Title: Verkettung: Gedichte
Author: Martin Gumpert
Release date: January 7, 2014 [eBook #44612]
Language: German
Credits: Produced by Jens Sadowski
Leipzig
Kurt Wolff Verlag
1917
Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R.
Januar 1917 als achtunddreißigster Band
der Bücherei „Der jüngste Tag“
Die Gedichte sind 1914—16 entstanden,
sie gehören meinen toten Freunden
Nicht mehr will ich den Tag vertrinken
Unter allen der abseits Weinende sein,
Wortlos und müde hinauszusinken
Die Arme empor des Nachts zwischen Kissen zu schrein.
Oder in Straßenbahnen voller Gesichter
Plötzlich hochrot und in Tränen Erwachter zu stehn
Um dann erfüllt, doch bezwungen vom Spruche der Richter
Flackerndes Feuer geduckt zu vergehn.
Heute begriff ich die jammernden Stunden des Knaben,
Flehend, bei Spielen der andern mitjubeln zu können,
Nicht immer nach Wildheit der Lechzende sein, erschüttert von Gaben,
Die sich unzeigbar verschenken und selten zu nennen.
Harte Schwielen wünscht ich mir in die Hände
Oder auf Bäumen zu sitzen und Zweige zu brechen,
Doch mir wuchsen die Tage in endlose schmerzende Brände
Und ich verschloß mich stumm, meine Schlaffheit zu rächen.
Ich trug die Gesichter der groben ungläubigen Lehrer
In meine zitternden Träume, zaghaften Nächte hinein,
Wurde mir selber aufhorchend und wundernd der Hörer,
Ließ mich gleiten, wurde in Qualen gemein,
Ließ mich verleiten von jedem, das mich bewegte,
Der nicht mehr da war, dunkel und trunken den Blick,
Was mich so maßlos erbitterte und erregte
Von mir gebracht fiel dröhnend auf mich zurück.
Jugend, Verrat, schwerträumend, bewußtlos verübt,
Geschändet, verstoßen, verschlossen, wehrlosen Willens.
Großes, hartherziges Grauen der höhnenden Stadt,
Lachende, riesige Menschen, die mich in Händen gehabt,
Die mir zerknickten die wachsenden Glieder zum Stoß:
Ich blieb an den Wolken hängen
Ich blieb an den himmlischen Winden hängen
Ich sank in die Wiesen, Gras nickte mir zu,
Den hohen Gesängen
Der wissenden Wälder
Gab ich mein brennendes brüderlich: Du.
Aufgehender Tag, teilhaft des Sinns solcher Zeit,
Mutter, Dein Schoß regt sich verkündungsvoll,
Stolz Deines Sohnes will donnernd erwachen,
Heiliger Stunde dröhnt das Geläute der Welt.
Kirchen stürzen zerschmettert, Gott geht zu Gast,
Der fromme Geist zeigt schluchzend sein Herz,
Süß liegt die ruhende Kraft bereit,
Unseliger Schlaf auftut die Augen
Zu vollstrecken des Geistes Geheiß:
Denn Gott ist zornig, ist streng und zornig!
Denn da genügt kein Wort,
Ist nirgends ein Wort,
Das der Nacht Verhängnis
Gerecht ermißt.
Wir sehen uns an Wänden
Verrunzelt winzig stehn,
Zwischen weichen Fingern zermalmend
Überschreitet uns riesig die Frau.
Wir strecken um ein wenig Glück
Die Hand, um enge Güte,
Um einen Hof der Scham, uns stürzt
Zärtlichkeit vom Angesicht.
Aber Feindschaft ist so groß,
Kein Schoß verheißt Empfang,
Ekel überspannt den Leib
Seiner Unzulänglichkeit.
Blühte doch ein Tal der Ruhe,
Käme Zeit des Morgens,
Der ins Innen dringt
Und Erlösung kennt.
Auf dem Rücken der Stadt
Hockt der häßliche Zwerg,
Die kreischende Nacht,
Das Tor voll Qual.
Soll ich mein kleines
Lustliedlein singen,
Mein Herzlein bringen
Vor Deinen Mund,
Knie will ich falten,
Hände hinhalten,
Mach mich gesund!
Hebe mir Schwere
Vom Haupt,
O ich ersticke,
Aller Geschicke
Steh ich beraubt.
Laß mich die Leere
Mit meinen bloßen
Armen durchstoßen,
Bin ich doch nackt
Ausgegossen in Deine Hände,
O so beende
Was mich da packt.
Zärtlichkeit hasse ich,
Schwäche versehrt mich,
Liebe zerstört mich,
Ich bin gar unfähig.
Im Fensterriß errötend rings von Tag
Der Häusermauern eckiges Gesicht,
Beglotzt den Traum, lang rasselndes Gewicht,
Das mich die ganze starre Nacht umlag.
Der Baum im Hof erhebt sich kraß und dicht
Sirenenbrunst und kurzer Uhrenschlag;
Das schon ganz tief im hellen Himmel stak:
Erschrocken unterm Dach verlischt ein Licht.
Hundegebell, es häufen sich die Zeichen,
Ich werde bald mich aufrecht stehend wissen,
Wind wird mich, zärtliches Gefühl, umschleichen,
Ich fand mich nie zurecht in meinen Kissen,
Ich will die Sonne sehn, sie soll Dir gleichen,
Soll Mädchen sein und meine Augen küssen.
Mein Frauenhimmel zerstürzt,
Mein Freundeswille erstickt,
Unnatur ist der Kampf.
Und war doch einst ein Fließen
Und Händereichen
Und Hingeben.
Meine Tage verstreut,
Mein Blut zu Ende,
Meine Zärtlichkeit tot.
Schwäche besteigt das Haupt,
Darauf ruht keine Hand.
Die Nächte stehen leer von Tanz,
Die höchsten Feste sind versäumt,
Die Kette der Freundschaft ist einender Haß,
Der macht unseliger noch verloren.
Die Männer sind vor Scham verwüstet,
Sie wagen nicht, sich zu erkennen,
Überall sind Freunde einzeln
Ohne Frau, Gewalt und Inbrunst.
Der Mensch ist entzweigeteilt!
Er will Erniedrigung,
Aber ich lasse den Himmel nicht los.
Ein hohes Feuer ist meine Not,
Es hüllt die Erde ein
In edle Trunkenheit!
Meine Hand führt Deine Hand
Feuerfluß der Sterne,
Rings ist still ein Wellenland
Lockung in die Ferne.
Stadtgesicht schwillt wüst empor
Maul bis zu den Ohren,
Fürchterlich erdröhnt ein Chor:
Du auch bist verloren.
In der schweren gelben Luft
Hängt ein Meer von Armen,
Steine fallen, Stimme ruft
Gellend um Erbarmen.
Welche Reise muß ich tun?
Selig sei Du, weine,
Traum zerreiße, Nacht will ruhn,
Weiße Sonne, scheine!
Wir werden uns leise
Um sie versammeln,
Zu Häupten zwei graue
Zu Füßen zwei weiße,
Einer wird mitten zur Hülle gesunken
In Händen halten Haut wie Laub. —
Schön sind Blumen
Rings gelegt.
Wir hörten Worte toll Sturm durch die Straßen rollen,
Die sind auf einmal still geworden.
Wir müssen uns ganz nah begeben,
Sonst trägt, was kommen wird, uns weit.
Kannst du laut lachen einmal,
Zerteilen mein’ Angst,
Ich glaube — wir sind nicht mehr.
Wir wandern alle schon im Herbst,
Auch was so neu und kühn: ist Herbst;
Wir werden bald uns wechseln müssen,
Schon löst die Krone sich vom Haupt.
Ich bin schon alt wie hundert Jahr,
Mein Blut ist früh so schwer geworden,
Alte Frau, ich bin Dir nah.
Sind Deine Augen immer zu,
Ich bin aus Dir ein Blätterbaum,
Viel Zweige werden von mir gehn,
Blitz fällt mich kaum.
Ich bin geschehn
Stark dazustehn,
Doch Du brauchst Ruh.
Zu doppelt Teil zerfällt der Kern,
Wenn die anschwellende Grauenfrucht
Durchstieß die Narbe, verschlang die Hütten:
Entsetzen — Gelächter.
Gegen die Augen Stoß der Dächer,
Und die Erde will in den Mund,
Musik und Ruf durchstechen das Ohr,
In mich flüchtet der ganze Lärm
Aber wenn ich ins Weite will
Versagt ein jedes und ist am Ende.
Verheißungslos in mein Fleisch zurück:
In kahler Kammer bin ich da.
Zuviel dies Land zerfurcht von Blut,
Mord regungsloser Turm darin.
Hier kann mir keine Heimat sein,
Hilf suchen doch mein fernes Land.
Wenn sich die Nacht nun an mich hängt,
Die treibt durch Straße, Park, Café,
Erst lachen wir, dann weinen wir,
Dann schließt uns Wahn die Augen zu.
Ich liege wie ein Unheil auf der Stadt,
Ich liege ganz berauscht von Stadt,
Meine Worte sind Gift.
Jetzt kommen alle, wollen kosten,
Geschlagen sein, zu nichte sein,
Von mir das Sterben erfahren.
Die Schwachen wollen sich zügeln lassen,
Ich kann ihre wunden Augen nicht sehn,
Sie sind, Verachtete, feige im Licht.
Kinderhände ringen um Führung,
Hände auch verkrüppeln vor Angst,
Hände können die Tränen nicht halten.
Durch mich, in mich stürzt alles zurück,
Ich singe hart, grausam laut:
Ich liege wie ein Unheil auf der Stadt.
Ihr Gotterfüllten in der Zeit
Von jeher Euer Erbe Inbrunst:
Des Gottes Ehre ist mißbraucht.
Sein Tempel ist ein offnes Haus,
Sein heilig Blut tropft schwer dahin:
Des Gottes Ehre ist mißbraucht.
Schreit auf, da Euch Gebet versagt,
Ihr wart die Hüter, Ihr das Tor:
Des Gottes Ehre ist mißbraucht.
Ihr seid der Welt Verderber,
Des großen Sterbens seid Ihr schuld:
Des Gottes Ehre ist mißbraucht.
Sein hehrer Leib klagt krank und wund,
Ein Grauenvolles starrt sein Mund,
O, meines Gottes Ehre ist zerstört!
Tragt seinen Fluch in Euren Tod,
Es soll ein neuer Glanz geschehn,
Ein Fest wird sein, ein strahlend Rot
Soll über Euren Häuptern stehn
Und Wirklichkeit, die furchtbar droht,
Aus leeren Augen auf Euch sehn.
Uns komme Licht, uns sei das Wort,
Ein Gang auf Wellen, Hand in Hand,
Gesang, an dem die Kraft verdorrt,
Die heute nicht Erlösung fand.
O erster Morgen, letzter Mord,
Rauchender Welt entsteigt mein Land!
Während ich mit Euch bin, mit Euch teile
Trennt sich schon tastend die suchende Saat,
Einheit versagt sich zu jagender Meile,
Heilige Forderung wird der Verrat.
Sind wir mit waltenden Waffen Bescherte,
Trifft uns vereinsamt gemeinsames Ziel,
Nur wer den Geist seines Gottes versehrte,
Bröckelt verlodernd am eignen Gefühl.
Gestern im Tempel der treuste der Wächter,
Heute der Schänder am heiligsten Gut,
Dennoch gewertet als Harter, Gerechter,
Wehrlos gewappnet der Wut nur durch Blut,
Das schon vom donnernden Schalle durchrauscht
Keinen vermag der Gestürzten zu schonen,
Entrückt dem rasenden Trommelklang lauscht
Kommender Revolutionen.
Die ganze Stadt ist eine große Kirche
Voll Andacht, Inbrunst, Reue und Gebet,
Vom Gipfelsturm der Glocken überweht.
Der Tag erbraust in Tätigkeit und Kraft,
Doch nirgends ist ein emsig Herz am Werke,
Die Seelen alle sind zu Gott erschlafft,
Die Augen ruhn, in sich dahingerafft.
Nur in den Glocken rast noch Sinn und Stärke.
Da fällt ein Beben auf die Stadt herab
Und ein Erzittern und ein Fliehenwollen,
Die Mauern stöhnen qualvoll, und ein Grollen
Hebt an und alle Tore spreizen sich
Und aus den übervollen
Jammergetränkten Wänden birst ein Schrei
Und Schreien,
Von Flammen, Steinen überschüttet
Steigt das Grauen
Steil in die Luft:
„Wir taten nichts,
Wir nahten
Uns Dir in Blöße,
Wir ahnten Deines Angesichts
Endlose Größe,
Doch Du spiest Granaten.“
Zersprengte Jugend!
Uns die Zeit
Zerbiß die Stirn,
Es schreit, schreit,
Kann nicht ruhn,
Lauert bereit
Ohne zu tun.
Abendgang,
Nacht in Straßen,
Zwang zu hassen
Hilflos, krank, —
Verflucht solche Jugend,
O Alter und Ende,
Pack fort das Grauen,
Zerhauen
Sind unsere Hände,
Die schaffen sollen!
Durchlöchert, zerfressen
Rinnen wir aus,
Wir wollen
Hinaus!
Sonst Mord! Sonst Mord!
Raserei
Laßt uns frei!
Laßt uns fort!
Offnes Grab,
Kalt und hart,
Narren, Helden,
Entflammte Juden,
Überreste
Erreichen die Wüste!
Im dritten Jahr ist der Gruß Geschrei,
Mattes Ächzen, gestöhnte Qual
Hebt an, stimmt ein!
Im Genick die modernde Faust verhöhnt.
Meiner Freunde zerfressene Augen,
Die zerbrachen im ersten Sturm,
Sind gewandert in jedes Gesicht.
Beinhaus Erde! Es wandeln die Toten.
Du bist mir fremd, da Du noch bist,
Es quillt noch Blut, wenn man Dich sticht,
Wer lebt, ist Mörder, Euch liebe ich nicht.
Du warst mein Freund? So stürze ein,
Geschleift, gestoßen vor ein Gericht
Wollen wir Feindschaft in uns schrein!
Fremder, mit dem ich ging,
Soll ich Dich schlagen,
Qual, die Dich rings umhing,
Muß ich nun tragen.
Alles liegt da zerdrückt
Kraft, Weichheit, Wut,
Haß, auf den Sinn gezückt,
Haß, Du bist gut.
Was soll die Furcht vor diesen fremden Augen!
Komisches Grauen wirft mich rücklings hin,
Sie schleppen schwarzes Feuer in den Brauen,
Asche wie Blut betropft das Kinn.
Gehöhlt gezackte Landschaft, hoch zu schauen,
Bergkreuz der Augen: der durchbohrte Sinn,
Er will sich wütend in die Sonne bauen,
Dort steht auf Mauern, brausend, der ich bin.
Jed’ Wesen ist nur Käfig für sein Leid,
Gefüllt mit Tränen, ausgebrannte Kehle,
Nur noch ein Wimmern, weinend, unbefreit.
Faust, brich hernieder in die Augenhöhle,
Spreize die Finger, zerreiße die Seele,
Rasende Faust meiner „herrlichen“ Zeit.
Dumpf versunken
In der Not Anblick,
Stumm für Zuruf,
Unfähig der Tat.
Nicht sich verlieren
Nur stierend sagen
Hassend kalt sagen:
Da — ist — Mord
Da — ist — Schande
Da — ist — Mord.
Sind noch die Wasser
Und das Tal,
Mond, dem die Nacht erliegt?
Niemehr kommt Sommer,
Ganz gefangen
Starrt mein Gesicht,
Lauert grausam
Und erwürgt
Die kleine Hoffnung.
Schon tänzelt um mich
Die Dirne
Im Kreis,
Heißer Atem,
Ein Fetzen
Zur Haut.
Werft doch alle
Euch hin
Wo Ihr seid,
Stoßt doch alle
Heraus!
Euer Leid
Im Schrei
Erdrosselt
Die Zeit.
Unmut hängt von der Stirn,
Ich schlage lang in Härte.
Wölfe überfallen mich
Und die drohend erstandene Nacht.
Ich will mich niederwerfen,
Den Kindern kommt Hilfe,
Aber mein Wachstum erstickt,
Ich habe schlecht getan.
Grausamer Traum
Nistet sich ein,
Mit meiner Verhöhnung
Bedeckt sich die Leere.
Ich tat nichts,
Doch trifft mich Schuld.
Trotz und Demut
Einen sich.
Das Mal der Gerecktheit,
In die man verfällt
Außer sich trunken,
Ist kein Makel an mir.
Mich zeichnet Erschlaffung
Nach so viel Aufruhr.
Käme der Herr jetzt,
Mich tötete Scham.
Ich verginge.
Vor seiner Güte
Ich müßte knieen.
Ich könnte weinen.
Nun bin ich die Herrin der Tänze
Im Kreis meiner Mühe.
Mich durchschreiten die Paare
Am Tag der Vermählung.
Vor so viel Entzücken
Erreicht meine Seele
Einsamen Schmerz,
Ich darf nicht teilen.
Doch kommt das Feuer
An meinen Brunnen,
Ich stürze es in mich
Ohne Abwehr.
Mein Tag
Ist der Tag Gottes,
An dem
Ich ohne Volk bin.
In Tahiti kämmen am Meer die Mädchen schweres Haar mit schwankenden Händen,
Zu dem nahen Ton der Muscheln neigen sie die braunen Nacken,
Frucht verheißt des Landes Fülle,
Sonnenfeuer folgt zur Frühe jeder Nacht voll fremder Kühle.
In Tahiti weht der Meerwind weiße Vögel durch die Luft,
Kleine Federn fallen wirbelnd in den flinken Tanz der Kinder,
Zarte Finger, steif vor Vorsicht, fassen die verlornen Flocken,
Weiße Zähne funkeln Freude,
Flache Hände fordern mehr.
Nicht am Tor fragt die Arbeit jeden Morgen,
Aller Traum wird ausgeträumt,
Reif verlangt das Weib zum Manne
Und die Falter fliegen nie vergebens
Und die Feinde fliehen nie einander.
In das Spiel des Alltags klingt die Flöte,
Doch zur Feier tönen weiche Harfen
Von den Ufern Duft der Wasserblumen
Und die leise Fahrt der bunten Kähne,
In den dunklen Wäldern Sturm der Wipfel
Und das Flüstern schlankgewachsner Gräser.
Über Wiesen in Tahiti fließen rieselnd frische Bäche,
Streifen leichte Weidenzweige hauchgebeugt die helle Nässe,
Gelber Sand und grüner Halm fangen wechselnd schmale Füße,
Jeder Blick ermahnt zu bleiben
Jede Ferne treibt zu eilen.
Karge Männer gehen nach einem nimmermüden Werke,
Wenn ihr Steinbeil Stämme fällt
Sehn sie stumm der Frauen Sorgfalt,
Und die Liebe lichter Lieder mischt sich ihrem rauhen Sange.
Solln wir schaun zur Gruft der Fluten
Und des Sturmes Gut ergründen?
Hundert schlug sein Zorn zurück.
Oder solln in weiter Wölbung
Augen wandern, wundersuchend,
Der Gestirne Gang zu folgen?
Soll der Sprung die Glieder tragen
Über Gräben und Gemäuer,
Und der Schlag der Herzen fliegen
Bis wir matt an Eure straffen
Muskelschweren Kniee sinken?
Oder Eure kleinen Söhne
Mit uns nehmen, gehen lehren,
Ihren guten Schlaf bewachen
Und den ahnungslosen Augen
Täglich Ding zu schauen geben?
Sei nicht Führer vieler,
Weiser sei am Weg
Wachsend zwischen Wolken
In den reinsten Himmel.
Suche nicht nach Glück,
Anderen vergönnt
Sei dem Herz kein Sänger,
Wecker sei der Seele.
Sieh nicht ins Gesicht der Welt
Wenn Du schweigst, sind andre stumm,
Und Dein Wort durchstürzt das Fleisch
Un—endlich.
Wir sind so
Wie die Kinder,
Bloß daß wir
Schreiten müssen.
Da steigen uns
Schwere verworrene
Heimlichkeiten
Vor die Sinne.
Die stürzen uns
In Härte,
Sonst frißt uns
Fremde Lockung.
Güte ist kein Weg,
Helfen kann nur Weisung,
Der Führer ist
Geht einsam voran.
Er kennt kein Opfer,
Ihm sticht das Licht
Der eigenen Augen
Erinnerung aus,
Nur im Schlafe
Umrauscht ihn
Eine Ahnung
Kommender Liebe.
„Fleisch hat die Augen geschlagen,
Ich muß darein gehn,
Wie soll ich nun sehn?“
„Fleisch wird Dich aufwärts tragen.“
„Da ist der Leib sehr wund,
Verzehrt, schwach und heiß.
Wie wird mein Leib nun weiß?“
„Liebe macht ihn gesund.“
„Doch wer gelangt zu mir
Und reicht bis an ein Ende.
Wer greift an meine Hände?“
„Gott ist genug in Dir.“
„Wo find ich seine Zeichen
Und weiß sie zu erfüllen?
Wer kann so hohem Willen
Mit seiner Armut gleichen?“
„Feuer begehrt Dich schwer,
Laß Dich erfassen
Außer allen Maßen
Ist der Geist Dein Herr.
Wachse an diesem Berg,
Wie wirst Du glühend sehn,
Wie wird Dir groß geschehn,
Höchste Lust im Werk.“
Der ich schon längst nicht schenke
Aus kleinem Krug an Mensch und Welt,
Wohin es mich auch lenke
Bleibst Du mir immer beigesellt.
Aussend ich wilde Mannheit
Um Deinen milden Frauenleib,
Eingehen mußt Du meiner Zeit,
Zu geben großes Bild vom Weib.
Ich will aus Dir herlesen
Was in der Zeit noch grauend liegt,
Einbrechen in Dein Wesen
Wie man in glühend Eisen biegt.
Gewiß verbirgt Dein guter Schoß
Das Sterben und die ganze Not,
Verschlossen hüpft und riesengroß
In Dir schon unser aller Tod.
Drum laß ich nieder, wo Du bist,
Die müdgespannte Muskellast
O sei Du heilig rein geküßt
Da Du mich eingelassen hast.
Die Erde tat am Mond Verrat,
Nun kann ihr keine Obhut sein,
Rot Feuer fällt auf unsere Stadt,
In Trümmern Du und ich allein.
Zweifach durch schwarze Nacht gescheucht
Scharlachentzündet Firmament,
O mein zerschrienes Herz schrill keucht,
Daß mein Gesicht Dich nicht mehr kennt.
Da nimmst Du meinen Kopf an dich,
Aus der unsagbar Edles spricht,
Ins Auge ungeheuerlich
Bricht überströmend neu das Licht.
Schwingt Anemonen trunken
Der traumersehnte See,
Die Zeiten sind gesunken,
Aus Blumen bleicht der Schnee.
Die Schädel vieler Leichen
Sind in die Luft gepflanzt,
Auf Feldern ohnegleichen
Wird wundersam getanzt.
Aus Klängen Bäche bluten,
In Eins zuspitzt die Welt,
Aus Lärm und Ruf und Gluten
Wird Heiland neu bestellt.
*
Die jungen Juden haben
Dräuend die Hand gestreckt,
Was ihre Herzen gaben
Hält süß ihn zugedeckt.
Aus ihren Hungergassen
Wächst Jubel langsam auf,
Noch können sie nicht fassen.
Starr geht ihr Blick hinauf.
Doch dann sind sie unbändig
Und Leid bricht rot heraus,
Das schleudern tausendhändig
Sie in die Zeiten aus.
*
Es ist nur ein Gesicht,
Das auf der Erde geht,
Nur einer ist, der spricht,
Jed Wort wird zum Gebet.
Den Schnitter in der Hitze
Springt Grausen geltend an,
Kein Zweiter bleibt, der stütze,
Nicht kennt sich Weib noch Mann.
Gott sind die Menschen alle
Und Auge, das erlischt,
Sie schrein, bereit zum Falle,
Einander ins Gericht.
*
Hört Glockenrasen ragen,
Hell aufgebäumt von Stoß,
Die schuldig sind, sie sagen
Sich voneinander los.
Die Erde überwehen
Kühler und schwarzer Wind.
Dann bleibt die Erde stehen.
Gott wurde trauernd blind.
*
Schwingt Anemonen trunken
Der traumersehnte See,
Die Zeiten sind versunken,
Aus Blumen bleicht der Schnee.
Still kommen hergefahren
In Nachen singend Lied
Unzählbar Seelenscharen,
Aus denen Himmel blüht.
Sie tragen ihre Helle
An den verwünschten Ort.
Aufnimmt sie Sonnenwelle,
Sie leben herrlich fort!
Du gib die überhelle Kraft,
Aus der der Stern der Güte stammt,
Zerspreng die Haft, gib Wissenschaft
Und unermeßlich machtvoll Amt.
Was gab denn Haß, da ich vergaß
Und Liebe, die in Qual verrann,
Wenn ich mich alles des vermaß
Sag an, was blieb mir dann!
Mein Schlaf schwimmt in verzagten Tag
Und ahnt die Ufer nicht,
Wie leicht erlag dem starren Schlag
Mein helles Traumgesicht.
So gib, daß ich der Hüter einst
Nah Deinem Atem bin,
Wenn Gott Du weinst, Licht, wenn Du scheinst,
Wie stürzt da alles selig hin!
Die weiße Straße führt heraus ins Weite,
Am Wege rasten Schnitter, rufen Grüße,
Sanft steigen Berge nackt aus weichen Wiesen,
Am Felsen hockt Kind Schnee, schwankt hin Gestrüpp,
Mit aufgerissnen Augen blauer See
Singt stille Fahrt und müde Gondellieder.
Den heißen Hals küßt ferner Wind,
Ein Wolkennacken überm Dorf sich stemmt,
Beugt an den Mauern Blumen bunt zu Boden.
Es läuten Glocken, Mittag träumend liegt,
Heim kommen Herden, Kinder knien im Hof;
Am Baum ein Mädchen: Mund und Haar und Erde. —
Schweigende Trauer am Himmel gelehnt
Führe heran deine milden Hände,
Gleite um Schulter kühler Hauch,
In die Augen drücke die Schmerzenlast —
Einhalten die Glieder und ein Wirbel
Stürzt durch dich. Da schreit dein Haupt.
Die Sonne floh, um uns ist Nacht,
Wir sinken eisig in schwarze Starre,
Nur ein Krächzen noch laut,
Dunkeljammernde hasten vorüber —
Drücke, Trauer, mir sanft die Kehle tot:
Atmen kann ich nicht mehr.