der Vogel, der über Deinem Haupt dahinfliegt, singt sein Lied und entfleucht. Also auch ich, süßes Herz: wollen wir zusammen singen?“
„Ja,“ sprach sie, „ein Lied vom Lachen und von Tränen.“
Und das Mädchen warf sich an Ulenspiegels Hals.
Da nun alle Beide im Arm ihrer Liebsten vor Wonne vergingen, siehe da drang beim Klange von Trommel und Pfeife eine lustige Kompanie von Meisenfängern ins Haus, die sich drängten, stießen, sangen, pfiffen, heulten und schimpften. Sie trugen Säcke und Käfige, ganz voll dieser kleinen Vögel, und die Eulen, die ihnen dabei geholfen hatten, rissen im Licht ihre gelben Augen auf.
Die Meisenfänger waren zehn Mann hoch, alle rot und vom Wein und Würzbier geschwollen. Die Köpfe wackelten ihnen und sie schleppten ihre schlotternden Beine und schrien mit so rauher, gebrochener Stimme, daß es die furchtsamen Mädchen bedünkte, eher wilde Bestien in einem Walde denn Menschen in einem Gemache zu hören.
Indessen sie ließen nicht ab zu sagen, indem sie einzeln oder allzumal sprachen: „Ich will, den ich liebe.“ / „Wir gehören dem, der uns gefällt. Morgen Denen, die an Gülden reich sind! Heute Denen, die an Liebe reich sind.“ Die Meisenfänger antworteten: „Gülden haben wir, Liebe desgleichen, für uns die Dirnen! Wer zurückweicht, ist ein Kapaun. Dies sind Meisen, wir sind Jäger. Drauf! Brabant dem guten Herzog!“
Doch die Frauenzimmer höhnten: „Pfui über die häßlichen Mäuler, die uns zu fressen gedenken! Den Schweinen gibt man keinen Sorbett. Wir nehmen, wer uns gefällt, und wollen mit Euch nichts zu tun haben. Ihr Öltonnen, Specksäcke, dürre Nägel, verrostete Klingen, Ihr stinkt nach Schweiß und Schmutz. Scheert Euch hinaus. Ihr werdet auch ohne unsere Hülfe verdammt werden.“
Sie aber sprachen: „Die Wälschen sind heuer wählerisch. Edle Fräuleins Zimperlich, Ihr könnet uns wohl geben, was Ihr aller Welt verkauft.“
Doch die Mädchen antworteten: „Morgen werden wir hündische Sklavinnen sein und Euch nehmen; heute sind wir freie Frauen und weisen Euch fort!“
Da schrien Jene: „Genug der Worte! Wer hat Durst? Laßt uns die Äpfel pflücken.“
So sprechend, stürzten sie sich auf sie, ohn Unterschied von Alter noch Schönheit. Die schönen Mädchen, zu ihrem Vorhaben entschlossen, warfen ihnen Stühle, Schoppen, Krüge, Becher, Humpen, Karaffen und Flaschen an den Kopf, daß es hagelte und sie verwundet, zerquetscht und ihnen die Augen ausgeschlagen wurden.
Ulenspiegel und Lamm kamen bei dem Lärm herzu und ließen ihre zitternden Liebhaberinnen oben an der Stiege. Da Ulenspiegel die Männer auf die Weiber losschlagen sah, ergriff er im Hof einen Besen, riß das Besenreis herunter, gab Lamm einen andern, und damit prügelten sie die Meisenfänger ohn Erbarmen.
Das Spiel dünkte den also durchgewalkten Trunkenbolden hart; sie hielten einen Augenblick inne, und die mageren Dirnen, die sich verkaufen und nicht verschenken wollten, selbst an diesem großen Tage der freiwilligen Liebe, wie die Natur sie gebeut, nutzten dies ohne Verzug. Wie Nattern glitten sie zwischen die Verwundeten, liebkosten sie, verbanden ihre Wunden, tranken den Wein von Amboise an ihrer Statt und leerten ihnen so trefflich die Säckel von Gülden und anderer Münze, daß ihnen auch nicht ein elender Heller blieb. Dann, da es Feierabend läutete, setzten sie sie vor die Tür, die Ulenspiegel und Lamm schon verlassen hatten.
Ulenspiegel und Lamm marschierten auf Gent und kamen bei Morgengrauen nach Lokeren. Die Erde war weithin betaut, weiße, kühle Dünste schwebten über den Wiesen. Da Ulenspiegel vor einer Schmiede vorbeikam, trillerte er wie die Lerche, der Vogel der Freiheit. Und alsbald erschien ein Kopf mit zerzaustem, weißem Haar in der Tür der Schmiede und ahmte mit schwacher Stimme den kriegerischen Trompetenstoß des Hahnes nach.
Ulenspiegel sagte zu Lamm:
„Dieser ist der Schmied Wasteele, der bei Tage Spaten, Hacken und Pflugscharen macht und das Eisen schmiedet, wenn es heiß ist, um daraus schöne Gitter für die Chöre von Kirchen zu bilden. Doch des Nachts macht und schleift er oftmals Waffen für die Soldaten des freien Gewissens. Dies Spiel hat ihm kein gutes Aussehen verschafft, sintemalen er bleich ist wie ein Gespenst, traurig wie ein Verdammter und so mager, das ihm die Knochen die Haut durchlöchern. Er hat sich noch nicht schlafen gelegt, da er ohne Zweifel die ganze Nacht geschafft hat.“
„Tretet alle beide ein,“ sagte der Schmied Wasteele, „und führet Eure Esel auf den Anger hinter dem Hause.“
Da dies besorgt war und Ulenspiegel und Lamm sich in der Schmiede befanden, trug der Schmied Wasteele alles, was er während der Nacht an Degen geschärft und an Lanzenspitzen geschmiedet hatte, in den Keller seines Hauses und bereitete die tägliche Arbeit für seine Gesellen vor.
Er blickte Ulenspiegel mit glanzlosen Augen an und fragte ihn:
„Welche Kunde bringst Du mir vom Schweiger?“
Ulenspiegel antwortete:
„Der Prinz ist mit seinem Kriegsvolk aus den Niederlanden vertrieben, wegen der Feigheit seiner Söldlinge, die „Geld, Geld!“ schreien, wenn sie kämpfen sollen. Er ist mit den getreuen Soldaten, seinem Bruder, dem Grafen Ludwig, und dem Herzog von Zweibrücken nach Frankreich gezogen, zum Beistand des Königs von Navarra und der Hugenotten. Von da ging er nach Deutschland, nach Dillenburg, allwo manche Flüchtlinge aus den Niederlanden bei ihm sind. Du sollst Waffen und das von Dir gesammelte Geld hinsenden, derweil wir auf dem Meere das Werk freier Männer vollbringen.“
„Ich werde tun, was sein muß,“ sagte der Schmied Wasteele; „ich habe Waffen und neuntausend Gülden. Aber seid Ihr nicht auf Eseln gekommen?“
„Jawohl,“ sprachen sie.
„Und ist Euch nicht unterwegs Kunde von drei Predigern geworden, so getötet, geplündert und in ein Loch in den Felsen der Maas geworfen sind?“
„Ja,“ sagte Ulenspiegel mit großem Gleichmut, „diese drei Prediger waren Spione des Herzogs und Meuchelmörder, gedungen, den Freiheitsprinzen aus dem Wege zu räumen. Wir zwei, Lamm und ich, brachten sie vom Leben zum Tode. Ihr Geld ist unser, und ihre Papiere desgleichen. Wir werden davon nehmen, was uns für die Reise not tut; den Rest werden wir dem Prinzen geben.“
Und Ulenspiegel öffnete sein und Lamms Wams und zog die Papiere und Pergamente heraus. Nachdem der Schmied Wasteele sie gelesen hatte, sagte er:
„Sie enthalten Pläne für Schlacht und Verschwörung. Ich werde sie dem Prinzen zustellen lassen, und es soll ihm kund werden, daß Ulenspiegel und Lamm Goedzak, seine getreuen Vaganten, sein edles Leben retteten. Ich werde Eure Esel verkaufen lassen, auf daß man Euch nicht an Euren Reittieren erkenne.“
Ulenspiegel fragte den Schmied Wasteele, ob das Schöffengericht zu Namur schon die Häscher auf ihre Fersen gesetzt habe.
„Ich werde Euch sagen, was ich weiß,“ antwortete Wasteele. „Ein Schmied aus Namur, ein wackerer Reformierter, kam jüngst hier durch, unter dem Vorgeben, meine Hülfe für Gitter, Wetterfahnen und andres Eisenwerk an einem Kastell, das man nahe dem Tor de la Plante erbauen will, zu erbitten. Der Gerichtsdiener des Schöffengerichts hat ihm gesagt, daß seine Herren schon eine Sitzung gehabt hätten und daß ein Schenkwirt vorgeladen sei, maßen er etliche hundert Klafter von der Mordstätte entfernt wohnte. Befragt, ob er nicht die Mörder gesehen habe, oder Die, auf die er Verdacht haben könnte, hat er geantwortet: „Ich habe Bauern und Bäuerinnen gesehen, die zu Esel reisten und von mir zu trinken verlangten und auf ihren Tieren sitzen blieben oder abstiegen, um bei mir zu trinken, die Männer Bier, die Frauen und Mädchen Meth. Ich sah zwei wackere Bauern, so davon redeten, den Herrn von Oranien um einen Fuß kürzer zu machen.“ So sprechend, machte der Wirt pfeifend nach, wie ein Messer durch einen Hals schnitt. „Beim Eisenwind,“ sprach er, „ich werde Euch insgeheim beistehen, da ich die Macht habe, es zu tun.“ Er sprach und ward freigelassen. Seit jener Zeit haben die Gerichtsräte ohne Zweifel Sendschreiben an ihre Untergebenen gerichtet. Der Wirt sagt, er habe nur Bauern und Bäuerinnen auf Eseln gesehen, daraus folgt, daß man auf alle, die man auf Eseln reiten sieht, Jagd machen wird. Und der Prinz braucht Euch, Kinder.“
„Verkaufe die Esel,“ sprach Ulenspiegel, „und behalte das Kaufgeld für den Schatz des Prinzen.“
Die Esel wurden verkauft.
„Nunmehr,“ sprach Wasteele, „müsset Ihr Jeder ein Handwerk haben, das von den Zünften frei und unabhängig ist. Verstehst Du, Vogelbauer und Mausefallen zu machen?“
„Ich machte sie ehedem,“ sprach Ulenspiegel.
„Und Du?“ fragte Wasteele Lamm.
„Ich werde Eete-koeken und Olie-koeken verkaufen“; das sind Krapfen und Ölkuchen.
„Folget mir. Hier sind fertige Käfige und Mausefallen, auch Werkzeuge und Kupferdraht, um sie auszubessern und neue zu fertigen. Sie wurden mir von einem meiner Spione gebracht. Dies ist für Dich, Ulenspiegel. Was Dich anbetrifft, Lamm, so ist hier ein kleiner Backofen und ein Blasebalg; ich werde Dir Mehl, Butter und Öl geben, um die Krapfen und Ölkuchen zu backen.“
„Er wird sie aufessen,“ sprach Ulenspiegel.
„Wann werden wir die ersten machen?“ fragte Lamm.
Wasteele antwortete:
„Ihr werdet mir erst eine oder zwei Nächte helfen; ich kann meine große Arbeit nicht allein zwingen.“
„Ich habe Hunger,“ sprach Lamm; „isset man hier?“
„Brot und Käse ist da,“ sprach Wasteele.
„Ohne Butter?“ fragte Lamm.
„Ohne Butter,“ sagte Wasteele.
„Hast Du Bier oder Wein?“ fragte Ulenspiegel.
„Das trinke ich nimmer,“ antwortete er, „aber ich werde nach dem „Pelikan“ nahebei gehen und Euch etwas holen, so Ihr es wünschet.“
„Ja,“ sprach Lamm, „und bringe uns Schinken mit.“
„Ich werde tun, was Ihr begehrt,“ sagte Wasteele und blickte Lamm gar verächtlich an.
Er brachte jedoch dobbel-clauwaert und einen Schinken mit. Und Lamm aß wohlgemut für fünf.
Und er sagte:
„Wann werden wir uns an die Arbeit machen?“
„Diese Nacht,“ sagte Wasteele; „aber bleibe in der Schmiede und habe keine Furcht vor meinen Gesellen; sie sind Reformierte wie Du.“
„Das ist gut,“ sagte Lamm.
Zur Nacht, als es Feierabend geläutet hatte und alle Türen geschlossen waren, stieg Wasteele mit Ulenspiegel und Lamm in den Keller hinab und ließ sich von ihnen helfen, eine große Menge Waffen in die Schmiede hinaufzutragen. Dann sagte er:
„Hier sind zwanzig Büchsen auszubessern, dreißig Lanzenspitzen zu schleifen und Blei für fünfzehnhundert Kugeln zu schmelzen. Ihr müsset mir dabei helfen.“
„Mit allen Händen,“ sprach Ulenspiegel. „Warum habe ich nicht vier, um Dir zu nützen?“
„Lamm wird uns zu Hülfe kommen,“ sprach Wasteele.
„Ja,“ sagte Lamm kläglich und vor Müdigkeit umfallend, aus Ursach des unmäßigen Trinkens und Essens.
„Du wirst das Blei schmelzen,“ sprach Ulenspiegel.
„Ich werde das Blei schmelzen,“ sprach Lamm.
Dieweil Lamm sein Blei schmolz und seine Kugeln goß, warf er grimme Blicke auf den Schmied Wasteele, der ihn zu wachen zwang, wenn er vor Schläfrigkeit umfiel. Mit stillem Zorn goß er die Kugeln und hatte großes Verlangen, dem Schmied Wasteele das geschmolzene Blei auf den Kopf zu schütten. Doch er hielt an sich. Um Mitternacht, als Wut und übergroße Müdigkeit ihn gleichermaßen überfielen, hielt er ihm mit zischender Stimme diese Rede, dieweil der Schmied Wasteele und Ulenspiegel geduldig Flintenläufe, Büchsen und Lanzenspitzen schliffen.
„Siehe,“ sprach Lamm, „Du magerer, bleicher und kümmerlicher Mensch glaubst an die Aufrichtigkeit von Fürsten und andern Großen der Erde, und voll Übereifer verachtest Du Deinen Leib, Deinen edlen Leib, den Du in Elend und Niedrigkeit umkommen lässest. Nicht darum hat Gott ihn mit Mutter Natur geschaffen. Weißt Du, daß unsere Seele, so des Lebens Odem ist, zum Atmen der Bohnen, des Rindfleisches, Bieres und Weines, des Schinkens, der Würste und der Ruhe bedarf? Du aber lebst von Brot, Wasser und Nachtwachen.“
„Von wannen kommt Dir dieser Redefluß?“ fragte Ulenspiegel.
„Er weiß nicht, was er redet,“ antwortete Wasteele traurig. Aber Lamm erboste sich:
„Ich weiß es besser als Du. Ich sage, daß wir Narren sind, ich, Du und Ulenspiegel desgleichen, uns die Augen aus dem Kopf zu arbeiten für all die Prinzen und Großen der Erde; sie würden trefflich lachen, wenn sie sähen, wie wir vor Müdigkeit umkommen und nicht schlafen, um Waffen zu schmieden und Kugeln für ihren Dienst zu gießen. Derweilen trinken sie französischen Wein aus güldenen Humpen und essen deutsche Kapaunen von Schüsseln aus engelländischem Zinn. Indessen wir in der Luft nach Gott suchen, durch dessen Gnade sie mächtig sind, fragen sie nicht danach, ob ihre Feinde uns mit ihren Sensen die Beine abschlagen und uns in die Grube des Todes werfen. Inzwischen aber werden sie, die weder Reformierte noch Calvinisten, weder lutherisch noch katholisch sondern ganz und gar Skeptiker und Zweifler sind, Fürstentümer kaufen und erobern; sie werden das Gut der Mönche, Äbte und Klöster verzehren; ihnen wird alles gehören: Jungfrauen, Frauen und Dirnen. Aus ihren güldenen Humpen werden sie auf ihre dauernde Spottlust trinken, auf unsere immerwährenden Albernheiten, Torheiten und Eseleien und auf die sieben Todsünden, so sie, oh Schmied Wasteele, vor Deiner von Begeisterung mageren Nase begehen. Schau die Felder, die Wiesen, die Ernten, die Obstgärten, die Ochsen, das Gold, das aus der Erde kommt; schau die Tiere des Waldes, die Vögel des Himmels, die köstlichen Fettammern, die feinen Krammetsvögel, den Wildschweinskopf, die Rehkeule: ihnen gehört alles, Waidwerk und Fischfang, Erde, Meer, alles. Und Du lebst von Brot und Wasser, und wir richten uns hier zu Grunde, ohne zu schlafen, ohne zu essen und zu trinken. Und wenn wir gestorben sind, werden sie unserm Aas einen Fußtritt geben und zu unsern Müttern sprechen: „Macht andere, diese sind nichts mehr nutz.“
Ulenspiegel lachte stumm, Lamm prustete vor Entrüstung, aber Wasteele sagte mit sanfter Stimme:
„Du redest leichtfertig. Ich lebe mit nichten für Schinken, Bier, noch Fettammern, sondern für den Sieg des freien Gewissens. Der Freiheitsprinz tut gleich wie ich. Er opfert sein Hab und Gut, seine Ruhe und sein Glück, um die Henker und die Tyrannei aus den Niederlanden zu vertreiben. Tu wie er und versuche mager zu werden. Nicht durch den Bauch rettet man die Völker, sondern durch stolzen Mut und Beschwerden bis an den Tod, ohne Murren ertragen. Und jetzo geh und leg Dich schlafen, wenn Dich schläfert.“
Doch Lamm wollte nicht, maßen er sich schämte.
Und sie schliffen Waffen und gossen Kugeln bis an den Morgen. Und also während dreier Tage.
Dann brachen sie in der Nacht nach Gent auf und verkauften Käfige, Mausefallen und Oelkuchen.
Und sie rasteten in Meulestee, dem Städtlein der Mühlen, dessen rote Dächer man allerorten erblickt, und kamen dort überein, ihr Handwerk getrennt auszuüben und sich am Abend vor der Feierstunde in der Herberge „Zum Schwanen“ zu treffen.
Lamm streifte durch die Gassen von Gent, indem er seine Oelkuchen verkaufte und Geschmack an diesem Handwerk fand. Er suchte sein Weib, leerte gar viele Schoppen und aß ohn Unterlaß.
Ulenspiegel hatte des Prinzen Briefe Jakob Scoelap, einem Doktor der Medicin, und Lieven Smet, einem Tuchschneider, Jan de Wulfschager und Gillis Coorne, einem Rotfärber übergeben, desgleichen Jan de Roose, einem Ziegelbrenner. Diese gaben ihm das Geld, so sie für den Prinzen gesammelt hatten, und hießen ihn noch etliche Tage in Gent und in der Umgegend verweilen; denn man würde ihm noch mehr geben.
Nachdem jene später am Neuen Galgen wegen Ketzerei gehenket waren, wurden ihre Leichname auf dem Galgenfelde, nahe dem Tor von Brügge begraben.
Indessen eilte der Profoß Spelle, der Rothaarige, mit seinem roten Stock bewaffnet, auf seinem dürren Klepper von Stadt zu Stadt. Allerorten errichtete er Schafotte, entzündete Scheiterhaufen und schaufelte Gruben, um die armen Frauen und Mädchen darin lebendig zu begraben. Und der König erbte.
Ulenspiegel saß mit Lamm in Meulestee unter einem Baum und war voller Mißmut. Ohngeachtet man sich im Juni befand, war es kalt. Vom Himmel, der mit grauen Wetterwolken bedeckt war, fiel ein feiner Hagel.
„Mein Sohn,“ sprach Lamm, „ohne Scham treibst Du Dich seit vier Nächten umher und läufst den Dirnen nach. Du gehst in de Zoeten Inval, in den „süßen Fall“ schlafen, und Du wirst es machen wie der Mann auf dem Schild, der mit dem Kopf zuerst in einen Bienenstock fiel. Vergebens harr’ ich Deiner „Im Schwanen“, und Dein unzüchtig Leben verheißt mir nichts Gutes. Was nimmst Du nicht tugendlicher Weise ein Weib?“
„Lamm“ sagte Ulenspiegel, „der, dem Eine für Alle gilt und dem Alle Eine sind, darf seine Wahl nicht leichtfertig überstürzen.“
„Und Nele, denkst Du ihrer nicht?“
„Nele ist in Damm, gar weit fort,“ sagte Ulenspiegel.
Dieweil er so saß und der Hagel dicht fiel, lief ein artiges Weiblein vorüber, das sich den Kopf mit seinem Rock bedeckte.
„Heda,“ sprach es, „Hans der Träumer, was machst Du unter diesem Baum?“
„Ich träume von einer Frau, die mir aus ihrem Rock ein Dach wider den Hagel macht,“ antwortete Ulenspiegel.
„Du hast sie gefunden,“ sprach die Frau, „steh auf!“
Ulenspiegel erhob sich und ging auf sie zu.
„Willst Du mich abermals allein lassen?“ fragte Lamm.
„Ja,“ sagte Ulenspiegel; „aber geh in „den Schwanen,“ iß eine Hammelkeule oder zwei und trink zwölf Humpen Bier, dann wirst Du schlafen und keine Langeweile haben.“
„So werde ich tun,“ sprach Lamm.
Ulenspiegel trat zu dem Frauenzimmer.
„Heb meinen Rock an einer Seite auf,“ sprach sie. „Ich tu es auf der andern, und jetzt laß uns laufen.“
„Warum laufen?“ fragte Ulenspiegel.
„Weil ich von Meulestee fliehen will,“ sagte sie. „Der Profoß Spelle ist mit zwei Häschern dort und hat geschworen, alle Dirnen, die ihm nicht fünf Gülden zahlen wollten, peitschen zu lassen. Darum laufe ich; laufe auch Du und bleibe bei mir, um mich zu verteidigen.“
„Lamm,“ rief Ulenspiegel, „Spelle ist in Meulestee. Geh nach Destelbergh in den „Stern der Weisen.“
Und Lamm stand voller Schrecken auf, faßte seinen Bauch mit Händen und begann zu rennen.
„Wohin geht dieser dicke Hase?“ sagte das Mädchen.
„In einen Bau, wo ich ihn wiedertreffen werde,“ antwortete Ulenspiegel.
„Laß uns laufen,“ sprach sie und stampfte mit dem Fuße die Erde gleich einer ungeduldigen Stute.
„Ich möchte tugendlich sein, ohne zu laufen,“ sagte Ulenspiegel.
„Was bedeutet das?“ fragte sie.
Ulenspiegel antwortete: „Der dicke Hase will, daß ich dem guten Wein, dem Würzbier und der frischen Haut der Frauen entsage.“
Das Mädchen sah ihn mit bösem Blick an.
„Du bist kurzatmig, mußt Dich ausruhen,“ sagte sie.
„Mich ausruhen,“ antwortete Ulenspiegel. „Ich sehe kein Obdach.“
„Deine Tugend,“ sagte das Mädchen, „wird Dir als Decke dienen.“
„Dein Rock ist mir lieber,“ sagte er.
„Mein Rock,“ sagte das Mädchen, „wäre unwürdig, einen Heiligen, wie Du es sein willst, zu bedecken. Hebe Dich fort, daß ich allein laufe.“
„Weißt Du nicht,“ antwortete Ulenspiegel, „daß ein Hund auf vier Beinen rascher läuft als ein Mensch auf zweien? Darum laufen wir besser, da wir vier haben.“
„Du führst kecke Reden für einen tugendlichen Mann.“
„Jawohl,“ sagte er.
„Aber,“ sagte sie, „ich habe immer gesehen, daß die Tugend eine ruhige, schläfrige, dicke und frostige Eigenschaft ist. ’s ist eine Larve, die mürrischen Gesichter zu verbergen, ein Sammetmantel für einen Mann von Stein. Ich liebe die, so in der Brust eine Kohlenglut haben, die am Feuer der Mannheit entzündet, zu kühnen und lustigen Abenteuern reizt.“
„Also sprach die schöne Teufelin zum glorreichen Sankt Antonius,“ erwiderte Ulenspiegel.
Eine Herberge war zwanzig Schritt entfernt auf der Landstraße.
„Du hast gut geredet,“ sagte Ulenspiegel, „jetzt heißt es gut trinken.“
„Meine Zunge ist noch frisch,“ sagte das Mädchen.
Sie kehrten ein. Auf einer Anrichte schlummerte ein großer Krug, ob seines dicken Wanstes Bauch genannt.
Ulenspiegel sprach zum Wirt:
„Siehst Du diesen Gülden?“
„Ich sehe ihn,“ sagte der Baas.
„Wieviel Stüver würdest Du herausziehen, um den Bauch da mit dobbele clauwaert zu füllen?“
„Mit negen mannekens (neun Groschenmännlein) wärest Du quitt.“
„Das sind sechs flandrische Scherflein und zwei zuviel. Aber fülle ihn immerhin.“
Ulenspiegel goß dem Mädchen einen Becher voll ein, dann erhob er sich stolz, und den Schnabel des Bauches an seinen Mund legend, leerte er ihn ganz in seine Kehle. Und es war ein Geräusch wie von einem Wasserfall.
Das Mädchen sagte verdutzt:
„Wie hast Du es gemacht, einen so großen Bauch in Deinen mageren Leib zu bringen?“
Ulenspiegel sprach, ohne zu antworten, zum Wirt:
„Bring einen kleinen Schinken und Brot herbei und noch einen vollen Bauch, auf daß wir essen und trinken.“
Solches taten sie.
Dieweil das Mädchen ein Stück Speckschwarte knabberte, umfaßte er sie so zart, daß sie davon zugleich gerührt, entzückt und fügsam ward.
Alsdann fragte sie ihn und sprach:
„Von wannen sind Eurer Tugend dieser Durst eines Schwammes, dieser Wolfshunger und diese verliebten Keckheiten gekommen?“
Ulenspiegel antwortete:
„Sintemalen ich auf hundert Arten gesündigt hatte, schwur ich, wie Du weißt, Buße zu tun. Das währte wohl eine gute Stunde. Indem ich während dieser Stunde über mein künftiges Leben nachsann, sättigte ich mich kärglich mit Brot; Wasser war mein schaler Trunk; traurig floh ich die Liebe und getraute mich nicht, mich zu rühren noch zu niesen, aus Furcht Böses zu tun. Von allen war ich geachtet, von jedermann gefürchtet, allein wie ein Aussätziger, traurig wie ein Hund, dem sein Herr gestorben ist, und nach fünfzig Jahren des Martyriums verendete ich trübselig auf einer elenden Pritsche. Die Buße war lang genug. Drum küsse mich, Liebchen, und laß uns zu zweit das Fegefeuer verlassen.“
„Ei,“ sagte sie, gern gehorchend, „welch schönes Aushängeschild ist die Tugend, auf die Spitze einer Stange gehängt.“
Die Zeit verging bei diesen verliebten Ergötzungen; schließlich aber mußten sie aufstehn, um fortzugehn, denn das Mädchen besorgte, mitten in ihrem Vergnügen den Profoß Spelle und seine Häscher auftauchen zu sehen.
„So schürze Deinen Rock,“ sprach Ulenspiegel.
Und sie liefen wie die Hirsche nach Destelbergh; allda fanden sie Lamm im „Stern der drei Weisen“ schmausend.
Ulenspiegel sah in Gent oftmals Jakob Scoelap, Lieven Smet und Jan de Wulfschager, die ihm Kunde vom guten und bösen Geschick des Schweigers gaben.
Und allemal, wenn Ulenspiegel nach Destelbergh zurückkehrte, sagte Lamm zu ihm:
„Was bringst Du, Glück oder Unglück?“
„Ach,“ sagte Ulenspiegel, „der Schweiger, sein Bruder Ludwig, die andern Führer und die Franzosen waren entschlossen, in Frankreich weiter vorzurücken und sich mit dem Prinzen von Condé zu vereinigen. Also hätten sie das arme, belgische Vaterland und das freie Gewissen gerettet. Gott hat es anders gewollt. Die deutschen Reiter und Landsknechte weigerten sich, weiter zu ziehen, und sagten, daß ihr Eid sie verpflichte, wider den Herzog von Alba zu fechten, nicht aber wider Frankreich. Nachdem er sie vergeblich angefleht hatte, ihre Pflicht zu tun, mußte der Schweiger sie notgedrungen durch die Champagne und Lothringen bis nach Straßburg führen, von wo sie nach Deutschland zurückkehrten. Infolge dieses plötzlichen und hartnäckigen Abzugs mißglückt alles. Der König von Frankreich, ohngeachtet seines Vertrages mit dem Prinzen, weigert sich, das Geld zu zahlen, das er versprochen. Die Königin von England hatte ihm welches schicken wollen, um die Stadt Calais und Umgegend wieder in Besitz zu bekommen; doch ihre Briefe wurden aufgefangen und dem Cardinal von Lothringen überliefert, der eine ablehnende Antwort fälschte. Also sehen wir dies schöne Heer, unsere Hoffnung, wie Gespenster beim Hahnenschrei vergehen. Aber Gott ist mit uns, und so das Land versagt, wird das Wasser seine Schuldigkeit tun. Es lebe der Geuse!“
Bitterlich weinend, kam das Mädchen eines Tages, und erzählte Lamm und Ulenspiegel:
„Spelle läßt für Geld Mörder und Diebe in Meulestee entwischen und die Unschuldigen bringt er um. Mein Bruder Michielkin ist unter ihnen. Wehe, lasset es mich Euch sagen, Ihr, die Ihr Männer seid, werdet ihn rächen. Ein schmutziger und schändlicher Wüstling, Pieter de Roose, ein gewohnter Verführer von Kindern und Mägdlein, war Ursach des ganzen Leids. Ach, mein armer Bruder Michielkin und Pieter de Roose waren eines Abends, ob zwar nicht am nämlichen Tisch, in der Schenke zum Falken, allwo Pieter de Roose von jedermann wie die Pest geflohen ward. Mein Bruder, der ihn nicht in der gleichen Stube mit sich sehen wollte, schalt ihn einen wollüstigen Schurken und hieß ihn reine Luft machen. Pieter de Roose entgegnete, der Bruder einer öffentlichen Dirne sollte den Kopf nicht so hoch tragen. Er log; ich bin nicht öffentlich und gebe mich nur dem, der mir gefällt. Michielkin drauf warf ihm sein Maß Würzbier ins Gesicht und erklärte ihm, daß er gelogen habe wie ein schmutziger Wüstling, der er wäre, und bedrohte ihn, so er sich nicht hinausschere, sollte er seine Faust bis an den Ellenbogen fressen. Der andere wollte noch reden, aber Michielkin tat, was er gesagt hatte. Er gab ihm zwei gewaltige Schläge ins Gebiß und schleppte ihn an den Zähnen, mit denen er biß, auf die Landstraße; allda ließ er ihn ohne Erbarmen verwundet liegen.
„Da Pieter de Roose geheilt war und nicht einsam leben mochte, kehrte er in’t Vagevuur ein, wahrlich ein Fegefeuer und eine elende Schänke, allwo nur arme Leute sind. Auch da ward er allein gelassen, sogar von diesen Lumpen. Und keiner redete zu ihm, ohne einige Bauern, welchen er unbekannt war, oder etliche fahrende Bettler und entlaufene Söldner. Er ward dort sogar unterschiedliche Male geprügelt, denn er war ein Zänker.
„Da der Profoß Spelle mit zwei Häschern nach Meulestee gekommen war, folgte Pieter de Roose ihnen allerwege wie ein Hund. Auf seine Kosten ließ er sie sich, soviel sie nur konnten, an Wein, Fleisch und andern Freuden, so mit Geld bezahlt werden, ergötzen. Also ward er ihr Geselle und Kamerad und begann, wie es seine Bosheit ihm eingab, Die, so er verabscheute, zu peinigen: nämlich alle Einwohner von Meulestee, insonderheit aber meinen armen Bruder. Er fing mit Michielkin an. Falsche Zeugen, nach Gülden lüsterne Galgenvögel, sagten aus, daß Michielkin ein Ketzer wäre, unflätige Reden über Unsere liebe Frau gehalten und manchesmal den Namen Gottes und der Heiligen in der Schenke „zum Falken“ gelästert hatte. Und überdies hätte er dreihundert Gülden in einer Truhe.
„Ohngeachtet die Zeugen nicht von gutem Wandel und Sitten waren, wurde Michielkin gefangen gesetzt. Da die Beweise von Spelle und seinen Häschern für ausreichend erklärt wurden, um den Angeschuldigten zu foltern, so ward Michielkin mit den Armen an einer Rolle aufgehängt, die an der Decke befestigt war. An jeden Fuß hängte man ihm ein Gewicht von fünfzig Pfund. Er leugnete seine Schuld und sagte, wenn es in Meulestee einen Lumpen, Schurken, Lästerer und Wüstling gäbe, so wäre das Pieter de Roose und nicht er. Aber Spelle wollte nichts hören und hieß seine Henkersknechte Michielkin bis an die Decke emporziehen und mit den Gewichten an den Füßen gewaltsam wieder herabfallen. Solches taten sie und so grausam, daß dem Gefolterten Haut und Muskeln der Knöchel zerrissen und der Fuß kaum am Beine festsaß.
„Da Michielkin bei Behauptung seiner Unschuld beharrte, ließ Spelle ihn abermals foltern und gab ihm dabei zu verstehen, daß er ihn los und ledig lassen würde, so er ihm hundert Gülden zahlte.
„Michielkin sagte, daß er lieber sterben würde.
„Da die von Damme die Kunde der Verhaftung und Tortur vernahmen, wollten sie als Massenzeugen auftreten, welches das Zeugnis aller guten Einwohner einer Gemeine ist. Einstimmig sagten sie aus, daß Michielkin keinesweges ein Ketzer wäre, jeden Sonntag zur Messe und zum Tisch des Herrn ginge, daß er niemals andere Gespräche über Unsere liebe Frau geführt hätte, als in bedrängten Umständen ihre Hülfe anzurufen. Dieweil er nimmer von einer irdischen Frau schlecht gesprochen hätte, würde er es mit viel mehr Grund nicht bei der himmlischen Mutter Gottes gewagt haben. Was die Gotteslästerungen anginge, so die falschen Zeugen in der Schenke zum Falken von ihm gehört haben wollten, so wäre das in jedem Punkt falsch und eitel Lug.
„Nachdem Michielkin freigelassen war, wurden die falschen Zeugen bestraft und Spelle forderte Pieter de Roose vor sein Tribunal, aber er entließ ihn wieder ohne Verhör noch Tortur für einmalige Zahlung von hundert Gülden. Aus Angst, das Geld, das ihm verblieb, möchte Spelles Aufmerksamkeit zum andern Mal auf ihn lenken, entfloh Pieter de Roose von Meulestee, indes Michielkin, mein armer Bruder, am Brand starb, der seine Füße ergriffen hatte.
„Er wollte mich nicht mehr sehen, ließ mich gleichwohl rufen, um mir zu sagen, ich sollte mich vor dem Feuer meines Leibes hüten; es würde mich zum Feuer der Höllen führen. Und ich konnte nur weinen, denn das Feuer ist in mir. Und er gab seine Seele in meinen Armen auf.“
„Ha,“ sagte sie, „wer den Tod meines geliebten, sanften Michielkin an Spelle rächen würde, der sollte auf immer mein Herr sein, und ich würde ihm gleich einer Hündin gehorchen.“
Dieweil sie so sprach, brannte Klasens Asche auf Ulenspiegels Brust. Und er beschloß, daß Spelle, der Mörder, gehenket werden sollte.
Boelkin, das war des Mädchens Name, kehrte nach Meulestee zurück. Sie war in ihrer Behausung sicher vor Pieter de Roose’s Rache, denn ein Ochsentreiber, der durch Destelbergh kam, brachte ihr Nachricht, daß der Pfarrer und die Bürger erklärt hätten, sie würden Spelle vor den Herzog bringen, so er Michielkins Schwester anrührte.
Ulenspiegel war ihr nach Meulestee gefolgt und trat in ein niederes Gemach in Michielkins Haus. Allda sah er ein Bildnis eines Zuckerbäckermeisters, das er für das des armen Toten hielt.
Und Boelkin sagte zu ihm:
„Es ist meines Bruders Bild.“
Ulenspiegel nahm das Bild und sagte im Fortgehen:
„Spelle wird gehenket werden.“
„Wie wirst Du es anstellen?“
„Wenn Du es wüßtest,“ sagte er, „so würde es Dich nicht ergötzen, es tun zu sehen.“
Boelkin schüttelte den Kopf und sagte mit klagender Stimme: „Du traust mir nicht“.
„Heißt es nicht, Dir aufs Höchste vertrauen, wenn ich Dir sage, Spelle wird gehenkt werden? Denn mit diesem einzigen Worte kannst Du mich von ihm henken lassen.“
„Fürwahr,“ sagte sie.
„Geh also,“ versetzte Ulenspiegel, „und hole mir gute Tonerde, ein doppelt Maß Braunbier, klares Wasser und etliche Schnitten Ochsenfleisch. Jedes besonders. Der Ochs soll für mich sein, das Braunbier für den Ochsen, das Wasser für den Ton und der Ton für das Bildnis.“
Derweil Ulenspiegel aß und trank, knetete er den Ton und verschluckte dann und wann ein Stücklein davon; doch das kümmerte ihn wenig, und er betrachtete aufmerksam Michielkins Bildnis. Da der Ton geknetet war, machte er daraus eine Maske mit Nase, Mund, Augen, Ohren, die dem Bildnis des Toten so gleich waren, daß Boelkin sich baß verwunderte.
Nach diesem legte er die Maske in den Backofen und als sie trocken war, bemalte er sie mit der Farbe der Leichen, schuf ihr verstörte Augen, ein ernstes Antlitz und die unterschiedlichen Verzerrungen eines Verscheidenden. Da hörte das Mädchen auf sich zu verwundern; sie sah die Maske an und konnte ihre Augen nicht abwenden, erblaßte und ward totenbleich, verhüllte ihr Antlitz und sagte schaudernd:
„Das ist er, mein armer Michielkin!“
Er machte auch zwei blutende Füße.
Dann, nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatte, sprach sie: „Der wird gesegnet sein, der den Mörder morden wird.“
Ulenspiegel nahm die Maske und die Füße und sprach:
„Ich bedarf eines Helfers.“
Boelkin antwortete:
„Geh in die ‚Blaue Gans‘ zu Joos Lansaem von Ypern, der diese Schenke führt. Er war meines Bruders bester Kamerad und Freund. Sag ihm, Boelkin schickte Dich.“
Ulenspiegel tat, wie sie ihm geheißen.
Nachdem der Profoß Spelle für den Tod gearbeitet hatte, ging er in „den Falken“, um eine heiße Mischung von Dobbele Clauwaert, Zimmet und Madeirazucker zu trinken. Aus Furcht vor dem Strang wagte man ihm in diesem Gasthause nichts zu verweigern.
Pieter de Roose, der wieder Mut gefaßt hatte, war nach Meulestee zurückgekehrt. Er ging Spelle und seinen Schergen allenthalben nach, damit sie ihn schützten. Spelle bezahlte bisweilen die Zeche. Und sie vertranken mitsammen wohlgemut das Geld der Opfer.
Die Herberge zum Falken war nicht mehr voll wie in den guten Zeiten, wo das Dorf fröhlich lebte, wo die Leute Gott als gute Katholiken dienten und nicht um der Religion willen gepeinigt wurden. Jetzt war das Dorf gleichsam in Trauer, wie man es an den zahlreichen leeren oder geschlossenen Häusern und an seinen verödeten Gassen sah, in welchen nur etliche magere Hunde irrten, so auf den Kehrichthaufen ihre verfaulte Nahrung suchten.
In Meulestee war nur noch Platz für die beiden Bösen. Die furchtsamen Dorfbewohner sahen die Frechen des Tages die Häuser der künftigen Opfer bezeichnen und die Totenlisten aufstellen und am Abend vom Falken zurückkehren und unflätige Gassenhauer singen, geleitet von zwei Schergen, trunken wie sie und bis an die Zähne bewaffnet.
Ulenspiegel ging in die ‚Blaue Gans‘ zu Joos Lansaem, der in seiner Schreibstube saß.
Ulenspiegel zog ein Fläschlein Branntwein aus dem Hosensack und sprach zu ihm:
„Boelkin hat zwei Tonnen davon zu verkaufen.“
„Komm in meine Küche,“ sagte der Wirt.
Dann schloß er die Türe und sah ihn fest an.
„Du bist kein Branntweinhändler; was bedeutet Dein Augenzwinkern? Wer bist Du?“
„Ich bin des Klas Sohn, der zu Damm verbrannt ist; die Asche des Toten brennt auf meiner Brust. Ich will Spelle, den Mörder töten.“
„Ist es Boelkin, die Dich sendet?“
„Boelkin sendet mich,“ erwiderte Ulenspiegel. „Ich werde Spelle töten und Du sollst mir dabei helfen.“
„Das will ich“, sagte der Wirt. „Was muß ich tun?“
Ulenspiegel antwortete:
„Geh zum Pfarrer, dem guten Seelenhirten und Feind von Spelle, hole Deine Freunde zusammen und finde Dich morgen nach Feierabend mit ihnen auf der Straße nach Ewerghem, jenseit Spelles Haus, zwischen dem Falken und besagtem Hause ein. Stellet Euch alle ins Dunkle und legt keine weißen Kleider an. Schlag zehn Uhr wirst Du Spelle aus der Schenke kommen sehen und ein Fuhrwerk von der andern Seite. Sage Deinen Freunden heute Abend nichts; sie schlafen dem Ohr ihrer Weiber zu nahe. Suche sie morgen auf. Kommet, horchet gut auf alles, und behaltet es wohl im Gedächtnis.“
„Wir werden es im Gedächtnis behalten,“ sagte Joos. Und seinen Becher erhebend: „Ich trinke auf den Strang für Spelle.“
„Auf den Strang,“ sprach Ulenspiegel. Dann kehrte er mit dem Wirt in die Schenkstube zurück, allwo etliche gentische Trödler zechten. Sie kamen vom Brügger Samstagsmarkt heim, wo sie Wämse und Koller von Gold- und Silberstoff teuer verkauft hatten, die sie zuvor für wenige Sous von verarmten Adligen, so es durch ihren Aufwand den Spaniern gleich tun gewollt, erhandelt hatten.
Wegen des großen Verdienstes hielten sie Schmaus und Gelage.
Ulenspiegel und Joos setzten sich in eine Ecke und verabredeten beim Trinken, ohne daß jemand sie hörte, daß Joos zum Pfarrer der Kirche, dem guten Pastor gehen solle, der wider Spelle, den Mörder Unschuldiger, erzürnt war. Danach sollte er zu seinen Freunden gehen.
Am folgenden Tage nach Feierabend verließen Joos und Michielkins Freunde, die benachrichtigt waren, die ‚Blaue Gans,‘ wo sie zu zechen pflegten, auf verschiedenen Wegen, damit man ihre Absicht nicht merke und gingen zur Landstraße nach Everghem. Es waren ihrer siebenzehn.
Um zehn Uhr kam Spelle aus ‚dem Falken,‘ und seine beiden Schergen und Pieter de Roose gingen hinter ihm. Lansaem und die Seinen hatten sich in der Scheuer von Samson Boene, einem Freund Michielkins, versteckt. Das Tor der Scheuer war offen. Spelle sah sie nicht. Sie hörten ihn vorübergehen, vom vielen Trinken schwankend, desgleichen Pieter de Roose und seine beiden Häscher, und er sagte mit breiiger Stimme und vielem Schlucken:
„Profoße, Profoße! Sie haben ein gutes Leben auf Erden. Stützt mich, Ihr Galgenvögel, die Ihr von meinem Abhub lebt.“
Plötzlich vernahm man auf der Landstraße von den Feldern her das Schreien eines Esels und das Knallen einer Peitsche.
„Da ist ein gar halsstarriger Esel“, sprach Spelle, „der trotz dieser schönen Mahnung nicht vorwärts will.“
Plötzlich hörte man lautes Rädergerassel und ein Karren kam in Sätzen die Landstraße heruntergefahren.
„Haltet ihn an,“ sagte Spelle.
Als der Wagen an ihnen vorbeikam, stürzten Spelle und seine beiden Knechte sich auf den Kopf des Esels.
„Dieser Wagen ist leer,“ sagte einer der Häscher.
„Tölpel,“ sprach Spelle, „laufen die leeren Wagen in der Nacht allein herum? In diesem Wagen ist einer, der sich versteckt. Zündet die Laternen an und haltet sie hoch, ich werde hineinsehen.“
Die Laternen wurden angezündet, und Spelle stieg auf den Wagen, die seine hochhaltend; aber kaum hatte er hingeblickt, als er einen lauten Schrei tat, zurücksank und rief:
„Michielkin, Michielkin! Jesus, erbarme Dich meiner.“
Alsbald erhob sich vom Boden des Wagens ein Mann, nach Art der Zuckerbäcker weiß gekleidet, und in seinen beiden Händen blutige Füße haltend.
Da Pieter de Roose diesen Mann im Schein der Laternen sich erheben sah, schrie er samt seinen beiden Bluthunden:
„Michielkin, Michielkin, der Tote! Herr, erbarme Dich unser!“
Die Siebenzehn kamen bei dem Lärm herzu und wollten das Schauspiel mit ansehen. Sie waren schier erschrocken, da sie beim hellen Mondschein gewahrten, wie ähnlich das Abbild Michielkins dem armem Verstorbenen war.
Und das Gespenst schwenkte seine blutigen Füße.
Es war sein Antlitz, voll und rund wie sonst, aber im Tode verblaßt, dräuend, fahl und unterm Kinn von Würmern zerfressen.
Das Gespenst schüttelte immer noch seine blutigen Füße und sprach zu Spelle, der ächzend auf dem Rücken lag:
„Spelle, Profoß Spelle, erwache!“
Aber Spelle rührte sich nicht.
„Spelle“, sprach das Gespenst zum andern Male, „Profoß Spelle, erwache, oder ich werde Dich mit mir in den gähnenden Rachen der Hölle schleppen.“
Spelle stand auf, seine Haare sträubten sich vor Furcht und er schrie jammervoll:
„Michielkin, Michielkin, hab Erbarmen!“
Indessen waren die Bürger näher gekommen, aber Spelle sah nichts als die Laternen, die er für Augen von Teufeln hielt, wie er später bekannte.
„Spelle,“ sprach Michielkins Geist, „bist Du zu sterben bereit?“
„Nein,“ antwortete der Profoß, „nein, Herr Michielkin, ich bin mit nichten dazu bereit und will nicht vor Gott erscheinen mit einer Seele, die ganz schwarz ist von Sünden.“
„Erkennest Du mich?“ fragte das Gespenst.
„Gott steh mir bei,“ sagte Spelle, „ja, ich erkenne Euch. Ihr seid der Geist Michielkins, des Zuckerbäckers, der unschuldig an den Folgen der Folter in seinem Bette starb. Und die zwei blutigen Füße sind die nämlichen, an deren jeden ich fünfzig Pfund hängen ließ. Ach, Michielkin, verzeiht mir, Pieter de Roose verführte mich; er bot mir fünfzig Gulden, die ich annahm, um Euren Namen auf die Liste zu setzen.“
„Willst Du beichten?“ fragte das Gespenst.
„Ja, Herr, ich will beichten, alles sagen und Buße tun. Aber geruhet, diese Teufel dort zu entfernen, die bereit sind, mich zu verschlingen. Ich werde alles sagen. Schafft diese feurigen Augen fort! Ich habe in Tournay ebenso an fünf Bürgern gehandelt, ebenso in Brügge an vieren. Ich weiß ihre Namen nicht mehr, aber ich werde sie Euch sagen, so Ihr es verlangt. Auch anderswo habe ich gesündigt, und durch mein Tun sind neunundsechzig Unschuldige in der Grube. Michielkin, der König brauchte Geld. Man hatte es mir eingeschärft; aber ich brauchte es gleichermaßen. Es ist in Gent, im Keller unter den Pflastersteinen bei der alten Grovels, meiner rechten Mutter. Ich habe alles gesagt, alles. Gnade und Erbarmen! Schafft die Teufel fort. Herr Gott, Jungfrau Maria, Jesus, bittet für mich! Entfernt die höllischen Feuer, ich werde alles verkaufen, alles den Armen geben und Buße tun.“
Da Ulenspiegel sah, daß die Menge der Bürger bereit war, ihm beizustehen, sprang er aus dem Wagen und Spelle an die Kehle, um ihn zu erdrosseln.
Aber der Pfarrer kam.
„Lasset ihn leben,“ sprach er. „Es ist besser, daß er durch den Strick des Henkers sterbe, denn durch die Hände eines Gespenstes.“
„Was wollt Ihr mit ihm machen?“ fragte Ulenspiegel.
„Ihn beim Herzog verklagen und ihn henken lassen,“ antwortete der Pfarrer. „Wer aber bist Du?“ fragte er.
Ulenspiegel antwortete: „Ich bin Michielkins Conterfei und die Person eines armen vlämisches Fuchses, der sich wieder in seinen Bau verkriechen wird, aus Furcht vor den hispanischen Jägern.“
Inzwischen entfloh Pieter de Roose so schnell er konnte.
Nachdem Spelle gehenkt war, wurden seine Güter eingezogen.
Und der König erbte.
Am folgenden Tage marschierte Ulenspiegel an der Leye, dem klaren Fluß entlang auf Kortrijck.
Lamm wanderte kläglichen Mutes.
Ulenspiegel sprach zu ihm:
„Du stöhnst, Mattherziger, und sehnst Dich nach deinem Weibe, das Dir die gehörnte Krone des Hahnreis aufsetzte.“
„Mein Sohn,“ sprach Lamm, „sie war mir allzeit getreu und liebte mich genug, wie ich sie allzu sehr liebte, mein süßer Jesus. Eines Tages, da sie nach Brügge gegangen war, kam sie schier verwandelt zurück. Von jener Zeit an sagte sie zu mir, wenn ich sie um Liebe bat:
„Ich muß als Freundin mit Dir leben, nicht anders.“
Darauf entgegnete ich mit Trauer im Herzen:
„Liebes Herz, wir wurden vor Gott getraut. Habe ich nicht alles für Dich getan, was Du wolltest? Hab ich nicht manches Mal ein Wams aus schwarzem Linnen und einen Mantel aus Barchent angelegt, um Dich trotz der königlichen Verordnungen in Seide und Brokat gekleidet zu sehen? Liebchen, liebst Du mich nicht mehr?“
„Ich liebe Dich, wie Gott und seine Gebote, wie die heilige Disziplin und Pönitenz es vorschreiben. Ich werde Dir gleichwohl eine tugendsame Gefährtin sein.“
„Was schiert mich Deine Tugend,“ antwortete ich. „Dich will ich, Dich, mein Weib.“
Sie schüttelte den Kopf:
„Ich weiß, daß Du gut bist. Bis heute warst Du der Koch im Haus, um mir die Mühe der Kochkunst zu ersparen. Du bügeltest unsere Leintücher, Krausen und Hemden, dieweil die Bügeleisen zu schwer für mich waren. Du wuschest unsre Wäsche, Du kehrtest das Haus und die Gasse vor der Tür, um mir jegliche Beschwer zu ersparen. Jetzo will ich statt Deiner schaffen, aber nichts weiter, lieber Mann.“
„Das ist mir einerlei,“ antwortete ich. „Ich werde wie zuvor Deine Kammerfrau, Deine Büglerin, Köchin und Wäscherin sein, Dein leibeigner, unterwürfiger Sklave; aber, Frau, trenne nicht diese beiden Herzen und Leiber, die eins waren, zerreiße nicht dies holde Band der Liebe, das uns so zart verknüpfte.“
„Es muß sein,“ antwortete sie.
„Wehe,“ sprach ich, „hast Du in Brügge diesen harten Entschluß gefaßt?“
Sie antwortete:
„Ich habe vor Gott und seinen Heiligen geschworen.“
„Wer hat Dich denn zum Schwur gezwungen,“ schrie ich, „Deine Pflichten als Frau nicht zu erfüllen?“
„Der, so den Geist Gottes in sich hat und mich unter die Zahl seiner Büßerinnen aufnimmt,“ sagte sie.
„Von Stund’ an hörte sie auf, mein zu sein, gleich als wäre sie die getreue Frau eines Andern gewesen. Ich flehete sie an, quälte, drohte, weinte, bat. Aber umsonst. Eines Abends, bei der Heimkehr von Blankenberghe, wohin ich gegangen war, um den Zins einer meiner Pachtungen einzunehmen, fand ich das Haus leer. Ohne Zweifel meines Flehens müde, böse und trübselig über meinen Kummer, war mein Weib entflohen. Wo weilt sie nun?“
Und Lamm setzte sich ans Ufer der Leye, senkte den Kopf und schaute das Wasser an.
„Ach,“ sprach er, „Liebchen, wie fett, zart und reizend warst Du! Werde ich jemals ein Hühnchen wie Dich wiederfinden? Werde ich nie mehr von Dir, Hausmannskost der Liebe, essen? Wo sind Deine Küsse, balsamisch wie Thymian? Dein lieblicher Mund, von dem ich Freude pflückte wie die Biene den Honig von der Rose; Deine weißen Arme, die mich kosend umschlangen? Wo ist Dein klopfendes Herz, deine runde Brust und der reizende Schauer Deines Feenleibes, der nach Liebe girrte? Ja wo sind Deine alten Wellen, Du kühler Fluß, der Du Deine neuen so lustig in der Sonne rollst?“
Als sie am Walde von Peteghem vorbeikamen, sprach Lamm zu Ulenspiegel:
„Ich brate, laß uns Schatten suchen.“
„Sei es,“ antwortete Ulenspiegel.
Sie setzten sich im Walde aufs Gras und sahen ein Rudel Hirsche an sich vorbeiziehen.
„Sieh genau hin, Lamm,“ sprach Ulenspiegel, indem er seine deutsche Büchse lud, „hier sind die Kapitalhirsche, so noch ihr Hirschgeschrötte haben und stolz ihr neunendiges Geweih tragen; zierliche Spießer, ihre Schildknappen, traben ihnen zur Seite, bereit, ihnen mit ihrem spitzen Gehörn zu Hilfe zu kommen. Sie gehen nach ihrem Lager. Drehe das Radschloß der Büchse, wie ich es mache. Feure! Der Kapitalhirsch ist krank geschossen. Ein Spießer ist aufs Blatt getroffen; er flieht. Ihm nach, bis er stürzt. Mach’s wie ich; laufe, springe und fliege.“
„Das ist ein Stücklein meines närrischen Freundes,“ sagte Lamm, „den Hirschen im vollen Lauf zu folgen. Flieg nicht ohne Flügel, das ist verlorne Müh. Du wirst sie nicht einholen. O, über den grausamen Gefährten! Glaubst Du, daß ich so behende sei, wie Du? Ich schwitze, mein Sohn, ich schwitze und werde fallen. Wenn der Förster Dich abfaßt, wirst Du gehenkt werden. Der Hirsch ist des Königs Wild. Laß sie laufen, mein Sohn, Du wirst sie nicht fangen.“
„Komm,“ sprach Ulenspiegel. „Hörst Du das Krachen seines Geweihs im Gebüsch, gleichwie ein dahinziehender Wirbelwind? Siehst Du die jungen, abgebrochenen Zweige, die Blätter, die den Boden bedecken? Diesmal hat er noch eine Kugel aufs Blatt gekriegt. Wir werden ihn verspeisen.“
„Er ist noch nicht gekocht,“ sprach Lamm. „Laß die armen Tiere laufen. Ach, wie heiß ist es! Ich werde hier gewißlich fallen und nicht wieder aufstehen.“
Plötzlich erfüllten zerlumpte, gewaffnete Männer von allen Seiten den Wald. Hunde bellten und stürzten sich auf die Fährte der Hirsche.
Vier wilde Männer umringten Lamm und Ulenspiegel und führten sie auf eine Lichtung inmitten eines Dickichts. Dort sahen sie unter Weibern und Kindern, die da lagerten, Männer in großer Zahl, mit Degen, Armbrüsten, Büchsen, Lanzen, Spießen und Reiterpistolen auf mancherlei Weise bewaffnet.
Da Ulenspiegel sie erblickte, sagte er:
„Seid Ihr Buschklepper oder Waldbrüder, da Ihr hier in Gemeinschaft zu leben scheint, um die Verfolgung zu fliehen?“
„Wir sind Waldbrüder,“ antwortete ein Greis, der neben dem Feuer saß und etliche Vögel in einem irdenen Tiegel schmorte. „Aber wer bist Du?“
„Ich bin aus dem schönen Lande Flandern,“ antwortete Ulenspiegel, „Maler, Bauer, Edelmann, Bildschnitzer, alles miteinander. Und solchergestalt lustwandle ich durch die Welt, lobe schöne und gute Dinge und spotte der Dummheit mit keckem Schnabel.“
„Wenn Du so viele Länder gesehen hast,“ sagte der alte Mann, kannst Du „Schild ende Vriendt,“ Schild und Freund, auf Genter Art aussprechen; wenn nicht, so bist Du ein falscher Vläme und mußt sterben.“
Ulenspiegel sprach: Schild ende Vriendt.
„Und Du, Dickwanst,“ fragte der alte Mann, zu Lamm redend, „was ist Dein Gewerbe?“
Lamm antwortete:
„Meine Ländereien, Pachthöfe, Meiereien und Güter aufzuessen und zu vertrinken, mein Weib zu suchen und meinem Freund Ulenspiegel allerorten zu folgen.“
„Wenn Du soviel gereist bist,“ sagte der alte Mann, „so mußt Du wissen, wie man die Leute aus Weert in Limburg heißt.“
„Das weiß ich nicht,“ antwortete Lamm; „aber wisset Ihr mir nicht den Namen des schändlichen Schuftes, der meine Frau aus dem Hause trieb? Fangt ihn mir, ich werde ihn stracks umbringen.“
Der Alte erwiderte: „Zwei Dinge gibt’s in dieser Welt, die einmal entflohen, nimmer zurückkehren: das ist ausgegebenes Geld und ein Weib, das seines Mannes überdrüssig davonfliegt.“
Dann redete er zu Ulenspiegel:
„Weißt Du, wie man die Leute von Weert in Limburg heißt?“
„Raekstekers, Rochenbeschwörer,“ antwortete Ulenspiegel, „maßen einstmals ein lebendiger Roche von einem Fischerkarren gefallen war und die alten Weiber ihn für den Teufel hielten, da sie ihn springen sahen. „Lasset uns den Pfarrer holen, um den Rochen zu exorzieren,“ sprachen sie. Der Pfarrer trieb den Teufel aus, nahm den Rochen mit nach Hause und machte ein leckeres Gericht davon, den Weertern zu Ehren. So tue Gott mit dem Blutkönig.“
Indes widerhallte der Wald vom Gebell der Hunde. Bewaffnete, die im Gehölz umherliefen, schrieen, um das Wild aufzuscheuchen.
„Das ist der Hirsch und der Spießer, die ich angeschossen habe,“ sagte Ulenspiegel.
„Wir werden ihn essen,“ sagte der Alte. „Aber wie nennt man die Leute aus Eindhoven in Limburg?“
„Pinnenmakers, Riegelmacher,“ antwortete Ulenspiegel. „Einst, da der Feind vor dem Stadttor war, verriegelten sie es mit einer Mohrrübe. Und die Gänse kamen und fraßen die Rübe mit heftigen Bissen ihrer gierigen Schnäbel und die Feinde drangen in Eindhoven ein. Aber es werden eiserne Schnäbel sein, die die Riegel der Kerker verzehren, darinnen man das freie Gewissen einsperren will.“
„So Gott für uns ist, wer kann wider uns sein!“ sagte der Alte.
Ulenspiegel sprach: „Hundegebell, Menschengeheul und krachende Zweige: es ist ein Sturm im Walde.“
„Ist Hirschfleisch gutes Fleisch?“ fragte Lamm, die Gerichte betrachtend.
„Das Geschrei der Treiber kommt näher,“ sprach Ulenspiegel zu Lamm; „die Hunde sind ganz nahe. Welch ein Donnern! Der Hirsch! Der Hirsch! Achtung, mein Sohn! Pfui, das garstige Tier! Es hat meinen dicken Freund mitten unter Pfannen, Tiegel, Töpfe, Feldkessel und Schmorfleisch auf die Erde geworfen. Siehe, die Frauen und Mädchen entfliehen, von Schrecken betört. Blutest Du, mein Sohn?“
„Du lachst, Taugenichts,“ sagte Lamm. „Ja, ich blute, er hat mir sein Geweih ins Gesäß gerannt. Da sieh, wie meine Hose zerrissen ist und mein Fleisch desgleichen. Und all die schönen Gerichte liegen am Boden. Sieh, ich verliere all mein Blut durch den Strumpf.“
„Dieser Hirsch ist ein fürsorglicher Wundarzt. Er bewahrt Dich vor dem Schlagfluß,“ antwortete Ulenspiegel.
„Pfui über Dich herzlosen Taugenichts,“ sagte Lamm. „Aber ich werde Dir nicht mehr folgen. Ich werde hier unter diesen guten Männern und Frauen bleiben. Wie kannst Du sonder Scham gegen meine Schmerzen so hart sein, wenn ich Dir wie ein Hund durch Schnee, Frost, Regen, Hagel und Wind auf den Fersen folge und in der Hitze mir die Seele aus der Haut schwitze!“
„Deine Wunde hat nichts auf sich; leg einen Ölkuchen darauf, das wird ein leckeres Pflaster sein,“ entgegnete Ulenspiegel. „Aber weißt Du, wie die Leute aus Löwen heißen? Du weißt es nicht, armer Freund. Wohlan, ich will es Dir sagen, um Dich am Stöhnen zu hindern. Sie heißen koeye-schieters, Kuhschützen, denn sie waren einstmals so dumm, auf Kühe zu zielen, die sie für feindliche Soldaten hielten. Wir aber, wir zielen auf die hispanischen Böcke; ihr Fleisch ist stinkend, aber die Haut ist gut, Trommeln daraus zu machen. Und die von Tirlemont? Weißt Du das? Ebensowenig. Sie tragen den ruhmvollen Beinamen kirekers. Denn bei ihnen fliegt am Pfingsttage im Dom eine Ente vom Chor auf den Altar, und das ist das Abbild ihres Heiligen Geistes. Leg einen Krapfen auf Deine Wunde. Du hebst die Töpfe und Gerichte, die der Hirsch umstieß, schweigend auf. Das ist Eifer für die Kochkunst. Du zündest das Feuer wieder an, setzest den Suppenkessel wieder auf seinen Dreifuß und befassest Dich gar sorglich mit dem Kochen. Weißt Du, warum es in Löwen vier Wunder gibt? Nein. Ich will es Dir sagen. Erstlich, weil die Lebenden dort unter den Toten gehn, denn die Kirche Sankt Michael ist neben das Stadttor gebaut. Es folgt daraus, daß der Kirchhof darüber ist. Zweitens weil die Glocken dort außer den Türmen sind, wie an der Sankt-Jakobs-Kirche zu sehen ist. Dort ist eine große und eine kleine Glocke; dieweil die kleine im Glockenturm keinen Platz fand, hat man sie nach außen gehängt. Drittens wegen des Altars außerhalb der Kirche; denn die Vorderseite von Sankt-Jakob gleicht einem Altar. Viertens wegen des Turms ohne Nägel, sintemalen die Turmspitze von Sankt-Gertrudis aus Stein anstatt aus Holz gebaut ist und man die Steine nicht nagelt, ausgenommen das Herz des Blutkönigs, das ich über das große Tor von Brüssel nageln möchte. Doch Du hörst mir nicht zu. Ist kein Salz in der Brühe? Weißt Du, warum die von Termonde die Bettwärmer, de vierpannen genannt werden? Es sollte ein junger Prinz im Winter in der Herberge zum „Wappen von Flandern“ nächtigen, und der Wirt wußte nicht, wie er die Leintücher wärmen sollte, denn es fehlte an einem Bettwärmer. Er ließ das Bett durch sein junges Töchterlein erwärmen, das eilends davonlief, da es den Prinzen kommen hörte; und der Prinz fragte, warum man den Bettwärmer nicht darinnen gelassen habe. Gott gebe, daß Philipp, in einen Kasten von glühendem Eisen gesperrt, im Bett der Frau Astarte als Bettwärmer diene.“
„Laß mich in Ruhe,“ sagte Lamm; „ich lache über Dich, Deine vierpannen, den Turm ohne Nägel und die andern Possen. Laß mich bei meiner Brühe.“
„Hüte Dich,“ sprach Ulenspiegel. „Das Gebell ertönt ohn Unterlaß; es wird stärker, die Hunde heulen, das Jagdhorn erklingt. Nimm Dich vor dem Hirsch in Acht. Du fliehst. Das Jagdhorn tönt.“
„Das ist das Halali,“ sagte der Alte. „Kehre zu Deinen Gerichten zurück, Lamm, der Hirsch ist zur Strecke gebracht.“
„Das soll uns eine gute Mahlzeit sein,“ sprach Lamm. „Ihr müsset mich zum Schmaus laden, um der Mühe willen, die ich mir für Euch gebe. Die Tunke der Vögel wird gut sein, nur knirscht sie etwas: das macht der Sand, auf den sie gefallen sind, da dieser große Teufel von Hirsch mir beides, Wams und Fleisch zerriß. Aber fürchtet Ihr nicht die Förster?“
„Wir sind unsrer zu viele,“ entgegnete der Alte; sie haben Furcht und stören uns nicht. Desgleichen die Häscher und Richter. Die Städter lieben uns, denn wir tun nichts Böses. Wir werden noch etliche Zeit in Frieden leben, es sei denn, daß das hispanische Heer uns einschließt. So das geschieht, werden wir, alte und junge Männer, Frauen, Mädchen, Büblein und Dirnlein, unser Leben teuer verkaufen und uns lieber untereinander töten, denn unter der Hand des Blutherzogs tausendfache Marter leiden.“
Ulenspiegel sagte:
„Es ist nicht mehr an der Zeit, den Henker zu Land zu bekämpfen. Auf dem Meer müssen wir seine Macht vernichten. Gehet nach den Inseln von Zeeland über Brügge, Heyst und Knocke.“
„Wir haben kein Geld,“ sprachen sie.
Ulenspiegel versetzte:
„Hier sind tausend Karolus im Auftrag des Prinzen. Gehet längs der Wasserläufe, Kanäle, Ströme und Flüsse. So Ihr Schiffe erblickt, die das Zeichen J-H-S tragen, soll einer unter Euch gleich einer Lerche singen. Hahnenschrei wird ihm antworten. Und Ihr werdet in Freundesland sein.“
„So werden wir tun,“ sagten sie.
Bald erschienen die Jäger, die den erlegten Hirsch an Stricken schleppten, die Hunde hinterdrein.
Alsbald setzten sich alle im Kreise ums Feuer. Es waren ihrer wohl sechzig, Männer, Frauen und Kinder. Das Brot ward aus den Ranzen und die Messer aus den Scheiden gezogen, der Hirsch abgedeckt, zerlegt und ausgenommen und mit kleinerem Wildpret an den Spieß gesteckt. Und am Ende der Mahlzeit sah man Lamm schnarchend, den Kopf auf die Brust gesenkt und an einen Baum lehnend.
Bei sinkender Nacht krochen die Waldbrüder in unterirdische Hütten, um zu schlafen; und Lamm und Ulenspiegel taten desgleichen.
Bewaffnete hielten Wacht und beschützten das Lager. Und Ulenspiegel hörte die dürren Blätter unter ihren Füßen rascheln.
Am andern Tage ging er mit Lamm von dannen, indes die aus dem Lager zu ihm sagten:
„Gesegnet seiest Du; wir werden nach dem Meere gehen.“
In Harlebeke schaffte Lamm neuen Vorrat von Ölkuchen an, aß deren siebenundzwanzig und tat dreißig in seinen Korb. Ulenspiegel trug seine Käfige in der Hand. Gegen Abend kamen sie nach Kortrijck und stiegen in der Herberge ‚zur Biene‘ ab, bei Gillis van den Ende, der sogleich an die Tür kam, als er den Lerchensang hörte.
Da war alles eitel Zucker und Honig für sie. Nachdem der Wirt des Prinzen Briefe gesehen, übergab er Ulenspiegel fünfzig Karolus für den Prinzen und wollte weder für die Truthenne, die er ihnen vorsetzte, noch für den Doppel Klauwaert, mit dem er sie tränkte, bezahlt sein. Auch warnte er ihn vor den Spionen des Bluttribunals, die in Kortrijck wären, derhalben er seine und seines Gefährten Zunge wohl im Zaum halten solle.
„Wir werden darauf achten“, sprachen Ulenspiegel und Lamm.
Und sie verließen die Herberge.
Die untergehende Sonne vergüldete die Giebel der Häuser. Die Vögel sangen unter den Linden, die Gevatterinnen schwätzten vor ihren Türschwellen, und die Kinder wälzten sich im Staube. Ulenspiegel und Lamm streiften aufs Geratewohl durch die Gassen.
Plötzlich sagte Lamm:
„Martin van den Ende sagte mir auf meine Frage, ob er eine Frau ähnlich der meinen gesehen habe / ich machte ihm ein Bild meiner Liebsten / daß bei der Stevenyne auf der Brügger Landstraße vor der Stadt im „Regenbogen“ eine große Zahl Frauen seien. Sie vereinigten sich dort alle Abende. Ich gehe flugs dorthin.“
„Ich werde sogleich nachkommen,“ sprach Ulenspiegel. „Ich will mir die Stadt anschauen; so ich Deiner Frau begegne, werde ich sie Dir alsbald schicken. Du weißt, daß der Wirt Dich ermahnt hat, zu schweigen, wenn anders Dir Deine Haut lieb ist.“
„Ich werde schweigen,“ sprach Lamm.
Ulenspiegel strich nach Belieben herum. Die Sonne ging unter, und der Tag ging schnell zur Rüste. Ulenspiegel kam in die Pierpot Straetje, das Steintopfgäßchen. Allda hörte er melodisch die Laute spielen. Näher tretend, erblickte er eine weiße Gestalt, die ihn lockte, ihn floh und auf der Laute spielte. Und wie ein Seraph sang sie ein sanftes, langsames Lied, indem sie stehen blieb, ihn lockte und wiederum floh.
Aber Ulenspiegel rannte hurtig; er holte sie ein und wollte zu ihr reden; da legte sie ihm ihre nach Benzoe duftende Hand auf den Mund.
„Bist Du ein Bauer oder ein Edelmann?“ fragte sie.
„Ich bin Ulenspiegel.“
„Bist Du reich?“
„Genug, um ein groß Vergnügen zu bezahlen, aber nicht genug, um meine Seele loszukaufen.“
„Hast Du keine Rosse, daß Du zu Fuße gehst?“
„Ich hatte einen Esel, aber ich hab’ ihn im Stall gelassen.“
„Wie kommt es, daß Du allein bist, ohne Freund, in einer fremden Stadt?“
„Dieweil mein Freund seinerseits herumstreicht, wie ich für mich, Du neugierig Schätzlein.“
„Ich bin nicht neugierig,“ sagte sie. „Ist Dein Freund reich?“
„An Fett,“ sagte Ulenspiegel. „Bist Du bald fertig mit Fragen?“
„Ich bin fertig,“ sagte sie, „laß mich nun.“
„Dich lassen?“ sagte er. „Ebenso gut könntest Du Lamm, wenn ihn hungert, heißen, ein Gericht Fettammern stehen zu lassen. Ich will Dich kosten.“
„Du hast mich ja gar nicht gesehen,“ sprach sie. Und sie öffnete eine Laterne, die plötzlich einen Schein warf und ihr Antlitz erleuchtete.
„Du bist schön,“ sprach Ulenspiegel. „Hei, die goldige Haut, die sanften Augen, der rote Mund und der reizende Leib. Alles wird mein sein.“
„Alles,“ sagte sie.
Sie führte ihn zur Stevenyne in den „Regenbogen“ an der Landstraße nach Brügge. Ulenspiegel sah allda eine große Zahl Dirnen, die am Arm Rädlein von anderer Farbe als ihre Barchentkleider trugen. Diese trug ein Rädlein von Silberstoff auf einem Kleid von Goldstoff. Und alle Dirnen blickten sie eifersüchtig an. Beim Eintreten machte sie der Wirtin ein Zeichen, aber Ulenspiegel sah es nicht. Sie setzten sich zueinander und tranken.
„Weißt Du,“ sagte sie, „daß wer mich geliebt hat, für allezeit mein ist.“
„Schönes, duftendes Weiblein,“ sagte Ulenspiegel, „es wäre mir ein köstlicher Schmaus, allzeit von Deinem Fleisch zu zehren.“
Auf einmal erblickte er Lamm in einer Ecke; der hatte ein Tischlein mit Talglicht, einen Schinken und einen Krug Bier vor sich und wußte nicht, wie er sein Bier und Schinken zwei Dirnen streitig machen sollte, die mit aller Gewalt mit ihm essen und trinken wollten.
Da Lamm Ulenspiegel gewahrte, stand er auf, sprang drei Schuh hoch in die Luft und rief:
„Gelobt sei Gott, der mir meinen Freund Ulenspiegel wiedergibt! Zu trinken, Wirtin!“
Ulenspiegel zog seine Börse und sagte:
„Zu trinken, bis dies alle ist.“
Und er ließ seine Karolus klingen.
„So wahr Gott lebt“, rief Lamm und riß ihm behend die Börse aus den Händen. „Ich zahle, und nicht Du. Diese Börse ist mein.“
Ulenspiegel wollte ihm seine Börse mit Gewalt wieder abnehmen, aber Lamm hielt sie gut fest. Wie sie so mit einander rangen, der Eine, um sie zu behalten, der Andere, um sie zu entreißen, raunte Lamm ganz leise, in abgerissenen Worten:
„Horch. Schergen drinnen ... vier ... kleines Gemach mit drei Dirnen ... Zwei draußen ... für Dich, für mich ... Wollte rausgehen ... gehindert ... Frauenzimmer in Brokat ... Spionin ... Stevenyne Spionin!“
Derweil sie sich schlugen, hörte Ulenspiegel wohl zu und schrie:
„Gib mir meine Börse, Taugenichts.“
„Du wirst sie nicht bekommen,“ sprach Lamm.
Und sie packten sich beim Hals und bei den Schultern und wälzten sich auf dem Boden, dieweil Lamm Ulenspiegel seinen guten Rat gab.
Plötzlich trat der Wirt „zur Biene“ herein und hinter ihm sieben Männer, die er nicht zu kennen schien. Er krähte wie ein Hahn, und Ulenspiegel trillerte wie eine Lerche. Da er Ulenspiegel und Lamm sich prügeln sah, sprach der Wirt zur Stevenyne:
„Wer sind diese beiden?“
Die Stevenyne antwortete:
„Taugenichtse, so man lieber trennen sollte, anstatt sie hier so großen Lärm aufführen zu lassen, ehe sie zum Galgen gehen.“
„Er soll nur wagen, uns zu trennen,“ sagte Ulenspiegel, „o so werden wir ihn das Pflaster fressen lassen.“
„Ja, wir werden ihn das Pflaster fressen lassen,“ sagte Lamm.
„Der Wirt, unser Retter,“ sagte Ulenspiegel Lamm ins Ohr.
Ein Geheimnis ahnend, stürzte sich der Wirt mit gesenktem Kopf in den Kampf.
Lamm warf ihm diese Worte ins Ohr:
„Du unser Retter? Wie?“
Der Wirt gab sich den Anschein, Ulenspiegel an den Ohren zu schütteln, und sagte ganz leise zu ihm:
„Sieben für Dich ... starke Männer, Metzger ... muß gehen ... zu bekannt in der Stadt. Wenn ich fort bin, ’t is van te beven de klinkaert ... Alles zerbrechen ...“
„Ja“, sprach Ulenspiegel, erhob sich und gab ihm einen Fußtritt.
Der Wirt schlug ihn seinerseits, und Ulenspiegel sprach zu ihm: „Deine Schläge fallen dicht, Dickwanst.“
„Wie Hagel“, sagte der Wirt, indem er Lamm behend die Börse fortriß und sie Ulenspiegel zurückgab.
„Spitzbube, zahle jetzt einen Trunk für mich, da du wieder im Besitz Deines Vermögens bist.“
„Du sollst trinken, schändlicher Taugenichts,“ entgegnete Ulenspiegel.
„Sehet, wie frech er ist,“ sagte die Stevenyne.
„So sehr wie Du schön bist, Herzchen,“ sagte Ulenspiegel.
Nun war die Stevenyne gut sechzig Jahre alt und hatte ein Gesicht wie eine Mispel, doch ganz gelb von galligem Zorn. In der Mitte saß eine Nase gleich einem Eulenschnabel. Ihre Augen waren voller Habgier und ohne Liebe. Zwei lange Hauer stachen aus ihrem fleischlosen Munde und auf ihrer linken Backe hatte sie einen großen, dunkelroten Fleck.
Die Dirnen lachten, indem sie sich über sie lustig machten, und sagten:
„Schätzchen, Schätzchen, gib ihm zu trinken. / Er wird Dich umarmen. / Ist es lange, daß Du Deine erste Hochzeit hieltest? / Hüte Dich, Ulenspiegel, sie will Dich fressen. / Sieh ihre Augen, sie glänzen nicht von Haß, sondern von Liebe. / Man könnte meinen, daß sie Dich totbeißen will. / Sei ohne Furcht. / So machen’s alle verliebten Frauen. / Sie will nur Dein Bestes. / Sieh, wie sie zum Lachen wohl aufgelegt ist.“
Und wahrlich, die Stevenyne lachte und zwinkerte der Gilline, dem Frauenzimmer im Brokatkleide zu.
Der Wirt trank, zahlte und ging fort. Die sieben Metzger schnitten den Häschern und der Stevenyne Fratzen zum Zeichen des Einverständnisses. Einer unter ihnen deutete durch eine Gebärde an, daß er Ulenspiegel für einen Dummkopf hielte und ihn trefflich vexieren würde. Und dieweil er der Stevenyne, die lachend ihre Hauer fletschte, spöttisch die Zunge heraussteckte, sagte er Ulenspiegel ins Ohr:
„’t is van te beven de klinkaert“. (Es ist Zeit mit den Gläsern zu klirren.)
Dann ganz laut und auf die Häscher zeigend:
„Hochedler Reformierter, wir halten alle zu Dir; zahle uns Essen und Trinken.“
Und die Stevenyne lachte vor Vergnügen und streckte auch Ulenspiegel die Zunge heraus, da dieser ihr den Rücken wandte. Und die Gilline im Brokatkleid streckte desgleichen die Zunge heraus.
Und die Dirnen sprachen ganz leise: „Sehet die Spionin, die durch ihre Schönheit mehr denn siebenundzwanzig Reformierte zu grausamer Tortur und noch grausamerem Tode geführt hat. Gilline schwelgt in dem Gedanken an den Lohn ihrer Angeberei: die ersten hundert Karolusgülden vom Nachlaß der Opfer. Aber sie lacht nicht, gedenkend, daß sie sie mit der Stevenyne wird teilen müssen.“
Und alle, Häscher, Metzger und Dirnen streckten die Zunge heraus, um Ulenspiegel zu höhnen. Und Lamm schwitzte große Tropfen; er war rot vor Zorn wie ein Hahnenkamm, doch er wollte nicht reden.
„Traktiere uns mit Essen und Trinken,“ sagten die Metzger und Häscher.
„Wohlan,“ sagte Ulenspiegel und ließ von neuem seine Karolus klingen, „gib uns zu essen und zu trinken, o reizende Stevenyne, aus Gläsern zu trinken, die klingen.“
Darob lachen die Dirnen abermals, und die Stevenyne fletschte ihre Hauer.
Gleichwohl ging sie in Keller und Küche und trug Schinken, Würste und Eierkuchen mit Blutwürsten auf, nebst Klingegläsern, also genannt, weil sie mit einem Fuß versehen waren und wie ein Glockenspiel klangen, wenn man sie anstieß.
Darauf sprach Ulenspiegel:
„Wer Hunger hat, der esse; wer Durst hat, der trinke.“
Bei dieser Rede schlugen Häscher, Dirnen, Metzger, Gilline und Stevenyne mit Händen und Füßen Beifall. Dann suchte sich jeglicher einen guten Platz; Ulenspiegel und Lamm und die sieben Metzger am großen Ehrentisch, die Häscher und Dirnen an zwei kleinen Tischen. Und sie aßen und tranken mit lautem Krachen der Kinnbacken, selbst die beiden Schergen, so draußen waren und von ihren Kameraden hereingeholt worden, um an dem Schmause teil zu haben. Und aus ihrem Ranzen sah man Stricke oder Handfesseln herausgucken.
Da streckte die Stevenyne die Zunge heraus und sprach hohnlachend:
„Keiner wird hinaus gehen, der nicht bezahlt.“
Und sie ließ alle Türen verschließen und steckte die Schlüssel in ihre Taschen.
Gilline erhob ihr Glas und sagte:
„Der Vogel ist im Käfig, laßt uns trinken.“
Drauf sagten zwei Mädchen, Gena und Margot, zu ihr:
„Ist wieder einer da, den Du umbringen lassen willst, schlechtes Weib?“
„Ich weiß nicht“, sprach Gilline. „Laßt uns trinken.“
Aber die drei Mädchen wollten mit ihr nicht trinken.
Und Gilline nahm ihre Laute und sang auf Französisch:
Und während sie also sang, war Gilline so schön, so hold und so minniglich, daß alle Männer, Häscher, Metzger, Lamm und Ulenspiegel stumm, gerührt und lachend dasaßen, vom Zauber gebannt.
Plötzlich brach Gilline in Gelächter aus, und Ulenspiegel anblickend, sagte sie:
„So sperrt man die Vögel in den Käfig.“
Und ihr Zauber war gebrochen.
Ulenspiegel, Lamm und die Metzger blickten einander an.
„Gelt, werdet Ihr mich bezahlen,“ sagte die Stevenyne, „werdet Ihr mich bezahlen, Junker Ulenspiegel, der aus dem Fleische von Predigern so gutes Fett gewinnt?“
Lamm wollte reden, doch Ulenspiegel hieß ihn schweigen und sagte zur Stevenyne:
„Wir bezahlen nicht im voraus.“
„So werde ich mich hernach aus Deinem Nachlaß bezahlt machen,“ sagte die Stevenyne.
„Die Hyänen leben von Leichen,“ entgegnete Ulenspiegel.
„Ja,“ sprach der Häscher einer, „diese beiden da haben das Geld der Prediger genommen, mehr denn dreihundert Goldkarolus. Das ist ein guter Batzen für die Gilline.“
Diese sang:
Dann sagte sie hohnlachend:
„Laßt uns trinken!“
„Laßt uns trinken,“ sprachen die Häscher.
„Bei Gott,“ sagte die Stevenyne, „laßt uns trinken! Die Türen sind geschlossen, die Fenster haben starke Eisenstäbe, die Vögel sind im Käfig. Laßt uns trinken.“
„Laßt uns trinken,“ sagte Ulenspiegel.
„Laßt uns trinken,“ sagte Lamm.
„Laßt uns trinken,“ sagten die Sieben.
„Laßt uns trinken,“ sagten die Häscher.
„Laßt uns trinken,“ sagte Gilline und ließ ihre Laute erklingen. „Ich bin schön, laßt uns trinken. Ich werde den Erzengel Gabriel in den Schlingen meines Liedes fangen.“
„Wohlauf, zu trinken,“ sprach Ulenspiegel, „Wein, um das Fest zu krönen, und vom besten. An jedem Haar unserer durstigen Körper soll ein Tropfen flüssigen Feuers hängen.“
„Laßt uns trinken,“ sagte Gilline; „noch zwanzig Gründlinge wie Du, und die Hechte werden aufhören zu singen.“
Die Stevenyne brachte Wein. Alle saßen trinkend und schnaufend, die Büttel und Dirnen zusammen. Die Sieben, die mit Ulenspiegel und Lamm am Tische saßen, warfen Schinken, Würste, Eierkuchen und Flaschen von ihrer Tafel an die der Dirnen, die sie im Fluge auffingen, wie Karpfen, die an der Oberfläche eines Teiches nach Fliegen schnappen. Und die Stevenyne lachte und fletschte ihre Hauer und wies auf Päcklein von Kerzen, fünf aufs Pfund, die über dem Zahltisch baumelten. Es waren die Kerzen der Dirnen. Dann sagte sie zu Ulenspiegel:
„Wenn man zum Scheiterhaufen geht, trägt man eine Unschlittkerze; willst Du jetzt eine?“
„Laßt uns trinken,“ sprach Ulenspiegel.
„Laßt uns trinken,“ sprachen die Sieben.
Die Gilline sagte:
„Ulenspiegel hat so glänzende Augen wie ein Schwan, der verscheiden will.“
„Wenn man sie den Schweinen zu fressen gäbe?“ meinte die Stevenyne.
„Das würde für sie Lichtmeß sein. Wohlauf getrunken,“ sprach Ulenspiegel.
„Möchtest Du,“ sprach die Stevenyne, „daß man Dir auf dem Schafott die Zunge mit einem glühenden Eisen durchbohrte?“
„Dann wäre sie besser zum Pfeifen. Laßt uns trinken!“ antwortete Ulenspiegel.
„Du redetest weniger, wenn Du gehenket wärest und Deine Liebste Dich anschauen käme.“
„Ja,“ sprach Ulenspiegel, „aber dann wöge ich mehr und fiele Dir auf Dein niedliches Maul. Laßt uns trinken.“
„Was würdest Du sagen, wenn Du gestäupt und auf der Stirn und der Schulter gebrandmarkt würdest?“
„Ich würde sagen, daß man sich im Fleisch geirrt hat,“ entgegnete Ulenspiegel, „und daß man den Eber Ulenspiegel abgebrüht hat, anstatt die Sau Stevenyne zu rösten. Laßt uns trinken.“
„Da Du von alledem nichts magst,“ sprach die Stevenyne, „so wirst Du auf des Königs Schiffe geführt und allda verdammt werden, von vier Galeeren gevierteilt zu werden.“
„So werden die Haifische meine vier Gliedmaßen bekommen und Du kannst fressen, was sie nicht wollen,“ sprach Ulenspiegel. „Laßt uns trinken!“
„Was issest Du nicht eine dieser Kerzen?“ fragte die Stevenyne. „Sie würden Dir in der Höllen dienlich sein, deine ewige Verdammnis zu erhellen.“
„Ich sehe deutlich genug, um Deinen leuchtenden Rüssel zu betrachten, Du schlechtgebrühete Sau. Laßt uns trinken!“ sprach Ulenspiegel.
Plötzlich pochte er mit dem Fuß seines Glases auf den Tisch, derweil er mit den Händen das Geräusch eines Tapezierers nachmachte, der im Takte ein Polster klopft, doch ganz ruhig, und dazu sprach er:
„Tis (tydt) van de beven de klinkaert.“ Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.
Das ist in Flandern das Zeichen für die Zecher, Händel anzufangen und die Häuser mit roter Laterne zu plündern.
Ulenspiegel trank, dann ließ er sein Glas auf dem Tisch klirren und sprach:
„Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“
Und die Sieben taten es ihm nach.
Alle blieben ruhig. Die Gilline erbleichte, die Stevenyne blickte verwundert. Die Büttel sprachen:
„Halten die Sieben es mit ihnen?“
Aber die Metzger beruhigten sie, mit den Augen zwinkernd; doch zugleich riefen sie lauter und lauter mit Ulenspiegel:
„Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren. Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“
Die Stevenyne trank, um sich Mut zu machen.
Da schlug Ulenspiegel mit der Faust auf den Tisch, im Takt der Tapezierer, die Polster klopfen. Die Sieben taten wie er: Gläser, Krüge, Näpfe, Schoppen und Becher huben langsam zu tanzen an, fielen um, zerbrachen, standen an einer Seite auf, um an der andern wieder hinzufallen. Und immer dräuender, ernster, kriegerischer und eintöniger erklang es:
„Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“
„Wehe,“ sprach die Stevenyne, „sie werden alles zerbrechen.“
Und vor Furcht fletschte sie ihre beiden Hauer noch mehr denn gewöhnlich.
Und vor Wut und Grimm entzündete sich das Blut in der Seele der Sieben und in Ulenspiegels und in Lamms Seele.
Da ergriffen alle, so an Ulenspiegels und Lamms Tisch saßen, ihre Gläser, ohne mit dem eintönigen, dräuenden Sang aufzuhören, und zerbrachen sie im Takt auf dem Tisch, dieweil sie auf Stühlen ritten und ihre Dolchmesser zogen. Sie vollführten ein so großes Lärmen mit ihrem Sang, daß alle Fensterscheiben des Hauses erzitterten. Alsdann machten sie gleich einer Rotte toll gewordener Teufel im Gemach und um alle Tische die Runde und schrieen dabei ohne Unterlaß: „Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“
Da standen die Schergen vor Furcht zitternd auf und ergriffen ihre Stricke und Ketten. Aber die Metzger, Ulenspiegel und Lamm steckten ihre Hirschfänger wieder in die Scheiden, standen auf, packten ihre Stühle, schwangen sie gleich Knütteln, liefen behend durch das Gemach, schlugen nach rechts und nach links, nur der Dirnen schonend, und zerbrachen alles übrige, Hausrat, Scheiben, Truhen, Geschirr, Schoppen, Näpfe, Gläser und Flaschen. Sie schlugen die Büttel ohn Erbarmen und sangen immerfort im Takt der Tapezierer, die Polster klopfen: „Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“ Derweilen hatte Ulenspiegel der Stevenyne einen Faustschlag aufs Maul gegeben, ihr die Schlüssel aus der Tasche genommen und zwang sie, ihre Lichte zu essen.
Die schöne Gilline kratzte mit ihren Nägeln an den Türen, Läden, Fensterglas und Rahmen und schien sich durch alles durchdrängen zu wollen wie eine furchtsame Katze. Dann kauerte sie sich leichenblaß in einen Winkel, mit verstörten Augen, bläkte die Zähne und hielt ihre Laute, als wollte sie sie beschützen.
Die Sieben und Lamm sprachen zu den Dirnen: „Wir werden Euch kein Leids antun,“ und mit ihrer Hilfe banden sie die Büttel, die in ihren Hosen zitterten, mit Ketten und Stricken. Sie wagten nicht Widerstand zu leisten, maßen sie fühlten, daß die Metzger, die der Bienenwirt unter den Stärksten auserlesen, sie mit ihren Messern in Stücke gehackt hätten.
Bei jedem Licht, das die Stevenyne essen mußte, sprach Ulenspiegel:
„Dies ist fürs Henken, dies fürs Stäupen; dies andere fürs Brandmarken; dies vierte für meine durchbohrte Zunge. Hier sind zwei treffliche und gar fette für des Königs Schiffe und das Vierteilen durch vier Galeeren; dies da für Deine Spionenhöhle, dies für dein Weibsbild im Brokatkleid, und alle andern für mein Ergötzen.“
Und die Mädchen lachten, da sie sahen, wie die Stevenyne sich vor Grimm wand und ihre Kerzen ausspeien wollte. Aber vergebens, denn sie hatte den Mund zu voll davon.
Ulenspiegel, Lamm und die Sieben ließen nicht ab, im Takt zu singen: „Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“
Dann ließ Ulenspiegel ab und winkte ihnen, den Reim leise zu murmeln. Solches taten sie, derweil er den Dirnen und Häschern diese Rede hielt:
„So einer unter Euch um Hilfe schreit, wird er auf der Stelle getötet.“
„Getötet“, sagten die Metzger.
„Wir werden schweigen,“ sprachen die Mädchen, „tu uns kein Leids an, Ulenspiegel.“
Aber die Gilline, so mit herausgetretenen Augen und vorstehenden Zähnen in ihrem Winkel kauerte, war keines Wortes fähig und preßte ihre Laute an sich.
Und die Sieben murmelten immer im Takt: „Es ist Zeit mit dem Klinger zu klirren.“
Die Stevenyne wies auf die Kerzen, so sie im Munde hatte, und machte ein Zeichen, daß sie gleichermaßen schweigen würde. Die Häscher gelobten wie sie.
Ulenspiegel redete weiter:
„Ihr seid hier in unserer Gewalt. Die dunkle Nacht ist gekommen, wir sind nah bei der Leye, in der Ihr leicht ertrinkt, wenn man Euch hineinstößt. Die Tore von Kortrijck sind geschlossen. So die Nachtwächter den Lärm vernommen haben, werden sie sich nicht vom Fleck rühren, maßen sie zu faul sind und wähnen, daß es gute Vlämen sind, die beim Klang der Schoppen und Flaschen lustig singen. Also verhaltet Euch ruhig vor Euren Bezwingern.“
Dann redete er zu den Sieben:
„Gehet Ihr nach Peteghem, zu den Geusen zu stoßen?“
„Bei der Kunde Deines Kommens haben wir uns dazu angeschickt.“
„Von da werdet Ihr aufs Meer gehen?“
„Ja“, sagten sie.
„Kennet Ihr unter diesen Häschern einen oder zwei, die man loslassen könnte, um uns zu dienen?“
„Zwei“, sprachen sie, „Niklas und Joos, die niemals die armen Reformierten verfolgten.“
„Wir sind getreu,“ sagten Niklas und Joos.
Sodann sprach Ulenspiegel:
„Hier sind zwanzig Karolusgülden für Euch, zweimal so viel als ihr gekriegt hättet, wenn Ihr den schändlichen Judaslohn empfangen hättet.“
Plötzlich schrien die fünf Andern.
„Zwanzig Gülden! Wir dienen dem Prinzen um zwanzig Gülden. Der König zahlt schlecht. Gebt jedem von uns die Hälfte davon, und wir werden dem Richter alles sagen, was Du willst.“
Die Metzger und Lamm murmelten dumpf:
„Es ist Zeit, mit dem Klinger zu klirren! Es ist Zeit, mit dem Klinger zu klirren!“
„Auf daß Ihr nicht zu viel redet,“ sagte Ulenspiegel, „werden die Sieben Euch gebunden bis Peteghem zu den Geusen führen. Ihr sollt zehn Gülden bekommen, wenn Ihr auf dem Meere seid. Bis dahin sind wir gewiß, daß die Feldküche Euch bei Brot und Suppe festhalten wird. So Ihr tapfer seid, sollt Ihr Euren Anteil an der Beute haben. So Ihr versuchet zu desertieren, werdet Ihr gehenket werden. So Ihr entwischet und also dem Strick entgeht, werdet Ihr das Messer finden.“
„Wir dienen dem, der uns bezahlt,“ sagten sie.
„Es ist Zeit, mit dem Klinger zu klirren! Es ist Zeit, mit dem Klinger zu klirren,“ sagten Lamm und die Sieben und schlugen mit den Scherben der zerbrochenen Töpfe und Gläser auf den Tisch.
„Desgleichen werdet Ihr die Gilline, die Stevenyne und die drei Frauenzimmer mit Euch führen. Wenn eine darunter entwischen will, so sollt Ihr sie in einen Sack nähen und in den Fluß werfen.“ „Er hat mich nicht getötet,“ sprach die Gilline, sprang aus ihrem Winkel auf und schwang ihre Laute in der Luft. Und sie sang:
Die Stevenyne und die andern machten Miene zu weinen.
„Fürchtet nichts, Ihr Schätzchen“, sprach Ulenspiegel, „Ihr seid so lieblich und sanft, daß man Euch allerorten lieben, feiern und hätscheln wird. Bei jeder Prise werdet Ihr Euren Anteil an der Beute haben.“
„Und mir, die alt ist, wird man nichts geben,“ greinte die Stevenyne.
„Einen Sou pro Tag, Krokodil,“ sagte Ulenspiegel, „denn Du sollst die Leibeigene dieser vier schönen Mädchen sein, Du wirst ihre Röcke, Leintücher und Hemden waschen.
„Ich, Herr Gott!“ sagte sie.
Ulenspiegel entgegnete:
„Du hast sie lange Zeit gemeistert und vom Ertrag ihrer Körper gelebt, sie aber arm und hungrig gelassen. Du magst greinen und plärren, es wird geschehen, wie ich gesagt habe.“
Darob lachen die vier Mädchen, spotten der Stevenyne und sagen zu ihr, die Zunge herausstreckend:
„Jede kommt in dieser Welt an die Reihe. Wer hätte das von der Stevenyne, der Geizigen gedacht. Sie wird als Leibeigene für uns arbeiten. Gesegnet sei seine Gnaden, Herr Ulenspiegel!“
Darauf sprach Ulenspiegel zu den Metzgern und zu Lamm:
„Leert die Weinkeller, nehmet das Geld; es soll zum Unterhalt der Stevenyne und der vier Mädchen dienen.“
„Sie knirscht mit den Zähnen, die Stevenyne, die Geizige,“ sagten die Mädchen. „Du warest hart, nun ist man es gleicherweise gegen Dich. Gesegnet sei Seine Gnaden, Herr Ulenspiegel!“
Dann wandten sich alle drei gegen Gilline:
„Du warst ihre Tochter, ihre Ernährerin, Du teiltest die Frucht der schändlichen Angeberei. Wirst Du es wohl noch wagen, uns zu schlagen und zu beschimpfen in Deinem Brokatkleid? Du verachtetest uns, weil wir nur Barchent trugen. Nur vom Blute der Opfer bist Du so reich gekleidet. Laßt uns ihr das Kleid ausziehen, auf daß sie uns dadurch gleich sei.“
„Ich dulde es nicht,“ sagte Ulenspiegel.
Und die Gilline flog ihm an den Hals und sprach:
„Gesegnet seist Du, der mich nicht getötet hat und nicht will, daß ich häßlich sei!“
Und die eifersüchtigen Mädchen blickten Ulenspiegel an und sagten:
„Er ist in sie vernarrt wie alle.“
Die Gilline sang zur Laute.
Die Sieben zogen gen Peteghem und führten die Häscher und Dirnen an der Leye entlang. Im Wandern murmelten sie: „Es ist Zeit, mit dem Klinger zu klirren! Es ist Zeit, mit dem Klinger zu klirren!“
Bei Tagesanbruch kamen sie ins Lager, sangen wie die Lerche, und Hahnenschrei antwortete ihnen. Die Mädchen und die Häscher wurden scharf bewacht. Dessen ohngeachtet fand man am dritten Tag um Mittag die Gilline tot, das Herz von einer langen Nadel durchbohrt. Die Stevenyne wurde von den drei Mädchen bezichtigt und vor den Hauptmann der Kampanie, seine Rottenmeister und Sergeanten geführt, die zu Richtern eingesetzt waren. Allda bekannte sie ohne peinliche Frage, sie habe die Gilline getötet, aus Eifersucht auf ihre Schönheit und aus Wut darob, daß die Dirne sie ohne Gnade als Leibeigne behandelte. Und die Stevenyne ward gehenket und dann im Walde begraben. Auch die Gilline ward begraben, und über ihrem reizenden Leib wurden Sterbegebete gesprochen.
Derweil hatten sich die beiden Büttel, von Ulenspiegel beredet, vor den Burgvogt von Kortrijck begeben, denn den Lärmen und Toben und die Plünderung, so im Hause der Stevenyne geschehen, mußten von besagtem Burgvogt bestraft werden, maßen daß Haus der Stevenyne in der Burgvogtei außerhalb der Gerichtsbarkeit von Kortrijck lag. Nachdem sie dem Herrn Burgvogt erzählt, was sich zugetragen, sagten sie mit tiefer Überzeugung und schlichter Einfalt der Sprache:
„Die Mörder der Prediger sind mit nichten Ulenspiegel und sein getreuer und vielgeliebter Lamm Goedzak, die nur zu ihrer Ergötzung in den „Regenbogen“ gekommen sind. Sie haben sogar Pässe vom Herzog, und wir haben sie gesehen. Die wahren Schuldigen sind zwei Kaufleute aus Gent, der eine mager, der andere sehr fett, so nach dem Lande Frankreich auf und davon sind, nachdem sie bei der Stevenyne alles zerschlagen hatten; diese haben sie mitsamt ihren vier Dirnen zu ihrem Zeitvertreib mitgeführt. Wir hätten sie wohl am Kanthaken gefaßt, doch es waren sieben Metzger da, von den stärksten der Stadt, die ihre Partei nahmen. Sie haben uns alle gebunden und nicht eher freigelassen, als bis sie weit im Lande Frankreich waren. Und hier sind die Spuren der Stricke. Die vier andern Büttel sind ihnen auf den Fersen und erwarten Verstärkung, um Hand an sie zu legen.“
Der Burgvogt gab einem Jeden zwei Karolus und ein neues Kleid für ihre getreuen Dienste.
In der Folge schrieb er an den Rat von Flandern, an das Schöffengericht in Kortrijck und andere Gerichtshöfe, um ihnen zu vermelden, daß die wahren Mörder gefunden wären. Und er beschrieb ihnen das Abenteuer des Langen und Breiten. Darob erzitterten die vom Rat von Flandern und von den andern Gerichtshöfen. Und der Burgvogt ward ob seines Scharfsinns trefflich gelobt.
Und Ulenspiegel und Lamm wanderten friedsam auf der Straße von Peteghem nach Gent an der Leye entlang. Es verlangte sie, nach Brügge zu kommen, allwo Lamm sein Weib zu finden hoffte, und nach Damm, wo Ulenspiegel, der in Träume versunken war, schon hätte sein mögen, um Nele zu sehen, die betrübt mit Katheline, der Irren, lebte.
Seit geraumer Zeit waren im Weichbild von Damm und der Umgegend unterschiedliche abscheuliche Verbrechen begangen worden. Mägdlein, junge Burschen und Greise, von denen man wußte, daß sie mit Geld versehen nach Brügge, Gent oder sonst einer Stadt oder Ortschaft in Flandern gegangen waren, wurden tot aufgefunden. Sie waren nackend wie Würmer und von so langen spitzen Zähnen ins Genick gebissen, daß der Halswirbel bei allen gebrochen war.
Die Ärzte und Bader erklärten, daß diese Zähne die eines großen Wolfes seien. Ohne Zweifel wären Diebe nach dem Wolfe gekommen, sagten sie, und hätten die Opfer geplündert.
Ohngeachtet aller Nachforschungen konnte niemand entdecken, wer die Diebe waren. Bald ward der Wolf vergessen.
Etliche angesehene Bürger, die sich ohne Geleit kühn auf den Weg gemacht hatten, verschwanden, ohne daß man wußte, was aus ihnen geworden, es sei denn, daß ein Bauer, der des Morgens ging, sein Feld zu bestellen, Wolfsspuren auf seinem Acker fand, derweil sein Hund mit den Pfoten die Furchen aufscharrte und einen armen Leichnam bloß legte, der die Spuren der Wolfszähne im Genick oder unterm Ohr aufwies, gar oft auch am Bein und immer von hinten. Und allemal war der Wirbelknochen und das Bein gebrochen.
Der Bauer ging voller Angst stracks zum Amtmann, ihm Kunde zu bringen, und dieser kam mit dem Kriminalschreiber, zwei Schöffen und zwei Wundärzten nach dem Ort, wo der Leichnam des Getöteten lag. Nachdem sie ihn fleißig und sorgsam visitiert und manchmal, wenn das Gesicht noch nicht von den Würmern zerfressen war, seinen Stand, sogar Namen und Geschlecht erkannt hatten, verwunderten sie sich baß, daß der Wolf, der aus Hunger tötet, dem Toten kein Stück Fleisch abgebissen hatte. Und die von Damm entsetzten sich schier, und war keiner, der nachts ohne Geleit auszugehen wagte.
Nun trug es sich zu, daß etliche wackere Soldaten auf die Suche nach dem Wolfe geschickt wurden, mit dem Befehl, ihn Tag und Nacht in den Dünen längs des Meeres zu suchen.
Sie waren zur Zeit nahe bei Heyst in den großen Dünen. Die Nacht war gekommen. Einer unter ihnen, der auf seine Kraft vertraute, wollte sie verlassen, um allein, mit seiner Büchse bewaffnet, auf die Suche zu gehen. Die Andern ließen ihn seinen Willen, überzeugt, daß er, tapfer und bewaffnet, wie er war, den Wolf töten würde, wenn anders er sich zu zeigen wagte.
Da ihr Kumpan fort war, zündeten sie ein Feuer an, würfelten und tranken nach Herzenslust aus ihrer Branntweinflasche.
Und von Zeit zu Zeit schrien sie:
„Holla, Kamerad, komm zurück; der Wolf fürchtet sich, komm trinken!“
Aber er antwortete nicht.
Plötzlich, da sie einen lauten Schrei, wie den eines Sterbenden vernahmen, eilten sie dorthin, von wannen der Schrei kam und sagten: „Halt aus, wir kommen Dir zu Hülfe.“
Doch es währte lange, bis sie ihren Kameraden fanden, denn die Einen sagten, der Schrei sei aus dem Tal, und die Andern, er sei vom Kamme der Dünen gekommen.
Endlich, da sie Dünen und Tal mit ihren Laternen gründlich abgesucht hatten, fanden sie ihren Gefährten an Arm und am Bein gebissen und den Hals hinterrücks gebrochen, wie bei den andern Opfern. Auf dem Rücken liegend, hielt er seinen Degen in der geballten Faust; seine Büchse lag auf dem Sande. Neben ihm fanden sich drei abgeschnittene Finger, die sie mitnahmen und die nicht seine waren. Sein Säckel war geraubt.
Sie nahmen den toten Leib ihres Gefährten, seinen guten Degen und seine wackere Büchse auf die Schultern, und betrübt und ergrimmt trugen sie den Leichnam zum Amtshaus, wo der Amtmann sie in Gesellschaft des Kriminalschreibers, der zwei Schöffen und der beiden Wundärzte empfing.
Die abgeschnittenen Finger wurden geprüft und als die eines Greises erkannt, der in keinem Handwerk Arbeiter war, denn die Finger waren dünn und die Nägel daran lang wie bei Männern des Richter- oder Priesterstandes.
Des andern Tages gingen der Amtmann, die Schöffen, der Kriminalschreiber, die Wundärzte und die Soldaten nach der Stelle, wo der arme Tote gebissen worden, und sahen, daß dort Blutstropfen auf dem Grase waren und Fußstapfen, so bis ans Meer gingen und dort aufhörten.
Es war zur Zeit der reifen Trauben, im Weinmond, am vierten Tage, wo man in der Stadt Brüssel vom Sankt Niklasturm herab nach der Hochmesse dem Volk Säcke mit Nüssen zuwirft.
In der Nacht wurde Nele durch Geschrei, so von der Straße kam, geweckt. Sie suchte Katheline in der Kammer und fand sie nicht. Sie lief nach unten und öffnete die Tür, und Katheline trat ein und sagte:
„Rette mich, rette mich! der Wolf, der Wolf!“
Und Nele hörte vom Feld her fernes Geheul. Zitternd entzündete sie alle Lampen, Wachslichte und Talgkerzen.
„Was ist geschehen, Katheline?“ fragte sie, sie in ihre Arme schließend.
Katheline setzte sich verstörten Blicks und sagte, die Kerzen anschauend:
„Das ist die Sonne, sie verscheucht die bösen Geister. Der Wolf, der Wolf heult draußen auf dem Felde.“
„Aber“, sprach Nele, „warum bist Du aus Deinem warmen Bette gestiegen, um Dir in den feuchten Septembernächten das Fieber zu holen?“
Und Katheline sprach:
„Hanske hat diese Nacht geschrieen wie der Fischadler und ich habe die Tür aufgemacht. Und er hat zu mir gesagt: „Trink diesen Zaubertrank;“ und ich habe getrunken. Hanske ist schön. Nehmt das Feuer fort. Alsdann hat er mich an den Kanal geführt und zu mir gesagt: „Katheline, ich werde Dir die siebenhundert Karolus wiedergeben und Du sollst sie Ulenspiegel, Klasens Sohn, geben. Und hier sind zwei, um Dir ein Kleid zu kaufen; bald wirst du ihrer tausend haben.“ / „Tausend,“ sprach ich, „mein Geliebter, dann werde ich reich sein.“ / „Du sollst sie haben,“ sagte er. „Aber sind nicht in Damm Frauen oder Mädchen, die jetzt ebenso reich sind, wie du sein wirst?“ / „Ich weiß nicht,“ antwortete ich. Aber ich wollte ihre Namen nicht sagen, aus Furcht, daß er sie liebte. Darauf sprach er zu mir: „Forsche danach und sage mir ihre Namen, wenn ich wiederkomme.“
„Die Luft war kalt, der Nebel schwebte über den Wiesen, dürres Reisig fiel von den Bäumen auf den Weg. Und der Mond schien, und auf dem Wasser des Kanals waren Feuer. Hanske sprach zu mir: „Das ist die Nacht der Werwölfe, alle schuldbeladenen Seelen steigen aus der Hölle auf. Du mußt mit der Linken dreimal das Zeichen des Kreuzes machen und Salz! Salz! Salz! rufen, das ist das Sinnbild der Unsterblichkeit, und sie werden Dir nichts antun.“ / Und ich sagte: „Ich werde tun, was Du willst, Hanske, mein Herzliebster.“ Und er umarmte mich und sagte dabei: „Du bist mein Weib.“ / „Ja,“ sprach ich. Und bei diesem süßen Worte glitt himmlische Wonne wie Balsam über meinen Leib. Er bekränzte mich mit Rosen und sagte: „Du bist schön.“ / Und ich sprach zu ihm: „Du bist auch schön, Hanske, mein Herzliebster, in deinen feinen Kleidern von grünem Sammet mit güldenen Borten, mit deiner langen Straußenfeder, die auf deinem Barett wallt, und deinem Antlitz, das bleich ist wie Meeresleuchten. Und wenn die Mädchen von Damm Dich sähen, so würden sie Dir alle nachlaufen und dein Herz begehren, doch Du mußt es nur mir geben, Hanske.“ / Er sprach: „Suche zu erfahren, welche am reichsten sind, ihr Vermögen wird Dein sein.“ Dann ging er von dannen und ließ mich zurück, nachdem er mir verboten, ihm zu folgen. Ich blieb stehen und ließ die zwei Karolus in meiner Hand klingen. Ich zitterte am ganzen Leibe und war schier erstarrt wegen des Nebels. Da sah ich einen Wolf mit grünem Gesicht und langen Schilfblättern in seinem weißen Fell die Uferböschung hinansteigen. Ich schrie. „Salz! Salz! Salz!“ und machte das Zeichen des Kreuzes, aber das schien ihn nicht zu schrecken. Und ich lief aus allen Kräften und schrie, und er heulte, und ich hörte das Klappern seiner Zähne ganz nah bei mir und einmal ganz nah an meiner Schulter, daß ich glaubte, er würde mich packen. Doch ich lief schneller als er. Zum großen Glück stieß ich an der Ecke der Reiherstraße auf den Nachtwächter mit seiner Laterne. „Der Wolf, der Wolf!“ schrie ich. „Fürchte dich nicht,“ sprach der Nachtwächter, „ich werde dich nach Hause führen, irre Katheline.“ Und ich fühlte, daß seine Hand, die mich hielt, zitterte. Er hatte auch Furcht.“
„Aber er hat wieder Mut gefaßt,“ sprach Nele. „Hörst Du ihn jetzt mit schleppender Stimme singen: „Hört Ihr Leute und laßt Euch sagen, die Glocke hat zehn geschlagen.“ Und er läßt seine Knarre schnarren.“
„Nehmt das Feuer fort,“ sagte Katheline, „der Kopf brennt. Komm wieder, Hanske, mein Buhle.“
Und Nele blickte Katheline an, und sie bat Unsere heilige Jungfrau, das Feuer des Wahnsinns von ihrem Haupte zu nehmen. Und sie weinte über sie.
In Bellem, an den Ufern des Brügger Kanals, begegneten Ulenspiegel und Lamm einem Reiter, der drei Hahnenfedern auf seinem Filzhut trug und in gestrecktem Galopp nach Gent ritt. Ulenspiegel trillerte wie eine Lerche, und der Reiter hielt an und antwortete mit Kreyants Trompetenstoß.
„Bringst Du Zeitung, ungestümer Reiter?“ antwortete Ulenspiegel.
„Hochwichtige Zeitung,“ sagte der Reiter. „Auf des Herrn von Chatillon Rat, der im Lande Frankreich Admiral ist, hat der Freiheitsprinz Befehl erteilt, Kriegsschiffe auszurüsten, ohngeachtet die, so in Emden und Ostfriesland schon bewaffnet sind. Die kühnen Männer, die diese Aufträge erhalten haben, sind Adrian de Berghes, Herr von Dohlhain, sein Bruder, Ludwig von Hennegau, der Baron de Montfaucon, Herr Ludwig van Brederode, Albert van Egmont, des Enthaupteten Sohn und kein Verräter wie sein Bruder, Berthel Enthens von Mentheda, der Friese, Adrian Menningh, Hemubyse, der hitzköpfige und stolze Genter, und Jan Brock.
Der Prinz hat seine ganze Habe, mehr denn fünfzigtausend Gülden, hingegeben.“
„Ich habe fünfhundert für ihn,“ sprach Ulenspiegel.
„Tragt sie bis ans Meer,“ sagte der Reiter. Und er galoppierte von dannen.
„Er gibt seine ganze Habe,“ sagte Ulenspiegel, „wir andern geben nur unsere Haut.“
„Ist das denn nichts,“ sagte Lamm, „und werden wir immer nur von Plünderung und Metzelei reden hören? Die Orange ist zu Boden gefallen.“
„Zu Boden gefallen wie die Eiche; aber aus der Eiche macht man Schiffe für die Freiheit!“
„Zu seinem Nutzen,“ sprach Lamm. „Aber da wir nichts mehr zu befahren haben, laß uns wieder Esel kaufen. Ich marschiere gern sitzend und ohne an den Fußsohlen ein Glockenspiel zu haben.“
„So laß uns Esel kaufen,“ sagte Ulenspiegel. „Diese Tiere sind leicht wieder los zu schlagen.“
Sie gingen zu Markt und erstanden dort zwei schöne Esel mit Zaumzeug.
Da sie Bein hier, Bein da ritten, kamen sie nach Oost-Camp, wo ein großer Wald ist, dessen Saum bis an den Kanal ging. Sie betraten ihn, um Schatten und liebliche Düfte zu finden, und sahen nichts andres, denn lange Waldwege, die in allen Richtungen nach Brügge, Gent, Süd- und Nord-Flandern führten.
Unversehens sprang Ulenspiegel vom Esel.
„Siehst Du dort nichts?“
Lamm sagte: „Ja, ich sehe.“ Und zitternd: „Mein Weib, mein gutes Weib. Das ist sie, mein Sohn. Ha! Ich vermag nicht, zu ihr zu gehen. Sie so wiederzufinden!“
„Worüber klagst Du?“ fragte Ulenspiegel. „So halb nackt ist sie schön, in dem Leibchen von geschlitzten Nesselleinen, welches das blühende Fleisch sehen läßt. Die da ist zu jung, sie ist nicht Deine Frau.“
„Mein Sohn,“ sprach Lamm, „sie ist es, mein Sohn; ich erkenne sie. Trag mich, ich kann nicht mehr gehen. Wer hätte das von ihr gedacht? So ohne Scham, als Zigeunerin gekleidet, zu tanzen! Ja, das ist sie; sieh ihre zierlichen Beine, ihre Arme, nackt bis zur Schulter, ihre runden, bräunlichen Brüste, die halb aus dem Nesselleibchen hervorsehen. Schau, wie sie mit der roten Fahne den großen Hund neckt, der danach springt.“
„Das ist ein Zigeunerhund,“ sprach Ulenspiegel; „die Niederlande bringen dergleichen nicht hervor.“
„Zigeuner ... ich weiß nicht ... Aber sie ist es. Ha! mein Sohn, Ich sehe nicht mehr hin. Sie streift ihre Hosen noch höher, um ihre runden Beine besser sehen zu lassen. Sie lacht, um ihre weißen Zähne zu zeigen, und schallend, um ihre wohlklingende Stimme hören zu lassen. Sie macht ihr Leibchen oben auf und wirft sich zurück. Ach, dieser Hals eines verliebten Schwanes, diese nackten Schultern, diese hellen kecken Augen! Ich laufe zu ihr!“
Und er sprang vom Esel.
Aber Ulenspiegel hielt ihn fest.
„Dies Mägdlein,“ sprach er, „ist nicht Deine Frau. Wir sind bei einem Zigeunerlager. Hüte Dich. Siehst Du den Rauch hinter den Bäumen? Hörst Du das Hundegebell? Halt! Da sind etliche, die uns ansehen und vielleicht bereit sind zu beißen. Wir wollen uns mehr im Dickicht verbergen.“
„Ich verberge mich nicht,“ sagte Lamm. „Diese Frau ist die meine, eine Vlämin wie wir!“
„Blinder Narr,“ sagte Ulenspiegel.
„Blind, nein! Ich sehe wohl, wie sie halb nackend tanzt und lacht und den großen Hund neckt. Sie stellt sich, als sähe sie uns nicht. Aber sie sieht uns, gewißlich. Tyll, Tyll! Jetzt springt der Hund auf sie und wirft sie zu Boden, um die rote Fahne zu bekommen. Und sie fällt und stößt einen Klagelaut aus.“
Und Lamm stürzte hastig hinzu und sprach zu ihr:
„Mein Weib, mein Weib! Wo hast Du Dir weh getan, Liebchen? Warum lachest Du so ausgelassen? Deine Augen sind wild.“
Und er umarmte und liebkoste sie und sprach:
„Das Schönheitsmal, das Du unter der linken Brust hattest! Ich sehe es nicht. Wo ist es? Du bist nicht mein Weib! Großer Gott im Himmel!“
Und sie hörte nicht auf zu lachen.
Plötzlich rief Ulenspiegel:
„Sieh Dich vor, Lamm.“
Und sich umwendend, sah Lamm einen großen Mohren von Zigeuner vor sich stehen, mit hagerem Gesicht und braun wie Pfefferkuchen.
Lamm hob seinen Spieß auf, stellte sich zur Wehr und schrie:
„Zu Hilfe, Ulenspiegel.“
Ulenspiegel war mit seinem guten Degen zur Hand.
Der Zigeuner sagte auf Hochdeutsch zu ihm:
„Gebt mir Geld, einen Reichstaler oder zehn.“
„Sieh“, sprach Ulenspiegel, „das Mägdlein geht laut lachend von dannen und dreht sich immerdar um, damit wir ihr nachfolgen.“
„Gebt mir Geld“, sagte der Mann. „Bezahle deine Liebe. Wir sind arm und wollen Dir nichts antun.“
Lamm gab ihm einen Karolus.
„Welches Gewerbe treibst Du?“
„Alle“, erwiderte der Zigeuner. „Da wir Meister in der Geschicklichkeit sind, vollführen wir wundersame und zauberische Künste. Wir spielen die Schellentrommel und tanzen ungarische Tänze. Und es ist mehr denn einer unter uns, der Käfige macht und Roste, die schönsten Kalbsrippen darauf zu braten. Aber alle Vlämen und Wallonen fürchten und vertreiben uns. Da wir nicht vom Erwerb leben können, leben wir von Raub, das ist, von Gemüsen, Fleisch und Geflügel, so wir dem Bauern nehmen müssen, da er sie uns nicht geben noch verkaufen will.“
Lamm sprach zu ihm:
„Woher kommt das Mägdlein, das so sehr meiner Frau gleicht?“
„Sie ist unseres Häuptlings Tochter,“ sagte der Schwarze.
Dann sprach er leise, wie einer, der sich fürchtet:
„Sie wurde von Gott mit Liebestollheit geschlagen und weiß nichts von weiblicher Scham. Sobald sie einen Mann erblickt, wird sie lustig und toll und lacht unablässig. Sie spricht wenig, und lange hielt man sie für stumm. Nachts hockt sie trübsinnig am Feuer, manchmal weinend und ohne Ursache lachend und auf den Leib deutend, wo sie Schmerzen hat, sagt sie. Um die Mittagsstunde im Sommer nach der Mahlzeit ist ihre Tollheit am wildesten. Alsdann tanzt sie fast nackend in der Umgebung des Lagers. Sie will nur Kleidung aus Tüll und Nesseltuch tragen, und im Winter können wir sie nur mit großer Mühe in einem Mantel von Ziegenfell einhüllen.“
„Aber,“ sprach Lamm, „hat sie nicht irgend einen Freund, der sie hindert, sich dergestalt dem Ersten Besten hinzugeben?“
„Sie hat keinen,“ sagte der Mann, „denn die Reisenden, die sich ihr nähern und ihre irren Augen wahrnehmen, haben mehr Furcht vor ihr als Liebe. Dieser dicke Mann war kühn,“ sagte er, auf Lamm weisend.
„Laß ihn reden, mein Sohn,“ versetzte Ulenspiegel. „Der Stockfisch spricht schlecht vom Walfisch. Welcher von beiden gibt das meiste Oel?“
„Du hast heute Morgen eine scharfe Zunge,“ sprach Lamm.
Aber Ulenspiegel sagte, ohne ihn anzuhören, zum Zigeuner:
„Was tut sie, wenn andere so kühn sind wie mein Freund Lamm?“
Der Zigeuner antwortete traurig:
„Alsdann hat sie Vergnügen und Gewinn. Die sie besitzen, bezahlen ihre Lust, und das Geld dient dazu, sie zu kleiden und auch für die Bedürfnisse der Greise und Frauen.“
„Sie gehorcht also keinem?“ fragte Lamm.
Der Zigeuner erwiderte:
„Lassen wir denen, so Gott heimsucht, ihr Wollen. Er gibt derart seinen Willen kund. Solches ist unser Gesetz.“
Ulenspiegel und Lamm gingen fürbaß. Und der Zigeuner kehrte ernst und stolz in sein Lager zurück. Und das Mägdlein tanzte mit ausgelassenem Lachen in der Lichtung.
Unterwegs nach Brügge sprach Ulenspiegel zu Lamm:
„Wir haben eine große Summe Geldes ausgegeben, um Soldaten anzuwerben, die Büttel zu bestechen, die Zigeunerin zu beschenken und die unzähligen Ölkuchen zu bezahlen, die es Dir gefiel, unaufhörlich zu essen, anstatt ihrer einen zu verkaufen. Und trotz dem Begehren deines Bauches ist es an der Zeit, vernünftiger zu leben. Gib mir Dein Geld, ich werde die gemeinsame Börse aufheben.“
„Tu das,“ sprach Lamm. „Doch laß mich nicht Hungers sterben,“ sagte er, sie ihm reichend, „denn bedenke, groß und gewaltig wie ich bin, bedarf ich einer kräftigen und reichlichen Nahrung. Für Dich, der Du mager und schmächtig bist, ist es gut, von der Hand in den Mund zu leben, zu essen oder nicht zu essen, was Du findest, wie die Planken am Hafen, so von Luft und Wasser leben. Aber ich, den die Luft aushöhlt und der Regen heißhungrig macht, ich brauche andern Schmaus.“
„Du sollst ihn haben, tugendhaften Fastenschmaus. Die bestgefüllten Wänste widerstehen da nicht; sie schrumpfen nach und nach ein und machen den schwersten Mann leicht. Und bald wird man ihn, weidlich entfettet, wie einen Hirsch laufen sehen, meinen zierlichen Lamm.“
„Ach,“ sprach Lamm, „was wird künftig mein mageres Schicksal sein? Mich hungert, mein Sohn, und ich möchte zur Nacht essen.“
Der Abend sank. Sie hielten ihren Einzug in Brügge durch das Genter Tor und zeigten ihre Pässe vor. Nachdem sie für sich selbst einen halben Sou und zwei für ihre Esel hatten bezahlen müssen, gingen sie in die Stadt. Lamm, der Worte Ulenspiegels gedenkend, schien tiefbetrübt.
„Werden wir alsbald zur Nacht essen?“ fragte er.
„Ja,“ antwortete Ulenspiegel.
Sie stiegen in der „Meermin“, der „Seejungfer“ ab, die als Wetterfahne, ganz aus Gold, über dem Giebel der Herberge angebracht ist, führten ihre Esel in den Stall, und Ulenspiegel bestellte für sich und Lamm Nachtessen: Brot, Bier und Käse.
Der Wirt lachte spöttisch, da er diese karge Kost auftrug. Lamm aß mit langen Zähnen und blickte voller Verzweiflung Ulenspiegel zu, der in das zu alte Brot und den zu jungen Käse hineinbiß, als wären es Fettammern gewesen. Und Lamm trank sein Dünnbier ohne Genuß. Ulenspiegel lachte, da er ihn so kläglich sah. Und es war noch jemand, so im Hofe der Herberge lachte und manchmal das Gesicht an den Fensterscheiben zeigte. Ulenspiegel sah, daß es ein Weib war, das sein Gesicht versteckte. In der Meinung, es sei irgend eine boshafte Magd, dachte er nicht mehr daran, und da er Lamm so blaß, traurig und bleich sah, wegen der vereitelten Begierden seines Magens, jammerte ihn sein und er gedachte, für seinen Gefährten einen Eierkuchen mit Blutwürsten, ein Gericht Rindfleisch mit Saubohnen oder irgend eine andere heiße Schüssel zu bestellen, als der Wirt eintrat, seinen Hut lüftete und sprach:
„Wenn die Herren Reisenden ein besser Nachtmahl begehren, so müssen sie sprechen und sagen, was es sein soll.“
Lamm riß die Augen weit auf und den Mund noch weiter und blickte Ulenspiegel mit banger Unruhe an.
Dieser antwortete:
„Wandernde Handwerker sind nicht reich.“
„Es kommt gleich wohl vor,“ sprach der Wirt „daß ihnen nicht ihr ganzer Besitz bekannt ist.“ Und auf Lamm deutend: „Dies gute Vollmondsgesicht ist soviel wert wie zwei andere. Was beliebt den Herrschaften zu speisen und zu trinken? Ein Speck-Eierkuchen, heute frisch gedämpfte Choesels, ein Kapaun, der auf der Zunge zergeht, eine schöne, auf dem Rost gebratene Kalbsrippe mit einer Tunke von vier Gewürzen, Dobbel-knol aus Antwerpen, Dobbel-kuyt aus Brügge und Löwener Wein, nach Art des Burgunders gekeltert? Und ohne Bezahlung.“
„Bringt alles,“ sprach Lamm.
Der Tisch ward alsogleich besetzt, und Ulenspiegel ergötzte sich daran, dem armen Lamm zuzusehen, der sich hungriger denn je auf den Eierkuchen, die Choesels, den Kapaun, den Schinken und die Kalbsrippen stürzte und Dobbel-knol und Dobbel-kuyt und Löwener Wein, auf burgundische Art gekeltert, maßweise in den Schlund goß.
Als er nichts mehr essen konnte, schnob er vor Behagen wie ein Walfisch und ließ seine Blicke über den Tisch schweifen, um zu sehen, ob es nichts mehr zu beißen gäbe. Und er knusperte die Krumen.
Weder Ulenspiegel noch er hatten das hübsche Lärvchen gesehen, das lächelnd durch die Scheibe blickte und im Hofe hin und wieder ging. Nachdem der Wirt Glühwein mit Zimmet und Madeirazucker gebracht hatte, tranken sie weiter. Und sie sangen.
Als die Nachtstunde nahte, fragte der Wirt sie, ob sie ein jeder in ihr großes und schönes Gemach hinaufgehen wollten. Ulenspiegel entgegnete, daß ein kleines für beide genügte. Der Wirt versetzte:
„Das habe ich nicht; Ihr sollt jeder, ohne zu zahlen, ein herrschaftliches Zimmer haben.“
Und fürwahr, er führte sie in reich mit Hausrat und Teppichen versehene Gemächer. In Lamms Gemach stund ein großes Bett. Ulenspiegel, der wacker gezecht hatte und vor Schläfrigkeit umsank, ließ ihn zu Bett gehen und tat flugs desgleichen.
Am andern Tage zur Mittagszeit trat er in Lamms Zimmer und sah ihn schlafen und schnarchen. Neben ihm lag ein zierliches Täschlein voll Geld. Er machte es auf und sah, daß es Goldkarolus und Silberstüver waren.
Er schüttelte Lamm, um ihn aufzuwecken. Dieser kam aus dem Schlaf, rieb sich die Augen und unruhig umherblickend, sagte er:
„Mein Weib, wo ist mein Weib?“
Und auf eine leere Stelle neben sich im Bette deutend, sagte er:
„Da war sie kurz zuvor.“
Dann sprang er aus dem Bett und blickte wieder allenthalben umher, durchwühlte alle Ecken und Winkel der Zimmers, den Alkoven und die Schränke und sagte, mit dem Fuß stampfend:
„Mein Weib, wo ist mein Weib?“
Der Wirt kam bei dem Lärm herauf.
„Taugenichts,“ sprach Lamm und packte ihn an der Kehle, „wo ist mein Weib, was hast Du mit meinem Weibe gemacht?“
„Ungeduldiger Wanderer,“ sprach der Wirt, „Dein Weib? Welches Weib? Du bist allein gekommen. Ich weiß nichts.“
„Ha, er weiß es nicht,“ sprach Lamm. „Er weiß es nicht,“ sprach er und durchstöberte abermals alle Ecken und Winkel des Gemachs.
„Ach! Sie war da, diese Nacht, in meinem Bette wie zur Zeit unserer holden Liebe. Ja. Wo bist Du, Liebchen?“
Und die Börse auf den Boden werfend:
„Nicht Dein Geld brauch ich, sondern Dich, Deinen holden Leib, Dein gutes Herz, o, meine Geliebte! O Himmelsfreuden, Ihr kehrt nicht wieder. Ich hatte mich gewöhnt, Dich nicht mehr zu sehen, ohne Liebe zu leben, mein süßer Schatz. Und nunmehr verlässest Du mich, nachdem Du wieder zu mir gekommen warst. Ach ich will sterben. Ha! mein Weib, wo ist mein Weib?“
Und auf dem Boden, auf den er sich geworfen, weinte er heiße Zähren. Dann riß er plötzlich die Tür auf und begann im Hemde in der ganzen Herberge und auf der Straße umherzulaufen und zu schreien:
„Mein Weib, wo ist mein Weib?“
Aber er kam bald zurück, denn die bösen Buben höhnten ihn und warfen ihn mit Steinen.
Und Ulenspiegel nötigte ihn sich anzukleiden und sprach zu ihm: „Sei nicht untröstlich. Du wirst sie wiedersehen, sintemal Du sie gesehen hast. Sie liebt Dich noch, da sie wieder zu Dir gekommen ist, denn ohne Zweifel war sie es, die das Nachtmahl und die fürnehmen Zimmer bezahlt hat und diesen vollen Säckel auf das Bett gelegt hat. Diese Metallspäne sagen mir, daß dies nicht die Tat einer Ungetreuen ist. Weine nicht mehr, und laß uns zur Verteidigung unseres Vaterlandes weiterziehen.“
„Laß uns noch in Brügge bleiben,“ sprach Lamm, „ich will durch die ganze Stadt laufen und werde sie wiederfinden.“
„Du wirst sie nicht wiederfinden, da sie sich vor Dir versteckt,“ sprach Ulenspiegel.
Lamm stellte den Wirt zur Rede, aber dieser wollte ihm nichts sagen.
Und sie machten sich auf nach Damm.
Während sie so wanderten, sprach Ulenspiegel zu Lamm:
„Warum sagst Du mir nicht, wie Du sie diese Nacht bei Dir fandest und wie sie Dich verließ?“
„Mein Sohn,“ antwortete Lamm, „Du weißt, daß wir dem Fleisch, Bier und Wein alle Ehre angetan hatten und daß ich mit Mühe schnaufte, als wir zu Bett gingen. Ich trug eine Wachskerze wie ein fürnehmer Herr, um mir zu leuchten, und hatte den Leuchter auf eine Truhe gesetzt, um zu schlafen. Die Tür war halb offen geblieben, die Truhe war nahe dabei. Als ich mich auskleidete, blickte ich mein Bett voller Liebe und Sehnsucht nach Schlaf an. Die Wachskerze erlosch mit einem Mal. Ich vernahm etwas wie einen Hauch und ein Geräusch leichter Schritte in meiner Stube, aber maßen meine Schläfrigkeit größer war denn meine Furcht, fiel ich schwer ins Bett. Da ich im Einschlafen war, sprach eine Stimme, ihre Stimme, oh, mein Weib, mein armes Weib! sprach zu mir: „Hast Du gut gespeist, Lamm?“ Und ihre Stimme war mir nahe, desgleichen ihr Antlitz und ihr holder Leib.“
Am selbigen Tage war König Philipp schwermütiger denn sonst, denn er hatte zuviel Zuckergebäck gegessen. Er hatte auf seinem lebendigen Klavizimbal gespielt; das war eine Kiste, die Katzen enthielt, deren Köpfe durch runde Löcher unter den Tasten herauskamen. Jedesmal, wenn der König auf eine Taste schlug, traf diese die Katze mit einem Stachel, und das Tier miaute und jammerte vor Schmerz.
Aber Philipp lachte nicht.
Unablässig forschte er im Geiste, wie er Elisabeth, die große Königin, besiegen und Marie Stuart auf den Thron von England setzen könne. Zu dem Ende hatte er an den bedürftigen und verschuldeten Papst geschrieben; der Papst hatte geantwortet, daß er für dieses Unternehmen gern die heilgen Gefäße aus den Kirchen und die Schätze des Vatikans verkaufen würde.
Aber König Philipp lachte nicht.
Ridolfi, der Buhle der Königin Maria, welcher sie zu befreien, hernach zu heiraten und König von England zu werden hoffte, kam vor König Philipp, um mit ihm den Mord Elisabeths abzukarten. Aber er war ein solcher Schwätzer, wie der König schrieb, daß man von seiner Absicht ganz offen an der Börse von Antwerpen gesprochen hatte. Und der Mord unterblieb.
Und Philipp lachte nicht.
Später schickte der Blutherzog, den Befehlen des Königs zufolge, ein Paar Mörder nach England. Ihr Erfolg war, gehenkt zu werden.
Und Philipp lachte nicht.
Und also machte Gott den Ehrgeiz dieses Vampirs zu nichte, der nichts geringeres wollte, als Maria Stuart ihren Sohn zu rauben und an ihrer Statt mit dem Papst über England zu herrschen. Und der Mörder erboste sich, dies edle Land groß und mächtig zu sehen. Unablässig richtete er seine farblosen Augen dahin und suchte, wie er es verderben möchte, um danach über die Welt zu herrschen, die Reformierten auszurotten, sonderlich die Reichen, und die Güter der Opfer zu erben.
Aber er lachte nicht.
Man brachte ihm Mäuse und Ratten in einem eisernen Kasten, mit hohen Rändern, an einer Seite offen; und er setzte den Boden des Kastens auf ein starkes Feuer und ergötzte sich daran, zu sehen und zu hören, wie die armen Tierlein sprangen, schrieen, ächzten und starben.
Aber er lachte nicht.
Dann ging er bleich und mit zitternden Händen in die Arme der Prinzessin Eboli, um die Glut der Wollust, an der Fackel der Grausamkeit entzündet, zu löschen.
Und er lachte nicht.
Und die Prinzessin Eboli empfing ihn aus Furcht und nicht aus Liebe.
Die Luft war heiß, kein Windhauch kam von dem ruhigen Meer. Die Bäume am Kanal von Damm rauschten kaum, die Grillen blieben in den Wiesen, dieweil die Dienstleute der Kirchen und Abteien auf die Felder kamen, um für die Pfarrer und Äbte den Dreizehnten von der Ernte zu holen. Vom blauen, glühenden und tiefen Himmel sandte die Sonne Glut herab, und die Natur schlief unter ihren Strahlen wie ein schönes, nacktes Mädchen, das unter den Liebkosungen seines Geliebten erschlafft ist. Die Karpfen machten Luftsprünge auf dem Wasser des Kanals, um nach den Fliegen zu schnappen, die wie ein Wasserkessel summten, derweil die Schwalben mit langem Leib und großen Flügeln ihnen ihre Beute streitig machten. Vom Boden stieg ein warmer Dunst auf, der im Licht glänzte und schillerte. Hoch vom Turm verkündete der Glöckner von Damm durch eine gesprungene Glocke, die wie ein Kessel dröhnte, die Mittagsstunde und die Essenszeit für die Bauern, die bei der Heuernte waren. Die Frauen schlossen ihre Hände trichterförmig und riefen ihre Brüder oder Männer mit Namen: „Hans, Pieter, Joos“ und man sah ihre roten Kappen über den Heuhaufen. In der Ferne ragte vor Lamms und Ulenspiegels Augen der Turm der Frauenkirche hoch, viereckig und schwerfällig, und Lamm sprach:
„Da, mein Sohn, sind Deine Schmerzen und Liebesfreuden.“
Aber Ulenspiegel antwortete nicht.
„Bald“, sprach Lamm, „werde ich meine alte Wohnung und vielleicht mein Weib wiedersehen.“
Aber Ulenspiegel antwortete nicht.
„Du Holzpuppe,“ sagte Lamm, „Du steinernes Herz, kann nichts Dich ergreifen, nicht die Nähe der Orte, wo Du Deine Kindheit verbrachtest, noch die teuren Schatten des armen Klas und der armen Soetkin, der beiden Märtyrer? Was! Du bist nicht traurig noch fröhlich; was hat Dir also das Herz ausgedörrt? Sieh mich an, wie bang und unruhig ich bin, und wie ich trotz meines Wanstes hüpfe; sieh mich....“
Lamm schaute Ulenspiegel an und sah sein Haupt gebeugt und das Angesicht fahl; seine Lippen bebten und er weinte stumm.
Und Lamm schwieg.
So wanderten sie, ohne ein Wort zu sprechen, bis nach Damm. Sie zogen durch die Reiherstraße ein und sahen keine Seele wegen der Hitze. Die Hunde lagen vor den Türschwellen mit heraushängender Zunge auf der Seite und gähnten. Lamm und Ulenspiegel schritten bis zum Rathaus, davor Klas war verbrannt worden. Ulenspiegels Lippen zitterten noch mehr, und seine Tränen versiegten. Sie kamen vor Klasens Haus, das ein Kohlenhändler bewohnte. Er trat ein und sprach zu ihm:
„Erkennest Du mich? Ich will mich hier ausruhen.“
Der Kohlenhändler antwortete:
„Ich erkenne Dich, Du bist der Sohn des Geopferten. Geh in diesem Hause, wohin Du willst.“
Ulenspiegel ging in die Küche, dann in Klasens und Soetkins Kammer und weinte dort.
Als er wieder hinuntergestiegen war, sprach der Kohlenhändler zu ihm:
„Hier ist Brot, Käse und Bier. So Du Hunger hast, iß; so Du Durst hast, trinke.“
Ulenspiegel winkte mit der Hand, daß er weder Hunger noch Durst habe.
Dann ging er mit Lamm, der rittlings auf seinem Esel saß, dieweil Ulenspiegel den seinen am Halfter führte.
Sie kamen zu Kathelines Hütte, banden ihre Esel an und traten ein. Es war Essenszeit. Auf dem Tisch standen grüne Bohnen in der Schale, mit großen weißen Bohnen gemischt. Katheline aß. Nele stand neben ihr und wollte just eine Essigtunke, die sie vom Feuer genommen, in Kathelines Napf gießen.
Da Ulenspiegel eintrat, erschrak sie so, daß sie den Topf mitsamt der Tunke in Kathelines Napf warf. Diese begann kopfschüttelnd die Bohnen um den Topf aufzusuchen, schlug sich gegen die Stirn und sagte wie eine Irre:
„Nehmt das Feuer fort! Der Kopf brennt!“
Der Geruch des Essigs machte Lamm hungrig.
Ulenspiegel blieb stehen und blickte Nele an. Er lächelte liebevoll inmitten seiner großen Trübsal.
Und Nele legte ihre Arme um seinen Hals, ohne ihm ein Wort zu sagen. Auch sie schien närrisch; sie weinte und lachte und errötete vor großer, süßer Wonne; sie sagte nur immerfort: „Tyll, Tyll!“ Ulenspiegel betrachtete sie gücklich. Dann ließ sie ihn los, trat ein wenig zurück, schaute ihn freudig an, stürzte ihm wieder entgegen und umhalste ihn stürmisch, und so etliche Male. Er umfaßte sie glückselig und konnte sich nicht von ihr trennen, bis sie auf einen Stuhl sank, matt und wie von Sinnen; und sie sagte ohne Scheu:
„Tyll, Tyll, mein Geliebter, da bist Du wieder!“
Lamm stand an der Tür. Als Nele sich beruhigt hatte, sagte sie, auf ihn deutend:
„Wo hab’ ich diesen dicken Mann gesehen?“
„Das ist mein Freund,“ sagte Ulenspiegel. „Er begleitet mich und sucht seine Frau.“
„Ich erkenne Dich,“ sprach Nele zu Lamm. „Du wohntest in der Reiherstraße. Du suchtest Deine Frau; ich habe sie in Brügge gesehen, allwo sie in aller Frömmigkeit und Andacht lebt. Da ich sie gefragt hatte, warum sie ihren Mann so grausam verlassen habe, antwortete sie mir:
„Solches war der heilige Wille Gottes und das Gebot der heiligen Buße; aber ich kann fürder nicht mit ihm leben.“
Lamm ward bei dieser Rede traurig und blickte die Bohnen mit Essig an. Und die Lerchen stiegen trillernd zum Himmel empor und die erschlaffte Natur ließ sich von der Sonne liebkosen. Und Katheline stach mit ihrem Löffel rund um den Topf nach den weißen Bohnen, den grünen Schoten und der Tunke.
Zur selbigen Zeit ging ein fünfzehnjähriges Mägdlein allein bei hellem Tage durch die Dünen von Heyst nach Knokke. Niemand sorgte sich um sie, denn man wußte, daß die Werwölfe und die bösen, verdammten Seelen nur bei Nacht beißen. In einem Beutel trug sie achtundvierzig Silbersous, die vier Karolusgülden wert waren, welche ihre Mutter, Toria Pieterson, zu Heyst wohnhaft, ihrem Ohm, Jan Rapen zu Knokke, von einem Verkauf her schuldete. Das Mägdlein, Betkin genannt, ging, mit ihren schönsten Kleidern angetan, frohgemut von dannen.
Am Abend besorgte sich ihre Mutter, da sie nicht heim kam. Doch sie gedachte, daß sie bei ihrem Oheim genächtigt hätte, und beruhigte sich.
Am folgenden Tag zogen Fischer, die mit vollen Netzen vom Meere zurückkamen, ihr Boot auf den Strand und luden ihre Fische auf Wagen, um sie wagenweise nach dem Stadtrecht von Heyst zu verganten. Sie stiegen den mit Muscheln besäeten Pfad hinan und fanden auf der Düne ein nacktes ausgeplündertes Mädchen, selbst des Hemdes entblößt; um sie her war Blut. Da sie nahe kamen, sahen sie an ihrem armen, gebrochenen Halse die Spuren langer, spitzer Zähne. Sie lag auf dem Rücken, und ihre Augen waren offen und blickten gen Himmel, und der Mund war gleicherweise offen, als ob sie in Todesangst schreien wollte!
Sie bedeckten des Mägdleins Leichnam mit einem Oberkleid und trugen ihn nach Heyst ins Rathaus. Alsobald versammelten sich die Schöffen und der Wundarzt, welcher erklärte, das diese langen Zähne nicht Wolfszähne wären, wie die Natur sie macht, sondern die eines schlimmen und höllischen Werwolfs, und daß man Gott bitten müsse, das Land Flandern zu erlösen.
Und in der ganzen Grafschaft, sonderlich in Damm, Heyst und Knokke, wurden Fürbitten und Gebete angeordnet. Und das Volk stand wehklagend in den Kirchen.
In der Heyster Kirche, in der des Mägdleins Leiche ausgestellt war, weinten die Männer und Weiber beim Anblick ihres blutigen, zerrissenen Halses. Und die Mutter sagte in der Kirche: „Ich will zum Werwolf gehen und ihn mit den Zähnen töten.“
Und die Frauen trieben sie weinend an, solches zu tun. Und etliche sagten:
„Du wirst nicht wiederkehren.“
Und sie machte sich mit ihrem Mann und ihren beiden wohlbewaffneten Brüdern auf, den Wolf in Strand, Düne und Tal zu suchen, aber sie fanden ihn nicht. Und ihr Mann mußte sie nach Hause bringen, denn sie hatte sich in der nächtlichen Kälte das Fieber geholt. Und sie wachten bei ihr und flickten die Netze für den nächsten Fischzug.
In Erwägung, daß der Werwolf ein Tier ist, so von Blut lebt und nicht die Toten plündert, sagte der Amtmann von Damm, daß ohne Zweifel Diebe, die durch die Dünen streiften, diesem ihres ungerechten Vorteils wegen nachgingen. Darum ließ er durch öffentliches Ausschellen bekannt machen, daß männiglich wohl bewaffnet und mit Knütteln versehen auf alle Bettler und Tagediebe losgehen, sie gefangen nehmen und visitieren solle, ob sie in ihren Taschen Goldkarolus oder das eine und andre Stück von der Kleidung des Opfers hätten. Hernach sollten die rüstigen Bettler und Tagediebe auf des Königs Galeeren gebracht werden, die alten und bresthaften aber solle man laufen lassen. Aber man fand nichts.
Ulenspiegel ging zum Amtmann und sprach:
„Ich will den Werwolf umbringen.“
„Wer gibt Dir Zuversicht?“ fragte der Amtmann.
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ antwortete Ulenspiegel. „Gebt mir Erlaubnis, in der Gemeindeschmiede zu arbeiten.“
„Du magst es tun,“ sprach der Amtmann.
Ulenspiegel sagte keinem aus Damm, weder Mann noch Weib, ein Wort über seinen Anschlag, ging nach der Schmiede und schmiedete dort insgeheim eine schöne und große Falle, um wilde Tiere zu fangen.
Am folgenden Samstag, dem Lieblingstage des Werwolfs, machte Ulenspiegel sich auf. Er trug einen Brief des Amtmanns an den Pfarrer von Heyst und die Falle unter seinem Mantel. Im Übrigen war er mit einer guten Armbrust und einem wohlgewetzten Dolchmesser bewehrt und sprach zu Denen von Damm:
„Ich will Möwen jagen und aus ihren Daunen der Frau Amtmännin Kopfkissen machen.“
Auf dem Wege nach Heyst kam er auf den Strand und hörte die hohle See große Wogen mit Donnergebrüll rollen; und der Wind, der von Engelland blies, heulte im Tauwerk der gescheiterten Schiffe. Ein Fischer sprach zu ihm:
„Dieser böse Wind ist unser Schade. Diese Nacht war das Meer still, aber nach Sonnenaufgang hat es sich jählings empört. Wir können nicht zum Fischfang hinaus.“
Ulenspiegel war froh, denn er war solcherart sicher, in der Nacht Hülfe zu finden, wenn es not tat.
In Heyst ging er zum Pfarrer und gab ihm des Amtmanns Brief.
Der Pfarrer sprach zu ihm:
„Du bist kühn, allein wisse, daß keiner am Samstag Abend allein durch die Dünen geht, der nicht gebissen und tot auf dem Sande gelassen wird. Die Deicharbeiter und andere wollen nur in Scharen gehen. Der Abend sinkt. Hörst Du den Werwolf im Tal heulen? Wird er wiederum, wie in der verwichenen Nacht, auf dem Kirchhof die ganze Nacht entsetzlich schreien? Gott sei mit Dir, mein Sohn, aber geh nicht dorthin.“
Und der Pfarrer bekreuzte sich.
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ entgegnete Ulenspiegel.
Der Pfarrer sagte:
„Dieweil Du so tapferen Willen hast, will ich Dir beistehen.“
„Herr Pfarrer,“ sprach Ulenspiegel, „Ihr tätet an mir und dem armen, untröstlichen Lande ein löbliches Werk, wenn Ihr zu Toria, des Mädchens Mutter, und desgleichen zu ihren beiden Brüdern ginget, um ihnen zu sagen, daß der Wolf in der Nähe ist und daß ich ihn erwarten und töten will.“
Der Pfarrer sagte:
„Wenn Du noch nicht weißt, auf welchem Wege Du Dich aufstellen sollst, so halte Dich auf dem, der zum Kirchhof führt. Er ist zwischen zwei Ginsterhecken, nicht breit genug für zwei Männer.“
„Ich werde mich dort aufstellen,“ versetzte Ulenspiegel. „Und Ihr, wackerer Herr Pfarrer, Helfer bei der Befreiung, befehlt und gebietet der Mutter des Mägdleins, ihrem Mann und ihren Brüdern, sich vor der Nachtstunde wohlbewaffnet in der Kirche einzufinden. Wenn sie den Schrei der Möwe hören, so heißt das, daß ich den Werwolf gesehen habe. Sie müssen sogleich die Sturmglocke läuten und mir zu Hülfe kommen. Und wenn noch andere tapfere Männer da sind ...?“
„Es sind keine da, mein Sohn,“ antwortete der Pfarrer. „Die Fischer fürchten den Werwolf mehr als Pest und Tod. Aber geh nicht hin.“
Ulenspiegel erwiderte:
„Die Asche brennt auf meinem Herzen.“
Drauf sprach der Pfarrer:
„Ich werde tun, wie Du begehrst. Sei gesegnet. Hast Du Hunger oder Durst?“
„Beides,“ gab Ulenspiegel zur Antwort.
Der Pfarrer gab ihm Bier, Brot und Käse.
Ulenspiegel trank, aß und machte sich auf den Weg.
Unterwegs, da er die Augen aufhob, sah er seinen Vater Klas in der Herrlichkeit zur Seite Gottes im Himmel, wo der helle Mond schien, und er betrachtete das Meer und die Wolken, und er hörte den Sturmwind von Engelland wehen.
„Wehe,“ sprach er, „Ihr schwarzen, raschen Wolken, Ihr seid wie die Rache auf den Fersen des Mordes. Du grollendes Meer, Du Himmel, der sich schwärzt wie der Höllenschlund, Ihr Wogen mit feurigem Schaum, die Ihr über das düstere Wasser laufet und ungeduldig und zornig zahllose feurige Tiere, Ochsen, Schafe, Pferde und Schlangen schleudert, so sich über die Flut wälzen oder sich emporrecken und Flamenregen speien, pechschwarzes Meer, schwarzumflorter Himmel, flammt mit mir, den Werwolf, den schlimmen Mädchenmörder, zu bekämpfen. Und Du Wind, der Du kläglich im Dünengras und im Takelwerk der Schiffe heulst, Du bist die Stimme der Opfer, die Gott um Rache anrufen, der mir bei diesem Unterfangen beistehen möge.“
Und er stieg in das Tal hinab und schwankte auf seinen Naturstützen, als ob er ein Saufgelage im Kopf und den Magen mit Kohl überladen hätte. Und er sang rülpsend, taumelnd und spuckend, stand still und stellte sich, als ob er sich erbräche. Aber in Wahrheit machte er die Augen auf, um alles um sich her wohl zu betrachten, als er plötzlich ein gellendes Geheul hörte und beim Schein des hellen Mondes die lange Gestalt eines Wolfes gegen den Kirchhof laufen sah.
Wiederum taumelnd, trat er auf den Fußsteig, der zwischen den Ginsterbüschen gebahnt war. Dort tat er, als ob er fiele, und stellte die Falle nach der Seite auf, von wo der Wolf kam, lud seine Armbrust und ging zehn Schritt weiter in der Haltung eines Trunkenen, immerdar taumelnd, rülpsend und würgend. Aber in Wahrheit spannte er seinen Geist wie einen Bogen und hielt Augen und Ohren weit offen.
Und er sah nichts als die Wolkengebilde, die wie toll über den Himmel jagten, und eine breite, dicke, kurze, schwarze Gestalt, die auf ihn zukam. Und er vernahm nichts als das klagende Heulen des Windes, das Donnergrollen des Meeres und das Knirschen der Muscheln des Meeres unter einem schweren, springenden Schritt.
Er tat, als wollte er sich setzen, und fiel schwer wie ein Trunkenbold auf den Weg. Und er spie aus.
Dann hörte er zwei Schritte von seinem Ohr ein Klirren von Eisenwerk, dann das Zuklappen der Falle und den Schrei eines Menschen.
„Der Werwolf hat seine Vorderpfoten in der Falle,“ sprach er. „Er erhebt sich heulend, schüttelt das Eisen und möchte laufen. Aber er wird nicht entkommen.“
Und er schoß ihm mit der Armbrust einen Bolzen in die Beine.
„Jetzt fällt er getroffen zu Boden.“
Und er schrie wie eine Möwe.
Plötzlich läutete die Kirchenglocke Sturm und eine helle Knabenstimme rief im Dorfe:
„Erwacht, Ihr Schläfer, der Werwolf ist gefangen.“
„Lob sei Gott,“ sprach Ulenspiegel.
Toria, Betkins Mutter, Lansaem, ihr Mann, Josse und Michiel, ihre Brüder, kamen zuerst mit Laternen.
„Ist er gefangen?“ fragten sie.
„Schaut auf den Weg,“ antwortete Ulenspiegel.
„Gott sei gelobt!“ sagten sie.
Und sie bekreuzten sich.
„Wer läutet da?“ fragte Ulenspiegel.
Lansaem antwortete:
„Das ist mein Ältester; der Jüngste läuft durch das Dorf, pocht an die Türen und ruft, daß der Wolf gefangen ist. Dir sei Lob und Dank!“
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ entgegnete Ulenspiegel.
Plötzlich redete der Werwolf und sprach:
„Hab Erbarmen mit mir, Erbarmen, Ulenspiegel.“
„Der Wolf spricht,“ sagten sie, sich alle bekreuzend. „Er ist ein Teufel und kennt schon Ulenspiegels Namen.“
„Hab Erbarmen, Erbarmen,“ sagte die Stimme. „Heiße die Glocke schweigen; sie läutet für die Toten. Erbarmen, ich bin kein Wolf. Meine Handgelenke sind von der Falle durchbohrt; ich bin alt und blute, Erbarmen! Was ist das für eine helle Kinderstimme, die das Dorf aufweckt? Erbarmen!“
„Dich hört ich schon früher sprechen“, sagte Ulenspiegel ungestüm. „Du bist der Fischhändler, Klasens Mörder, der Vampir der armen Mägdlein. Gevatter und Gevatterinnen, habet keine Furcht. Es ist der Älteste, der nämliche, durch den Soetkin vor Kummer starb.“
Und mit der einen Hand hielt er ihn am Hals unterm Kinn, mit der andern zog er sein Dolchmesser.
Aber Toria, Betkins Mutter, hielt ihn zurück.
„Fangt ihn lebendig,“ schrie sie.
Und sie riß ihm seine weißen Haare in Büscheln aus und zerfleischte sein Gesicht mit ihren Nägeln.
Und sie heulte vor grimmer Wut.
Mit den Händen in der Falle, sprang der Werwolf vor heftigem Schmerz auf dem Wege herum.
„Erbarmen,“ sprach er, „Erbarmen, bringt dies Weib fort. Ich werde zwei Karolus geben. Zerbrecht die Glocken! Wo sind die schreienden Kinder?“
„Lasset ihn am Leben!“ schrie Toria, „damit er büßt! Die Sterbeglocken, die Sterbeglocken für Dich, Mörder. Bei langsamen Feuer mit glühenden Zangen! Laßt ihn leben, damit er büßt!“
Inzwischen hatte Toria ein Waffeleisen mit langen Armen vom Weg aufgehoben. Sie betrachtete es beim Fackelschein und sah innen auf den beiden Eisenplatten tief eingegrabene Rauten nach Brabanter Art; des Weiteren war es wie ein eiserner Rachen mit langen, spitzen Zähnen versehen. Wenn sie es öffnete, war es wie der Rachen ein Windspiels.
Da Toria das Waffeleisen hielt, es auf und zu klappte und das Metall klirren ließ, schien sie von männlicher Raserei betört. Sie knirschte mit den Zähnen, röchelte wie eine Sterbende und ächzte, gepeinigt von glühendem Rachedurst. Sie quetschte den Gefangenen mit dem Gerät an den Armen, Beinen und überall, in Sonderheit aber am Halse, und allemal, wenn sie ihn quetschte, sagte sie:
„So tat er mit den eisernen Zähnen bei Betkin. Er büßt. Blutest Du, Mörder? Gott ist gerecht. Die Sterbeglocken! Betkin ruft mich zur Rache. Fühlst Du die Zähne, das ist Gottes Rachen!“
Und ohne Unterbrechung noch Erbarmen quetschte sie ihn und schlug ihn mit dem Waffeleisen, wenn sie nicht quetschen konnte. Und ihrer großen Ungeduld halber tötete sie ihn nicht.
„Übt Barmherzigkeit“, schrie der Gefangene. „Ulenspiegel, erstich mich mit dem Messer, dann sterb’ ich schneller. Nehmt dies Weib fort. Zerbrich die Totenglocken, töte die schreienden Kinder.“
Und Toria zerhackte ihn immerfort, bis ein alter Mann, der Mitleid hatte, ihr das Waffeleisen aus den Händen nahm.
Da spie Toria den Werwolf ins Gesicht, riß ihm die Haare aus und sagte dabei: „Bei langsamem Feuer und glühenden Zangen wirst Du büßen! Meine Nägel an Deine Augen!“
Auf das Gerücht hin, daß der Werwolf ein Mensch und kein Teufel sei, waren derweil alle Fischer, Bauern und Weiber von Heyst herbeigekommen. Etliche trugen Laternen und brennende Fackeln. Und alle schrieen:
„Mörderischer Dieb, wo verbirgst Du das Gold, das Du den armen Opfern stahlest? Er soll alles herausgeben.“
„Ich habe keins; habt Erbarmen,“ sagte der Fischhändler.
Und die Weiber warfen ihn mit Steinen und Sand.
„Er büßt, er büßt!“ schrie Toria.
„Erbarmen“, ächzte er. „Mein Blut fließt und durchnäßt mich. Erbarmen!“
„Dein Blut,“ sprach Toria. „Dir wird noch genug verbleiben, um zu büßen. Legt Balsam auf seine Wunden. Mit abgehauener Hand, bei langsamen Feuer und glühenden Zangen soll er büßen, büßen!“ Und sie wollte ihn schlagen.
Dann fiel sie bewußtlos, wie tot, auf den Sand; und man ließ sie liegen, bis sie wieder zu sich kam.
Indessen hatte Ulenspiegel die Hände des Gefangenen aus der Falle losgemacht und sah, daß an der rechten Hand drei Finger fehlten.
Und er befahl, ihn festzubinden und in einen Fischerkorb zu legen. Männer, Weiber und Kinder trugen abwechselnd den Korb. So zogen sie nach Damm, um dort Gerechtigkeit zu fordern. Und sie trugen Fackeln und Laternen.
Und der Fischhändler sagte unaufhörlich: „Zerschlagt die Glocken, tötet die schreienden Kinder!“
Und Toria sagte: „Er soll büßen, bei langsamen Feuer und glühenden Zangen soll er büßen.“
Dann waren alle beide still. Und Ulenspiegel hörte nichts mehr als Torias stoßweises Atmen, den schweren Tritt der Männer auf dem Sand und das Meer, das wie Donner grollte.
Und Trauer im Herzen, betrachtete er die Wetterwolken, die wie toll über den Himmel jagten, die See, auf der man feurige Schafe erblickte, und beim Schimmer der Fackeln und Laternen das fahle Gesicht des Fischhändlers, der ihn mit grausamen Augen ansah.
Und die Asche brannte auf seinem Herzen.
Und vier Stunden lang marschierten sie bis Damm, allwo das Volk in Menge versammelt war, denn man hatte schon Kunde erhalten. Alle wollten den Fischhändler sehen, und schreiend, singend und tanzend, folgten sie der Fischerschar und sagten:
„Der Werwolf ist gefangen, er ist gefangen, der Mörder! Gesegnet sei Ulenspiegel. Lang lebe unser Bruder Ulenspiegel!“
Und es war wie ein Volksaufstand.
Da sie vor des Amtmanns Haus kamen, trat dieser heraus und sagte zu Ulenspiegel:
„Du bist der Sieger. Dir sei Lob und Dank!“
„Klasens Asche brannte auf meinem Herzen,“ entgegnete Ulenspiegel.
Darauf sprach der Amtmann:
„Du sollst die halbe Erbschaft des Mörders haben.“
„Gebet den Opfern,“ erwiderte Ulenspiegel.
Lamm und Nele kamen. Nele lachte und weinte vor Freude und küßte ihren Freund Ulenspiegel. Lamm sprang schwerfällig in die Luft, klopfte ihm auf den Bauch und sagte:
„Dieser ist tapfer, treu und rechtschaffen. Er ist mein lieber Geselle; Ihr habt nicht seines Gleichen, Ihr Leute vom platten Lande.“
Aber die Fischer lachten und spotteten seiner.
Die Sturmglocke läutete am nächsten Tage, um Amtmann, Schöffen und Gerichtsschreiber zur „Vierschare“ zu rufen: zum Gericht auf den vier Rasenbänken unter dem Gerichtsbaum, welcher eine schöne Linde war. Ringsum stund das gemeine Volk. Der Fischhändler wollte im Verhör nichts bekennen, selbst nicht, als man ihm die drei Finger vorwies, die der Soldat abgeschnitten hatte und die an seiner rechten Hand fehlten. Er sagte immerdar:
„Ich bin arm und alt, übt Barmherzigkeit.“
Doch das gemeine Volk höhnte ihn und sprach:
„Du bist ein alter Wolf, ein Kinderschlächter; habt kein Mitleid, Ihr Herren Richter.“
Die Weiber sagten:
„Sieh uns nicht mit Deinen kalten Augen an, Du bist ein Mensch und kein Teufel. Wir fürchten Dich nicht. Grausame Bestie, feiger als eine Katze, die die Vöglein im Neste verspeist, Du tötest die armen Mägdlein, die ihr zartes Leben in Ehrbarkeit zu leben begehrten.“
„Bei langsamem Feuer und glühenden Zangen soll er büßen“, schrie Toria.
Und den Gemeindebütteln zum Trotz hetzten die Mütter die Buben auf, den Fischhändler mit Steinen zu werfen. Und sie taten es gern, höhnten ihn jedesmal, wenn er sie ansah, und schrieen immerfort: „Blutsauger, schlagt ihn tot!“
Und Toria schrie ohne Unterlaß:
„Bei langsamem Feuer und glühenden Zangen soll er büßen!“
Und das Volk murrte.
„Sehet,“ sprachen die Weiber untereinander „wie es ihn friert in der hellen Sonne, die am Himmel leuchtet und bescheint seine weißen Haare und sein Gesicht, das Toria zerfleischt hat.“
„Und er zittert vor Schmerz.“
„Das ist Gottes Gericht.“
„Er steht mit kläglicher Miene da.“
„Seht seine Mörderhände! Sie sind ihm vorn zusammengebunden und bluten von den Wunden der Falle.“
„Er soll büßen, büßen!“ schrie Toria.
Er sagte jammernd: „Ich bin arm, laßt mich frei!“
Und jeder, selbst die Richter, lachten ihn aus, als sie das hörten. Er weinte zum Schein, um Mitleid zu erregen. Und die Frauen lachten.
In Anbetracht hinlänglicher Beweise ward er verurteilt, auf die Folter gespannt zu werden, bis er bekannt hätte, wie er zu töten pflegte, woher er gekommen, wo das den Opfern geraubte Gut sei und wo er sein Gold versteckt hätte.
Da er in der Marterkammer war, mit zu engen Stiefeln aus neuem Leder angetan, und der Amtmann ihn fragte, wie Satan ihm so schwarze Anschläge und so schändliche Verbrechen eingegeben habe, antwortete er:
„Ich selbst bin Satan, mein natürlich Wesen. Von häßlichem Aussehen und zu allen körperlichen Übungen ungeschickt, ward ich schon als ein kleines Kind von jedermann für einen Tropf gehalten und oftmals geschlagen. Nicht Knabe noch Mägdlein hatte Mitleid mit mir. In meiner Jugend wollte mich keine, selbst nicht für Geld. Da faßte ich kalten Haß gegen alle vom Weibe geborne Kreatur. Darum zeigte ich Klas an, den jedermann liebte. Und ich liebte einzig das Geld, das war meine weiße oder goldene Geliebte; ich fand Nutzen und Vergnügen daran, Klas in den Tod zu treiben. Hernach mußte ich noch mehr als zuvor gleich einem Wolf leben, und ich träumte vom Beißen. Als ich durch Brabant kam, sah ich dort die Waffeleisen dieses Landes und dachte, daß ihrer eins mir ein guter eiserner Rachen sein würde. Hielte ich Euch doch am Kragen, Ihr bösen Tiger, die Ihr Euch an den Qualen eines Greises ergötzt! Ich würde Euch mit größerer Lust beißen als den Soldaten und das Mägdlein. Denn da ich es in seinem Liebreiz auf dem Sande in der Sonne schlafen sah, das Säcklein mit Geld in den Händen haltend, war Liebe und Mitleid in mir. Aber da ich mich zu alt fühlte und sie nicht besitzen konnte, biß ich sie ...“
Auf des Amtmanns Frage, wo er wohne, antwortete der Gefangene:
„In Ramskapelle, von wo ich nach Blankenberghe, Heyst, ja selbst nach Knokke gehe. An den Sonn- und Kirmestagen mache ich in allen Dörfern Waffeln nach Brabanter Art, mit diesem Gerät hier. Und es ist immer sauber und wohl eingefettet. Und diese ausländische Neuheit ward gut aufgenommen. So es Euch gefällt, noch mehr davon zu erfahren, und wie es zuging, daß niemand mich erkennen konnte, so will ich Euch sagen, daß ich mir tags das Gesicht schminkte und meine Haare rot färbte. Was das Wolfsfell anlangt, auf das Ihr mit Eurem grausamen Finger weiset, dieweil Ihr mich verhört, so will ich Euch zum Trotze sagen, daß es von zwei Wölfen stammt, die ich in den Forsten von Raveschoot und Maldeghen geschossen habe. Ich brauchte nur die Häute zusammenzunähen, um mich damit zu bedecken. Ich verbarg sie in meiner Kiste in den Heyster Dünen. Da sind auch die Kleidungsstücke, die ich gestohlen, um sie später bei guter Gelegenheit zu verkaufen.“
„Nehmt ihn vom Feuer fort,“ sagte der Amtmann.
Der Henker gehorchte.
„Wo ist dein Gold?“ fragte wiederum der Amtmann.
„Der König wird es nicht erfahren,“ antwortete der Fischhändler.
„Versengt ihn stärker mit den brennenden Lichten. Bringt ihn näher ans Feuer,“ sagte der Amtmann.
Der Henker gehorchte, und der Gefangene schrie:
„Ich will nichts sagen. Ich habe schon zu viel geredet: Ihr werdet mich verbrennen. Ich bin kein Zauberer, warum setzt Ihr mich wieder ans Feuer? Meine Füße bluten vom vielen Brennen. Ich werde nichts sagen. Warum noch näher? Sie bluten, sag ich Euch, sie bluten. Diese Stiefel sind Schienen von glühendem Eisen. Mein Gold? Wohlan, mein einziger Freund in dieser Welt, es ist ... bringt mich vom Feuer fort; es ist in meinem Keller in Ramskapelle in einem Kasten ... lasset es mir. Gnade und Erbarmen, Ihr Herren Richter! Verfluchter Henker, nimm die Lichte fort ... Er brennt mich stärker ... Es ist in einem Kasten mit doppeltem Boden, in Wolle eingewickelt, damit man kein Geräusch hört, wenn der Kasten geschüttelt wird. Nun habe ich alles gesagt; nehmt mich fort.“
Da er vom Feuer fortgenommen war, lächelte er boshaft.
Der Amtmann fragte ihn warum.
„Aus Freude, erlöst zu sein,“ antwortete er.
Der Amtmann sagte zu ihm:
„Hat keiner Dich gebeten, Dein gezahntes Waffeleisen zu zeigen?“
Der Fischhändler antwortete:
„Man sah, daß es gleich allen andern war, nur daß es Löcher hat, in die ich die Eisenzähne einschraubte. Bei Tagesanbruch nahm ich sie heraus. Die Bauern ziehen meine Waffeln denen andrer Händler vor und heißen sie: Waefels met brabandsche Knopen, Waffeln mit Brabanter Knöpfen, weil die leeren Löcher, wenn die Zähne herausgenommen sind, kleine Halbkugeln wie Knöpfe bilden.“
Aber der Amtmann darauf:
„Wann packtest Du die armen Opfer?“
„Bei Tag und Nacht. Bei Tage streifte ich durch die Dünen und auf den Landstraßen und stand mit meinem Waffeleisen auf der Lauer, sonderlich des Samstags, dem Tag des großen Brügger Markts. Sah ich irgend einen Bauer trübsinnig daherschlendern, so ließ ich ihn gehen, denn ich vermeinte, daß er wohl an Schwindsucht des Geldbeutels leide. Aber ich ging Dem zur Seite, den ich lustig wandern sah, und wenn er des nicht gewärtig war, biß ich ihn in den Hals und nahm seinen Säckel. Und nicht allein in den Dünen, sondern auf allen Stegen und Wegen des platten Landes.“
Darauf sprach der Amtmann:
„Bereue und bete zu Gott.“
Aber der Fischhändler lästerte:
„Der Herrgott hat mich so gewollt, wie ich bin. Ich tat alles wider Willen, durch den Zwang der Natur getrieben. Ihr bösen Tiger, Ihr bestraft mich ungerecht. Aber verbrennt mich nicht ... Ich tat alles wider Willen. Habt Erbarmen, ich bin arm und alt; ich werde an meinen Wunden sterben, verbrennt mich nicht.“ Nunmehr ward er zur „Vierschare“ unter die Linde gebracht, um dort vor versammeltem Volk sein Urteil zu vernehmen.
Als abscheulicher Mörder, Dieb und Gotteslästerer ward er verurteilt, daß ihm die Zunge mit glühendem Eisen durchbohrt, die rechte Hand abgeschnitten, und er bei langsamem Feuer lebendig verbrannt werden sollte, bis der Tod einträte, und dies vor den Gitterfenstern des Rathauses.
Und Toria schrie:
„Das ist Gerechtigkeit! Er büßt!“
Und das Volk rief:
„Lang leven de Heeren van de wet, langes Leben den Herren Richtern!“
Er ward ins Gefängnis zurückgebracht, wo man ihm Fleisch und Wein gab. Und er wurde guter Dinge und sagte, daß er dergleichen bis zur Stunde nie gegessen noch getrunken habe; aber der König, der sein Vermögen erbe, könnte ihm wohl diese letzte Mahlzeit bezahlen.
Und er lachte bitter.
Am nächsten Tage bei Morgengrauen, da man ihn zur Richtstatt führte, sah er Ulenspiegel neben dem Scheiterhaufen stehen und rief, mit dem Finger auf ihn deutend:
„Jener dort, der Greisenmörder, muß gleichfalls sterben. Vor zehn Jahren warf er mich in den Brügger Kanal, weil ich seinen Vater verklagt hatte. Hierin diente ich Seiner Katholischen Majestät als getreuer Untertan.“
Das Armesünderglöcklein der Frauenkirche läutete.
„Auch für Dich läutet die Glocke,“ sagte er zu Ulenspiegel. „Du wirst gehenkt werden, denn Du hast getötet.“
„Der Fischhändler lügt,“ schrien alle, so dem gemeinen Volk angehörten; „er lügt, der mörderische Henker.“
Wie eine Verrückte warf Toria ihn mit einem Stein, der ihn an der Stirn verletzte, und schrie:
„Wenn er Dich ersäuft hätte, so hättest Du nicht gelebt, um als ein blutsaugender Vampir mein armes Töchterlein zu beißen.“
Ulenspiegel blieb stumm; Lamm sagte:
„Hat einer ihn den Fischhändler ins Wasser werfen sehen?“
Ulenspiegel gab keine Antwort.
„Nein, nein,“ schrie das Volk, „er hat gelogen, der Henker!“
„Nein, ich habe nicht gelogen,“ schrie der Fischhändler; „er warf mich hinein, dieweil ich ihn anflehte, mir zu vergeben. Doch ich hielt mich an einem am Ufer verankerten Kahn fest und rettete mich. Durchnäßt und fröstelnd, erreichte ich mit Mühe meine armselige Behausung. Dort bekam ich das Fieber, keiner pflegte mich, und ich vermeinte zu sterben.“
„Du lügst,“ sagte Lamm, „keiner hat es gesehen.“
„Nein, keiner hat es gesehen!“ schrie Toria. „Ins Feuer mit dem Henker. Vorm Sterben muß er noch ein unschuldiges Opfer haben; ins Feuer, auf daß er büße! Er hat gelogen. Wenn Du es getan hast, gestehe nichts, Ulenspiegel. Er hat keine Zeugen. Bei langsamem Feuer und glühenden Zangen soll er büßen.“
„Hast Du den Mord begangen?“ fragte der Amtmann Ulenspiegel.
Ulenspiegel antwortete:
„Ich habe Klasens mörderischen Ankläger ins Wasser geworfen. Meines Vaters Asche brannte auf meinem Herzen.“
„Er gesteht,“ sagte der Fischhändler, „er wird auch sterben. Wo ist der Galgen, daß ich ihn sehe? Wo ist der Henker mit dem Schwert der Gerechtigkeit? Das Armesünderglöcklein läutet für Dich, Taugenichts, Greisenmörder.“
Ulenspiegel sagte:
„Ich habe Dich ins Wasser geworfen, um Dich umzubringen. Die Asche brannte auf meinem Herzen.“
Und die Weiber im Volk sagten:
„Warum gestehst Du’s, Ulenspiegel? Niemand hat es gesehen; jetzt mußt Du sterben.“
Und der Gefangene lachte und sprang vor boshafter Freude und schwenkte seine gefesselten, mit blutigen Binden bedeckten Arme.
„Er wird sterben,“ sagte er, „und von der Erde zur Hölle fahren als Lump, Dieb und Taugenichts, mit dem Strick um den Hals wird er sterben; Gott ist gerecht.“
„Er wird nicht sterben,“ sagte der Amtmann. „Nach zehn Jahren ist der Mord auf flandrischem Boden verjährt. Ulenspiegel hat eine schlechte Tat begangen, aber aus kindlicher Liebe. Ulenspiegel wird über diesen Fall nicht verhört werden.“
„Es lebe das Gesetz,“ rief das Volk.
Die Sterbeglocken der Frauenkirche läuteten. Und der Gefangene knirschte mit den Zähnen, senkte den Kopf und weinte seine erste Träne.
Die Hand wurde ihm abgehackt und die Zunge mit glühenden Eisen durchbohrt, und er ward bei langsamem Feuer vor den Gitterfenstern des Rathauses verbrannt.
Im Verscheiden rief er:
„Der König wird mein Gold nicht bekommen; ich habe gelogen ... Ihr grausamen Tiger, ich werde wiederkommen und Euch beißen.“
Und Toria schrie:
„Er büßt, er büßt! Die Arme und Beine, die zum Mord eilten, krümmen sich. Der Körper des Schlächters raucht. Sein weißes Hyänenhaar brennt auf seiner bleichen Fratze. Er büßt! Er büßt!“
Und mit wölfischem Geheul starb der Fischhändler.
Und die Totenglocken der Frauenkirche läuteten.
Und Lamm und Ulenspiegel bestiegen wieder ihre Esel.
Nele blieb betrübten Herzens bei Katheline, die ohne Unterlaß sagte:
„Nehmt das Feuer fort! Mein Kopf brennt, Hanske, mein Buhle, komm wieder!“
Von den Dünen von Heyst aus sahen Ulenspiegel und Lamm viele Fischerboote von Ostende, Blankenberghe und Knokke kommen, die voll Bewaffneter waren und den Geusen von Zeeland folgten, welche am Hut den silbernen Halbmond mit der Inschrift tragen: „Lieber dem Türken denn dem Papst dienen.“
Ulenspiegel ist frohgemut und trillert wie eine Lerche; von allen Seiten antwortet der kriegerische Trompetenton des Hahnes.
Die Bootsleute rudern oder fischen und verkaufen ihre Fische, und ein Boot nach dem andern legt in Emden an. Dort weilt Guillaume de Bois, welcher im Auftrage des Prinzen von Oranien ein Schiff ausrüstet.
Ulenspiegel und Lamm kommen nach Emden, dieweil die Geusenschiffe auf Très-Long’s Befehl wieder das offene Meer gewinnen.
Très-Long, der seit elf Wochen in Emden lag, ward von Ungeduld verzehrt. Er ging vom Schiff an Land und vom Land aufs Schiff, gleich einem Bären an der Kette.
Ulenspiegel und Lamm spazieren am Hafendamm umher und erblicken allda einen fürnehmen Herrn mit biedrem Gesicht, der ein wenig Trübsal bläst und geschäftig ist, mit einem Spieß einen Pflasterstein des Hafendammes herauszubohren. Es gelang nicht, aber er versuchte dennoch, das Unternehmen zu gutem Ende zu führen, dieweil hinter ihm ein Hund einen Knochen benagte.
Ulenspiegel nähert sich dem Hund und tut, als wolle er ihm den Knochen rauben. Der Hund knurrt. Ulenspiegel läßt nicht nach und der Hund vollführt ein heftiges Gebell.
Der Herr dreht sich bei dem Lärm um und spricht zu Ulenspiegel:
„Was hast Du davon, dieses Tier zu quälen?“
„Was habt Ihr davon, Herr, dieses Pflaster zu quälen?“
„Das ist nicht das gleiche,“ sagt der Herr.
„Der Unterschied ist nicht groß,“ entgegnet Ulenspiegel. „Dieser Hund hält an seinem Knochen fest und will ihn behalten; dieser Pflasterstein hält an seinem Damm fest und will dort bleiben, und es ist das Mindeste, daß unsereins sich mit einem Hund abgibt, wenn Leute wie Ihr sich mit einem Pflasterstein beschäftigen.“
Lamm stand hinter Ulenspiegel und wagte nicht zu reden.
„Wer bist Du?“ fragte der Herr.
„Ich bin Tyll Ulenspiegel, des Klas Sohn, der für den Glauben in den Flammen starb.“
Und er sang wie eine Lerche, und der Herr krähte wie ein Hahn.
„Ich bin der Admiral Très-Long,“ sprach er; „was willst Du von mir?“
Ulenspiegel erzählte ihm seine Abenteuer und gab ihm fünfhundert Karolus.
„Wer ist dieser Dicke?“ fragte Très-Long und deutete mit dem Finger auf Lamm.
„Mein Geselle und Freund,“ antwortete Ulenspiegel. „Er will gleich mir seine Büchse, die eine gar liebliche Stimme hat, auf Deinem Schiffe das Lied von der Befreiung des Vaterlandes singen lassen.“
„Ihr seid beide wackre Leute,“ sagte Très-Long, „und sollt auf meinem Schiffe hinaus fahren.“
Es war im Februar: scharf war der Wind, stark der Frost. Nach drei Wochen verdrießlichen Wartens verläßt Très-Long Emden wider Willen. Mit der Absicht, in den Hafen Texel einzulaufen, segelt er von Vlinland ab, ist aber gezwungen, Wieringen anzulaufen, wo sein Schiff vom Eis eingeschlossen wird.
Bald gab es ringsum ein lustiges Schauspiel: Schlitten und Schlittschuhläufer, in Sammet gekleidet, Schlittschuhläuferinnen, in Jacken und Röcken, so mit Gold, Perlen und scharlachroter und himmelblauer Seide bestickt waren: Knaben und Mägdlein kamen und gingen, glitschten, lachten, liefen in langer Reihe hintereinander, oder paarweise und sangen das Lied der Liebe auf dem Eise. Oder sie gingen in die mit Fahnen geschmückten Buden und aßen und tranken Branntwein, Orangen, Feigen, Pfefferkuchen, Schollen, Eier, warme Gemüse und Schmalzkuchen oder Eetekoeken, das sind Krapfen, und Gemüse in Essig, dieweil ringsum Schlitten und Segelschlitten mit ihren Schnäbeln knirschend über das Eis hinfuhren.
Lamm suchte seine Frau und lief auf Schlittschuhen umher wie die lustigen Männlein und Weiblein; aber er fiel oftmals hin. Inzwischen ging Ulenspiegel in eine kleine Herberge am Hafen, um Speise und Trank zu sich zu nehmen; dort brauchte er seine Portion nicht teuer zu bezahlen, und er schwatzte gern mit der alten Wirtin.
Eines Sonntags gegen neun Uhr kehrte er dort ein und begehrte sein Mittagessen.
„Ei,“ sagte er zu einem artigen Frauenzimmer, das herbeikam, um ihn zu bedienen, „was hast Du mit Deinen früheren Runzeln gemacht? Dein Mund hat all seine weißen, jungen Zähne und Deine Lippen sind rot wie Kirschen. Ist dies sanfte, schalkhafte Lächeln für mich?“
„Nicht doch,“ sprach sie; „aber was soll ich dir geben?“
„Dich,“ sagte er.
Die Frau versetzte:
„Das wäre für einen mageren Hering, wie Du bist, zuviel. Willst Du kein anderes Fleisch?“
Ulenspiegel schwieg.
„Was hast Du mit dem schönen, wohlgestalteten und behäbigen Mann angefangen, den ich oftmals in Deiner Gesellschaft sah?“ fragte sie.
„Lamm?“ sagte er.
„Was hast Du mit ihm gemacht?“ fragte sie.
„Er ißt in den Buden harte Eier, geräucherte Aale, gepökelte Fische, saures Gemüse und alles, was er zwischen die Zähne bekommen kann, und das alles, um seine Frau zu suchen. Warum bist Du nicht mein, Schätzchen? Willst Du fünfzig Gülden? Willst Du ein güldnes Halsband?“
Doch sie bekreuzte sich:
„Ich bin weder zu kaufen noch zu haben,“ sprach sie.
„Liebst Du nichts?“ fragte er.
„Ich liebe Dich als meinen Nächsten; aber vor allem liebe ich den Herrn Christum und die heilige Jungfrau, die mir gebieten, ein züchtig Leben zu führen. Hart und beschwerlich sind unsere Pflichten, aber Gott hilft uns armen Frauen. Doch es sind ihrer etliche, die unterliegen. Ist Dein dicker Freund fröhlich?“
Ulenspiegel antwortete:
„Beim Essen ist er lustig, mit nüchternem Magen traurig und immerdar nachdenklich. Aber Du, bist Du fröhlich oder betrübt?“
„Wir Frauen,“ sprach sie, „sind Sklavinnen dessen, der uns beherrscht!“
„Der Mond,“ fragte er.
„Ja,“ sprach sie.
„Ich werde Lamm sagen, daß er dich besucht.“
„Tu das nicht,“ sagte sie; „er würde weinen und ich desgleichen.“
„Hast Du jemals seine Frau gesehen?“ fragte Ulenspiegel.
Seufzend antwortete sie:
„Sie sündigte mit ihm und ward zu einer grausamen Buße verdammt. Sie weiß, daß er für den Sieg des Ketzertums aufs Meer geht, das ist hart zu denken für ein christliches Herz. Verteidige ihn, wenn er angegriffen wird, pflege ihn, wenn er verwundet wird; seine Frau trug mir auf, diese Bitte an Dich auszurichten.“
„Lamm ist mein Freund und Bruder,“ antwortete Ulenspiegel.
„Ach,“ sprach sie, „warum kehret Ihr nicht in den Schoß unsrer heiligen Mutter Kirche zurück!“
„Sie frißt ihre Kinder,“ antwortete Ulenspiegel.
Und er ging.
An einem Märzmorgen, als ein scharfer Wind blies und wehte und das Eis immer dicker machte, also daß Très-Longs Schiff nicht absegeln konnte, trieben die Matrosen und Soldaten des Schiffes in Schlitten und auf Schlittschuhen allerhand Kurzweil und Lustbarkeiten.
Ulenspiegel war in der Herberge, und die hübsche Frau sprach tiefbetrübt und wie von Sinnen zu ihm:
„Armer Lamm! Armer Ulenspiegel!“
„Warum jammerst Du?“ fragte er.
„Wehe, wehe!“ sagte sie, „warum glaubt Ihr nicht an die Messe? Ihr würdet gewißlich ins Paradies eingehen, und ich könnte Euch in diesem Leben retten.“
Da Ulenspiegel sie an die Tür gehen und aufmerksam horchen sah, sagte er: „Du horchst nicht nach dem fallenden Schnee?“
„Nein,“ sagte sie.
„Du leihst nicht dem seufzenden Winde das Ohr?“
„Nein,“ sagte sie wiederum.
„Noch dem frohem Lärm, den unsere wackeren Matrosen in der Schenke hier nebenan machen?“
„Der Tod kommt wie ein Dieb,“ sprach sie.
„Der Tod!“ sagte Ulenspiegel. „Ich verstehe dich nicht. Komm hierher und rede.“
„Sie sind da,“ sprach sie.
„Wer?“
„Wer?“ erwiderte sie. „Die Soldaten von Simonen-Bol, die in des Herzogs Namen über Euch alle herfallen werden. Wenn man Euch hier so gut behandelt, so geht’s Euch wie den Ochsen, die man schlachten will. Ach,“ sagte sie, in Tränen zerfließend, „warum erfahre ich es erst jetzt?“
„Weine und schreie nicht,“ sagte Ulenspiegel, „und bleibe.“
„Verrate mich nicht,“ sagte sie.
Ulenspiegel verließ das Haus, eilte in alle Buden und Schenken und flüsterte den Seeleuten und Soldaten diese Worte ins Ohr: „Der Spanier kommt.“
Alle eilten zum Schiffe, bereiteten in großer Hast alles, was zur Schlacht nötig war, und erwarteten den Feind. Ulenspiegel sagte zu Lamm:
„Siehst Du das hübsche Weib in dem schwarzen, mit Scharlach bestickten Kleid, so am Ufer steht und sein Gesicht unter der weißen Kapuze versteckt?“
„Das ist mir ganz gleich,“ antwortete Lamm. „Mich friert, ich will schlafen.“
Und er wickelte sich den Mantel um seinen Kopf und war also wie ein Tauber.
Da erkannte Ulenspiegel die Frau und rief ihr vom Schiff zu:
„Willst Du uns folgen?“
„Bis ins Grab, aber ich kann nicht ... “
„Du tätest wohl daran,“ sagte Ulenspiegel. „Bedenke indessen: wenn die Nachtigall im Walde bleibt, ist sie glücklich und singt; aber so sie ihn verläßt und ihre schwachen Flügel dem starken Seewind aussetzt, zerbrechen sie, und sie stirbt.“
„Ich habe daheim gesungen und ich würde draußen singen, wenn ich könnte,“ sprach sie. Dann näherte sie sich dem Schiffe. „Nimm diesen Balsam,“ sprach sie, „für Dich und Deinen Freund, der schläft, wenn er wachen sollte.“
Und sie entfernte sich und sagte: „Lamm, Lamm! Gott bewahre Dich vor allem Übel, komm gesund zurück.“
Und sie enthüllte ihr Antlitz.
„Mein Weib, mein Weib!“ schrie Lamm.
Und er wollte aufs Eis springen.
„Dein getreues Weib,“ sagte sie und lief behend von dannen.
Lamm wollte vom Deck aufs Eis springen, aber daran hinderte ihn ein Soldat, der ihn am Mantel festhielt. Er schrie, weinte und flehte, ihn gehen zu lassen.
Aber der Profoß sprach zu ihm:
„So du das Schiff verlässest, wirst Du gehenkt.“
Lamm wollte sich aufs Eis stürzen, aber ein alter Geuse hielt ihn fest und sagte:
„Der Boden ist feucht, Du könntest nasse Füße bekommen.“
Lamm fiel aufs Gesäß, weinte und sprach unaufhörlich:
„Mein Weib, mein Weib, laßt mich zu meinem Weibe gehen!“
„Du wirst sie wiedersehen,“ sprach Ulenspiegel. „Sie liebt Dich, aber sie liebt Gott mehr als Dich.“
„Die tolle Teufelin,“ schrie Lamm. „Wenn sie Gott mehr liebt als ihren Mann, warum zeigt sie sich mir so hübsch und begehrenswert! Und wenn sie mich liebt, warum verläßt sie mich?“
„Kannst Du in tiefe Brunnen sehen?“ fragte Ulenspiegel.
„Wehe,“ sprach Lamm, „ich werde bald sterben.“
Und bleich und betört blieb er auf Deck.
Inzwischen kamen die Leute von Simonen-Bol mit starkem Geschütz.
Sie schossen auf das Schiff, das ihr Feuer erwiderte. Und ihre Kugeln zerbrachen das Eis rings umher. Gegen Abend fiel ein lauer Regen.
Da der Wind aus Westen wehte, ward das Meer unter dem Eise erregt und hob es in ungeheuren Blöcken empor, die sich aufbäumten und wieder zurückfielen, gegen einander prallten und sich übereinander schoben, nicht ohne Gefahr für das Schiff, das, als die Morgenröte die nächtlichen Wolken zerriß, seine linnenen Flügel entfaltete und wie ein Vogel der Freiheit aufs hohe Meer segelte.
Da stießen sie zu der Flotte des Herrn de Lumey de la Marche, Admirals von Holland und Zeeland und Höchstkommandierenden, der als solcher eine Laterne oben am Maste trug.
„Sieh ihn Dir recht an, mein Sohn,“ sagte Ulenspiegel. „Der wird Deiner nicht schonen, wenn Du mit Gewalt das Schiff verlassen willst. Hörst Du seine Stimme wie Donner rollen? Sieh, wie breit und stark er bei seiner hohen Gestalt ist. Schau seine langen Hände mit den gebogenen Nägeln. Sieh seine runden Augen an, kalte Adleraugen, und seinen langen, spitzen Bart, den er wachsen läßt, bis er alle Mönche und Priester gehenkt hat, um den Tod der beiden Grafen zu rächen. Sieh, wie furchtbar und grausam er ist; er wird Dich hoch und kurz aufhenken lassen, wenn Du immerdar fortfährst, zu stöhnen und zu schreien: „Mein Weib!“
„Mein Sohn,“ versetzte Lamm, „der spricht vom Strick für den Nächsten, der selbst schon die hanfene Krause um den Hals hat.“
„Du sollst sie zuerst tragen. Das ist mein freundschaftlicher Wunsch,“ sagte Ulenspiegel.
„Ich werde Dich am Galgen sehen, wie Dir die giftige Zunge eine Klafter lang aus dem Maul wächst,“ erwiderte Lamm.
Und alle beide hätten fast gelacht.
An jenem Tage kaperte das Kriegsschiff einen Kauffahrer aus Biskaya, so mit Quecksilber, Goldstaub, Wein und Gewürzen befrachtet war. Und dem Schiffe ward sein Mark, Menschen und Beute, ausgenommen, wie einem Rindsknochen zwischen den Zähnen eines Löwen.
Zur selbigen Zeit legte der Herzog den Niederlanden grausame und schändliche Steuern auf, laut denen alle Einwohner, so bewegliche und unbewegliche Habe verkauften, tausend Gülden von zehntausend zahlen mußten. Und dieser Schoß war dauernd. Alle Kaufleute und Händler jeder Art mußten dem König den Zehnten vom Kaufpreis zahlen, und im Volk ging die Rede, daß der König von den zehnmal in einer Woche verkauften Waren das Ganze bekäme.
Und so gingen Handel und Gewerbfleiß den Weg des Verfalls und des Todes.
Und die Geusen nahmen Briel, eine starke Seefeste, die der Garten der Freiheit genannt ward.
In den ersten Tagen des Maimonds, als das Schiff unter blauem Himmel stolz über die Flut fuhr, sang Ulenspiegel:
„Ja, Gevattern und Freunde,“ sprach Ulenspiegel, „sie haben in Antwerpen vor dem Rathaus ein glänzend Gerüst errichtet, mit rotem Tuch überzogen. Darauf sitzt der Herzog inmitten der Lakeien und Söldlinge wie ein König auf seinem Throne. Wenn er wohlwollend lächeln will, macht er eine saure Fratze. Schlaget die Trommel des Krieges!
„Er hat Vergebung gewährt: Still da ... Sein vergüldeter Harnisch gleißt in der Sonne, der Generalprofoß hält zu Pferde neben dem Baldachin. Siehe da kommt der Herold mit den Paukenschlägern. Er liest: es ist die Vergebung für alle, so nicht gesündigt haben, die andern sollen grausam gestraft werden.
„Höret, Gevattern. Er verliest das Edikt, welches bei Strafe der Rebellion die Bezahlung des zehnten und zwanzigsten Pfennigs vorschreibt.“
Und Ulenspiegel sang:
Und alle Seeleute und Soldaten von Ulenspiegels Schiff und auch die von den andern Schiffen sangen desgleichen:
Und ihre Stimmen grollten wie Donner der Freiheit.
Es war im Januar, dem grausamen Monat, da das Kalb im Leibe der Kuh gefriert. Es hatte geschneit und obendrein gefroren. Die Knaben fingen mit Vogelleim die Sperlinge, so auf dem hartgefrorenen Schnee ihre kümmerliche Nahrung suchten, und brachten dieses Wild in ihre Hütten. Vom grauen, hellen Himmel hoben sich regungslos die Gerippe der Bäume ab. Ihre Zweige waren mit schneeigen Kissen bedeckt, welche gleichfalls die Hütten und Mauerfirsten bedeckten, auf denen man Spuren von Katzenpfoten erblickte, die gleichfalls im Schnee auf die Sperlinge Jagd machten. Die Wiesen waren weithin unter diesem wundersamen Vließe verborgen, das die Erde in der scharfen Winterkälte warm hielt. Der Rauch der Häuser und Hütten stieg schwarz gen Himmel, und man vernahm keinen Laut.
Und Katheline und Nele waren allein in ihrer Behausung, und Katheline sagte kopfschüttelnd:
„Hans, mein Herz zieht mich zu Dir. Du mußt Ulenspiegel, Soetkins Sohn, die siebenhundert Karolus wiedergeben. Wenn du arm bist, komm wenigstens, daß ich Dein leuchtendes Antlitz schaue. Nimm das Feuer fort, mein Kopf brennt. Wehe, wo sind Deine schneekalten Küsse, wo ist Dein Körper aus Eis? Hans, mein Geliebter.“
Sie stand am Fenster. Plötzlich kam im schnellsten Trab ein Läufer vorbei, der Schellen am Gürtel trug, und rief:
„Es kommt der Amtmann, der Amthauptmann von Damm!“
Und derart lief er bis zum Rathause, um Bürgermeister und Schöffen dorthin zu berufen.
Alsdann hörte Nele zwei Hörner durch die dumpfe Stille. Alle aus Damm traten vor die Türen, vermeinend, daß Seine Königliche Majestät sich durch solche Fanfaren ankündigte.
Und Katheline trat auch an die Tür mit Nele. Von fern sahen sie glänzende Reiter, die zu Hauf ritten, und vor ihnen ritt ein Mann in schwarzem, mit Marderfell verbrämtem Sammetrock; sein Wams war mit echten Goldborten besetzt und die Stiefel von falbem Kalbsleder, mit Marderfell verbrämt. Und sie erkannten den Amthauptmann.
Hinter ihm ritten junge Ritter, die ohngeachtet der Verordnung Seiner hochseligen Kaiserlichen Majestät, an ihren Sammetgewändern Stickereien, Borten, Streifen und Einfassungen von Gold, Silber und Seide trugen. Und ihre Röcke, die sie unter ihren Mänteln trugen, waren gleich denen des Amtmanns mit Pelz verbrämt. Sie ritten munter daher, und die langen Straußenfedern, die ihre mit Knöpfen und güldenen Borten verzierten Baretts schmückten, wallten im Winde.
Und sie schienen alle gute Freunde und Kumpane des Amthauptmannes, in Sonderheit ein Ritter mit finsterer Miene, in grünen Sammet gekleidet und in einen Mantel mit goldverbrämtem schwarzem Sammet, desgleichen das mit langen Federn geschmückte Barett. Seine Nase hatte die Form eines Geierschnabels, die Lippen waren schmal; er hatte rote Haare, ein bleiches Gesicht und stolze Haltung.
Dieweil das Häuflein der Ritter vor Kathelines Haus vorbeiritt, fiel diese plötzlich dem Pferde des bleichen Ritters in den Zügel und rief närrisch vor Freude:
„Hans, mein Geliebter, ich wußte es, Du kehrst wieder. Wie schön Du bist, so ganz in Sammet und Gold, wie eine Sonne auf dem Schnee! Bringst du mir die siebenhundert Karolus? Wirst Du wiederum schreien wie der Fischadler?“
Der Amthauptmann hieß das Häuflein der Edelleute still halten, und der bleiche Ritter sagte:
„Was will diese Geusin von mir?“
Doch Katheline hielt immer noch das Pferd am Zügel.
„Gehe nicht wieder fort,“ sprach sie, „ich habe soviel um Dich geweint. Holde Nächte, mein Liebster, mit Küssen von Schnee und Körpern von Eis. Das Kind ist hier!“
Und sie zeigte auf Nele, die ihn zornig anblickte, denn er hatte seine Peitsche gegen Katheline erhoben. Aber Katheline sprach weinend:
„Ach, gedenkst Du dessen nicht mehr? Habe Mitleid mit Deiner Magd. Führe sie mit Dir, wohin Du willst. Nimm das Feuer fort, Hans, Erbarmen!“
„Hinweg!“ sagte er.
Und er drängte sein Pferd so stark vorwärts, daß Katheline den Zügel losließ und zu Boden fiel, und das Pferd trat auf sie und schlug ihr eine blutende Wunde an der Stirn.
Darauf sagte der Amtmann zu dem bleichen Ritter:
„Herr, kennet Ihr diese Frau?“
„Ich kenne sie nicht,“ sagte er; „es ist ohne Zweifel etwelche Verrückte.“
Aber Nele, die Katheline aufgehoben hatte, sprach:
„Wenn diese Frau verrückt ist, so bin ich es nicht, Euer Gnaden, und ich will von diesem Schnee, den ich esse, sterben“ / und sie nahm mit den Fingern etwas Schnee / „wenn dieser Mann nicht meine Mutter gekannt hat, wenn er ihr nicht all ihr Geld genommen und nicht des Klas Hund getötet hat, um siebenhundert Karolus, so dem armen Toten gehörten, von der Brunnenmauer unseres Hauses zu nehmen.“
„Hans, mein Herzliebster,“ weinte Katheline, die blutend vor ihm auf den Knien lag, „Hans, mein Geliebter, gib mir den Friedenskuß. Sieh, mein Blut fließt. Die Seele hat sich ein Loch gemacht und will hinaus. Ich werde bald sterben, verlaß mich nicht.“ Dann sagte sie ganz leise: „Damals tötetest Du Deinen Gefährten aus Eifersucht am Deiche.“ Und sie streckte den Finger in der Richtung nach Dudzeele. „Zu jener Zeit liebtest Du mich sehr.“
Und sie faßte und umschlang des Edelmanns Knie und nahm seinen Stiefel und küßte ihn.
„Wer ist dieser Getötete?“ fragte der Amthauptmann.
„Ich weiß es nicht, Euer Gnaden,“ sagte er. „Was kümmern uns die Reden dieser Geusin? Vorwärts.“
Das Volk rottete sich um sie zusammen; reiche und geringe Bürger, Handwerker und Bauern nahmen Kathelines Partei und riefen:
„Gerechtigkeit, Herr Amtmann, Gerechtigkeit!“
Und der Amtmann sagte zu Nele:
„Was ist es mit diesem Getöteten? Sprich wie Gott und die Wahrheit es verlangt.“
Nele redete und sprach, auf den bleichen Edelmann deutend:
„Der da ist alle Samstag in die Keet gekommen, um meine Mutter zu besuchen und ihr Geld zu nehmen; er hat seinen Freund, Hilbert genannt, auf dem Acker von Servaes van der Vichte umgebracht. Nicht aus Liebe, wie diese arme Närrin wähnt, sondern um die siebenhundert Karolus für sich allein zu haben.“
Und Nele erzählte von Kathelines Liebschaft und was diese gehört, als sie in der Nacht hinter dem Deich, der den Acker des Servaes van der Vichte durchschneidet, versteckt war.
„Nele ist boshaft,“ sagte Katheline, „sie spricht hart von Hans, ihrem Vater.“
„Ich schwöre, daß er wie ein Fischadler schrie, um sich anzumelden,“ sprach Nele.
„Du lügst,“ sagte der Edelmann.
„O nein!“ sagte Nele, „und Ihr, Herr Amtmann und alle hohen Herren, so zugegen sind, sehen es wohl: Du bist nicht vor Kälte, sondern vor Furcht so bleich. Woher kommt es, daß Dein Antlitz nicht mehr glänzt? Du hast also die Zaubersalbe verloren, mit der Du es einriebest, damit es hell erschiene wie die Wogen im Sommer, wenn es donnert. Aber Du wirst vor den Gitterfenstern des Rathauses verbrannt werden, verfluchtet Zauberer. Du warst die Ursache von Soetkins Tode, Du hast ihren vaterlosen Sohn ins Elend getrieben. Du bist gewiß ein Edelmann und kamst zu uns Bürgern, um meiner Mutter ein einzig Mal Geld zu bringen und es ihr alle andern Male zu nehmen.“
„Hans,“ sprach Katheline, „Du wirst mich wiederum zum Sabbat führen und mich wiederum mit Balsam einreiben. Hör nicht auf Nele, sie ist boshaft. Du siehst das Blut; die Seele hat sich ein Loch gemacht und will hinaus. Ich werde bald sterben und in die Vorhölle kommen, wo es nicht brennt.“
„Schweig, verrückte Hexe, ich kenne Dich nicht,“ sprach der Edelmann, „und ich weiß nicht, was Du meinst.“
„Und doch bist Du es, der mit einem Gefährten kam und ihn mir zum Manne geben wollte; Du weißt, daß ich ihn nicht wollte. Was hat Dein Freund Hilbert mit seinen Augen gemacht, als ich meine Nägel hineingekrallt hatte?“
„Nele ist boshaft,“ sagte Katheline, „glaub ihr nicht, Hans, mein Herzliebster. Sie ist auf Hilbert zornig, weil er ihr Gewalt antun wollte; aber jetzt kann er es nicht mehr, denn die Würmer haben ihn gefressen. Und Hilbert war häßlich, mein süßer Hans, Du allein bist schön. Nele ist boshaft.“
Nunmehr sprach der Amtmann:
„Ihr Frauen, gehet in Frieden.“
Aber Katheline wollte die Stätte nicht verlassen, wo ihr Freund war. Sie mußte mit Gewalt in ihre Behausung gebracht werden.
Und das ganze versammelte Volk schrie:
„Gerechtigkeit, Euer Gnaden, Gerechtigkeit!“
Da die Gemeindebüttel auf den Lärm herzugekommen waren, befahl der Amtmann ihnen, zu bleiben, und sagte zu den Rittern und Edelleuten:
„Edle Herren, ohngeachtet aller Privilegien, so den erlauchten Adelsstand im Lande Flandern schützen, muß ich Euren Joos Damman auf die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, in Sonderheit die der Zauberei, verhaften lassen, bis er gemäß den Gesetzen und Verordnungen des Reiches gerichtet ist. Liefert Euren Degen aus, Herr Josse.“
„Herr Amtmann,“ sagte Joos Damman mit großem Hochmut und Adelsstolz, „indem Ihr mich verhaftet, vergeht Ihr Euch gegen das flandrische Gesetz, denn Ihr seid nicht selbst Richter. Nun wisset Ihr, daß es nicht erlaubt ist, ohne richterlichen Auftrag zu verhaften, ausgenommen die Falschmünzer, Straßenräuber und Wegelagerer, Brandstifter und Frauenschänder; desgleichen die Soldaten, so ihren Hauptmann verlassen, die Zauberer, die Gift anwenden, um die Gewässer zu vergiften, die entlaufenen Mönche oder Beghinen und die Verbannten. Wohlan, Ihr edlen Herren, verteidigt mich!“
Da Etliche gehorchen wollten, sprach der Amtmann zu ihnen:
„Edle Herren, da ich allhier unsern König, Grafen und Herrn vertrete, welchem die Entscheidung der schwierigen Fälle vorbehalten ist, so gebiete und befehle ich Euch bei Strafe, für Rebellen erklärt zu werden, Eure Degen wieder in die Scheide zu stecken.“
Die Edelleute gehorchten, doch Herr Joos Damman zauderte immer noch. Das Volk schrie:
„Gerechtigkeit, Euer Gnaden, Gerechtigkeit! Er soll seinen Degen ausliefern!“
Darauf tat er es sehr wider Willen, stieg vom Pferde und ward von zwei Schergen nach dem Gemeindekerker geführt. Er ward jedoch nicht in die Verließe gesperrt, sondern vielmehr in ein vergittertes Gemach, wo er für sein Geld gutes Feuer, gutes Bett und gute Nahrung erhielt; davon nahm sich der Kerkermeister die Hälfte.
Am andern Tage gingen der Amtmann, die beiden Kriminalschreiber, zwei Schöffen und ein Wundarzt gen Dudzeele, um zu sehen, ob sie auf Servaes van der Vichtes Acker längs des Deiches, der das Feld durchschnitt, den Leichnam eines Mannes fänden.
Nele hatte zu Katheline gesagt: „Hans, dein Liebster, verlangt Hilberts abgeschnittene Hand. Heute Abend wird er wie ein Fischadler schreien, in unsere Hütte kommen und Dir die siebenhundert Goldkarolus bringen.“
Katheline hatte geantwortet:
„Ich werde sie abschneiden.“ Und wirklich nahm sie ein Messer und machte sich in Neles Begleitung auf; die Gerichtsbeamten folgten ihr. Sie ging rasch und stolz mit Nele, der die frische Luft das hübsche Gesicht rötete. Die alten, hüstelnden Gerichtsbeamten folgten ihr schier erfroren; sie waren alle wie schwarze Schatten auf der weißen Ebene, und Nele trug ein Grabscheit. Als sie auf Servaes van der Vichtes Acker und auf dem Deiche anlangten, ging Katheline bis zur Mitte und sprach, zur Rechten auf die Wiese deutend: „Hans, Du wußtest nicht, daß ich da verborgen war und beim Klirren der Degen erbebte. Und Hilbert schrie: Dies Eisen ist kalt. Hilbert war häßlich, Hans ist schön. Du sollst seine Hand haben, laß mich allein.“ Dann stieg sie zur Linken hinab, kniete auf dem Schnee nieder und rief dreimal in die Luft, um den Geist herbeizurufen.
Dann gab Nele ihr das Grabscheit, über das Katheline dreimal das Zeichen des Kreuzes machte. Alsdann zeichnete sie auf dem Eise die Form eines Sarges und drei umgekehrte Kreuze, eins nach Osten, eins nach Westen, eins nach Norden und sprach: „Drei, das ist Mars nahe bei Saturn, und drei ist Entdeckung unter Venus, dem hellen Stern.“ Darauf zog sie einen großen Kreis um den Sarg und sagte: „Hebe Dich hinweg, böser Geist, der den Leichnam bewacht.“ Dann fiel sie betend auf die Kniee: „Teufelsfreund, Hilbert,“ sagte sie, „Hans, mein Herr und Meister, befiehlt mir, hierherzukommen, um Dir die Hand abzuschneiden und sie ihm zu bringen. Ich schulde ihm Gehorsam. Laß nicht das Feuer der Erde gegen mich los, weil ich die Ruhe Deines edlen Grabes störe, und vergib mir um Gott und der Heiligen willen.“
Dann zerbrach sie das Eis in der Linie des Sarges und erreichte den feuchten Rasen, dann den Sand. Und der Amtmann und seine Beamten, Nele und Katheline erblickten den Körper eines jungen Mannes, der vom Sande weiß wie Kalk war. Er trug ein Wams von grauem Tuch, desgleichen den Mantel; sein Degen war ihm zur Seite gelegt. Er hatte eine Tasche von Eisenmaschen am Gürtel, und ein breiter Dolch steckte unter seinem Herzen. Auf dem Tuche des Wamses war Blut, und dies Blut war unter seinen Rücken geflossen. Und der Mann war jung.
Katheline schnitt ihm die Hand ab und tat sie in ihren Beutel. Und der Amtmann ließ es geschehen; dann befahl er ihr, den Leichnam aller seiner Waffen und Gewandung zu entblößen. Katheline fragte, ob Hans es also befohlen habe. Der Amtmann antwortete, daß er nur nach seinen Befehlen handle, und alsbald tat Katheline, was er wollte.
Als der Leichnam entblößt war, sah man, daß er trocken wie Holz, aber nicht verwest war; und der Amtmann und seine Beamten gingen von dannen, nachdem sie ihn wieder mit Sand hatten bedecken lassen, und die Büttel trugen die Sachen des Toten. Da sie vor dem Gemeindekerker vorbeikamen, sagte der Amtmann zu Katheline, daß Hans sie dort erwarte; sie ging freudig hinein.
Nele wollte sie daran hindern, und Katheline erwiderte immerfort: „Ich will Hans, meinen Herrn sehen.“
Und Nele weinte auf der Schwelle, denn sie wußte, daß Katheline als Zauberin verhaftet war, um der Beschwörungen und Zeichen willen, so sie auf den Schnee gemacht hatte.
Und in Damm ging die Rede, daß es keine Gnade für sie gäbe. Und Katheline wurde in den westlichen Kerker des Gefängnisses gebracht.
Am folgenden Tag, da der Wind aus Brabant wehte, schmolz der Schnee, und die Wiesen wurden überschwemmt.
Und die Sturmglocke rief die Richter zum Gericht der „Vierschare,“ das wegen der Feuchtigkeit der Rasenbänke unter einem Schirmdache stattfand. Und das Volk stand im Kreise um die Richter.
Joos Damman wurde aller Fesseln ledig in seiner fürnehmen Tracht vorgeführt. Auch Katheline wurde herbeigeführt, mit vorn zusammengebundenen Händen, in einem Kleide von grauer Leinwand, der Gefängnistracht.
Joos Damman bekannte im Verhör, daß er seinen Freund Hilbert im Zweikampf auf Degen getötet habe. Als man ihm sagte: Er ist von einem Dolchstoß getroffen, antwortete Joos Damman: „Ich habe ihn niedergestochen, weil er nicht rasch genug starb. Da ich unter dem Schutz der flandrischen Gesetze stehe, die verbieten, den Mörder nach Ablauf von zehn Jahren zu verfolgen, so bekenne ich den Mord willig.“
Der Amtmann sprach zu ihm:
„Bist Du kein Zauberer?“
„Nein,“ antwortete Damman.
„Beweise es,“ sagte der Amtmann.
„Ich werde es zu gelegener Zeit und am rechten Orte tun, aber es beliebt mir nicht, es jetzt zu tun.“
Der Amtmann befragte alsdann Katheline; sie hörte ihn nicht und schaute Hans an:
„Du bist mein grüner Ritter, schön wie die Sonne. Nimm das Feuer fort, Herzliebster.“
Darauf sprach Nele an ihrer Stelle:
„Sie kann nichts bekennen, als was Ihr schon wisset, Euer Gnaden und Ihr Herren. Sie ist keine Hexe, sondern nur irre.“
Nunmehr redete der Amtmann und sprach:
„Zauberer ist der, welcher durch teuflische Mittel, wissentlich angewendet, sich bemüht, irgend etwas zu erreichen. Nun sind diese beiden, Mann und Weib, Zauberer nach Absicht und Tat, er, weil er ihr die Salbe für den Hexensabbat gegeben und sich das Gesicht hell wie Luzifer gemacht hat, um Geld und Befriedigung seiner Wollust zu erhalten; sie, weil sie sich ihm unterworfen hat, da sie ihn für einen Teufel hielt, und sich seinen Begierden hingegeben hat. Er hat sich mit Zauberei abgegeben, sie ist seine offenbare Mitschuldige. Derhalben dürfen wir kein Mitleid haben, und ich muß es sagen, denn ich sehe die Schöffen und das Volk der Frau allzu wohl gesinnt. Sie hat zwar nicht gemordet noch gestohlen, noch Vieh und Menschen behext, noch irgend einen Kranken durch außergewöhnliche Mittel geheilt, sondern nur durch Hausmittel, so der ehrbaren, christlichen Arzeneikunde bekannt sind. Aber sie wollte ihre Tochter dem Teufel ausliefern, und wenn diese nicht trotz ihrer Jugend mit so redlichem, wackeren Mute widerstanden hätte, so hätte sie Hilbert nachgegeben und wäre wie jene eine Hexe geworden. Darum so frage ich die Herren vom Gericht, ob sie nicht der Meinung sind, daß die Beiden auf die Folter gespannt werden müssen!“
Die Schöffen antworteten nicht und zeigten dadurch genugsam, daß solches nicht ihr Wunsch sei, soweit es Katheline betraf.
Darauf redete der Amtmann weiter:
„Ich bin gleich Euch von Mitleid und Erbarmen für sie bewegt. Aber konnte diese irrsinnige Hexe, die dem Teufel so trefflich gehorchte, nicht mit einer Sichel ihrer Tochter den Kopf abschneiden, wenn ihr mitangeklagter Buhle es ihr befohlen hätte, gleichwie es Katharine Daru im Lande Frankreich auf Geheiß des Teufels bei ihren beiden Töchtern getan hat? Konnte sie nicht, wenn ihr schwarzer Gemahl es ihr geboten hätte, Tiere töten, die Butter im Butterfaß gerinnen machen, indem sie Zucker hinein warf? Konnte sie nicht in Person allem Teufeldienst, Hexentanz, Greueln und Buhlschaft der Zauberer beiwohnen? Konnte sie nicht Menschenfleisch essen und die Kinder schlachten, Pasteten daraus machen und sie verkaufen, wie ein Pastetenbäcker in Paris es getan hat? Konnte sie nicht die Lenden der Gehenkten abschneiden und forttragen, um hineinzubeißen und solchergestalt schändlichen Diebstahl und Entweihung zu begehen? Und ich fordere vom Gerichtshof, daß alle beide, Katheline und Joos Damman, auf die Folter gebracht werden, um zu erfahren, ob sie kein anderes Verbrechen als die schon bekannten und erforschten begangen haben. Da Joos Damman sich weigert, irgend etwas außer dem Mord zu gestehen, und Katheline gar nichts ausgesagt hat, so erheischen die Reichsgesetze das Verfahren, das ich bezeichnet habe.“
Und der Spruch der Schöffen lautete auf Tortur am Freitag, welcher übermorgen war.
Und Nele rief: „Gnade, Ihr Herren,“ und das Volk rief mit ihr. Aber es war vergeblich.
Und Katheline blickte Joos Damman an und sprach:
„Ich habe Hilberts Hand, hole sie diese Nacht, mein Geliebter!“ Und sie wurden wieder ins Gefängnis geführt.
Dort ward dem Kerkermeister auf Geheiß des Gerichtshofes anbefohlen, jedem zwei Wärter zu geben, die sie allemal, wenn sie einschlafen wollten, schlagen sollten, aber die zwei Wächter Kathelines ließen sie die Nacht durch schlafen, und die von Joos Damman schlugen ihn unbarmherzig, so oft er die Augen schloß oder nur den Kopf neigte.
Sie hungerten den ganzen Tag und die Nacht des Mittwoch und den ganzen Donnerstag bis zum Abend; dann gab man ihnen zu essen und zu trinken: Fleisch mit Salz und Salpeter, und Wasser mit Salz und Salpeter. Das war der Anfang ihrer Tortur. Und am Morgen, als sie vor Durst schrien, führten die Büttel sie in die Folterkammer.
Dort wurden sie einander gegenüber gelegt und jeder auf eine Bank gebunden, die mit verknoteten Stricken bedeckt war, was ihnen große Pein verursachte. Und sie mußten jeder ein Glas Wasser mit Salz und Salpeter trinken.
Da Joos Damman auf der Bank einschlafen wollte, schlugen ihn die Büttel.
Und Katheline sprach:
„Schlagt ihn nicht, Ihr Herren, Ihr zerbrechet seinen armen Körper. Er hat nur ein einziges Verbrechen begangen, und das aus Liebe, als er Hilbert umbrachte. Mich dürstet und dich auch, mein geliebter Hans. Gebt ihm zuerst zu trinken. Wasser! Wasser! Mein Körper brennt. Schonet seiner, ich werde bald für ihn sterben. Zu trinken!“
Hans sprach zu ihr:
„Garstige Hexe, stirb und verrecke wie eine Hündin. Werft sie ins Feuer, Ihr Herren Richter. Mich dürstet!“
Die Schreiber schrieben alle seine Worte nieder.
Darauf sprach der Amtmann zu ihm:
„Hast Du nichts zu gestehen?“
„Ich habe nichts mehr zu sagen“, antwortete Damman. „Ihr wisset alles.“
„Da er beim Leugnen beharrt,“ sagte der Amtmann, „soll er, bis auf neues und vollständiges Geständnis, auf der Marterbank und auf diesen Stricken bleiben: er soll Durst leiden und am Schlafen verhindert werden.“
„Ich werde bleiben,“ sagte Joos Damman, „und mich damit ergötzen, diese Hexe auf jener Bank leiden zu sehen. Wie findest Du das Hochzeitsbett, mein Schätzchen?“
Und Katheline antwortete ächzend:
„Kalte Hände und heißes Herz. Hans, mein Liebster. Mich dürstet, mein Kopf brennt!“
„Und Du, Weib,“ sprach der Amtmann, „hast Du nichts mehr zu sagen?“
„Ich höre den Karren des Todes und das Klappern der Gebeine,“ sprach sie. „Mich dürstet! Er führt mich an einen großen Fluß, in dem Wasser, frisches, klares Wasser ist; aber dies Wasser ist Feuer. Hans, mein Freund, befreie mich von diesen Stricken. Ja, ich bin im Fegefeuer, und ich sehe oben den Herrn Jesus in seinem Paradies und die gnadenreiche Jungfrau. Oh, unsere liebe Frau, gib mir einen Tropfen Wassers, beiße nicht allein in diese schönen Früchte.“
„Dies Weib wird von grausamem Wahnsinn geplagt,“ sagte einer der Schöffen. „Sie muß von der Folterbank genommen werden.“
„Sie ist so wenig wahnsinnig wie ich,“ sagte Joos Damman, „das ist eitel Spiel und Verstellung.“ Und mit drohender Stimme sagte er zu Katheline: „Ich werde Dich, die so trefflich die Irre spielt, im Feuer sehen.“ Und er knirschte mit den Zähnen und lachte ob seiner grausamen Lüge.
„Mich dürstet, erbarmt Euch, mich dürstet,“ sagte Katheline. „Hans, mein Liebster, gib mir zu trinken. Wie weiß Dein Gesicht ist! Lasset mich zu ihm, Ihr Herren Richter.“ Und den Mund weit öffnend: „Ja, ja, jetzo legen sie mir das Feuer in die Brust, und die Teufel binden mich auf dies grausame Bett. Hans, Du bist so mächtig, nimm deinen Degen und töte sie! Wasser! zu trinken, zu trinken!“
„Verrecke, Hexe,“ sagte Joos Damman. „Man sollte ihr eine Angstbirne ins Maul stecken, damit sie, die Bäuerin, sich nichts gegen mich, den Edelmann, herausnehmen kann.“
Auf diese Rede erwiderte ein Schöffe, der dem Adel feind war: „Herr Amtmann, es ist den Rechten und Bräuchen des Reiches zuwider, denen, so peinlich befragt werden, Angstbirnen in den Mund zu stecken. Denn sie sind hier, um die Wahrheit zu bekennen, und damit wir sie nach ihren Aussagen richten. Das ist nur verstattet, wenn der verurteilte Angeklagte auf dem Blutgerüst zum Volke sprechen, es dergestalt rühren und einen öffentlichen Aufruhr erregen könnte.“
„Mich dürstet,“ sagte Katheline. „Gib mir zu trinken, Hans, mein Herzliebster.“
„Ha, du leidest, verfluchte Hexe,“ sprach er, „Du, die einzige Ursache aller Qualen, die ich erdulde. Aber Du wirst in dieser Folterkammer die Marter der Kerzen, den Wippgalgen und die Holzstückchen zwischen den Nägeln der Füße und Hände erleiden. Man wird dich rittlings auf einen Sarg setzen, dessen Rücken so scharf ist wie eine Messerklinge, und Du wirst bekennen, daß Du keine Wahnsinnige, sondern eine schlimme Hexe bist, der Satan befohlen hat, den Edelleuten etwas anzutun. Zu trinken!“
„Hans, mein Lieber,“ sprach Katheline, „zürne Deiner Magd nicht. Ich leide tausend Schmerzen für Dich, mein Gebieter. Schonet seiner, Ihr Herren Richter; gebet ihm einen vollen Becher zu trinken und hebt mir nur einen Tropfen auf. Hans, ist die Stunde des Fischadlers noch nicht da?“
Jetzo sagte der Amtmann zu Joos Damman:
„Da Du Hilbert umbrachtest, was war der Anlaß des Zweikampfes?“
„Es war wegen einer Dirne aus Heyst, die wir alle beide haben wollten.“
„Eine Dirne aus Heyst,“ schrie Katheline und wollte mit Gewalt von der Bank aufstehen. „Du betrügst mich mit einer Andern, du falscher Teufel. Wußtest du, daß ich hinter dem Deich horchte, als Du sagtest, Du wolltest alles Geld haben, das Klas gehörte? Du wolltest es gewißlich in Leckereien und Schlemmereien mit ihr ausgeben! Ach, und ich, die ihm ihr Blut gegeben hätte, wenn er Gold daraus hätte machen können! Und alles wegen einer Andern. Sei verflucht!“
Aber plötzlich weinte sie und versuchte, sich auf ihrer Folterbank umzudrehen:
„Nein, Hans, sage, daß Du Deine arme Magd noch lieb haben willst, und ich will mit meinen Fingern die Erde aufscharren und einen Schatz finden. Ja, es ist einer da, und ich werde mit der Wünschelrute gehen, die sich nach der Seite neigt, wo die Metalle sind; und ich werde ihn finden und ihn Dir bringen. Küsse mich, Liebster, und Du sollst reich werden; und wir werden Fleisch essen und alle Tage Bier trinken. Ja, ja, die da trinken auch Bier, frisches, schäumendes Bier. O, Ihr Herren, gebt mir nur einen Tropfen davon, ich bin im Feuer. Hans, ich weiß es wohl, wo Haselruten sind, aber wir müssen bis zum Frühjahr warten.“
„Schweig, Hexe,“ sagte Joos Damman, „ich kenne Dich nicht. Du hast Hilbert für mich gehalten. Er war’s, der Dich besuchte. Und in Deinem boshaften Gemüt nanntest Du ihn Hans. Wisse, daß ich nicht Hans heiße, sondern Joos. Wir waren von gleichem Wuchs, Hilbert und ich. Ich kenne Dich nicht. Ohne Zweifel war es Hilbert, der die siebenhundert Karolusgülden stahl. Gebt mir zu trinken. Mein Vater wird einen Becher Wassers mit hundert Gülden bezahlen; aber dieses Weib kenne ich nicht.“
„Gnädiger Herr,“ rief Katheline aus, „er sagt, daß er mich nicht kennt; aber ich, ich kenne ihn wohl und weiß, daß er auf dem Rücken ein braunes, behaartes Mal so groß wie eine Bohne hat. Ha, Du liebtest eine Dirne aus Heyst. Schämt sich ein wahrer Liebhaber seines Liebchens? Hans, bin ich nicht noch schön?“
„Schön!“ sagte er. „Du hast ein Gesicht wie eine Mispel und einen Leib wie ein Reisigbündel. Sehet das Bettelweib, das von fürnehmen Herren geliebt sein will. Zu trinken!“
„Du sprachst nicht also, Hans, mein süßer Herr,“ sagte sie, „da ich sechzehn Jahre jünger war denn jetzt.“ Dann schlug sie sich vor Kopf und Stirn. „Die Glut darinnen dörrt mir Herz und Gesicht; schelte mich nicht darum. Weißt Du noch, wenn wir Gesalzenes aßen, um mehr zu trinken, wie Du sagtest? Jetzt ist das Salz in uns, mein Liebster, und der Herr Amtmann trinkt Wein aus der Romagna. Wir wollen keinen Wein, gebt uns Wasser. Es rieselt im Grase, das Wässerlein, das die klare Quelle macht; das gute Wasser, es ist kalt. Nein, es brennt, es ist höllisches Wasser.“ Und Katheline weinte und sagte: „Ich habe Niemandem Übles getan, und jedermann wirft mich ins Feuer. Zu trinken! Man gibt den herrenlosen Hunden Wasser. Ich bin eine Christin, gebt mir zu trinken. Ich habe Niemandem Übles getan. Zu trinken!“
Darauf redete ein Schöffe und sagte:
„Diese Hexe ist nur in so weit toll, als sie vom Feuer behauptet, daß es ihr den Kopf verbrenne. In andern Dingen ist sie es nicht, maßen sie uns klaren Geistes half, die sterblichen Reste des Toten zu entdecken. Wenn das behaarte Mal sich auf Joos Dammans Körper findet, so genügt dies, um festzustellen, daß er und der Teufel Hans, von dem Katheline betört ward, derselbe ist. Henker, laß uns das Mal sehen.“
Der Henker entblößte Hals und Schulter und zeigte das braune behaarte Mal.
„Ach,“ sagte Katheline, „wie weiß Deine Haut ist! Beinahe wie die Schultern eines Mägdleins. Du bist schön, Hans, mein Geliebter. Zu trinken!“
Der Henker stach mit einer langen Nadel in das Mal; aber es blutete nicht.
Und die Schöffen sprachen untereinander:
„Er ist ein Teufel, und er wird Joos Damman umgebracht und sein Gesicht angenommen haben, um die arme Welt desto sichrer zu täuschen.“
Und der Amtmann und die Schöffen erschraken und sprachen:
„Er ist ein Teufel, und es ist Zauberei im Spiel.“
Und Joos Damman sagte:
„Ihr wisset, daß keine Zauberei im Spiel ist, und daß es solche fleischigen Auswüchse gibt, die man stechen kann, ohne daß sie bluten. Wenn Hilbert von dieser Hexe Geld genommen hat, denn sie ist ja eine, die bekennt, mit dem Teufel gebuhlt zu haben, so durfte er es mit ausdrücklicher Zustimmung dieser Bäuerin und ward also als Edelmann für seine Zärtlichkeiten bezahlt, wie es die Dirnen alle Tage tun. Gibt es in dieser Welt nicht gleich den Dirnen leichtfertige Burschen, so sich von den Weibern ihre Kraft und Schönheit bezahlen lassen?“
Die Schöffen sagten untereinander:
„Sehet die teuflische Dreistigkeit! Seine behaarte Warze hat nicht geblutet; er ist ein Mörder, Teufel und Zauberer und will sich schlechtweg für einen Duellanten ausgeben, indem er seine andern Verbrechen auf den teuflischen Freund wälzt, dem er den Leib, aber nicht den Geist getötet hat ... Und sehet, wie bleich sein Gesicht ist. / So erscheinen alle Teufel, rot in der Hölle, bleich auf Erden, denn sie haben nicht das Lebensfeuer, das dem Gesicht seine rote Farbe gibt, und inwendig sind sie Asche. Er muß ins Feuer zurückgebracht werden, damit er rot wird und brennt.“
Darauf sagte Katheline:
„Ja, er ist ein Teufel, aber ein guter, freundlicher Teufel. Und der heilige Jakobus, sein Schutzpatron, hat ihm erlaubt, die Hölle zu verlassen. Er bittet den Herrn Jesum alle Tage für ihn. Er wird nur siebentausend Jahre im Fegefeuer sein müssen: die Jungfrau will es, aber Herr Satan ist dagegen. Aber die hohe Frau tut, was sie will. Werdet Ihr wider sie sein? Wenn Ihr ihn recht betrachtet, werdet Ihr sehen, daß er von seiner teuflischen Natur nichts behalten hat, denn den kalten Körper und das leuchtende Antlitz, wie es die See im August hat, wenn es donnern will.“
Und Joos Damman sagte:
„Schweig, Hexe, Du bringst mich ins Feuer.“ Dann sprach er zum Amtmann und zu den Schöffen: „Seht mich an, ich bin kein Teufel. Ich bin aus Fleisch und Bein, Blut und Wasser. Ich trinke und esse, verdaue und scheide aus gleich Euch; meine Haut ist gleich der Euren und mein Fuß desgleichen. Henker, zieh mir die Stiefel aus, denn ich kann mich mit den gefesselten Füßen nicht rühren.“
Der Henker tat es, nicht ohne Furcht.
„Sehet,“ sprach Joos und zeigte seine weißen Füße. „Sind das Klauen, Teufelsfüße? Was meine Blässe angeht, / ist keiner unter Euch so blaß wie ich? Ich sehe mehr als drei, die so sind. Aber nicht ich bin’s, der gesündigt hat, sondern diese garstige Hexe und ihre Tochter, die boshafte Anklägerin. Woher hat sie das Geld, das sie Hilbert gegeben hat? Woher stammten die Gülden, die sie ihm lieh? War es nicht der Teufel, der sie bezahlte, um fürnehme, unschuldige Männer anzuklagen und dem Tode auszuliefern? Diese beiden müssen gefragt werden, wer den Hund im Hof erwürgte, wer das Loch grub und davon ging, nachdem er alles herausgenommen, ohne Zweifel, um den Schatz an einem andern Ort zu verbergen. Soetkin, die Witwe, hatte kein Vertrauen zu mir, da sie mich nicht kannte, wohl aber zu ihnen, die sie alle Tage sah. Die beiden sind’s, die des Kaisers Habe gestohlen haben.“
Der Gerichtsschreiber schrieb, und der Amtmann sprach zu Katheline:
„Weib, hast Du nichts zu Deiner Verteidigung zu sagen?“
Katheline schaute Joos Damman an und sagte gar verliebt:
„Es ist die Stunde des Fischadlers. Ich habe Hilberts Hand, mein lieber Hans. Sie sagen, daß Du mir die siebenhundert Karolus wiedergeben wirst. Nehmt das Feuer fort, nehmt das Feuer fort!“ schrie sie sodann. „Zu trinken, zu trinken, mein Kopf brennt. Gott und die Engel essen im Himmel Äpfel.“
Und sie verlor das Bewußtsein.
„Bindet sie von der Folterbank los,“ sprach der Amtmann. Der Henker und seine Knechte gehorchten. Und sie taumelte und hatte geschwollene Füße, maßen der Henker die Stricke zu fest geschnürt hatte.
„Gebt ihr zu trinken,“ sprach der Amtmann.
Es ward ihr frisches Wasser gegeben; sie goß es begierig hinunter, indem sie den Becher zwischen den Zähnen festhielt und nicht loslassen wollte, wie ein Hund mit einem Knochen tut. Dann gab man ihr noch mehr Wasser, und sie wollte Joos Damman davon bringen, aber der Henker riß ihr den Becher aus den Händen. Und sie fiel wie ein Bleiklumpen zu Boden und schlief.
Darauf schrie Joos Damman wütend:
„Auch ich bin durstig und schläfrig! Warum gebet Ihr ihr zu trinken? Warum lasset Ihr sie schlafen?“
„Sie ist schwach, ein Weib und irre,“ sprach der Amtmann.
„Ihr Irrsinn ist ein Spiel,“ sagte Joos Damman; „sie ist eine Hexe; ich will trinken, ich will schlafen!“
Und er schloß die Augen, doch die Knechte des Henkers schlugen ihn ins Angesicht.
„Gebt mir ein Messer,“ schrie er, „daß ich diese Tölpel in Stücke schneide. Ich bin ein Edelmann und ward noch nie ins Gesicht geschlagen! Wasser! Laßt mich schlafen, ich bin unschuldig. Nicht ich habe die siebenhundert Karolus genommen, sondern Hilbert. Zu trinken! Ich habe nie Zauberei und Beschwörung getrieben. Ich bin unschuldig, laßt mich. Zu trinken!“
Darauf fragte der Amtmann:
„Womit verbrachtest Du die Zeit, seit Du Katheline verlassen?“
„Ich kenne Katheline nicht; ich habe sie nicht verlassen,“ erwiderte er. „Ihr befragt mich über Dinge, die mit der Sache nichts zu tun haben. Ich brauche Euch nicht zu antworten. Zu trinken, laßt mich schlafen. Ich sage Euch, Hilbert war’s, der alles verübt hat.“
„Bindet ihn los,“ sagte der Amtmann. „Führt ihn in sein Gefängnis zurück. Aber er soll Durst leiden und nicht schlafen, bis daß er alle seine Zaubereien und Beschwörungen bekannt hat.“
Und es war eine grausame Folter für Damman. So laut schrie er in seinem Gefängnis: Zu trinken, zu trinken! daß das Volk ihn hörte, aber ohne jedwedes Mitleid. Und da er vor Müdigkeit umfiel und ihn seine Wächter ins Gesicht schlugen, war er wie ein Tiger und schrie:
„Ich bin ein Edelmann und werde Euch Bauern umbringen. Ich werde zum König, unserm Herrn, gehen. Zu trinken!“
Aber er bekannte nichts, und man ließ ihn allein.
Es war zur Maienzeit; die Gerichtslinde war grün, grün waren auch die Rasenbänke, auf denen die Richter saßen. Nele war als Zeugin vorgeladen. An diesem Tage sollte das Urteil gesprochen werden.
Und das Volk, Männer, Weiber, Bürger und Arbeiter, stunden rings um die Dingstätte, und die Sonne schien hell.
Katheline und Joos Damman wurden vorgeführt, und Damman schien noch bleicher wegen der Marter des Durstes und der schlaflos verbrachten Nächte.
Katheline, die nicht auf ihren zitternden Beinen stehen konnte, wies auf die Sonne und sprach:
„Nehmt das Feuer fort, mein Kopf brennt!“
Und sie blickte Joos Damman voll zärtlicher Liebe an.
Und er blickte sie voller Haß und Verachtung an.
Und die Ritter und Edelleute, seine Freunde, die nach Damm berufen waren, standen männiglich als Zeugen vor dem Gerichtshof.
Darauf redete der Amtmann und sprach:
„Nele, das Mägdlein, die ihre Mutter Katheline mit so großer Liebe verteidigt, hat in der Tasche, die an den Rock, den Feiertagsrock derselbigen angenäht ist, ein Brieflein gefunden, Joos Damman unterzeichnet. Unter den Überbleibseln von Hilbert Ryvisch fand ich in der Gürteltasche des Toten einen andern Brief von besagtem Joos Damman, dem hier vor Euch gegenwärtigen Angeklagten. Ich habe alle beide bei mir bewahrt, damit Ihr im rechten Augenblick, der jetzt gekommen ist, über die Hartnäckigkeit dieses Mannes urteilen und ihn nach Recht und Gerechtigkeit freisprechen oder verdammen könnt. Hier ist das in der Gürteltasche gefundene Pergament. Ich habe es nicht berührt und weiß nicht, ob es lesbar ist oder nicht.“
Die Richter waren darob in großer Bestürzung.
Der Amtmann versuchte die Pergamentkugel auseinander zu wickeln, aber es war vergeblich, und Joos Damman lachte.
Darauf sagte ein Schöffe:
„Legt die Kugel ins Wasser und hernach vors Feuer; wenn sie durch ein Geheimnis zusammengeklebt ist, werden Feuer und Wasser es auflösen.“
Das Wasser ward herbeigebracht; der Henker entzündete auf dem Felde ein großes Holzfeuer. Der Rauch stieg durch die grünenden Zweige der Gerichtslinde blau in den hellen Himmel empor.
„Leget den Brief nicht in das Becken,“ sagte ein Schöffe, „denn wenn er mit in Wasser gelöstem Ammoniak geschrieben ist, werdet Ihr die Schriftzeichen auslöschen.“
„Nein,“ sagte der anwesende Wundarzt, „die Schriftzüge werden nicht verlöschen; das Wasser wird nur die Tünche aufweichen, die das Öffnen dieser magischen Kugel verhindert.“
Das Pergament ward ins Wasser getaucht, erweicht und entfaltet.
Der Wundarzt sagte: „Haltet es nunmehr vors Feuer.“
„Ja, ja,“ sprach Nele, „haltet das Papier vors Feuer; der Herr Wundarzt ist auf der rechten Fährte, denn der Mörder erblaßt, und seine Beine schlottern.“
Hierauf erwiderte Herr Joos Damman:
„Ich erblasse nicht, noch zittere ich, Du kleine Harpye aus dem Volke, die den Tod eines adligen Mannes will. Es wird Dir nicht gelingen, dies Pergament muß verfault sein, nachdem es sechzehn Jahre in der Erde gelegen hat.“
„Das Pergament ist nicht verfault,“ sagte der Schöffe, „die Gürteltasche war mit Seide gefüttert. Die Seide zerfällt in der Erde nicht und die Würmer haben das Pergament nicht zerfressen.“
Das Pergament ward vors Feuer gelegt.
„Euer Gnaden! Herr Amtmann,“ sprach Nele, „sehet, die Tinte wird vor dem Feuer sichtbar. Befehlt, daß man das Geschriebene lese.“
Da der Wundarzt sich anschickte zu lesen, wollte Herr Joos Damman die Arme ausstrecken, um das Pergament an sich zu reißen, aber schnell wie der Wind stürzte Nele sich auf seinen Arm und sagte:
„Du sollst es nicht anrühren, denn da stehet Dein Tod oder Kathelines Tod geschrieben. Wenn Dir jetzt das Herz blutet, Mörder, so blutet das unsre seit fünfzehn Jahren; fünfzehn Jahre sind es, daß Katheline leidet, fünfzehn Jahre, daß ihr deinetwegen das Hirn im Kopf verbrannt ward, fünfzehn Jahre, daß Soetkin an den Folgen der Tortur starb, fünfzehn Jahre, daß wir bedürftig und zerlumpt sind und im Elend leben, wenn auch stolzen Sinnes. Lest das Papier, lest das Papier! Die Richter sind Gott auf Erden, denn sie sind die Gerechtigkeit; leset das Papier!“
„Leset das Papier,“ schrien Männer und Weiber weinend. „Nele ist tapfer! Lest das Papier! Katheline ist keine Hexe!“
Und der Gerichtsschreiber las:
„An Hilbert, Sohn von Willem Ryvisch, Ritter, Joos Damman, Ritter, Gruß.
„Viellieber Freund, verliere nicht fürder Dein Geld in Karten-, Würfelspiel und anderm großen Elend. Ich will Dir sagen, wie man es mit sicherem Wurf gewinnt. Wir wollen uns in Teufel verwandeln, hübsche Teufel, die von Frauen und Mädchen geliebt werden. Die Schönen und Reichen nehmen wir, die Häßlichen und Armen lassen wir beiseite; sie mögen ihr Vergnügen bezahlen. Bei diesem Handwerk verdiente ich in sechs Monaten im Lande Deutschland fünftausend Reichstaler. Die Frauen geben ihrem Buhlen, so sie ihn lieben, ihre Röcke und Hemden. Flieh die Geizigen mit spitzer Nase, die sich besinnen, ihr Vergnügen zu bezahlen. Für Deine Person und um als schöner und echter Incubus zu erscheinen, verkünde Dein Kommen, wenn sie Dich für die Nacht aufnehmen, indem Du wie ein Nachtvogel schreist. Und um Dir eine wahre Teufelslarve zu machen, wie ein erschrecklicher Teufel, reibe Dir das Gesicht mit Phosphor ein, welcher glänzt, wenn er feucht wird. Der Geruch ist übel, aber sie werden glauben, daß es Höllenduft ist. Töte, was Dir in den Weg kommt, Mann, Weib oder Tier.
„Wir werden bald zusammen zu Katheline gehn, einem schönen, gutherzigen Weibsbild. Ihre Tochter Nele, eins von meinen Kindern, wenn Katheline mir treu war, ist artig und hübsch. Du wirst sie ohne Mühe besitzen. Ich gebe sie Dir, denn ich schere mich nicht um diese Bastarde, die man nicht mit Gewißheit als seine Sprößlinge erkennen kann. Ihre Mutter gab ihr schon dreiundzwanzig Karolus, ihre ganze Habe. Aber sie verbirgt einen Schatz, welcher, wenn ich kein Dummkopf bin, die Erbschaft des zu Damm verbrannten Ketzers Klas ist: siebenhundert Karolusgülden, die der Konfiskation verfallen. Aber der gute König Philipp, der so viele seiner Untertanen verbrennen ließ, um sie zu beerben, konnte seine Klaue nicht auf diesen lieblichen Schatz legen. Er wird in meiner Geldkatze schwerer wiegen als in seiner. Katheline wird mir sagen, wo er ist, und wir wollen ihn teilen. Du mußt mir nur für die Entdeckung den größten Teil lassen.
„Die Weiber, unsre holden Leibeigenen und verliebten Sklavinnen, werden wir ins Land Deutschland bringen. Dort werden wir sie lehren, weibliche Teufel und Succubi zu werden, die alle reichen Bürger und Edelleute verliebt machen. Allda werden sie und wir von Liebe leben, die mit schönen Reichstalern, Samt, Seide, Gold, Perlen oder Kleinodien bezahlt wird, und also ohne Anstrengung reich werden. Und ohne Wissen der Succubi werden wir von den Schönsten geliebt werden und uns übrigens immer bezahlen lassen. Alle Frauen sind dumm und albern gegen den Mann, welcher das Liebesfeuer entzünden kann, das Gott unter ihren Gürtel legte. Katheline und Nele werden es noch mehr sein als andre und in allen Stücken gehorchen, sintemal sie uns für Teufel halten. Behalte du deinen Vornamen, aber gib niemals deinen Vaternamen Ryvisch an. Wenn der Richter die Weiber abfaßt, reisen wir ab, ohne daß sie uns kennen und uns angeben können. Vorwärts, mein Getreuer. Fortuna lächelt der Jugend, wie Seine Hochselige, heilige Majestät Karl der Fünfte sagte, der ein geprüfter Meister in Sachen der Liebe und des Krieges war.“
Und der Gerichtsschreiber hörte auf zu lesen und sagte:
„Dies ist der Brief. Er ist unterzeichnet. Joos Damman, Ritter.“
Und das Volk schrie:
„Zum Tode mit dem Mörder! Zum Tode mit dem Zauberer! Ins Feuer mit dem Weiberbetörer! An den Galgen mit dem Dieb!“
Darauf sprach der Amtmann!
„Haltet Ruhe, Leute, damit wir in aller Freiheit diesen Menschen richten können.“
Und zu den Schöffen redend, sprach er:
„Ich will euch jetzo den zweiten Brief vorlesen, den Nele in der Tasche von Kathelines Festtagsrock gefunden hat; er ist also abgefaßt:
„Reizende Hexe, hier ist das Rezept einer Mixtur, die mir Luzifers Weib selbst geschickt hat. Mit Hülfe dieser Mixtur kannst du dich in die Sonne, den Mond und die Gestirne versetzen; mit den Elementargeistern, die die Gebete der Menschen zu Gott tragen, Zwiesprache halten und alle Städte, Marktflecken, Flüsse und Wiesen der ganzen Welt durcheilen. Du zerreibst zu gleichen Teilen: Stechapfel, betäubenden Nachtschatten, Bilsenkraut, Opium, die frischen Spitzen des Hanfes und Tollkirsche.
„Wenn Du willst, gehen wir heute zum Sabbat der Geister; aber Du mußt mich mehr lieben und nicht so knauserig sein wie jüngst abends, da Du mir zehn Gülden weigertest und sagtest, daß Du sie nicht hättest. Ich weiß, daß Du einen Schatz verborgen hältst und es mir nicht sagen willst. Liebst du mich nicht mehr, mein süßes Herz?
Dein kalter Teufel
Hanske“
„Der Zauberer muß sterben!“ schrie das Volk.
Der Amtmann sagte:
„Die beiden Schriftstücke müssen verglichen werden.“
Nachdem solches geschehen, wurden sie für gleich erklärt.
Darauf sagte der Amtmann zu den anwesenden Rittern und Herren: „Erkennet ihr diesen da als Herrn Joos Damman, den Sohn des Schöffen der Küre zu Gent?“
„Ja,“ sprachen sie.
„Habt Ihr Junker Hilbert, den Sohn des hochwohlgebornen Willem Ryvisch gekannt?“ fragte er.
Einer der Edelleute, der van der Zinkelen hieß, nahm das Wort und sagte:
„Ich bin aus Gent, mein Steen ist an der Place Saint-Michel; ich kenne den Ritter Willem Ryvisch, den Schöffen der Küre zu Gent. Es sind nunmehr fünfzehn Jahre, daß er einen Sohn im Alter von dreiundzwanzig Jahren verlor. Er war ausschweifend, ein Spieler und Müssiggänger; aber männiglich verzieh ihm seiner Jugend halber. Seit jener Zeit hat keiner Kunde von ihm gehabt. Ich begehre Degen, Dolch und Gürteltasche des Toten zu sehen.“
Als er sie vor sich hatte, sagte er:
„Degen und Dolch tragen am Kopfe des Griffes das Wappen der Ryvisch, das drei silberne Fische auf azurnem Felde hat. Ich sehe das nämliche Wappen auf einem güldenen Schilde zwischen den Eisenmaschen der Tasche. Wes ist dieser andere Dolch?“
Es ist derselbe, den man in der Leiche von Hilbert Ryvisch, dem Sohne Willems, stecken fand,“ sprach der Amtmann.
„Ich erkenne das Wappen der Damman daran: den Turm mit den Rachen auf silbernem Feld. So helfe mir Gott und alle seine Heiligen.“
Die andern Edelleute sprachen desgleichen:
„Wir erkennen besagte Wappen als die der Ryvisch und Damman. So helfe uns Gott und alle seine Heiligen.“
Der Amtmann sprach:
„Nach den, vom Schöffengericht gehörten und gelesenen Beweisen ist Herr Joos Damman ein Zauberer, Mörder, Weiberbetörer und Dieb am königlichen Gute und als solcher des Verbrechens an göttlicher und menschlicher Majestät schuldig.“
„Ihr sagt es, Herr Amtmann,“ entgegnete Joos, „aber Ihr werdet mich nicht verurteilen, aus Mangel an Beweisen. Ich bin kein Zauberer und war es nie, ich spielte nur die Rolle des Teufels. Was mein helles Gesicht betrifft, so habt Ihr das Rezept dafür, desgleichen für die Salbe, welches, ob schon es Bilsenkraut, eine giftige Pflanze, enthält, doch nur ein Schlafmittel ist. Wenn dieses Weib, das eine richtige Hexe ist, davon einnahm, versank sie in Schlaf und vermeinte zum Sabbat zu fahren, dort mit nach außen gedrehtem Gesicht in der Runde zu gehen und einen Teufel mit Bocksgesicht, der auf einem Altar stand, anzubeten. Wenn der Umgang beendet war, wähnte sie, daß sie ihn unter den Schwanz küßte, wie die Zauberer tun: nachher überließ sie sich mir, ihrem Freunde, zu seltsamen Paarungen, die ihrem ausschweifenden Sinne gefielen. Wenn ich, wie sie sagte, kalte Arme und kühlen Leib hatte, so war das ein Zeichen der Jugend, nicht der Zauberei. Aber Katheline wollte glauben, was sie wünschte, und mich für einen Teufel halten, ob ich gleich ein Mensch von Fleisch und Bein bin, ganz wie Ihr, die Ihr mich anseht. Sie allein ist schuldig. Indem sie mich für einen Teufel hielt und mich in ihr Bett nahm, sündigte sie mit Absicht und Tat gegen Gott und den Heiligen Geist. Demnach ist sie es, und nicht ich, die das Verbrechen der Zauberei beging; sie ist des Feuers würdig als rasende, boshafte Hexe, die sich für eine Irre ausgeben will, um ihre Bosheit zu verbergen.“
Doch Nele sprach:
„Hört Ihr ihn, den Mörder? Wie eine feile Dirne, die das Rädlein am Arm trägt, hat er das Gewerbe und Handwerk der Liebe getrieben. Hört Ihr ihn? Um sich zu retten, will er die verbrennen lassen, die ihm alles gab.“
„Nele ist boshaft,“ sprach Katheline, „höre nicht auf sie, Hans, mein Geliebter.“
„Nein,“ sagte Nele, „Du bist kein Mensch, Du bist ein feiger, grausamer Teufel.“ Sie umschlang Katheline mit ihren Armen und rief aus: „Ihr Herren Richter, hört nicht auf diesen bleichen Bösewicht. Er hat nur einen Wunsch: meine Mutter verbrannt zu sehen, so sie kein andres Verbrechen beging, als daß Gott sie mit Wahnsinn heimsuchte und sie die Hirngespinste ihrer Träume für Wirklichkeit hielt. Sie hat an Leib und Seele schon gar sehr gelitten. Laßt sie nicht sterben, Ihr Herren Richter. Lasset die Unschuldige in Frieden ihr traurig Dasein leben.“
Und Katheline sagte: „Nele ist boshaft, Du mußt ihr nicht glauben, Hans, mein Gebieter.“
Und unter dem Volk weinten die Frauen, und die Männer sagten: „Gnade für Katheline.“
Auf ein Geständnis, das Joos Damman nach erneuter Folter machte, sprachen der Amtmann und die Schöffen das Urteil. Er wurde verurteilt, aus dem Adel ausgestoßen und bei langsamen Feuer lebendig verbrannt zu werden, bis der Tod einträte. Er erlitt die Strafe am folgenden Morgen vor den Gitterfenstern des Rathauses und sagte immerfort: „Laßt die Hexe sterben, sie allein ist schuldig! Gott sei verflucht! Mein Vater wird die Richter töten.“ Und er gab den Geist auf.
Und das Volk sagte: „Sehet, wie er flucht und lästert; er verendet wie ein Hund.“
Am andern Tage fällten der Amtmann und die Schöffen ihren Spruch über Katheline. Sie ward verurteilt, im Brügger Kanal die Wasserprobe zu bestehen. Bliebe sie oben schwimmen, so sollte sie als Hexe verbrannt werden; ginge sie aber unter und verlöre dabei das Leben, so sollte sie als christlich gestorben angesehen und als solche auf dem Kirchhof begraben werden.
Am nächsten Tage wurde Katheline, die eine Wachskerze trug, barfuß und mit einem schwarzlinnenen Hemde bekleidet, in großer Prozession an den Bäumen entlang bis an das Ufer des Kanals geführt. Vor ihr her schritten der Dechant der Frauenkirche und seine Vikare, die Sterbegebete sangen, und der Meßner, der das Kreuz trug; hinter ihr der Amtmann von Damm, Schöffen, Gerichtsschreiber, Gemeindebüttel, der Profoß, der Henker und seine beiden Knechte. Am Ufer stand eine große Menge weinender Frauen und murrender Männer, beide voll Mitleids für Katheline, die wie ein Lamm dahinschritt, das sich führen läßt, ohne zu wissen wohin, und immer sagte:
„Nehmt das Feuer fort, mein Kopf brennt! Hans, wo bist Du?“ Nele, die unter den Frauen stand, schrie: „Ich will mit ihr hineingeworfen werden!“ Aber die Frauen wehrten ihr, daß sie Katheline nahte.
Vom Meere wehte ein scharfer Wind; vom grauen Himmel fiel ein feiner Hagel in das Wasser des Kanals. Der Henker und seine Knechte bemächtigten sich im Namen seiner königlichen Majestät eines Kahnes, der da war. Auf ihr Geheiß stieg Katheline hinein; der Henker stand darinnen, ergriff sie, und als der Profoß mit der Rute der Gerechtigkeit winkte, warf er Katheline in den Kanal. Sie kämpfte mit der Flut, aber nicht lange; dann sank sie unter, nachdem sie: „Hans, Hans, zu Hilfe,“ gerufen hatte.
Und das Volk sagte: „Dies Weib ist keine Hexe.“
Männer sprangen in den Kanal und zogen Katheline heraus. Sie war von Sinnen und starr wie eine Leiche. Dann ward sie in eine Schenke gebracht und vor ein starkes Feuer gelegt. Nele zog ihr die nassen Kleider und die Wäsche aus, um ihr andere anzulegen. Als sie wieder zu sich kam, sagte sie zitternd und zähneklappernd: „Hans, gib mir einen wollenen Mantel.“
Und Katheline konnte nicht wieder warm werden und starb am dritten Tage. Und sie ward auf dem Kirchhof begraben.
Und die verwaiste Nele begab sich ins Land Holland zu Rosa van Auweghem.
Auf den zeeländischen Huckern, auf den Bujern und den Galeassen fährt Tyll Klas Ulenspiegel davon. Das offne Meer trägt die wackeren Freibeuter darauf acht, zehn oder zwanzig eiserne Feldstücke sind; sie speien Tod und Verderben auf die spanischen Verräter.
Tyll Ulenspiegel, des Klas Sohn, ist ein trefflicher Kanonier.
Man muß ihn sehen, wie er das Stück richtet, scharf visiert und die Schiffsrümpfe der Henker wie eine Mauer aus Butter durchlöchert. Er trägt am Filzhut den silbernen Halbmond mit der Inschrift: „Liever den Turk als den Paus.“ Lieber dem Türken als dem Papst dienen.
Die Matrosen, die ihn flink wie eine Katze und behend wie ein Eichhörnchen auf ihre Schiffe klettern sahen, dabei ein Liedchen singend oder lustige Reden führend, fragten ihn neugierig:
„Wie geht es zu, kleiner Kerl, daß Du ein so jugendlich Aussehen hast, denn die Rede geht, daß es lange her ist, daß du in Damm geboren wurdest?“
„Ich bin nicht Körper, sondern Geist,“ sagte er, „und Nele, mein Liebchen, gleicht mir. Vlämischer Geist, vlämische Liebe, wir werden nicht sterben.“
„Gleichwohl blutest Du, wenn man Dich schneidet,“ sagten sie.
„Das scheint nur so; es ist Wein und nicht Blut.“
„Wir werden Dir einen Zapfen in den Bauch stecken.“
„Ich werde mich allein leeren.“
„Du spottest unser.“
„Wer das Kalbfell schlägt, wird die Trommel hören,“ antwortete Ulenspiegel.
Und die gestickten Banner der römischen Prozessionen flatterten an den Schiffsmasten. In Sammet, Brokat, Seide, Gold- und Silberstoff gekleidet, wie es die Äbte beim Hochamt tun, mit Mitra und Kreuz in den Händen und der Mönche Wein trinkend, so hielten die Geusen auf den Schiffen Wacht.
Und es war ein seltsames Schauspiel, aus diesen reichen Gewändern diese rauhen Hände herausgucken zu sehen, die Hakenbüchse oder Armbrust, Hellebarde oder Picke trugen, lauter Männer mit hartem Gesicht und überdies mit Pistolen und Hirschfängern umgürtet, die in der Sonne glänzten. Sie tranken aus güldenen Kelchen den Klosterwein, welcher zum Weine der Freiheit geworden war.
Und sie sangen und riefen: „Es lebe der Geuse!“ Und also segelten sie auf dem Meer und der Schelde.
Um dieselbige Zeit nahmen die Geusen, unter denen Lamm und Ulenspiegel waren, Gorkum ein. Sie wurden vom Kapitän Marin befehligt. Dieser Marin, der ehemals Deicharbeiter war, spreizte sich in großem Hochmut und Dünkel und unterzeichnete mit Gaspard Turc, dem Verteidiger von Gorkum, eine Kapitulation, laut welcher Turc, die Mönche, Bürger und Soldaten, so in der Zitadelle eingeschlossen waren, frei abziehen sollten mit der Kugel im Munde, der Muskete auf der Schulter mit allem, was sie tragen konnten. Nur die Kirchengüter sollten den Belagerern verbleiben. Doch der Kapitän Marin hielt auf Befehl von Messire de Lumey die dreizehn Mönche als Gefangene zurück und ließ die Soldaten und Bürger ziehen.
Und Ulenspiegel sagte: „Soldatenwort soll gülden Wort sein. Warum hält er seines nicht?“
Ein alter Geuse antwortete Ulenspiegel:
„Die Mönche sind Satans Kinder, der Aussatz der Völker, die Schande der Länder. Seit dem Einmarsch des Herzog Alba tragen sie in Gorkum die Nase hoch. Einer unter ihnen, der Priester Nikolas, ist hoffärtiger als ein Pfau und wilder als ein Tiger. Allemal, wenn er mit seinem Heiligen Sakrament, darinnen seine aus Hundefett gemachte Hostie war, durch die Straße ging, sah er mit wütenden Blicken nach den Häusern, aus denen die Frauen nicht heraus kamen, um niederzuknieen. Er zeigte alle dem Richter an, die nicht vor seinem Götzenbild aus Teig und vergüldetem Kupfer das Knie beugten. Die andern Mönche taten des gleichen. Das war der Anlaß zu mehrfachem großen Jammer, Verbrennungen und grausamer Strafen in der Stadt Gorkum. Der Kapitän Marin tut wohl daran, die Mönche als Gefangene festzuhalten; wenn nicht, würden sie mit ihres Gleichen in die Dörfer, Marktflecken, Städte und Weiler gehen, gegen uns predigen, das Volk aufwiegeln und die armen Reformierten verbrennen lassen. Man legt die Bullenbeißer an die Kette, bis sie verenden; an die Kette mit den Mönchen, an die Kette mit den Bluthunden des Herzogs, in den Käfig mit den Henkern! Es lebe der Geuse!“
„Aber Seine Gnaden von Oranien, unser Freiheitsprinz, will, daß man bei denen, die sich ergeben, die persönliche Habe und das freie Gewissen achte,“ sprach Ulenspiegel.
Die alten Geusen erwiderten:
„Der Admiral will es nicht für die Mönche. Er ist Herr, er hat Briel erobert. In den Käfig mit den Mönchen!“
„Soldatenwort, gülden Wort! Warum bricht er es?“ entgegnete Ulenspiegel. „Die Mönche, die im Gefängnis sind, erdulden da tausend Mißhandlungen.“
„Die Asche brennt nicht mehr auf deinem Herzen,“ sagten sie. „Kraft der Edikte haben hunderttausend Familien die Handwerke, den Gewerbefleiß, den Reichtum unserer Länder nach dem Nordwesten, nach Engelland getragen; beklage denn die, so unser Verderben verschuldeten! Seit Kaiser Karl dem Fünften, dem ersten Henker, und unter dem gegenwärtigen, dem Blutkönig und zweiten Henker, sind hundertundachtzehntausend Personen hingerichtet worden. Wer trug die Totenkerze bei Mord und Tränen? Mönche und hispanische Söldner. Hörst du nicht die Seelen der Toten klagen?“
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ sagte Ulenspiegel. „Soldatenwort, ein gülden Wort.“
„Wer wollte denn,“ so sprachen sie, „das Land durch die Exkommunikation bei allen Völkern in Acht und Bann tun? Wer hätte, wenn er es vermocht hätte, Erde und Himmel, Gott und Teufel und die Scharen der Heiligen gegen uns gewappnet? Wer schmierte die Hostien mit Ochsenblut ein und ließ die hölzernen Statuen weinen? Wer ließ auf unserm heimatlichen Boden den Sterbegesang erschallen, wenn nicht die verfluchte Klerisei, diese Horden faulenzender Mönche, um ihren Reichtum, ihren Einfluß über die Götzenanbeter zu behalten und durch Verderben, Blut und Feuer über das arme Land zu herrschen? In den Käfig mit den Wölfen, die sich auf die am Boden Liegenden stürzen; in den Käfig mit den Hyänen! Es lebe der Geuse!“
„Soldatenwort, gülden Wort,“ entgegnete Ulenspiegel.
Des andern Tages kam ein Bote von Messire de Lumey mit dem Befehl, die neunzehn gefangenen Mönche von Gorkum nach Briel, allwo der Admiral war, bringen zu lassen.
„Sie werden gehenkt werden,“ sagte der Kapitän Marin zu Ulenspiegel.
„Nicht, so lange ich am Leben bin,“ versetzte er.
„Mein Sohn,“ sagte Lamm, „sprich nicht also zu Messire de Lumey. Er ist grimmig und wird dich ohne Gnade mit ihnen henken lassen.“
„Ich werde der Wahrheit gemäß reden,“ erwiderte Ulenspiegel. „Soldatenwort, gülden Wort.“
„Wenn Du sie retten kannst,“ sagte Marin, „so führe ihre Barke bis Briel. Nimm Rochus, den Lotsen, und Deinen Freund Lamm mit, wenn Du willst.“
„Ja, ich will,“ antwortete Ulenspiegel.
Die Barke legte am Quai Vert an, und die neunzehn Mönche stiegen hinein. Der furchtsame Rochus wurde ans Steuerruder gesetzt, und Ulenspiegel und Lamm nahmen wohlbewaffnet im Vorderteil des Fahrzeuges Platz. Verlotterte Söldner, die sich des Plünderns halber zu den Geusen geschlagen hatten, waren bei den hungernden Mönchen. Ulenspiegel gab ihnen zu trinken und zu essen. „Dieser wird Verrat üben,“ sprachen die verlotterten Söldner. Die neunzehn Mönche saßen blöd und schlotternd in der Mitte, ohngeachtet man im Juli war, die Sonne hell und warm schien und ein sanfter Wind die Segel der Barke schwellte, die schwer und rundbäuchig über die grünen Wogen glitt.
Darauf redete Pater Nikolas und sprach zum Steuermann:
„Rochus, führt man uns aufs Galgenfeld?“ Dann wandte er sich nach Gorkum, stand auf und reckte die Hand aus. „O, Stadt Gorkum! welch großes Wehe hast Du zu erleiden! Verflucht wirst Du sein unter den Städten, denn Du hast in Deinen Mauern den Samen der Ketzerei großgezogen! O Stadt Gorkum! Und der Engel des Herrn wird nicht mehr an Deinen Toren Wacht halten. Er wird nicht mehr für die Keuschheit Deiner Jungfrauen, den Mut Deiner Männer und den Reichtum Deiner Kaufleute sorgen! O Stadt Gorkum, verflucht bist Du, Unselige!“
„Verflucht, verflucht,“ erwiderte Ulenspiegel, „verflucht wie der Kamm, der durchgefahren ist und die hispanischen Läuse mitgenommen hat. Verflucht wie der Hund, der die Kette zerbricht, wie das edle Roß, das einen grausamen Reiter von sich abschüttelt. Verflucht Du selbst, einfältiger Pfaff, der es schlecht findet, daß man die Rute, und wäre sie von Eisen, auf dem Rücken der Tyrannen zerbricht.“
Der Mönch schwieg, schlug die Augen nieder und schien in frommen Haß versenkt.
Die Söldner, so Plünderns halber zu den Geusen gekommen waren, saßen bei den Mönchen, die bald Hunger hatten. Ulenspiegel forderte Schiffsbrot und Hering für sie. Der Schiffsmeister antwortete:
„Werfet sie in die Maas, da können sie den Hering ungesalzen fressen.“
Darauf gab Ulenspiegel den Mönchen alles, was er an Brot und Wurst für sich und Lamm bei sich hatte. Der Schiffsmeister und die Söldner sprachen untereinander:
„Das ist ein Verräter, er füttert die Mönche; er muß angezeigt werden.“
In Dordrecht legte die Barke im Hafen am Bloemen-Key an. Männer, Frauen, Knaben und Mädchen kamen in Menge herbeigelaufen, die Mönche zu sehen, wiesen mit dem Finger auf sie oder drohten mit der Faust und sagten zueinander:
„Sehet diese Wichte und Gottmacher, die die Leiber zum Scheiterhaufen und die Seelen ins ewige Feuer bringen; sehet die fetten Tiger und dickbäuchigen Hyänen.“
Die Mönche senkten den Kopf und wagten nicht mehr zu sprechen, und Ulenspiegel sah sie abermals zittern.
„Wir haben noch Hunger, mitleidiger Soldat,“ sagten sie.
Aber der Schiffspatron sprach:
„Wer trinkt allezeit? Der dürre Sand. Wer ißt allezeit? Der Mönch.“
Ulenspiegel ging in die Stadt, um Brot, Schinken und einen großen Krug Bier für sie zu holen.
„Esset und trinket,“ sprach er. „Ihr seid unsere Gefangenen, aber ich werde Euch retten, wenn ich kann. Soldatenwort, gülden Wort.“
„Weshalb gibst Du ihnen das? Sie werden Dir’s nicht lohnen,“ sagten die Söldner und sie sprachen leise miteinander und flüsterten sich diese Worte ins Ohr: „Er hat versprochen, sie zu retten; laßt uns ihn wohl bewachen.“
Bei Tagesanbruch gelangten sie nach Briel. Nachdem ihnen die Tore geöffnet waren, ging ein Eilbote voraus, um Herrn de Lumey ihre Ankunft zu melden.
Kaum hatte er die Kunde empfangen, so kam er, notdürftig bekleidet und von etlichen bewaffneten Reitern und Fußgängern gefolgt, angeritten.
Und Ulenspiegel konnte zum andern Mal den grimmen Admiral sehen, gekleidet wie ein stolzer Herr, der im Überfluß lebt.
„Seid gegrüßt, Ihr Herren Mönche,“ sprach er. „Hebt die Hände auf. Wo ist das Blut der Herren von Egmont und van Hoorn? Ihr zeigt mir eine weiße Pfote, das ist hübsch von Euch.“
Ein Mönch, namens Leonard, sagte:
„Mach mit uns, was Du willst. Wir sind Mönche, keiner wird Anspruch auf uns erheben.“
„Er hat recht geredet,“ sprach Ulenspiegel. „Denn da der Mönch mit der Welt gebrochen hat, die Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Gattin und Liebste ist, so wird er in seinem letzten Stündlein keinen finden, der Anspruch an ihn erhebt. Ich aber, Excellenz, ich will es tun. Da der Kapitän Marin die Kapitulation von Gorkum unterzeichnete, machte er aus, daß diese Mönche frei sein sollten, wie alle, die in der Zitadelle gefangen wurden und aus der Stadt abzogen. Sie wurden jedoch ohne Grund als Gefangene zurückgehalten. Ich höre, daß sie gehenkt werden sollen. Euer Gnaden, ich wende mich in aller Demut an Euch und lege Fürsprache für sie ein; denn ich weiß: Soldatenwort ist gülden Wort.“
„Wer bist Du?“ fragte Messire de Lumey.
„Euer Gnaden,“ antwortete Ulenspiegel, „ich bin ein Vläme aus dem schönen Land Flandern; ein Bauer und Edelmann, alles zumal. Also lustwandle ich durch die Welt, lobe die guten und schönen Dinge und spotte der Dummheit mit keckem Schnabel. Und ich will Euch preisen, so Ihr das Versprechen haltet, das der Kapitän gegeben hat: Soldatenwort ist gülden Wort.“
Aber die Söldner, so auf dem Schiff waren, sagten:
„Euer Gnaden, dieser Mensch ist ein Verräter. Er hat versprochen, sie zu retten; er hat ihnen Brot, Schinken, Wurst, Bier gegeben, und uns nichts.“
Drauf sagte Messire de Lumey zu Ulenspiegel:
„Lustwandelnder Vläme und Ernährer von Mönchen, Du wirst mit ihnen gehenkt werden.“
„Ich habe keine Furcht,“ erwiderte Ulenspiegel, „Soldatenwort ist gülden Wort.“
„Dir ist der Kamm trefflich geschwollen,“ sprach de Lumey.
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ sprach Ulenspiegel.
Die Mönche wurden in eine Scheune gebracht und Ulenspiegel mit ihnen; dort wollten sie ihn durch theologische Argumente bekehren, aber beim Zuhören schlief er ein.
Dieweil Herr de Lumey bei Tafel war und sich an Wein und Fleisch gütlich tat, kam ein Bot von Gorkum vom Kapitän Marin mit der Abschrift der Briefe des Schweigers, Prinzen von Oranien: „Befehl an alle Gouverneure der Städte und andrer Orte, daß sie den Geistlichen gleichen Schutz, gleiche Sicherheit und Vorrechte wie dem übrigen Volk angedeihen lassen.“
Der Bote verlangte bei de Lumey vorgelassen zu werden, um ihm die Abschrift der Briefe zu eignen Händen auszuantworten.
„Wo ist das Original?“ fragte ihn de Lumey.
„Bei meinem Gebieter Marin,“ sagte der Bote.
„Und der Tölpel schickt mir die Abschrift!“ sagte de Lumey. „Wo ist Dein Paß?“
„Hier, Euer Gnaden,“ sagte der Bote.
Herr de Lumey las laut vor:
„Der gnädige Herr und Hauptmann Marin Brandt befiehlt allen Beamten, Gouverneuren und Offizieren der Republik ungefährdet passieren zu lassen“ usw.
De Lumey schlug mit der Faust auf den Tisch und zerriß den Paß. „Blut Gottes,“ schrie er, „was untersteht sich dieser Marin, dieser Lump, der vor der Einnahme von Briel nicht eine Heringsgräte zu beißen hatte! Er betitelt sich gnädiger Herr und Hauptmann und schickt mir Befehle, mir! Er verordnet und befiehlt! Sag Deinem gnädigen Herrn, daß er so sehr Hauptmann und gnädig ist, und so trefflich befehlen und verordnen kann, daß die Mönche alsogleich kurz und hoch sollen aufgehenkt werden, und Du mit ihnen, wenn Du Dich nicht packst.“
Und mit einem Fußtritt stieß er ihn aus dem Saale.
„Zu trinken!“ schrie er. „Habt Ihr die Anmaßung dieses Marin gesehen? Ich werde mein Essen wieder ausspeien, so wütend bin ich. Die Mönche sollen straks in ihrer Scheune gehenkt werden und der lustwandelnde Vläme soll hierher gebracht werden, nachdem er ihrer Hinrichtung beigewohnt hat. Wir wollen doch sehen, ob er es wagen wird, mir zu sagen, daß ich schlecht getan habe. Blut Gottes! Wozu braucht es hier noch Krüge und Gläser?“ Und mit lautem Krachen zerbrach er die Becher und das Geschirr, und niemand traute sich, mit ihm zu sprechen. Die Diener wollten die Scherben auflesen, er duldete es nicht, und indem er ohne Maß die Flaschen austrank, geriet er noch mehr in Wut, rannte mit großen Schritten umher und trampelte und stampfte wütend auf die Scherben. Ulenspiegel ward vor ihn geführt.
„Nun,“ sagte er zu ihm, „bringst Du Kunde von Deinen Freunden, den Mönchen?“
„Sie sind gehenkt,“ sagte Ulenspiegel, „und ein feiger Henker, der aus Habgier schlachtet, hat dem einen, nachdem er tot war, Bauch und Seiten aufgeschlitzt, wie bei einem Schwein, das man ausnimmt, um sein Fett einem Apotheker zu verkaufen. Soldatenwort ist nicht mehr gülden Wort.“
De Lumey zerstampfte die Trümmer des Geschirrs.
„Du trotzest mir, Du vier Schuh hoher Taugenichts, doch Du sollst auch gehenkt werden, nicht in einer Scheune, sondern auf offenem Markt, mit Schimpf und Schande vor allen Leuten.“
„Schande über Euch,“ sagte Ulenspiegel. „Schande über uns. Soldatenwort kein gülden Wort mehr.“
„Wirst Du schweigen, Eisenkopf!“ sagte Messire Lumey.
„Schande über Dich,“ sprach Ulenspiegel, „Soldatenwort kein gülden Wort mehr. Bestrafe lieber die schändlichen Händler mit Menschenfett.“
Darauf stürzte sich Herr de Lumey auf ihn, um ihn zu schlagen.
„Schlag zu,“ sagte Ulenspiegel, „ich bin Dein Gefangener, aber ich habe keine Furcht vor Dir. Soldatenwort kein gülden Wort mehr.“
Da zog Herr von Lumey seinen Degen und hätte Ulenspiegel gewißlich getötet, dafern nicht Herr von Très-Long seinen Arm festgehalten und zu ihm gesagt hätte:
„Erbarme Dich! Er ist ehrlich und tapfer und hat kein Verbrechen begangen.“
Da besann sich de Lumey und sprach:
„Er möge um Pardon bitten“.
Doch Ulenspiegel blieb stehen und sagte:
„Das werde ich nicht tun.“
„Dann soll er zum wenigsten sagen, daß ich nicht Unrecht gehabt habe,“ schrie de Lumey, in Wut geratend.
Ulenspiegel entgegnete:
„Ich bin kein Speichellecker großer Herren; Soldatenwort kein gülden Wort mehr.“
„Der Galgen soll aufgerichtet werden,“ sagte de Lumey. „Führt ihn hin; so wird es ein hanfenes Wort sein.“
„Ja,“ sprach Ulenspiegel, „und vor allem Volk werde ich Dir zurufen: Soldatenwort ist kein gülden Wort mehr!“
Der Galgen ward auf dem großen Markt errichtet, und die Kunde durchlief alsbald die Stadt, daß Ulenspiegel, der tapfere Geuse, gehenkt werden sollte. Und das Volk ward von Mitleid und Teilnahme ergriffen. In hellen Haufen kam es zum Großen Markt, und Herr de Lumey kam auch angeritten, da er selber das Zeichen zur Hinrichtung geben wollte.
Ohne Erbarmen sah er Ulenspiegel mit dem Totenhemd angetan, auf der Leiter stehen, die Arme am Körper festgebunden, die Hände gefaltet, den Strick um den Hals, und den Henker bereit, seines Amtes zu walten.
Très-Long sagte:
„Euer Gnaden, verzeihet ihm, er ist kein Verräter, und niemand hat je einen Menschen henken sehen, weil er aufrichtig und mitleidig war.“
Und als die Männer und Weiber aus dem Volk Très-Long reden hörten, schrien sie: „Erbarmen, Euer Gnaden, Erbarmen und Gnade für Ulenspiegel!“
„Dieser Eisenkopf hat mir getrotzt,“ sprach de Lumey, „er möge bereuen und sagen, daß ich recht getan habe.“
„Willst Du bereuen und sagen, daß er recht getan habe?“ sagte Très-Long zu Ulenspiegel.
„Soldatenwort ist kein gülden Wort mehr,“ gab Ulenspiegel zur Antwort.
„Zieht den Strick zu,“ sagte de Lumey.
Der Henker wollte gehorchen; da sprang ein junges Mädchen, ganz in Weiß gekleidet, mit einem Blumenkränzlein im Haar, wie rasend die Stufen des Blutgerüsts hinauf, warf sich an Ulenspiegels Brust und sagte:
„Dieser Mann ist mein; ich nehme ihn zum Gatten.“
Und das Volk klatschte in die Hände und die Weiber schrieen:
„Es lebe das Dirnlein, Ulenspiegels Retterin!“
„Was bedeutet das?“ fragte Herr de Lumey.
Très-Long antwortete:
„Nach Sitte und Brauch der Stadt ist es Recht und Gesetz, daß ein junges Weib, Jungfrau oder ledig, einen Mann vom Strang errettet, wenn sie ihn am Fuße des Galgens zum Gatten nimmt.“
„Gott ist mit ihm,“ sprach de Lumey, „bindet ihn los.“
Darauf ritt er an das Gerüst heran und sah das Mägdlein geschäftig, Ulenspiegels Stricke zu zerschneiden, und der Henker wollte sich ihrem Vorhaben widersetzen und sagte:
„So Ihr sie zerschneidet, wer wird sie bezahlen?“
Aber das Mägdlein hörte ihn gar nicht.
Da er sah, daß sie so behend, verliebt und klug war, ward er gerührt.
„Wer bist Du?“ fragte er.
„Ich bin Nele, seine Braut, und komme aus Flandern, ihn zu suchen.“
„Du tatest recht,“ sagte de Lumey in rauhem Ton.
Und er ritt von dannen.
Drauf kam Très-Long heran.
„Kleiner Vläme,“ sagte er, „wirst Du als Ehemann noch Soldat auf unsern Schiffen bleiben?“
„Ja, Herr,“ antwortete Ulenspiegel.
„Und Du, Mägdlein, was wirst Du ohne Deinen Mann anfangen?“
Nele antwortete:
„Wenn Ihr erlaubt, Herr, werde ich auf seinem Schiff Pfeifer werden.“
„Ich erlaube es,“ sagte Très-Long.
Und er gab ihr zwei Gülden für die Hochzeit.
Und Lamm sagte, vor Freude weinend und lachend:
„Hier sind noch drei Gülden: wir wollen alles aufessen, ich bezahle. Laßt uns zum „Güldenen Kamm“ gehen. Mein Freund ist nicht tot. Es lebe der Geuse!“
Und das Volk klatschte Beifall, und sie gingen zum „Güldenen Kamm“, allwo ein großer Schmaus bestellt ward, und Lamm warf Heller zum Fenster hinaus für das Volk.
Und Ulenspiegel sagte zu Nele:
„Herzallerliebste, da bist Du also bei mir! O, Jubel! Sie ist hier, mit Leib, Herz und Seele, mein süßes Liebchen. O, die sanften Augen und die schönen roten Lippen, von welchen immer nur gute Worte kamen. Auf unsern Schiffen wirst Du die Pfeife der Freiheit blasen. Entsinnst Du Dich ... Doch nein ... Unser ist die gegenwärtige Stunde voller Wonne, und mein ist Dein Antlitz hold wie Blüten des Rosenmonds. Ich bin im Paradiese. Doch Du weinst ...?“
„Sie haben sie umgebracht,“ sprach sie.
Und sie erzählte ihm die Leidensgeschichte.
Und sich einander anschauend, weinten sie vor Liebe und Schmerz. Und beim Festmahl aßen und tranken sie, und Lamm blickte sie betrübt an und sagte:
„Ach, mein Weib, wo bist Du?“
Und der Priester kam und traute Nele und Ulenspiegel.
Und die Morgensonne fand sie nebeneinander auf ihrem Hochzeitslager.
Und Neles Haupt ruhte auf Ulenspiegels Schulter. Und als sie beim Sonnenschein erwachte, sagte er:
„Blühendes Antlitz und sanftes Herz, wir werden Flanderns Rächer sein.“
Und sie küßte ihn auf den Mund und sagte: „Närrischer Sinn und starker Arm, Gott wird Pfeife und Degen segnen.“
„Ich werde Dir ein Soldatenkleid machen.“
„Sogleich?“ fragte sie.
„Sogleich,“ antwortete Ulenspiegel. „Aber wer sagt doch, daß morgens die Erdbeeren gut sind? Dein Mund ist weit besser.“
Ulenspiegel, Lamm und Nele hatten, gleich ihren Freunden und Gefährten, den Klöstern die Habe wieder abgenommen, so diese dem Volke durch Prozessionen, falsche Wunder und andere römische Gaukeleien aus der Tasche gezogen hatten.
Dies war gegen den Befehl des Schweigers, des Freiheitsprinzen, aber das Geld diente zur Bezahlung der Kriegskosten.
Lamm Goedzak, nicht zufrieden, sich mit Geld zu versorgen, raubte Schinken, Würste, Flaschen, Wein und Bier aus den Klöstern und kehrte frohgemut zurück, ein Wehrgehenk mit Geflügel, Truthennen, Kapaunen, Hühnern und Kücken auf der Brust tragend und etliche mönchische Kälber und Schweine an einem Strick hinterdreinschleifend. Und das gemäß dem Kriegsrecht, wie er sagte.
Hocherfreut über jede Beute, trug er sie aufs Schiff, damit man damit Schmausereien und Gelage veranstaltete; gleichwohl beklagte er sich, daß der Schiffskoch in der Wissenschaft der Brühen und Fleischgerichte so unbewandert sei.
Eines Tages, da die Geusen siegesfroh ihren Wein schlürften, sprachen sie zu Ulenspiegel:
„Du hast immer die Nase nach dem Winde, um Zeitung vom Festland zu wittern; Du kennst alle Kriegsabenteuer: sing sie uns vor. Indes wird Lamm die Trommel schlagen und der hübsche Pfeifer wird nach dem Takt Deines Liedes blasen.“
Und Ulenspiegel sagte:
„An einem hellen, kühlen Maitage findet Ludwig von Nassau, der in Mons einzurücken gedenkt, nicht Fußsoldaten noch Reiterei. Etliche heimliche Anhänger hielten ein Tor offen und eine Brücke war herabgelassen, auf daß er in Besitz der Stadt käme. Aber die Bürger bemächtigten sich der Stadt und des Tores. Wo sind des Grafen Ludwig Soldaten? Die Bürger wollen die Brücke aufziehen. Graf Ludwig stößt ins Horn.“
Und Ulenspiegel sang:
Und die Geusen sangen auf den Schiffen: „Christe, schau nieder auf Deine Soldaten. Schärfe unsere Waffen, Herr. Es lebe der Geuse!“
Und Nele ließ lächelnd die schrillen Töne der Pfeife erklingen, und Lamm schlug die Trommel, und die güldenen Kelche und die Freiheitslieder erhoben sich zum Himmel, dem Tempel Gottes. Und gleich Meerjungfrauen murmelten die klaren, kühlen Wogen melodisch um das Schiff.
An einem Tag im Augustmond, einem schwülen, heißen Tage blies Lamm Trübsal. Seine lustige Trommel war still und schlief, und die Trommelstöcke sahen aus seiner Kriegstasche hervor.
Ulenspiegel und Nele lächelten vor verliebten Wohlbehagen und wärmten sich in der Sonne; die Marswachen pfiffen oder sangen, dieweil sie über das weite Meer Ausschau hielten, ob sie am Horizont nicht etwelche Beute erspähten. Wenn Très-Long sie fragte: sagten sie immer: „Niets, nichts.“
Und Lamm, bleich und niedergedrückt, seufzte erbärmlich. Und Nele sagte:
„Woher kommt es, Lamm, daß Du so bekümmert bist?“
Und Ulenspiegel sprach zu ihm:
„Du wirst mager, mein Sohn.“
„Ja,“ sagte Lamm, „ich bin betrübt und mager. Mein Herz büßt seine Heiterkeit und mein Vollmondsgesicht seine Frische ein. Ja, lacht nur über mich, Ihr, die Ihr Euch durch tausend Gefahren wiederfandet. Spottet des armen Lamm, der, wiewohl verheiratet, wie ein Witwer lebt, indes die da“, sprach er, auf Nele deutend, „ihren Mann der Umarmung des Strickes entriß, der sein letztes Liebchen sein wird. Sie tat wohl daran, Gott sei gelobt, aber sie muß nicht über mich lachen. Jawohl, Du mußt nicht über den armen Lamm lachen, Nele, mein Herzchen! Mein Weib lacht für zehn. Ach, Ihr Weiber seid grausam gegen die Schmerzen Andrer. Ja, mein Herz ist betrübt, vom Schmerze der Trennung verwundet, und nichts kann es trösten, denn sie allein.“
„Oder irgend ein Fleischgericht,“ sagte Ulenspiegel.
„Wohl,“ sprach Lamm, „wo ist auf diesem elenden Schiff das Fleisch? Auf den Schiffen des Königs kriegen sie es viermal in der Woche, dafern nicht Fasttag ist, und dreimal Fisch. Was die Fische angeht, Gott verdamme mich, wenn dies Faserzeug / ich meine ihr Fleisch / etwas anderes tut als mir unnütz das Blut zu erhitzen, mein armes Blut, das sich bald in Wasser verwandeln wird. Sie haben Bier, Käse, Suppe und gutes Getränk. Ja, sie haben alles für des Magens Behagen: Schiffszwieback, Roggenbrot, Bier, Butter, Rauchfleisch; ja, alles: gedörrten Fisch, Käse, Senfsamen, Salz, Bohnen, Erbsen, Grütze, Essig, Öl, Talg, Holz und Kohlen. Uns aber hat man verboten, Vieh zu rauben, wessen es auch sei, eines Bürgers, Abtes oder Edelmannes. Wir essen Hering und trinken Dünnbier. Wehe, ich habe nichts mehr; nicht Frauenliebe, noch guten Wein, nicht Doppel-Braunbier, noch gute Nahrung. Wo sind hier unsere Freuden?“
„Das will ich Dir sagen, Lamm,“ antwortete Ulenspiegel. „Auge um Auge, Zahn um Zahn. In der Bartholomäusnacht zu Paris haben sie zehntausend freie Seelen allein in der Stadt Paris getötet, der König hat selbst auf sein Volk geschossen. Erwache, Vläme, ergreife das Beil ohne Erbarmen: Das sind unsere Freuden. Triff den feindlichen, römischen Spanier, wo immer Du ihn findest. Laß Deine Esserei beiseite. Sie haben die Opfer, tot oder lebendig, an ihren Fluß geschafft und sie zu ganzen Wagenladungen ins Wasser geworfen. Tot oder lebendig, hörst Du, Lamm? Die Seine war neun Tage lang rot, und die Raben ließen sich in Scharen auf die Stadt nieder. In La Charité, Rouen, Toulouse, Lyon, Bordeaux, Bourges und Meaux war das Blutbad entsetzlich. Siehst Du die Scharen vollgefressener Hunde, die sich bei den Kadavern niederlegen? Ihre Zähne sind müde von der Arbeit; der Flug der Raben ist schwerfällig, so sehr haben sie sich den Magen mit dem Fleische der Opfer angefüllt. Hörst Du die Stimmen der Seelen, Lamm, die um Rache und Mitleid gen Himmel schreien? Erwache, Vläme. Du sprichst von Deiner Frau. Ich glaube nicht, daß sie untreu ist, aber betört, und sie liebt Dich noch, armer Freund. Sie war nicht unter den Damen vom Hofe, die in der Nacht des Blutbades die Leichen entblößten, um zu sehen, ob ihre Männlichkeit groß oder klein war. Und sie lachten, diese großen Damen, groß in Unzucht. Freue Dich, mein Sohn, trotz Deines Fisches und Dünnbiers. Wenn der Nachgeschmack des Herings widerlich ist, so ist es der Geruch dieser Geilheit noch mehr. Die geschlachtet haben, halten Festmahle, und mit schlecht gewaschenen Mörderhänden zerlegen sie die fetten Gänse, um den artigen Pariser Edelfräulein die Flügel, Füße und das Hinterteil anzubieten. Die aber hatten zuvor anderes Fleisch, kaltes Fleisch berührt.“
„Ich werde nicht mehr klagen, mein Sohn,“ sagte Lamm und stand auf. „Für die freien Seelen ist der Hering eine Fettammer und das Dünnbier gleicht Malvasier.“
Und Ulenspiegel sprach:
Und die Geusen auf den Schiffen sangen:
In einer düsteren Nacht, als der Donner in den Tiefen der Wetterwolken grollte, war Ulenspiegel mit Nele auf Deck und sprach:
„All unsere Lichter sind gelöscht. Wir sind Füchse, die nachts auf das spanische Geflügel lauern, das ist auf ihre zweiundzwanzig Kuffs, reiche Schiffe, darauf die Laternen schimmern, die für sie böse Sterne sind. Und wir werden sie verfolgen.“
Nele sprach:
„Diese Nacht ist eine Zaubernacht. Der Himmel ist schwarz wie der Höllenschlund, die Sterne funkeln wie Satans Lächeln, der ferne Donner grollt dumpf, die Möwen fliegen laut kreischend vorüber. Das Meer wälzt seine phosphorschimmernden Wellen wie silberne Schlangen. Tyll, mein Geliebter, komm in die Welt der Geister. Nimm das Zauberpulver“ ...
„Werde ich die Sieben sehen, Liebchen?“
Und sie nahmen das Zauberpulver.
Und Nele drückte Ulenspiegel die Augen zu und Ulenspiegel schloß sie Nele. Und sie erblickten ein grausames Schauspiel.
Himmel, Erde und Meer waren voll von Männern, Weibern und Kindern, die da arbeiteten, ruderten, wanderten oder träumten. Das Meer schaukelte sie, die Erde trug sie und sie wimmelten wie Aale in einem Korbe.
Sieben Männer und Frauen saßen mitten im Himmel auf Thronen, die Stirnen mit einem glänzenden Sterne gekrönt; aber sie waren so verschwommen, daß Nele und Ulenspiegel nur ihre Sterne deutlich erblickten.
Das Meer stieg bis zum Himmel und wälzte in seinem Schaum eine Unzahl von Schiffen, deren Masten und Takelwerk nach der Willkür der stürmisch bewegten Wogen aneinanderstießen, sich verwickelten, zerbrachen und zerspellten. Dann erschien ein Schiff inmitten aller andern. Seine Verschalung war von glühendem Eisen, der stählerne Kiel scharf wie ein Messer. Das Wasser schrie und ächzte, wenn es hindurchfuhr. Der Tod saß hohnlachend auf dem Heck, in der einen Hand seine Hippe, in der andern eine Peitsche, womit er sieben Personen schlug. Die eine war ein trübseliger, magerer, hochmütiger, schweigsamer Mensch. In der einen Hand hielt er ein Zepter, in der andern einen Degen. Neben ihm saß eine rothaarige Dirne auf einer Ziege, ihre Brüste waren bloß, ihr Kleid offen und sie hatte freche Augen. Unzüchtig reckte sie sich zur Seite eines alten Juden, der Nägel aufsammelte, und eines dicken, gedunsenen Mannes, der allemal umfiel, wenn sie ihn aufrichtete. Ein mageres, wütendes Weib prügelte alle beide. Der dicke Mann rächte sich nicht, noch minder seine rothaarige Gefährtin. Ein Mönch in ihrer Mitte aß Würste. Ein Weib, das auf der Erde lag, kroch wie eine Schlange zwischen den andern hindurch, biß den alten Juden wegen seiner alten Nägel, den gedunsenen Mann, weil er zu gemächlich war, die rothaarige Dirne wegen des feuchten Schimmers ihrer Augen, den Mönch wegen der Würste, und den Magern wegen seines Zepters. Und alsbald prügelten sich alle.
Als sie weiterfuhren, ward die Schlacht auf dem Meer, im Himmel und auf Erden entsetzlich. Es regnete Blut. Die Schiffe wurden von Beilhieben, Büchsen- und Kanonenschüssen zerschmettert, ihre Trümmer flogen mitten im Pulverdampf in die Luft. Auf dem Lande prallten die Heere wie eherne Mauern zusammen. Städte, Dörfer und Ernten verbrannten unter Geschrei und Tränen. Die stolzen Schattenrisse der ragenden Glockentürme hoben sich wie steinerne Spitzenzier vom Feuerschein ab; dann stürzten sie gleich gefällten Eichen dröhnend zu Boden. Schwarze Reiter, zahlreich und dicht wie Ameisenhaufen, den Degen in der Hand und die Pistole in der Faust, töteten Männer, Weiber und Kinder. Etliche schlugen Löcher ins Eis und senkten lebende Greise hinein; andere schnitten den Weibern die Brüste ab und streuten Pfeffer darauf, andere henkten Kinder in den Essen auf. Die des Tötens müde waren, taten irgend einem Mädchen oder einer Frau Gewalt an, tranken, spielten Würfel und wühlten mit roten Fingern in Goldhaufen, dem Ertrage der Plünderung.
Die sieben Sterngekrönten riefen: „Erbarmen für die arme Welt!“
Und die Gespenster hohnlachten. Und ihre Stimmen glichen denen von tausend Fischadlern, die zumal schrieen. Und der Tod schwang seine Hippe.
„Hörst Du sie?“ sagte Ulenspiegel; „das sind die Raubvögel der armen Menschen. Sie nähren sich von kleinen Vögeln, nämlich den Schlichten und Guten.“
Die sieben Sterngekrönten riefen: „Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit!“
Und die sieben Gespenster hohnlachten. Und ihre Stimmen glichen denen von tausend Fischadlern, die zumal schreien. Und der Tod peitschte sie.
Und das Schiff fuhr mitten hindurch und schnitt Kriegsschiffe, Boote, Männer, Weiber und Kinder entzwei. Die Klagen der Opfer, die „Erbarmen“ riefen, widerhallten auf dem Meere. Und das rote Schiff segelte über sie alle hinweg, dieweil die lachenden Gespenster gleich Seeadlern schrieen. Und der Tod trank hohnlachend das blutige Wasser.
Da das Schiff im Nebel verschwunden war, hörte die Schlacht auf und die sieben Sterngekrönten vergingen.
Und Ulenspiegel und Nele sahen nichts mehr denn den schwarzen Himmel, die hochgehende See, die düstern Wetterwolken, die auf dem phosphorschimmernden Wasser heranzogen, und ganz nahe rote Sterne. Es waren die Laternen der zweiundzwanzig Kuffs. Das Meer und der Donner grollten dumpf.
Und Ulenspiegel läutete sacht die Alarmglocke und rief: „Der Spanier, der Spanier! Er segelt auf Vlissingen!“ Und der Ruf hallte wider durch die ganze Flotte.
Und Ulenspiegel sagte zu Nele:
„Ein grauer Schimmer breitet sich über Himmel und Meer aus. Die Laternen leuchten nur noch schwach; der Tag bricht an, der Wind frischt auf, die Wogen schleudern ihren Schaum über das Deck der Schiffe, ein starker Regen fällt und hört sogleich wieder auf. Die Sonne geht strahlend auf und vergoldet die Wogenkämme; das ist Dein Lächeln, Nele, frisch wie der Morgen, sanft wie der Sonnenstrahl.“
Die zweiundzwanzig Kuffs segeln vorbei. Auf den Schiffen der Geusen dröhnen die Trommeln und schrillen die Pfeifen; de Lumey ruft: „Auf Befehl des Prinzen: Klar zum Entern!“ Ewont Pietersen Wort, Vizeadmiral, ruft: „Auf Befehl Seiner Gnaden von Oranien und des Herrn Admirals: Klar zum Entern!“ Auf allen Schiffen, „Johanna“, „Schwan“, „Anne-Mie“, „Geuse“, „Kompromiß“, „von Egmont“, „von Hoorn“, „Willem de Zwyger“, rufen alle Kapitäne: „Auf Befehl seiner Gnaden von Oranien und des Herrn Admirals: Klar zum Entern!“
„Klar zum Entern! es lebe der Geuse!“ rufen die Soldaten und Matrosen.
Très-Longs Hucker, „Briel“ genannt, auf dem Ulenspiegel und Lamm sind, gefolgt von „Johanna“, „Schwan“ und „Geuse“, erobert vier Kuffs. Die Geusen werfen alles, was spanisch ist, ins Wasser, nehmen die Niederländer gefangen, leeren die Schiffe aus wie Eierschalen und lassen sie ohne Mast noch Segel in die Rhede treiben. Dann machen sie Jagd auf die achtzehn andern. Der Wind weht heftig von Antwerpen, die Längsseiten der schnellen Schiffe neigen sich unter der Wucht der geschwellten Segel ins Wasser des Flusses, wie Mönchswangen beim Winde, der aus den Küchen kommt. Die Kuffs fahren schnell; die Geusen verfolgen sie bis in die Rhede von Middelburg unter dem Feuer der Forts. Da entspinnt sich eine blutige Schlacht. Die Geusen schwingen sich mit Äxten auf die Decks der Schiffe, die alsbald mit abgehauenen Armen und Beinen übersäet sind, also daß sie nach der Schlacht körbeweise in die Fluten geworfen werden müssen. Die Forts feuern auf sie; sie spotten ihrer, und mit dem Ruf: „Es lebe der Geuse!“ nehmen sie Pulver, Bomben, Kugeln und Getreide aus den Kuffs. Nachdem sie sie entleert haben, stecken sie sie in Brand, lassen sie rauchend und brennend in der Rhede zurück und segeln nach Vlissingen.
Von dort werden sie Mannschaft aussenden, um die Deiche von Holland und Zeeland zu durchstechen und beim Bau neuer Schiffe zu helfen, sonderlich der Vliebote von hundertundvierzig Tonnen, welche bis zu zwanzig gußeiserne Feldstücke tragen können.
Es schneit auf die Schiffe. Ganz weiß ist die Luft bis weit in die Ferne und ohn Unterlaß fällt der Schnee und sinkt weich in die schwarze Flut, wo er schmilzt.
Es schneit auf das Land, ganz weiß sind die Wege, ganz weiß die schwarzen Umrisse der entblätterten Bäume. Kein Laut als die fernen Glocken von Haarlem, welche die Stunde läuten, und das fröhliche Glockenspiel, das seine gedämpften Töne in die dicke Luft hinaussendet.
„Ihr Glocken, läutet nicht, Ihr Glocken, spielt nicht Eure schlichten, holden Weisen: Don Federigo naht, der junge Blutherzog. Er marschiert auf Dich los, und ihm folgen fünfunddreißig Fähnlein Spanier, Deine tödlichen Feinde, o Haarlem, Stadt der Freiheit; zweiundzwanzig Fähnlein Wallonen, achtzehn Fähnlein Deutsche, achthundert Pferde und viel Geschütz. Hörst Du das Dröhnen dieses mörderischen Eisenwerks auf den Lafetten? Falkonetts, Feldschlangen, kurze Kanonen mit großem Rachen, all das ist für Dich, Haarlem. Glocken, läutet nicht, Glockenspiel, sende nicht Deine frohen Weisen in die dicke Schneeluft hinauf.“
„Wir Glocken werden läuten; ich, das Glockenspiel, werde meine kühnen Klänge in die dicke Schneeluft hinaufsenden.“ Haarlem ist die Stadt der tapferen Herzen, der mutigen Frauen. Ohne Furcht sieht sie von ihren Glockentürmen die schwarzen Scharen ihrer Henker wie höllische Ameisenhaufen kribbeln. Ulenspiegel, Lamm und hundert Meergeusen sind in ihren Mauern. Ihre Flotte kreuzt auf dem See.“
„Mögen sie kommen!“ sagen die Einwohner. „Wir sind nur Bürger, Fischer, Seeleute und Frauen. Um bei uns einzudringen, braucht Herzog Albas Sohn, so sagt er, keine andren Schlüssel als sein Geschütz. Möge er die schwachen Tore öffnen, wenn er kann; er wird Männer dahinter finden. Läutet, Glocken; sende Deine fröhlichen Weisen, o Glockenspiel, in die schwere Schneeluft hinauf.
„Wir haben nur schwache Mauern und Gräben nach alter Art. Vierzehn Kanonen speien ihre sechsundvierzigpfündigen Kugeln auf die Cruys-poort. Stellt Männer hin, wo Steine fehlen. Die Nacht kommt, ein jeder arbeitet; es ist, als habe das Geschütz nie hindurch geschossen. Auf die Cruys-poort haben sie sechshundertachtzig Kugeln geschossen, auf die Porte Saint-Jean sechshundertfünfundsiebzig. Diese Schlüssel schließen nicht, denn siehe, dahinter erhebt sich ein neues Bollwerk. Läutet, Glocken, sende, Glockenspiel, Deine fröhlichen Weisen in die schwere Schneeluft hinauf.
„Das Geschütz schießt, schießt immerfort gegen die Mauern; die Steine springen ab, die Mauerecken stürzen ein. Die Bresche ist weit genug, daß eine Kompagnie in Front hindurch könnte. „Sturm! Tod! Tod!“ schreien sie. Sie stürmen an, es sind ihrer zehntausend. Laßt sie mit ihren Laufbrücken und Sturmleitern die Festungsgräben passieren. Unser Geschütz ist bereit. Das ist die Schar der Todgeweihten. Grüßt sie, Kanonen der Freiheit! Sie grüßen: die Kettenkugeln, die brennenden Pechkränze, die zischend fliegen und die Masse der Stürmenden durchbrechen, zerschlagen, in Brand setzen und blenden, also daß sie weichen und in Verwirrung fliehen. Fünfzehnhundert Tote erfüllen den Graben. Läutet, Glocken, und Du, Glockenspiel, sende Deine fröhlichen Weisen in die schwere Schneeluft hinauf!
„Erneuert den Sturm! Sie wagen es nicht. Sie verlegen sich wieder aufs Schießen und Minenlegen. Wir verstehen uns auch auf diese Kunst. Unter ihnen, unter ihnen zündet die Lunte an; lauft, wir werden ein schönes Schauspiel sehen. Vierhundert Spanier fliegen in die Luft. Das ist nicht der Weg nach dem ewigen Feuer. O, der schöne Tanz beim silbernen Klang unserer Glocken, bei der fröhlichen Musik unseres Glockenspiels!
„Sie ahnen nicht, daß der Prinz über uns wacht, daß alle Tage Schlitten mit Getreide und Pulver durch wohlbewachte Zugänge zu uns gelangen; das Getreide für uns, das Pulver für sie. Wo sind ihre sechshundert Deutschen, die wir im Haarlemer Wald erschlugen und ertränkten? Wo sind die elf Fahnen, die wir ihnen abnahmen, die sechs Geschütze und fünfzig Ochsen? Wir hatten einen Mauergürtel, jetzt haben wir deren zwei. Selbst die Frauen kämpfen, und Kennan führt ihre tapfere Schar. Kommt, Henker, rückt in unsere Gassen ein, die Kinder werden Euch mit ihren kleinen Messern die Kniekehlen zerschneiden. Läutet, Ihr Glocken, und du, Glockenspiel, sende Deine fröhlichen Weisen in die dicke Luft hinauf!
„Aber das Glück ist nicht mit uns. Die Flotte der Geusen ist auf dem See geschlagen. Geschlagen sind die Truppen, die Oranien uns zu Hilfe geschickt hatte. Es friert, es friert stark. Keine Hilfe! Auch leisten wir, tausend gegen zehntausend, fünf Monate lang Widerstand. Jetzt müssen wir mit unsern Peinigern unterhandeln. Wird der junge Blutherzog, der uns den Untergang schwor, von keinem Vergleich hören wollen? Wir wollen alle Soldaten mit ihren Waffen ausfallen lassen, sie werden die feindlichen Scharen durchbrechen. Aber die Frauen sind an den Toren und fürchten, man werde sie allein die Stadt bewachen lassen. Glocken, läutet nicht mehr; Glockenspiel, sende Deine fröhlichen Weisen nicht mehr in die Luft hinauf!
„Jetzt haben wir Juni, das Heu duftet, das Getreide wird gülden in der Sonne, die Vögel singen; wir haben fünf Monde lang Hunger gelitten, die Stadt ist in Trauer. Wir ziehen alle aus Haarlem heraus, die Schützen voran, um den Weg zu bahnen, die Frauen und die Kinder und der Magistrat hinterdrein, beschützt vor dem Fußvolk, das über die Bresche Wacht hält. Ein Brief, ein Brief des jungen Blutherzogs. Ist’s Tod, was er kündet? Nein, Leben für alles, was in der Stadt ist. O unerwartete Güte — Lüge vielleicht! Wirst Du wiederum singen, fröhliches Glockenspiel? Sie rücken in die Stadt ein.“
Ulenspiegel, Lamm und Nele hatten die Tracht der deutschen Söldner angelegt, die, sechshundert an der Zahl, mit ihnen im Kloster der Augustiner eingesperrt waren.
„Wir werden heute sterben,“ sagte Ulenspiegel ganz leise zu Lamm.
Und er preßte Neles reizenden Körper, der vor Furcht bebte, an seine Brust.
„Ach, meine Frau, die werde ich nicht wiedersehen,“ sprach Lamm. „Aber vielleicht wird uns unsere deutsche Soldatentracht das Leben retten?“
Ulenspiegel schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er an keine Gnade glaubte.
„Ich höre den Lärm des Plünderns nicht,“ sagte Lamm.
Ulenspiegel erwiderte:
„Die Bürger haben dem Abkommen gemäß Plünderung und Leben um die Summe von zweihundertvierzigtausend Gülden erkauft. Sie werden binnen zwölf Tagen hunderttausend Gülden bar und den Rest drei Monate später zahlen. Den Frauen ist anbefohlen, sich in die Kirche zurückzuziehen. Ohne Zweifel werden sie jetzt mit dem Morden beginnen. Hörst Du, wie sie Blutgerüste nageln und die Galgen aufrichten.“
„Ach, wir werden sterben,“ sagte Nele; „mich hungert!“
„Ja,“ flüsterte Lamm Ulenspiegel zu, „der junge Blutherzog hat gesagt, daß wir ausgehungert gefügiger sein werden, wenn man uns zum Tode führt.“
„Mich hungert so sehr,“ sagte Nele.
Am Abend kamen Soldaten und verteilten ein Brot für sechs Mann.
„Dreihundert wallonische Soldaten sind auf dem Markt gehenkt worden,“ sagten sie. „Bald werdet Ihr drankommen. Es war von jeher Hochzeit der Geusen mit dem Strick.“
Am nächsten Abend kamen sie wiederum mit ihrem Brot für sechs Mann:
„Vier vornehme Bürger sind enthauptet worden,“ sagten sie. „Zweihundertneunundvierzig Soldaten sind zwei zu zweit zusammen gebunden und ins Meer geworfen. Die Krabben werden dies Jahr fett werden. Ihr anderen habt kein gutes Aussehen seit dem 7. Juli, wo Ihr hier seid. Die Niederländer sind Fresser und Säufer; wir Spanier haben an zwei Feigen zum Nachtmahl genug.“
„Darum also,“ antwortete Ulenspiegel, „muß man Euch überall beim Bürger vier Mahlzeiten von Fleisch, Geflügel, Rahmspeisen, Wein und Eingemachten bereiten; darum braucht Ihr Milch, um die Leiber Eurer Mustachos zu waschen, und Wein, um die Füße Eurer Pferde zu baden?“
Am 18. Juli sagte Nele:
„Ich habe nasse Füße; was ist das?“
„Blut,“ sagte Ulenspiegel.
Am Abend kamen die Soldaten abermals mit ihrem Brote für sechs.
„Wo der Strick nicht mehr hinreicht, tut das Schwert die Arbeit,“ sagten sie. „Dreihundert Soldaten und siebenundzwanzig Bürger, die aus der Stadt zu entfliehen gedachten, lustwandeln jetzt mit dem Kopf in der Hand in die Hölle.“
Am folgenden Tag drang das Blut wiederum ins Kloster. Die Soldaten kamen, nicht um Brot zu bringen, sondern nur, um die Gefangenen zu betrachten. Sie sagten:
„Die fünfhundert Wallonen, Engländer und Schotten, so gestern geköpft sind, sahen gesünder aus. Diese da haben gewißlich Hunger; aber wer sollte Hungers sterben, wenn nicht der Geuse?“
Und wahrlich, bleich, abgezehrt, kraftlos und in kaltem Fieber erzitternd, waren sie alle Gespenstern gleich.
Am sechzehnten August um fünf Uhr abends traten die Soldaten lachend ein und gaben ihnen Brot, Käse und Bier. Lamm sprach:
„Das ist die Henkersmahlzeit.“
Um zehn Uhr kamen vier Fähnlein; die Kapitäne ließen die Türen des Klosters öffnen und befahlen den Gefangenen, zu viert hinter den Pfeifern und Trommlern zu marschieren, bis an den Ort, wo man ihnen Halt gebieten würde. Manche Straßen waren rot, und sie schritten nach dem Galgenfeld.
Hier und da waren die Wiesen mit Blutlachen befleckt; Blut war rings um die Mauern. Die Raben kamen von allen Seiten in Scharen; die Sonne verbarg sich in einer Nebelschicht. Der Himmel war noch hell, und in seinen Tiefen tauchten zaghaft die Sterne auf. Plötzlich vernahmen sie klägliches Geheul.
Die Soldaten sagten:
„Die da schreien, sind die Geusen aus dem Fort Fuycke, außerhalb der Stadt; man läßt sie Hungers sterben.“
„Auch wir werden sterben,“ sagte Nele.
Und sie weinte.
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ sagte Ulenspiegel.
„Ach,“ sprach Lamm auf Vlämisch / die Soldaten des Geleits verstanden diese stolze Sprache nicht / „ach,“ sprach Lamm, „wenn ich diesen Blutherzog halten und ihn zwingen könnte, alle Stricke, Galgen, Folterbänke, hölzerne Pferde, Gewichte und spanische Stiefel zu fressen, bis ihm die Haut platzte; wenn ich ihm das von ihm vergossene Blut eingießen könnte, und daß Holzsplitter und Eisenstücke durch seine zerissene Haut und seine entblößten Eingeweide drängen! Und wenn er noch nicht den Geist aufgäbe, würde ich ihm das Herz aus der Brust reißen und es ihn roh und giftig fressen lassen. Dann würde er sicherlich aus dem Leben abscheiden und in den Schwefelpfuhl fallen, wo der Teufel es ihn für und für essen ließe. Und so während der ganzen langen Ewigkeit.“
„Amen,“ sagten Ulenspiegel und Nele.
„Aber siehst Du nichts?“ fragte sie.
„Nein,“ sagte er.
„Ich sehe im Westen fünf Männer und zwei Frauen im Kreise sitzen,“ sagte sie. „Der eine ist mit Purpur bekleidet und tragt eine güldene Krone. Er scheint das Haupt der andern zu sein, die alle zerlumpt und bettelhaft sind. Von Osten her seh ich eine andere Schar von sieben kommen. Auch ihnen gebeut einer, der in Purpur gekleidet ist, doch er trägt keine Krone. Und sie stoßen auf die aus Westen, und sie kämpfen in der Wolke gegen sie; aber ich sehe nichts mehr.“
„Die Sieben,“ sprach Ulenspiegel.
„Ich höre,“ sagte Nele, „neben uns im Laub eine Stimme gleich einem Hauch sprechen:
„Andere als wir werden das Land Flandern befreien,“ erwiderte Ulenspiegel. „Die Nacht wird schwarz, die Soldaten zünden Fackeln an. Wir sind beim Galgenfeld. O, süße Liebste, warum bist Du mir gefolgt? Hörst Du nichts mehr, Nele?“
„Doch,“ sprach sie, „ein Klirren von Waffen in den Kornfeldern. Und da über diesem Hügel, welcher den Weg, den wir einschlagen, überragt, siehst Du den roten Fackelschein auf dem Erz blinken? Ich sehe feurige Punkte von Büchsenlunten. Schlafen unsere Wächter, oder sind sie blind? Hörst Du den Donnerschlag? Siehst Du die Spanier von Kugeln durchbohrt fallen? Hörst Du: „Es lebe der Geuse!“ Sie stürmen den Pfad hinauf mit vorgestreckter Pike; mit Äxten steigen sie längs des Hügels hinunter. Es lebe der Geuse!“
„Es lebe der Geuse!“ riefen Lamm und Ulenspiegel.
„Schau, da sind Soldaten, die uns Waffen geben,“ sagte Nele. „Nimm, Lamm, nimm, mein Geliebter. Es lebe der Geuse!“
„Es lebe der Geuse!“ ruft die ganze Schar der Gefangenen.
„Die Büchsen hören nicht auf zu schießen,“ sagte Nele. „So beleuchtet vom Fackelschein, fallen sie wie die Fliegen. Es lebe der Geuse!“
„Es lebe der Geuse!“ ruft die Schar der Retter.
„Es lebe der Geuse!“ rufen Ulenspiegel und die Gefangenen. „Die Spanier sind in einem Feuerkreis. Tod! Tod! Nicht einer soll leben bleiben! Tod! Kein Mitleid! Krieg ohne Erbarmen! Und nun laßt uns unser Bündel schnüren und bis Enckhuysen eilen. Wer hat die Tuch- und Seidenkleider der Henker? Wer hat ihre Waffen?“
„Alle, alle!“ schrieen sie. „Es lebe der Geuse!“
Gesagt, getan. Sie fahren im Boot nach Enckhuysen, wo die befreiten Deutschen bei ihnen bleiben, um die Stadt zu bewachen.
Und Lamm, Nele und Ulenspiegel finden ihre Schiffe wieder. Und da singen sie zum andern Mal auf offnem Meer: „Es lebe der Geuse!“
Und sie kreuzen in der Rhede von Vlissingen.
Da ward Lamm wiederum frohgemut. Er ging gern an Land und machte auf Ochsen, Schafe und Geflügel Jagd, als wären es Hasen, Hirsche und Fettammern.
Auf dieser nährsamen Jagd war er nicht allein. Es war eine Freude, die Jäger heimkehren zu sehen. Mit Lamm an der Spitze, zogen sie das Großvieh an den Hörnern, das Kleinvieh stießen sie vor sich her, mit der Gerte lenkten sie Gänseherden, und am Ende ihrer Bootshaken trugen sie Hühner, Kücken, Kapaune trotz des Verbotes.
Dann gab es Schmaus und Gelage auf den Schiffen. Und Lamm sagte: „Der Geruch der Brühen steigt bis zum Himmel und ergötzt dort die Herren Engel, welche sagen: Das ist das beste am Fleisch.“
Dieweil sie kreuzten, kam eine Kauffahrerflotte aus Lissabon, deren Kommandant nicht wußte, daß Vlissingen in die Hände der Geusen gefallen war. Man befiehlt ihr, die Anker zu werfen, und schließt sie ein. Trommeln und Pfeifen geben das Zeichen zum Entern. Die Kaufleute haben Kanonen. Piken, Beile und Hakenbüchsen.
Von den Schiffen der Geusen regnet es Musketen- und Stückkugeln. Ihre Scharfschützen, hinter ihren Brustwehren um den Großmast verschanzt, schießen sicher und gefahrlos. Die Kaufleute fallen wie Fliegen.
„Vorwärts!“ sprach Ulenspiegel zu Lamm und Nele, „Vorwärts! Hier sind Gewürze, Juwelen, kostbare Eßwaren, Zucker, Muskat, Nelken, Ingwer, und glänzende Reale, Dukaten und Gold-Moutons. Es sind mehr als fünfhunderttausend Stück. Der Spanier wird die Kriegskosten tragen. Laßt uns trinken! Wir wollen die Geusenmesse singen, das ist die Schlacht!“
Und Ulenspiegel und Lamm griffen überall an wie Löwen. Nele blies die Pfeife im Schutze der hölzernen Schanze. Die ganze Flotte ward erbeutet.
Die Toten wurden gezählt; es waren ihrer tausend auf Seiten der Spanier, dreihundert auf Seiten der Geusen, unter ihnen der Schiffskoch des Vliebootes „Briel.“
Ulenspiegel verlangte vor Très-Long und den Matrosen zu reden, welches Très-Long ihm gern zugestand. Und er hielt ihnen diese Rede:
„Herr Kapitän und ihr, Kameraden und Freunde, wir haben viel Spezereien geerbt, und hier haben wir Lamm, den guten Dickwanst, welcher meint, daß der arme Tote da, Gott habe ihn selig, kein großer Meister in Fleischgerichten war. Laßt uns ihn an seiner Stelle erwählen, und er wird Euch himmlische Ragouts und paradiesische Suppen bereiten.“
„Das wollen wir,“ sagten Très-Long und die andern. „Lamm soll Oberkoch des Schiffes sein. Er soll die große, hölzerne Kelle tragen, um den Schaum von seinen Brühen abzulöffeln.“
„Herr Kapitän, Kameraden und Freunde,“ sprach Lamm, „Ihr sehet mich vor Freude weinen, denn ich verdiene eine so große Ehre nicht. Da Ihr jedoch geruht, Euch an meine unwürdige Person zu wenden, so nehme ich die edlen Pflichten eines Meisters der Kochkunst auf dem wackeren Vlieboot „Briel“ an. Aber zugleich bitte ich Euch demütig, mir das höchste Kommando der Küche zu verleihen, solchergestalt, daß Euer Oberkoch / das werde ich sein / durch Recht, Gesetz und Gewalt einem jeden verwehren kann, der Andren Portion aufzuessen.“
Très-Long und die andern riefen aus:
„Es lebe Lamm! Recht, Gesetz und Macht soll dir zustehen!“
„Aber ich habe Euch noch eine andere Bitte demütig zu stellen. Ich bin fett, groß und stark, tief ist mein Bauch, tief mein Magen. Meine arme Frau / Gott gebe sie mir wieder, / gab mir allzeit zwei Portionen anstatt einer. Bewilligt mir die gleiche Gunst.“
Très-Long, Ulenspiegel und die Matrosen sagten:
„Du sollst zwei Portionen haben, Lamm.“
Und Lamm sagte, plötzlich melancholisch werdend:
„Mein Weib, mein süßes Liebchen, wenn irgend etwas mich über Deine Abwesenheit trösten kann, so wird es das sein, daß ich mich bei meinem Tun deiner himmlischen Kochkunst in unserm trauten Heim erinnere.“
„Du mußt den Eid ablegen, mein Sohn,“ sagte Ulenspiegel. „Bringt die große, hölzerne Kelle und den großen Kupferkessel herbei.“
„Ich schwöre bei Gott, der mir hierin beistehe,“ sprach Lamm, „ich schwöre Treue seiner Gnaden, dem Prinzen von Oranien, genannt der Schweiger, der für den König die Provinzen Holland und Zeeland regiert; Treue auch Messire de Lumey, dem kommandierenden Admiral unsrer edlen Flotte, und Herrn Très-Long, Vizeadmiral und Kapitän des Schiffes „Briel“. Ich schwöre, das Fleisch und Geflügel, so Fortuna uns bewilligt, nach meinen geringen Kräften zu bereiten, gemäß den Bräuchen und Gepflogenheiten der großen Köche von ehemals, die schöne Bücher mit Bildern über die erhabene Kochkunst hinterlassen haben; ich schwöre, besagten Herrn Kapitän Très-Long zu speisen und seinen Leutnant, meinen Freund Ulenspiegel, desgleichen Euch alle, Oberbootsmann, Steuermann, Aufseher, Kameraden, Soldaten, Kanoniere, Mundschenk, Schiffsjunge, Kapitänsbursche, Wundarzt, Trompeter, Matrosen und alle. Wenn der Braten zu blutig, das Geflügel zu wenig gebräunt ist, wenn die Suppe einen schalen Geruch ausströmt, so der guten Verdauung schädlich ist, wenn der Duft der Brühen Euch nicht alle verlockt, Euch in die Küche zu stürzen — mit Vorbehalt meiner Zustimmung — wenn ich Euch nicht alle lustig mache und Euch kein rundes Gesicht verschaffe, so werde ich mein edles Amt niederlegen und mich für unfähig erachten, den Küchenthron fürder innezuhaben. So helfe mir Gott in diesem und im künftigen Leben.“
„Es lebe der Oberkoch,“ riefen sie, „der König der Küche, der Kaiser der Fleischgerichte. Am Sonntag soll er drei Portionen statt zweier haben.“
Und Lamm ward Oberkoch auf dem Schiffe „Briel“. Und während die kräftigen Suppen in den Töpfen kochten, stand er stolz an der Küchentür und hielt seine große hölzerne Kelle wie ein Zepter.
Und am Sonntag bekam er seine drei Portionen.
Wenn die Geusen mit dem Feinde handgemein wurden, hielt er sich gern in seinem Laboratorium für Brühen auf, kam jedoch heraus, um auf Deck etliche Büchsenschüsse abzugeben, stieg aber alsbald wieder hinunter, um auf seine Brühen zu achten.
Und da er also ein treuer Koch und tapferer Soldat war, so war er bei jedem beliebt.
Aber keiner durfte seine Küche betreten, denn dann war er wie ein Teufel und schlug und stach mit seiner Holzkelle ohne Erbarmen.
Und er ward wiederum Lamm der Löwe benamst.
Auf dem Meer und auf der Schelde, bei Sonne, Regen, Schnee und Hagel, im Sommer und Winter, fahren die Geusenschiffe, alle Segel beigesetzt, wie Schwäne, weiße Schwäne der Freiheit, Weiß ist Freiheit, Blau Größe und Orange ist für den Prinzen; das ist die Standarte der stolzen Schiffe.
Alle Segel beigesetzt, so fahren die wackeren Schiffe. Die Flut schlägt an ihre Flanken, die Wogen benetzen sie mit Schaum.
Sie segeln, jagen, fliegen auf der Flut, schnell wie Wolken vor dem Nordwind, die stolzen Geusenschiffe, die Segel im Wasser. Hört ihr, wie ihr Bug die Woge zerteilt? Gott der Freien. Es lebe der Geuse!
Hücker, Bujer, Vlieboote, Galeassen, schnell wie der Wind, der das Ungewitter bringt, schnell wie die Wolke, die den Blitz birgt. Es lebe der Geuse!
Bujer und Galeassen, flache Boote fahren den Fluß hinauf. Die Wellen ächzen, von ihrem Kiel zerteilt, wenn sie dem Strome entgegen fahren, mit dem mörderischen Rachen ihrer Feldschlange auf der Spitze des Bugs. Es lebe der Geuse!
Alle Segel beigesetzt, so fahren die wackeren Schiffe. Die Flut schlägt an ihre Flanken und benetzt sie mit Schaum.
Bei Tag und bei Nacht, bei Regen, Hagel und Schnee fahren sie! Christus lächelt ihnen aus der Wolke, aus Sonne und Sternen zu. Es lebe der Geuse!
Der Blutkönig vernahm die Kunde von ihren Siegen. Der Tod verzehrte den Henker schon, und sein Leib war voller Würmer. Elend und menschenscheu schritt er durch die Gänge von Valladolid, seine geschwollenen Füße und bleischweren Beine schleppend. Er sang nimmer, der grausame Tyrann; wenn der Tag anbrach, lachte er nicht, und wenn die Sonne sein Reich wie ein Lächeln Gottes erhellte, so empfand er keine Freude in seinem Herzen.
Aber Ulenspiegel, Lamm und Nele sangen wie Vögel. Sie trugen ihr Fell zu Markt, nämlich Ulenspiegel und Lamm, und Nele ihre weiße Haut, dieweil sie in den Tag hineinlebten. Über einen Scheiterhaufen, den die Geusen löschten, freuten sie sich mehr, denn der schwarze König über eine eingeäscherte Stadt.
Um jene Zeit entsetzte Wilhelm der Schweiger, Prinz von Oranien, Herrn de Lumey de la Marck seiner Admiralswürde wegen seiner großen Grausamkeit und ernannte Herrn Bouwen Ewoutsen Worst an seiner Statt. Auch war er auf die Mittel bedacht, das Getreide zu bezahlen, das die Geusen den Bauern geraubt hatten, die von ihnen erhobenen Zwangskontributionen zu erstatten und den römischen Katholiken wie allen die freie Ausübung ihrer Religion ohne Verfolgung noch Schmähung zu bewilligen.
Auf den Schiffen der Geusen, unter dem strahlenden Himmel, auf den klaren Fluten schrillen Pfeifen, schnarren Dudelsäcke, glucksen Flaschen, klingen Gläser, gleißt das Eisen der Waffen.
„Wohlan,“ spricht Ulenspiegel. „Rühret die Trommel des Ruhmes, die Trommel der Freude. Es lebe der Geuse! Spanien ist besiegt, die Harpye gebändigt. Unser ist das Meer, Briel ist genommen. Unser ist die Küste von Nieupoort bis Ostende und Blanckenberghe, die Inseln von Zeeland, die Mündungen der Schelde, der Maas und des Rheines bis Helder. Unser ist Texel, Vlieland, Terschelling, Ameland, Rottum, Borkum. Es lebe der Geuse!
„Unser ist Delft, Dordrecht. Das ist ein Lauffeuer, Gott hält die Lunte. Die Henker verlassen Rotterdam. Das freie Gewissen, das Krallen und Zähne der Gerechtigkeit hat wie ein Leu, nimmt Zütphen, die Städte Deutichem, Doesburg, Goor, Oldenzaal und in der Landschaft Veluwe Hattem, Elburg und Harderwijk.
„Das ist der Blitz, das ist der Donnerschlag: Kampen, Zwolle, Hasselt, Steenwijk fallen uns in die Hände, desgleichen Oudewater, Gouda und Leyden. Es lebe der Geuse!
„Unser ist Bueren und Enckhuysen. Noch haben wir nicht Amsterdam, Schoonhoven und Middelburg. Doch mit der Zeit fällt den Geduldigen alles zu. Es lebe der Geuse!
„Laßt uns spanischen Wein trinken. Aus den Kelchen, aus denen sie das Blut der Opfer tranken. Wir werden durch den Zuydersee, durch Ströme, Flüsse und Kanäle fahren. Nord-Holland, Süd-Holland und Zeeland haben wir, Ost- und Westfriesland werden wir noch erobern; Briel wird die Zuflucht unserer Schiffe sein, das Nest für die Bruthennen der Freiheit. Es lebe der Geuse!
„Horcht, wie in Flandern, dem teuren Vaterland, der Racheschrei losbricht! Waffen werden geschmiedet, Schwerter geschärft. Alles ist in Bewegung und erzittert wie die Saiten einer Harfe beim warmen Hauch, beim Hauche der Seelen, der aus Gruben und Scheiterhaufen von den blutigen Leichen der Opfer aufsteigt. Alle: Hennegau, Brabant, Luxemburg, Limburg, Namur, Lüttich, die freie Stadt, alle! Das Blut keimt und befruchtet. Die Ernte ist reif für die Sichel. Es lebe der Geuse!
„Die Nordsee ist unser, die weite Nordsee, und die guten Kanonen, die stolzen Schiffe, die kühne Schar der gefürchteten Seeleute: Bettler, Lumpen, Priester in Waffen, Edelleute, Bürger und Arbeiter, die vor der Verfolgung fliehen. Mit uns allen vereint zum Werke der Freiheit. Es lebe der Geuse!
„Blutkönig Philipp, wo bist Du? Alba, wo bist Du? Mit dem geweihten Hute, des Papstes Geschenk, auf dem Haupt, schmälst und lästerst Du. Schlaget die Freudentrommel. Es lebe der Geuse! Laßt uns trinken.
„Der Wein fließt in die güldenen Kelche. Schlürfet ihn fröhlich. Die Meßgewänder, welche die rauhen Männer tragen, sind mit rotem Naß getränkt. Die römischen Kirchenbanner flattern im Winde. Allzeit Musik! Auf Euer Wohl, schrillende Pfeifen, schnarrende Dudelsäcke, Ruhm wirbelnde Trommeln! Es lebe der Geuse!“
Die Welt war im Wolfsmond, welches der Monat Dezember ist. Eisiger Regen fiel gleich Nadeln ins Wasser. Die Geusen kreuzten im Zuydersee. Der Herr Admiral ließ durch Trompetensignal die Käpitäne der Hucker und Vlieboote und mit ihnen Ulenspiegel auf sein Schiff entbieten.
„Wohlan,“ sagte er, zuerst zu ihm redend: „Der Prinz will Deine guten Taten und getreuen Dienste anerkennen und ernennt Dich zum Kapitän des Schiffes „Briel“, und ich übergebe Dir hiermit das Patent auf Pergament.“
„Euch sei Dank, Herr Admiral,“ erwiderte Ulenspiegel, „ich werde all meine geringe Kraft daransetzen, ein guter Hauptmann zu sein, und durch solche Hauptmannschaft hoffe ich sehr, so Gott mir beisteht, Flandern und Holland von Spanien zu enthaupten. Ich will Nord- und Süd-Niederlande.“
„Das ist gut,“ sprach der Admiral. „Und jetzo,“ fügte er hinzu, zu allen redend, „will ich Euch sagen, daß die aus dem katholischen Amsterdam Enckhuysen belagern wollen. Noch sind sie nicht aus dem Y-Kanal heraus; kreuzen wir davor, damit sie drinnen bleiben. Nieder mit jedem ihrer Schiffe, daß seinen tyrannischen Rumpf im Zuydersee blicken läßt.“
Sie antworteten:
„Wir werden sie in den Grund bohren. Es lebe der Geuse!“
Wieder an Bord seines Schiffes, ließ Ulenspiegel seine Matrosen und die Soldaten auf Deck zusammentreten und verkündete ihnen, was der Admiral bestimmt hatte.
Sie antworteten:
„Wir haben Flügel, das sind unsere Segel, Schlittschuhe, das sind die Kiele unserer Schiffe, Riesenhände, das sind die Enterhaken. Es lebe der Geuse!“
Die Flotte segelte ab und kreuzte eine Seemeile vor Amsterdam, dergestalt, daß niemand ohne ihren Willen ein- und ausfahren konnte.
Am fünften Tage hörte es auf zu regnen, der Wind wehte schärfer bei hellem Himmel, die Amsterdamer rührten sich nicht.
Plötzlich sah Ulenspiegel Lamm auf Deck steigen. Mit gewaltigen Schlägen seiner Holzkelle trieb er den Truxman, den Dolmetsch des Bootes vor sich her, einen jungen Kerl, der in der vlämischen und französischen Sprache bewandert war, aber seinen Schnabel noch besser zum Essen gebrauchen konnte.
„Taugenichts,“ sagte Lamm, „wähntest Du, meine Fleischgerichte ungestraft vor der Zeit essen zu können? Klettere auf den Mast und sieh zu, ob sich auf den Amsterdamer Schiffen nichts rührt. Damit wirst Du etwas Gutes tun.“
Doch der Dolmetsch antwortete: „Was gibst Du mir?“
„Bildest Du Dir ein, daß Du bezahlt wirst, ohne gearbeitet zu haben? Du Diebsbrut, wenn Du nicht hinaufkletterst, so laß ich Dich peitschen. Und Dein Französisch wird Dich nicht retten.“
„Es ist eine schöne Sprache,“ sagte der Dolmetsch, „eine Liebes- und Kriegersprache.“
Er kletterte hinauf.
„Nun, Faulenzer?“ fragte Lamm.
Der Dolmetsch antwortete:
„Ich sehe nichts, weder in der Stadt, noch auf den Schiffen.“
Beim Hinunterklettern sagte er:
„Nunmehr bezahle mich.“
„Behalte, was Du gestohlen hast,“ erwiderte Lamm; „aber unrecht Gut gedeihet nicht, Du wirst es gewiß wieder ausbrechen.“ Der Dolmetsch kletterte abermals auf den Mast und schrie plötzlich:
„Lamm, Lamm, ein Dieb schleicht in Deine Küche!“
„Ich habe den Küchenschlüssel in meiner Gürteltasche,“ antwortete Lamm.
Ulenspiegel nahm Lamm beiseite und sprach zu ihm:
„Mein Sohn, diese große Ruhe in Amsterdam erschreckt mich. Sie haben einen geheimen Anschlag.“
„Das dachte ich auch,“ sagte Lamm. „Das Wasser gefriert in den Krügen im Schrank, das Geflügel ist wie Holz, die Würste sind mit weißem Reif überzogen; die Butter ist wie Stein, das Öl schneeweiß, das Salz trocken wie Sand in der Sonne.“
„Da ist der Trost nahe,“ sprach Ulenspiegel. „Sie werden in großer Zahl kommen und uns mit Geschütz angreifen.“
Er ging an Bord des Admiralschiffes und sagte dem Admiral, was er fürchtete. Der antwortete ihm:
„Der Wind weht von Engelland her, es wird schneien, aber nicht frieren. Geh wieder auf Dein Schiff.“
Und Ulenspiegel tat also.
In der Nacht kam ein starker Schneefall; aber alsbald wehte der Wind von Norwegen her, das Meer gefror und ward wie eine Tenne. Der Admiral sah was geschehen war.
Da er nun befürchtete, daß die Amsterdamer aufs Eis kommen möchten, um die Schiffe in Brand zu stecken, befahl er den Soldaten, ihre Schlittschuhe bereit zu halten, im Fall, daß sie draußen und um die Schiffe herum kämpfen müßten. Den Kanonieren der geschmiedeten und gegossenen Kanonen befahl er, die Kugeln in Haufen neben die Lafetten zu legen und die Lunten alleweil brennend zu halten.
Doch die Amsterdamer kamen nicht.
Und so ging es sieben Tage.
Am Abend des achten Tages befahl Ulenspiegel, den Matrosen und Soldaten einen guten Schmaus aufzutischen, um ihnen gegen den scharfen Wind, welcher blies, einen Panzer zu machen.
Aber Lamm sagte:
„Es ist nichts übrig als Schiffszwieback und Dünnbier.“
„Es lebe der Geuse,“ sagten sie. „Wir halten Fastenschmaus, bis die Stunde der Schlacht geschlagen hat.“
„Sie wird nicht so bald schlagen,“ sprach Lamm. „Die Amsterdamer werden kommen, um unsere Schiffe zu verbrennen, aber nicht diese Nacht. Zuvor müssen sie sich ums Feuer versammeln und viele Schoppen Glühwein mit Madeirazucker trinken / Gott gebe ihn Euch. Nachdem sie dann bis Mitternacht mit Geduld, Vernunft und vollen Schoppen geredet haben, werden sie beschließen, daß es morgen an der Zeit sein wird, zu beschließen, ob sie uns die kommende Woche angreifen wollen oder nicht. Morgen, wenn sie wiederum Glühwein mit Madeirazucker trinken, / Gott gebe ihn Euch / werden sie zum andern Mal mit Ruhe, Geduld und vollen Schoppen beschließen, daß sie sich an einem andern Tage versammeln müssen, um zu erfahren, ob das Eis eine große Schar Menschen tragen könne oder nicht. Und sie werden es durch gelahrte Männer prüfen lassen, die ihre Meinungen auf Pergament niederlegen. Wenn sie dieses empfangen haben, werden sie wissen, daß das Eis eine halbe Elle dick und fest genug ist, um etliche hundert Mann mit Kanonen und Feldstücken zu tragen. Dann werden sie sich abermals versammeln, um mit Ruhe, Geduld und vielen Schoppen Glühwein zu beratschlagen, und werden in Erwägung ziehen, ob sie wegen des Schatzes, den wir den Lissabonern abnahmen, unsere Schiffe angreifen oder verbrennen sollen. Und also ratlos und zaudernd, werden sie dennoch beschließen, daß unsere Schiffe erbeutet und nicht verbrannt werden müssen, ohngeachtet des großen Unrechts, daß sie uns derart zufügen würden.“
„Du sprichst trefflich,“ sagte Ulenspiegel, „aber siehst Du nicht die Feuer, so in der Stadt angezündet werden, und die Leute, die Laternen tragen und geschäftig umher rennen?“
„Das ist, weil sie frieren,“ sprach Lamm.
Und seufzend fügte er hinzu:
„Alles ist aufgegessen, kein Rindfleisch, Schweinefleisch noch Geflügel mehr, kein Wein und, ach, kein gutes Doppelbier, nichts als Schiffszwieback und Dünnbier. Wer mich lieb hat, folge mir.“
„Wohin gehst Du?“ fragte Ulenspiegel. „Niemand darf das Schiff verlassen.“
„Mein Sohn,“ sagte Lamm, „Du bist derzeit Kapitän und Befehlshaber. Ich werde nicht gehen, wenn Du es nicht willst. Geruhe aber zu bedenken, daß wir ehegestern unsere letzte Wurst gegessen haben, und daß in dieser schweren Zeit das Küchenfeuer die Sonne der guten Kameradschaft ist. Wer möchte hier nicht den Dampf der Brühen riechen, nicht die duftende Blume des göttlichen Weines einatmen, so aus fröhlichen Blüten, als da sind: Heiterkeit, Lachen, Wohlwollen gegen jedermann, gemacht ist. Wohlan, Kapitän und getreuer Freund, ich wage es Dir zu sagen: mein Herz verzehrt sich in Kummer, da ich nicht esse. Ich, der ich nur die Ruhe liebe, nicht gern töte, ausgenommen eine zarte Gans, ein fettes Hühnchen oder eine saftige Truthenne, ich folge Dir in Schlachten und Strapazen. Sieh von hier die Lichter auf jenem reichen, mit Groß- und Kleinvieh wohl versehenem Bauernhof. Weißt Du, wer darauf wohnt? Es ist der Schiffer aus Friesland, der Messire Dandelot verriet und achtzehn arme Ritter und Freunde nach Enckhuysen führte, da es noch spanisch war, also daß sie auf dem Roßmarkt zu Brüssel geköpft wurden. Dieser Verräter, namens Slosse, hat vom Herzog zweitausend Gülden für seinen Verrat empfangen. Für das Blutgeld hat er wie ein rechter Judas den Hof gekauft, den du da siehst, und sein Vieh und die Äcker ringsum, deren Frucht und Wachstum ihn jetzt reich machen.“
Ulenspiegel erwiderte:
„Die Asche brennt auf meinem Herzen. Die Stunde der Rache hat geschlagen.“
„Und die Stunde der Nahrung desgleichen,“ sagte Lamm. „Gib mir zwanzig Burschen mit, tapfere Soldaten und Matrosen; ich werde den Verräter holen.“
„Ich will ihr Anführer sein,“ sprach Ulenspiegel. „Wer Gerechtigkeit liebt, folge mir. Nein, nicht alle, Ihr Lieben und Getreuen. Ich brauche nur zwanzig; wer sollte sonst das Schiff bewachen? Laßt die Würfel entscheiden. Nun sind es zwanzig, kommt. Die Würfel entscheiden gut. Legt Eure Schlittschuhe an, und fahrt in der Richtung der Venus, die über dem Hof des Verräters glänzt. Kommt, Ihr Zwanzig, mit der Axt auf der Schulter, lauft und gleitet. Das helle Licht wird Euer Leitstern sein. Der Wind pfeift und treibt den Schnee in weißen Wirbeln auf dem Eis vor sich her. Kommt, tapfere Männer! Ihr singt nicht, Ihr sprecht nicht; Ihr lauft schweigend geradeaus, dem Stern zu; das Eis knirscht unter Euren Schlittschuhen.
„Wer fällt, steht sogleich wieder auf. Wir kommen ans Ufer: nicht eine Gestalt auf dem weißen Schnee, kein Vogel in der eisigen Luft. Bindet die Schlittschuhe los.
„Jetzt sind wir auf dem Lande, hier sind die Wiesen. Legt die Schlittschuhe wieder an. Wir sind im Umkreis des Hofes und halten den Atem an.“
Ulenspiegel klopft an die Tür, Hunde bellen. Er pocht nochmals; ein Fenster geht auf, und der Baas steckt den Kopf hinaus und fragt:
„Wer bist Du?“
Er sieht nur Ulenspiegel; die andern sind hinter der Keet, dem Waschhaus, versteckt.
Ulenspiegel antwortet:
„Messire de Boussu befiehlt Dir, Dich zur Stunde nach Amsterdam zu ihm zu begeben.“
„Wo ist Dein Geleitbrief?“ fragt der Mann, indem er hinuntergeht und ihm die Tür öffnet.
„Hier,“ antwortet Ulenspiegel und weist auf die zwanzig Geusen, die sich hinter ihm in die offene Tür stürzen.
Darauf spricht Ulenspiegel zu ihm:
„Du bist Slosse, der verräterische Schiffer, der die Herren Dandelot, van Battemburgh und andere Ritter in Hinterhalt lockte. Wo ist das Blutgeld?“
Der Pächter antwortet zitternd:
„Ihr seid Geusen, gebt mir Pardon; ich wußte nicht, was ich tat. Ich habe kein Geld daheim, ich werde alles geben.“
Lamm sagte:
„Es ist dunkel; gib uns Talg- oder Wachskerzen.“
Der Baas antwortet:
„Die Talgkerzen sind dort aufgehängt.“
Da ein Licht angezündet war, sagte einer der Geusen in der Küche:
„Es ist kalt, wir wollen ein Feuer machen, hier ist gutes Reisig.“ Und er wies auf ein Brett mit Blumentöpfen, darinnen vertrocknete Pflanzen standen. Er nahm eine beim Schopf, und als er sie mit dem Topf schüttelte, fiel der Topf hin, und es rollten Dukaten, Gülden und Reale über den Boden.
„Da ist der Schatz,“ sprach er, auf die andern Blumentöpfe deutend.
Und wahrlich, als sie sie ausgeleert hatten, fanden sie zehntausend Gülden darin.
Als der Baas das sah, schrie und weinte er.
Die Knechte und Mägde des Hofes kamen bei dem Geschrei in ihren Hemden herbei. Die Männer, die ihren Herrn rächen wollten, wurden geknebelt. Bald versteckten sich die schamhaften Frauen, sonderlich die jungen, hinter den Männern.
Darauf trat Lamm vor und sagte: „Verräter, wo sind die Schlüssel zum Keller und zum Pferde-, Kuh- und Schafstall?“
„Ihr schändlichen Räuber werdet aufgehenkt werden, bis Ihr sterbt,“ sprach der Pächter.
Ulenspiegel sprach: „Es ist die Stunde Gottes; gib die Schlüssel!“
„Gott wird mich rächen,“ sprach der Pächter und gab die Schlüssel heraus.
Nachdem die Geusen den Gutshof ausgeräumt hatten, kehrten sie auf Schlittschuhen zurück zu den Schiffen, den leichten Häusern der Freiheit.
„Ich bin Schiffskoch,“ sprach Lamm, der sie anführte, „ich bin Oberkoch. Schiebt die wackren, mit Wein und Bier bepackten Schlitten; treibt die Pferde, Rinder, Schweine und Schafe bei den Hörnern oder auf andere Art vor Euch her, die ganze Herde, die ihr Naturlied singt. Die Tauben gurren in den Körben. Die Kapaune, mit Brot gemästet, sitzen erschrocken in den Holzkäfigen, darinnen sie sich nicht rühren können. Ich bin Schiffskoch. Das Eis knirscht unter dem Eisen der Schlittschuhe. Nun sind wir bei den Schiffen. Morgen wird es Musik in der Küche geben. Laßt die Winde herab. Legt den Pferden, Kühen und Ochsen Gurten um. Das ist ein artig Schauspiel, sie so am Bauch aufgehängt zu sehen; morgen werden wir mit der Zunge an fetten Fleischgerichten hängen. Sie werden mit der Windetalje aufs Schiff gehißt. Das gibt Rippenstücke. Werft die Hühner, Gänse, Enten und Kapaune aufs Geratewohl in den Schiffsraum. Wer wird ihnen den Hals umdrehen? Der Schiffskoch. So, die Tür ist zu, den Schlüssel hab ich in meinem Säckel. Gott sei gelobt in der Küche! Es lebe der Geuse!“
Alsdann begab Ulenspiegel sich auf das Admiralsschiff und führte Dierick Slosse und die andern Gefangenen mit, die aus Furcht vor dem Strick wehklagten und weinten.
Messire Worst kam bei dem Lärm herbei. Da er beim roten Fackelschein Ulenspiegel und seine Gefährten erblickte, sagte er:
„Was willst Du von uns?“
Ulenspiegel antwortete:
„Wir haben diese Nacht den Verräter Dierick Slosse, der die Achtzehn in Hinterhalt lockte, auf seinem Gute gefangen genommen. Dieser ist’s. Die andern sind unschuldige Knechte und Mägde.“
Dann übereichte er ihm eine Geldkatze.
„Diese Florins,“ sagte er, „florierten in den Blumentöpfen im Hause des Verräters: es sind Zehntausend.“
Messire Worst sprach zu ihnen:
„Ihr tatet übel, die Schiffe zu verlassen; aber um des guten Erfolges willen soll Euch verziehen sein. Die Gefangenen und den Säckel mit Gülden heiße ich willkommen, und auch Euch, wackere Männer, denen ich nach Seerecht und Brauch ein Drittel der Prise zubillige. Das zweite Drittel ist für die Flotte und das dritte für seine Gnaden von Oranien. Den Verräter henket unverzüglich.“
Als die Geusen den Befehl ausgeführt hatten, machten sie ein Loch ins Eis und warfen den Leichnam Dierick Slosses hinein.
Darauf sprach Messire Worst:
„Ist um die Schiffe Gras gewachsen, daß ich die Hennen glucksen, die Schafe blöken und die Ochsen brüllen höre?“
„Das sind Gefangene für unsern Schnabel,“ antwortete Ulenspiegel; „sie werden das Lösegeld mit Fleischgerichten bezahlen. Der Herr Admiral wird das Beste davon bekommen. Was diese anbelangt, die Knechte und Mägde, unter denen artige hübsche Weiblein sind, so will ich sie wieder auf mein Schiff bringen.“
So getan, hielt er ihnen diese Rede:
„Gevatter und Gevatterinnen, Ihr seid hier auf dem besten Schiff, das es gibt. Wir verbringen hier die Zeit mit Schmäusen, Gelagen und Schlemmerei ohne Ende. So es Euch beliebt fortzugehen, zahlt Lösegeld; so es Euch beliebt, hier zu bleiben, werdet Ihr so leben wie wir: arbeiten und gut essen. Was diese allerliebsten Weiblein angeht, so gestatte ich ihnen mit Erlaubnis des Admirals gänzliche Freiheit und sage ihnen, daß es mir einerlei ist, ob sie ihre Liebsten, die mit ihnen aufs Schiff gekommen sind, behalten oder irgend einen wackeren, hier anwesenden Geusen erküren wollen, daß er in ehelicher Gemeinschaft mit ihnen lebe.“
Aber all die niedlichen Weiblein waren ihren Liebhabern getreu, ausgenommen eine, die Lamm lächelnd anschaute und ihn fragte, ob er sie wolle.
„Schönsten Dank, mein Schatz,“ sagte er, „aber ich bin anderweitig beschäftigt.“
„Er ist verheiratet, der Biedermann,“ sagten die Geusen, da sie sahen, daß es die Frau verdroß.
Aber sie drehte ihm den Rücken und erkor sich einen andern, der gleich Lamm einen guten Bauch und ein gutes Vollmondgesicht hatte.
An jenem und den folgenden Tagen gab es an Bord gewaltige Schmäuse und Gelage mit Wein, Geflügel und Fleischgerichten. Und Ulenspiegel sagte:
„Es lebe der Geuse! Blase, scharfer Nordwind, wir werden die Luft mit unserm Atem erwärmen. Unser Herz ist Feuer und Flamme für das freie Gewissen. Feuer und Flamme ist unser Magen für das Fleisch des Feindes. Trinken wir Wein, die Milch der Männer. Es lebe der Geuse!“
Nele trank auch aus einem großen güldenen Humpen, und vom Winde gerötet, blies sie die schrille Pfeife. Und ohngeachtet der Kälte aßen und tranken die Geusen fröhlich auf Deck.
Plötzlich erblickte die Flotte am Strand eine schwarze Schar, in der Fackeln leuchteten und Waffen blinkten. Dann wurden die Fackeln gelöscht und große Dunkelheit herrschte.
Die Befehle des Admirals wurden übermittelt und das Signal Achtung auf den Schiffen gegeben. Alle Feuer erloschen, Matrosen und Soldaten legten sich, mit Äxten bewaffnet, auf Deck platt auf den Bauch. Die wackeren Kanoniere standen mit ihren Leuten bei den Geschützen, die mit Kugelsäcken und Kettenkugeln geladen waren. Sobald der Admiral und die Kapitäne riefen: „Hundert Schritt!“ was die Entfernung des Feindes bezeichnete, sollten sie mit dem Heckgeschütz, dem Sterngeschütz oder den Breitseiten Feuer geben, je nach ihrer Lage im Eise.
Und man hörte die Stimme des Messire Worst sagen:
„Todesstrafe für den, der laut spricht.“
Und die Kapitäne sprachen ihm nach:
„Todesstrafe für den, der laut spricht!“
Die Nacht war sternklar, aber der Mond schien nicht.
„Hörst Du,“ sagte Ulenspiegel zu Lamm, / sein Flüstern war wie Geisterhauch / „hörst Du die Stimme der Amsterdamer und das Knirschen des Eises unter den Schnäbeln ihrer Schlittschuhe? Sie laufen schnell. Man hört sie sprechen. Sie sagen: „Die faulenzenden Geusen schlafen. Der Schatz von Lissabon ist unser!“ Sie zünden Fackeln an. Siehst Du ihre Sturmleitern, ihre häßlichen Gesichter und die lange Linie ihres Schlachthaufens? Es sind ihrer tausend und mehr.“
„Hundert Schritt!“ rief Messire Worst.
„Hundert Schritt!“ riefen die Kapitäne.
Da gab es großes Getöse wie Donner und klägliches Geheul auf dem Eise.
„Vierundzwanzig Kanonen donnern zumal,“ sagte Ulenspiegel. „Sie fliehen! Siehst Du die Fackeln sich entfernen?“
„Ihnen nach,“ gebot der Admiral Worst.
„Ihnen nach,“ geboten die Kapitäne.
Aber die Verfolgung war von kurzer Dauer, maßen die Flüchtlinge einen Vorsprung von hundert Schritt und die Beine furchtsamer Hasen hatten.
Und bei den auf dem Eise Jammernden und Sterbenden wurden Gold und Kleinodien gefunden, auch Stricke, um die Geusen zu binden.
Und nach diesem Siege sprachen die Geusen untereinander:
„Als God met ons is, wie tegen ons zal zijn? So Gott mit uns ist, wer mag wider uns sein! Es lebe der Geuse!“
Doch am Morgen des dritten Tages erwartete Messire Worst mit Unruhe einen neuen Angriff. Lamm sprang auf Deck und sagte zu Ulenspiegel:
„Führe mich zum Admiral, der Dir nicht Gehör geben wollte, als Du Frost prophezeitest.“
„Geh ungeführt,“ erwiderte Ulenspiegel.
Lamm verschloß die Küchentüre und ging. Der Admiral stand auf Deck und spähete, ob er nicht von der Stadt her etwelche Bewegung wahrnehmen könnte.
Lamm sprach, auf ihn zutretend:
„Gnädiger Herr Admiral, darf ein geringer Schiffskoch Euch seine Ansicht sagen?“
„Sprich, mein Sohn,“ sagte der Admiral.
„Euer Gnaden,“ sagte Lamm, „das Eis in den Krügen taut auf, das Geflügel wird wieder zart; der Reif, der die Wurst wie Schimmel überzog, verschwindet; die Butter ist schmierig, das Öl flüssig, das Salz rinnt. Es wird in Bälde regnen und wir werden gerettet sein, Euer Gnaden.“
„Wer bist Du?“ fragte Messire Worst.
„Ich bin Lamm Goedzak,“ antwortete er, „der Koch des Schiffes Briel. Und wenn alle die großen Gelehrten, so sich für Astronomen ausgeben, ebenso gut in den Sternen lesen wie ich in meinen Brühen, so könnten sie uns sagen, daß wir diese Nacht Tauwetter mit Sturmgebraus und Hagelschauern haben werden. Aber das Tauwetter wird nicht andauern.“
Und Lamm kehrte zu Ulenspiegel zurück, und um Mittag sprach er zu ihm:
„Ich prophezeie weiter: der Himmel wird schwarz, der Wind weht stürmisch, es fällt ein warmer Regen; es ist schon ein Fuß Wassers auf dem Eise.“
Am Abend rief er fröhlich aus:
„Die Nordsee ist gestiegen, es ist Flutzeit. Die großen Wellen, die in den Zuyderzee eindringen, zerbrechen das Eis, das in großen Stücken birst und auf die Schiffe springt. Es sprüht Lichtfunken: da kommt der Hagel. Der Admiral wünscht, daß wir uns von Amsterdam zurückziehen, und das mit soviel Wasser, daß unser größtes Schiff flott wird. Nun sind wir im Hafen von Enckhuysen. Das Meer gefriert von neuem. Ich bin ein Prophet, und das ist ein Wunder Gottes.“
Und Ulenspiegel sprach:
„Wir wollen ihm zutrinken und ihn segnen.“
Und der Winter ging vorüber und der Sommer kam.
Um die Mitte des August, wenn die körnersatten Hennen beim Lockruf des Hahnes, der ihnen seine Liebe trompetet, taub bleiben, sprach Ulenspiegel zu seinen Matrosen und Soldaten:
„Der Blutherzog, welcher in Utrecht ist, wagt dort, ein segensreiches Edikt zu erlassen, das den Einwohnern der Niederlande, die sich nicht unterwerfen wollen, unter andern lieblichen Gaben Hunger, Tod und Verderben verheißt. Alles, was noch ganz ist, soll vertilgt werden, und Seine Königliche Majestät wird das Land durch Fremde bevölkern lassen. Beiß zu, Herzog, beiß zu! Der Hauer des Ebers zerbricht den Zahn der Vipern. Wir sind Eber. Es lebe der Geuse!
„Alba, das Blut berauscht Dich! Wähnst Du, daß wir Deine Drohungen fürchten oder an Deine Milde glauben? Deine berühmten Regimenter, deren Loblied Du in der ganzen Welt sangest, Deine „Unbesiegbaren,“ Deine „Unveränderlichen,“ Deine „Unsterblichen“ hielten sich sieben Monate damit auf, Haarlem, die schwache, von Bürgern verteidigte Stadt zu beschießen. Sie haben gleich gewöhnlichen Sterblichen den Tanz der berstenden Minen in der Luft getanzt. Bürger machten ihnen Halskragen von Pech; am Ende siegten sie glorreich, indem sie die Entwaffneten erwürgten. Henker, hörst Du die Stunde der Vergeltung schlagen?
„Haarlem hat seine tapferen Verteidiger verloren, seine Steine schwitzen Blut. Es hat bei seiner Belagerung zwölfhundertachtzigtausend Gülden eingebüßt und ausgegeben. Der Erzbischof ist dort wieder eingesetzt. Mit leichter Hand und fröhlicher Fratze segnet er die Kirchen ein. Don Federigo ist bei diesen Einsegnungen gegenwärtig, der Bischof wäscht ihm die Hände, die Gottes Auge rot sieht, und er nimmt das Abendmahl in beiderlei Gestalt, was dem armen Volk nicht erlaubt ist. Und die Glocken läuten, und das Glockenspiel sendet seine ruhigen, wohlklingenden Weisen in die Luft: es ist wie Engelsang auf einem Friedhof. Auge um Auge! Zahn um Zahn! Es lebe der Geuse!“
Die Geusen waren derzeit in Vlissingen, wo Nele das Fieber bekam. Da sie das Schiff verlassen mußte, ward sie bei Peeters, einem Reformierten, am Turven-Key untergebracht.
Ulenspiegel war gar sehr betrübt, aber doch froh, wenn er bedachte, daß in dem Bett, darin sie ohne Zweifel genesen würde, die spanischen Kugeln sie nicht erreichen könnten.
Und mit Lamm war er immerwährend bei ihr, pflegte sie gut und liebte sie noch mehr. Und da schwätzten sie.
„Lieber und Getreuer,“ sprach Ulenspiegel eines Tages, „weißt Du die Zeitung nicht?“
„Nein, mein Sohn,“ antwortete Lamm.
„Sahest Du das Vlieboot, das sich neulich unserer Flotte anschloß, und weißt Du, wer dort alle Tage die Laute spielt?“
„Infolge der letzten Fröste bin ich auf beiden Ohren wie taub,“ sagte Lamm. „Warum lachst Du, mein Sohn?“
Aber Ulenspiegel setzte seine Rede fort:
„Einmal hörte ich sie ein vlämisches Lied singen und fand ihre Stimme lieblich.“
„Ach,“ sprach Lamm, „auch sie sang und spielte die Laute.“
„Weißt Du die andere Zeitung?“ fuhr Ulenspiegel fort.
„Ich weiß sie nicht, mein Sohn,“ antwortete Lamm.
Ulenspiegel entgegnete:
„Wir haben Befehl erhalten, mit unsern Schiffen die Schelde bis Antwerpen hinunterzufahren, um dort feindliche Schiffe zu nehmen oder zu verbrennen. Was die Männer betrifft, so wird kein Quartier gegeben. Was hälst Du davon, Dickwanst?“
„Ach,“ sprach Lamm, „werden wir in diesem traurigen Lande immer nur von Brennen, Henken, Ertränken und andern Hinrichtungen armer Menschen hören? Wann wird doch der gesegnete Friede kommen, da man ohne Sorge Rebhühner braten, Frikassées von Huhn bereiten, und in der Pfanne die Blutwürste zwischen den Eiern bruzzeln lassen kann? Ich mag die schwarzen lieber, die weißen sind zu fett.“
„Diese holde Zeit wird kommen,“ antwortete Ulenspiegel, „wenn wir in den flandrischen Obstgärten an den Äpfel-, Pflaumen- und Kirschbäumen statt der Früchte an jedem Zweig einen Spanier aufgeknüpft sehen.“
„Ach,“ sagte Lamm, „wenn ich nur meine Frau wiederfinden könnte, meine vielliebe, innig geliebte, herzallerliebste, getreue Frau! Denn versteh mich recht, mein Sohn, ich bin kein Hahnrei gewesen und werde es nimmer sein; dazu war sie zu kühl und ruhig in ihrem Benehmen; sie mied die Gesellschaft der andern Männer. Wenn sie schönen Putz liebte, so war das nur aus weiblicher Neigung. Ich war ihr Koch, Bratenwender und Küchenjunge, das gestehe ich gern; warum bin ich es nicht wieder; aber ich war auch ihr Herr und Ehemann.“
„Genug des Redens,“ sagte Ulenspiegel. „Hörst Du den Admiral rufen: „Die Anker gelichtet!“ Und nach ihm die Kapitäne dasselbe rufen? Wir müssen uns jetzt segelfertig machen.“
„Weshalb gehst Du so schnell fort?“ sprach Nele zu Ulenspiegel.
„Wir gehen zu Schiff,“ sagte er.
„Ohne mich?“ fragte sie.
„Ja,“ sagte Ulenspiegel.
„Bedenkst Du nicht, daß ich dahier gar bang um Dich sein werde?“ sagte sie.
„Liebchen,“ sprach Ulenspiegel, „meine Haut ist von Eisen.“
„Du spottest,“ sagte sie. „Ich sehe nur Dein Wams, das von Tuch und nicht von Eisen ist, darunter ist Dein Körper, wie meiner aus Fleisch und Bein. Wenn man Dich verwundet, wer wird Dich verbinden? Willst Du ganz allein in Mitten der Krieger sterben? Ich gehe mit Dir?“
„Wehe,“ sprach er, „wenn die Lanzen, Kugeln, Degen, Äxte und Streithämmer mich verschonten und auf Deinen holden Leib fielen, was würde ich Taugenichts ohne Dich in dieser niederträchtigen Welt beginnen?“
Aber Nele sprach:
„Ich will Dir folgen, es ist keine Gefahr dabei; ich werde mich hinter der hölzernen Brustwehr verstecken, wo die Scharfschützen sind.“
„Wenn Du gehst, bleibe ich, und dein Freund Ulenspiegel wird für einen Verräter und Feigling gelten; aber höre mein Lied:
Und singend zog er von hinnen, nicht ohne den bebenden Mund und die hübschen Augen der fiebernden Nele geküßt zu haben, die in einem weinte und lachte.
Die Geusen sind in Antwerpen. Sie erbeuten Alba’s Schiffe bis in den Hafen hinein. Bei hellem Tage dringen sie in die Stadt, befreien Gefangene und machen andre, die ihnen Lösegeld einbringen sollen. Sie heben die Bürger mit Gewalt aus und zwingen etliche bei Todesstrafe, ihnen zu folgen und nicht zu sprechen.
Ulenspiegel sprach zu Lamm: „Des Admirals Sohn wird im Hause des Kanonikus gefangen gehalten; wir müssen ihn befreien.“
Als sie ins Haus des Kanonikus drangen, sahen sie den Sohn, den sie suchten, in Gesellschaft eines dicken schmerbäuchigen Mönches, der zornig auf ihn einredete, denn er wollte ihn in den Schoß unserer heiligen Mutter Kirche zurückführen. Aber der junge Bursche wollte nicht. Er ging mit Ulenspiegel fort. Indessen packte Lamm den Mönch bei der Kapuze und trieb ihn durch die Straßen von Antwerpen vor sich her, indem er sagte:
„Du bist hundert Gülden Lösegeld wert, schnüre Dein Bündel und schreite voraus. Was säumst Du? Hast Du Blei in Deinen Sandalen? Marsch, Specksack, Speiseschrank, Suppenbauch.“
Der Mönch sagte in großer Wut:
„Ich gehe, Herr Geuse, ich gehe, aber trotz aller Achtung, die ich Eurer Büchse schulde, Ihr seid gleich mir fettleibig, schmerbäuchig und dick.“
Aber Lamm stieß ihn vor sich her und sprach:
„Wagst Du es, elender Mönch, Dein klösterliches, unnützes Faulenzerfett mit dem Fett eines Vlämen zu vergleichen, das durch Anstrengungen, Strapazen und Schlachten ehrlich angemästet ist? Lauf, oder ich werde Dir wie einem Hund einen Fußtritt geben, und das mit dem Schnabel meines Schuhes.“
Aber der Mönch konnte nicht laufen, und er war ganz außer Atem und Lamm desgleichen. Und so gelangten sie zum Schiffe.
Nachdem die Geusen Rammekens, Gertruidenberg und Alckmaer erobert hatten, kehrten sie nach Vlissingen zurück.
Nele, die genesen war, erwartete Ulenspiegel am Hafen.
„Tyll,“ sagte sie, da sie ihn sah, „mein trauter Tyll, bist Du nicht verwundet?“
Ulenspiegel sang:
„Ach,“ sprach Lamm, sein Bein nachschleppend, „die Kugeln, Granaten und Kettenkugeln regnen um ihn her, und er fühlt davon nichts als den Wind. Du bist ohne Zweifel ein Geist, Ulenspiegel, und auch Du, Nele, denn ich sehe Euch allezeit heiter und jugendlich.“
„Warum schleppst Du das Bein nach?“ fragte Nele ihn.
„Ich bin kein Geist und werde es auch nie werden,“ sagte er. „Zudem habe ich einen Axthieb in den Schenkel erhalten / die meiner Frau waren so weiß und rund! / Sieh, ich blute. Ach, warum habe ich sie nicht hier, um mich zu pflegen!“
Doch Nele erwiderte zornig:
„Was bedarfst Du einer wortbrüchigen Frau?“
„Sprich nicht schlecht von ihr,“ sagte Lamm.
„Warte, hier ist Balsam,“ sagte Nele, „ich habe ihn für Ulenspiegel aufbewahrt; streich ihn auf Deine Wunde.“
Da Lamm seine Wunde verbunden hatte, war er froh, denn der Balsam linderte den brennenden Schmerz. Und sie gingen alle drei wieder zu Schiff.
Da sie den Mönch sah, der dort mit gefesselten Händen herumspazierte, sagte sie: „Wer ist der? Ich habe ihn schon gesehen und glaube, ihn zu erkennen.“
„Er ist hundert Gülden Lösegeld wert,“ sagte Lamm.
An jenem Tage war in der Flotte ein Freudenfest. Trotz des rauhen Dezemberwindes, trotz Regen und Schnee waren alle Geusen der Flotte auf den Decks der Schiffe. Die silbernen Halbmonde glänzten matt auf den zeeländischen Hüten.
Und Ulenspiegel sang:
Da der Mönch, den Lamm gefangen genommen, merkte, daß die Geusen nicht seinen Tod, sondern Lösegeld wollten, begann er auf dem Schiffe die Nase hoch zu tragen.
„Sehet,“ sprach er auf und ab gehend, mit wütendem Kopfschütteln, „sehet, in welchen Abgrund schmutziger, schwarzer, gemeiner Greuel ich gefallen bin, da ich den Fuß in diesen Holznapf setzte. Wenn ich nicht hier wäre, ich, den der Herr salbte ...“
„Mit Hundsfett?“ fragten die Geusen.
„Selbst Hunde,“ antwortete der Mönch, seine Rede fortsetzend. „Ja, räudige, verlaufene, dreckige Hunde mit magerem Kreuz. Ihr, die Ihr den fruchtbaren Schoß unserer heiligen römischen Mutter Kirche gemieden habt, um die dürren Wege Eurer lumpigen, reformierten Kirche zu betreten. Ja, wäre ich nicht hier in Eurem Holzschuh, Eurem Napf, so hätte der Herr ihn schon längst in die tiefsten Abgründe des Meeres versenkt, samt Euch, Euren verfluchten Waffen, Euren Teufelskanonen, Eurem singenden Kapitän, Euren lästerlichen Halbmonden, ja, bis auf den Grund der unergründlichen Tiefe von Satans Reich. Dort werdet ihr nicht verbrennen, nein! aber zu Eis gefrieren, zittern und vor Kälte umkommen, während der ganzen langen Ewigkeit. Ja, also wird Gott im Himmel auslöschen das Feuer Eures gottlosen Hasses gegen unsere sanfte heilige römische Mutter Kirche, gegen die hohen Heiligen, die Herren Bischöfe und die gesegneten Edikte, die so überaus sänftiglich und reiflich bedacht waren. Jawohl, ich werde Euch oben vom Paradiese sehen, veilchenblau wie Rotebeete oder weiß wie Rüben, so sehr wird Euch frieren. Tsi, tsi, tsi! Also geschehe es, geschehe es, geschehe es!“
Die Matrosen, Soldaten und Schiffsjungen trieben ihren Spott mit ihm und schossen aus Blasrohren mit trockenen Erbsen auf ihn. Und er bedeckte sich das Gesicht mit den Händen gegen diese Geschosse.
Nachdem der Blutherzog die Niederlande verlassen hatte, wurden sie von den Herren Messina-Coeli und Requesens mit minderer Grausamkeit regiert; dann wurden sie von den Generalstaaten im Namen des Königs regiert. Inzwischen eröffneten die Zeeländer und Holländer, wohlgeborgen durch Meer und Deiche, so für sie natürliche Wälle und Festungen sind, dem Gott der Freien freie Tempel. Die papistischen Henker konnten nebenan ihre Hymnen singen, und Seine Gnaden von Oranien, der Schweiger, war geschäftig, eine Dynastie von Statthaltern und Königen aufzurichten.
Belgien ward von den Wallonen verwüstet, die ob der Genter Pazifikation mißvergnügt waren, da sie alle Feindschaft begraben sollten. Und diese wallonischen Paternosterknechte, die dicke, schwarze Rosenkränze um den Hals trugen, davon zu Spienne im Hennegau zweitausend gefunden wurden, stahlen Ochsen und Pferde zu zwölfhundert, zu zweitausend und wählten sich die besten aus. Sie schleppten Frauen und Mädchen durch Felder und Sümpfe fort und verbrannten in den Scheunen die bewaffneten Bauern, die sich die Frucht ihrer harten Arbeit nicht rauben lassen wollten.
Und die Leute aus dem Volk sprachen untereinander:
„Don Juan wird mit seinen Spaniern kommen und Seine Herzogliche Hoheit mit seinen Franzosen, nicht mit den Hugenotten, sondern den Papisten. Der Schweiger, der Holland, Zeeland, Geldern und Overyssel friedlich zu regieren wünscht, tritt durch geheimen Vertrag die Belgischen Lande ab, auf daß Herr von Anjou sich dort zum König mache.“
Etliche aus dem Volke hatten gleichwohl Vertrauen. „Die Herren von den Generalstaaten,“ sagten sie, „haben zwanzigtausend wohlbewaffnete Leute mit vielen Kanonen und guter Reiterei. Sie werden allen fremden Soldaten widerstehen.“
Aber die Wohlunterrichteten sprachen: „Die Herren von den Generalstaaten haben zwanzigtausend Mann auf dem Papier, aber nicht im Felde; es fehlt ihnen an Reiterei, und sie lassen sich ihre Pferde eine Meile von ihrem Lager von den Paternosterknechten stehlen. Sie haben keine Artillerie, denn wiewohl sie deren hier bedürfen, haben sie beschlossen, hundert Kanonen mit Pulver und Kugeln an Don Sebastian von Portugal zu senden. Und man weiß nicht, wohin die zwei Millionen Taler gehen, die wir in vier Raten durch Steuern und Kriegsauflagen bezahlt haben. Die Bürger von Gent und Brüssel rüsten sich, Gent für die Reformation und Brüssel desgleichen; in Brüssel schlagen die Frauen die Schellentrommel, dieweil ihre Männer an den Wällen arbeiten. Gent, die Kühne, schickt Brüssel, der Fröhlichen, Pulver und Kanonen, woran es ihr mangelt, um sich gegen die Mißvergnügten und die Spanier zu verteidigen.“
Und ein Jeglicher in den Städten wie auf dem platten Lande sieht ein, daß man kein Vertrauen haben darf, weder zu den Herren von den Generalstaaten, noch zu vielen andern. Und wir Bürger und das niedere Volk sind betrübt in unsern Herzen, daß wir im Lande unsrer Väter keine Besserung sehen, wiewohl wir unser Geld hergeben und bereit sind, unser Blut zu geben. Und das Land Belgien ist bang und erzürnt, daß es keine getreuen Anführer hat, die ihm Gelegenheit geben zu Schlacht und Sieg, da ihre Waffen der Feinde der Freiheit harren.
Und die Wohlunterrichteten sprachen untereinander:
„Bei der Genter Pazifikation haben die Herren von Holland und Belgien Beilegung aller Feindschaft geschworen und gegenseitigen Beistand zwischen den belgischen und niederländischen Staaten. Sie erklärten die Edikte für null und nichtig, die Konfiskationen für aufgehoben, Frieden zwischen beiden Religionen; sie versprachen, alle Säulen, Trophäen, Inschriften und Bildnisse, so der Herzog zu unserer Unehre errichtet, niederzureißen. Aber in den Herzen der Führer sind die Feindschaften noch nicht niedergerissen. Adel und Geistlichkeit erregen Zwietracht zwischen den Staaten der Union; sie empfangen Geld, um die Soldaten zu bezahlen, und behalten es für ihre Völlerei. Fünfzehntausend Prozesse um Rückforderung der eingezogenen Vermögen harren der Erledigung. Die Lutherischen und Römischen vereinigen sich gegen die Calvinisten; den rechtmäßigen Erben gelingt es nicht, den Räubern ihr Vermögen abzujagen; die Statue des Herzogs liegt am Boden, aber in ihren Herzen lebt das Bild der Inquisition.“
Und das arme Volk und die bekümmerten Bürger harrten immerdar des tapferen und getreuen Feldherrn, der sie in die Schlacht für die Freiheit führte.
Und sie sprachen untereinander: „Wo sind die erlauchten Unterzeichner des Kompromisses, die, wie sie sagten, männiglich zum Wohle des Vaterlandes vereinigt waren? Warum bildeten diese falschen Männer eine so „heilige Allianz“, wenn sie diese sogleich brechen mußten? Weshalb sich mit soviel Aufsehen versammeln, des Königs Zorn erregen, um sich hernach wie Feiglinge und Verräter zu trennen? Zu Fünfhundert, wie sie waren, hoher und niedrer Adel, als Brüder vereinigt, retteten sie uns vor der spanischen Wut; aber sie opferten das Wohl des belgischen Landes ihrem eigenen Wohl, gleichwie van Egmont und van Hoorn.“ „Wehe,“ sagten sie, „sehet jetzo Don Juan, den schönen Ehrgeizigen kommen, Philipps Feind, aber mehr noch unsrer Länder Feind. Er kommt um des Papstes und seiner selbst willen. Adel und Klerus üben Verrat.“
Und sie beginnen einen Scheinkrieg. An den Mauern der großen und kleinen Straßen von Gent und Brüssel, selbst an den Masten der Geusenschiffe, sah man nunmehr die Namen der Verräter angeheftet, der Heerführer und Kommandanten von Festungen: die des Grafen von Liedekerke, der sein Schloß nicht gegen Don Juan verteidigte; des Burgvogtes von Lüttich, der die Stadt an Don Juan verkaufen wollte; der Herren von Aerschot, von Mansfeldt, von Berlaymont, von Rassanghien; die des Staatsrats, des Georges de Lalaing, Stadthalters von Friesland, des Feldhauptmanns de Rossignol, des Sendboten von Don Juan und Vermittlers zum Meuchelmord zwischen Philipp und Jauréguy, dem plumpen Mörder des Prinzen von Oranien. Ferner die Namen des Erzbischofs von Cambray, der die Spanier in die Stadt einlassen wollte; die Namen der Jesuiten von Antwerpen, die den Staaten drei Tonnen Goldes, / das ist zwei Millionen Gülden / anboten, damit das Schloß nicht zerstört würde und für Don Juan erhalten bliebe; die Namen des Bischofs von Lüttich und der geschwätzigen römischen Prediger, welche die Patrioten in bösen Leumund brachten; die des Bischofs von Utrecht, den die Bürger fortschickten, um anderswo das Kraut des Verrats zu weiden, und der Bettelorden, die in Gent zu Gunsten Don Juans Ränke schmiedeten. Die von Herzogenbusch nagelten den Namen von Carme Pierre an den Schandpfahl, der, vom Bischof und dessen Clerus unterstützt, sich anheischig machte, die Stadt dem Don Juan auszuliefern.
In Douay jedoch henkten sie den Rektor der Universität, der gleichermaßen spanisch geworden, nicht in effigie. Doch auf den Geusenschiffen sah man auf der Brust der gehenkten Strohmänner Namen von Mönchen, Äbten und Prälaten und von achtzehnhundert reichen Frauen und Jungfrauen des Beghinen-Klosters zu Mecheln, die die Henker des Vaterlandes mit ihren Groschen unterhielten und mit Gold und Federn schmückten.
Und auf diesen Strohmännern, den Schandpfählen der Verräter, stand der Name des Marquis d’Harrault, des Kommandanten der Feste Philippeville, der die Kriegs- und Mondvorräte unnütz vergeudete, um unter dem Vorwand des Mangels an Lebensmitteln, die Feste dem Feind auszuliefern. Da stand der Name Belvers, der Limburg übergab, als diese Stadt sich noch acht Monate halten konnte; der des Staatskanzlers von Flandern; des Magistrats von Brügge, des Magistrats von Mecheln, der seine Stadt für Don Juan offen hielt. Da standen die Namen der Herren von der geldernschen Rechnungskammer, die wegen Verrates geschlossen wurde; die des Rates von Brabant, der Kanzlei des Herzogtums, des geheimen Rats und des Finanzrats; die des Oberamtsmanns und des Bürgermeisters von Menin und der bösen Nachbarn von Artois, die zweitausend Franzosen, so auf Plünderung auszogen, unverweht durchließen.
„Wehe,“ sprachen die Bürger untereinander, „nun hat der Herzog von Anjou einen Fuß in unserm Lande; er will bei uns König werden. Sahet Ihr ihn in Mons einziehen, klein und mit dicken Hüften, großer Nase, gelbem Antlitz und spöttischem Munde. Es ist ein großer Fürst, der die ungewöhnlichen Liebschaften liebt, und damit sich in seinem Namen weibliche Anmut mit männlicher Kraft paare, nennt man ihn Seine Groß-Hoheit, den Herzog von Anjou.“
Ulenspiegel war nachdenklich. Und er sang:
Da der Mönch merkte, daß man ihn reden ließ, trug er auf dem Schiffe die Nase hoch; und um ihn noch mehr zum Predigen anzureizen, lästerten die Matrosen und Soldaten die heilige Jungfrau, die hohen Heiligen und die frommen Andachtsübungen der heiligen römischen Kirche.
Dann geriet er in Wut und spie tausend Beschimpfungen gegen sie aus.
„Ja,“ schrie er, „ja, da bin ich traun in der Höhle der Geusen. Ja, dies sind wahrlich die verfluchten Länderaussauger! Ja. Und man sagt, daß der Inquisitor, der heilige Mann, ihrer zu viele verbrannt hat! Nein: Es ist noch genug von dem schmutzigen Ungeziefer übrig. Ja, auf den guten, tapferen Kriegsschiffen unseres Herrn Königs, die ehedem so sauber und gut gewaschen waren, sieht man jetzo das Ungeziefer der Geusen, ja, das stinkende Ungeziefer. Ja, es ist schmutziges, stinkendes, schändliches Ungeziefer, der singende Kapitän, der Koch mit dem Bauch voller Gottseligkeit, und sie alle mit ihren lästerlichen Halbmonden. Wenn der König seine Schiffe mit der Lauge der Geschütze gesäubert hat, wird für mehr als hunderttausend Gülden Pulver und Kugeln vonnöten sein, um diese schmutzige, gemeine, stinkende Seuche zu vertreiben. Ja, Ihr seid alle in Frau Luzifers Bette geboren, die verdammt ist, mit Satanas zwischen Mauern von Ungeziefer, unter Vorhängen von Ungeziefer und auf Polstern von Ungeziefer zu buhlen. Ja, und dort in ihren abscheulichen Umarmungen erzeugten sie die Geusen. Ja, ich spucke auf Euch.“
Auf diese Rede hin sprachen die Geusen zu ihm:
„Was behalten wir diesen Faulenzer hier, der nichts kann als Schimpfworte ausspeien? Wir wollen ihn lieber henken.“
Und sie machten sich ans Werk.
Als der Mönch sah, daß der Strick bereit, die Leiter an den Mastbaum gelehnt war und man ihm die Hände binden wollte, sagte er kläglich:
„Habt Mitleid mit mir, Ihr Herren Geusen, es ist der Teufel des Zornes, der in meinem Herzen spricht, und nicht Euer geringer Gefangener, ein armer Mönch, der auf dieser Welt nicht mehr als einen Hals hat. Gnädige Herren, erbarmt Euch. Schließt mir den Mund mit einer Angstbirne, wenn Ihr wollt, / eine gar schlechte Frucht / aber henket mich nicht.“
Ohne auf ihn zu hören, und trotz seines wütenden Widerstandes schleppten sie ihn nach der Leiter. Da schrie er so gellend, daß Lamm zu Ulenspiegel, der bei ihm in der Küche war und ihn pflegte, sprach:
„Mein Sohn, mein Sohn, sie haben ein Schwein aus dem Koben gestohlen und stechen es ab. Oh, die Spitzbuben! Wenn ich doch aufstehen könnte.“
Ulenspiegel ging hinauf und erblickte nichts als den Mönch. Da dieser seiner gewahr wurde, fiel er auf die Kniee und sagte, die Hände zu ihm erhebend:
„Herr Kapitän, Kapitän der tapferen Geusen, die zu Wasser und zu Lande furchtbar sind, Eure Soldaten wollen mich henken, weil ich mich mit der Zunge vergangen habe. Das ist eine ungerechte Strafe, Herr Kapitän, denn alsdann müßten alle Advokaten, Sachverwalter, Prediger und Weiber ein hänfenes Halsband haben, und die Welt würde entvölkert werden. Herr, errettet mich vom Strick. Ich werde für Euch beten, und Ihr werdet nicht verdammt werden, gebt mir Pardon. Der Sprechteufel verleitete mich und zwang mich, unaufhörlich zu reden: das ist ein gar großes Unglück. Dann läuft mir die Galle über und läßt mich tausend Dinge sagen, die ich nicht denke. Gnade, Herr Kapitän, und Ihr Herren alle, bittet für mich.“
Plötzlich erschien Lamm im Hemd auf Deck und sagte:
„Kapitän und Kameraden, es war nicht das Schwein, daß quiekte, sondern der Mönch; des bin ich froh. Ulenspiegel, mein Sohn, ich habe einen großartigen Plan inbetreff des frommen Vaters gefaßt. Schenk ihm das Leben, aber laß ihn nicht frei, sonst wird er noch einen schlechten Streich auf dem Schiffe verüben. Vielmehr laß ihm auf Deck einen engen, recht luftigen Käfig machen, darin er nur sitzen und schlafen kann, wie man sie für die Kapaunen macht. Laß mich ihn füttern, und wenn er nicht soviel ißt, wie ich will, möge er gehenkt werden.“
„Möge er gehenkt werden, wenn er nicht ißt“, sagten Ulenspiegel und die Geusen.
„Was gedenkst Du mit mir zu machen, Dicker?“ fragte der Mönch.
„Das wirst du sehen,“ antwortete Lamm.
Und Ulenspiegel tat, was Lamm wünschte, und der Mönch ward in den Käfig gesetzt, und Jedermann konnte ihn darin nach Belieben betrachten.
Lamm war in die Küche hinuntergegangen; Ulenspiegel ging ihm nach und hörte ihn mit Nele streiten.
„Ich werde mich nicht hinlegen,“ sagte er, „nein, ich werde mich nicht hinlegen, damit andere kommen und in meinen Brühen herum mantschen. Nein ich werde nicht in meinem Bette bleiben wie ein Kalb!“
„Werde nicht böse, Lamm,“ sprach Nele, „sonst wird Deine Wunde wieder aufbrechen, und Du wirst sterben.“
„Wohlan,“ sagte er, „ich werde sterben; ich bin es satt, ohne mein Weib zu leben. Ist es noch nicht genug, daß ich es verloren habe, willst du mich auch noch hindern, mich, den Schiffskoch, auf die Suppe zu achten? Weißt du nicht, daß dem Duft der Brühen und Fleischgerichte eine Heilkraft innewohnt? Sie nähren selbst meinen Geist und panzern mich wider das Unglück.“
„Lamm,“ sagte Nele, „Du mußt auf unseren Rat hören und Dich von uns heilen lassen.“
„Ich will mich heilen lassen,“ sprach Lamm; „aber es soll nur ein anderer hier herein kommen, irgend ein unwissender, stinkender, triefäugiger, rotznasiger Taugenichts und soll an meiner Statt als Schiffskoch herrschen und mit seinen schmutzigen Fingern in meine Brühen fahren, so schlüg’ ich ihn lieber mit meiner Holzkelle tot, die dann von Eisen wäre.“
„Gleichviel,“ sagte Ulenspiegel, „Du brauchst einen Gehilfen, Du bist krank.“
„Ein Gehilfe für mich!“ sagte Lamm, „mir ein Gehilfe! Bist Du denn nur mit Undankbarkeit vollgepfropft wie eine Wurst mit gehacktem Fleisch? Ein Gehilfe, mein Sohn, und Du sagst das mir, Deinem Freund, der Dich so lange und so reichlich genährt hat! Jetzt wird meine Wunde wieder aufbrechen. Schlechter Freund, wer würde dir hier wohl die Nahrung bereiten wie ich? Was würdet Ihr beiden anfangen, wenn ich nicht da wäre, um dir, Kapitän, und Dir, Nele, etwelches leckere Gericht vorzusetzen?“
„Wir würden selbst in der Küche arbeiten,“ sprach Ulenspiegel.
„Die Küche!“ sagte Lamm. „Du taugst dazu, gute Küche zu essen, sie zu schnüffeln und einzuschlürfen, aber kochen, nein! Armer Freund und Kapitän, ich würde Dir, mit Verlaub zu sagen, in Streifen geschnittene Gürteltaschen zu essen geben, und Du würdest sie für harte Kaldaunen halten. Laß mich, mein Sohn, laß mich hier bleiben, sonst werde ich wie ein Stock eintrocknen.“
„So bleibe Schiffskoch,“ sprach Ulenspiegel; „wenn du nicht gesund wirst, schließe ich die Küche zu und wir essen nur Schiffszwieback.“
„Ach, mein Sohn,“ sprach Lamm, vor Freude weinend, „Du bist gut wie unsere liebe Frau.“
Er schien jedoch zu genesen.
Alle Samstage sahen die Geusen, wie er den Leibesumfang des Mönches mit einem langen Lederriemen maß.
Am ersten Samstag sagte er:
„Vier Fuß.“
Und sich selber messend, sprach er:
„Vier und einen halben Fuß.“
Und er schien schwermütig.
Doch am achten Samstag war er fröhlich und sagte von dem Mönche:
„Vier dreiviertel Fuß.“
Und als er ihm Maß nahm, erboste sich der Mönch und sprach:
„Was hast du mit mir vor, Dicker?“
Aber Lamm steckte die Zunge heraus und schwieg.
Und siebenmal am Tage sahen die Matrosen und Soldaten ihn mit irgend einem andern Gericht ankommen und dabei sagen:
„Hier sind fette Bohnen mit flandrischer Butter; hast Du je so gute in Deinem Kloster gegessen? Du hast ein volles Gesicht, hier auf dem Schiff magert man nicht ab. Fühlst Du nicht, wie Dir die Fettpolster im Rücken wachsen? Bald wirst Du kein Pfühl mehr brauchen, um zu schlafen.“
Bei der zweiten Mahlzeit des Mönches sprach er:
„Sieh da, das sind Krapfen nach Brüsseler Art. Die Wälschen nennen sie Crèpes, denn sie tragen sie zum Zeichen der Trauer am Hut. Diese jedoch sind nicht schwarz, sondern blond und im Ofen goldig gebacken. Siehst Du die Butter darauf rinnen? So wird auch Dein Bauch werden.“
„Ich habe keinen Hunger,“ sprach der Mönch.
„Du mußt essen,“ sagte Lamm. „Glaubst Du, daß es Krapfen von Buchweizenmehl sind? Es ist reines Weizenmehl, frommer Vater, Vater im Fett, es ist feinstes Weizenmehl, Vater mit vierfachem Kinn; ich sehe schon das fünfte keimen, und mein Herz ist froh. Iß!“
„Laß mich in Ruhe, Dicker,“ sprach der Mönch.
Lamm ward zornig und antwortete:
„Ich bin Herr über Dein Leben. Ziehst du den Strang einem guten Napf Erbsenbrei mit gerösteter Brotrinde vor, die ich Dir alsbald bringen werde?“
Und als er mit dem Napf kam, sagte Lamm:
„Der Erbsenbrei hat es gern, wenn er in Gesellschaft gegessen wird; darum habe ich deutsche Knödel dabei gegeben, schöne Klöße von Korinther Mehl, ganz frisch ins kochende Wasser geworfen. Sie sind schwer, aber sie setzen Speck an. Iß, soviel du kannst. Jemehr Du issest, um so größer ist meine Freude. Ziere Dich nicht, und schnaufe nicht so stark, als ob es Dir zu viel würde. Iß! Ist Essen nicht besser als gehenkt werden? Laß mal Deine Schenkel sehen? Sie werden auch fetter. Zwei Fuß und sieben Zoll rund herum. Wo ist ein Schinken, der soviel mißt?“
Eine Stunde darauf kam er wieder zum Mönche.
„Sieh,“ sprach er, „hier sind neun Tauben. Sie sind für Dich geschlachtet, die unschuldigen Tierchen, die ohne Furcht über den Schiffen flogen. Verschmähe sie nicht, ich habe ihnen eine Butterkugel in den Leib gelegt, samt Weißbrot, geriebener Muskatnuß und Gewürznelken, in einem kupfernen Mörser gestoßen, der wie Deine Haut glänzt. Die liebe Sonne freut sich, in einem Gesichte, so blank wie das Deine, sich spiegeln zu können. Das kommt vom Fett, vom guten Fett, das ich Dir verschafft habe.“ Bei der fünften Mahlzeit brachte er ihm ein „Waterzoey“.
„Was denkst Du von diesem gedämpften Fische?“ fragte er. „Das Meer trägt Dich und ernährt Dich, mehr würde es auch nicht für Seine Königliche Majestät tun. Ja, ja, ich sehe das fünfte Kinn deutlich sprossen, ein wenig mehr an der linken als an der rechten Seite. Wir werden diese Seite, die zu kurz gekommen ist, fett machen müssen, denn Gott hat uns gesagt: „Seid gerecht gegen jedermann.“ Wo wäre Gerechtigkeit, wenn nicht in gleichmäßiger Verteilung von Fett? Für Deine sechste Mahlzeit werde ich Dir Muscheln, die Austern der armen Leute, bringen, dergleichen man Dir in Deinem Kloster nie aufgetragen hat. Die Unwissenden kochen sie und essen sie so, aber das ist nur der Prolog ihrer Zubereitung. Man muß hernach die Schalen abnehmen, ihre zarten Körper in ein Pfännlein tun und sie da sanft mit Sellerie, Muskat und Nelken dämpfen, die Brühe mit Bier und Mehl binden und sie mit gerösteten Brotschnitten anrichten. So habe ich sie für Dich gemacht. Warum schulden die Kinder ihren Vätern und Müttern so großen Dank? Weil sie ihnen Obdach, Liebe, doch sonderlich die Nahrung gegeben haben. Demnach mußt Du mich wie Deinen Vater und Deine Mutter lieben und gleich ihnen bist Du, Vielfraß, mir Dank schuldig. Drum sieh mich nicht mit so wilden, rollenden Augen an.
„Bald werde ich Dir eine Biersuppe mit Mehl bringen, gut gezuckert, mit viel Zimmt. Weißt Du, warum? Damit Dein Fett durchsichtig wird und unter Deiner Haut bebt: so sieht man es, wenn Du Dich bewegst. Horch, da läutet es Schlafenszeit: schlummere in Frieden, ohne Sorgen für den kommenden Tag, und sei sicher, Deine geschmälzten Mahlzeiten wiederzufinden, und Deinen Freund Lamm, der nicht ermangeln wird, sie Dir zu geben.“
„Geh von hinnen und laß mich beten,“ sagte der Mönch.
„Bete,“ sprach Lamm, „bete in fröhlicher Schnarchmusik. Bier und Schlafen werden Dir Fett, gutes Fett ansetzen. Ich bin froh.“
Und Lamm ging, sich ins Bett zu legen.
Und die Matrosen und Soldaten fragten ihn:
„Was hast Du davon, diesen Mönch, der Dir nicht wohl will, so reichlich zu füttern?“
„Laßt mich nur machen,“ sprach Lamm. „Ich vollführe ein großes Werk.“
Im Mai, wenn die flanderischen Bäuerinnen sich nachts langsam drei schwarze Bohnen nach rückwärts über den Kopf werfen, um sich vor Krankheit und Tod zu schützen, brach Lamms Wunde wieder auf. Er bekam starkes Fieber und begehrte, auf Deck, dem Käfig des Mönches gegenüber zu liegen.
Ulenspiegel war es zufrieden, doch aus Furcht, daß sein Freund bei einem Anfall ins Meer stürzte, ließ er ihn auf seinem Lager tüchtig festbinden.
In seinen lichten Augenblicken empfahl er unablässig, daß man den Mönch nicht vergäße, und streckte ihm die Zunge heraus.
Und der Mönch sprach: „Du beschimpfest mich, Dicker.“
„Nein,“ antworte Lamm, „ich mache Dich fett.“
Ein lauer Wind wehte, die Sonne schien warm. Der fiebernde Lamm war auf seinem Bette gut festgebunden, damit er bei den jähen Anfällen des Fieberwahns nicht vom Schiff spränge. Er wähnte sich noch in der Küche und sprach:
„Der Ofen ist heute hell. Bald wird es Fettammern regnen. Frau, spanne die Schlingen in unserm Obstgarten auf. Du bist schön so mit den bis an den Ellbogen aufgeschlagenen Ärmeln. Dein Arm ist weiß, ich will mit den Lippen hineinbeißen, das sind Sammetzähne. Wem gehört dieser schöne Leib, wem gehören diese schönen Brüste, die unter Deinem weißen Leibchen von feinem Linnen schimmern? Mir, mein süßer Schatz. Wer wird das Frikassee von Hahnenkämmen und Kücken machen? Nicht zuviel Muskat, das macht Fieber. Weiße Brühe mit Thymian und Lorbeeren. Wo sind die Eidotter?“
Dann winkte er Ulenspiegel, das Ohr an seinen Mund zu halten, und sagte ganz leise zu ihm:
„Bald wird es Wildpret regnen, ich werde Dir vier Fettammern mehr aufheben als den Andern. Du bist Kapitän, verrate mich nicht.“
Dann hörte er die Wellen leise an die Schiffswand plätschern.
„Die Suppe kocht, mein Sohn, die Suppe kocht, aber wie langsam heizt dieser Ofen!“
Sobald er seine fünf Sinne beisammen hatte, sprach er, vom Mönch redend:
„Wo ist er? Wächst sein Speck?“
Da er ihn erblickte, streckte er ihm die Zunge heraus und sagte:
„Das große Werk wird vollendet; des bin ich froh.“
Eines Tages verlangte er, daß die große Wage auf Deck gebracht würde und daß man ihn auf ein Wagebrett und den Mönch auf das andere legte. Kaum war der Mönch darauf, als Lamm wie ein Pfeil in die Luft schnellte. Hocherfreut sagte er, indem er ihn ansah:
„Er ist schwer, er ist schwer! Ich bin ein leichter Geist neben ihm; ich werde wie ein Vogel in die Luft fliegen. Ich habe einen Gedanken: nehmt ihn herunter, damit ich herabsteigen kann; jetzt legt die Gewichte auf; legt ihn wieder darauf. Wieviel wiegt er? Dreihundertvierzehn Pfund. Und ich? Zweihundertzwanzig.“
In der Nacht des folgenden Tages ward Ulenspiegel bei Tagesgrauen durch Lamm geweckt, welcher rief:
„Ulenspiegel, Ulenspiegel! zu Hilfe, hindere sie fortzugehen. Schneidet die Stricke durch, schneidet die Stricke durch!“
Ulenspiegel stieg auf Deck und sagte:
„Warum rufst Du? Ich sehe nichts.“
„Sie ist es,“ antwortete Lamm, „sie, meine Frau; dort in der Schaluppe, die jenes Vlieboot umkreist. Ja, um das Vlieboot, von dem die Lieder und die Lautenklänge kommen.“
Nele war gleichfalls auf Deck gestiegen.
„Schneide die Stricke durch, Liebchen,“ sprach Lamm. „Siehst Du nicht, daß meine Wunde geheilt ist? Ihre weiche Hand hat sie verbunden. Sie, ja, sie. Siehst Du sie in der Schaluppe stehen? Hörst Du? Sie singt noch. Komm, Geliebte, komm, flieh nicht Deinen armen Lamm, der ohne Dich so einsam auf Erden war.“
Nele faßte seine Hand und berührte sein Gesicht.
„Er hat noch Fieber,“ sagte sie.
„Schneidet die Stricke durch,“ sprach Lamm, „gebt mir eine Schaluppe! Ich lebe, ich bin glücklich, ich bin geheilt!“
Ulenspiegel zerschnitt die Stricke und Lamm sprang in weißen Leinenhosen ohne Wams aus dem Bett und begann, das Boot selbst hinunterzulassen.
„Sieh ihn an,“ sagte Nele zu Ulenspiegel. „Seine Hände zittern vor Ungeduld bei der Arbeit.“
Da das Boot flott war, stiegen Ulenspiegel, Nele und Lamm mit einem Ruderknecht hinein und steuerten auf das Vlieboot zu, das in der Ferne im Hafen vor Anker lag.
„Sieh, das schöne Vlieboot,“ sprach Lamm, dem Ruderknecht helfend.
Vom morgenfrischen Himmel, den die Strahlen der jungen Sonne wie vergüldetes Kristall färbten, hob das Vlieboot seinen Rumpf und seine schlanken Masten ab.
Derweil Lamm ruderte, fragte Ulenspiegel:
„Sag uns nunmehr, wie Du sie wiedergefunden hast?“
Lamm gab stoßweise Antwort.
„Ich schlief, es ging mir schon besser. Plötzlich dumpfes Geräusch. Etwas Hölzernes stößt ans Schiff. Schaluppe. Matrose läuft beim Geräusch herbei: Wer da? Eine sanfte Stimme, ihre Stimme, mein Sohn, ihre süße Stimme: Gut Freund! Dann derbere Stimme: Es lebe der Geuse! Kommandant des Vlieboots „Johanna“ mit Lamm Goedzak sprechen. Matrose wirft die Strickleiter hinunter. Der Mond schien. Ich sehe die Gestalt eines Mannes auf Deck steigen: Starke Hüften, runde Kniee, breites Becken. Ich sage mir: Falscher Mann. Mir ist, wie wenn eine Rose sich erschließt und meine Wange berührt. Ihr Mund, mein Sohn, und ich höre sie sagen, sie selbst, verstehst Du? sie selbst, indem sie mich mit Küssen und Tränen bedeckt, die wie flüssiges, balsamisches Feuer auf meinen Körper fallen: „Ich weiß, daß ich unrecht tue, aber ich habe Dich lieb, mein guter Mann. Ich habe vor Gott geschworen, und ich breche meinen Schwur, mein Mann, mein armer Mann! Ich bin oft gekommen, ohne mich in Deine Nähe zu wagen. Der Matrose hat es mir endlich erlaubt. Ich verband Deine Wunde; Du erkanntest mich nicht, aber ich habe Dich geheilt. Sei nicht böse, lieber Mann. Ich bin Dir gefolgt, aber ich fürchte mich, er ist auf diesem Schiff. Laß mich gehen. Wenn er mich sähe, so verfluchte er mich und ich würde im ewigen Feuer brennen!“ Weinend und glücklich küßte sie mich abermals und verließ mich dann wider meinen Willen, trotz meiner Tränen. Du hattest mir ja Arm und Beine festgebunden, mein Sohn, aber jetzt“ ....
So sprechend, ruderte er mit starken Schlägen, wie die gespannte Schnur eines Bogens, die den Pfeil vorwärts schnellt.
Als sie sich dem Vlieboot näherten, sprach Lamm:
„Da steht sie auf Deck und spielt die Laute, meine reizende Frau mit goldbraunem Haar, braunen Augen, noch blühenden Wangen, bloßen, runden Armen und weißen Händen. Hüpfe auf den Wellen, Schaluppe!“
Da der Kapitän des Vlieboots die Schaluppe herankommen und Lamm wie einen Teufel rudern sah, ließ er eine Strickleiter von Deck herunterwerfen. Als Lamm ihr nahe war, sprang er aus der Schaluppe auf die Leiter, auf die Gefahr hin, ins Meer zu stürzen, und stieß das Bot drei Klafter weit zurück. Wie eine Katze kletterte er an Bord und lief auf seine Frau zu, die, vor Freude halbohnmächtig, ihn umarmte und küßte. Dabei sprach sie:
„Lamm! Du darfst mich nicht mitnehmen, ich habe bei Gott geschworen, aber ich habe Dich lieb. Ach, lieber Mann!“
Nele rief aus:
„Das ist ja Calleken Huybrechts, die schöne Calleken!“
„Die bin ich,“ sagte sie, „aber ach, meine Schönheit ist nicht mehr in der Mittagshöhe.“
Und sie schien betrübt.
„Was hast Du getan?“ fragte Lamm. „Was geschah mit Dir? Warum hast Du mich verlassen? Warum willst Du mich jetzo meiden?“
„Hör mich an,“ sprach sie, „und zürne nicht, ich will Dir alles sagen. Wissend, daß alle Mönche Erwählte Gottes sind, vertraute ich mich einen von ihnen an. Er hieß Broer Cornelis Adriaensen.“
Da Lamm dies vernahm, sprach er:
„Was! dieser schlimme Heuchler, der ein Maul hatte wie eine Kloake voll Schmutz und Unrat und von nichts sprach, als das Blut der Reformation zu vergießen! Was! dieser Lobredner der Inquisition und der Edikte! Wehe! dieser schuftige Taugenichts war es!“
Calleken sagte:
„Beschimpfe den Mann Gottes nicht!“
„Der Mann Gottes!“ sprach Lamm, „ich kenne ihn! Er war der Mann der Unflätereien und Zoten. Unseliges Geschick! Mußte meine schöne Calleken diesem geilen Mönch in die Hände fallen. Komm mir nicht nahe, ich ermorde Dich! Und ich, der ich sie so liebte! Mein armes Herz betrogen, das ganz ihr gehörte! Was willst Du hier? Weshalb hast Du mich gepflegt? Du hättest mich sollen sterben lassen. Hebe Dich weg, ich will Dich nicht mehr sehen, hebe Dich weg oder ich werfe Dich ins Meer. Mein Messer! ....“
Sie umarmte ihn und sprach:
„Lamm, lieber Mann, weine nicht. Ich bin nicht, was Du denkst; ich bin diesem Mönch nicht zu Willen gewesen!“
„Du lügst,“ sprach Lamm, weinend und zähneknirschend. „Ach, ich war nimmer eifersüchtig, und jetzt bin ich’s. Traurige Leidenschaft, Zorn und Liebe: der Drang, zu morden und zu umarmen. Hinweg! nein, bleib. Ich war so gut zu ihr. Mordlust beherrscht mich. Mein Messer! Oh! das brennt, verzehrt, nagt ... Du lachst über mich ....“
Und weinend, sanft und demütig umarmte sie ihn.
„Ja,“ sprach er, „ich bin albern in meinem Zorn; ja, Du hütetest meine Ehre, die Ehre, die wir Narren an die Röcke einer Frau hängen. Darum also stecktest Du Dein süßestes Lächeln auf, wenn Du mich batest, mit Deinen Freundinnen zur Messe zu gehen ...“
„Laß mich reden,“ sprach die Frau, ihn umarmend. „Ich will augenblicks tot sein, wenn ich Dich hintergehe.“
„So stirb,“ sprach Lamm, „denn Du wirst lügen.“
„Hör mir an,“ sprach sie.
„Rede oder schweige,“ sagte er, „mir ist es einerlei.“
„Broer Adriaensen,“ sagte sie, „galt für einen guten Kanzelredner. Ich ging, ihn zu hören. Er stellte den geistlichen Stand und das Zölibat weit über alle andern, weil sie die Frommen am besten ins Paradies führen. Seine Beredsamkeit war gewaltig und ungestüm. Mehrere ehrbare Frauen, darunter ich, und sonderlich eine gute Zahl Witwen und Jungfrauen wurden ganz verstört davon. Maßen der ehelose Stand so vollkommen ist, empfahl er uns, darin zu verbleiben. Wir schwuren, nicht mehr ehelich zu leben ....“
„Ausgenommen mit ihm, ohne Zweifel,“ sagte Lamm unter Tränen.
„Schweig,“ sagte sie erzürnt.
„Weiter,“ sagte er, „vollende; Du hast mir einen harten Schlag versetzt, den werd’ ich nicht überwinden.“
„Doch, lieber Mann,“ sagte sie, „wenn ich allzeit bei Dir sein werde.“ Sie wollte ihn umarmen und küssen; er aber stieß sie zurück.
„Die Witwen,“ sagte sie, „gelobten ihm in die Hand, sich nie wieder zu verheiraten.“
Und Lamm hörte zu, in eifersüchtiges Sinnen versenkt.
Voll Scham erzählte Calleken weiter:
„Er wollte nur schöne und junge Frauen und Jungfrauen als Büßerinnen haben; die andern, die schickte er zu ihren Pfarrern zurück. Er gründete einen Orden von Andächtigen, indem er uns alle schwören ließ, keine andern Beichtiger als ihn zu nehmen. Ich leistete den Schwur. Meine Genossinnen, die besser unterrichtet waren als ich, fragten mich, ob ich mich nicht in der Heiligen Disziplin und der Heiligen Pönitenz unterweisen lassen wollte. Ich war bereit. Es war aber zu Brügge am Kai der Steinschneider, nahe dem Kloster der minderen Brüder ein Haus, darin eine Frau, namens Calle de Najage, wohnte. Die unterrichtete und ernährte junge Mädchen um einen Goldkarolus im Monat. Broer Cornelis konnte in ihr Haus gelangen, ohne daß er dem Anschein nach sein Kloster verließ. In dieses Haus ging ich: in ein Kämmerlein, darin er allein war. Allda befahl er mir, ihm alle meine natürlichen und fleischlichen Begierden zu sagen. Erstlich traute ich mich nicht, aber ich gab endlich nach, weinte und sagte ihm alles.“
„Wehe!“ klagte Lamm, „so empfing dieser schweinische Mönch Deine holde Beichte.“
„Er sagte mir immer / und solches ist wahr, lieber Mann / daß über der irdischen eine himmlische Scham sei, durch welche wir Gott unsere weltliche Scham zum Opfer bringen, und daß wir also unserm Beichtiger alle unseren geheimsten Begierden bekennen und alsdann würdig sind, die heilige Geißelung und die heilige Buße zu empfahen.
„Zuletzt nötigte er mich, nackend vor ihn zu treten, um auf meinem Körper, der gesündigt hatte, die allzuleichte Züchtigung meiner Sünden zu erhalten. Eines Tages zwang er mich, mich zu entkleiden; ich ward ohnmächtig, als ich mein Hemd vor ihn fallen lassen mußte. Er brachte mich durch Salze und Riechfläschchen wieder zu mir. „Für diesmal ist es gut, meine Tochter,“ sagte er, „kehre in zwei Tagen wieder und bringe eine Geißel mit.“ Das dauerte lange Zeit, ohne daß jemals ... ich schwöre bei Gott und all seinen Heiligen ... Mann ... versteh mich ... schau mich an ... sieh, ob ich lüge ... ich blieb rein und treu ... ich liebte Dich.“
„Armer, süßer Körper,“ sagte Lamm. „O Schandfleck auf Deinem Hochzeitskleid!“
„Lamm,“ sprach sie, „er redete im Namen Gottes und unsrer heiligen Mutter Kirche; mußte ich ihn nicht anhören? Ich liebte Dich immer, aber ich hatte bei der Jungfrau mit furchtbaren Eiden geschworen, mich Dir zu versagen. Und doch war ich schwach, Deinetwegen schwach. Entsinnst Du Dich des Gasthauses in Brügge? Ich war bei Calle de Najage, Du kamst auf Deinem Esel mit Ulenspiegel vorbeigeritten. Ich ging Dir nach. Ich hatte eine hübsche Summe Geldes und gab für mich nichts aus. Ich sah Dich hungern, mein Herz zog mich zu Dir, ich empfand Mitleid und Liebe.“
„Wo ist er jetzt?“ fragte Ulenspiegel.
Calleken antwortete:
„Nach einer vom Magistrat befohlenen Nachforschung und auf Anstiften Böswilliger mußte Broer Adriaensen Brügge verlassen und flüchtete nach Antwerpen. Man hat mir auf dem Vlieboot erzählt, daß mein Mann ihn gefangen genommen hat.“
„Was!“ sprach Lamm, „der Mönch, den ich mäste, ist ....“
„Er,“ antwortete Calleken, ihr Gesicht verhüllend.
„Eine Axt, eine Axt,“ schrie Lamm, „daß ich ihn schlachte und das Fett dieses geilen Bockes meistbietend verkaufe! Rasch zurück zum Schiffe. Die Schaluppe! Wo ist die Schaluppe?“
Nele sprach zu ihm:
„Es ist eine niedrige Grausamkeit, einen Gefangenen zu töten oder zu verwunden.“
„Du siehst mich mit bösen Augen an; würdest Du mich daran hindern?“
„Ja,“ sagte sie.
„Wohlan,“ sprach Lamm, „ich werde ihm nichts antun. Laß mich ihn nur aus dem Käfig werfen. Die Schaluppe! Wo ist die Schaluppe?“
Sie stiegen flugs ein und Lamm ruderte eifrig und weinte, alles mit einander.
„Du bist traurig, Mann?“ fragte Calleken.
„Nein,“ sprach er, „ich bin froh. Du wirst mich gewißlich nicht verlassen?“
„Nimmer,“ sagte sie.
„Du warst rein und treu, sagst Du; aber süßes Liebchen, geliebte Calleken, ich lebte nur, um Dich wiederzufinden, und siehe da, Dank diesem Mönch wird in all unsren Wonnen das Gift der Eifersucht sein ... Sobald ich traurig oder nur müde bin, werde ich Dich nackend sehen, wie Du Deinen schönen Leib dieser schimpflichen Geißelung unterwirfst. Der Lenz unsrer Liebe war mein, doch der Sommer gehörte ihm. Grau wird der Herbst sein und in Bälde wird der Winter kommen, meine treue Liebe zu begraben.“
„Du weinst?“ sagte sie.
„Ja,“ sprach er, „was vergangen ist, kehrt nicht wieder.“
„Wenn Calleken treu war, so sollte sie Dich Deiner häßlichen Worte halber allein lassen,“ sagte Nele darauf.
„Er weiß nicht, wie ich ihn liebte,“ sprach Calleken.
„Sagst Du die Wahrheit?“ rief Lamm aus. „Komm, Liebchen, komm, mein Weib. Kein grauer Herbst ist mehr da, und kein Winter, uns zu begraben.“
Und er schien fröhlich, und sie kamen zum Schiffe.
Ulenspiegel gab Lamm die Schlüssel zum Käfig und er öffnete ihn. Er wollte den Mönch bei einem Ohr auf Deck ziehen, aber er konnte es nicht; er wollte ihn seitwärts herausziehen, aber das ging ebenso wenig.
„Man muß alles zerbrechen; der Kapaun ist fett,“ sagte er.
Nunmehr kam der Mönch heraus und rollte seine dicken, blöden Augen, dieweil er seinen Bauch mit beiden Händen festhielt. Da zog eine große Welle unter dem Schiff her und er fiel auf sein Gesäß.
Und Lamm sprach zum Mönche:
„Wirst Du noch „Dicker“ sagen? Du bist dicker als ich. Wer zwang Dich, sieben Mahlzeiten am Tage zu halten? Ich. Woher kommt es, Schreihals, daß Du jetzt ruhiger bist und sanfter zu den armen Geusen?“
Und er redete weiter:
„So Du noch ein Jahr im Käfig bleibst, wirst Du nicht mehr daraus herfür können. Deine Wangen beben wie Schweinesülze, wenn Du Dich bewegst; Du schreist schon nicht mehr, bald wirst Du nicht mehr atmen können.“
„Schweig, Dicker,“ sagte der Mönch.
„Dicker!“ sprach Lamm und geriet in Wut. „Ich bin Lamm Goedzak, Du bist Bruder Dicksack, Fettsack, Lügensack, Schlucksack, Wollustsack. Du hast vier Finger breit Speck unter der Haut, man sieht Deine Augen nicht mehr. Ulenspiegel und ich könnten bequem in der Kathedrale Deines Bauches hausen! Du nennst mich Dicker; willst Du einen Spiegel, um Deinen Bauch zu betrachten? Ich habe Dich gemästet, Du Denkmal von Fleisch und Bein. Ich habe geschworen, daß Du Fett speien, Fett schwitzen und Fettspuren zurücklassen solltest wie ein Talglicht, das in der Sonne schmilzt. Man sagt, daß der Schlagfluß beim siebenten Kinn kommt; Du hast ihrer jetzo fünf und ein halbes.“
Dann zu den Geusen gewendet:
„Sehet diesen Lüstling! Das ist Bruder Cornelis Adriaensen Nichtsnutzen aus Brügge. Er predigte allda eine neue Schamhaftigkeit. Sein Fett ist die Strafe, sein Fett ist mein Werk. Nun höret alle, Matrosen und Soldaten: Ich werde Euch verlassen, Dich verlassen, Ulenspiegel, auch Dich, kleine Nele, um in Vlissingen, wo ich Vermögen habe, mit meiner lieben Frau zu leben, die ich wiederfand. Ihr habt mir ehedem geschworen, mir alles zu bewilligen, um was ich Euch bitten würde ...“
„Das ist Geusenmord,“ sprachen sie.
„Wohlan,“ sagte Lamm, „betrachtet diesen Lüstling, diesen Bruder Adriaensen Nichtsnutzen aus Brügge; ich schwur, ihn in seinem Fett umkommen zu lassen wie ein Schwein. Bauet einen größeren Käfig und zwingt ihn, täglich zwölf Mahlzeiten anstatt sieben zu essen; gebt ihm eine fette, süße Nahrung. Jetzt ist er schon wie ein Ochs; macht, daß er wie ein Elefant wird, und Ihr werdet in Bälde sehen, daß er den Käfig ausfüllt.“
„Wir werden ihn mästen,“ sagten sie.
„Und jetzo,“ fuhr Lamm fort, zum Mönche sprechend; „sage ich Dir Nichtsnutz Valet. Ich lasse Dich nach Mönchsweise mästen, anstatt Dich henken zu lassen; nimm zu an Fett und glaube an den Schlagfluß.“
Dann nahm er sein Weib Calleken in die Arme:
„Schau her, grunze oder brülle, ich raube sie Dir, Du wirst sie nicht mehr geißeln!“
Aber der Mönch geriet in Wut und sprach zu Calleken:
„So gehest Du ins Bett der Unzucht, lüsternes Weib! Ja, Du gehst ohne Mitleid für den armen Märtyrer von Gottes Wort, der Dich die heilige, liebliche und himmlische Zucht lehrte. Sei verflucht! Kein Priester möge Dir verzeihen; möge der Boden unter Deinen Füßen brennen, Zucker Dir wie Salz erscheinen, Rindfleisch wie verwestes Hundefleisch. Das Brot werde Dir zu Asche, die Sonne zu Eis, und der Schnee zu Höllenfeuer. Verflucht sei Deine Fruchtbarkeit, Deine Kinder sollen scheußlich sein, mit dem Leib eines Affen und einem Schweinskopf, der größer ist als ihr Bauch. Du sollst leiden, wimmern und ächzen in dieser und in jener Welt, in der Hölle, die Deiner wartet, in der Hölle aus Pech und Schwefel, so für Weiber Deiner Art angezündet ist. Meine väterliche Liebe wiesest Du zurück. Sei dreifach verflucht von der Heiligen Dreieinigkeit und siebenfach verflucht von den Leuchten der Kirche. Deine Beichte sei Dir Verdammnis, die Hostie ein tödliches Gift, und in der Kirche möge jede Fliese sich erheben, um Dich zu zermalmen und Dir zu sagen: Diese ist die Buhlerin, diese ist verflucht, diese ist verdammt!“
Und Lamm hüpfte vor Freude und sagte fröhlich:
„Sie ist treu gewesen, er hat es gesagt, der Mönch; es lebe Calleken!“
Aber sie sprach weinend und zitternd:
„Mann, nimm diese Verwünschung von mir. Ich sehe die Hölle! Nehmt die Verwünschung von mir!“
„Nimm die Verwünschung zurück,“ sagte Lamm.
„Ich werde sie nicht zurücknehmen, Dicker,“ sagte der Mönch.
Und die Frau harrte knieend, ganz bleich und bekümmert, und mit gefalteten Händen flehte sie Bruder Adriaensen an.
Und Lamm sprach zum Mönche:
„Nimm die Verwünschung zurück, sonst wirst Du gehenkt. Und so der Strick Deines Gewichtes halber reißt, wirst Du von neuem gehenkt werden, bis der Tod eintritt.“
„Gehenkt und wiederum gehenkt,“ sagten die Geusen.
„Wohlan“, sprach der Mönch zu Calleken, „geh hin, Unzüchtige, gehe mit diesem dicken Mann; ich nehme meine Verwünschung zurück, aber Gott und alle seine Heiligen werden ein Auge auf Dich haben.“
Schwitzend und schnaufend schwieg er still.
Plötzlich rief Lamm aus:
„Er schwillt! Er schwillt: Ich sehe das sechste Kinn. Beim siebenten kommt der Schlagfluß. Und jetzt,“ sagte er, sich zu den Geusen wendend, „Gott befohlen, Du, Ulenspiegel, und Ihr alle, meine guten Freunde, Gott befohlen, Du, Nele, und die heilige Sache der Freiheit; ich vermag nichts mehr für sie.“
Nachdem er allen den Bruderkuß gegeben und ihn empfangen hatte, sagte er zu seiner Frau Calleken:
„Komm, es ist die Stunde der rechtmäßigen Liebe.“
Derweil das Boot auf dem Wasser glitt und Lamm und seine Herzliebste davontrug, riefen Matrosen, Soldaten und Schiffsjungen, indem sie alle ihre Hüte schwenkten: „Leb wohl, Bruder, leb wohl, Lamm, leb wohl, Bruder, Freund und Bruder!“
Und Nele sprach zu Ulenspiegel, indem sie ihm mit der Spitze ihres zierlichen Fingers eine Träne aus dem Auge wischte:
„Bist Du traurig, Liebster?“
„Er war gut,“ sagte er.
„Wehe,“ sagte sie, „wird denn dieser Krieg nimmer enden? Müssen wir denn allezeit in Blut und Tränen leben?“
„Laß uns die Sieben suchen,“ sagte Ulenspiegel; „die Stunde der Befreiung naht.“
Gemäß Lamms Wunsch mästeten die Geusen den Mönch im Käfig. Als er für Lösegeld in Freiheit gesetzt wurde, wog er dreihundertsiebzehn Pfund und fünf Unzen flandrisch Gewicht.
Und er starb als Prior seines Klosters.
Um jene Zeit versammelten sich die Herren von den Generalstaaten in Haag, um über Philipp, König von Spanien, Graf von Flandern, Holland usw. zu Gericht zu sitzen, gemäß den von ihm genehmigten Urkunden und Privilegien.
Und der Schreiber sprach also:
„Es ist männiglich bekannt, daß ein Landesfürst von Gott als Herrscher und Oberhaupt seiner Untertanen eingesetzt ist, um sie vor allen Kränkungen, Unterdrückungen und Gewalttaten zu schützen, wie ein Hirte für die Verteidigung und den Schutz seiner Schafe angestellt ist. Gleichermaßen ist es bekannt, daß die Untertanen nicht von Gott zum Nutzen des Fürsten geschaffen sind, um ihm in allem, was er befiehlt, gehorsam zu sein, sei es eine fromme oder gottlose, eine gerechte oder ungerechte Sache, noch um ihm wie Sklaven zu dienen. Sondern der Fürst ist Fürst für seine Untertanen, ohne die er nicht sein kann, auf daß er nach Recht und Vernunft regiere, auf daß er sie liebe und erhalte wie ein Vater seine Kinder, wie ein Hirte seine Schafe, und sein Leben wage, um sie zu schirmen. So er es nicht tut, soll er nicht für einen Fürsten, sondern für einen Tyrannen gehalten werden. König Philipp hat durch Soldaten, Kreuzzugsbullen und Exkommunikationen vier feindliche Heere gegen uns gehetzt. Was soll kraft der Gesetze und Bräuche des Landes seine Strafe sein?“
„Er werde abgesetzt,“ antworteten die Herren von den Staaten.
Der Schreiber fuhr fort:
„Philipp hat seine Eide gebrochen; er hat die Dienste, die wir ihm leisteten, vergessen, und die Siege, die wir ihm erringen halfen. Da er sah, daß wir reich waren, ließ er uns von den hispanischen Räten plündern und brandschatzen.“
„Er werde als Undankbarer und Räuber abgesetzt.“
„Philipp,“ fuhr der Schreiber fort, „hat in den mächtigsten Städten des Landes neue Bischöfe eingesetzt und ihnen die Güter der reichsten Abteien als Pfründe verliehen. Mit ihrer Hilfe führte er die hispanische Inquisition ein.“
„Er werde abgesetzt als Henker und Verschwender fremder Güter,“ antworteten die Herren von den Staaten.
„In Ansehung dieser Tyrannei unterbreiteten die Adligen des Landes im Jahre 1566 eine Bittschrift, in welcher sie den Herrscher inständig baten, seine harten Edikte zu mäßigen, insonderheit die, so die Inquisition beträfen. Er weigerte es jederzeit.“
„Er werde abgesetzt als Tiger, der von seiner Grausamkeit nicht läßt,“ antworteten die Herren von den Staaten.
Der Schreiber fuhr fort:
„Es besteht starker Verdacht, das Philipp durch seine hispanischen Räte den Bildersturm und die Plünderung der Kirchen insgeheim angestiftet hat, um unter dem Vorwand von Verbrechen und Unruhen fremde Heere gegen uns ins Feld zu schicken.“
„Er werde abgesetzt als Werkzeug des Todes,“ antworteten die Herren von den Staaten.
„In Antwerpen ließ Philipp die Einwohner niedermetzeln und richtete die vlämischen und fremden Kaufleute zu Grunde. Er und sein hispanischer Rat geben einem gewissen Rhoda, einem berüchtigten Taugenichts, durch geheime Weisung, das Recht, sich zum Haupt der Plünderer zu machen, Beute zu sammeln, sich seines königlichen Namens zu bedienen, seine Insiegel und Gegensiegel zu fälschen und sich wie sein Regent und Statthalter aufzuführen. Die königlichen Briefe, die aufgefangen und in unseren Händen sind, beweisen die Tatsache. Alles geschieht mit seiner Zustimmung und im Einvernehmen mit den spanischen Räten. Leset seine Briefe. Er lobt darin das zu Antwerpen Geschehene, erkennt an, daß ihm ein ausgezeichneter Dienst geleistet sei, verspricht, ihn zu belohnen, und fordert Rhoda und die andern Spanier auf, auf diesem glorreichen Pfade weiter zu wandeln.“
„Er werde als Dieb, Räuber und Mörder abgesetzt“, antworteten die Herren von den Staaten.
„Wir wollen nichts als die Erhaltung unserer Privilegien, einen redlichen und gesicherten Frieden, eine maßvolle Freiheit, sonderlich in Betracht der Religion, die vornehmlich Gott und das Gewissen betrifft. Von Philipp hatten wir nichts denn lügnerische Verträge, die dazu dienten, Zwietracht unter den Provinzen zu säen, um sie nacheinander zu unterjochen und sie mit Plünderung, Konfiskation, Hinrichtungen und Inquisition gleich dem indischen Reich zu behandeln.“
„Er werde abgesetzt als Meuchelmörder, der den Mord der Länder mit Vorsatz übt,“ antworteten die Herren von den Staaten.
„Er hat die Länder durch den Herzog von Alba und seine Bluthunde, durch Medina-Coeli, Requesens und die Verräter aus dem Staatsrat und den Provinzen geschröpft. Er empfahl Don Juan und Alexander Farnese, dem Prinzen von Parma, wie man aus den aufgefangenen Briefen ersieht, eine blutige Strenge. Er erklärte Seine Gnaden von Oranien in die Reichsacht, dang bis jetzt drei Meuchelmörder und wird in Bälde den vierten dingen. Er ließ Burgen und Festungen bei uns errichten, die Männer lebendig verbrennen, die Frauen und Mädchen lebendig begraben; er erbte ihre Vermögen, erdrosselte Montigny, de Berghes und andere Ritter, ohngeachtet seines königlichen Wortes. Er tötete seinen Sohn Don Carlos, vergiftete den Prinzen von Ascoly, dem er Dona Eufrasia, die von ihm schwanger war, zum Weibe gab, um den künftigen Bastard mit seinen Gütern zu bereichern. Er schleuderte ein Edikt gegen uns, das uns alle, nachdem wir Leib und Gut verloren, zu Verrätern erklärte, und er beging das in einem christlichen Lande unerhörte Verbrechen, die Unschuldigen mit den Schuldigen zu verwechseln.“
„Er werde abgesetzt in Gemäßheit aller Gesetze, Rechte und Privilegien,“ antworteten die Herren von den Staaten.
Und des Königs Siegel wurden zerbrochen.
Und die Sonne schien über Land und Meer, vergoldete die reifen Ähren, reifte die Trauben und warf Perlen auf jede Welle als Schmuck der Freiheit, der Braut der Niederlande.
Dann schoß dem Prinzen von Oranien, da er zu Delft weilte, ein vierter Meuchelmörder drei Kugeln in die Brust. Und er starb, seinem Wahlspruch getreu: „Ruhig inmitten der wilden Wellen.“
Seine Feinde sagten von ihm, daß er, um Philipp einen Possen zu spielen, und nicht verhoffend, über die südlichen und katholischen Niederlande zu regieren, sie durch geheimen Vertrag Seiner allergnädigsten Hoheit von Anjou angeboten habe. Aber dieser war nicht geboren, um mit der Freiheit, so die außergewöhnlichen Liebschaften nicht liebt, das Kind Belgien zu erzeugen.
Und Ulenspiegel verließ mit Nele die Flotte.
Und das belgische Vaterland ächzte unter dem Joche, von den Verrätern geknebelt.
Es war im Erntemond, die Luft war schwül, der Wind lau. Schnitter und Schnitterinnen konnten das Korn, das sie gesät, nach Herzenslust unter freiem Himmel, auf freier Erde ernten.
Friesland, Drenthe, Ober-Yssel, Geldern, Utrecht, Nord-Brabant, Nord- und Südholland, Walcheren, Nord- und Süd-Beveland, Duiveland und Schouwen, welche Zeeland bilden, die ganze Nordseeküste von Knokke bis Helder, die Inseln Texel, Vlieland, Ameland, Schiermonnikoog, von der westlichen Schelde bis zur östlichen Ems, sollten vom spanischen Joche befreit werden. Moritz, des Schweigers Sohn, setzte den Krieg fort.
Ulenspiegel und Nele, die ihre Jugend, Kraft und Schönheit bewahrt hatten, denn die Liebe und der Geist Flanderns altern nicht, lebten geruhig auf dem Turm von Necre und harrten der Zeit, wo sie nach manch harten Prüfungen den Wind der Freiheit über das Vaterland Belgien könnten wehen lassen.
Ulenspiegel hatte gebeten, Kommandant und Wächter des Turms zu werden, mit der Angabe, daß er mit seinen Adleraugen und seinen Hasenohren wohl merken könnte, ob der Spanier versuchen werde, in den befreiten Landen sich wieder einzustellen. Alsdann werde er „Wacharm“, das ist auf Vlämisch Sturm läuten.
Der Magistrat tat, wie er wollte. Seiner guten Dienste halber gab man ihm täglich einen Gülden, zwei Kannen Bier, Bohnen, Käse, Schiffszwieback und in der Woche drei Pfund Rindfleisch.
Solchergestalt lebten Ulenspiegel und Nele zu zweit gar trefflich. Von Ferne erblickten sie mit Freuden die freien Inseln Zeelands, nahebei Wiesen, Wald, Burgen und Festungen und die gewappneten Geusenschiffe, so die Küsten bewachten. Zur Nacht stiegen sie oftmals auf den Turm, setzten sich auf die Plattform und plauderten allda von harten Schlachten, von vergangener und zukünftiger schöner Liebe. Von da sahen sie das Meer, das in diesen heißen Tagen leuchtende Wogen ans Ufer warf und sie gleich feurigen Gespenstern gegen die Inseln schleuderte. Und Nele erschrak, da sie so viele Irrlichter in den Poldern erblickte, die, wie sie sagte, arme Seelen sind. Und alle diese Orte waren Schlachtfelder gewesen. Und die Irrwische hüpften aus den Poldern hervor, liefen die Deiche entlang und kamen dann wiederum in die Polder zurück, als ob sie die Leichen, denen sie entstiegen waren, nicht im Stich lassen wollten.
Eines Nachts sprach Nele zu Ulenspiegel:
„Sieh, wie zahlreich sie im Dreiveland sind und wie hoch sie fliegen; nach den Vogelinseln zu sehe ich die meisten. Willst Du mit dahin, Tyll? Wir nehmen den Balsam, welcher Dinge zeigt, die sterblichen Augen unsichtbar sind.“
Ulenspiegel antwortete:
„Wenn es jener Balsam ist, der mich zu dem großen Hexensabbat entführte, so hab ich nicht mehr Vertrauen dazu, als zu einem leeren Traum.“
„Man soll die Kraft der Zauber nicht leugnen,“ sagte Nele. „Komm Ulenspiegel.“
„Ich werde mitgehen.“
Am nächsten Tag bat er den Magistrat, daß ein weitsehender und getreuer Soldat ihn vertreten möge, um Turm und Land zu bewachen.
Und er begab sich mit Nele zu den Vogelinseln.
Da sie über Felder und Deiche wanderten, sahen sie kleine grünende Eilande, zwischen denen das Meer strömte, und auf den Rasenhügeln, die bis zu den Dünen reichten, eine große Menge Kibitze, Möwen und Seeschwalben, die regungslos dasaßen und mit ihren Körpern die Eilande wie mit Schnee bedeckten. Darüber flogen Tausende dieser Vögel. Der Boden war voller Nester. Da Ulenspiegel sich bückte, um auf dem Wege ein Ei aufzuheben, sah er eine Möwe auf sich zuflattern, die einen Schrei ausstieß. Auf diesen Ruf kamen ihrer mehr denn hundert herzu, die vor Angst schrien und über Ulenspiegels Kopf und über den benachbarten Nestern schwebten; aber sie wagten sich ihm nicht zu nähern.
„Ulenspiegel,“ sprach Nele, „diese Vögel bitten um Gnade für ihre Eier.“
Dann begann sie zu zittern und sagte:
„Ich fürchte mich, die Sonne geht zur Rüste, der Himmel ist weiß, die Sterne kommen hervor; es ist die Geisterstunde. Sieh, diese roten Dünste, die den Boden streifen. Tyll, mein Geliebter, welch Ungeheuer der Hölle öffnet so in der Wolke seinen feurigen Rachen? Sieh nach Philippsland zu, wo der königliche Henker um seines grausamen Ehrgeizes willen zu zweien Malen so viele arme Menschen töten ließ, die tanzenden Irrlichter. Es ist die Nacht, wo die Seelen der armen, in den Schlachten Gefallenen die kalte Vorhölle des Fegefeuers verlassen, um sich in der linden Luft der Erde zu erwärmen. Es ist die Stunde, in der Du von Christo, welcher der Gott der guten Zauberer ist, alles erbitten kannst.“
„Die Asche brennt auf meinem Herzen,“ sprach Ulenspiegel. „Wenn doch Christus mir die Sieben zeigen könnte, deren Asche, in alle Winde gestreut, Flandern und die ganze Welt beglückt!“
„Ungläubiger,“ sprach Nele, „Du wirst sie kraft des Balsams erblicken.“
„Vielleicht,“ sprach Ulenspiegel, auf den Sirius deutend, „wenn irgend ein Geist von jenem kalten Sterne herabsteigt.“
Bei dieser Gebärde setzte sich ein Irrlicht, das ihn umgaukelte, auf seinen Finger, und je mehr er sich mühte, es los zu werden, um so fester haftete es.
Da Nele versuchte, Ulenspiegel zu befreien, hatte sie auch ein Irrlicht auf den Fingerspitzen.
Ulenspiegel schlug auf das seine und sprach:
„Antworte! Bist Du die Seele eines Geusen oder eines Spaniers? So Du die Seele eines Geusen bist, gehe ein ins Paradies, bist Du aber eines Spaniers Seele, geh wiederum in die Hölle, woher Du kommst.“
Nele sprach zu ihm:
„Beschimpfe die Seelen nicht, und wären es Seelen von Henkern.“
Sie ließ ihr Irrlicht auf der Fingerspitze tanzen und sprach dabei:
„Irrlicht, niedliches Irrlicht, welche Kunde bringst Du aus dem Lande der Seelen? Womit sind sie dorten beschäftigt? Essen sie und trinken sie, da sie doch keinen Mund haben? Denn Du hast keinen, hübscher Irrwisch. Oder nehmen sie nur im gesegneten Paradies menschliche Gestalt an?“
Ulenspiegel sagte:
„Kannst Du also die Zeit vergeuden, zu dieser kärglichen Flamme zu reden, die keine Ohren hat, Dich zu hören, noch einen Mund, Dir zu antworten?“
Doch ohne auf ihn zu hören, sprach Nele:
„Irrwisch, antworte durch Tanzen, denn ich werde Dich dreimal befragen: einmal im Namen Gottes, einmal im Namen der heiligen Jungfrau und einmal im Namen der Elementargeister, welche die Boten zwischen Gott und den Menschen sind.“
Also tat sie, und der Irrwisch tanzte drei Mal.
Darauf sprach Nele zu Ulenspiegel:
„Leg Deine Kleider ab, ich werde desgleichen tun. Hier ist die silberne Büchse mit dem Zauberbalsam.“
„Es ist mir einerlei,“ sagte Ulenspiegel.
Als sie sich entkleidet und mit dem Zauberbalsam gesalbt hatten, legten sie sich nackend nebeneinander aufs Gras. Die Möwen schrien klagend. Der Donner grollte dumpf in der Wolke, darin der Blitz zuckte, der Mond ließ kaum die güldenen Spitzen seiner Sichel zwischen zwei Wetterwolken hervorsehen; Ulenspiegels und Neles Irrlichter tanzten mit den andern in der Wiese.
Plötzlich wurden Nele und ihr Liebster von eines Riesen Faust gepackt, der sie gleich Kinderbällen in die Luft schleuderte, sie wiederfing, auf einander rollte und zwischen seinen Händen knetete, indem er sie in die Wasserlachen zwischen den Hügeln warf und sie voller Seegras wieder herauszog. Und indem er sie also im Weltraum umherfliegen ließ, sang er mit einer Stimme, bei der alle Möwen der Inseln vor Schrecken erwachten:
Und fürwahr, Ulenspiegel und Nele erblickten auf dem Rasen, in der Luft und am Himmel sieben erzene, leuchtende Tafeln, die mit sieben flammenden Nägeln befestigt waren. Auf den Tafeln stund geschrieben:
Und der Riese schritt voran, und alle Irrlichter hinter ihm her. Sie zirpten gleich Grillen und sagten:
Plötzlich veränderten sich seine Züge; er schien magerer, trauriger und größer. In der einen Hand hielt er ein Zepter, in der andern einen Degen. Sein Name war Hoffart.
Und er warf Nele und Ulenspiegel zu Boden und sprach:
„Ich bin Gott.“
Nun erschien an seiner Seite eine rotbäckige Dirne mit bloßen Brüsten, offenem Gewand und frechen Blicken; ihr Name war Wollust. Kam alsdann eine alte Jüdin, die die Schalen der Möweneier auflas: ihr Name war Habsucht. Und ein gefräßiger, gieriger Mönch, der Leberwürste aß und sich mit Bratwürsten vollstopfte und gleich der Sau, auf der er ritt, unaufhörlich kaute: das war die Völlerei. Es kam dann noch die Faulheit, bleich und gedunsen, mit lahmem Bein und erloschenem Auge. Der Zorn trieb sie mit dem Stachel vor sich her. Die Faulheit jammerte kläglich und fiel, in Tränen zerfließend, vor Ermattung auf die Knie. Alsdann kam der hagere Neid mit einem Vipernkopf und Hechtzähnen; der biß die Faulheit, weil sie es zu gut hatte, den Zorn, weil er zu lebhaft war, die Völlerei, weil sie zu satt, die Wollust, weil sie zu rot war; die Habsucht wegen der Eierschalen, die Hoffart, dieweil sie ein purpurn Gewand und eine Krone hatte. Und die Irrlichter tanzten im Kreise um sie her.
Und mit den Stimmen von Männern, Weibern, Jungfrauen und weinerlichen Kindern, sagten sie wimmernd:
„Hoffart, Vater des Ehrgeizes, Zorn, Quell der Grausamkeit, Ihr habet uns auf den Schlachtfeldern, in Gefängnissen und bei den Hinrichtungen getötet, um Eure Zepter und Eure Kronen zu behalten! Neid, Du hast viel edle, nützliche Gedanken im Keime zerstört, wir sind die Seelen der verfolgten Erfinder. Habsucht, Du hast das Blut des armen Volkes in Gold verwandelt, wir sind die Geister Deiner Opfer. Wollust, Gesellin und Schwester des Mordes, Du hast Nero, Messalina und Philipp, den König von Spanien geboren; Du kaufst die Tugend und bezahlst die Verderbtheit; wir sind die Seelen der Toten. Faulheit und Völlerei, Ihr beschmutzt die Welt, Ihr gehört auf den Kehricht; wir sind die Seelen der Toten.“
Und man hörte eine Stimme sprechen:
Und die Irrlichter sagten:
„Wir sind das Feuer, die Vergeltung für die uralten Tränen und Schmerzen des Volkes; Vergeltung für die großen Herren, die in ihren Ländern auf menschliches Wild Jagd machen; Vergeltung für nutzlose Schlachten, für das in Gefängnissen vergossene Blut, für die verbrannten Männer, für die lebendig begrabenen Frauen und Jungfrauen. Wir sind die Vergeltung für die gefesselte, blutige Vergangenheit. Wir sind das Feuer, wir sind die Seelen der Toten.“
Bei diesen Worten wurden die Sieben in hölzerne Figuren verwandelt, ohne etwas von ihrer vorigen Gestalt einzubüßen.
Und eine Stimme sagte:
„Ulenspiegel, verbrenne das Holz.“
Und Ulenspiegel kehrte sich zu den Irrlichtern.
„Ihr, die Ihr aus Feuer seid, waltet Eures Amtes.“
Und in Menge umgaben die Irrlichter die Sieben; die verbrannten und wurden zu Asche verwandelt.
Und ein Strom von Blut floß.
Dieser Asche entstiegen sieben andere Gestalten; die erste sprach:
„Mein Name war Hoffart, jetzt heiße ich edler Stolz.“
Die andern redeten auch, und Ulenspiegel und Nele sahen aus der Habsucht die Sparsamkeit, aus dem Zorn die Lebhaftigkeit, aus der Völlerei die Eßlust, aus dem Neid den Wetteifer und aus der Faulheit die Träumerei der Poeten und Weisen hervorgehen. Und die Wollust auf ihrer Ziege ward in ein schönes Weib mit Namen Liebe verwandelt.
Und die Irrlichter tanzten einen fröhlichen Reigen um sie her.
Alsbald vernahmen Ulenspiegel und Nele tausend helle, lachende Stimmen von verborgenen Männern und Weibern; die machten einen Lärm wie von hölzernen Klappern und sangen:
Und Ulenspiegel sprach: „Die Geister treiben ihren Spott mit uns.“
Und eine gewaltige Faust packte Nele am Arm und schleuderte sie in den Weltraum.
Und die Geister sangen:
„Wehe!“ sprach Ulenspiegel, „Norden, Süden und Gürtel, Ihr redet dunkel, Ihr Herren Geister.“
Und sie sangen lachend:
„Ihr seid nicht dumm, Ihr Herren Geister,“ sprach Ulenspiegel.
Und lachend sangen sie abermals:
„Wehe,“ sprach Ulenspiegel, „Das also ist unser peinvolles Leben: Tränen der Menschen und Lachen des Schicksals.“
wiederholten die Geister hohnlachend.
Und eine gewaltige Faust ergriff Ulenspiegel und warf ihn in den Weltraum.
Da Nele zu Boden gefallen war, rieb sie sich die Augen und erblickte nichts als die Sonne, die in goldigen Dünsten aufging. Auch die Spitzen der Gräser waren ganz von Gold, und die Sonnenstrahlen färbten das Gefieder der schlafenden Möwen gelb; doch sie erwachten bald.
Dann blickte Nele sich an, sah, daß sie nackend war, und bekleidete sich hastig; dann sah sie Ulenspiegel gleichfalls nackend und deckte ihn zu. Vermeinend, daß er schliefe, schüttelte sie ihn, aber er rührte sich so wenig als ein Toter; sie ward von Furcht ergriffen. „Hab ich meinen Gesellen mit diesem Zauberbalsam getötet?“ sprach sie. „Ich will auch sterben! O, Tyll, wach auf! Er ist kalt wie Marmelstein!“
Ulenspiegel erwachte nicht. Zwei Nächte und ein Tag vergingen, und Nele, vor Harm fiebernd, hielt bei ihrem Freund Ulenspiegel die Wacht.
Beim Anbruch des zweiten Tages vernahm Nele den Ton eines Glöckleins und sah einen Bauern kommen, der eine Schaufel trug. Hinter ihm, eine Wachskerze in der Hand, schritten der Bürgermeister und zwei Schöffen, der Pfarrer von Stavenisse und ein Meßner, der ihm den Sonnenschirm hielt.
Sie gingen, sagten sie, um dem wackeren Jakobsen das heilige Sakrament der letzten Ölung zu geben; er war aus Furcht Geuse geworden, aber nachdem die Gefahr vorüber, kehrte er im Sterben in den Schoß der heiligen Römischen Kirche zurück.
Bald kamen sie zu der weinenden Nele und sahen Ulenspiegels Leichnam, mit seinen Kleidern bedeckt, auf dem Rasen ausgestreckt. Nele kniete nieder.
„Mägdlein,“ sprach der Bürgermeister, „was schaffst Du bei diesem Toten?“ Sie wagte nicht die Augen aufzuschlagen und antwortete:
„Ich bete für meinen Liebsten, der wie vom Blitz getroffen hier hingestürzt ist. Ich bin jetzt allein und will auch sterben.“
Darauf sprach der Pfarrer, vor Freuden schnaufend:
„Ulenspiegel, der Geuse ist tot; gelobet sei Gott! Bauer, spute Dich, eine Grube zu graben, nimm ihm die Kleider fort, ehe er begraben wird.“
„Nein,“ sagte Nele und stand auf. „Die soll man ihm nicht wegnehmen; es würde ihn in der Erde frieren.“
„Grabe das Grab,“ sagte der Pfarrer zu dem Bauern, der die Schaufel trug.
„Das ist mir recht,“ sprach Nele unter Tränen; „in dem kalkhaltigen Sande sind keine Würmer, und mein Geliebter wird unversehrt und schön bleiben.“
Und ganz betört beugte sie sich über Ulenspiegels Körper und küßte ihn unter Schluchzen und Tränen.
Bürgermeister, Schöffen und Bauer hatten Mitleid, aber der Pfarrer sagte in einem fort frohgemut: „Der große Geuse ist tot, Gott sei gelobt!“
Dann grub der Bauer das Grab, legte Ulenspiegel hinein und bedeckte ihn mit Sand.
Und der Pfarrer sprach über dem Grabe die Totengebete; alle knieten rund herum. Plötzlich geschah unter dem Sande eine große Bewegung, und Ulenspiegel kam hervor, nieste und schüttelte sich den Sand aus den Haaren. Dann packte er den Pfarrer an der Kehle und sprach:
„Inquisitor! Du legst mich lebendig ins Grab, dieweil ich schlafe! Wo ist Nele? Hast Du sie auch begraben? Wer bist Du?“
Der Pfarrer schrie:
„Der große Geuse kehrt in die Welt zurück! Herr Gott, erbarm Dich meiner Seele!“
Und er entfloh wie ein Hirsch vor den Hunden.
Nele trat zu Ulenspiegel.
„Küß mich, Herzliebste,“ sprach er.
Dann blickte er sich abermals um. Die beiden Bauern waren gleich dem Pfarrer entflohen und hatten, um besser zu laufen, Schaufel, Tragsessel und Schirm auf die Erde geworfen. Bürgermeister und Schöffen hielten sich vor Angst die Ohren zu und stöhnten auf dem Rasen.
Ulenspiegel ging zu ihnen, schüttelte sie und sprach:
„Begräbt man Ulenspiegel, den Geist, und Nele, das Herz der Mutter Flandern? Auch sie kann schlafen, aber sterben, nein! Komm, Nele.“
Und er ging mit ihr von dannen und sang sein sechstes Lied; doch wo er das letzte gesungen, das weiß keiner.
„Es ist eigentümlich, daß der Name eines Schriftstellers wie Charles de Coster im Auslande noch so gut wie unbekannt ist, sowohl in dem sprachverwandten Frankreich wie auf dem klassischen Boden des Interesses für Weltliteratur, in Deutschland“, heißt es in dem einzigen deutschen Essay über ihn, den Fräulein Elsa Schulhoff (in der „Nationalzeitung“ vom 18. und 20. August 1901) veröffentlicht hat. „Und doch“, fährt sie fort, „ist es der Name eines Mannes, der das für einen Schriftsteller höchste Ziel erreicht hat, ein Werk zu schaffen, worin ein ganzes Volk sein Streben und Irren, seine Freuden und Leiden ausgesprochen findet und sich wiedererkennt. Die Belgier bezeichnen den „Ulenspiegel“ als ihre nationale Bibel. Es ist ein Buch, das nur auf diesem Boden entstehen konnte, das den Charakter dieser Rasse zeigt mit seinen Lichtern und Schatten, der derben Lust am Leben auf der einen, dem Hang zum Mystizismus auf der andern Seite, seiner zähen Freiheitsliebe, seiner Freude an der Arbeit, an bescheidenem häuslichem Behagen, und daneben seinem Geschmack am Grausigen und Grausamen.“
Die vorliegende Verdeutschung versucht es, diesem echt niederdeutschen Buche in Deutschland Heimatsrecht zu gewinnen und es aus einer fremden Sprache in ein stammverwandtes Idiom zurückzuretten. Das älteste Volksbuch von Till Ulenspiegel, in niedersächsischer Sprache geschrieben, ist uns leider nicht erhalten. Jedoch existiert eine hochdeutsche Übersetzung oder Bearbeitung, die im Jahre 1515 bei Johannes Grieninger in Straßburg erschien, und eine wahrscheinlich gleichfalls auf den niedersächsischen Text zurückgehende vlämische Übersetzung: „Van Ulespegels leuen. Gheprint Thanrwerpen in die Kape by my Michiel van Hoochstraten“ (o. J. 1520-1530?), auf welche vermutlich auch die — in der Vorrede[5] unseres Buches leider nicht näher bezeichnete — vlämische Ausgabe zurückgeht, von der, wie dort erwähnt, de Coster eine Reihe von Schwänken in seinen Roman verwoben hat. Es handelt sich hier also um eine ganze Kette von Hin- und Herübersetzungen und Bearbeitungen — bei derartigen Stoffen keine Seltenheit — in der unsre vorliegende Verdeutschung nur das letzte Glied bildet.
Die Anmerkung zur Vorrede gibt ferner summarisch an, welche Kapitel aus Buch I seines Werkes de Coster mehr oder minder frei der alten Quelle entlehnt hat. Wer sich über das Verhältnis von Vorlage und Nachbildung unterrichten will, der möge zu dem (leicht erhältlichen) Niemeyerschen Neudruck des Volksbuches von 1515 greifen und Kapitel 6 unseres Buches mit der dortigen Historie 1 vergleichen, ferner Kap. 13 mit Historie 2,[6] Kap. 19 mit 9, Kap. 24 mit 3 und 4, Kap. 35 mit 71, Kap. 39 mit 19, Kap. 41 mit 20, Kap. 42 mit 22 sowie am Schlusse mit 58, Kap. 43 am Schlusse mit 11, Kap. 47 mit 10, Kap. 48 mit 48, Kap. 49 mit 35, Kap. 53 mit 34, Kap. 55 mit 33, Kap. 57 mit 27, Kap. 60 mit 25, Kap. 62 mit 17, Kap. 63 mit 39, Kap. 64 mit 43, Kap. 66 mit 82 des Volksbuches. Oft, wie in Kap. 48 beider Bücher, ist die Anekdote in ihren Einzelheiten getreu wiedergegeben; nicht selten ist sie besser motiviert, bisweilen ihrer unflätigen oder grausamen Derbheit beraubt (so der Schluß von Kap. 42 aus dem von Historie 58 und Kap. 66 aus Historie 82). Ein paarmal ist sogar nur das Motiv verwertet (für Kap. 35 aus Hist. 71, für 39 aus 19). Im Allgemeinen aber ist die Benutzung eine ziemlich freie dichterische Umgestaltung.
Dies ist schon deshalb begreiflich, weil de Coster seinen Ulenspiegel aus dem Mittelalter in die Renaissance versetzt hat. Der niedersächsische Ulenspiegel ist / nach der Überlieferung / bekanntlich zu Knetlingen bei Braunschweig geboren und zu Mölln bei Lübeck begraben, wo sein Grabstein das Jahr 1350 nennt. Die vlämische Tradition nimmt ihn ebenfalls für sich in Anspruch, gestützt auf einen Grabstein an der Kirche zu Damm in Flandern, der als Todesjahr 1301 nennt. Aus der Differenz dieser Daten hat man geschlossen, daß zwei lustige Schelme dieses Namens gelebt haben, von denen der deutsche, berühmtere, der Sohn war. Jedenfalls lebten beide im tiefsten Mittelalter, in einer streng katholischen Zeit, die zwar grobe Späße über die Pfaffen liebte, aber jede Ketzerei gegen die Grundlagen des Glaubens verpönte. Beide Volkshelden erscheinen lediglich als boshafte, bisweilen grausame Plagegeister ihrer Mitmenschen, als witzige, oft unflätige Betrüger der Einfalt, als Gauner, Zechpreller und Landstreicher, „behende, listige und durchtriebene“ Bauernburschen, die sich mit ihrer Büberei „nirgends Dank verdienen.“
De Coster hat seinen Liebling um zwei Jahrhunderte verjüngt und ihn mitten in die große niederländische Freiheitsbewegung hineinversetzt, in der er zum allbeliebten, wackeren Streiter für die Glaubensfreiheit des Protestantismus wird. Bei aller Anlehnung an das alte Volksbuch im Anfang von Ulenspiegels Erdenwallen ist ihm also, um mit Gottfried Keller zu reden, „das Antlitz nach einer anderen Himmelsrichtung gekehrt“; er ist moralisch und zeitlich ganz gegensätzlich orientiert. Das alte Volksbuch ist ferner nur eine lose aneinandergereihte Schwanksammlung über Ulenspiegel, deren ganze Komposition darin besteht, daß sie verschiedene Schelmenstreiche ähnlicher Art zusammenträgt, wodurch bisweilen Wiederholungen entstehen. De Coster hat den alten Schelm zum Helden eines zusammenhängenden Romans gemacht, seine Landstreichereien mit einer auferlegten Pilgerfahrt nach Rom motiviert und eine ganze Reihe ihm nahestehender Nebenfiguren um ihn gruppiert, die er / außer seinen im Volksbuche nur schwach angedeuteten Eltern / frei erfunden hat. Er hat ihm schließlich eine kunstvolle Folie in der düstren Gestalt des ihm gleichaltrigen Königs Philipp von Spanien gegeben. „Es ist nicht mehr die Legende eines Menschen, sondern das Gedicht einer Rasse, was de Coster geschrieben hat“, sagte Camille Lemonnier in seiner Grabrede auf den Autor mit Recht. Es ist „das Epos des 16. Jahrhunderts“, das er zu schaffen sich vorgesetzt hatte.
Zu seinen Vorstudien genügte ihm daher auch nicht im entferntesten die viel ältere, durch die junge Buchdruckerkunst rasch verbreitete Schwankdichtung des ausgehenden Mittelalters; er mußte sich vor allem in die Chroniken und Flugblätter der Renaissance vertiefen; er bereiste, wie der oben zitierte Essay hervorhebt, die Gegenden, wo sich die Kämpfe der Geusen abgespielt hatten, durchstöberte in zehnjähriger Arbeit Archive, Museen und Bibliotheken, belauschte das Volk in den vlämischen Wirtshäusern, auf den Märkten und Kirmessen, die auch jetzt noch wenig von der derben Ausgelassenheit verloren haben, die Teniers’ oder Jan Steens Pinsel schilderte ... „Aber trotzdem“, heißt es weiter, „ist sein Buch kein historischer oder kulturhistorischer Roman im gewöhnlichen Sinne geworden; er bleibt eine „Legende“; neben realistischer Schilderung kommt als seine Hauptstimmung eine Poesie zu Worte, die sich bis zum Ausdruck des Visionären steigert“.
„Überhaupt“, heißt es in dem angeführten Essay weiter, „sind es die Gegensätze, die dem Buche seine Eigenart geben, der Gegensatz auch zwischen dem Charakter des Werkes und dem des Verfassers. Diese oft tollen und grotesken Szenen sind von einem Manne geschrieben, der von sich sagt. „Ich bin ein melancholisches Geschöpf, dessen Lustigkeit Wahnsinn oder Unsinn ist“, und der einer Freundin schreibt: „Hast Du in den schönen Büchern die feine Melancholie, die ausgesuchte Traurigkeit bemerkt, welche die geheimsten Fibern des Herzens berührt? Darin liegt das ganze Wesen der Kunst.“ Diese Stimmung liegt wie ein Schleier über dem sonderbaren Buche, sie verdichtet sich nicht nur zu ergreifenden Episoden oder Gestalten, auch in der Mitte der übermütigsten Auftritte braut der Dichter auf einmal Schwermut, um seinen Lieblingsausdruck zu brauchen. Zu seiner Art der Darstellung hat sich de Coster von den alten Volksbüchern anregen lassen: er gibt nicht eine fortlaufende Erzählung, sondern setzt seine Kapitel von sehr ungleichem Umfang, als vollständig in sich abgeschlossene kleine Bilder oder auch nur Stimmungen nebeneinander. Es ist die Technik der Mosaiks, jedes Steinchen ein festbegrenztes geschliffenes Stück von eigner Form und Farbe und doch zu einem untrennbaren, lebendigen Ganzen sich zusammenfügend. Einen eigenartigen Reiz gibt dem Buche auch die Behandlung der Sprache. Durch langjähriges Studium besonders der Werke von Rabelais und Montaigne hatte sich de Coster das Französisch des 16. Jahrhunderts ganz zu eigen gemacht und es schon in seinen ersten Buche, den „Légendes Flamandes“, mit vollendeter Meisterschaft gehandhabt. Aber er legt in seinen Briefen Gewicht darauf, daß er dieses „einzige Idiom“ nicht nur übernommen, wie er es fand, sondern daß er es ganz in sich aufgenommen, es „verdaut“ und verjüngt habe.“
Als „Till Ulenspiegel“ im Jahre 1867 erschien, fand er eine begeisterte Aufnahme, aber nur in einem kleinen Kreise von Schriftstellern, Kennern und Künstlern, unter denen besonders die Maler die Bedeutung des Buches sofort erkannten. Aus diesem Buche wehte ihnen der flandrische Erdgeruch entgegen, den die Kunst der Vergangenheit besessen hatte. Es war eine Reaktion gegen das trotz der Sprachgemeinschaft fremde französische Wesen, das sich in Politik, Kunst, Literatur und Leben eingebürgert hatte; es war ein germanisch-protestantischer Gegenschlag gegen das geistige und weltliche Rom. Aber gerade diese Teilnahme der Maler, heißt es in dem oben zitierten Essay, war ein Grund, daß das Werk nicht in weitere Kreise drang. Sie hatten sein Erscheinen durch ihre Mitarbeit feiern wollen, und so erschien denn Ulenspiegel zuerst als Prachtausgabe mit einigen dreißig Radierungen erster belgischer Meister, darunter von Félicien Rops das berühmte grausige Blatt von dem am Glockenschwengel Erhängten. Der sehr hohe Preis des Buches war selbstredend ein Hindernis für seine Verbreitung. Erst 1893 kam es zu einer Neuauflage; der Autor war inzwischen längst im Elend gestorben. Ein Jahr darauf wurde in Brüssel, am Teiche von Ixelles, ein Doppelstandbild von Ulenspiegel und Nele errichtet, dessen Nische das Reliefbildnis ihres geistigen Vaters ziert.
Charles Henri de Coster wurde am 20. August 1827 geboren, und zwar in München, wo sein Vater Intendant des belgischen Bischofs und päpstlichen Nuntius Charles Mercy d’ Argenteau war. Der Bischof übernahm die Patenstelle bei ihm; seine Patin war die Marquise de la Tour du Pin, die französische Gesandtin in Turin. „Welch ein Gegensatz!“ ruft die Verfasserin des mehrfach zitierten Aufsatzes aus. „Dieser schöne, von allen als Liebling des Bischofs verhätschelte Knabe, in der frommen Pracht eines Bischofspalastes aufwachsend, und der Freidenker, der fünfzig Jahre später von fanatischen Katholiken verfolgt und ohne Beistand der Geistlichkeit begraben wird! Dazwischen liegt das Leben eines genialen Künstlers mit hochfliegenden Plänen, mit der Mißachtung der realen Lebensbedingungen und herben Enttäuschungen.
„Nach der Übersiedlung seiner Familie nach Brüssel und dem frühen Tode des Vaters war de Coster darauf angewiesen, nach einem Beruf zu greifen. Sein Pate wünschte, daß er Priester würde, was er aber ablehnte. Auch das Bankfach, in das einflußreiche Gönner ihn brachten, verließ er bald wieder, bezog die Universität Brüssel und wurde nach Beendigung seiner Studien Mitarbeiter an verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften. Aber „ich kann aus meiner Feder kein Handwerkszeug machen“, schreibt er mißmutig; nur zum freien Künstler fühlt er sich geboren. Das war auch der Eindruck, den seine Persönlichkeit auf den ihm näher stehenden Kreis gleichstrebender junger Talente machte, die bald das Höchste von ihm erwarteten. Nach einigen feinen kleinen Novellen brachten ihm seinen ersten Erfolg im Publikum seine 1858 erschienenen „Légendes Flamandes“. Mit Feuereifer stürzte er sich nun in die Vorarbeiten zu seinem großen Werke: er suchte in ihnen zugleich Vergessenheit für den Bruch eines jahrelangen, eigentümlichen Liebesverhältnisses, in das wie in seine eigne sensitive Künstlernatur die nach seinem Tode veröffentlichten Lettres à Eliza mit demselben schwermütigen Zauber hineinleuchten, der alles umgibt, was er geschrieben hat. Um ganz seiner Dichtung leben zu können, gab er seine Anstellung an den Staatsarchiven auf und veröffentlichte in den folgenden zehn Jahren nur noch einen kleinen Band „Contes Brabançonnes“. So ohne jede Einnahme, während seine Ausgaben sich durch die für seine Vorarbeit nötigen Reisen vermehrten, von seiner Jugend her an einen gewissen äußeren Schmuck des Lebens gewöhnt, war er bei Beendigung seines Werkes nicht nur mit seinem kleinen väterlichen Erbteil zu Ende, sondern auch tief in Schulden geraten. Das Ausbleiben eines pekuniären Erfolges des Ulenspiegel brachte die Katastrophe. Zu spät lernte Coster nun den „fürchterlichen Wert des Geldes“ verstehen, nicht mehr für den Ruhm wollte er arbeiten, sondern nur noch für seine Gläubiger. Aber seine Vermögensverhältnisse waren zu hoffnungslos verwirrt. Auch eine Anstellung als Professor der französischen Literatur an der neu gegründeten Kriegsschule konnte ihn nicht retten, denn seine Gläubiger machten von dem ihnen in Belgien zustehenden Recht der Beschlagnahme von Staatsgehältern den unerbittlichsten Gebrauch. Literarische Pläne beschäftigten ihn zwar fortwährend, doch hat er größere Arbeiten nicht mehr veröffentlicht; der Rest des Lebens war ein qualvolles Ringen von einem Zahlungstermine zum andern. Auch der Tag, an dem er starb, der 7. Mai 1879, war einer dieser grausamen Verfalltage, und das letzte, was er geschrieben, waren am Vorabende einige Dankesworte an einen Freund, der ihm die nötige fällige Summe für den folgenden Tag versprochen hatte. „Sie retten mich. Charles de Coster, der recht krank ist.“ Bei der Leiche dieses Dichters, der alles Schöne so sehr geliebt hatte, fanden seine Freunde, wie sein Biograph Ch. Powin erzählt, eine arme Frau, deren Gesicht durch ein unheilbares schreckliches Leiden entstellt war und die ihn aus Dankbarkeit für sein Mitleid gegen sie die letzten Tage gepflegt hatte.“
„Ich gehöre zu denen, die zu warten wissen,“ hatte de Coster angesichts des beschränkten Achtungserfolges seines Hauptwerkes geschrieben. „Ich schätze mich ein auf etwas für heute, auf viel für die Zukunft.“ Diese stolze Voraussicht hat ihn nicht betrogen. „Der Verkannte von Heute, der Lebende von Morgen“, wie ihn Camille Lemonnier, der „belgische Zola“, an seinem Grabe nannte, ist der Vater der jungbelgischen Literatur geworden, die einen Rodenbach und Maeterlinck, einen Verhaeren und Lerberghe, einen Khnopff und Elskamp hervorgebracht hat. Wenn der Lyriker Verhaeren seine ersten Gedichte „Les Flamandes“ zum Preise seines Vaterlandes anstimmte und einer bodenwüchsigen belgischen Lyrik die Zunge löste, wenn Maeterlinck sein strudelköpfiges Erstlingsdrama „Prinzessin Maleine“ auf flandrischen Boden verlegte und gleich Verhaeren jene eigentümliche Mischung von Realismus und Mystik in seinen späteren Werken beibehielt, wenn die ganze belgische Provinz des französischen Parnasses ihre eigene heimische Note besitzt und in die französische Literatur einen ganz neuen Ton hineingetragen hat, so war dies alles nur nach dem Vorgang de Costers möglich. Nach seinem Vorbilde hat das ganze belgische Schrifttum, trotz seines klugen sprachlichen Anschlusses an den französischen Kulturkreis, der ihm eine ungleich höhere Beachtung sichert als den stammverwandten Niederlanden ihre holländische Schriftsprache, seine germanische Art behauptet und dadurch eine der fruchtbarsten und eigenartigsten Synthesen in der Weltliteratur geschaffen: die von germanischem Geist und romanischer Form, der seit den Tagen der Renaissance unser heißes Bemühen gilt.
Zu diesen ästhetisch-kulturellen Motiven von de Costers Ruhm oder Nachruhm tritt für die große Masse seiner Landsleute noch ein andres hinzu, nämlich eine gewisse politische Aktualität, die sich aus der Betrachtung der näheren Umstände leicht ergibt. Das Königreich Belgien bildet die „unerlösten“ spanischen, später österreichischen Niederlande; es war bis zur französischen Revolutionszeit vorwiegend vlämisch, d.h. niederdeutsch; Orts- und Straßennamen sowie die Gerichtssprache waren bis 1794 vlämisch, nur in Brüssel, das größtenteils wallonisch, d.h. französisch bevölkert war, herrschte von jeher das romanische Element vor. Durch die französische Eroberung kam Belgien bis 1814 zu Frankreich; im ersten Pariser Frieden fiel es an das Königreich der Niederlande, von dem es sich aber dank der Agitation der französisch gesinnten Brüsseler Liberalen und des Klerus losriß, als die Julirevolution von 1830 ausbrach. Seitdem bildet es ein selbständiges Königreich mit klerikaler Regierung, der eine starke antiklerikale, sozialistische Opposition schroff gegenübersteht. Man begreift aus diesen Gegebenheiten den heftigen Antiklerikalismus des Patrioten de Coster, dem nur die Wahl zwischen diesen beiden Gegensätzen blieb. Für ihn war die Vereinigung Belgiens mit dem protestantischen Holland im Jahre 1814 die späte Frucht des heroischen, doch schließlich erschlafften Freiheitskampfes gegen die spanische Tyrannei gewesen; und nun hatten die Schwarzen im Bunde mit den französisch Gesinnten ihm zum zweiten Male die Frucht des Sieges geraubt. Man versteht jetzt erst völlig die tiefe Bedeutung des mystischen Orakels von dem Gürtel der Einheit, den Ulenspiegel zu suchen auszieht, und von den sieben Lastern, die diese Einheit immer wieder zerstören. Am Ende des Buches wiederholt sich diese Prophetie mit einem Nachdruck, als wollte sie aus dem Ganzen herausspringen wie sein geheimer Sinn, eine flammende Mahnung, die Lehren der Vergangenheit zu beherzigen, und ein Bindeglied zwischen der anscheinend weit abgerückten Vergangenheit und dem pulsenden Leben der Gegenwart zu knüpfen. Von hier ausgehend, schärft sich der Blick für diese politische Mystik, die dem Uneingeweihten so ganz wesenlos und unmotiviert erscheint; und man wird in den leidenschaftdurchzitterten Darstellungen Karls V. und Philipps II., die wahre historische Zerrbilder sind, vom Haß eines Renaissance-Pamphletisten gesehen, und nicht vom sachlichen Blicke der Klio, unschwer die Parallele zu den beiden Napeleons erkennen, von denen der erste Belgien beherrscht hatte und der andre zu der Zeit, da der Roman entstand, begehrliche Blicke darauf warf. Auch die gelegentlichen gehässigen Darstellungen deutscher Landsknechte und Fürsten scheinen aus dem eifersüchtigen Bangen des belgischen Patrioten um seine heimische Freiheit entsprungen; nur das belgische „Volk“ wird von ihm mit einen idealisierenden Glorienschein umgeben. Wer immer aber von ähnlichen politischen Gesinnungen beseelt war, der mußte dieses Buch eines zurückgewandten Propheten mit nationalen Wallungen lesen und es lieb gewinnen. Und so ist „Ulenspiegel“ für die Belgier noch heute eine nationale Bibel, die auch in der altertümelnden Sprache sich an die alten Bibelübersetzungen anschließt. Für den Nichtbelgier fallen solche Motive der Schätzung freilich fort; immerhin muß uns Deutsche, die einen dreißigjährigen Krieg für die Glaubensfreiheit kämpften, die seit Goethes und Schillers Tagen der Befreiung der Niederlande auch literarisch nahe stehen, der germanische Unterstrom dieses französischen Buches anheimeln; und archaisierende Romane sind uns seit Scheffels „Ekkehard“, Meinholds „Bernsteinhexe“ und den unvergeßlichen Novellen C. F. Meyers ja auch nichts Fremdes mehr; jeder ästhetisch Gebildete wird also diese Abspiegelung des Geistes der Reformationszeit bewundern. In Frankreich hatte Gustave Flaubert das historische Genre wenige Jahre vor de Coster gleichfalls zu Ehren gebracht, als er seine „Salambo“ schrieb; de Coster jedoch, dem die Quellen ungleich weiter flossen, leistete Größeres in der Wiedergabe des kulturhistorischen Dunstkreises und besonders im Ausdruck, der fast stets wie aus einer alten Chronik entnommen klingt, auch da, wo der Dichter aus Eigenstem geschöpft hat.
Oft genug ist das Buch, wie der mehrfach erwähnte Essay sehr fein hervorhebt, „außerordentlich derb, gelegentlich bis zum Abstoßenden, hierin wie in der breiten Ausmalung großer Schmausereien und in der Satire auf die Geistlichkeit an Rabelais gemahnend. Aber dann ist es plötzlich, als öffne sich während eines Trinkgelages ein Fenster, und ein Hauch frischer, reiner Luft dringe hinein. Zwischen die burlesken Szenen schiebt sich ein kleines Landschaftsbild. / Auch in der Schilderung des Freiheitskampfes werden zügellose Szenen manchmal nur durch einen Satz, durch einen Gedanken von seltener Gefühlszartheit und Melancholie ins Gleichgewicht gebracht. / Oft nur mit wenigen Strichen, aber stets auf das Lebendigste gezeichnet, ist auch die Fülle historischer Persönlichkeiten, mit denen Ulenspiegel auf seinen Fahrten in Verbindung tritt: Egmont, tapfer und hochmütig, sein ihm blindlings zustimmender Freund Horn, der herkulische, trinkfreudige und kluge Brederode, der große Schweiger Oranien und sein ritterlicher Bruder. / Meisterstücke sind nicht minder Auftritte wie der Bildersturm in Antwerpen, das Nachtstück im Gasthaus zum Regenbogen in Courtrai mit der dämonischen Gestalt der Gilline, der spanischen Spionin, oder die groteske Prozession des Heiligen Martin in Ypern; sie prägen sich dem Gedächtnis des Lesers unauslöschlich ein. Und ebenso bewundernswert ist die Abwechslung, mit der de Coster diese Szenen zu gestalten weiß.“
Es wäre noch vieles zu sagen über die um Ulenspiegel gruppierten Figuren: den schlichten, arbeitsamen Klas, der so gar kein Held ist, der seine Richter um Gnade anfleht und der doch als Märtyrer seiner Überzeugung den Holzstoß besteigt, / über die arme herzensgute Soetkin (Suschen), die aus Gram und an den Folgen der Folter stirbt, / über das reizende Idyll der Liebe zu Nele, die mit ihrer Landsmännin, dem Goetheschen Klärchen, so nahe verwandt ist, / über den burlesken „Freßsack“ Lamm, der im Grimm über das Davonlaufen seines von den Pfaffen verhetzten Weibes zu einem komischen Löwen wird, / und vor allem über den Helden selbst, der ein Taugenichts und Tagedieb war und der plötzlich unter der Wucht des Erlebten zum Manne heranreift, von dem einen Rachegedanken beherrscht: „Klasens Asche brennt auf meiner Brust“. Das und vieles Andere verdient eingehende Würdigung; aber es mag bei diesen Andeutungen bleiben, die den Leser nur auf den Weg des eigenen Genusses führen wollen und damit ihre Aufgabe erfüllt haben.
Fräulein Marie Lamping, die mir bei der Übersetzung hilfreich zur Seite gestanden hat, und Fräulein Elsa Schulhoff, deren Aufsatz ich die Anregung zu dieser Verdeutschung verdanke, sei auch an dieser Stelle mein aufrichtiger Dank gesagt.
F. v. O.-Br.
Seite | |
Vorrede der Eule | 1 |
Erstes Buch | 5 |
Zweites Buch | 221 |
Drittes Buch | 283 |
Viertes Buch | 453 |
Fünftes Buch | 545 |
Nachwort des Übersetzers | 587 |
Titelholzschnitt und Buchausstattung von F. H. Ehmcke
Gedruckt bei Gottfr. Pätz in Naumburg an der Saale
Charles de Coster, Flämische Legenden. Deutsch von Marie Lamping und Friedrich v. Oppeln-Bronikowski. br. M. 3.—, geb. M. 4.—
Inhalt: Die Brüder vom guten Vollmondsgesicht / Bianca, Clara und Candida / Herr Halewyn / Smetse, der Schmied / Ser Huygs / Die Masken
St. Galler Blätter: Costers Legenden werden ja wohl deutschen Lesern schnell Gottfried Kellers Sieben Legenden in Erinnerung rufen und Züge der Verwandtschaft zwischen dem Schweizer und dem Belgier sind in der Tat nicht zu verkennen: das kätzchenschnurrende Poetenbehagen am freien Gespinst, das Element lächelnder Schalkheit, das Durchschimmernlassen der Kritik aus dem Wesen neuer Welt. Aber Coster ist es in stärkerem Maße um säuberlichste Nachbildung alten Geistes und alter Form zu tun gewesen, weniger gedämpft ist sein Ton und sind seine Farben, wirklichkeitsherb schaut das Mittelalter aus diesen eigenartigen Schöpfungen nachbildender Phantasie heraus und bunter sind seine Elemente, weniger zu etwas Geschlossenem zusammengetönt, derber das Volkshafte darin. In allen Teilen ist der starke Poet am Werke: voller Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit des Gefühls, bald ernst, ja das Grausige heranziehend, bald schwankhaft und ulkig, von Erfindung überquellend und packend durch die Wucht des Einfachen in diesem in die Stimmung ferner Vergangenheit getauchten, kunstvoll in ihr festgehaltenen Berichten. Wie Erholung empfindet man nach moderner Subtilität des Psychologischen diese Geschichten voll bunten, fröhlichen und düstern Geschehens.
Wiesbadener Zeitung: Neun Jahre vor seinem gewaltigen „Tyll Ulenspiegel“, der nun durch die Welt geht, schrieb der Dichter 1858 seine Légendes Flamandes, ein bedeutungsvolles Präludium des größeren Lebenswerkes. Auch hier die altertümliche, Rabelais nachempfundene Sprache mit ihrer ungelenken Treuherzigkeit, ihrem prachtvollen Daseinsbehagen, die glücklicherweise nicht mit wissenschaftlicher Konsequenz durchgeführt wird, sondern sich ganz den Dingen selbst anpaßt, auch hier an einzelnen Stellen hervorbrechend der wilde Haß gegen die spanischen Gewalthaber, die in grotesk phantastischer Form, mit grausamer Rachelust gepaart, sich äußert. Es sind Märchen voll seltsamer Mischung mystischer und realistischer Elemente, ganz Vorahnung jener Motive, die die Gegenwart liebt, aber ganz naiv und unmittelbar erfaßt, nicht das Produkt literarischer Konvention, wie so vieles heute, vieles ohne Einheitlichkeit, ausgesponnen gleich einem bald beklemmenden, bald beglückenden Traum, aber alles unmittelbar Gegenwart. Wunderschön ist das Buch übersetzt und mit feiner Künstlerschaft ausgestattet.
[1] Diese Behauptung ist zutreffend. Der Dichter hat einer kleinen vlämischen Schrift aus der van Paemel’schen Sammlung, betitelt: Het aerdig leven van Thyl Ulenspiegel, die Kapitel VI, XIII, XVI, XIX, XXIV, XXXV, XXXIX, XLI, XLII, XLIII, XLVII, XLVIII, XLIX, LIII, LV, LVII und LX des ersten Buches seines Werkes entnommen. Jedoch haben alle bedeutsame Veränderungen erlitten, ausgenommen das LXII, LXIII, LXIV Kapitel. Die andern vom LXI bis zum Ende des Werkes sind de Costers Schöpfung, also auch die Bücher II, III, IV, V, die reine Erfindung sind. Wir müssen indes auf zwei Ausnahmen aufmerksam machen: 1. die Predigt des Broer Adriaensen Cornelis, die in Bruchstücken einer Sammlung von 1590 entlehnt ist. Der Verfasser mußte etliche Stücke von Predigten dieses grimmen Kanzelredners zusammenflicken, um, ohne sich ständig zu wiederholen, ein genaues Gemälde der verschiedenen Sekten des XVI. Jahrhunderts zu zeichnen. 2. Von dem Geusenlied in Buch III, Kap. 5 nur der Kehrreim, der einem Liede jener Zeit entnommen ist. Die Tatsachen, die der Geschichte angehören, u. a. die Plünderung der Frauenkirche in Antwerpen und das Lied der Verräter, stützen sich, was das erste anbelangt, auf die bestimmte Angabe eines sehr geschätzten Chronisten, Van Meeeren, und das Lied der Verräter auf Dokumente von unanfechtbarer Glaubwürdigkeit, die sich in den königlichen Archiven zu Brüssel befinden.
[2] Ein gelbes, mit Flammen und Teufeln bemaltes Hemd Derer, welche von der Inquisition zum Tode verurteilt sind. Der Übersetzer.
[3] Orden der Paulinerbrüder.
[4] Anspielung auf Wilhelm den Schweigsamen von Oranien.
[5] S. die Anmerkung des französischen Herausgebers in der „Vorrede der Eule“, die in der Übersetzung wortgetreu wiedergegeben wurde. Leider sind die dortigen Angaben ungenau, so daß nicht ersichtlich ist, welche niederländische Ausgabe des Ulenspiegel dem Dichter vorgelegen hat. Bei L. van Paemel in Gent erschien — nach der Bibliographie der äußerst zahlreichen Ulenspiegel-Texte, die sich in der Vorrede um Neudruck des Volksbuches von 1515 befindet (Halle a. S. bei Niemeyer, Bd. 55, 56 der Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts) — nur eine undatierte, aber anscheinend ziemlich neue Ausgabe des Till Ulenspiegel, die sich im britischen Museum befindet.
[6] Kap. 16 ist nur vorhanden in der zweiten hochdeutschen Ausgabe bei Servais Kruffter, Kap. 2: „Wie Ulenspegel antworde eym reysigen Mann, der na dem Wege vragete.“ Da diese Ausgabe schwer zugänglich ist (es existieren davon nur 2 unvollständige, photolithographisch ergänzte Exemplare in der Berliner und Wiener Bibliothek), so möge die 2. Historie dieser Ausgabe zur Vergleichung des Verhältnisses zwischen Original und Nachdichtung hier Platz finden.
„Als Ulenspegel noch ein kynt was / was he vp ein tzyt allein to huis / do quam ein man ryden aent huis und vragede na dem Wege. Vn̄ want he niemanden sach / so riep he ys dair niemāt in huis. Do sacht das kynt Ulenspegel ya yd / and’ half man̄ vnd ein roßheufft. Want du bis met deme haluen lyue hirin̄ mit des pertz heufde / un̄ ich byn ein ganz man̄. So vragede der man. Wair is din vader un̄ mod’? dz kint sacht. myn vad’ is van bösem böser tzo machen. vn̄ myn mod’ is vm̄ schaden off schande. Der man sacht / wie dat? dz kind seyde / myn vader macht einen quaden wech noch quader wan he macht grauen vp dat beseyde lant / dat man dar vp net vaeren mög. Myn mod’ is broit lenen / gyfft sy mind’ weder / dat is schand. gyfft sy merd’ wed’. / dat is schade. So sacht der man / waer sall ich recht hyn rydē? dat kind seyde / der dy genz hyn gaen. do der man quam ryden / flogen die genß ynt wasser. Do zwyuelde der man vn̄ reyt wed’ vm / vnd sacht de genß fliessen im wasser / saß weiß ich niet wair hin rydē. Dz kint sacht. yr solt rydē daer die genß gain / un̄ nit daer sy swimmen. So reit der man ewech / un̄ verwōderte sich sere van d’ antworden des kyndes“.